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Rede beim Festival für kreatives Computerspielen play13 in Hamburg | Presse | bpb.de

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Rede beim Festival für kreatives Computerspielen play13 in Hamburg

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin kürzlich mit meinen Söhnen über die gamescom gegangen und habe mich mit ihnen durch die Massen an Spielern gewühlt. Mir war zunächst ein bisschen mulmig zumute, da ich annahm, meine Jungs würden sich vor allem für riesige Kampfroboter und die Kriegsspiele interessieren, für die dort geworben wird. Das wahre Highlight für sie waren jedoch nicht die Messestände der großen Publisher zu den kommenden Millionenproduktionen, sondern die Let's Play-Bühne in der Halle, eher ein Kellergeschoß, in der die medienpädagogischen Initiativen und Bildungsinstitutionen – unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb – das Gespräch mit den Gamern suchte.

Let's Player wie Gronkh und Sarazar füllen nicht nur große Bühnen, sondern erreichen mit ihren selbstproduzierten Videos auf YouTube ein Milllionenpublikum. Sie und andere inspirieren tausende Gamer, ebenfalls selbstkommentierte Spielszenen online zu stellen und mit anderen zu teilen. So beweisen sie nicht nur eine ausgeprägte Kommunikationsbereitschaft, sondern entwickeln ganz nebenbei auch handfeste Skills im Präsentieren der Spielszenen und in der Produktion und der Vermarktung von Videoclips! Sie verringern die hohe Distanz zwischen Produzenten und Konsumenten, die bei anderen Medien wie dem Fernsehen, dem Radio oder dem Buch sehr bestimmend ist. Offenbar gelingt es games auf besondere Weise, die Grenze zwischen reinem Konsum und Entfaltung der eigenen Kreativität immer weiter verschwimmen zu lassen.

Aber nicht allein Let's Plays erlauben den Sprung auf die kreative Seite der Computerspielkultur. In Machinimas erzählen junge Spielerinnen und Spieler kurze Videogeschichten in mitgeschnittener Ingame-Grafik und üben sich so in der Kunst des Drehbuchs, der Dramaturgie und der Filmregie. Das Engagement begeisterter Spieler geht so weit, dass sie sogar eigene Modifikationen zu kommerziellen Kassenschlagern entwickeln oder gleich originäre Spielideen auf Basis professioneller Spiele-Engines verwirklichen. Das bereichert nicht nur die Spielewelt mit einer unglaublichen Vielfalt, sondern vermittelt an die entwickelnden Spieler ein Ausmaß an Lerninhalten, wie es nur schwer in Lehrpläne zu pressen gewesen wäre. Es fällt viel leichter, diese mit einer starken intrinsischen Motivation, wie sie Computerspiele wecken können, aufzunehmen.

All das werden Sie hier drei Tage lang auf ganz außerordentliche Weise auf dem Festival play13 erleben können. Und es freut mich außerordentlich, dass es der Initiative Creative Gaming gelungen ist, dieses Feuerwerk an Kreativität rund um Computerspiele hier in Hamburg zu versammeln! Nicht nur weil die Bundeszentrale zu der Entwicklung der hier präsentierten Ansätze in den vergangenen Jahren beigetragen hat, sondern weil es vor allem etwas Wesentliches verdeutlicht: Unsere Sicht auf Computerspiele sollte weniger davon bestimmt sein, was Spiele sind, sondern was sich mit ihnen machen lässt. "Jugendliche verwenden Medien, um sich gesellschaftliche Handlungsspielräume zu erschließen" – so lautet eine alte Weisheit der Medienpädagogik. In der kreativen Auseinandersetzung mit Computerspielen erleben wir genau das: junge Gamer, die sich nicht einfach zufrieden geben wollen, mit dem, was ihnen vorgesetzt wird und ihre eigenen Spielwelten entwerfen und gestalten!

Welche kreativen Potentiale so geweckt werden können, verdeutlicht die florierende Indie-Szene. Vorzeigetitel wie Minecraft, das mittlerweile über 20 Millionen Mal für PC und Konsole verkauft wurde, haben nicht nur ihre Schöpfer zu Millionären gemacht und kleine, unabhängige Entwickler wie Pilze aus dem Boden schießen lassen. Sondern sie begeistern auch eine ganze Generation an jungen Gamern, die den immergleichen Neuauflagen der Tripple-A-Großproduktionen den Rücken gekehrt haben und lieber neue Spielideen ausprobieren und auch bereit sind dafür zu bezahlen.

