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Bestrafung der Schuldigen | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Bestrafung der Schuldigen

Prof. Dr. Wolfgang Benz

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Am 20. November 1945 begann der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg, dem ehemaligen Schauplatz der Reichsparteitage. Er war ein weltweites Medienereignis: Auf der Anklagebank saß die Führungselite des NS-Regimes. Zahlreiche Einzelprozesse in den vier Besatzungszonen verfolgten die weniger prominenten Verbrechen.

Einleitung

Lange vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Alliierten einig, dass die Verantwortlichen für die nationalsozialistische Herrschaft vor einem internationalen Gerichtshof im Namen der 1945 in Nachfolge des Völkerbundes entstandenen Vereinten Nationen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Die Bestrafung der "Hauptkriegsverbrecher" war im November 1943 angekündigt worden. Das Gerichtsstatut wurde im August 1945 veröffentlicht, die Tatbestände lauteten "Verschwörung gegen den Frieden", "Verbrechen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Dahinter verbargen sich Morde und Misshandlungen, Deportation zur Sklavenarbeit, Verfolgung und Vernichtung von Menschenleben. Der Anklagepunkt "Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskriegs" jedoch war völlig neu in der Geschichte des Rechts, und dieser Anklagepunkt nährte bei manchen Beobachtern den Verdacht, dass das juristische Fundament des ganzen Hauptkriegsverbrecherprozesses auf schwankendem Grund erbaut sei.

Dass die Sieger über die Verlierer zu Gericht saßen, um Hitlers Angriffskrieg als Völkerrechtsbruch zu ahnden, erschien manchen auf der Verliererseite eher als Akt von "Sieger- oder Rachejustiz" denn als Exempel zur Fortentwicklung des internationalen Rechts. Über der Diskussion, ob der Internationale Gerichtshof nicht den Grundsatz "keine Strafe für eine Tat, die zur Zeit der Ausführung noch nicht unter Strafe stand" verletzte, konnte allerdings zu leicht vergessen werden, dass zur Verurteilung der Männer auf der Anklagebank die herkömmlichen deutschen Strafgesetze völlig ausreichten und dass kein einziger nur wegen des neuen Straftatbestandes "Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskriegs" verurteilt wurde. Der Internationale Gerichtshof trat am 18. Oktober 1945 in Berlin zur Eröffnungssitzung zusammen, die Verhandlungen begannen am 20. November 1945 in Nürnberg.

Die Bezeichnung "Militärtribunal" könnte zur irrigen Annahme verleiten, dem Gericht habe es an Fachkompetenz ermangelt. Aber Richter wie Ankläger waren erstklassige Juristen aus vier Nationen. Angeklagt waren 24 Personen und sechs Kollektive, die im Sinne der Anklage als "verbrecherische Organisationen" definiert waren: deutsche Reichsregierung, NSDAP, SS, Geheime Staatspolizei, SA, Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht. Für diese Organisationen saßen die Angeklagten auch stellvertretend auf der Anklagebank. Es waren aber statt der 24 Angeklagten nur 21 Männer, die an 218 Prozesstagen bis zum Urteilsspruch am 1. Oktober 1946 im Nürnberger Gerichtssaal zur Verantwortung gezogen werden konnten. Einer, der Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Chef der "Deutschen Arbeitsfront" Robert Ley, hatte sich durch Selbstmord dem Gericht entzogen, gegen einen anderen, den Leiter der Partei-Kanzlei Martin Bormann, wurde in Abwesenheit verhandelt, ein dritter, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, war verhandlungsunfähig.

Hauptkriegsverbrecher-Prozesse

Angeklagt war die Führungselite des NS-Regimes - soweit greifbar - im "Hauptkriegsverbrecherprozess", darunter der ehemalige "Reichsmarschall" Hermann Göring, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts "Der Stürmer" Julius Streicher, der Großadmiral und Hitlernachfolger Karl Dönitz, der Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Rüstungsminister Albert Speer, Generaloberst Alfred Jodl und weniger bedeutende wie der Abteilungsleiter im Reichspropagandaministerium Hans Fritzsche, Hitlers "Steigbügelhalter" Franz von Papen, Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. Die drei Letztgenannten wurden freigesprochen, was heftige Kritik in der Öffentlichkeit erregte.

Einige der 24 Hauptangeklagten während der Nürnberger Prozesse. In der vorderen Reihe (v.l.n.r.) Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop und Wilhelm Keitel, in der hinteren Reihe (v.l.n.r.) Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach and Fritz Sauckel.

Verhältnismäßig glimpflich davon kamen unter anderem Dönitz (10 Jahre Gefängnis), der "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach und Hitlers Leibarchitekt und Rüstungsminister Speer (20 Jahre Gefängnis). Rudolf Heß musste seine lebenslange Haft als einziger ganz verbüßen. Alle anderen Angeklagten wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde im Morgengrauen des 16. Oktober 1946 vollstreckt. Hermann Göring jedoch hatte sich am Vorabend seiner Hinrichtung auf ungeklärte Weise Gift verschafft und Selbstmord begangen.

Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess fand weltweit große Publizität. Den Deutschen war seitens der Besatzungsmächte höchste Aufmerksamkeit befohlen worden, die durch ausführliche Berichterstattung im Rundfunk und in der Presse gewährleistet werden sollte. Aber das Interesse ließ sich nicht auf Dauer erzwingen, und die Überzeugung, dass in Nürnberg ein neues Kapitel Völkerrecht geschrieben werde, war nicht allgemein verbreitet. In der französischen Zone erschien 1946 eine Aufklärungsschrift mit dem Titel "Der Nürnberger Lehrprozess", in der die Ethik des Nürnberger Tribunals verteidigt wurde. Verfasser war unter einem Pseudonym der Schriftsteller Alfred Döblin, der - aus dem Exil zurückgekehrt - bei der französischen Militärregierung Dienst tat. Er schrieb, der Nürnberger Prozess müsse als Zukunftshoffnung begriffen werden. Es gehe bei der Wiederaufrichtung des Rechts in Nürnberg um die Wiederherstellung der Menschheit: "Man baute einen juristischen Wolkenkratzer, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Das Fundament aber, auf dem er errichtet wurde, der Beton, war der solideste Stoff, der sich auf Erden finden ließ: Moral und die Vernunft."

Nürnberger Nachfolgeverfahren

Die Absicht, dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg weitere Prozesse unter gemeinsamer Gerichtshoheit der Alliierten folgen zu lassen, ließ sich im beginnenden Kalten Krieg nicht mehr realisieren. In allen vier Besatzungszonen (und in den von deutscher Okkupation befreiten Nationen wie Polen, den Niederlanden, Italien) fanden deshalb in der Folgezeit einzelne Prozesse statt, bei denen nationalsozialistische Verbrechen von Militärgerichtshöfen der Besatzungsmächte untersucht und verurteilt wurden.

Blick in den Verhandlungssaal der Nürnberger Prozesse: Links sitzen Richter, vor ihnen Protokollführer, rechts die Verteidiger und hinter ihnen die Angeklagten. Am Pult mit Blick in die Kamera befindet sich der Staatsanwalt, hinter ihm Presse und Publikum. (© AP)

Am meisten Aufsehen erregten die zwölf Verfahren, die die Amerikaner in Nürnberg unmittelbar im Anschluss an das Hauptkriegsverbrecher-Tribunal führten. Diese zwölf "Nachfolge-Prozesse" dauerten bis Mitte 1949. Sie boten einen Querschnitt durch zwölf Jahre nationalsozialistischer Politik, Diplomatie und Wirtschaft: Im Ärzteprozess ging es um "Euthanasie" und Menschenversuche, im Milch-Prozess (benannt nach dem Generalinspekteur der Luftwaffe Erhard Milch) um die Kriegsrüstung, im Flick-Prozess (nach Friedrich Flick, einem der prominentesten Großunternehmer im NS-Staat) um Zwangsarbeit und Raub ausländischen Eigentums, im Südost-Generäle-Prozess standen Geiselerschießungen auf dem Balkan zur Debatte, im Fall acht-Verfahren waren Mitarbeiter des "Rasse- und Siedlungshauptamts der SS" wegen der Ermordung von Juden und Polen angeklagt, im Wilhelmstraßenprozess standen Diplomaten und andere Funktionäre vor Gericht, im Einsatzgruppen-Prozess waren die Mordaktionen an Juden in den besetzten Ostgebieten Gegenstand der Anklage.

Es ist zwar nicht gelungen, mit diesen Verfahren der Gerechtigkeit zum dauernden Sieg zu verhelfen, und die Nürnberger Grundsätze wurden nicht neues Völkerrecht. Aber es war auch nicht das Tribunal der Rache der Sieger gegen die Besiegten. Die Verbrechen waren so einzigartig, so eindeutig gegen die Menschheit insgesamt begangen, dass über sie im Namen der Vereinten Nationen gerichtet werden musste. Deutsche wären nach Auffassung der Alliierten wie der Opfer nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft allein zu einem solchen Gericht nicht fähig gewesen, und in der Mehrheit waren sie deshalb für die Übernahme der Verfahren durch die internationale Justiz auch dankbar. Denn über Schuldspruch und Strafe hinaus bildeten die Prozesse den Beginn der Aufklärung über die nationalsozialistische Diktatur. Und dadurch haben die Nürnberger Verfahren - der Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärtribunal (IMT) ebenso wie die zwölf Prozesse unter amerikanischer Gerichtshoheit - auch zur Entwicklung der Demokratie und zur Wiedererrichtung des Rechtsstaats in Deutschland beigetragen.

Prozesse in den einzelnen Zonen

Auf dem Gelände des KZ Dachau tagte ein amerikanisches Militärgericht. In mehreren Prozessen standen die Verbrechen der Wachmannschaften und Kommandanten einzelner Konzentrationslager zur Anklage, die Verfahren hatten die KZ Dachau, Flossenbürg, Mauthausen und Ebensee zum Gegenstand. Wie bei den großen Prozessen in Nürnberg war nie von einer Kollektivschuld die Rede. In keinem Fall wurde pauschal geurteilt. Die individuelle Schuld eines jeden Angeklagten wurde genau untersucht, Beweise wurden sorgfältig erhoben und Zeugen gehört. Nach dem Urteilsspruch bestand Gelegenheit für Gnadengesuche und nicht alle Urteile wurden anschließend bestätigt und vollstreckt.

Am 13. Mai 1946 ging in Dachau nach 37 Verhandlungstagen ein Prozess gegen das Personal des KZ Mauthausen zu Ende, bei dem alle 61 Angeklagten für schuldig befunden, 58 zum Tode, die übrigen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurden. Rechtskraft erhielten die Schuldsprüche nach sorgfältiger Prüfung der Einsprüche und Gnadengesuche am 30. April 1947. In vielen Fällen waren die Strafen gemildert worden. Gegen49 Angeklagte des KZ-Personals wurden die Todesurteile bestätigt und Ende Mai 1947 vollstreckt.

In der britischen Besatzungszone führten Militärgerichte in Lüneburg Strafverfahren gegen SS-Personal von Bergen-Belsen und Auschwitz, in Hamburg stand Generalfeldmarschall Erich von Manstein vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, bei der Kriegführung nicht auf die Zivilbevölkerung geachtet zu haben (vom Vorwurf, für Massenmorde an Juden mitverantwortlich zu sein, wurde er freigesprochen). Er wurde im Dezember 1949 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, die später auf zwölf Jahre herabgesetzt wurden, in Freiheit kam er jedoch schon im Mai 1953.

In der sowjetischen Besatzungszone standen Schergen des NS-Regimes ebenso vor Gericht wie in der französischen Zone. In Straßburg musste sich der ehemalige Gauleiter Robert Wagner vor einem französischen Gericht verantworten. In Belgien, Dänemark und Luxemburg, in der Tschechoslowakei und Jugoslawien, in Norwegen und in den Niederlanden wurden Deutsche zur Rechenschaft gezogen, die sich als Funktionäre des NS-Staats, als Besatzungsoffiziere oder als SS-Schergen schuldig gemacht hatten. In Krakau wurde im März 1947 der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß zum Tode verurteilt.

Viele hatten sich durch Selbstmord, durch Flucht nach Südamerika oder durch Untertauchen der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Einigen wurde später der Prozess gemacht, wie Adolf Eichmann 1961 in Israel oder SS-Angehörigen in den sechs Frankfurter Auschwitz-Prozessen zwischen 1965 und 1981 und in anderen Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen.

QuellentextDer Sachsenhausen-Prozess

Am Nachmittag des 23. Oktober 1947 trat im Rathaus von Berlin-Pankow, damals Sitz der sowjetischen Militärkommandantur, ein sowjetisches Militärtribunal zusammen. Verhandelt wurde unter dem Vorsitz des Obersten Majorov gegen 16 Angeklagte. Sie hatten zum Personal des Konzentrationslagers Sachsenhausen gehört, die meisten von ihnen gehörten der SS an, an ihrer Spitze der ehemalige Lagerkommandant Anton Kaindl. Zwei Angeklagte waren als Häftlinge ins KZ Sachsenhausen gekommen und hatten sich dort zu willigen Werkzeugen der SS machen lassen. Der eine, Paul Sakowski, wurde im Alter von 20 Jahren zum Henker, der andere, Karl Zander, avancierte vom vielfach vorbestraften Kriminellen zum Blockältesten, zum Folterknecht.
Ein dritter, Ernst Brennscheidt, gehörte ebenfalls nicht der SS an. Er war als Beamter des Reichswirtschaftsministeriums zur Leitung "Schuhprüfstelle" im KZ Sachsenhausen abkommandiert worden. Das klang harmloser, als es war: Um Material und Haltbarkeit von Schuhen für die Wehrmacht zu prüfen, mußte ein Häftlingskommando - 180 Mann - täglich mit einem halben Zentner Sand beladen auf einer Teststrecke marschieren, 40 km, 11 Stunden täglich, und wer es nicht schaffte, wurde mit Essensentzug und Prügeln bestraft. 20 bis 30 Häftlinge brachen täglich unter der Tortur zusammen, und der Beamte Brennscheidt schlug auf sie ein, hetzte Hunde auf sie, betrug sich nicht weniger sadistisch als die SS.
Außer dem Lagerkommandanten Kaindl standen der zweite und der dritte Lagerführer vor dem sowjetischen Gericht, der ehemalige Lagerchefarzt, Heinz Baumkötter, der sich grauenhafter medizinischer Experimente an Häftlingen schuldig gemacht hatte, und ehemalige Lagerfunktionäre wie der Rapportführer Gustav Sorge, einer der schlimmsten Sadisten, den die Häftlinge den "Eisernen Gustav" nannten, worauf der Erbarmungslose stolz war.
Der Berliner Prozeß dauerte acht Tage, vom 23. Oktober bis zum 1. November 1947. Er unterschied sich von den meisten anderen Verfahren dadurch, daß alle Angeklagten umfangreiche Geständnisse ablegten. Aber wie alle Schergen des Systems beriefen sie sich auch da, wo sie ganz persönlichen Sadismus, eigene Mordlust ausgelebt hatten, auf den Befehlsnotstand.
Dem Gerichtstermin waren umfangreiche Ermittlungen vorangegangen. 27 Zeugen wurden im Prozeß gehört. Das Verfahren hatte - das war in der Sowjetunion üblich - auch den Charakter des Schauprozeßes, der der politischen Propaganda dienen sollte.

Wolfgang Benz

Rechtsprechungsprobleme

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für NS-Verbrechen regelte sich nach den Kontrollratsgesetzen Nr. 4 vom Oktober und Nr. 10 vom Dezember 1945. Danach war die Verfolgung von NS-Straftaten gegen Angehörige der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen den deutschen Gerichten generell entzogen. Zur Aburteilung von Verbrechen gegen Deutsche konnten die Besatzungsbehörden deutsche Gerichte ermächtigen. In der britischen und französischen Zone wurde diese Ermächtigung generell, in der amerikanischen fallweise erteilt. De facto waren die deutschen Gerichte damit von der Verfolgung der Mehrzahl der NS-Verbrechen bis zum Ende der Besatzungszeit ausgeschlossen. Die Ausnahme bildeten Verfahren gegen die Täter der "Reichskristallnacht", der Novemberpogrome gegen die deutschen Juden von 1938, die seit 1946 überall in Gang kamen. Die großen Prozesse vor deutschen Gerichten begannen unverhältnismäßig spät. Die Belangung von Straftätern wurde durch die Regelung erschwert, dass deutsche Gerichte Fälle, die rechtskräftig von alliierten Tribunalen erledigt waren, nicht wieder aufgreifen durften. Das war als Sicherung gegen eine nachträgliche Abmilderung der Urteile gedacht gewesen; in der Praxis der Rechtsprechung gegen NS-Gewalttäter in der Bundesrepublik hatte es aber oft die Folge, dass in der Besatzungszeit Verurteilte und dann Amnestierte als Zeugen auftraten und nicht mehr belangt werden konnten, auch wenn neues Material auftauchte, das die Zeugen viel ärger belastete als die Angeklagten.

Weitere Inhalte

Geb. 1941, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Kunstgeschichte. Seit 1990 Professor an der Technischen Universität Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Vorsitzender der Gesellschaft für Exilforschung. Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.