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Parlamentswahl in Ägypten | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Ägypten

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Ägypten hat ein neues Parlament gewählt. Es waren die ersten Wahlen, nachdem Präsident Abdel Fattah al-Sisi 2013 die Macht im Land übernommen hat. Viele Kritiker sorgen sich weiterhin um Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Ägypten.

Straßenszene in Kairo, Ägypten: Menschen laufen an Wahlplakaten für die bevorstehende Parlamentswahl vorbei, deren erste Phase am 18. und 19. Oktober, die zweite am 22. und 23. November stattfinden wird. (© picture-alliance/AP)

Nach mehr als drei Jahren hat Ägypten seit Dezember 2015 wieder ein Parlament, das im Juni 2012 aufgelöst worden war. Mehrfach waren in diesen drei Jahren Parlamentswahlen angekündigt und wieder abgesagt worden, bis in zwei Phasen im Oktober und November 2015 die Parlamentswahlen abgehalten wurden. Das endgültige Wahlergebnis wurde erst Ende Dezember 2015 verkündet, weil es in vier Wahlbezirken zu Unregelmäßigkeiten gekommen war und die Stimmabgabe wiederholt werden musste.

318 von insgesamt 568 Sitzen (55 Prozent) gingen an Kandidaten ohne Parteizugehörigkeit, von denen die Mehrzahl aber die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi unterstützt. Erfolgreichste Partei wurde die "Partei Freies Ägypten" mit 65 gewonnen Sitzen (rund 11 Prozent).

Mehrere Parteien hatten die Wahlen wegen anhaltender Menschrechtsverletzungen und Kritik am Wahlprozess boykottiert. Die Muslimbruderschaft, die bei den Wahlen 2012 noch als erfolgreichste Partei abgeschnitten hatte, war zu den Wahlen 2015 nicht zugelassen. Im Zeitraum der Stimmabgabe kam es auch zu zahlreichen Gewalttaten. Ebenso berichteten Wahlbeobachter über den Kauf von Wählerstimmen. Insgesamt war die Wahlbeteiligung niedrig, rund 28 Prozent der über 56 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Wahlsystem

Nach dem ägyptischen Wahlgesetz wird das Parlament für fünf Jahre gewählt. Es besteht aus bis zu 568 Sitzen. 420 davon werden von individuellen Kandidaten und 120 von über Parteilisten zur Wahl antretende Personen besetzt. Bis zu 28 Abgeordnete – fünf Prozent der Sitze – kann der Präsident ernennen.

Die Parteilisten enthielten Quoten für bestimmte Minderheiten – unter anderem für Frauen, junge Menschen, Kopten, Menschen mit Behinderung und Ägypter, die im Ausland leben. Die Listenwahl erfolgte nach dem Mehrheitswahlrecht; hierbei erhielt die Partei alle Sitze, die die Mehrheit der Stimmen in diesem Wahlbezirk auf sich vereinigen konnte.

Wahlrecht in Ägypten

Ägyptische Bürgerinnen und Bürger dürfen sich zur Wahl stellen, wenn sie über 24 Jahre alt sind und zumindest über einen Schulabschluss verfügen. Wahlberechtigt sind Ägypterinnen und Ägypter über 18 Jahren. Insgesamt dürfen 54 Millionen Menschen wählen.

Von der Wahl ausgeschlossen sind Menschen, die sich wegen einer Erkrankung in einer psychiatrischen Einrichtung befinden und Personen, die wegen bestimmter Gesetzesverstöße wie Betrug, Steuerhinterziehung oder der "Korruption des politischen Lebens" verurteilt wurden. Auch Personen, die aus moralischen Gründen oder wegen eines Vertrauensbruchs aus der Regierung oder dem Öffentlichen Sektor entlassen wurden, dürfen nicht wählen. Der Ausschluss von der Wahl gilt für fünf Jahre nach der Verurteilung oder Entlassung aus dem Dienst.

Quelle: Externer Link: Decree-Law of the President of the Arab Republic of Egypt, No. 45/2014: Law on the Regulation of the Exercise of Political Rights, Chapter I "The Right to Vote", S. 5f.

Politischer Umbruch

Anfang 2011 hatte die politische Interner Link: Transformation Ägyptens mit den öffentlichen Protesten gegen die autoritäre Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak begonnen. Die ägyptische Zivilbevölkerung begehrte gegen die weitverbreitete Korruption und Vetternwirtschaft sowie gegen die schlechte sozio-ökonomische Lage auf. Mubarak wurde nach landesweiten Protesten gestürzt, an seine Stelle regierte zunächst ein Militärrat.

