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Durchführung der Wirtschaftspolitik | Staat und Wirtschaft | bpb.de

Staat und Wirtschaft Editorial Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat Akteure der Wirtschaftspolitik Ziele und Instrumente Durchführung der Wirtschaftspolitik Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft Glossar Literaturhinweise und Internetadressen Autor, Impressum

Durchführung der Wirtschaftspolitik

Hans-Jürgen Schlösser

/ 9 Minuten zu lesen

Eine elektronische Tafel zeigt den Aktienindex an einer privaten Börse in Kuala Lumpur, Malaysia. (© AP)

Einleitung

Die wichtigsten Aufgaben der wirtschaftspolitischen Planung bestehen in der Diagnose, der Prognose sowie in der Erfolgskontrolle der durchgeführten Politik. Die Diagnose prüft den Zustand der Volkswirtschaft und den bisherigen Erfolg der angestrebten wirtschaftspolitischen Ziele. Die Prognose stellt eine bedingte Vorhersage über die wirtschaftliche Entwicklung dar, insbesondere über die Wirkung geplanter wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Am Ende hat die Erfolgskontrolle die Aufgabe festzustellen, ob die Ziele erreicht oder verfehlt worden sind, und Hinweise dafür zu geben, welche Änderungen der Politik unter Umständen nötig sind. Wirtschaftspolitische Prognosen und Diagnosen werden von der Verwaltung erstellt, von Forschungsinstituten und Zentralbanken. Aufgrund der internationalen wirtschaftlichen Verflechtung werden auch internationale Prognosen, beispielsweise von der EU, der OECD und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) immer bedeutsamer.

Diagnose

Die Diagnose analysiert die bestehende ökonomische Situation und gleicht sie ab mit den zuvor gesetzten Zielen. Es handelt sich also um einen "Soll-Ist-Vergleich", der voraussetzt, dass die Ziele sowohl widerspruchsfrei als auch messbar formuliert wurden. Bei der Diagnose müssen Informationen über die wirtschaftliche Realität gesammelt und ausgewertet werden. Die wichtigste Quelle dafür stellt die amtliche Statistik dar, aber unter Umständen müssen zusätzliche Informationen durch die Verwaltung oder durch Forschungsinstitute, zum Beispiel in Form von Gutachten, beschafft werden. Derartige Informationen sind allerdings nicht kostenlos: Ihre Beschaffung ruft Kosten hervor, die zum zusätzlichen Nutzen für die Wirtschaftspolitik ins Verhältnis gesetzt werden müssen.

Abweichungen des Soll-Zustandes vom Ist-Zustand müssen erklärt werden. Für solche Erklärungen werden wirtschaftswissenschaftliche Theorien benötigt, die Aussagen über Ursachen und Wirkungen sowie über räumliche und zeitliche Anwendungsbedingungen wirtschaftspolitischer Instrumente machen. Der letzte Schritt der Diagnose besteht nun darin, diejenigen wirtschaftspolitischen Instrumente bzw. Mittel zum konkreten Handlungsziel zu identifizieren, die von der Wirtschaftspolitik dazu eingesetzt werden können, um den Zielzustand zu erreichen. Darüber hinaus soll die Diagnose auch Aufschluss darüber geben, wie man Zielverfehlungen in der Vergangenheit durch ein anderes wirtschaftspolitisches Vorgehen hätte verhindern können.

Wenn keine geeigneten wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zur Verfügung stehen oder konkurrierende Theorien vorliegen - wie im Fall der nachfrage- und angebotsorientierten Theorien in der Konjunkturpolitik -, verliert die Diagnose ihre Eindeutigkeit, und es kommt zu unterschiedlichen Erklärungsversuchen mit verschiedenen wirtschaftspolitischen Therapievorschlägen.

Prognose

Jedes Handeln, das nicht ausschließlich durch Gefühle oder Gewohnheit bestimmt ist, beruht auf Prognosen. Der Jugendliche, der eine Ausbildung beginnt,tut dies in der Hoffnung, dass er damit später eine Anstellung finden wird. Die Unternehmerin, die ihr Kapital investiert, rechnet damit, dass sich diese Investition rentiert.

Die wirtschaftspolitische Prognose hat - wie jede ökonomische Prognose - zwei Aspekte: Zunächst müssen die wirtschaftspolitischen Akteure wissen, wie sich die Lage von sich aus verändern würde, also was geschähe, wenn keine neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen würden ("Status-quo-Prognose"). Danach beschäftigt man sich mit der Frage, wie sich die wirtschaftspolitische Lage von dem Moment an verändert, in dem ausgewählte wirtschaftspolitische Maßnahmen wirken ("Wirkungsprognose"). Die Basis der Prognose bildet die Diagnose. Dabei wird angenommen, dass die Ursache-Wirkungszusammenhänge, die bei der Diagnose ermittelt worden sind, auch in Zukunft gelten. Erweist sich diese Annahme jedoch als falsch, so geht die Prognose in die Irre.

Volkswirtschaftliche Systeme sind jedoch offene Systeme, bei denen immer mit unbekannten oder unerwarteten Faktoren gerechnet werden muss. Da die Bedingungen, an die Prognosen geknüpft sind, nicht mit Gewissheit vorhergesehen werden können, sind alle Prognosen lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen und äußerst vorsichtig zu verwenden. Die Prognose kann sogar selbst die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen ("self-fulfilling prophecy"). So weisen in der Konjunkturpolitik Prognosen einen Trend zur Selbstverstärkung auf. Wenn die Prognose beispielsweise einen Niedergang der Investitionen, einen Rückgang des privaten Konsums und daher eine Rezession voraussagt, so kann dies dazu führen, dass die wirtschaftlichen Akteure aufgrund dieser pessimistischen Erwartung eine negative Grundeinstellung entwickeln und sich genauso verhalten, wie es die Prognose ankündigte.

Wegen der generellen Unsicherheit von Prognosen werden in jüngerer Zeit statt einer einzigen Prognose mehrere Prognosevarianten vorgelegt - beispielsweise eine optimistische, eine mittlere und eine pessimistische. Solche Varianten gehen bei einer Konjunkturprognose von unterschiedlichen Annahmen über die zukünftige Entwicklung der Weltkonjunktur aus: Die zukünftige Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland wird geschätzt, indem man eine hohe, eine mittlere und eine niedrige Wachstumsrate der Weltwirtschaft annimmt. Für die stark exportabhängige Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ergeben sich dann drei unterschiedliche Perspektiven; sie markieren einen Bereich der Entwicklungsmöglichkeiten, wobei letztlich die wirtschaftspolitischen Akteure entscheiden müssen, an welcher von der Wirtschaftswissenschaft vorgelegten Variante sie sich ausrichten.

Erfolgskontrolle

Effektive Wirtschaftspolitik trägt durch ihre Maßnahmen in der erwünschten Weise und imerwünschten Umfang zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele bei. Zusätzlich ist Wirtschaftspolitik effizient, wenn sie genau jene Maßnahmen ergriffen hat, durch welche sie ihre Ziele mit den geringsten Kosten erreichen konnte.

Die Überprüfung der Wirtschaftspolitik auf Effektivität und Effizienz ist Aufgabe der Erfolgskontrolle. Sie dient dazu, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu korrigieren oder durch andere Maßnahmen zu ersetzen. Die begleitende Erfolgskontrolle versucht dabei, Abweichungen von den erwünschten Wirkungen der Maßnahmen möglichst frühzeitig festzustellen. Sie bedeutet den fortwährenden Vergleich der Soll- mit den Ist-Werten bereits während der Durchführung der Politik.

Wird die Erfolgskontrolle von den Trägern der Politik selbst durchgeführt, so handelt es sich um eine interne Kontrolle. Sie hat den Vorteil, dass die Träger der Wirtschaftspolitik, beispielsweise das Finanz- oder das Wirtschaftsministerium oder die Zentralbank, besonders gut über den eigenen Bereich Bescheid wissen und daher zu einer besonders gründlichen Kontrolle fähig sind. Da sie allerdings selbst die Abweichungen des Soll- vom Ist-Zustand zu vertreten haben, kann dies dazu führen, dass Zielverfehlungen verschwiegen oder bagatellisiert werden.

Daher wird in vielen Fällen eine externe Kontrolle vorgezogen. Hierfür kommen beispielsweise wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute und Universitäten in Frage. Einer solchen externen Kontrolle durch unabhängige Forschungsinstitute wurden beispielsweise 2006 die Hartz-Reformen unterzogen. Externe Erfolgskontrolle wird allerdings schwierig, wenn Regierung und Verwaltung Informationen zurückhalten.

Auch Interessenorganisationen kontrollieren den Erfolg der Wirtschaftspolitik, allerdings beurteilen sie die ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf ihre eigenen Interessen. Die parlamentarische Opposition, die Rechnungshöfe und nicht zuletzt die Wirtschaftspresse eignen sich ebenfalls für die externe Kontrolle, weil sie die Wirtschaftspolitik kontinuierlich kritisch beobachten.

Regeln und freies Ermessen

Angesichts der vielen Unsicherheiten und Schwächen, mit denen Diagnose und Wirkungsprognose behaftet sind, stellt sich die Frage, ob eine Wirtschaftspolitik mit großen Ermessensspielräumen und zahlreichen Einzeleingriffen nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Fallweise Eingriffe sind mit Risiken verbunden, da sich oft nur schwer vorhersagen lässt, ob und mit welchen zeitlichen Verzögerungen sie sich auswirken. Große Ermessensspielräume können zu wirtschaftspolitischem Aktivismus und zu Lavieren um des kurzfristigen Erfolges Willen verleiten sowie den Einfluss von Interessenverbänden erhöhen. Diese Argumente sprechen gegen große Ermessensspielräume, aber sie lassen sich zum Teil genauso gut gegen Einschränkungen und feste Regeln anführen, denn diese setzen voraus, dass die angenommenen Zusammenhänge allgemein bekannt sind und auch in der Zukunft gelten.

Beim jetzigen Stand des wirtschaftspolitischen Wissens kann wegen der Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse nicht auf Ermessensspielräume verzichtet werden. Fallweise Eingriffe erfordern wegen der mit ihnen verbundenen Nachteile und Risiken sorgfältige Abwägung und - wo es möglich ist - sollten ihnen Regelbindungen vorgezogen werden.

Ordnungs- und Prozesspolitik

In Deutschland wird häufig zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik unterschieden. Die Ordnungspolitik zielt auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung ab, also auf die "Spielregeln", nach welchen ökonomisch gehandelt wird. Prozesspolitik dagegen bedeutet, dass der Staat nicht allein die Regeln festlegt, sondern fallweise in die wirtschaftlichen Abläufe eingreift. Daher steht die Unterscheidung zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik in einem engen Zusammenhang mit der Diskussion um Regeln und freies Ermessen. Liberale Kritiker der Wirtschaftspolitik, die davon überzeugt sind, dass die Marktwirtschaft von allein zu einem stabilen Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung findet, lehnen prozesspolitische Interventionen ab, weil solche punktuellen Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf ihrer Ansicht nach ihre Ziele nicht erreichen und die Volkswirtschaft nur destabilisieren.

Ordnungspolitik hat den Vorteil, dass der Staat nur den "Rahmen" setzen muss, ohne immer wieder in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen. Allerdings lassen sich bestimmte wirtschaftspolitische Probleme, beispielsweise Konjunkturschwankungen, nach Auffassung vieler Wirtschaftspolitiker nicht allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen bewältigen. Sie argumentieren, dass es nicht zweckmäßig sei, prozesspolitische Instrumente ungenutzt zu lassen, wenn man durch ihren Einsatz Konjunktur- und Strukturkrisen vermeiden oder abmildern kann. Daher finden wir in der deutschen Wirtschaftspolitik sowohl Ordnungs- als auch Prozesspolitik vor.

Ordnungspolitische Maßnahmen

Der Gegenstand der Ordnungspolitik ist die Gestaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung. Ordnungspolitische Maßnahmen bestimmen die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns, sie werden nur in großen Zeitabständen ergriffen. Ordnungspolitische Entscheidungen haben häufig Verfassungsrang. Ein Beispiel dafür stellt in Deutschland die Tarifautonomie dar, die im Grundgesetz verankert ist und zur Arbeitsmarktordnungspolitik gehört. Tarifautonomie bedeutet, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Tarifverträge im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze frei von Interventionen der Regierung aushandeln können. Ein weiteres Beispiel für ordnungspolitische Festlegungen sind die Kompetenzen der Zentralbank, insbesondere ihr Verhältnis zur Regierung.

Die Wirtschaftsordnung wird bestimmt von

  • Rahmen setzenden Rechtsregeln, besonders denen der Verfassung, und

  • sozialen Normen, wie beispielsweise der Zahlungsmoral.

Im Einzelnen geht es bei der Ordnungspolitik darum, die Handlungen der einzelnen arbeitsteilig tätigen Wirtschaftssubjekte zu koordinieren, ökonomische Entscheidungsbefugnisse zuzuordnen und die sachgemäße Verwendung der Produktionsmittel - zum Beispiel Maschinen und Gebäude - zu kontrollieren.

In der Realität finden wir niemals "reine" Formen von Wirtschaftssystemen vor. Stattdessen treten gemischte Systeme mit verschiedenartigen - oft auch widersprüchlichen - Elementen auf. Die jeweils vorherrschenden Elemente werden konstitutive Systemelemente genannt. Sie liefern Unterscheidungskriterien für die Analyse von Wirtschaftsordnungen:

  • Wo liegt die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel - bei den Betrieben, Haushalten, bei Gruppen, zum Beispiel Genossenschaften, oder bei den staatlichen Instanzen?

  • Wie erfolgt die Koordination der wirtschaftlichen Handlungen - über Märkte, durch Gruppenverhandlungen, über Verträge oder durch Plananweisungen?

Modellhafte Klassifikation idealtypischer Wirtschaftssysteme

In der Sozialen Marktwirtschaft liegt die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel im Wesentlichen bei den Betrieben, welche sich wiederum in der Regel in Privatbesitz befinden. Genossenschaften spielen hauptsächlich in der Landwirtschaft eine größere Rolle. Die Koordination erfolgt über Märkte, über Verträge und in geringerem Umfang über Gruppenverhandlungen. In der zentralen Verwaltungswirtschaft (kommunistische Planwirtschaft) dagegen haben staatliche Instanzen die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, allerdings kommt in der Landwirtschaft den Genossenschaften eine größere Bedeutung zu. Die Koordination der wirtschaftlichen Handlungen erfolgt durch Plananweisungen.

QuellentextZentrale (Fehl-)Steuerung der Wirtschaft

[...] Die zentral geplante Strukturpolitik sollte der DDR Krisenfreiheit und Wohlstand bringen, den Staat im Innern befrieden und gegenüber äußeren Gegnern stärken. Diese Ziele glaubte sie durch die Effizienz des eigenen Wirtschaftssystems erreichen zu können, das nach Überzeugung der SED-Führung die überlegene Innovationsfähigkeit, die optimale Zusammensetzung der Produktionsfaktoren, die kontinuierliche Produktion und die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums garantierte.
Die Daten über die Entwicklung der Investitionen und der Beschäftigten- und Produktionsstruktur, wie auch die (interne) Kritik der DDR-Wirtschaftswissenschaftler an der volkswirtschaftlichen Unterspezialisierung, dem zu hohen Energie- und Materialverbrauch, der nicht bedarfsgerechten Güterstruktur und der Konzentration der Investitionen auf wechselnde Entwicklungsschwerpunkte bei gleichzeitiger Vernachlässigung der restlichen Bereiche zeigten aber, daß die Innovationsfähigkeit gering und die Zusammensetzung der Produktionsfaktoren nicht optimal waren. Daher konnten weder der angestrebte Wohlstand noch die innere und äußere Sicherheit erreicht werden. Die Führungen der DDR und der anderen sozialistischen Länder behaupteten zwar, ihr Wirtschaftssystem sei dem kapitalistischen überlegen; doch der Leistungsvergleich fiel immer deutlicher zugunsten der westlichen Industrieländer aus.
Die DDR-Wirtschaft blieb in ihrer strukturellen Entwicklung hinter den westlichen Industrieländern zurück. Sie vermochte sich nicht von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft zu wandeln. [...] In den 80er Jahren schließlich gerieten alle Planwirtschaften sozialistischen Typs in eine Krise, deren Merkmale überall die gleichen waren: sinkende Zuwachsraten des Sozialprodukts, abnehmende Kapital- und Arbeitsproduktivität, niedrige Investitionsraten, Verschlechterung der terms of trade im Westhandel und in fast allen RGW-Ländern wachsende Verschuldung gegenüber den OECD-Staaten.
[...] In allen sozialistischen Staaten behinderte die zentrale Steuerung von Entscheidungen und Informationen die Innovationsfähigkeit. Das Preissystem verhinderte überall eine ökonomisch effiziente Strukturpolitik, denn trotz aller Reformversuche gelang es nirgends, den "gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand" durch die Preise zu erfassen; die zentral festgesetzten Preise vermittelten in keinem Land zutreffende Informationen über die Knappheitsverhältnisse, und mangels gesamtwirtschaftlicher Rentabilitätskriterien war deshalb die Konzentration der Investitionen auf die effizientesten Sektoren, Zweige und Produkte nirgends möglich. Eine Ökonomisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den RGW-Ländern scheiterte an den gleichen Systemdefekten: Da ökonomisch begründete Preise fehlten, prägte der bilaterale Tausch von Produkten den Außenhandel, und die Staaten verhinderten eine multinationale Strukturpolitik u.a. auch, weil deren ökonomischer Nutzen nicht quantifizierbar war und damit nicht in ihrem Interesse liegend erschien. [...]

Siegfried Kupper,"Ziele und Folgen des zentralgelenkten sektoralen und regionalen Strukturwandels in der DDR-Planwirtschaft", in: Eberhard Kuhrt u.a. (Hg.), Die Endzeit der DDR-Wirtschaft, Opladen 1999, S. 136f.

Dem deutschen Ökonomen Walter Eucken zufolge betrifft die Ordnungspolitik nicht nur die allgemeinen, für die gesamte Volkswirtschaft gültigen Regeln, wie zum Beispiel den Schutz des Privateigentums bzw. dessen soziale Verpflichtung. Ordnungspolitik muss auch die Rahmenbedingungen prägen, die in speziellen Bereichen der Wirtschaft gelten, zum Beispiel in bestimmten Sektoren wie Landwirtschaft, Energie oder Verkehr. Die Ordnungspolitik hat Leitbildfunktion. Wenn sie diese verliert und in den einzelnen Bereichen unüberlegt entschieden wird, kommt es zu willkürlichen Interventionen, zu Orientierungsverlust, Koordinationsmängeln und Ineffizienz.

Prozesspolitische Eingriffe

Eine Volkswirtschaft, in welcher der Staat sich nicht darauf beschränkt, Regeln zu setzen, sondern in die Wirtschaftsabläufe eingreift, wird als interventionistische Marktwirtschaft bezeichnet. Gründe dafür, dass tatsächlich alle Marktwirtschaften mehr oder weniger interventionistisch sind, können einerseits in fallweisem Marktversagen liegen, insbesondere aber darin, dass die Regierung aus unterschiedlichen Motiven - Wille zur aktiven Gestaltung der Volkswirtschaft, Wunsch der Wiederwahl - an der Beeinflussung der Wirtschaftsprozesse interessiert ist.

Das Hauptbuch der Nation

Prozesspolitische Eingriffe werden, anders als ordnungspolitische Maßnahmen, häufig vorgenommen. Sie verändern die ökonomischen Prozesse direkt, und es werden Instrumente eingesetzt, deren Wirkungen sich statistisch erfassen lassen. Zu den Instrumenten der Prozesspolitik gehören die Staatsausgaben, die Steuersätze, Subventionen und die Leitzinsen der Zentralbank. Mit dem Einsatz ihrer prozesspolitischen Instrumente zielen die Träger der Wirtschaftspolitik darauf ab, die wirtschaftliche Aktivität anzuregen oder zu dämpfen, je nachdem, ob die wirtschaftspolitische Gesamtsituation eher eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder der Inflation erfordert.

Im Gegensatz zur langfristig ausgerichteten Ordnungspolitik ist Prozesspolitik kurzfristig angelegt. Beide müssen aber im Zusammenhang gesehen werden, denn eine Prozesspolitik, die gegen die Prinzipien der Wirtschaftsordnung verstößt, zerstört diese letztlich. Die Ordnungspolitik fällt Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung des Wirtschaftssystems (zum Beispiel zugunsten einer zentralen Lenkung oder zugunsten freien Wettbewerbs). Die Prozesspolitik baut darauf auf, sie übernimmt kurzfristige Steuerungsaufgaben.

Dr. rer. pol. M. Sc. (LSE), Jahrgang 1952, ist Universitätsprofessor für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Siegen und Leiter des Zentrums für ökonomische Bildung Siegen (ZöBiS). Seine Arbeitsschwerpunkte sind theoretische und empirische Forschungen zur ökonomischen Bildung, das Menschenbild der Ökonomie sowie Ordnungs- und Wettbewerbspolitik. Hans Jürgen Schlösser hat Volkswirtschaftslehre, Erziehungswissenschaft und Philosophie an der Universität Münster, dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an der London School of Economics studiert. Vor seiner Berufung an die Universität Siegen hielt er Professuren an der TU Chemnitz und an der Universität Koblenz-Landau.

Kontakt: schloesser@wid.wiwi.uni-siegen.de