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Kirchen in Deutschland | Kirche in Deutschland | bpb.de

Kirche in Deutschland Editorial Kirche und ich: Sechs Standpunkte Verantwortung in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft Nichtreligiösität als Normalfall Berufen um der Menschen willen Kein "weißer Jesus"! Gemeinde als einladender, sicherer Raum Zwiegespalten Kirchen in Deutschland. Ein historischer Abriss Pluralisierung – Säkularisierung – Europäisierung. Dynamiken im Verhältnis von Staat und Kirche Für Schuld und Versagen Verantwortung übernehmen. Sexueller Kindesmissbrauch in der evangelischen und katholischen Kirche Gehorsam und Gewissen. Eine erste Bilanz des Synodalen Wegs Die Finanzierung der Kirchen in Deutschland. Gegenstand und Faktor kirchlicher Freiheit Sakralraumtransformation. Überlegungen zur Umnutzung von Kirchenbauten

Kirchen in Deutschland Ein historischer Abriss

Wolfram Kinzig

/ 18 Minuten zu lesen

Seit der Reformation prägen die katholische und die evangelische Kirche das konfessionelle Bild in Deutschland. Beide Kirchen stehen in einem Zweckverhältnis zu den staatlichen Strukturen.

Im Master-Studiengang "Ecumenical Studies" der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, an der ich Kirchengeschichte lehre, können Studierende aus der ganzen Welt etwas über die Vielfalt der Konfessionen und die Geschichte und Praxis der ökumenischen Bewegung erfahren. Wir beginnen das Studienjahr immer mit einer Einführung in die Kirchen in Deutschland – und ernten jedes Mal ungläubiges Kopfschütteln: Wie kann es sein, dass evangelische Christen in diesem Land ihre Konfession nicht selbst wählen können, sondern es von ihrem Wohnsitz abhängt, ob sie lutherisch, reformiert oder uniert sind? Studierende aus Ländern mit strenger Trennung von Staat und Kirche wundern sich außerdem darüber, warum man mit Taufe und erstem eigenem Einkommen kirchensteuerpflichtig wird und wieso der Staat diese Kirchensteuern einzieht, um sie dann der Kirche zu übergeben.

Entstehung des Kirchensystems

Um die Besonderheiten des kirchlichen Systems in Deutschland zu verstehen, muss man mehrere Jahrhunderte zurückgehen. Im Spätmittelalter war das Heilige Römische Reich durch das Erstarken von Partikulargewalten (zum Beispiel Reichsfürsten, Freie Reichsstädte) bei gleichzeitiger Schwächung der Zentralgewalt (Kaiser) faktisch in eine Vielzahl von Territorien zerfallen, die weitgehend eigenständig regiert wurden. Der territoriale Partikularismus verschärfte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts durch die eingetretene konfessionelle Zersplitterung. Nunmehr gab es neben den "Altgläubigen" (Katholiken) Lutheraner und Calvinisten (letztere auch "Reformierte" genannt) sowie eine Reihe von kleineren konfessionellen Gruppen. Die Fürsten orientierten sich in ihrer Politik unter anderem an der Konfession, der sie selbst anhingen.

(© Ingenieurbüro für Kartografie Dr. H.-J. Kämmer, Berlin)

Nachdem der Versuch der protestantischen Fürsten, die Reformation im gesamten Reich durchzusetzen, im Schmalkaldischen Krieg (1546–1547) endgültig gescheitert war, wurde schließlich im Augsburger Reichsabschied (auch Augsburger Religionsfrieden genannt) von 1555 die konfessionelle Spaltung Deutschlands in Katholiken und Lutheraner durch die Einführung des landesherrlichen Kirchenregiments zementiert (siehe Karte): Seither war im Wesentlichen das Bekenntnis der Fürsten für die Konfession ihrer Untertanen gemäß dem Prinzip "cuius regio eius religio" ausschlaggebend. Religionsausübung wurde also noch nicht – wie im Gefolge des Pietismus und der Aufklärung üblich – als Herzens- oder Privatsache verstanden. Sie war vielmehr ein öffentlicher Akt, der entsprechenden rechtlichen Regelungen unterlag, die sich nunmehr im Rahmen des Religionsfriedens bewegen mussten. Dieses System wurde im Westfälischen Frieden von 1648 festgeschrieben, indem man die konfessionellen Grenzen im Reich unter Berücksichtigung auch der Reformierten endgültig fixierte. In den protestantischen Territorien war dabei nach dem Wegfall des traditionellen Kirchensystems der Fürst gleichzeitig der oberste Bischof (summus episcopus), dem die cura religionis, die Fürsorge für die jeweilige Landeskirche, oblag. In den katholischen Gebieten wurde die Kirche dagegen weiterhin in einem komplizierten Miteinander von Fürst, Episkopat und Papst regiert.

