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Vor 40 Jahren: Beginn der Terrorherrschaft der Roten Khmer | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 40 Jahren: Beginn der Terrorherrschaft der Roten Khmer

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Am 17. April 1975 nahmen die Roten Khmer die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh ein und stürzten die Militärregierung. Damit begann eine fast vier Jahre währende Schreckensherrschaft, der rund 1,7 Mio. Menschen zum Opfer fielen. Auf die juristische Aufarbeitung des Terrors musste das Land mehr als dreißig Jahre warten.

Gedenktafel für die Opfer der Roten Khmer, die im Foltergefängnis S-21 getötet wurden. Die Tafel steht in Phnom Penh auf dem Gelände des ehemaligen Gefängnisses, das heute ein Museum beherbergt. (© picture-alliance/dpa)

Die Geschichte der Roten Khmer reicht bis in das Paris der 1950er Jahre zurück: Dort gründeten kambodschanische Studenten, darunter Pol Pot, Ieng Sary und Khieu Samphan, die späteren Anfürer der Roten Khmer, eine marxistische Studentenvereinigung. Nach der Rückkehr in ihr Heimatland traten sie der Kommunistischen Partei Kambodschas bei.

Das Land war seit 1953 von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig und wurde seitdem von Prinz Norodom Sihanouk und seiner Partei der Sozialistischen Volksgemeinschaft regiert. Während der kambodschanischen Studentenrevolte 1963 flohen Pol Pot und mehrere seiner Gefährten in den Untergrund und begannen, unter dem Namen "Rote Khmer" eine Guerillatruppe aufzubauen.

Vietnam-Krieg und Umsturz

Ab 1965 schwappte der Vietnam-Krieg nach Kambodscha über, Grenzzwischenfälle häuften sich und Südvietnam verfolgte Khmer-Minderheiten in den Mekongprovinzen. Daraufhin erlaubte Kambodscha China die Einrichtung von Vietcong-Stützpunkten in kambodschanischer Grenznähe, die die USA 1969 bombardierte. In Abwesenheit Sihanouks erfolgte dann im März 1970 ein von Marshall Lon Nol geführter Staatsstreich, woraufhin das Land im Krieg versank.

Das Chaos in der Kriegszeit zwischen 1970 und 1975 führte zu einer massiven Instabilität. Diese nutzten die Roten Khmer unter Pol Pot, um die von den USA unterstützte Regierung Lon Nol zu stürzen und an die Macht zu gelangen. Am 17. April 1975 konnten die Roten Khmer die Hauptstadt Phnom Penh einnehmen. Die Volksrepublik Demokratisches Kampuchea war geboren. Sie sollte bis zum 7. Januar 1979 Bestand haben.

Ideologie und Terror der Roten Khmer

Der Plan der Roten Khmer war es, ein radikal-kommunistisches System zu etablieren. Sie wollten eine ursprüngliche, agrarisch geprägte Gesellschaft schaffen. Dafür teilten sie die Bevölkerung in ein "altes" und "neues" Volk ein: Die städtische Bevölkerung, das "neue Volk", war der Klassenfeind, der sich an den Erträgen der ländlichen Bevölkerung bereichere. Daher sollten alle Städte evakuiert und die Menschen zur Landarbeit gezwungen werden. So mussten zum Beispiel die mehr als zwei Millionen Einwohner Phnom Penhs die Stadt innerhalb weniger Tage räumen. Zehntausende Kambodschaner starben bei diesen Gewaltmärschen aufs Land.

Die Roten Khmer schafften jegliche religiöse Praktiken, Geld und Privatbesitz ab; Sprachen und Bräuche von Minderheitengruppen verboten sie. Kulturelle und religiöse Einrichtungen, Schulen und Betriebe wurden zerstört. Buddhisten und Christen, Geistliche und Mönche wurden ebenso verfolgt wie ethnische Minderheiten, darunter Chinesen, Vietnamesen, Thais und insbesondere die muslimischen Cham. Aber auch Angehörige der Armee, der Polizei und Beamte mussten die neuen Machthaber fürchten. So wurde nicht nur die gesamte Gefolgschaft des gestürzten Lon Nols ausgeschaltet, selbst Mitglieder der Khmer-Kader fielen Säuberungsaktionen zum Opfer.

