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"Nach der Flucht – Wie wir leben wollen" (Berlin, 13.Juni 2017) | Presse | bpb.de

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"Nach der Flucht – Wie wir leben wollen" (Berlin, 13.Juni 2017) Grußwort zur Ausstellungseröffnung in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde – Stiftung Berliner Mauer

/ 3 Minuten zu lesen

Liebe Frau Dr. Nooke,
lieber Herr Prof. Klausmeier,
sehr geehrte Frau Christ,
liebe Familie Gedaev, liebe Familie Tello, liebe Familie Ghoudoussi, lieber Herr Barakizadeh,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

"Nach der Flucht – Wie wir leben wollen" – schon der Titel des Projektes und auch der Ausstellung, die wir heute hier eröffnen, hat mich direkt angesprochen! In den oft hitzig geführten Debatten über internationale Fluchtbewegungen oder auch in unseren nationalen Diskursen über Integration, wird mir diese Frage – wie wollen wir leben? – zu selten gestellt. Oder sie hat eine "Schlagseite", fragt zu häufig nur in eine Richtung. Trennt in "wir" und "die".

Das "Wir" in der titelgebenden Frage verstehe ich als inklusives "Wir" – hier ist nicht nur die deutsche oder schon länger in Deutschland ansässige Bevölkerung gemeint. Es sind aber auch nicht nur die "Newcomer", die neu Angekommenen angesprochen. Hier geht es um uns alle.

Und das bewegt mich besonders hier in Marienfelde, einer deutschen Erinnerungsstätte. Marienfelde ist ein Ort der Migration. Die Notaufnahme war für viele DDR-Flüchtlinge und Übersiedler die erste Anlaufstelle in der Bundesrepublik. Seit den 1960er Jahren kamen auch Aussiedler und Spätaussiedler, Deutschstämmige aus Mittel- und Osteuropa oder den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Auch heute leben – wie Sie alle wissen – wieder geflüchtete Menschen in Marienfelde.

Ich kann mir also kaum einen besseren Ort für die Ausstellung vorstellen, deren Ansatz uns schon beim Lesen des Projektantrags überzeugt hat. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich hier etwas aushole: Anfang 2016 schrieben wir, also die Bundeszentrale für politische Bildung, Fördergelder im Bereich "Flucht und Asyl" aus. Innerhalb kürzester Zeit erreichten uns 656 Anträge. 44 Projekte setzten sich durch. Eines davon war "Nach der Flucht". Hier sprach uns nicht nur der Projektansatz direkt an, sondern auch die Verankerung im hiesigen Erinnerungsort, durch den einmal mehr deutlich wird: Migration gab es schon immer, sie gehört seit jeher zur Normalität und zum Alltag unserer Gesellschaft.

Im Zentrum der Ausstellungen, die wir heute eröffnen, stehen verschiedene Menschen mit Fluchterfahrungen. In kurzen Filmen berichten sie über ihre Flucht - aber vor allem auch über ihr Ankommen in Deutschland, über ihre Träume und Wünsche. Über diese Filme kann für die Zuschauer, für die Ausstellungsbesucher ein wichtiger Perspektivwechsel erreicht werden. Es fällt leichter, die Erfahrungen eines Geflüchteten, der oder die sich in seinem/ihrem neuen Leben in Deutschland einrichtet über eine persönliche Ansprache nachzuvollziehen.

Es wäre jedoch kein gelungenes Projekt der politischen Bildung, wenn wir uns hier aufs Filme schauen beschränken würden. Nein, die Filme werden ergänzt durch Planspiele, die die Besucher und Besucherinnen in eine aktive Rolle locken und den Perspektivwechsel eine Stufe weiter führen – Teilnehmende werden hier mit Herausforderungen rund um die Stellung eines Asylantrags in dem fiktiven Land Alikuby konfrontiert. Abgerundet wird das Projekt über Zukunftswerkstätten, die mich wieder zur Ausgangsfrage zurückführen. Wie wollen wir – wir alle – leben?

Ich hatte die Gelegenheit, mir einige der Filmportraits anzusehen – und sie haben mich tief beeindruckt. Sie sind vielschichtig, an manchen Stellen traurig, aber immer wieder auch von Hoffnung und Zuversicht geprägt. Es lässt mich nicht kalt, wenn Leen Tello sagt: "Ich habe immer Heimweh." Und es macht mir Mut, wenn ihr Bruder Jihad berichtet, dass ihn auch die Erfahrungen in einem repressiven Staat wie Syrien dazu motiviert haben, Politik zu studieren. Er möchte sich einbringen, unsere Gesellschaft prägen und sie mitgestalten. Solche Beispiele und Sichtweisen sind wichtig für uns alle!

Gerade in Zeiten, in denen immer wieder einfache Lösungen proklamiert werden. In denen die Angst vor Vielfalt häufig instrumentalisiert wird. Projekte wie dieses, in denen Diversität gelebt und gelernt wird, sind für die politische Bildungslandschaft in Deutschland eine unverzichtbare Bereicherung. Ich bin froh, heute Abend hier sein zu können und freue mich besonders darauf, die Beteiligten der gezeigten Filme etwas besser kennen zu lernen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten