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Öffentlichkeit und Vertrauen – wieviel Zweifel an unseren Medien brauchen wir? Eingangsstatement von Thomas Krüger zur Eröffnungsveranstaltung der Diskussionsreihe "Streitraum"

/ 5 Minuten zu lesen

Eine Gesellschaft im Wandel braucht vielfältige öffentliche Diskurse und Medien, die sowohl der Fragmentierung gerecht werden, als auch der Meinungsbildung für das Gemeinwesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor zwei Wochen hat Deutschland gewählt. In unserer politischen Öffentlichkeit geht es seither um die Bildung einer neuen Regierung, diverse Partei-Krisen, Personaldebatten und – nicht zu vergessen – auch um einen Negativrekord. Trotz aller "Geht-Wählen-Kampagnen" in Zeitungen und Fernsehkanälen: So niedrig wie 2009 war die Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl nie zuvor.

Für diese Tendenz hat sich die Vokabel "Politikverdrossenheit" etabliert. Das Wort kommt daher, als sei klar, dass die Bürger keine Lust mehr auf Politik, Politiker oder Parteien hätten. Doch der Begriff "Politikverdrossenheit" ist vor allem eine mediale Chiffre, um einen gesellschaftlichen Prozess so einzuordnen, dass Zuschauer und Leser das Gefühl gewinnen, das Problem sei klar definiert und adressiert.

Beschäftigen wir uns ein wenig mit der medialen Chiffre "Politikverdrossenheit". Es fällt auf, dass dieser Begriff mit einem Prozess tiefgreifenden Wandels der Öffentlichkeit einhergeht. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend individualisiert, verdrängen partikulare Interessen immer mehr kollektive Narrative. Aber die normativen Ansprüche an Massenmedien steigen zugleich. Es gibt gute Gründe dafür, dass Fernsehnachrichten und Tageszeitungen über die Entwicklung der Wahlbeteiligung schreiben. Wir sollten uns durchaus fragen, ob aus der sinkenden Partizipation des Souveräns Gefahren für unser Gemeinwesen erwachsen. Weigern sich immer mehr Menschen, ihr Wahlrecht wahrzunehmen, so mag das ein Signal politischen Selbstbewusstseins sein, aber es markiert auch einen klaren Trend: Die Legitimation unserer Repräsentaten sinkt.

Das muss aber noch kein Grund sein, die Fassung zu verlieren und reflexhaft den Untergang der Demokratie zu prophezeien. Wenn wir auf die Wissenschaft schauen, dann gibt es eine lebhafte Diskussion über Ursachen und Auswirkungen sinkender Wahlbeteiligung. Vielleicht ist der "Wählerschwund" ja ganz normal und lässt auf eine gesetzte, unaufgeregte politische Kultur schließen. Wolfgang Merkel ist einer der Politologen, die sagen: ein allgemein niedrigeres Niveau der Wahlbeteiligung mindert nicht die Qualität der Demokratie, insbesondere solange es keine gravierenden Unterschiede der Partizipation gesellschaftlicher Schichten gibt. In tradierten Demokratien wie Großbritannien, den USA oder der Schweiz liegt die Beteiligung schließlich noch weit unter der deutschen.

Wenn wir die mediale Chiffre der "Politikverdrossenheit" einfach so hinnehmen, verstellen wir uns vielleicht einen genaueren Blick: Die Menschen, die üblicherweise als politikfern oder verdrossen tituliert werden, haben nämlich sehr wohl ein lebhaftes Interesse an Politik. Hinter der beschriebenen Entwicklung steckt indes eine Differenzierung der Gesellschaft, eine Auflösung klassischer Milieus. Immer mehr, gerade auch junge Menschen, zweifeln die politischen Repräsentationsstrukturen an. Ja, es gibt sie, jene Menschen, die verdrossen sind davon, wie sie Politik wahrnehmen. Sie misstrauen jener Art, wie sie Politik medial erleben. Eine gewagte These: Vielleicht sind viele Menschen gerade deshalb desillusioniert, weil die Vermittlung von Politik immer mehr den Gesetzmäßigkeiten der Massenmedien gehorcht, die selbst um ihre eigene Rolle ringen.

Blicken wir auf den jüngsten Bundestagswahlkampf zurück, dann fällt auf: In einschlägigen Print-, TV- und Online-Medien wurde durchgängig über die inhaltliche Leere der wahlkämpfenden Kandidaten geklagt. In der Öffentlichkeit bildete sich dafür das knackige Label "blutleer". Den Schwarzen Peter bekam natürlich die Politik zugeschoben. Wäre es aber nicht Aufgabe von Moderatoren, Interviewern, Reportern gewesen, den inhaltlichen Unterschieden auf den Grund zu gehen? Wirken unsere prominentesten Medien womöglich selbst mit an der Entleerung öffentlicher Diskussionen?

Schauen wir auf die Mechanismen, mit denen Politik am ehesten medial kanalisiert wird. Das Repertoire lautet: Personalisierung, Voyeurismus, Skandalisierung und Exklusivität. Wenn politische Koalitionen als Tigerenten- oder Biene-Maja-Koalitionen beschrieben werden, sind das infantile Einordnungen abseits jeglicher inhaltlicher Determinationen. Politik wird den Regeln des Entertainments unterworfen, wird zum banalisiert konsumierbaren Politainment.

Befindet sich unsere Öffentlichkeit in der Krise?

Es stellt sich zunächst die Frage, was wir unter Öffentlichkeit verstehen. Der Begriff selbst ist mehrdeutig – und die Möglichkeit, ihn klar zu definieren, sinkt mit der voranschreitenden Fragmentierung unserer Gesellschaft. Öffentlichkeit verstehe ich als Kommunikationsbereich von Politik und Gesellschaft und darin konkret als Prozess des Informations- und Meinungsaustauschs sowie der Meinungsbildung. Eine herausragende Rolle kommt hierbei zweifelsohne den Massenmedien zu. Jürgen Habermas hat diesen Begriff der Öffentlichkeit geprägt und die Medien-Öffentlichkeit mit all ihren Defiziten beschrieben. Diese über Massenmedien hergestellte Öffentlichkeit hat eine hohe Bedeutung für die Legitimation von Politik – und sie hat, so Habermas, das strukturelle Defizit, dass sie eher der Verkündung von oben nach unten dient. Die Massenmedien stellen eine Öffentlichkeit aus dem Blickwinkel des politischen Systems her.

Also präziser gefragt: Befindet sich diese Medien-Öffentlichkeit in der Krise?

Vordergründig scheint das Vertrauen in die Massenmedien gegeben. Eine Mehrheit der Menschen stützt sich auf Informationen aus Rundfunk, Internet und Tageszeitungen. Für die öffentliche Debatte über die Wirtschaftskrise, das Gesundheitswesen und die soziale Gerechtigkeit scheinen diese Medien gut genug zu sein. Doch wer sich ein wenig umhört in der Welt der Medien, weiß von einer Krise zu berichten, die derzeit alles erschüttert – und die viel mit verlorenem Vertrauen der Konsumenten zu tun hat. Das liegt nicht alleine daran, dass Papier unzeitgemäß wäre oder die User sich lieber ihr ganz individuelles Programm im Netz zusammenklicken. Vielmehr bieten neue Kommunikationsformen jetzt neue Wege, die von Habermas diagnostizierten Strukturdefizite der Öffentlichkeit aufzulösen. Das heißt: Partizipation und Interaktivität kommen zu ihrem Recht, Themen werden nicht mehr länger top down vorgegeben, die Teilnehmer dagegen nehmen bottom up Einfluss, den sie als Leserbriefschreiber nie gehabt hätten. Zugleich befinden sich die großen Medien in einer Krise mit wirtschaftlicher und inhaltlicher Dimension. Verlage und Sender entlassen massenhaft Journalisten, kürzen Budgets, setzen ihre Redaktionen unter ökonomischen Hochdruck auf Kosten der Qualität. Das ist auch die Folge einer Entwicklung, in der Medienmacher die Zeitung und das Magazin als Handelsware ansehen – und intern gerne satte, zweistellige Renditen als Ziel vorgeben.

Bemerkenswert scheint mir, dass trotz ihrer eigenen System-Krise die Bereitschaft zur Selbstkritik in den Medien eher schwach ausgeprägt ist. Leider führt eine allzu selbstverteidigende Haltung auch dazu, dass sich Medienvertreter zum "Ersatzvolk" aufspielen, wie es Susanne Gaschke in der ZEIT schrieb. Es gäbe indes genug Gründe für Selbstkritik. Zum Beispiel die vor der Wahl 2005 inflationär eingesetzten Mittel der Demoskopie, die eine öffentliche Meinung suggerierten, die sich am Wahlabend völlig anders darstellte. Oder schauen wir auf das letzte Kanzler-Duell, das gleich von vier Moderatoren geleitet wurde – was die Möglichkeit eher einschränkte, Unterschiede und Details zwischen den Spitzenkandidaten herauszuarbeiten.

Wir erleben darüber hinaus einen stetig schärferen Wettlauf, eine Beschleunigung in den Medien. Es steigt der Druck, Live-Informationen und "Quick-and-Dirty"-Stories zu liefern. Es geht um schnelle Exklusiv-Informationen – auch wenn dem Adverb "exklusiv" immer weniger qualitative Bedeutung zukommt. Die Informanten aus der politischen Elite erarbeiten sich ergebnisorientiert eine wachsende Rolle. Die Immunabwehr der medialen Öffentlichkeit gegen derartige Instrumentalisierungen sinkt drastisch. Die so genannten Spin-Doctors wissen genau, wie sie den Zugang in die Debatte finden – weil sie Journalisten finden, die dringend eine Story brauchen. Vermutlich führt die Beschleunigung automatisch auch zu einem Verlust an Distanz, die eigentlich für die Deliberation politischer Ideen geboten wäre. Die ZEIT beschreibt die Einstellung vieler Journalisten gegenüber den Politikern wie folgt: "Na, mal sehen, was >>den Politikern<
Sie sehen: Beim Thema Selbstkritik müssen wir uns – natürlich – auch den politischen Akteuren zuwenden. Die Art und Weise, wie sich Politiker zum Aufbau eigener Marken den Gesetzmäßigkeiten der klassischen elektronischen Medien und Produktwerbung anpassen, trägt stark zur Krise der öffentlichen Vermittlung von Politik bei. Mechanistisch, ja gnadenlos, bedienen sich Politiker der PR-Mittel, bevor sie sich an die Öffentlichkeit wagen. Ihre Auftritte sind glatt, weil sie wissen, dass Ecken und Kanten nach den bekannten Regeln des TV-Geschäfts nicht goutiert werden. Die Grammatik der Massenmedien erlaubt weder das "Äh" noch ein Zögern, weder differenzierte Gedanken noch einen Hauch von Schwäche. Im Fernsehen wird nach einem Kanzler-Duell über Oberfläche und Oberweite diskutiert, es werden präzise Analysen zur Körpersprache hergestellt. Garantiert ziehen die Politiker daraus den Schluss, beim nächsten Mal medienwirksamer zu erscheinen. Aber was passiert mit den politischen Gedanken, den Inhalten?

Wir sprechen über Vertrauen in der Öffentlichkeit. Vertrauen ist für Politiker ein lebenswichtiges Gut, quasi ein Vorschuss, ein Kredit, um im und für das Gemeinwesen aktiv zu sein. Doch es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Vertrauen und Öffentlichkeit, so wie wir sie erleben. Insbesondere, wenn die Medien-Öffentlichkeit in der ökonomischen und auch strukturellen Krise steckt – Politik sich aber weiter ungeniert der Grammatik der Massenmedien bedienen kann.

Mit Niklas Luhmann möchte ich Vertrauen als einen Mechanismus beschreiben, mit dem Komplexität reduziert wird. Vertrauen zu sichern ist wichtig, wenn Politiker quasi als Treuhänder von Wählern agieren. Politisches Vertrauen muss deshalb über Öffentlichkeit entstehen. Politiker werben um Vertrauen, indem sie in Massenmedien die Komplexität politischer Sachverhalte bis zur Unkenntlichkeit reduzieren. Die politischen Akteure müssen dabei insbesondere darauf achten, wie sie wirken – nämlich glaubwürdig. Doch es gibt eine Dichotomie, die ich hier betonen möchte: Glaubwürdigkeit und auf der anderen Seite Ehrlichkeit sind zwei Begriffe, zwei Unterkategorien zur Herstellung von Vertrauen. Ehrlich ist ein Mensch, wenn er tut, was er ankündigt, oder die Gründe erläutert, warum er es nicht geschafft hat. Wer ehrlich ist, kann sich aber – in der massenmedialen Grammatik – schnell den eigenen Weg verbauen. Deshalb spielt die Glaubwürdigkeit eine umso stärkere Rolle. Glaubwürdigkeit ist eine Frage des Wirkens, der Erscheinung, des Äußeren – es ist auch ein Begriff der PR.

Ich betone: Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit sind in der öffentlichen Vermittlung von Politik zunehmend gegensätzliche Begriffe: Sie verhalten sich zueinander wie Schein und Sein. In der medialen Diskussion spielt Glaubwürdigkeit heute eine weitaus wichtigere Rolle als Ehrlichkeit, wenn Akteure versuchen, Vertrauen einzuwerben. Aber diese Betonung von Glaubwürdigkeit zulasten von Ehrlichkeit kriselt in dem Maße, wie Zweifel an der Universalität der bekannten medialen Grammatik aufkommen.

Vertrauen gewinnen politische Akteure nachhaltig nicht über Schein, sondern über Sein – eben über Ehrlichkeit. Und diese Ehrlichkeit wird lebensnotwendig in einer immer weiter fragmentierten Gesellschaft, in der das Bewusstsein für die erforderliche Differenzierung der Probleme immer weiter steigt – ebenso wie die Verlockung, der Apathie nachzugeben. Die Legitimität politischer Repräsentation steht sonst auf dem Spiel.

Blicken wir noch einmal auf den schwierigen Begriff Öffentlichkeit. Wir sehen heute, dass die rasante Entwicklung digitaler Medien uns zu einem Umdenken zwingt. Die möglichst allumfassende Öffentlichkeit, die Öffentlichkeit über Massenmedien, verliert in dem Maße an Bedeutung, wie Menschen sich ihre digitalen Teilöffentlichkeiten organisieren. Das ist kein Rückzug im Protest, sondern eine Möglichkeit gesteigerter individueller Teilhabe. Im Netz sucht man sich die Themen, die interessieren, und man engagiert sich eher in persönlich relevanten Teil- oder Sub-Öffentlichkeiten.

Dies ist im Grunde kein neuer Prozess – schon früher hatten Ärzte oder Handwerker ihre eigenen Versammlungen und Medien. Aber die Herausforderung für die Demokratie wächst, weil ein Auseinanderdriften der Diskussionen in unzählige, nicht verbundene virtuelle Öffentlichkeiten zu einer Lähmung der Kommunikation in der Polis führen kann. Habermas bezeichnete die Moderne als gescheitert, weil sie eben diesen Prozess zugelassen habe. Sie habe, wenn man so will, zugelassen, dass die Totalität des Lebens in voneinander abgetrennte Spezialgebiete zerfiel. Doch gerade Pluralität muss in einer Demokratie funktionieren.

Der französische Philosoph Lyotard postulierte dagegen, eine Pluralität zu denken, die die Einzigartigkeit des Individuellen auszuhalten und auszutragen imstande ist und Alterität als fundamentale Bestimmung menschlichen Daseins begreift. Der pluralistische Liberalismus ist demnach der einzig denkbare theoretische Rahmen einer funktionierenden politischen Kultur. Doch welche Aufgabe haben Massenmedien in einer Öffentlichkeit, in der Neben- und Spezialmedien eine immer größere Rolle spielen? Mir scheint es einleuchtend, dass der normative Anspruch an Massenmedien in dieser Konstellation wächst. Massenmedien haben und behalten eine Leuchtturmfunktion und ihre Aufgabe ist es, in der unübersichtlichen Vielfalt aus differenzierten Kanälen jene Themen oder Meinungen in den politischen Raum zu befördern, die auch für die Polis von Bedeutung sind. Gerade jetzt ist es Zeit für inhaltliche Qualität, für intensive Recherche, für das Aufspüren von Themen, die von Bedeutung sind – und nicht nur dem Quotendruck entspringen.

Die Arbeit dieser Massenmedien – seien es Zeitungen, Zeitschriften, TV-Sender, Radiokanäle, Web-Portale oder was auch immer sich im Internet an öffentlichen Knotenpunkten entwickeln wird – diese Arbeit bedeutet Verantwortung. Gelingt es nicht, Themen zu aggregieren, die die politische Sphäre am Leben erhalten – so werden sich immer mehr Bürger in die Freiheit des Netzes, abseits des Mainstreams, absetzen.

Ihre Rolle als Meinungsmacher, die Politik von oben nach unten diktieren, werden Massenmedien in der neuen Öffentlichkeit nicht mehr spielen können. Sie müssen sich einer gesteigerten Durchlässigkeit von Themen auch in die andere Richtung öffnen. "Mehr Demokratie wagen", mehr Interaktivität und Beteiligungsmöglichkeiten in Medien, wie in Politik schaffen, scheint das Gebot der Stunde. Nur so werden die defizitären Strukturen der Massenmedien und der Parteienpolitik relegitimiert.

Wir müssen umdenken, wenn es um Öffentlichkeit geht, sollten Pluralität als Essenz der Demokratie verstehen – und eben auch auf Pluralität öffentlicher Diskurse setzen. Eine Gesellschaft im Wandel braucht vielfältige öffentliche Diskurse und Medien, die sowohl der Fragmentierung gerecht werden als auch der Meinungsbildung für das Gemeinwesen. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass der Preis dieser Demokratisierung von Medien und Politik mehr Ambiguität bedeutet. Wir wissen bei diesen Prozessen heute noch nicht, wohin sie übermorgen führen. Die Macht, in Medien und Politik alles vorherzubestimmen, ist in Frage zu stellen. Ein Zurück in eine vordemokratische Öffentlichkeit ist aber allemal die größere Katastrophe.

Ich möchte mit drei Thesen für die anschließende Debatte schließen.

Erstens: Dass unsere massenmediale Öffentlichkeit auf relevante politische Diskurse im längst angebrochenen Internet-Zeitalter äußerst zögerlich reagiert, zeigt das Beispiel der Piratenpartei. Es wäre für ihre eigene Zukunft wünschenswert, wenn auch Massenmedien sich bereits vor einer Wahl mit den inhaltlichen Forderungen einer Gruppe auseinandersetzten, die immerhin 845.000 Wähler hinter sich vereint. Doch die etablierten Medien achten noch zu wenig auf die neuen Trends und Themen, die in einer flexibleren Gesellschaft aufkommen. Hier ist Recherche-Kompetenz gefragt.

Zweitens: Medien, die neue, inhaltlich starke Wege der Politikvermittlung für die Netzgesellschaft bieten, fördern den demokratischen Diskurs und sichern damit nicht nur das politische Wissen, sondern auch Beteiligung – und sie können sogar Massen erreichen. Ich hebe hier quasi pro domo den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung als Beispiel hervor. Die überragende Nutzerzahl von mehr als sechseinhalb Millionen zeigt, dass fokussierte Politikvermittlung nicht auf Verdrossenheit, sondern sogar auf reges Interesse gerade auch junger Menschen stößt.

Drittens: Für die politischen Akteure ist es Zeit, dem Wandel der Öffentlichkeit auch andere Kommunikationsformen folgen zu lassen. Dazu gehört mehr als das Einrichten eines Facebook-Accounts, der nur bis zum Wahltag mit spärlichen Infos gefüllt wird. Und es geht auch nicht um kompakte Texte mit 140 oder 160 Zeichen. Soziale Netzwerke und Communities im Netz sind keine Plakatwände, auf die man mal schnell etwas kleistert. Es geht um ernstgemeinte Teilhabe. In dieser Hinsicht hat das Projekt Obama Maßstäbe gesetzt, denn es setzt darauf, die neuen Modi öffentlicher Diskussion ernst zu nehmen, alle Medienformen einzubinden und Dialog zuzulassen. Im Idealfall stiegt dabei nicht nur die punktuelle Mobilisierung zum Wahltermin, sondern vielmehr das Niveau politischer Diskurse, von dem eine plurale Demokratie auch in der Zukunft wird leben müssen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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