Die Europäisierung der Demokratiebildung
Europäisch ausgerichtete politisch-demokratische Bildungsarbeit wird immer dringlicher. Noch konkreter sind die Anforderungen an die Vermittlungsleistung des Demokratie-Lernens, die sich angesichts des neuen Verfassungsrangs der "Unionsbürgerschaft" stellen.Einleitung
Europa wird größer ...", stellte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, kürzlich fest, "(und) mit dieser einzigartigen historischen Chance wächst gleichzeitig der Raum für demokratische Partizipationsprozesse und neue zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume. Es wachsen auch die Herausforderungen an eine verstärkt transnational ausgerichtete politische Bildungsarbeit."[1] Die Herausforderungen konkretisieren sich. Über der Präambel zum Vertrag über eine Verfassung für Europa, einer der wichtigsten Etappen des europäischen Einigungsprozesses, steht das Thukydides-Zitat: "Die Verfassung, die wir haben ... heißt Demokratie..."; demnach soll aus der größer gewordenen Union mit ihren vielen Völkern und Sprachen, ihren historischen, kulturellen, politischen, gesellschaftlichen, ethisch-religiösen Gemeinsamkeiten und Unterschieden "ein demokratisches, transparentes, effizientes und bürgerfreundliches Europa" werden.[2]
Wenn als akzeptiert gelten kann, dass für eine freiheitliche, demokratische, pluralistische Gesellschaft politische Bildungsarbeit unverzichtbar ist, der mithin die Aufgabe zukommt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung den Staatsbürgern ständig und nachhaltig zu vermitteln, dann ist die Folgerung unvermeidbar, dass diese Vermittlungsleistung auch mit Blick auf die Europäische Verfassung und Unionsbürgerschaft unverzichtbar sein muss.[3] Doch wie kann die erforderliche "transnational ausgerichtete politische Bildungsarbeit" mit Blick auf Europa vorangetrieben werden? Globalisierungsprozesse, zunehmende Internationalisierung der Bildungsinhalte und fortschreitende Integration manifestieren sich in einem wachsenden Bedarf an transnationalem Erfahrungsaustausch, direkten Begegnungen, Netzwerken und internationalen Kooperationen, deren Wert und Wirkung für die Bildungsprozesse zunehmend erkannt werden. Tatsächlich gibt es bereits Ansätze einer Europäisierung derpolitisch-demokratischen Bildungsarbeit. Doch dabei drängen sich weitere Fragen auf:
In beiden europäischen Großorganisationen wurde die Notwendigkeit zur Entwicklung und Förderung der politisch-demokratischen Bildung erkannt. Im Europarat führte dies u.a. zur Einrichtung von Programmen zur Menschenrechtserziehung, vor allem aber zur Durchführung des Großprojekts "Education for Democratic Citizenship (EDC)". In der Europäischen Union wird erkannt, dass ein identitätsstiftender Anlass besteht, doch herrschte das Nutzen- und Funktionalitätsprinzip vor, sodass lange Zeit "keine Notwendigkeit für eine den Nationalstaat übergreifende Identifizierung" gesehen wurde.[4] Doch mit der Osterweiterung, dem Kompetenzzuwachs auch in Politikbereichen, die "affektive Werte" wie Solidarität und Empathie auf europäischer Ebene voraussetzen (etwa in der Sozial-, Innen-, Kulturpolitik), und nun auch mit der Unionsbürgerschaft als (verfassungs)rechtlich normierter Sinnstiftung gilt es, europäisches Bewusstsein zu begründen und Identifikation zu ermöglichen.