2012 wurden schließlich freie Wahlen abgehalten. Dabei errangen die islamistischen Muslimbrüder mit ihrer Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" 47 Prozent aller Sitze im Parlament. Gemeinsam mit der salafistischen Al-Nour-Partei vereinten sie fast zwei Drittel aller Stimmen auf sich. Präsident wurde Mohammed Mursi, der eine neue Verfassung ausarbeiten ließ und eine Islamisierungspolitik in Ägypten vorantrieb. Im Juni 2012 wurde das Parlament jedoch vom Obersten Gericht in Kairo mit der Begründung aufgelöst, dass das Wahlgesetz nicht verfassungskonform gewesen sei.

Al-Sisi übernimmt die Macht

Nach erneuten Interner Link: Massenprotesten und einem Militärputsch wurde Mursi im Juli 2013 seines Amtes enthoben. Die unter ihm formulierte Verfassung wurde aufgehoben und eine neue ausgearbeitet. Die Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung waren zuvor von einer Übergangsregierung bestimmt worden, an der die Muslimbrüder nicht beteiligt waren. Auch die Öffentlichkeit war von dem Prozess ausgeschlossen. Im Januar 2014 wurde die neue Verfassung Interner Link: durch eine Volksabstimmung angenommen. Die Wahlbeteiligung war gering: Nur 38,6 Prozent aller Stimmberechtigten nahmen an der Abstimmung teil.

Im Mai 2014 wurde Ex-General Abdel Fattah al-Sisi zum Präsidenten gewählt – mit mehr als 90 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag laut Wahlkommission bei etwa 47 Prozent. Zahlreiche oppositionelle Kandidaten aus dem islamistischen Lager wurden im Vorfeld verhaftet oder von der Wahl ausgeschlossen, andere verzichteten auf eine Kandidatur. Als einziger Kandidat ging schließlich der linksnationalistische Politiker Hamdin Sabahi gegen al-Sisi ins Rennen – und unterlag. Seit den Wahlen regiert al-Sisi per Dekret und ohne Parlament.

Politische Konflikte in Ägypten

Die Regierungszeit von al-Sisi ist von einem autoritären Herrschaftsstil und Repression gegen oppositionelle Kräfte geprägt. Human Rights Watch, Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren massive Interner Link: Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Es komme zu Massenverhaftungen, unfairen Gerichtsverhandlungen, Folter in Gefangenschaft und Todesurteilen, vor allem gegen Anhänger der Muslimbrüder, darunter auch den abgesetzten Präsidenten Mursi.

Auch die Presse wird massiv unter Druck gesetzt. Nach einem Bericht von "Reporter ohne Grenzen" befinden sich in Ägypten derzeit mindestens 21 Journalisten aufgrund ihrer Arbeit in Haft. Nach einem Terroranschlag in der Region Sinai verpflichteten sich mehrere Chefredakteure von Tageszeitungen öffentlich, staatliche Institutionen wie das Militär und die Justiz nicht zu kritisieren. Journalisten, die in ihren Berichten den Angaben des Militärs widersprechen, droht eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro.

Per Präsidialdekret wurden auch die Befugnisse des Militärs ausgeweitet. Seit Oktober 2014 kann die Armee die Polizei beim Einsatz in öffentlichen Einrichtungen unterstützen. Dies betrifft unter anderem auch die Universitäten, die häufig Ausgangspunkt von Protesten waren.

Interner Link: Korruption bleibt in Ägypten ein gravierendes Problem. Im September 2015 vereidigte al-Sisi zahlreiche neue Minister, nachdem ihre Vorgänger wegen Korruptionsfällen in der öffentlichen Kritik standen. Auch der bis dahin amtierende Ministerpräsident Ibrahim Mahlab hatte zuvor seinen Rücktritt eingereicht.

Prognosen

Über die Zusammensetzung des Parlaments werden die Ägypterinnen und Ägypter im In- und Ausland von Mitte Oktober bis Anfang Dezember entscheiden. Es wird erwartet, dass al-Sisis Unterstützer die Wahl für sich gewinnen werden. Bereits im Vorfeld hatte die Regierung offen individuelle Kandidaten unterstützt, die zur Wahl stehen. Mehrere Parteien kündigten einen Wahlboykott gegen das Regime an.

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