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Eröffnung des Forums Lokaljournalismus 2003 | Presse | bpb.de

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Eröffnung des Forums Lokaljournalismus 2003

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Mit dieser Rede eröffnete bpb-Präsident Thomas Krüger das 11. Forum Lokaljournalismus 2003 unter dem Motto "Schlechte Zeiten, gute Zeiten". Im Mittelpunkt des Forums standen Diskussionen über Konzepte und Modelle, die die Zeitungsbranche aus ihre gegenwärtigen Krise heben können.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrter Lord Dahrendorf, sehr geehrter Herr Dr. Hodeige, sehr geehrter Herr Hauser, meine sehr verehrten Damen und Herren,

zum Forum Lokaljournalismus 2003 heiße ich Sie hier in Freiburg herzlich willkommen. Ich freue mich, dass Sie aus allen Regionen der Bundesrepublik unserer Einladung in den Breisgau gefolgt sind. Und ich freue mich, dass ich als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung die Ehre habe, dieses 11. Forum Lokaljournalismus zu eröffnen. Wie ich sehe, hat Sie das Motto des diesjährigen Forums nicht abschrecken können, das unheilvoll die "Schlechten Zeiten" voranstellt.

Wenn Sie sich nicht von den "schlechten Zeiten" haben abschrecken lassen, liegt das vielleicht daran, dass Sie ohnehin zu den Berufszynikern gehören, als welche die Journalisten gemeinhin gelten. Oder Sie haben das Glück, dass Sie Ihre Weiterbildung selbst genehmigen und ihrem Chef nicht erst vermitteln müssen, dass Sie in Zeiten knapp besetzter Redaktionen drei Tage nicht verfügbar sind, weil Sie gerne einmal über den Redaktions-Tellerrand schauen möchten. Oder aber Sie haben sich nicht abschrecken lassen, weil Sie das Konzept des Forums kennen. Und dafür opfern Sie gern ein paar Tage.

Das Forum Lokaljournalismus ist der jährliche Höhepunkt der Veranstaltungen des Journalistenprogramms der bpb - Journalistinnen und Journalisten und sind es gewohnt, schlechte Dinge auch beim Namen zu nennen. Trotzdem begeben wir uns in den nächsten drei Tagen nicht ins kollektive Jammertal für Schwarzseher. Nicht "Schlechte Zeiten" bestimmen unser Motto, sondern "Schlechte Zeiten, gute Zeiten". Schlechte und gute Zeiten bedingen einander. Nur wer schlechte Zeiten erlebt hat, weiß gute Zeiten zu schätzen. Und wer schlechte Zeiten erlebt, muss zwangsläufig sein Potenzial suchen, sie in gute Zeiten umzuwandeln. Konzepte aus der Krise sind gefragt. Deshalb stehen diese Konzepte im Mittelpunkt des Forums. Drei Tage lang haben Sie, meine Damen und Herren, Gelegenheit, sich im Kreise von Kolleginnen und Kollegen über Erfahrungen Ihrer Redaktion in den Zeiten der Medienkrise auszutauschen, eigene Ideen und Lösungsansätze weiterzugeben, und hoffentlich auch interessante neue Strategien zu entdecken. Expertinnen und Experten wie Frau Katja Riefler, Medienberaterin und Fachjournalistin für Informationstechnologie und Internet aus München, wie der Berater der Badischen Zeitung, Lord Ralf Dahrendorf, oder wie Herr Prof. Dr. Stephan Ruß-Mohl, derzeit an derUniversità della Svizzera italiana in Lugano, werden Ihnen als kompetente Referenten und Referentinnen weitere Denkanstöße geben.

In diesem Zusammenhang möchte ich das "Projektteam Lokaljournalisten" hervorheben. Acht engagierte Journalistinnen und Journalisten stehen dem Journalistenprogramm als wichtiges Beratergremium zur Seite, liefern Anregungen aus dem Redaktionsalltag, schlagen Themen für Seminare und Publikationen vor und sind Vordenker für neue Projekte. Beim Projektteam und allen anderen, die am Lokaljournalistenprogramm mitarbeiten, bedanke ich mich für Ihre Einsatzbereitschaft.

Ein besonderes Dankeschön geht an unseren Partner, die Badische Zeitung, insbesondere an den Verleger der Badischen Zeitung, Herrn Dr. Christian Hodeige, an den Geschäftsführer, Herrn Wolf-gang Poppen, an den Chefredakteur, Herrn Thomas Hauser, an den Chef vom Dienst, Herrn Hans P. Wühler, und an den Leiter der Heimatredaktion, Herrn Bernd Serger. Ohne das Engagement der Badischen Zeitung wäre mancher Programmpunkt, der Ihnen den Charme und die Sehenswürdigkeiten der Stadt Freiburg nahe bringt, nicht zustande gekommen. Außerdem gilt mein aufrichtiger Dank all‘ denen, die an der Konzeption und Organisation des Forums beteiligt waren. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Sponsoren der Veranstaltung: die Firma Badenova als regionaler Ener-gieversorger, die Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau, die Stadt Freiburg und die Freiburg Wirt-schaft und Touristik GmbH und Co. KG, die Stiftungskellerei der Stadt Freiburg sowie die Solarfabrik. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Zurück zu dem diesjährigen Motto des Forums, zurück zu den schlechten und den guten Zeiten. Meldungen über sinkende Auflagen, Anzeigenrückgang und Entlassungen bei überregionalen wie regionalen Tageszeitungen brachten die Zeitungsbranche 2002 selbst in die Schlagzeilen. Ich könnte jetzt eine lange Liste von Beispielen aufzählen: angefangen bei der WOCHE hin zur Süddeutschen Zeitung über die Frankfurter Rundschau bis hin zu den Berliner Seiten der FAZ oder zum jetzt-Magazin. Ich könnte berichten von Lokalredaktionen, die geschlossen wurden, oder von Gebieten, in denen nach Marktbereinigungen die journalistische Vielfalt verlegerischen Monopolen weichen musste. Ich könnte Ihnen alle die unerfreulichen Zahlen von der Entwicklung des Anzeigenmarktes bis hin zum Abo-Verkauf noch einmal vor Augen führen, obwohl sie ohnehin in jeder Fachzeitschrift veröffentlicht wurden und auch hartgesottene Medienvertreter sie nicht mehr hören mögen. Eines würde mir damit bestimmt nicht gelingen: Sie für das Forum zu motivieren. Der Grundsatz "Only bad news are good news" gilt eben nur bedingt, wenn er die eigene Branche betrifft.

Es soll hier daher Platz sein für positive Meldungen. Immer noch ist Deutschland ein Zeitungsland. Vier von fünf Bundesbürgerinnen und -bürgern lasen 2002 eine Tageszeitung. Und die 331 lokalen, regionalen und überregionalen Abonnementzeitungen in Deutschland kamen immerhin auf eine Reichweite von 66,3 Prozent. Damit liegt Deutschland hinter Schweden, Finnland und Norwegen auf Platz 4 des europäischen Reichweiten-Rankings.

Theodor Wolff hat gemahnt, "dass eine große politische Zeitung eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit hat, nicht nur im Dienste des Unternehmens, sondern auch im Dienste allgemeiner Interessen und nicht ausschließlich nach den Grundsätzen irgend eines kaufmännischen Unternehmens geführt werden darf". Diesen Satz werden im vergangenen Jahr viele Vertreterinnen und Vertreter der Chefredaktionen gegenüber ihrer Verlagsleitung oder Geschäftsführung zitiert haben. Aber so unbestritten das journalistische Verdienst des großen Chefredakteurs des "Berliner Tageblatts" ist - selten lassen sich Verlagsleitungen durch wohlmeinende Appelle überzeugen. Gerade aber in schwierigen Zeiten muss in die Qualität des Produkts investiert werden. Das gilt auch für die Medienbranche. Was allgemein bei den Tageszeitungen zählt, sind Konzepte, die aus den schlechten Zeiten zwar nicht sofort gute Zeiten machen, aber die auf die Suche gehen nach dem Guten an der Krise. Ich sehe eine Krise als Situation, aus der man gestärkt hervorgehen kann, wenn man sich ihr stellt. Krisen bieten Anlass, Ursachensuche zu betreiben, eigene Verhaltensmuster zu reflektieren, sich auf Kompetenzen zu besinnen. Was heißt das für Tageszeitungen, insbesondere für den Lokaljournalismus?

Das Alleinstellungsmerkmal der regionalen und lokalen Zeitungen in der deutschen Zeitungslandschaft ist ihre regionale und lokale Kompetenz: die fundierte, nachhaltige und eigenständige Berichterstattung vor Ort. Diese Stärke müssen Regionalzeitungen gerade in Krisenzeiten pflegen und ausbauen. Es ist immer einfach, die Politik in Berlin, Washington oder anderen Hauptstädten der Welt zu kritisieren und den Politikern und Politikerinnen in Kommentaren und Leitartikeln die Welt zu erklären. Aber wer traut sich, der Oberbürgermeisterin oder den örtlichen Vorsitzenden Heimatvereins im Lokalteil auf die Hörner zu nehmen? Auch wenn die Politik- und Mantelredaktionen es nicht gern hören: Die wenigsten Leser kaufen ihre Regionalzeitung, um die Meldungen der Tagesschau vom Vorabend nochmal aufgewärmt zu bekommen. Auch Sie als Journalistinnen und Journalisten würden "Nein, danke" sagen, wenn Sie zum Frühstück kalten Kaffe serviert bekämen. Die Zufriedenheit mit der lo-kalen Berichterstattung entscheidet darüber, ob eine langjähriger Zeitungsleserin in Zeiten knapper Kassen ihr Abonnement kündigt oder nicht. Einseitige Berichterstattung, Verlautbarungsjournalismus und dazu noch ein unübersichtliches Layout wären auch für mich drei gute Gründe, meine Lokalzeitung zu kündigen. Lokalpolitische Berichterstattung kann mich nur fesseln, wenn ich einen Wissensmehrwert erzielen kann, wenn ich Orientierung finde, wenn ich auch mal überrascht werde. Ich persönlich finde neue, ungewöhnliche Formate wie zum Beispiel die Rubrik "Nachrufe" des Tagesspiegel spannend. Nicht die Riege der lokalen Politprominenz und Honorationen bekommt hier posthum Platz, sondern Menschen, die zu Lebzeiten nie in der Zeitung standen. Dabei hätte ihr Leben viele Geschichten zu bieten gehabt, wie die "Nachrufe" zeigen. Auch der Behördentest der Berliner Morgenpost ist für mich als Leser und Bürger informativ und hilfreich. Im Sinne des "Public Journalism" werden Journalisten hier zum Anstifter. Sie leisten einen wichtigen Service für den Leser und die Leserin, den ein überregionales Medium wegen seiner überregionalen Zielgruppe niemals so punktgenau - sprich leserorientiert - bringen kann. Journalistinnen und Journalisten sollten heute nicht nur neutrale Standpunkte beziehen, sie müssen Themen auch anstoßen und Diskussionsstoff bieten. Wenn eine Zeitung ihre Leserschaft mitreden lässt und eine kommunale Streitkultur pflegt, kommt das ihrem Lokalteil zu gute. Bei bestehenden Kontroversen muss sie sich jedoch in ihre Rolle als neutraler Beobachter zurückziehen. Hier gilt für den Journalismus wie für die politische Bildung: Sie sind auf Kontroversen angewiesen, aber sie müssen fair sein und allen Positionen Gehör verschaffen. "Niemand leistet einen besseren Beitrag zur politischen Bildung als unabhängige, freiheitlich gesinnte, informative und kritische Medien." Aber: So positiv die Medien ihre öffentliche Aufgabe erfüllen könnten, so schädlich können sie wirken, wenn sie um der Quote und Auflage willen allein auf die Knalleffekte setzen und Politik als "Panoptikum unfähiger und selbstsüchtiger Politiker" darstellen. Leider stammt diese wichtige Feststellung nicht von mir, sondern von Bundespräsident Johannes Rau, der auf dem Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Bundeszentrale für politische Bildung auf die Rolle der Medien in der politischen Bildung einging.

Das Forum Lokaljournalismus 2003 gibt Ihnen jetzt bis Freitag Gelegenheit, Modelle für mehr Qualität in der Berichterstattung und mehr Nähe zum Leser und der Leserin auszutauschen und zu diskutieren. Viele Beispiele aus den Foren werden zeigen, dass das Minus in den Verlagskassen nicht zwangsläufig ein Minus für die journalistische Qualität bedeuten muss. Wer an die Zukunft denkt, darf jedoch über die junge Generation nicht hinwegsehen. Nach Altersgruppen betrachtet, erreichten die Tageszeitungen 2002 ihre niedrigste Reichweite bei den Jugendlichen. Nur 55,6 Prozent der 14- bis 19-Jährigen werfen einen regelmäßigen Blick in die Zeitung. Bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des BDZV gaben 2001 nur noch 44 Prozent der jungen Leute zwischen 16 und 29 an, eine Tageszeitung sei für sie unverzichtbar. Gut zehn Jahre vorher waren das noch 15 Prozent mehr.

Es gibt sicherlich keinen Königsweg zu jungen Leserinnen und Lesern. Die Medienpartnerschaften des bpb-Jugendmagazins "fluter" mit Jugendredaktionen von Tageszeitungen zeigen, dass viele Verlage zumindest eine wöchentliche Jugendseite anbieten. Methodisch müssen Redaktionen neue Wege gehen und in Kauf nehmen, dass nicht jeder Weg ein goldener ist. Die cross-mediale Rezeptions-bereitschaft junger Menschen gilt es zu akzeptieren. Warum soll die Zeitung nicht Platz für junge Themen bieten, zu denen im Internet ein Forum oder zusätzliche Informationen angeboten werden? Warum soll sie nicht mit einem örtlichen Kinobetreiber eine Filmreihe anbieten und über diesen Weg eine Bindung an das Medium Zeitung erzeugen? Wer junge Leser und Leserinnen gewinnen will, braucht ansprechendes Layout, gut vermittelte Inhalte und verständliche jugendrelevante Themen im Blatt. Ich bin überzeugt, dass Jugendliche durchaus ein Bedürfnis haben, sich politisch einzumischen. Sie haben zwar eine große Distanz zum Politikbetrieb und zu Politikern - an denen beide übrigens nicht ganz unschuldig sind - aber ihr Interesse und Engagement bei Themen wie Globalisierung oder Bildungspolitik ist groß. Wenn Tageszeitungen die Lebenswelt Jugendlicher nicht thematisieren, brauchen sie sich nicht wundern, wenn diese das Regionalblatt links liegen lassen. Die Jugend-Seiten dürfen allerdings nicht zu Ghetto-Seiten verkommen. Junge Leserinnen und Leser wollen auch in der Rubrik Lokales auf Themen stoßen, die sie interessieren. Sie suchen provokante und kritische Berichterstattung. Damit unterscheiden sie sich übrigens nicht von der älteren Leserschaft. Lassen Sie im Wahlkampf doch einmal Erstwähler ihre Bundestagskandidaten interviewen. Haken Sie per Quiz bei den Beauftragten für Jugendpolitik nach, wie vertraut sie wirklich mit der Lebenswelt von Kindern und Teenagern sind. Und laden Sie bei Diskussionsforen zu Gewaltprävention oder schulischer Selbstverwaltung nicht allein promovierte weißhaarige Fachleute ein. Es wird sich zeigen, ob die Jugend-Seiten bloße Alibi-Seiten sind, wenn die Verlagsleitungen den Rotstift zücken. Ich hoffe, sie sind keine Alibi-Veranstaltung. Haben Sie Mut in diesen turbulenten Zeiten. Mut zu kritischer und kreativer Berichterstattung, und Mut zu den Kosten dafür.

Die Tageszeitungen werden aus den schlechten Zeiten gestärkt hervorgehen, wenn sie es schaffen, die Augenhöhe der Leser und Leserinnen nicht aus dem Blick zu verlieren und sie immer wieder durch kritische Berichterstattung, fundierte Hintergrundinformationen, Service und originelle Ideen überraschen und von ihrer Qualität überzeugen. Wenn Sie diesem Anspruch gerecht werden, dann leisten Sie einen wichtigen Beitrag für die Zukunft Ihres Mediums, für die Meinungsvielfalt und für die Demokratie.

Journalismus ist, so sagt Hans Leyendecker, der Recherche-Künstler der Süddeutschen Zeitung, ein "Biotop für Rechthaber". Ich hoffe, ich habe mich mit meinen Äußerungen nicht zu sehr auf‘s Glatteis begeben. Sie machen Ihren Job. Wir machen unseren. Unser beider Schnittmengen ist guter Journalismus – politische Bildung pur.

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