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Die Arktis im Klimawandel

Dirk Notz

/ 16 Minuten zu lesen

Seit der Industrialisierung hat sich die Erde bisher um etwa 0,75 Grad erwärmt. Der Temperaturanstieg ist besonders stark in den Polargebieten, die als Frühwarnsystem der Erde gelten können.

Einleitung

Dezember 2010 in Deutschland: Wie schon im Winter zuvor scheinen Schnee und Eis das Land fest im Griff zu haben. Mancherorts sinken die Temperaturen vorübergehend auf rekordverdächtige Tiefstwerte, Züge fallen aus, Schiffsverbindungen werden wegen Eisgangs eingestellt, Schulen bleiben geschlossen, auf den Autobahnen gilt in manchen Bundesländern ein generelles Fahrverbot für Lastwagen.

Szenenwechsel zur Westküste Grönlands: Wie schon im Jahr zuvor liegt mitten im Winter offenes Wasser vor der Küste. Wo in vergangenen Jahrzehnten häufig schon seit Mitte Oktober die Jäger mit ihren Hundeschlitten ihre Bahnen über das geschlossene Meereis zogen, fahren jetzt auch im Dezember noch zahlreiche Fischerboote durch die eisfreien Gewässer, die Schlittenhunde warten in den Dörfern ungeduldig darauf, endlich zum Einsatz zu kommen, aber dafür müsste erst das ersehnte Meereis die See überziehen.

Zwei Szenen, die zunächst scheinbar wenig miteinander zu tun haben. Der Schein könnte allerdings trügen: Simulationen mit Klimamodellen und Messdaten deuten übereinstimmend darauf hin, dass der Rückgang von arktischem Meereis zu einer Verschiebung von Luftdrucksystemen führen kann, wodurch im Winter mehr Kaltluft aus der Arktis nach Mitteleuropa gelangt und dort regional zu kalten und schneereichen Wintern führt.

Die Auswirkungen, die der globale Klimawandel in der Arktis haben wird, könnten also möglicherweise auch bei uns in Mitteleuropa direkt spürbar sein. Diese Zusammenhänge etwas klarer herauszuarbeiten, soll Ziel dieses Artikels sein, dessen Schwerpunkt auf den Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Arktis liegt. Insbesondere wird dabei auf mögliche Kippelemente des Klimasystems eingegangen, also auf Auswirkungen des Klimawandels, die möglicherweise sehr schnell und irreversibel eintreten können. Ein Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung soll ebenso wenig fehlen wie eine Einordnung der jüngsten Veränderungen in Bezug auf das manchmal vorgebrachte Argument, dass sich alle beobachteten Veränderungen einfach durch natürliche Klimaschwankungen erklären ließen. Zum besseren Verständnis dieser eher arktisspezifischen Themen ist jedoch zunächst eine kurze Zusammenfassung unseres heutigen Kenntnisstands zum allgemeinen Themenkomplex "globaler Klimawandel" sinnvoll.

Globaler Klimawandel

Seit der Entstehung der Erde vor knapp fünf Milliarden Jahren hat sich das Klima immer wieder einschneidend geändert: Es gab zahlreiche Epochen, in denen es deutlich kälter war als es heutzutage ist und in denen nahezu die gesamte Erdoberfläche von Schnee und Eis überzogen war; dann wiederum lagen für viele Millionen von Jahren die Temperaturen deutlich über den heutigen Werten, sodass alles Eis auf der Erde geschmolzen war. Ein sich wandelndes Klima ist also im erdgeschichtlichen Sinne kein ungewöhnliches Phänomen - der heutzutage zu beobachtende, menschengemachte (anthropogene) Klimawandel hingegen schon.

Zum Verständnis dessen, was den heutigen Klimawandel so außergewöhnlich macht, ist ein kurzer Blick auf die generelle Funktionsweise unseres Klimas hilfreich. Die mittlere Temperatur der Erde, die im Moment bei etwa 14,5 Grad Celsius liegt, kommt in erster Linie durch einen Gleichgewichtszustand zwischen zwei Prozessen zustande, deren jeweilige Stärke wie ein globaler Thermostat die Temperatur der Erde bestimmt. Zum einen sendet die Erde Wärmestrahlung ins Weltall ab und kühlt sich dadurch ab; zum anderen empfängt die Erde von der Sonne ausgestrahlte sogenannte kurzwellige Strahlung, die auf der Erde in Wärme umgewandelt wird und die Erde entsprechend erwärmt. Die mittlere Erdtemperatur kann also einerseits dadurch ansteigen, dass mehr Sonnenstrahlung auf der Erde in Wärme umgewandelt wird oder dadurch, dass die Erde weniger Wärmestrahlung ins Weltall abgibt.

Durch eine Reihe von Wechselwirkungen im Klimasystem sind normalerweise beide Vorgänge an einem globalen Klimawandel beteiligt. Zum Beispiel wurde das regelmäßige Auftreten von Eiszeiten zunächst durch eine leichte Abnahme der Sonneneinstrahlung auf die Erde ausgelöst. Dies hatte eine leichte Abkühlung der Erde zur Folge, was wiederum die Wärmeabstrahlung der Erde beeinflusste. Im kühleren Ozeanwasser kann nämlich mehr Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre gebunden werden, sodass der CO2-Gehalt der Atmosphäre abnimmt, sobald die globale Durchschnittstemperatur sinkt. Da CO2 ein sehr effizientes sogenanntes Treibhausgas ist, das die Wärmeausstrahlung von der Erde in den Weltraum verringert, führt eine Abnahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zu verstärkter Wärmeausstrahlung ins Weltall, und die anfängliche, weniger als ein Grad Celsius betragende Abkühlung durch die Abnahme der Sonneinstrahlung konnte auf mehrere Grad Celsius anwachsen, sodass es zu einer Eiszeit kommen kann.

Der derzeit stattfindende Klimawandel unterscheidet sich in zwei Dingen von diesen natürlichen Klimaschwankungen. Erstens ist er fast vollständig durch menschliche Aktivitäten hervorgerufen, zweitens verläuft er im Vergleich zu früheren Klimaverschiebungen sehr rasch. In nicht einmal 100 Jahren ist es der Menschheit durch Verbrennung fossiler Brennstoffe gelungen, den CO2-Gehalt der Atmosphäre auf ein Maß zu erhöhen, das weit jenseits der vorindustriellen Schwankungsbreite in den vorangegangenen Jahrmillionen liegt. Während zwischen einer Eis- und einer Warmzeit in der jüngeren Erdgeschichte der CO2-Gehalt der Atmosphäre etwa zwischen 180 und 280 ppm geschwankt hat, ist er inzwischen durch menschliche Aktivitäten auf etwa 390 ppm angestiegen. Durch diesen Anstieg von CO2 in der Erdatmosphäre nimmt die Wärmeausstrahlung der Atmosphäre ab, die Erde erwärmt sich.

Als Folge dieser ursprünglichen Erwärmung wird anschließend auch mehr Sonnenstrahlung in Wärme umgewandelt, da sich die eisbedeckte Fläche der Erde verringert und daher weniger Sonnenstrahlung zurück ins Weltall reflektiert wird. Die heutige Erwärmung läuft also sozusagen umgekehrt ab als beim Wechsel von Eiszeiten und Warmzeiten, bei denen jeweils zunächst eine zunehmende Sonneneinstrahlung zu einer leichten Erwärmung führte, aufgrund derer sich anschließend die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und damit auch die Ausstrahlung von Wärmestrahlung veränderte.

Seit der vorindustriellen Zeit hat sich die Erde in erster Linie durch menschliche Aktivitäten erwärmt, bisher im globalen Mittel um etwa 0,75 Grad Celsius. Der Temperaturanstieg ist global aber nicht gleich verteilt. Sowohl Messungen aus den vergangenen Jahrzehnten als auch Projektionen für die Zukunft lassen kaum einen Zweifel daran, dass die Erwärmung am stärksten in den Polargebieten ist und bleiben wird. Diese können damit gleichsam als Frühwarnsystem der Erde gelten, deren Erwärmung Konsequenzen weit über diese Regionen hinaus haben wird.

Klimawandel in der Arktis

Für die im Vergleich zum globalen Mittel relativ starke Erwärmung der Polargebiete (und insbesondere der Arktis) sind eine Reihe physikalischer Prozesse verantwortlich. Der wohl augenscheinlichste hängt mit dem Rückgang des arktischen Meereises zusammen (s. Abbildung 1 der PDF-Version). Dieses bedeckt das ganze Jahr hindurch große Teile des Arktischen Ozeans. Aufgrund seiner relativ geringen Dicke von normalerweise weniger als zwei Metern kann es im Rahmen einer Klimaerwärmung weitläufig und rasch abschmelzen. Hierdurch wird offenes Wasser frei, das einfallendes Sonnenlicht sehr effizient aufnimmt und dadurch zur starken Erwärmung der Arktis führt: Während zum Beispiel schneebedecktes Meereis fast 90 Prozent des einfallenden Sonnenlichts reflektiert und sich damit sozusagen selbst kühlt, reflektiert offenes Wasser je nach Sonnenstand weniger als zehn Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Jeder Rückgang von Meereis verstärkt also die ursprüngliche Erwärmung und führt damit lokal zu einer überproportional starken Erwärmung der Arktis.

Während ein solcher Rückgang von Meereis zunächst einmal ein lokaler Vorgang ist, können seine Auswirkungen von globaler Bedeutung sein. Zum Beispiel ist die verstärkte Erwärmung nicht nur auf den Arktischen Ozean beschränkt, sondern strahlt direkt auf die umliegenden Landmassen aus. Diese sind zu einem Großteil von Permafrost durchzogen, der Boden ist dort also das ganze Jahr über gefroren. Durch das großräumige Auftauen dieser Böden können im Laufe der Zeit größere Mengen von Methan in die Atmosphäre gelangen, einem Gas, das eine deutlich höhere Treibhauswirkung hat als Kohlendioxid. Die starke Erwärmung der Arktis könnte daher den Treibhauseffekt und somit den globalen Temperaturanstieg verstärken.

Eine weitere Auswirkung der überproportional starken Erwärmung in der Arktis hängt mit dem gewaltigen Eispanzer in Grönland zusammen. Im Gegensatz zum Meereis, das im Wasser schwimmt und daher durch sein Abschmelzen kaum einen Beitrag zu einem globalen Anstieg des Meeresspiegels leisten kann, liegt das grönländische Inlandeis auf einer Landmasse. Jeder Eisberg, der von dieser Insel ins Meer abbricht, alles Schmelzwasser, das aus dem Landesinnern ins Meer fließt, führt daher zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Andererseits fällt in einem wärmeren Klima mehr Schnee im Innern von Grönland, und da dieser Schnee aus verdunstetem Meerwasser gebildet wird, wird ein Teil des Meeresspiegelanstiegs wieder ausgeglichen. In den vergangenen Jahren hat allerdings der Eisverlust in Grönland den zusätzlichen Schneefall deutlich überwogen und etwa 0,7 Millimeter pro Jahr zum globalen Meeresspiegelanstieg beigetragen. Ein völliges Abschmelzen des grönländischen Eises, das allerdings viele Jahrhunderte dauern würde, würde den globalen Meeresspiegel um etwa sieben Meter ansteigen lassen.

Die Verringerung der arktischen Eismassen könnte noch eine weitere Änderung in den Ozeanen hervorrufen, und zwar in Bezug auf die globale Ozeanzirkulation. Hier könnte insbesondere der nördliche Ausläufer des Golfstroms, der sogenannte Nordatlantikstrom, betroffen sein. Diese Meeresströmung bringt das ganze Jahr über große Mengen Wärme nach Westeuropa, weshalb Europas Westküsten üblicherweise im Winter eisfrei bleiben. Angetrieben wird diese Meeresströmung in erster Linie dadurch, dass sich vor der grönländischen Küste salziges Meerwasser stark abkühlt und aufgrund seiner hierdurch angestiegenen Dichte wie in einem gigantischen Fahrstuhl bis auf den Meeresboden hinabsinkt. An der Meeresoberfläche wird dann entsprechend Wasser "nachgesaugt", wodurch die heutige Stärke des Nordatlantikstroms zustande kommt.

Gelangen zum Beispiel durch ein Abschmelzen des grönländischen Inlandeises oder durch verstärkten Export von salzarmem Meereis aus der Arktis größere Mengen Süßwasser in die Absinkregionen, so nimmt der Salzgehalt und damit auch die Dichte des dortigen Oberflächenwassers ab. Hierdurch wird das Absinken weniger effizient, der Nordatlantikstrom wird schwächer. Auch wenn eine solche Abschwächung des Nordatlantikstroms isoliert betrachtet zu einer Abkühlung in Westeuropa führen könnte, wird die globale Erwärmung aller Voraussicht nach deutlich stärker ausfallen, so dass es insgesamt regional in Europa durch die Kombination dieser beiden Effekte zu einer etwas schwächeren Erwärmung kommen könnte als im globalen Mittel.

Wie eingangs geschildert, kann die Erwärmung der Arktis auch durch eine Veränderung der atmosphärischen Zirkulationsmuster zu einer lokalen Veränderung der klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa führen. Durch den Rückgang von Meereis in den Gewässern nördlich von Norwegen und Westsibirien kommt die dortige Atmosphäre zu Beginn des Winters mit einer deutlich wärmeren Meeresoberfläche in Kontakt als früher. Hierdurch ändert sich auch die Dichteschichtung der Atmosphäre, was wiederum zu einer Umverteilung der Luftdruckverhältnisse in Nordeuropa führt. Als Konsequenz, so zumindest das Ergebnis von Modellsimulationen, könnte im Winter verstärkt arktische Kaltluft nach Mitteleuropa transportiert werden, die über der Nordsee Feuchtigkeit aufnehmen und so zu kalten, schneereichen Wintern in Deutschland führen könnte. Diese Kaltluft fehlt dann sozusagen in der Arktis, sodass dort die Temperaturen im Winter häufiger deutlich über dem langjährigen Mittel liegen könnten - für die globale Mitteltemperatur bliebe diese Umverteilung einer kalten Luftmasse daher ohne Bedeutung.

Diese Betrachtungsweise unterstreicht, welche Fehlschlüsse sich ergeben können, wenn Wetterphänomene wie ein kalter Winter in Deutschland als Argument gegen eine globale Klimaerwärmung verwendet werden: Nur eine globale Betrachtung kann wirklich langfristige Trends einwandfrei aufzeigen - auch wenn für jede einzelne Bewohnerin und jeden einzelnen Bewohner dieser Erde am Ende nur die regionalen Auswirkungen wirklich spürbar sein werden.

Kippelemente im arktischen Klimasystem

Eine Konsequenz des globalen Klimawandels, die in den vergangenen Jahren zunehmend an öffentlichem und wissenschaftlichem Interesse gewonnen hat, liegt in der Möglichkeit des "Kippens" einzelner Klimaelemente in einen neuen Zustand. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel eines aufrecht stehenden Buches: Wird es angetippt, so fällt es, sobald sein Schwerpunkt entscheidend verlagert wurde, um, bis es schließlich vom stehenden in einen liegenden Zustand gelangt ist. Hauptursache für dieses Umkippen ist zwar zunächst das anfängliche, kurze Antippen, jedoch kippt das Buch auch dann noch immer weiter um, wenn es gar nicht mehr berührt wird.

Ein ähnliches Kippen ist auch für Teile des globalen Klimasystems möglich. Zum Beispiel könnte das Meereis "kippen". Grund hierfür ist die bereits erwähnte Tatsache, dass Meereis den Großteil des einfallenden Sonnenlichts reflektiert und sich damit gewissermaßen selbst kühlt. Verringert sich in einer bestimmten Meeresregion durch eine leichte Klimaerwärmung die Ausdehnung des Meereises, so wird im offenen Wasser mehr Sonnenlicht in Wärme umgewandelt. Hierdurch erwärmt sich das Klima noch weiter, das Meereis geht noch stärker zurück, es wird noch mehr offenes Wasser frei und so weiter. Diese sich selbst verstärkende sogenannte Eis-Albedo-Wechselwirkung zwischen der Meereisfläche und der aufgenommenen Sonnenstrahlung würde isoliert betrachtet dazu führen, dass schon eine kleine Erwärmung des Klimas zu einem immer weiter beschleunigten Rückgang des Meereises führen könnte.