Trotz aller politischen Umwälzungen und der grundlegenden territorialen Neuordnung, wie sie die napoleonische Herrschaft mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806, der Wiener Kongress 1814/15 und die Gründung des Deutschen Reiches 1871 mit sich brachten, änderte sich an diesem rechtlichen Zustand nur wenig. Er blieb bis zum Zusammenbruch des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg und der Einführung der Weimarer Reichsverfassung im Jahre 1919 weitgehend bestehen.

Allerdings wurde die konfessionelle Landkarte im 19. Jahrhundert noch unübersichtlicher: In einigen deutschen Staaten – entscheidend angestoßen durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. – wurden Unionen zwischen Reformierten und Lutheranern eingeführt, die sich aber nicht in ganz Deutschland durchsetzen konnten. Sie reichten von der reinen Verwaltungsunion, bei der Lutheraner und Reformierte durch eine gemeinsame Administration geleitet wurden, aber ansonsten ihre je eigenen gottesdienstlichen Formen und Bekenntnisse behielten (etwa in der Lippischen Landeskirche), bis hin zur Konsensus- oder Bekenntnisunion, die sich auf ein gemeinsames Glaubensdokument stützte (etwa in der Pfalz und in Baden). So sind derzeit 10 der 20 Kirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland in der einen oder anderen Weise uniert. Faktisch entstand dadurch eine dritte, in der Praxis recht diffuse protestantische Konfession.

Mehr noch: Mancherorts regte sich Widerstand gegen die Theologie der Aufklärung und die meist von oben verordneten Unionen. Es kam zu Abspaltungen, von denen heute die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen (EAK) und die Altlutheraner in Form der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) sowie kleinere Sonderkonfessionen noch existieren.

Während sich der strukturelle Rahmen des landesherrlichen Kirchenregiments auf protestantischer Seite wenig änderte, führten der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und der Wiener Kongress zu massiven Verschiebungen und Verlusten vor allem auf katholischer Seite. Im Zuge der sogenannten Säkularisation wurden die Fürstbistümer, in denen ein Bischof als Landesherr regierte, und die Fürstabteien abgeschafft, was einen einschneidenden Vermögensverlust zur Folge hatte. Hinzu kamen erhebliche kulturelle Zerstörungen durch Umwidmung oder Abriss von Kirchen- und Klostergebäuden sowie Zweckentfremdung und Verschleuderung von kirchlichem Eigentum. Außerdem verloren die Bischöfe dadurch politischen Einfluss im Reichstag und den politischen Vertretungen der einzelnen deutschen Staaten.

Alles zusammengenommen hatte diese Entwicklung eine erhebliche Schwächung des Katholizismus in Deutschland zur Folge, die durch die Dominanz des überwiegend evangelischen Preußen im 19. Jahrhundert verstärkt wurde. Im sogenannten Kulturkampf versuchten die deutschen Staaten seit den 1860er Jahren den katholischen Einfluss generell und vor allem die Rom-Bindung des Episkopats zu beschränken. Diese Politik erwies sich als schwerer politischer Fehler und wurde in den 1880er Jahren aufgegeben, hatte aber unter anderem zur Folge, dass sich der Katholizismus in Form der Zentrumspartei politisch organisierte. Abgesehen davon waren die Katholiken in Deutschland durch die konservative Theologie der Päpste, die im Unfehlbarkeitsdogma auf dem I. Vatikanischen Konzil 1869/70 gipfelte, einer inneren Zerreißprobe ausgesetzt. Sie führte in den Jahren nach dem Konzil zur Abspaltung der Alt-katholischen Kirche, einer Episkopalkirche mit Frauenordination, die heute mit der anglikanischen Kirchenfamilie in Gemeinschaft steht.

Weimarer Republik und Nationalsozialismus

In der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) kam das landesherrliche Kirchenregiment an sein Ende. In Artikel 137 wurde ausdrücklich festgelegt: "Es besteht keine Staatskirche." Die Kirchen galten nunmehr als "Religionsgesellschaften" und unterlagen damit im Prinzip dem Vereinsrecht (Art. 124). Dennoch gab es eine Reihe von Sonderregelungen, die in den Artikeln 135–141 in einem eigenen Abschnitt "Religion und Religionsgesellschaften" festgehalten wurden. Hierzu gehörten unter anderem:

  • die Verfassung der Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 137)

  • die Freiheit der Selbstverwaltung (Art. 137)

  • die Zusage der Glaubens- und der Gewissensfreiheit und das Recht zur ungestörten Religionsausübung unter Beteiligung der Religionsgesellschaften, auch im Heer, in Krankenhäusern, Gefängnissen und sonstigen öffentlichen Anstalten (Art. 135; 137; 140; 141)

  • die strikte Trennung von Religionszugehörigkeit und Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie Zulassung zu öffentlichen Ämtern (Art. 136)

  • das Recht zur Erhebung von Kirchensteuer (Art. 137)

  • das Recht auf Eigentum (Art. 138)

  • der Schutz des Sonntags und der staatlich anerkannten Feiertage (Art. 139).

Der Religionsunterricht wurde an allen Schulen – mit Ausnahme der "bekenntnisfreien Schulen" – als ordentliches Lehrfach "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft" unter Aufsicht des Staates eingeführt. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen blieben erhalten (Art. 149). Darüber hinaus erhielten die Religionsgesellschaften weiterhin Staatsleistungen, sofern sie hierauf durch Gesetz, Vertrag oder besondere Rechtstitel einen Anspruch hatten (Art. 138, 173). Sie ergaben sich unter anderem aus den Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, denen zufolge den Kirchen für die entstandenen Verluste Ausgleichszahlungen zugesichert wurden. Die Ablösung dieser Zahlungen ist bis heute nicht gelungen. Die Artikel 136–139 und 141 der Weimarer Verfassung wurden 1949 in das Grundgesetz übernommen (Art. 140 GG).

Der katholischen Kirche gelang es durch die neuen gesetzlichen Regelungen sowie durch eine geschickte Kirchenpolitik, ihre Selbstständigkeit zu behaupten und weiter auszubauen. Die rechtliche Sicherung der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich wurde durch eine Reihe von Länderkonkordaten, vor allem aber durch das Reichskonkordat im Sommer 1933 besiegelt, das bereits in die Zeit des Nationalsozialismus fiel.

Die mittlerweile eingetretenen politischen Veränderungen warfen indessen neue Probleme auf. Eugenio Pacelli, der als päpstlicher Nuntius und Kardinalstaatssekretär die Konkordate ausgehandelt hatte, blieb als Papst Pius XII. (1939–1958) in seiner äußeren Haltung zum NS-Regime umstritten. Dies darf aber nicht isoliert gesehen werden: Manche Bischöfe, allen voran der "Löwe von Münster", Clemens August Graf von Galen, nutzten die erreichten Spielräume, um nachdrücklich gegen Maßnahmen des NS-Regimes zu protestieren. Der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber entwarf die Enzyklika "Mit brennender Sorge" (1937), in der Pius XI. (1922–1939) gegen die Machthaber in Deutschland seine Stimme erhob.