Indem die Spieler vom vorgebahnten Weg abweichen, entsteht Spannung und gesellschaftlicher Input: Wie sähe die Spielelandschaft aus, wenn Markus Persson damals nicht den Mut gehabt hätte seinen Job zu kündigen, um an Minecraft zu arbeiten? Terraria, Ace of Spades, Don't Starve – um nur einige zu nennen – hätte es wohl so nicht gegeben. Neue Ideen befruchten so die Spielewelt und werden Teil der Spielekultur.

All diese Spiele geben nicht vor, wie man sie zu spielen hat – ganz im Gegenteil: Sie laden den Spieler dazu ein, sich selbst seine Spielwelt zu gestalten und seine eigene Geschichte zu erzählen. So gleichen Minecraft & Co eher Spielplätzen als vorprogrammierten Spielen und bieten so Raum zur Kreativität. Diese kreativen Möglichkeiten auszuloten und auszuschöpfen, auch das hat sich play13 auf die Fahnen geschrieben. Auch dort, wo sie eigentlich nicht vorgesehen sind: Indem Spieler beginnen, in Counter-Strike Ballett zu tanzen oder mit Games Telenovelas zu drehen, entwickeln sie humorvoll eine neue Sicht auf ihre Games. Sie drehen den Spieß um, indem sie sich nicht den Regeln der Spiele beugen, sondern sie übertreten und neu definieren. Auf geradezu subversive Weise manipulieren sie so alte Spielmuster und lassen neue entstehen. Und das kreative Gaming kann sich hier durchaus in einer Traditionslinie sehen: Die Kunstgeschichte und auch die Mediengeschichte lehren uns ja, dass immer gerade dann Spannung und gesellschaftlicher Input entstand, wenn vom vorgebahnten Weg abgewichen wurde: Die Avantgarden von Dada über Fluxus bis zum Adbusting haben immer die vorgefundenen Mittel demontiert und neu zusammengesetzt und dabei neue und überraschende Einsichten eröffnet.

"Ballern ist nicht alles" titelte DIE ZEIT unlängst: Computerspiele können Kreativität entfachen und sie können auf spannende und herausfordernde Weise Lerninhalte vermitteln. Mit Computerspielen kann lernen leichter fallen, weil sie eine hohe intrinsische Motivation erzeugen, die dazu führt, immer wieder zu spielen. Die Spielenden finden sich meistens in einer Lernumgebung wieder, die sie als authentisch und herausfordernd, als relevant für sich selbst ansehen und die in ihrer Interaktivität ständig neue Herausforderungen bietet. Gerade für Jugendliche, die in der Gutenberg-Galaxie des gedruckten Wortes nie heimisch geworden sind, können Computerspiel basierte Lernangebote Bildungszugänge eröffnen.

Sind Computerspiele also in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie es schon 2007 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hieß? Sind sie gesellschaftlich anerkannt, gar ein neues kulturelles Leitmedium? Über 26 Millionen Menschen spielen in Deutschland regelmäßig, geschlechterübergreifend, quer durch alle Altersschichten und durch alle Genres.

Ganz eingerichtet hat sich unsere Gesellschaft wohl noch nicht in der Computerspielwelt. Das haben wir im letzten Jahr bei der Verleihung des vom Bundestag initiierten Deutschen Computerspielpreises beobachten können: So war die Auszeichnung des technisch berauschenden und international gefeierten „Crysis 2“ Gegenstand eines veritablen Streites. Darf ein gewalthaltiges Spiel (immerhin USK 18!) ausgezeichnet und damit auch noch gefördert werden?

Im kulturpolitischen Sinne, natürlich! Bundestagsabgeordnete und Jugendschützer aber intervenierten. Das wirft ein Licht auf die noch unausgereifte Debatte über das Kulturgut Computerspiel. Denn Thriller und gewalthaltige Filme räumen regelmäßig auch Preise auf Filmfestivals ab. Man erinnere sich an den großartigen Film von Michael Haneke „Funny games“ oder aktueller an „Inglourious Basterds“, die trotz teils drastischer Gewaltdarstellungen für zahlreiche Filmpreise nominiert bzw. ausgezeichnet und für ihren künstlerischen Wert gefeiert wurden, ohne dass gleich der Untergang des kulturellen Abendlandes heraufbeschworen oder eine Neubesetzung der jeweiligen Jury gefordert worden wäre.

In der Debatte wurde nicht nur eine Überforderung des Preises sichtbar, der ästhetischen Kriterien ebenso wie pädagogischen, aber auch dem Jugendschutz und wertebezogenen Fragestellungen entsprechen soll. Die Diskussion war auch Ausdruck eines kulturellen Generationenkonfliktes: Wir erleben eine jüngere Generation, die sehr selbstbewusst ihre kulturellen Ausdrucksformen auf einer Ebene mit den klassischen Kulturgütern Theater, Literatur und bildende Kunst sieht, und auf der anderen Seite eine Generation, die sich als Bewahrer des "Wahren, Guten und Schönen" versteht und Computerspiele als die den Tempel verwüstende "Un-Kultur".