In Anbetracht des starken Rückgangs des arktischen Meereises im Sommer 2007 wurde häufig die Möglichkeit diskutiert, dass sich ein weiterer Rückgang des Eises aufgrund dieser Eis-Albedo-Wechselwirkung nicht mehr würde stoppen lassen. Neuere Arbeiten deuten allerdings darauf hin, dass zwar die Eis-Albedo-Rückkopplung isoliert betrachtet zu einem sich selbst verstärkenden Eisverlust führen könnte, dass aber andererseits eine Reihe von entgegengesetzt wirkenden Rückkopplungsmechanismen existieren, die ein unumkehrbares "Kippen" des arktischen Meereises zumindest in Bezug auf den Verlust des sommerlichen Meereises verhindern.

Der wohl wichtigste dieser Mechanismen hängt damit zusammen, dass ein eisfreier Ozean im Winter deutlich mehr Wärme an die Atmosphäre abgeben kann als ein eisbedeckter. Hierdurch kühlen sich eisfreie Gebiete des Ozeans nach einem regionalen Meereisrückgang im Winter sehr effizient ab, so dass sich dort vergleichsweise viel neues Eis bilden kann. Da durch das dünne, neue Eis mit seiner normalerweise recht dünnen Schneedecke dem Ozean weiterhin relativ viel Wärme entzogen wird, kann dieses Eis anfänglich sehr schnell wachsen. Im Laufe des Winters kann es daher sogar dicker werden als Eis, das den Sommer überstanden hat. Aufgrund dieser Erholung des Eises im Laufe eines Winters "vergisst" der Arktische Ozean normalerweise ein ausgeprägtes Meereisminimum recht schnell, was als Hauptgrund dafür gilt, dass die Entwicklung des arktischen Meereises recht linear den globalen Temperaturen folgt.

Auch die Permafrostgebiete könnten theoretisch "kippen", da sich durch das entweichende Methan die globale Klimaerwärmung verstärkt, wodurch die Böden schneller auftauen und noch mehr Methan freigesetzt werden könnte. Allerdings laufen die entsprechenden Prozesse vermutlich so langsam ab, dass es auch hier als wahrscheinlicher gilt, dass der Zustand des Permafrosts primär direkt die globalen Mitteltemperaturen widerspiegelt.

Gleiches gilt schließlich auch für Grönland: Auch hier gibt es zum Beispiel aufgrund der Eis-Albedo-Wechselwirkung die Möglichkeit, dass das grönländische Inlandeis immer schneller abschmilzt, weil sich möglicherweise freiwerdende Felsgebiete in der Sonne erwärmen und so wiederum das Schmelzen bzw. das Abfließen des verbleibenden Eises beschleunigen könnten. Andererseits nimmt, wie oben beschrieben, der Zuwachs des grönländischen Eises im Landesinnern ebenfalls zu, weil in einem wärmeren Klima verstärkt Schnee fällt. Eine direkte energetische Betrachtung der möglicherweise auftretenden Schmelzraten lässt es insgesamt als unwahrscheinlich erscheinen, dass der grönländische Eispanzer sein eigenes Abschmelzen so effektiv selbst verstärken kann, dass ein anfängliches Abschmelzen in absehbarer Zeit nicht mehr zu stoppen wäre.

Zusammenfassend scheint es also derzeit, als wären zumindest in der Arktis die meisten Klimaelemente relativ stabil - wobei "stabil" nur bedeutet, dass sie sich vermutlich nicht deutlich schneller verändern werden, als es durch den langsamen Anstieg der Temperaturen in der Arktis zu erwarten wäre. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass jede Verlangsamung des Klimawandels, zum Beispiel durch eine Drosselung der Treibhausgasemissionen, direkt zu einer Verlangsamung des Eisverlusts führen würde.

Einordnung der jüngsten Veränderungen

Es wurde eingangs bereits beschrieben, dass sich das Klima der Erde schon immer verändert hat. In Diskussionen über den derzeitigen Klimawandel wird daher teilweise behauptet, dass doch auch die in jüngster Zeit beobachteten Klimaveränderungen möglicherweise nur eine Manifestation natürlicher Schwankungen des Klimas sein könnten.

Unter Wissenschaftlern ist diese Möglichkeit zur Erklärung zum Beispiel des Rückgangs von arktischem Meereis oder der global ansteigenden Temperaturen inzwischen so gut wie vollständig verworfen worden - zu gravierend sind diese Änderungen, als dass sie sich noch durch natürliche Schwankungen erklären ließen. Außerdem sind die Anzeichen für einen menschlichen Einfluss auf unser Klima so offensichtlich, dass sie kaum noch ernsthaft in Frage gestellt werden können. Durch Isotopenanalyse lässt sich zweifelsfrei nachweisen, dass der Anstieg des CO2-gehalts der Atmosphäre in den vergangenen Jahrzehnten durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und damit eindeutig vom Menschen verursacht wurde. Ebenso zweifelsfrei lässt sich nachweisen, dass ein Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration zu einer globalen Erwärmung führt.

Anhand von globalen Klimamodellen lässt sich die im 20. Jahrhundert beobachtete Erwärmung inzwischen recht gut nachbilden - sofern die vom Menschen verursachte Veränderung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre berücksichtigt wird. Werden in den Modellen ausschließlich natürliche Faktoren wie zum Beispiel Vulkanausbrüche und Schwankungen der Sonnenaktivität zugrunde gelegt, so werden zwar die Temperaturschwankungen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gut nachgebildet, nicht aber der starke Temperaturanstieg seit den 1970er Jahren. Es gilt daher als nahezu sicher, dass dieser Temperaturanstieg hauptsächlich vom Menschen verursacht ist.

In Bezug auf die Veränderungen im arktischen Meereis liegt die Vermutung nahe, dass der derzeit zu beobachtende Rückgang auf eine Kombination von natürlicher Schwankung und anthropogenem Klimawandel zurückzuführen ist. Eine Reihe von vermutlich natürlichen Schwankungen hat zu Beginn der 1990er Jahre zu einem erheblichen Eisverlust geführt, in dessen Rahmen dickes Meereis aus der Arktis exportiert worden ist. Die Meereisdecke ist dadurch im Mittel dünner und somit anfälliger für das großräumige Abschmelzen geworden, das durch den menschengemachten Temperaturanstieg in den vergangenen Jahren verursacht wurde.

Die Zukunft

Aus Untersuchungen von Eiskernen aus dem Innern Grönlands wissen wir heute, dass die Temperatur dort immer wieder stark geschwankt hat. Es ist daher erdgeschichtlich betrachtet eher ungewöhnlich, dass diese Schwankungen in den zurückliegenden 10000 Jahren deutlich schwächer geworden sind (s. Abbildung 2 der PDF-Version). Dies bedeutet, dass der moderne Mensch seit Beginn dieses Zeitraums auf einer Erde zu Hause ist, deren Klima ungewöhnlich stabil gewesen ist. In diesem Zeitraum haben kleinere klimatische Schwankungen zu teilweise gravierenden sozialen Umwälzungen geführt. Die Auswirkungen des für die nächsten Jahrzehnte erwarteten deutlich stärkeren Klimawandels sind daher nur sehr schwer abzuschätzen.

Dass sich der menschengemachte Temperaturanstieg auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird, steht weitestgehend außer Zweifel. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in Zukunft ein Rekordjahr das nächste ablösen wird. Natürliche Schwankungen bleiben der allgemeinen Erwärmung überlagert, sodass durchaus von einem Jahr zum nächsten eine gewisse Abkühlung möglich bleiben wird. Insgesamt lässt sich die Situation zum Beispiel mit der generellen Temperaturentwicklung vom Winter zum Sommer hin vergleichen: Auch bei diesem Temperaturanstieg im Laufe eines halben Jahres ist nicht jeder Tag wärmer als der jeweils vorangegangene, dennoch herrscht kein Zweifel an der generellen Erwärmungstendenz.

Einhergehend mit dieser fortgesetzten globalen Erwärmung wird auch das Meereis in der Arktis weiter zurückgehen, das grönländische Eisschild wird weiter schrumpfen, der Meeresspiegel weiter ansteigen und die Permafrostböden weiter auftauen. Aufhalten ließe sich all dies nur durch einen Stopp der globalen Erwärmung. Ein solcher Stopp bzw. ein Einpendeln auf einem höheren, aber konstanten Temperaturniveau, lässt sich allerdings nur erreichen, wenn die Konzentration an Treibhausgasen wie zum Beispiel CO2 in der Atmosphäre nicht länger ansteigt. Dies ist gleichbedeutend mit einem nahezu vollständigen Verzicht auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Um die erwarteten, einschneidenden Veränderungen im arktischen Klimasystem (und auch die globalen Veränderungen) noch teilweise abwenden zu können, wären daher Maßnahmen vonnöten, die weit über die derzeit beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen hinausgehen.

Ohne derartige Maßnahmen wird aller Voraussicht nach der Arktische Ozean irgendwann im Laufe der nächsten Jahrzehnte im Sommer nahezu vollständig eisfrei sein, mit vermutlich gravierenden Auswirkungen auf die regionalen Ökosysteme und die in der Arktis lebenden Menschen. Schon heute können zum Beispiel die Bewohner an der eingangs erwähnten Westküste Grönlands ihre traditionelle Lebensweise kaum noch aufrechterhalten. Bei einem anhaltenden Rückgang des Meereises wird die winterliche Jagd mit Hundegespannen auf dem zugefrorenen Ozean unmöglich werden, traditionelle Konservierungsmethoden für Fleisch lassen sich in einem wärmeren Klima teilweise schon heute nicht mehr umsetzen. Die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels sind in der Arktis schon heute direkt spürbar - das Frühwarnsystem des Erdklimas scheint seinem Namen gerecht zu werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Vladimir Petoukhov/Vladimir A. Semenov, A link between reduced Barents-Kara sea ice and cold winter extremes over northern continents, in: Journal of Geophysical Research, 115 (2010) D21111.

  2. Aus Platzgründen können hier viele wichtige Punkte nur angerissen werden; vgl. insbes. Arctic Climate Impact Assessment (ACIA), Impacts of a Warming Arctic, Cambridge 2004, online: www.acia.uaf.edu (7.1.2011) (deutsch: Der Arktis-Klima-Report, Hamburg 2005); United Nations Environment Programme (UNEP), Global Outlook for Ice & Snow, Nairobi 2007, online: www.unep.org/geo/geo_ice (7.1.2011); World Wide Fund for Nature (WWF), Arctic Climate Impact Science - An Update Since ACIA, 2008, online: http://assets.panda.org/downloads/
    arctic_climate_impact_science_1.pdf (7.1.2011); Dirk Notz, Arktis und Antarktis im Klimawandel, in: APuZ, (2007) 47, S. 27-32.

  3. Vgl. z.B. Dirk Notz, Natürlicher Klimawandel, in: Arved Fuchs (Hrsg.), Blickpunkt Klimawandel, Bielefeld 2010.

  4. Hierzu zählen primär sichtbares Licht und ultraviolette Strahlung.

  5. Diese regelmäßig wiederkehrende leichte Abnahme der Sonneneinstrahlungen wird durch periodische Schwankungen der Erdumlaufbahn um die Sonne hervorgerufen.

  6. ppm = parts per million ("Teile pro Millionen Luftmoleküle").

  7. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt zurzeit um etwa zwei ppm pro Jahr.

  8. Vgl. Ian Alison et al., The Copenhagen Diagnosis, Sydney 2009, online: www.copenhagendiagnosis.org (7.1.2011).

  9. Ein kompletter Zusammenbruch des Nordatlantikstroms (oft ungenau als "Zusammenbruch des Golfstroms" bezeichnet) ist in absehbarer Zeit allerdings nicht zu erwarten. Vgl. Johann H. Jungclaus et al., Will Greenland melting halt the thermohaline circulation?, in: Geophysical Research Letters, 33 (2006) L17708.

  10. Albedo = Reflektionsvermögen.

  11. Vgl. Dirk Notz, The future of ice sheets and sea ice: Between reversible retreat and unstoppable loss, in: Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America, 106 (2009) 49, S. 20590-20595.

  12. Vgl. Steven C. Amstrup et al., Greenhouse gas mitigation can reduce sea-ice loss and increase polar bear persistence, in: Nature, 468 (2010) 7326, S. 955-958.

  13. Vgl. D. Notz (Anm. 11).

Ph. D. (Cambridge), geb. 1975; Leiter der Forschungsgruppe "Meereis im Erdsystem" am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Bundesstraße 53, 20146 Hamburg. E-Mail Link: dirknotz@seaice.info