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Atomausstieg: Konzerne müssen entschädigt werden | Hintergrund aktuell | bpb.de

Atomausstieg: Konzerne müssen entschädigt werden

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der beschleunigte Atomausstieg ist weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Den Energiekonzernen RWE, Vattenfall und E.ON stehen aber Entschädigungen zu.

AKW Krümmel in Schleswig-Holstein. (© picture-alliance/dpa)

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 hatte der Bundestag eine Beschleunigung des Atomausstiegs beschlossen. Atomkraftwerke müssen laut dem "Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes" (13. AtG-Novelle) bis 2022 vom Netz genommen werden.

RWE, Vattenfall und E.ON reichen Verfassungsbeschwerden ein

Für die vier großen Energiekonzerne Interner Link: RWE, EnBW, E.ON und Vattenfall bedeutete der Beschluss einen Kapitalverlust in Milliardenhöhe. RWE, E.ON und Vattenfall reichten wegen der Schließung der Werke Verfassungsbeschwerden ein. Dabei ging es ihnen nicht darum, den geplanten Ausstieg zu verhindern. Auf Basis erfolgreicher Verfassungsbeschwerden wollten sie in weiteren Verfahren Entschädigung für die vom Netz genommenen Meiler – und zwar in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Das schwedische Unternehmen Vattenfall klagt zusätzlich vor einem US-Schiedsgericht in Washington. EnBW beteiligte sich nicht an den Verfassungsbeschwerden.

Die Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht, RWE, E.ON, Vattenfall und die je zur Hälfte E.ON und Vattenfall gehörende Betreibergesellschaft des Kernkraftwerks Krümmel, beriefen sich in ihren Klagen auf die Eigentumsgarantie des Artikels 14 des Grundgesetzes. Die Schließung der Werke kam ihrer Meinung nach einer Enteignung gleich, für die ihnen eine Entschädigung zustehe. Aber auch die Rechte nach Artikel 3 Absatz 1 (Gleichheitsgrundsatz) und Artikel 12 (Berufsfreiheit) sahen sie verletzt. Mit ihren Verfassungsbeschwerden haben sie nun teilweise Recht bekommen.

Der Atomausstieg ist laut Urteil des Interner Link: Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz im Wesentlichen vereinbar. Die Regelungen der Gesetzesnovelle seien weitgehend zumutbar und wahrten die Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums. Es finden sich jedoch Regelungen, die gegen die im Grundgesetz festgelegte Eigentumsgarantie nach Artikel 14 verstoßen.

Bereits 2002 war mit der Ausstiegsnovelle die grundsätzliche Entscheidung für den Atomausstieg erfolgt. In diesem Zuge waren den Energiekonzernen Kontingente zugewiesen worden, wie viel Strom sie durch Kernkraftwerke noch erzeugen können. Diese werden als "Reststrommengen" bezeichnet. Durch die 13. AtG-Novelle sei nun nicht mehr gesichert, dass die Konzerne bis zu den neuen Abschaltterminen die damals zugesicherten Reststrommengen verbrauchen werden. "Hierdurch werden die durch die Eigentumsgarantie geschützten Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt", urteilt das Bundesverfassungsgericht. Gegen die Eigentumsrecht verstößt die Gesetzesnovelle noch in anderer Hinsicht: Ende 2010 waren den Unternehmen gesetzlich weitere Stromkontingente gewährt worden. Das Gericht kritisiert, dass die 13. AtG-Novelle keine Regelungen zum Ausgleich von Investitionen enthält, die aufgrund der zusätzlich gewährten Kontingente getätigt worden sind.

Das Urteil spricht den Klägern noch kein Geld zu. Es schafft lediglich die Grundlage, um die Forderungen nach Schadenersatz außergerichtlich geltend zu machen oder in weiteren Gerichtsprozessen einzuklagen. Dem Gesetzgeber bleibt laut Urteil bis Juni 2018 Zeit, eine gesetzliche Regelung zu schaffen.

Rückblick: Fukushima beschleunigt den Atomausstieg

Spätestens mit der Nuklearkatastrophe 1986 im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl wurde in Deutschland die Debatte um die Gefahren der Kernenergie intensiv geführt. Etwa anderthalb Jahrzehnte später schloss die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder mit den deutschen Kernkraftwerksbetreibern eine Vereinbarung, den sogenannten Atomkonsens. Dieser sicherte den einzelnen Kraftwerken eine weitere Laufzeit auf Basis einer festgelegten Strommenge zu. Die letzten Kraftwerke wären demnach um 2020 abgeschaltet worden. Die Regelungen dieser Vereinbarung wurden im Jahr 2010 jedoch von der Regierung aus CDU/CSU und FDP zugunsten längerer Laufzeiten verändert, der Atomausstieg somit auf die Zeit nach 2030 hinausgeschoben.

Am 11. März 2011 kam es nach einem Erdbeben vor der japanischen Küste und dem anschließenden Tsunami zu mehreren Kernschmelzen im Interner Link: Atomkraftwerk Fukushima, was die Diskussion um die friedliche Nutzung der Atomkraft auch in Deutschland neu entfachte. Infolge der Reaktorkatastrophe verhängte das Kabinett der Großen Koalition unter Angela Merkel am 14. März 2011 ein Atom-Moratorium: Um die Gefahr zukünftiger Unfälle einzudämmen, sollten die 17 deutschen Atomkraftwerke durch eine unabhängige Expertenkommission auf ihre Sicherheit überprüft werden. Die sieben ältesten Kraftwerke sowie das AKW Krümmel wurden zunächst für drei Monate vom Netz genommen.

Die Expertenkommission und die Ethikkommission zur sicheren Energieversorgung kamen zu dem Schluss, dass die Risiken der Kernkraft durch die Ereignisse in Fukushima nicht gestiegen seien, sehr wohl aber die öffentliche Wahrnehmung dieser Risiken. Auf Basis der Empfehlungen beider Kommissionen beschloss der Bundestag am 30. Juni 2011 mit breiter Mehrheit das "Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes" (13. AtG-Novelle). Bis 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz genommen werden. Im Gegensatz zum Atomkonsens aus dem Jahr 2000 ist in der 13. AtG-Novelle der Austrittszeitpunkt gesetzlich verankert. Außerdem wurden die acht vorläufig geschlossenen Kraftwerke stillgelegt.

Urteil wegen Kernbrennstoffsteuer steht noch aus

Eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes steht aus, bei der es um hohe Summen für die Energieunternehmen geht. In einem Normenkontrollverfahren muss das Gericht entscheiden, ob der Bund 2011 die Kompetenz zur Einführung der Kernbrennstoffsteuer hatte. Insgesamt etwa 2,3 Milliarden Euro Abgaben jährlich zahlen die Konzerne seit 2011 auf Kernbrennstoffe. Sie hoffen eine Rückzahlung dieses Geldes durchzusetzen.

Vor dem Interner Link: Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) waren die Energiekonzerne mit einer Klage gegen die Steuer bereits gescheitert. Im Sommer 2015 entschied der EuGH, dass die Abgabe nicht gegen EU-Recht verstoße. Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Aufgabe, die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem deutschen Grundgesetz zu überprüfen.

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