Von fast acht Millionen Einwohnern Kambodschas sind in den vier Jahren des Roten Khmer Regimes Interner Link: mindestens 1,7 Millionen Menschen umgebracht worden oder starben an Hunger, Überarbeitung oder Krankheiten. Sinnbild für den Terror wurde das Folter- und Verhörzentrum Tuol Sleng bei Phnom Penh. Von den etwa 14.000 Inhaftierten, die zwischen 1975 und 1979 in das "Sicherheitsgefängnis 21" gebracht wurden, überlebten nach Angaben der Gedenkstätte des Foltergefängnisses Tuol Sleng nur sieben Insassen.

Der Sturz der Roten Khmer

Der Anführer der Roten Khmer, Pol Pot, während eines Interviews 1979. (© picture-alliance/dpa)

Im Dezember 1978 entschieden die Machthaber der Roten Khmer in Vietnam einzumarschieren, um das einst von Kambodschanern bewohnte Mekong-Delta zu erobern. Dem sofortigen Gegenangriff der Vietnamesen konnten die Truppen der Roten Khmer kaum Widerstand leisten. Innerhalb kürzester Zeit eroberten die vietnamesischen Truppen Phnom Penh. Am 7. Januar 1979 war die Herrschaft der Roten Khmer beendet.

Vietnam installierte in Kambodscha eine aus geflohenen Intellektuellen und ehemaligen Rote Khmer-Mitgliedern bestehende Regierung – darunter auch der bis heute amtierende Regierungschef Hun Sen. Erst 1989 zogen die Vietnamesen wieder ab. Bis dahin waren sie ständig in Gefechte mit Guerillagruppen und den Roten Khmer verwickelt, die als Gegner der von Vietnam abhängigen Regierung sowohl von China als auch von den USA unterstützt wurden.

Das Friedensabkommen von 1991

Im Oktober 1991 unterzeichneten die kambodschanischen Verhandlungsparteien und internationale Vertreter die Externer Link: Friedensverträge von Paris. Obwohl Mitunterzeichner, brachen die Roten Khmer jedoch in den folgenden Jahren wiederholt den Waffenstillstand und weigerten sich, die von ihnen noch kontrollierten Gebiete zurückzugeben. Sie boykottierten auch die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im Mai 1993.

Mit der Ächtung der Roten Khmer 1994 durch die kambodschanische Regierung begann auch der innere Zerfall der Roten Khmer. So nutzen 7.000 Khmer-Soldaten die Möglichkeit einer Amnestie. 1998 wurde Pol Pot in einem Rote Khmer-internen Prozess zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Nach seinem Tod im April 1998 kapitulierten Ende des Jahres auch die letzten Kampfverbände. Die kambodschanische Regierung sprach weitere Amnestien aus und gliederte Rote Khmer-Kämpfer in die Nationalarmee ein – wo sie bis heute teilweise führende Posten bekleiden.

Aufarbeitung durch das Rote-Khmer-Tribunal

Zur Aufarbeitung der Terrorherrschaft der Roten Khmer beschloss das kambodschanische Parlament im Juli 2001, einen internationalen Gerichtshof unter Beteiligung der Vereinten Nationen einzusetzen. Im Juli 2006 nahm der Internationale Sondergerichtshof für Verbrechen der Roten Khmer (ECCC) seine Arbeit auf. Externer Link: Die verschiedenen Kammern des Gerichtshofs sind mit kambodschanischen und internationalen Richtern besetzt. Darüber hinaus ist das Tribunalsmandat klar definiert: So darf der Gerichtshofr nur Verbrechen verhandeln, die während der Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 stattgefunden haben.

Am 17. Februar 2009, dreißig Jahre nach dem Ende des Rote-Khmer-Regimes, begann der erste Prozess gegen einen der Hauptverantwortlichen. Angeklagt war Kaing Guek Eav, genannt "Duch", der Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses Tuol Sleng. Das Tribunal verurteilte ihn am 26. Juli 2010 zu einer 35-jährigenHaftstrafe; ein kambodschanisches Gericht erhöhte das Strafmaß 2012 auf lebenslänglich.

Im Juni 2011 begann der zweite Prozess vor dem Rote-Khmer-Tribunal. Angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord waren der Chefideologe Nuon, Khieu Samphan, ehemaliger Staatschef der Roten Khmer, Ieng Sary, Ex- Außenminister, und seine Frau, die frühere Sozialministerin Ieng Thirith. Thirith wurde kurz darauf für verhandlungsunfähig erklärt; Sary verstarb während des Prozesses. Die beiden anderen Angeklagten wurden am 7. August 2014 jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt. Weitere Prozesse gegen führende Kader der Roten Khmer befinden sich zur Zeit in der Vorbereitung.

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