Die evangelischen Landeskirchen sahen in der Weimarer Republik den kirchenpolitischen Entwicklungen zeitweise hilflos zu oder versuchten, in herkömmlicher Weise mit dem Staat zu paktieren. Zwar kam es zu einer Reihe von Kirchenverträgen zwischen mehreren evangelischen Landeskirchen und den deutschen Ländern, die – wie die katholischen Konkordate – bis heute Gültigkeit haben. Gleichzeitig begaben sich die evangelischen Kirchen aber in mehr oder weniger starke Abhängigkeit von den jeweils herrschenden politischen Mächten. Auf institutioneller Ebene gipfelte dies schließlich in der weitgehenden Unfähigkeit, dem nationalsozialistischen Gewaltstaat wirkungsvollen Widerstand zu leisten. Der oppositionellen "Bekennenden Kirche" fehlten der Mut, die organisatorischen Möglichkeiten und der aktive Rückhalt in der Bevölkerung, um der Mitwirkungs- und Anpassungsstrategie der NS-treuen "Deutschen Christen" Einhalt zu gebieten oder der systematischen Ermordung von Jüdinnen und Juden wirkungsvoll entgegenzutreten. Öffentliche Proteste, etwa durch die Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz oder den in Buchenwald hingerichteten Pfarrer Paul Schneider, oder gar die Mitwirkung an Attentats- und Umsturzplänen, wie etwa durch Dietrich Bonhoeffer, blieben die Ausnahme.

Schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde darüber hinaus in den evangelischen Kirchen stärker als im Katholizismus ein Entkirchlichungs-, ja Entchristianisierungsprozess erkennbar. Er lässt sich nicht nur an einer bis dahin unbekannten Distanz zur Institution Kirche, sondern auch an der steigenden Popularität atheistischer Positionen ablesen, die häufig sozialphilosophisch oder naturwissenschaftlich begründet wurden. Am drastischsten war die Situation in Berlin: Hier nahmen um 1850 lediglich etwa 16 Prozent der evangelischen Christen am Abendmahl teil. Als 1874 in Preußen die Zivilehe eingeführt wurde, fiel die kirchliche Trauung bei den verheirateten Paaren auf 20 Prozent; auch wurde nur noch die Hälfte der Kinder getauft.

Die Gründe für diesen zunehmenden Säkularisierungsprozess, der heute vielfach als Konsequenz der Aufklärung gesehen wird, sind vielschichtig. Hierzu zählen im 19. Jahrhundert neben Kostengründen (Gebühren für die Kasualien Taufe, Trauung und Bestattung) auch politische Faktoren. So löste die Nähe der Kirchen zu restaurativen und antiliberalen Kreisen innerhalb der Obrigkeiten insbesondere unter der Arbeiterschaft antikirchliche Reaktionen aus. Auch zeigte die Verelendung der Arbeiterschaft infolge der ungezügelten Industrialisierung ihre Wirkung: So vermochten die Kirchen auf die "soziale Frage" nur unzureichende Antworten zu geben. Zugleich erschütterten Erkenntnisse in Theologie und Philosophie die Gewissheit in die historische Zuverlässigkeit der biblischen Schriften, und neue naturwissenschaftliche Einsichten – vor allem die Entstehung des Darwinismus – stellten die jahrhundertealten christlichen Erklärungsmuster für den Ursprung von Welt und Mensch infrage.

Struktur- und Orientierungsfragen nach 1945

Der seit 1919 gehegte, aber in der Weimarer Republik nie verwirklichte Plan zur Bildung einer evangelischen Nationalkirche wurde 1933 völlig diskreditiert, als die Nationalsozialisten die Wahlen zu einer ersten Nationalsynode nutzten, um die Landeskirchen weitgehend gleichzuschalten. Nach 1945 wurde der Plan nicht wieder aufgenommen. Stattdessen knüpfte man an das alte landeskirchliche System an, das nunmehr durch einen Zusammenschluss auf nationaler Ebene, die "Evangelische Kirche in Deutschland" (EKD), überwölbt wurde, der in seinem kirchlichen Selbstverständnis bis heute nicht endgültig geklärt ist. Damit wurde die konfessionelle und territoriale Zersplitterung der evangelischen Landeskirchen nicht überwunden.

Die staatskirchenrechtlichen Entwicklungen in der DDR führten 1969 unter dem Druck der Verhältnisse zur Gründung des "Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR" (BEK) und somit zur faktischen Abspaltung der Kirchen in Ostdeutschland von der EKD. Nach der Wiedervereinigung löste sich der BEK 1991 auf, und die alten Verhältnisse wurden wiederhergestellt. Freilich hatten die Bemühungen um Entkirchlichung im real existierenden Sozialismus in der Bevölkerung tiefe Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken.

In neuerer Zeit sind in den evangelischen Kirchen zunehmende Anzeichen dafür zu entdecken, dass man sich auf theologischer wie auf administrativer Ebene auf Gemeinsamkeiten besinnt. Schon seit den 1960er Jahren hatte es Bemühungen gegeben, in Lehrfragen zwischen den evangelischen Kirchen lutherischer und reformierter Tradition Übereinstimmung zu erzielen. Parallel dazu verpflichteten sich zahlreiche lutherische und reformierte Kirchen aus ganz Europa 1973 in Leuenberg bei Basel zur gegenseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft ("Leuenberger Konkordie"). Daraus entstand die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) mit derzeit 95 Mitgliedskirchen. Die lehrmäßigen Differenzen zwischen den Kirchen der Reformation dürfen seither als weitgehend überwunden gelten.

Diese Rückbesinnung auf die reformatorischen Grundlagen bei gleichzeitiger theologischer Weiterarbeit, aber auch zunehmende finanzielle Probleme führten in Deutschland schließlich 2003 zur Entstehung der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der EKD mit derzeit 12 Mitgliedskirchen. Ihre Grundordnung basiert auf einem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums und der Sakramente von Taufe und Abendmahl, weshalb sich die UEK – unbeschadet der fortdauernden kirchlichen Selbstständigkeit ihrer Mitglieder – als Kirche versteht und eine weitergehende Einheit der EKD anstrebt.

Ob es dazu kommt, ist derzeit noch offen. Nicht zuletzt hat die verwirrende Zahl von Zusammenschlüssen auf unterschiedlichen Ebenen eine Kirchenbürokratie hervorgebracht, die ein erhebliches Beharrungsvermögen aufweist. Erste Anzeichen für eine Konzentration der Kräfte gab es etwa durch die Zusammenschlüsse der Kirchen in Berlin-Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz 2004, der (unierten) Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen 2009 und dreier norddeutscher Kirchen 2012.

Auf katholischer Seite steht der Fülle der evangelischen Kirchen ein weitgehend zentralistisches System gegenüber: Die 27 deutschen Bistümer sind in sieben Kirchenprovinzen gegliedert, mit den Erzdiözesen Bamberg, Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln, München und Freising sowie Paderborn. Ihre Struktur ist durch das weltweit gültige Gesetzbuch der römisch-katholischen Kirche, den "Codex Iuris Canonici" (CIC) von 1983, geordnet. Als nationales Koordinationsgremium fungiert seit 1965 die Deutsche Bischofskonferenz, die laut Statut "zum Studium und zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur notwendigen Koordinierung der kirchlichen Arbeit und zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Pflege der Verbindung zu anderen Bischofskonferenzen" dient. Ihr steht das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zur Seite, was sich gemäß Satzung als "Zusammenschluss von Vertreterinnen und Vertretern der Diözesanräte und der katholischen Verbände sowie von Institutionen des Laienapostolats und von weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft" versteht. Kirchenrechtlich kommt dem ZdK allerdings lediglich eine beratende Funktion zu.

Da die ostdeutschen Bischöfe nach dem Mauerbau nicht mehr an der Bischofskonferenz teilnehmen konnten, gab es in der DDR zeitweise eine separate "Berliner Ordinarienkonferenz" (seit 1976 "Berliner Bischofskonferenz"); 1990 vereinigten sich beide Gremien wieder.

Die Spannungen zwischen nationalkirchlichen und ultramontanen, also nach Rom ausgerichteten Tendenzen innerhalb des deutschen Katholizismus, die im 19. Jahrhundert die Beziehungen zu den deutschen Staaten erheblich belasteten, sind zwar nicht völlig verschwunden, aber doch deutlich abgeklungen. Gleichwohl muss man sich klar machen, dass die katholische Kirche seit jeher in viel stärkerem Maße supranational und global denkt als der Protestantismus. Insofern wird die Lage im deutschen Katholizismus oft durch Entwicklungen beeinflusst, die außerhalb der Landesgrenze ihren Ursprung haben.

Auch das II. Vatikanische Konzil (1962–1965) reagierte auf globale Entwicklungen. Seine Einsichten und Ergebnisse hatten Auswirkungen auf die gesamte katholische Christenheit. In den Beschlüssen dieses Konzils wurde eine deutliche, so bisher nicht dagewesene Öffnung der katholischen Kirche zur Welt und zu den Chancen und Herausforderungen der modernen Zeit vollzogen.

Für das Gros der Katholikinnen und Katholiken machte sich dies etwa durch die Liturgiereform bemerkbar. In deren Folge wurde die lateinische Messe weitgehend abgeschafft und die jeweilige Landessprache im Gottesdienst eingeführt. Die Reform brachte eine Abkehr vom Hochaltar und die Einführung des freistehenden "Volksaltars" mit sich, an dem der Priester nunmehr die Messe zu den Gottesdienstbesuchern hingewandt zelebriert. Dadurch soll der Gemeinschaftscharakter stärker hervortreten. Außerdem wurde die Mitsprache von Laien gestärkt. Sie konnten nun in den neu eingerichteten (beratenden) Pfarrgemeinderäten und verstärkt auf anderen Ebenen der Kirchenadministration mitwirken, wodurch auch der Einfluss des ZdK zunahm. Darüber hinaus entspannte sich das Verhältnis zu den anderen Konfessionen und Religionen zunächst merklich, insbesondere zum Judentum.

Diese Aufbruchsstimmung wurde indessen noch während der Amtszeit Papst Pauls VI. (1963–1978) durch weithin als konservativ empfundene Maßnahmen gedämpft. Dieser Trend sollte sich unter Pauls Nachfolgern Johannes Paul II. (1978–2005) und Benedikt XVI. (2005–2013) noch verstärken. Hierzu zählten unter anderem offizielle Verlautbarungen wie die Enzyklika Humanae Vitae (1968) Pauls VI., in der die Empfängnisverhütung durch Kontrazeptiva ("Pille") und jede Form von Abtreibung abgelehnt wurden. Diese Lehre bekräftigte Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium Vitae (1995). Ebenso führte und führt die Besetzung von Bischofsstühlen mit konservativen Kirchenführern – wie etwa in Köln in den Jahren 1988 und 2014 – zu erheblichen Auseinandersetzungen in den betroffenen Diözesen. Schließlich sorgte die Wiederzulassung der lateinischen Messe in Ausnahmefällen nach dem Messbuch von 1962 durch Benedikt XVI. 2007 für erhebliche Unruhe unter deutschen Katholiken. Die damit einhergehende Wiederzulassung der Karfreitagsliturgie mit der problematischen "Fürbitte für die Juden" (die 2008 überarbeitet wurde, aber umstritten blieb) trübte zudem das Verhältnis zum Judentum wieder ein.

Das katholisch-jüdische Verhältnis wurde Anfang 2009 einer weiteren Belastungsprobe unterzogen, als Benedikt XVI. die auch in Deutschland vertretene Priesterbruderschaft St. Pius X., deren Bischöfe 1988 exkommuniziert worden waren, wieder in die Sakramentsgemeinschaft aufnahm, obwohl führende Vertreter der Bruderschaft weiterhin offen antisemitische Ansichten vertraten.

Im Pontifikat von Papst Franziskus (seit 2013) hat vor allem die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen und durch kirchliche Amtsträger und deren schleppende Aufdeckung und Aufarbeitung für Verwerfungen gesorgt, die noch nicht abgetragen sind. In Deutschland führte dieser Umstand zur Einrichtung des "Synodalen Weges", eines von Bischofskonferenz und ZdK gemeinsam getragenen Gesprächsprozesses, der im März 2023 mit einer Reihe von Beschlüssen und Texten seinen vorläufigen Abschluss fand. Derzeit ist die Einrichtung eines Synodalen Rates im Gespräch, der durch einen Ausschuss ab November 2023 vorbereitet werden soll.

Im ökumenischen Dialog mit dem Luthertum erfolgte 1999 mit der Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" zwischen Lutherischem Weltbund und katholischer Kirche ein wichtiger Schritt zur Überwindung der seit der Reformation strittigen dogmatischen Fragen. Seither sind aber die offiziellen ökumenischen Kontakte zwischen den Protestanten und Rom deutlich abgekühlt. So beharrt die katholische Seite auf ihrer Auffassung, die Kirchen der Reformation könnten nicht "Kirchen" genannt werden, da sie "die apostolische Sukzession im Weihesakrament" nicht besäßen und ihnen deshalb "ein wesentliches konstitutives Element des Kircheseins" fehle. Die Anerkennung der Lehre von der apostolischen Sukzession in ihrer römischen Form, das heißt einschließlich der Vorrangstellung des Papstes als Nachfolger des Apostels Simon Petrus mit dem Anspruch auf höchste Lehrautorität in dogmatischen Fragen und die kirchliche Leitungsgewalt, ist den Protestanten schlechterdings unmöglich.

Diese Vorbehalte aus Rom konnten auf nationaler Ebene durch die guten Kontakte zwischen EKD und Bischofskonferenz teilweise abgemildert werden. Sie belasten aber die ökumenischen Beziehungen bis hinunter auf die Gemeindeebene schwer.

Aktuelle Herausforderungen

Neben den "Großkirchen" bestehen eine Reihe von christlichen Gemeinschaften, die man häufig unter dem unscharfen Begriff der "Freikirchen" zusammenfasst. Zu ihnen zählen diejenigen Kirchen, die direkt oder indirekt aus der Reformation hervorgegangen sind (etwa Mennoniten, Baptisten) sowie Gemeinschaften, die sich neuen religiösen und spirituellen Aufbrüchen verdanken. Dazu zählen zum Beispiel die Methodisten, die Pfingstkirchen und die Freien evangelischen Gemeinden. Es gibt zudem evangelikale Gruppierungen, die auch innerhalb der evangelischen Landeskirchen aktiv sind, wie den Liebenzeller Gemeinschaftsverband. Die evangelikalen Christen sind in ihrer Gesamtheit überwiegend in der Evangelischen Allianz in Deutschland e.V. organisiert.

Die im Einzelnen sehr unterschiedlichen Freikirchen sind oft durch eine Haltung gekennzeichnet, die die Bibel im Wortsinn als unbezweifelbar ansieht und der historisch-kritischen Bibelforschung, wie sie an theologischen Fakultäten betrieben wird, distanziert gegenübersteht. Einige Kirchen, wie etwa die Mennoniten, sind einem strengen Pazifismus verpflichtet und lehnen zum Beispiel den Dienst an der Waffe ab. Viele Gemeinschaften praktizieren eine Erwachsenentaufe. In Gruppen wie den Pfingstkirchen wird eine ausgeprägte Jesusfrömmigkeit gepflegt, die charismatische Züge trägt. Einige Gruppierungen lehnen die Evolutionslehre zugunsten des biblischen Schöpfungsberichts ab und pflegen ein konservatives Ehe- und Familienbild (sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe; Ablehnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften).

Insgesamt spielen die Freikirchen in Deutschland sowohl in Zahlen als auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle. So haben derzeit (Stand 2022) der baptistische Bund Freier evangelischer Gemeinden knapp 74.000, die Evangelisch-methodistische Kirche knapp 45.000, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden knapp 65.000 und die Freien evangelischen Gemeinden (Stand 2021) rund 42.500 Mitglieder.

Diese Randständigkeit dürfte auch mit der geordneten Beziehung von Staat und "Großkirchen" zu tun haben, von der bisher beide Seiten profitieren. So haben die großen Kirchen nach 1945 ihr diakonisches Netzwerk mit Kindergärten und -tagesstätten, Schulen, Krankenhäusern und weiteren Einrichtungen so stark ausgebaut, dass sie im sogenannten Dritten (Non-Profit-)Sektor die größten Arbeitgeber sind: Die evangelische Diakonie Deutschland hatte 2020 knapp 600.000 Mitarbeitende, die katholische Caritas Deutschland rund 696.000. Gleichzeitig erfolgt die Finanzierung heute überwiegend durch den Staat.

Dieses symbiotische Verhältnis wird durch das Religionsverfassungsrecht (Staatskirchenrecht) geregelt. Es gerät allerdings durch den in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachtenden und derzeit rasch zunehmenden Mitgliederschwund in den Kirchen unter Druck. Dabei handelt es sich im Grunde um kein neues Phänomen. Es äußerte sich im 19. Jahrhundert zunächst in den sinkenden Teilnahmezahlen im Gottesdienst und bei den Kasualien (Taufe, Trauung, Bestattung), bis sich ab den 1870er Jahren die Möglichkeit zum Kirchenaustritt eröffnete. Betrachtet man die Zahlen in der Weimarer Republik, der Bundesrepublik von 1945 bis 1989 und Gesamtdeutschland seit 1989, so ist deutlich zu erkennen, dass diese Entwicklung nicht linear verläuft. Sie weist vielmehr Austrittsspitzen auf, die vor allem in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und der "Revolution von 1968" (in Westdeutschland) liegen. Seit 2013 ist wiederum ein kontinuierlicher Anstieg von Kirchenaustritten zu beobachten, der sich seit 2021 nochmals deutlich beschleunigt hat und im vergangenen Jahr bei über 900.000 Austritten lag (über 522.000 katholisch, 380.000 evangelisch), die mit Abstand höchste jemals gemessene Zahl. Ihnen standen 2021 nur 5570 (katholisch) und 18545 (evangelisch) Eintritte und Wiederaufnahmen gegenüber. Außerdem übersteigt die Zahl der Todesfälle die der Taufen beträchtlich. Damit gehörten Ende 2022 nur noch 19,2 Millionen Menschen einer evangelischen Landeskirche und 20,9 Millionen der katholischen Kirche an, was knapp 48 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland ausmacht.

Dieser neueste Säkularisierungsschub dürfte nicht zuletzt durch zeitweise Kirchenschließungen während der Corona-Pandemie, den Missbrauchsskandal sowie den Vorwurf der Verschwendung von Kirchenfinanzen ausgelöst worden sein. Doch es kommen andere Faktoren hinzu, die den Schritt zum Austritt erleichtern: So kann man der Kirche heute fernbleiben, ohne – wie früher – soziale oder kirchendisziplinarische Konsequenzen fürchten zu müssen. Auch hat man in der Verkündigung die Drohung mit göttlicher Strafe zu Recht abgebaut. Zudem genügt ein Gang zum Amtsgericht, um die Kirchensteuer einzusparen, während gleichzeitig das Angebot an religiösen und spirituellen Alternativen kontinuierlich wächst. In Zeiten ökonomischer Krisen kommt der Kirchenaustritt dann nicht überraschend.

Bislang ist nicht erkennbar, dass die Freikirchen davon erheblich profitieren könnten – im Gegenteil: Auch hier stagnieren die Zahlen oder sind rückläufig, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in den Großkirchen. Diese in Deutschland historisch einmalige Entwicklung stellt die Christenheit hierzulande vor erhebliche Herausforderungen, auf die sie noch keine tragfähigen Antworten gefunden hat.

Aber dies wird auch Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft insgesamt haben: Durch die großflächige Zusammenlegung von Gemeinden kommt es schon jetzt zur Verringerung der Zahl der Gottesdienste und damit zur Aufgabe und zum Abriss von Kirchengebäuden, was Veränderungen im Städtebild, aber auch im dörflichen Brauchtum zur Folge hat. Die Kirchen können so als Begleiter in allen Lebensphasen nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Der absehbare Rückzug aus ihren bisherigen diakonischen Tätigkeiten wird die öffentliche Hand mit erheblichen zusätzlichen Kosten belasten. Darüber hinaus werden die Kirchen auch ihre Aktivitäten als Kulturvermittler in Kunst und Musik sowie als Träger von Büchereien massiv einschränken müssen. Schließlich wird ihre Stimme als eine moralische Instanz in Krisensituationen immer weniger Gehör finden. Bei aller berechtigten Kritik am derzeitigen Erscheinungsbild der Institution Kirche hat die Gesellschaft die Tragweite dieser Entwicklungen für das Gemeinwesen insgesamt noch nicht erfasst.

ist Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
E-Mail Link: kinzig@uni-bonn.de