Mit Blick auf unsere alternde Gesellschaft ist zumindest die Frage aufzuwerfen, ob wir es nicht mit einer Disparität der Kulturförderung zu tun bekommen könnten. Wir Älteren an den Steuerhebeln der Politik und den Töpfen der Kulturförderung sollten jedenfalls aufmerksam und unvoreingenommen mit dem deutlich artikulierten Anspruch einer jüngeren Mediengeneration auf den eigenen kulturellen Diskurs umgehen. Hier ist ein wenig mehr generationsübergreifende Akzeptanz angezeigt. Wir brauchen keine Skandaldiskussionen, weil die Gamer-Szene längst differenziert und selbstbewusst mit ihrem Medium umgeht. Es ist Zeit für eine Reduktion rhetorisch aufgeblasener Horrorszenarien, die zu den Ritualen einer langen Mediengeschichte gehört.

Zu den gesellschaftlichen Herausforderungen, die die neue Medienzeit mit sich bringt, gehört auch die Auseinandersetzung mit der drängenden Frage, wie wir unser Jugendschutzsystem den neuen Entwicklungen anpassen. Wie schaffen wir einen zeitgemäßen und angstfreien Jugendmedienschutz, der sich auf die neuen Entwicklungen im Onlinebereich konzentriert und nicht in reiner Symbolpolitik im Offlinebereich erschöpft? Ein Jugendmedienschutz der „regulierten Selbstregulierung“, der mediale Entwicklungen nachvollzieht (und nicht zu verhindern sucht), aber auch nicht vor den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen und Standortpolitikern einknickt.

Jugendmedienschutz regelt aus gutem Grund den Zugang zu Medienangeboten von Minderjährigen und beeinträchtigt volljährige Personen in keiner Weise. Er steht deshalb einer sachgerechten Wirtschafts- und Kulturpolitik, die den Games-Bereich aus unterschiedlichen Gründen unterstützen kann, auch gar nicht im Wege. Aber er kümmert sich mit seinen Instrumenten um die grundgesetzlich und auch im internationalen Recht (wie der UN-Kinderrechtskonvention) verankerten Schutzrechte von Kindern und Jugendlichen.

Für mich gehört es zur Glaubwürdigkeit einer Branche, die Wirtschafts- und Kulturförderung völlig zurecht einfordert, aber auch zur Integrität der Gamer selbst, dem Jugendmedienschutz ein hohes gesellschaftliches Augenmerk und auch ein kostenintensives Engagement beizumessen. Wir werden nicht umhin können, in Fragen des Jugendmedienschutzes immer wieder den Diskurs aller Beteiligten und Betroffenen zu eröffnen, um uns immer wieder neu über Grenzen und Möglichkeiten in einer sich beständig und rasant wandelnden Medienwelt zu verständigen.

Das mag uns bisweilen die Mühen der Ebene abverlangen. Umso wichtiger ist es, ab und zu die Gipfel faszinierender Unterhaltungswelten und -kulturen zu erklimmen! Es freut mich, dass wir mit der play13 ein einzigartiges Festival haben, welches all dieses möglich macht. Ob in Kurzinputs namhafter Entwickler, Wissenschaftler und Künstler, die ihr Know-How an andere weitergeben möchten. In Talks, in denen wir die öffentliche Diskussion über Games und Gameskultur vorantreiben. Oder in zahlreichen Workshops, in denen Gamer mit Gamern ganz praktisch das enorme Interesse an Computerspielen aufgreifen und spannende Projekte anstoßen.

Diese Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Bildung ist einzigartig und verdient daher besondere Unterstützung. Ohne die Hilfe eines ganzen Netzwerks an Förderern, Partnern, Unterstützern, die hier auf beeindruckende Weise versammelt sind, wäre all dies nicht möglich. Hamburg kann sich glücklich schätzen, die play13 erfolgreich angelockt zu haben. Es wäre wünschenswert, wenn dieses einzigartige Festival zu einer festen Adresse in Hamburgs Kultur- und Medienkalender würde. Mit play13 ist viel erreicht worden. Jedoch glaube ich, dass wir alle noch mehr tun können, um das Thema weiter zu verfolgen, den Diskurs rund um games zu entwickeln und natürlich auch Hamburg zu profilieren als Innovationsstandort der Medienbildung, der Gameskultur und der Spieleindustrie.

Von meiner Seite darf ich Ihnen versprechen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung gewillt ist, ihren Beitrag dazu zu leisten. Jetzt aber wollen wir die Früchte unserer diesjährigen Arbeit und des play13-Festivals genießen!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten