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"Politische Kommunikation und Social Media" Zur Verantwortung von politischer Bildung und Journalismus in der digitalen Gesellschaft

/ 15 Minuten zu lesen

Politische Bildung hat schon lange nichts mehr mit einer einseitigen Dimension von Informationstransfer zu tun. Soziale Medien eröffnen neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und können beitragen zu einer aktivierenden politischen Bildung.

Festvortrag von Thomas Krüger anlässlich der Winfried-Fest-Lecture am 12. Oktober 2011, Internationales Journalistenkolleg der FU Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Familie Fest, sehr geehrter Prof. Dr. Väth

zunächst möchte ich Ihnen sehr herzlich für die Einladung danken! Es ist mir eine große Ehre, die diesjährige Winfried-Fest-Lecture zu halten!

Sehen Sie mir es bitte nach, dass ich hinsichtlich des gestellten Themas von einem erweiterten Begriff der politischen Kommunikation ausgehe. Politische Kommunikation erschöpft sich nicht in der Darstellung und Rezeption von diversen Politiken und ihrer Repräsentanten. Politische Kommunikation umfasst durchaus auch kontroverse öffentliche politische Diskussionen verschiedener mehr oder weniger engagierter gesellschaftlicher Akteure und reicht bis in den Bereich der politischen Bildung hinein, die in diesem Sinne auch als Teil politischer Kommunikation verstanden werden kann. Wobei gerade hier nicht in allererster Linie der werbende Charakter politischer Kommunikation aufgerufen wird, sondern in einem reflexiv-nachhaltigen Kommunikationsraum, politische Meinungen und Überzeugungen "gebildet" werden.

Politische Bildung hat in diesem Sinne schon lange nichts mehr mit einer einseitigen Dimension von Informationstransfer zu tun. Die Fragen der Aneignung von Wissen, von politischem know how werden handlungsorientiert beantwortet. In der politischen Bildung suchen wir deshalb nach Wegen für mehr gesellschaftliche Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, also einer aktivierenden politischen Bildung. Wie die politische Öffentlichkeit selbst, findet jedoch auch die Beteiligung an ihr heute vor allem medial vermittelt statt. Für uns als politische Bildner sind Journalisten daher natürliche Verbündete, wenn wir auch in unterschiedlichen Rollen- und Selbstverständnissen agieren. Journalistinnen und Journalisten erreichen täglich einen Großteil der Bevölkerung und das macht ihre Arbeit in einer pluralen Demokratie so verantwortungsvoll.

In einer Zeit, in der (seit gut drei Jahren - so lange ist die Pleite der Lehman Brothers schon her) die Aufmacher routinemäßig von der Krise künden, globale Zusammenhänge selbst von Fachleuten kaum bzw. nur in Ansätzen verstanden werden und viele Bürger das Vertrauen in die ökonomischen und politischen Eliten schlicht verloren haben, sehen wir ein enormes Bedürfnis nach Erklärung und Orientierung, danach "gehört und mitgenommen" zu werden. Eine neue Wertschätzung und Stärkung des öffentlichen Raumes und seiner Bürger sollte eigentlich die logische Antwort darauf sein: Ein Raum der Auseinandersetzung und des Engagement, der Aktivierung und der Partizipation, im Großen wie im Kleinen. In einer lebendigen Demokratie geht es darum, Debatten zu initiieren, Bürger zur Teilhabe anzustiften und ihnen dafür Werkzeuge und Wissen zur Verfügung zu stellen. Doch leider begegnet uns der beschworene öffentliche Raum beängstigend hohl, die bekannten Instanzen und Repräsentanzen verlieren an Wirkung und büßen ihre Legitimation ein.

Wenn ich nun meinen Vortrag mit der Betonung der Partizipation als Kern und Kitt der demokratischen Gesellschaft begonnen habe, dann um deutlich zu machen, worum es dabei wirklich gehen muss: Um die lebendige Demokratie als ein Politikmodell der Vielen. In diesem Sinne interessieren mich Soziale Medien, denn sie eröffnen prinzipiell neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe. Genau deshalb ist es nicht wichtig, dass wir Social Media benutzen, sondern wie und wofür. Dieser eigentlich trivialen Feststellung, der alten Regel form follows function, wird praktisch jedoch im Umgang mit Social Media viel zu selten Rechnung getragen. Gerne werden sie schlicht als eine "l'art pour l'art"-Veranstaltung gesehen. Und weil sie in der privatöffentlichen Individualitätskommunikation so gut funktioniert und angenommen wird, sagen sich Unternehmen, Verwaltungen, Parteien usw. "Wir müssen was mit Social Media machen". Und wundern sich dann, wenn das nicht funktioniert, bzw. nicht so funktioniert, wie man es gerne hätte.

Gerade sprach ich noch von Informationstransfers, vom "Wissen zur Verfügung stellen". Diese Einbahnstraßenkommunikation kommt im Zeitalter von social media an ihre Grenzen. Heute geht es nicht mehr um klassische Kommunikation vom Sender zum Empfänger, sondern um einen offenen Dialog, in dem der Empfänger selber auch Sender sein darf (Brecht im Rundfunkaufsatz von 1936). Wir müssen unsere Arbeit deshalb konsequent demokratisch konzipieren, Bürgerbeteiligung darf sich nicht in der Möglichkeit des Kommentars erschöpfen. Paradoxerweise ist dies gerade auch für die politische Bildung echtes Neuland. Doch wir haben es betreten und versuchen, das Feld neu zu bestellen.

Ich möchte beginnen mit den Herausforderungen, vor denen wir in der politischen Bildung stehen – die aber auch die Medienlandschaft und den Beruf des Journalisten verändern. Es ist gern von Politikverdrossenheit die Rede – ein Verdruss, der sich jedoch vor allem gegen die bestehenden, institutionalisierten Repräsentationsformen und deren täglichen Betrieb richtet. Davon können die Parteien und die Politik ebenso ein Lied singen, wie die Gewerkschaften und die Kirchen. Auf der einen Seite begegnen wir dabei Verweigerung und Verstummen, aber auf der anderen Seite erleben wir gerade die Wiederbelebung einer Protest- und Beteiligungskultur, wie sie sich im Protest gegen Stuttgart 21, dem nicht müde werdenden Engagement der Atomkraftgegner und dem Erfolg einer ganz neuen Partei zeigt. Die Piraten sind keine klassische Protestpartei, erst recht weisen sie keinen antidemokratischen Impuls auf. Sie spiegeln eher in einem Milieu individualisierter Lebensentwürfe und pluralisierter Lebenslagen im Kontext der medialen Entwicklungen des Internet das grundsätzliche Bedürfnis, die Potentiale von Teilhabe und Demokratie besser auszuschöpfen. Den Piraten scheint es zu gelingen, denjenigen eine politische Heimat zu geben, bei denen sich das Gefühl verstetigt hat, dass die Vertreter etablierter Parteien auf einer ganz grundsätzlichen Ebene die Problematik von Teilhabe, Repräsentation und Exklusion in einer zunehmend digitalen Gesellschaft nicht begriffen haben. Die Piraten und mit ihnen viele Bürgerinnen und Bürger wollen als citoyens ernst genommen werden. Nicht als Stimmvieh am Wahltag sondern, als zoon politicon, jeden Tag in unserer gesamten gesellschaftlichen Existenz.

Wir erleben, damit verbunden, auf der konkreten praktischen Ebene unserer Arbeit eine stärkere Individualisierung der Nutzenden unserer Angebote, sich ausdifferenzierende Zielgruppen mit jeweils sehr speziellen Ansprüchen, schnell wechselnde Themenkonjunkturen und die Erwartung, dass sich die Diversifizierung der Kommunikations- und Vertriebswege in unseren Leistungen und Produkten widerspiegelt. Der notwendige Veränderungsprozess – und hier stoßen wir auf eine weitere Gemeinsamkeit – muss dabei mit immer weniger Mitteln und immer mehr Mitarbeitern in prekären Beschäftigungsverhältnissen geleistet werden. Ein Budget für Experimente ist also eigentlich nicht da – aber noch viel weniger das Budget, um einfach weiterzumachen wie bisher. Positiv betrachtet befinden wir uns in einem Prozess der schöpferischen Zerstörung, in dem die Erosion des Alten den Weg ebnet für ganz neue Möglichkeiten der Beteiligung.

Als Bundeszentrale für politische Bildung, einer oberen Bundesbehörde im Geschäftsbereich des BMI steht uns eine Öffnung ins Ungewisse bevor. Es kann nicht mehr nur darum gehen, unsere Zielgruppen ernst zu nehmen und mit ihnen und für sie Angebote zu entwickeln. Es geht darum, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern weitgehendst zur Verfügung stehen, dass wir unsere Behörde für die Bürgerinnen und Bürger öffnen. Aus einer "Leistungsbehörde", die Angebote zu großen Teilen selbst erstellt, ist seit zehn Jahren immer stärker eine "Steuerungsbehörde" geworden, die Angebote, die von Externen für die bpb erstellt werden, konzipiert und koordiniert. Jetzt gilt es aus ihr eine kollaborierende Behörde zu machen, die Gestaltungshoheit über ihre Projekte aufgibt und – weit über Feedbackbögen und Abstimmung über Themen hinausgehend – Beteiligung und freie Verbreitung und Neuverarbeitung der Angebote zulässt. Reflektierter Kontrollverlust ist das Gebot der Stunde: Wir müssen von der Information zur Interaktion kommen, uns vom Solitär zum Netzwerk entwickeln, aus Kunden sollen Mitwirkende werden. Steuerzahler an die Macht!

Doch was bedeutet das für uns konkret? Lassen Sie mich kurz die Aktionslinien skizzieren, an denen wir derzeit die Entwicklung vorantreiben:

  1. Wir (weiter-)entwickeln interaktive Lernformate und qualifizierte peer-Netzwerke für und mit Jugendlichen (Projektbeispiele: "und jetzt?!", "Aktion09","Young European Professionals", "teamGLOBAL").

  2. Wir stärken den partizipativen Charakter unserer Veranstaltungsformate (durch live-Stream, Twitterwall, Vernetzung der Teilnehmer über Social Media, Veranstaltungsblogs mit Beiträgen von Gästen und Experten, Pod- und Vodcasts).

  3. Nicht nur aber auch dazu bauen wir ein Community Management für bpb-Angebote auf.

  4. Wir entwickeln mobile Formate, also Angebote, die sich nicht nur veränderten Lern- und Lebensgewohnheiten anpassen, sondern es auch erlauben, den Inhalt selbst mitzuentwickeln, eigene Ergebnisse zu teilen und zu verbreiten (Educaching, Apps, Netzwerkformate, offene Lizenzmodelle, Plattform Externer Link: mit Know-how zum Einsatz von Social Media in der politischen Bildung).


Soziale Medien sind damit eine große Chance für unsere Arbeit. Sie erleichtern Beteiligung, ermöglichen methodische Vielfalt und entsprechen dem Bedürfnis, sich den individuellen Lebensgewohnheiten angepasst, zeitlich und räumlich unabhängig bilden zu können. Aber wir sind uns auch der Schattenseiten und Grenzen bewusst und reden uns nicht mit den Potentialen der Social Media besoffen. Social Media machen nicht aus jedem User einen Citoyen. Nicht jeder, der den "Gefällt mir"-Button klickt, ist gleich ein politischer Aktivist. Das Niveau vieler Kommentare in den Social Media überschreitet nicht nur die Grenzen des guten Umgangstons, sondern viel zu oft auch die unserer Verfassung. Zudem begünstigt das Internet die Bildung von Teilöffentlichkeiten, sogar die Spaltung in eine digitale Kommunikationselite und die digital Abgehängten. Die politische Bildung erreicht auch nicht automatisch netz-affine oder junge Nutzer, nur weil sie im Netz stattfindet.

Ganz fundamental laufen wir überdies sogar Gefahr, die Hierarchien erstarrter Repräsentations- und Meinungsbildungsstrukturen im Internet zu verstärken. Wir müssen genau hinschauen, wie partizipativ Online-Angebote tatsächlich gestaltet sind: Denn "E-Government" oder "E-Democracy" kursieren als Konzept schon länger. Was die öffentliche Verwaltung darunter versteht, hat sich dabei kaum geändert: Bürger dürfen sich beteiligen, wenn sie zur Beteiligung aufgerufen werden. Diese "Partizipation 1.0" wird von staatlichen Institutionen initiiert und der Bürger dazu gebeten. Dabei gibt es ein klares Oben und Unten, eine Trennung in Initiator und Mitmachende. Meist handelt es sich schlicht um die Digitalisierung von altbewährten Partizipationsformaten. Dabei werden Machtgefälle und Machtstrukturen der analogen Welt digital reproduziert und perpetuiert. Verstehen Sie mich nicht falsch: Diese Beteiligungsformen sind immer noch besser als gar nichts.

Partizipation 2.0 meint dagegen Beteiligung, die nicht von oben initiiert wird, sondern vom Bürger ausgeht. Die Parallelen zum Web 2.0 bedeuten: Jeder ist gleichzeitig Konsument und Produzent, jeder kann auch senden, initiieren, sich engagieren, einmischen und Gehör verschaffen, ohne darauf warten zu müssen, gefragt zu werden. Twitter und Facebook beeinflussen die kleinsten Elemente der gesellschaftlichen Partizipation: die öffentliche oder halb-öffentliche Meinungsäußerung. Wenn ich heute 140 Zeichen twittere, erreiche ich potentiell damit die ganze Welt, und dies bleibt im Internet auf Dauer dokumentiert.

Mit wenigen Klicks kann ich mich auch formell einer politischen Forderung anschließen. Ein Beispiel sind Petitionen an den Deutschen Bundestag, die seit 2005 auch via Internet eingereicht und mitgezeichnet werden können. Als zivilgesellschaftliche Plattform hat sich 2004 campact gegründet, nach dem US-Vorbild MoveOn. Die Plattform bündelt im Vorfeld politischer Entscheidungen für gezielte Kampagnen die Stimmen einzelner Bürgerinnen und Bürger.

Diese Form der Interaktion und Partizipation ermöglicht es Menschen und Gruppen, sich Gehör zu verschaffen und Interessen zu einer kritischen Masse zur organisieren. Sie rüttelt jedoch kaum an den bisherigen Strukturen und Institutionen des politischen Prozesses. Genau dies hat viele dazu inspiriert, sich über ein repräsentatives System, das die Souveränität des Volkes – im Sinne einer Schumpeter'schen Minimal-Demokratie – auf die periodische Stimmabgabe reduziert, grundsätzliche Gedanken zu machen.

Mit neuen Formen der demokratischen Entscheidungsfindung, die bisweilen unter dem Begriff Partizipation 3.0 zirkulieren, experimentiert zum Beispiel die Piratenpartei. Mit Liquid Feedback, Delegated Voting und Liquid Democracy werden – nicht ohne heftige innere Kontroverse – Formen zwischen direkter und repräsentativer Demokratie erprobt: Parteimitglieder können über eine speziell entwickelte Liquid Feedback-Software eigene Anträge einbringen, zur Diskussionen stellen und bei ausreichender Unterstützung zur Abstimmung bringen. "Wenn irgendwo in seinem Wohnzimmer sich jemand denkt, da kenne ich mich aus, da kann ich beitragen, dann ist das wundervoll", hat Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband erklärt – und damit im Prinzip die Idee der Liquid Democracy umrissen: Denn Kern des Konzepts ist nicht nur die Möglichkeit, sich direkt einzubringen, sondern vor allem auch, seine Stimme zu delegieren, wenn man jemand anderen in einer Frage für kompetenter hält. Damit fließen – daher "liquid" – direkte und repräsentative Demokratie ineinander. Der periodische Wahlakt auf Basis umfangreicher Gesamtprogramme mehr oder weniger klarer Positionen wird überwunden zugunsten eines ständigen, öffentlichen Diskurses mit themenspezifischen Abstimmungen. Schließlich soll sich in einer Liquid Democracy jeder Bürger und jede Bürgerin flexibel an Entscheidungen beteiligen können und Mehrheiten organisieren.

Das ist nun im Prinzip nichts Neues, sondern die digitalisierte Version der alten basisdemokratischen Idee – eine diskursive Aushandlung von Positionen im (so weit wie möglich) herrschaftsfreien Raum. Das Volk gibt sich dabei seine Regeln und Gesetze unmittelbar selbst. Dieses Rousseau'sche Demokratieverständnis haben zuletzt die Grünen in den 80er Jahren für die politische Praxis wiederbelebt. Was dieses Mal aber – nicht nur bei den Piraten, sondern generell – den entscheidenden Unterschied für den Erfolg ausmachen könnte, ist, das die technischen Möglichkeiten potenziell den Zugang und die Reichweite dieses Aushandlungsprozesses vereinfachen, egalisieren und entgrenzen. Konnten Skeptiker bisher gewichtige praktisch-logistische Gegenargumente ins Feld führen, so geht es heute vor allem um die Frage, ob wir wirklich wollen oder nicht.

Nehmen wir den Gedanken der Volkssouveränität ernst, auch wenn es die Prozesse nicht gerade einfacher macht? Basisdemokratie kann ziemlich anstrengend und unbequem sein, daran ändert auch das Netz nichts. Aber wenn wir den sich bahnbrechenden Frust über den herrschenden Politikbetrieb nicht in eine echte Demokratiekrise auswachsen lassen wollen, müssen wir uns der Herausforderung stellen – mit der großen Chance, demokratische Institutionen und Entscheidungsprozesse durch authentische und echte Bürgerbeteiligung zu relegitimieren.

Wenn ich Ihnen – als angehende oder erfahrene Journalisten, als Lehrende in diesem Fach oder als Freunde dieses Instituts – dies vortrage, dann auch, weil ich damit einen Appell verbinden möchte.

Natürlich haben auch Sie sich in den letzten Jahren eingehend mit den Veränderungen, Möglichkeiten und auch Problemen auseinandergesetzt, die die Entwicklung des Internets mit sich gebracht haben. Cross-Medialität, Leser-Community, Bürgerreporter oder User-Generated Content – so lauten die Ihnen bekannten Schlagworte. Die dahinterstehenden, praktischen Herausforderungen jedoch sind für den Journalismus wie für die politische Bildung strukturell ähnlich: Wir haben mit kollaborativen Projekten kaum Erfahrungen. Wir brauchen Mut zum Kontrollverlust. Wenn wir redaktionelle Souveränität aufgeben, müssen wir nach neuen Mechanismen, Regeln, Sanktionen, Definitionen und Abgrenzungen für unsere Arbeit suchen. Wir übernehmen zunehmend Sortierungs- und Moderationsfunktionen, erproben uns mal als Community Manager, mal als Schiedsrichter oder Kontrolleur. Und über alldem hängt stets das Damoklesschwert der Wirtschaftlichkeit, des Kosten-, Zeit- und Effizienzdrucks. (Für eine steuerfinanzierte Bundesbehörde treten haushaltsbedingte, aber auch politisch motivierte Kürzungen an die Stelle der klassischen refinanzierungsbedingten Wirtschaftlichkeit.)

Dabei – und damit komme ich zum Appell – darf der Journalismus seine Verantwortung in der und für die Demokratie nicht aus den Augen verlieren. Journalismus kann sich nicht in der Protokollierung und Kommentierung des Geschehens erschöpfen. Er muss gelieferte Erklärungsangebote hinterfragen, Diskurse reorganisieren, ein Forum bieten, den Raum des Politischen neu Vermessen, Zugänge aufzeigen und damit eine echte Öffentlichkeit schaffen.

Tut er das nicht, fragen Sie sich vielleicht? Ich sage nein. Nicht in der Radikalität, die nötig wäre. Natürlich stellen Journalisten kritische Fragen an die politischen Akteure, doch in einer Weise, die den Status-quo letztlich strukturell bestätigt. Nehmen Sie die Bildsprache der Abendnachrichten: Sie vermittelt Politik als ein überwiegend selbstreferentielles System, gekennzeichnet durch Menschen, meistens Männer in Anzügen, die aus schwarzen Limousinen steigen, um hinter verschlossenen Türen wichtige Dinge zu besprechen, deren Ergebnisse sie später floskelhaft vor Mikrofonen verkünden. In den Talkshows geben sich die immer gleichen Redner die Klinke in die Hand. Geradezu klischeehaft und stereotyp besetzte Diskussionsrunden ersticken jede Hoffnung in Keim, das der Zuschauer hier mal mit einer neuen Perspektive überrascht, im positiven Sinne irritiert und erhellt werden könnte.

Oder schauen wir in die lokalen Medien. Hier ist in der Vergangenheit durch einfallslosen Honoratioren- und Terminjournalismus (die Ortsbeiratssitzung, das Feuerwehrjubiläum) viel verschenkt worden. Dabei zeigen sich gerade im Lokalen die konkreten Auswirkungen globaler Interdependenzen, werden erfahr- und fassbar. Gerade hier bieten Nähe zu den Bürgern und zum Geschehen viele Chancen des Dialogs und der Beteiligung an, die lokale Medien zu dem öffentlichen Forum machen können, das wir brauchen. Auch hier erleichtern soziale Medien und kollaborative Online-Formate die Umsetzung, wie sie unter den genannten Schlagworten ja bereits in vielen Redaktionen erprobt wird.

Wenn wir Journalismus in diesem Sinne verstehen, wird auch deutlich, warum das konsequente Sich-Einlassen auf die Möglichkeiten der Online-Medien weder zwangsläufig zur befürchteten immer stärkeren Beschleunigung und Atomisierung von Kommunikation, noch zur Verdrängung der "alten" Medien führen muss. Der Abgesang auf die gedruckte Zeitung wird zu Unrecht immer aus Neue intoniert. "Medien sterben nicht" tröstet das Rieplsche Gesetz. Aber die "alten" Medien müssen natürlich neben den "neuen" ihre Existenzberechtigung und ihr Alleinstellungsmerkmal neu definieren.

Interessanterweise sind es die Tageszeitungen, die über die letzten 10 Jahre kontinuierlich und deutlich an Auflage eingebüßt haben. Die – man könnte sagen: noch langatmigeren und unaktuelleren – Wochenzeitungen halten jedoch ihren Leserkreis. Gleichzeitig wurden in der letzten Zeit eine Reihe hochwertiger Special-Interest-Blätter lanciert, die offenbar ihre Käufer finden, weil sich der Leser für dessen Qualität gerne Zeit nimmt und ein paar Euro mehr ausgibt. Bricht vielleicht mitten in der Beschleunigung durch digitale Medien das Zeitalter von Slow Media an?

Den Slow-Media-Anhängern geht es letztlich natürlich nicht nur um Entschleunigung aus Gründen der Gemütlichkeit oder Überforderung, sondern um die fundamentale Rolle des Journalismus und der Medien für unsere Demokratie. Gerade angesichts der unüberschaubaren Flut von Informationen gibt es viel Unsicherheit darüber, welche Informationen denn nun verlässlich und belastbar sind und einen wachsenden Bedarf an Orientierungswissen. Hier sind die Medien in der Verantwortung, sorgfältig recherchierte Informationen in die öffentlichen Debatten einzubringen und Argumenten diskursiven Raum zu lassen, die Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, kompetente Entscheidungen zu treffen. "You have to to separate the urgent from the important", hat Henry Kissinger einmal gesagt. Die verschiedenen Formate ergänzen sich in diesem Sinne: Soziale Medien sind ein unersetzliches Mittel der Information und des schnellen Austauschs geworden. Gleichzeitig müssen wir aber darauf bestehen, dass Substanz und journalistische Qualität nicht mit 140 Zeichen zu haben ist. Ich sage dies auch in Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nicht weil dort so viel getwittert wird. Sondern weil diese Sender aus Gebühren 7,5 Mrd. Euro im Jahr dafür erhalten, genau diese journalistische Substanz und Qualität zu liefern. Stattdessen sehen wir – wenngleich ich hier keinesfalls alle Sender und Sendungen über einen Kamm scheren möchte – eine zunehmende Annäherung an die Entertainment-Formate der Privaten. Entschuldigend vorgebracht wird bei dieser Kritik das Argument, die Darstellung komplexer Sachverhalte und hintergründiger Information sei zum einen sehr teuer und münde notwendigerweise in eher schwer verdauliche Formate, wie sie wenige sehen wollten. Und so wurden Sendungen, die dem Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen, häufig zusammengestutzt aus der Hauptsendezeit oder auf Regional- und Spartenkanäle verbannt, wo eine schlechte Quote dann tatsächlich keine Überraschung mehr ist.

Damit laufen die Öffentlich-Rechtlichen Gefahr, die Gebührenfinanzierung und letztlich sich selbst zu delegitimieren. Dabei gibt es durchaus Beispiele, die zeigen, dass nicht nur eigentlich sehr konventionelle Wortformate ihr Publikum finden können – man denke an die rekordverdächtigen 5,6 Millionen Zuschauer, die die Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 verfolgt haben. Mit dem "PHOENIX-Politiker-Speed-Dating" hat der Sender auch bewiesen, das es Formate gibt, die so originell wie informativ sind und auch noch die Bürgerinnen und Bürger einbinden. Qualitätsjournalismus ist möglich! Der ehemalige New York-Times Reporter und Pulitzer-Preisträger David Halberstam sagte einmal "Der Einsatz für schwierige Geschichten, sie weiterzuverfolgen, oft gegen den Zeitgeist, ist ein enormer öffentlicher Dienst." Darum gibt es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: weil nur so ein Programm geleistet werden kann, was in einer demokratischen Gesellschaft geleistet werden muss.

Ich komme damit zu meinem letzten Punkt. Gleichwohl es eine Nachfrage und einen Markt für hochwertige, politische Informations- und Bildungsformate gibt, heißt das nicht, dass wir deren Angebot völlig einem unkontrollierten Markt überlassen dürfen. Denn dessen treibende Kraft ist und bleibt nun einmal der Profit, und eben nicht die Ermächtigung der Bürger und die Rechte und Würde des Einzelnen. Profitables Kapital hat nur das Ziel seiner Vermehrung. In den falschen Händen und mit den falschen Strategien zerstört es sich sogar selbst und löst sich in Wohlgefallen auf. Wir dürfen unser plurales demokratisches Gemeinwesen aber nicht allein ökonomischen Kriterien unterwerfen, verspekulieren oder kaputtsparen und den öffentlichen Raum der Verwahrlosung überlassen.

Politische Bildung, wie eine emanzipierte und starke Öffentlichkeit: Das sind Güter, die sich eine Demokratie um ihrer selbst willen leisten muss. Ob Verleger, Intendanten, CvDs, Programmmanager oder Redakteure: Alle Medienschaffenden verstehen ihre Arbeit in diesem Sinne. Und darin sind sie der politischen Bildung, meiner Profession, sehr verwandt und nahe.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten