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"Die Integration von Migranten ― auch eine Aufgabe der politischen Bildung" | Presse | bpb.de

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"Die Integration von Migranten ― auch eine Aufgabe der politischen Bildung" Eröffnungsvortrag zum Symposium "Politische Bildung für Migranten" im Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin

/ 8 Minuten zu lesen

Politische Bildung für Migranten ist ein wichtiger Baustein für eine gelungene Integration. Auf dem Symposium "Politische Bildung für Migranten" sollen Konzepte und Maßnahmen der politischen Bildung erarbeitet werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich möchte Sie im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung herzlich zu unserem Symposium "Politische Bildung für Migranten" willkommen heißen und wünsche Ihnen angeregte und ergebnisreiche Diskussionen.

Mein Dank geht zunächst an die Autoren der Expertise, Frau Reiter und Herrn Wolf vom Europäischen Forum für Migrationsstudien an der Universität Bamberg, die für uns erstmals eine Vielzahl von politischen Bildungsmaßnahmen für unterschiedliche Migrantengruppen evaluiert haben. Das Europäische Forum für Migrationsstudien an der Universität Bamberg ist seit vielen Jahren erfolgreich auf dem Gebiete der Konzeption und Evaluation von Migranten-bezogenen Maßnahmen wissenschaftlich tätig. Bedanken möchte ich mich auch bei den Referentinnen und Referenten von Fachgespräch und Podiumsdiskussion sowie bei den Moderierenden. Herzlichen Dank an sie als Teilnehmende an diesem Symposium für Ihre Unterstützung bei einem Thema, dessen Relevanz in jüngster Zeit nun tatsächlich in das öffentliche Bewusstsein gedrungen ist.

Vor etwa vier Wochen hat die bpb hier in Berlin den Fachkongress "Zukunft bilden - Politische Bildung für bildungsferne Jugendliche", veranstaltet. Gemeinsam mit einigen Landeszentralen für politische Bildung. Insbesondere die Mitarbeit von Migrantinnen und Migranten in den Workshops dieses Strategiekongresses hat sich dabei als besonders fruchtbar erwiesen, wie Teilnehmende berichteten. Auf dem heutigen Symposium stehen nun ausschließlich die Migrantinnen und Migranten im Fokus der Betrachtung.

Die Expertise des Europäischen Forums für Migrationsstudien zeigt unter anderem, dass die freien wie die öffentlichen Träger der politischen Bildung in den letzten Jahren schon einiges an Anstrengungen unternommen haben, um Migranten und Migrantinnen anzusprechen. Dazu hat auch ein Erlass des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 2001 beigetragen, in dem die in Deutschland lebende Bevölkerung in ihrer Gesamtheit auch offiziell als Zielgruppe der politischer Bildung benannt wird. Erste Erfahrungen für die zukünftige politische Bildungsarbeit mit und für Migranten und Migrantinnen liegen durchaus auch schon vor. Im Jahre 2006 schließlich wurden von der Bundesregierung mit der Initiative zur Schaffung eines nationalen Integrationsprogramms und der Gründung der Deutschen Islamkonferenz sowohl in inhaltlich-praktischer wie auch in symbolischer Hinsicht neue wichtige Impulse gegeben.

Aber machen wir uns nichts vor. Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Bemühungen müssen wir feststellen, dass wir über die in Deutschland lebenden Migrantengruppen immer noch zu wenig wissen. Und unsere Kenntnis darüber, wie und mit welchen Angeboten der politischen Bildung sie erreicht werden können, ist ebenfalls noch außerordentlich unbefriedigend. Wir wollen deshalb mit diesem Symposium eine Diskussion in Gang setzen um herauszufinden, mit welchen Inhalten und Formaten der politischen Bildung Migrantinnen und Migranten erreicht und für ein Engagement in Politik und Gesellschaft motiviert werden können. Wir wollen damit auch den freien Trägern der politischen Bildungsarbeit eine Grundlage anbieten für ihre zukünftige Arbeit in diesem Bereich.

Innerhalb der heterogenen Gruppe der sogenannten politikfernen bzw. bildungsfernen Bürgerinnen und Bürger bilden Menschen mit Migrationshintergrund einen großen Anteil. Doch obwohl Integrationsprobleme von Migrantinnen und Migranten schon seit knapp 100 Jahren in der sozialwissenschaftlichen Literatur traditioneller Einwanderungsländer diskutiert werden, konnten daraus offenbar bislang keine grundlegenden Erkenntnisse gewonnen werden. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob die Länder schon vor oder erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Migrationsfragen konfrontiert wurden.

Dies lässt sich am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland aufzeigen. Als vor über 50 Jahren die ersten Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen, überwiegend aus Italien und Spanien, wurden sie "Gastarbeiter" genannt. Hinter diesem neuen Wort verbarg sich die Gewissheit, dass diese Arbeiter nach Ablauf ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit wieder in die jeweiligen Heimatländer zurückgehen würden . Was, wie wir alle wissen, nicht geschah.

Als in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts dann der Gedanke unabweisbar wurde, dass man sich um die gesellschaftliche Integration dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger bemühen müsse, tat man sich mit der Realisierung sehr schwer. Und auch in keinem anderen Land, weder innerhalb noch außerhalb Europas, hat man bisher einen ausreichenden Weg gefunden, marginalisierte ethnische Gruppen vollständig in die Gesellschaft zu integrieren, geschweige denn eine solche Integration erfolgreich bewerkstelligt.

Wenn Integration mit Migrantinnen und Migranten in Deutschland gelingen soll, so müssen wir das in einem umfassenden Sinne angehen. Sozialpolitische Transferleistungen, Zugänge zu Bildung und beruflicher Absicherung sind wichtig, und hier müssen wir selbstverständlich mehr tun als bisher. Aber auch das wird nicht ausreichen. Wir müssen herausfinden, wie wir Migrantinnen und Migranten und ihren Familien bei Wahrung ihrer Identität und auch bei Wahrung der demokratischen und zivilgesellschaftlichen Verfassung den Weg in die Mitte unserer und auch ihrer Gesellschaft eröffnen können. Weder die Gesellschaft noch das Wirtschaftsleben oder das politische System werden ohne schwerwiegende dysfunktionale Nebenwirkungen funktionieren können, wenn Teilgruppen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Die Auswirkungen wie Wohlfahrtsverlust, soziale Spannungen und höhere Kriminalität treffen letztlich die Gesellschaft als Ganzes, und zwar unabhängig von Bildungsabschluss, Berufsposition und ethnischer Herkunft.

Integration würde allerdings von vorn herein zum Scheitern verurteilt sein, wenn die Verhinderung von sozialen oder politischen Problemen das zentrale Motiv wäre. Migration hat für Gesellschaften, wenn Integration möglich ist und ermöglicht wird, viele Vorteile, ist vielmehr wohlverstandenes Eigeninteresse. Dass die alternden Gesellschaften Westeuropas ihre Überlebensfähigkeit, die Versorgung der Alten und den Erhalt ihrer Sozialsysteme nur durch den Zuzug jüngerer Migranten und Migrantinnen gewährleisten können, ist dabei nur das offensichtlichste und am meisten akzeptierte Beispiel. Darüber hinaus müssen wir uns aber vor Augen halten, dass nur tolerante, nach außen offene und Vielfalt akzeptierende Gesellschaften innovativ und damit auch wettbewerbsfähig sein können.

Mit über 15 Millionen Einwohnern - darunter fast sieben Millionen ausländische Staatsangehörige und fast fünf Millionen Aussiedler - stellen Personen mit Migrationhintergrund in Deutschland eine Größe dar, um die sich die Politische Bildung ebenso wie die öffentlichen Institutionen in ihrer Gesamtheit kümmern müssen. Ihre Bildungs- und Ausbildungssituation muss verbessert werden, die Verbesserung ihrer sozialen und beruflichen Situation muss zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden. Höchst problematisch ist heute noch, dass die deutschen Sprachkenntnisse selbst bei den Jüngeren der zweiten und dritten Generation oft nur unvollständig sind, was die soziale und berufliche Integration weiter erschwert. Auch unter den Kindern und Jugendlichen sind viele noch geprägt durch das Wertesystem ihres Herkunftslandes, so dass sie in Deutschland kulturell "in zwei Welten leben", was auch die einzelnen Ausprägungen sozialer Probleme erklärt.

Angesichts der materiellen und sozialen Probleme und der weiterhin nicht geglückten Integration fehlt bei vielen Migrantinnen und Migranten nicht nur das Gefühl sozialer Zugehörigkeit zu Deutschland, sondern auch das der politischen Zugehörigkeit. Verständnis und Wissen über Politik im nationalen oder internationalen Kontext fehlt meist ganz bzw. ist - sofern vorhanden – häufig von Ressentiments durchsetzt. Soweit politisches Interesse vorhanden ist, orientiert es sich selbst bei Jüngeren häufig an dem, was emotional wie kulturell als eigentliche Heimat empfunden wird: nämlich das Herkunftsland, auch wenn bereits Eltern oder Großeltern nach Deutschland eingewandert sind.

Das politische Interesse von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund liegt deutlich unter dem der deutschstämmigen sozialen Unterschichten, wie Untersuchungen u.a. der Bundesregierung oder auch der bpb belegen. Auf der anderen Seite aber zeigen beispielsweise in Deutschland lebende Türken und Kurden - was sich häufig aus eigenen Erfahrungen politischer Repression in ihren Herkunftsländern erklären lässt - eine deutlich höhere Befürwortung von Demokratie als Staatsform und höhere Zufriedenheit mit der in Deutschland vorgefundenen Demokratie als Deutsche aus Unterschichtmilieus. An diesem Punkt muss die politische Bildung ansetzen und die Migrantinnen und Migranten zu überzeugen suchen, dass eine verbesserte gesellschaftliche Integration ihnen weitere Vorteile bringt. Die Anstrengung der politischen Bildung, in die oftmals weitgehend geschlossenen Migranten-Milieus hineinzugelangen, müssen daher dringend verstärkt werde. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich Selbständige mit ausländischer Herkunft vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfolgsgeschichte oft als Brückenbauer zwischen Deutschland und ihrem Heimatland fühlen und vielfach als solche auch gesellschaftlich engagieren. Die politische Bildung muss für Migrantinnen und Migranten nicht nur die Grundlagen für eine verbesserte Wahrnehmung bürgerlicher und politischer Rechte anbieten, der Bildungsbereich insgesamt muss die Voraussetzung auch für eine verbesserte Teilhabe am Erwerbsleben schaffen. Dazu muss die Schulabbrecherquote gesenkt und eine Steigerung bei allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulabschlüssen erreicht werden. Und erst, wenn die Integration in das Erwerbsleben weitgehend geglückt ist, sind die materiellen und letztendlich sozialen Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Integration gesichert.

Falsch wäre es, wenn die politische Bildung Migrantinnen und Migranten allgemein und unspezifisch als Angehörige unterer Sozialschichten ansprechen würde. Familienbild, Religion, kultureller Hintergrund, Bildungs- und Lebensgewohnheiten sowie Politikverständnis unterscheiden sich häufig deutlich von dem der deutschen Unterschichtangehörigen.

Hinsichtlich der etablierten Wege politischer Bildung müssen wir uns um Angebote für diejenigen Schulformen kümmern, die von Menschen mit Migrationshintergrund überproportional besucht werden. Es sind dies vor allem die Hauptschule bzw. Hauptschulzweige von Gesamtschulen sowie die Berufsschulen. Schon in jungen Jahren kann so der Integrationsprozess auf den Weg gebracht werden.

Außerhalb der Schule müssen die Angebote einen partizipativen Charakter besitzen, um sich mit anderen Integrationsbemühungen außerhalb der politischen Bildung zu vernetzen. Hier schon muss Integration ansetzen um der Entstehung sozialer Brennpunkte vorzubeugen, in denen der Prozess sozialer Segregation und Ghettoisierung voranschreitet. In diesem Kontext müssen Bildungs- und Partizipationsangebote deshalb stark auf den sozialen Nahbereich bezogen sein, beispielsweise in Kooperation mit Sozialprojekten und soziokultureller Jugendarbeit. Hierbei ist zu beachten, dass die entscheidenden Ansatzpunkte für die Integration der Zielgruppe im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt liegen. Mit Maßnahmen in diesem Bereich lässt sich politische Bildung verbinden und wäre erfolgreicher als mit Wissens- und Wertevermittlung ohne sozialen Nutzen.

Angesichts der Probleme im Bildungs-, Ausbildungs- und im materiellen Bereich können wir nicht mit den klassischen Inhalten politischer Bildung beginnen. Gefragt ist vielmehr konkrete Lebenshilfe. Diese Lebenshilfe ist für Migrantinnen und Migranten noch wichtiger als für die deutschstämmigen sozialen Unterschichten. Dieser somit erweiterte Politikbegriff muss stärker auf die lebensweltliche Ebene und die Erfahrungswelten vor allem der Jugendlichen und Heranwachsenden zugeschnitten sein. Konkrete Maßnahmen mit Jugendlichen sind teilnehmerorientiert anzusetzen. Die jüngeren Migrantinnen und Migranten sollten möglichst nicht im Rahmen eines ethnisierenden Ansatzes angesprochen werden; besser zu erreichen sind viele über sie betreffende Inhalte, z.B. mit der Migration zusammenhängende konkrete Problemstellungen oder ihre Identifikation mit ihrer Wohngegend.

Ich hoffe sehr, dass es mit dem heutige Symposium gelingen wird, Konzepte und Maßnahmen der politischen Bildung zu entwickeln und zu diskutieren, mit denen die Integration der Migrantinnen und Migranten in die Gesellschaft und damit auch in das politisch demokratische System ermöglicht, erleichtert und attraktiv gemacht werden kann.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten