"Jedem das Seine" - zur Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes
Der Satz "Jedem das Seine" prangte am Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald. In den 1990er tauchte die belastete Redewendung als Werbeslogan erneut auf. Frank Brunssen mit einer Untersuchung zur Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes.
Erst seit den 1960er Jahren ist der Frage nach dem öffentlichen Umgang mit sprachlichen Ausdrücken, die seit ihrer Instrumentalisierung im "Dritten Reich" als "belastet" gelten, in der Bundesrepublik breitere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das, was die Linguistik als "Weiterverwendungsproblematik"[2] bezeichnet, lässt sich seit 1991 unter anderem an der Wahl von "Unwörtern des Jahres" ablesen, unter denen immer wieder nazistisch konnotierte Ausdrücke auffallen - zum Beispiel "durchrasste Gesellschaft" (1991), "Selektionsrest" (1993) oder "entartet" (2007).[3] Auch die ungewöhnliche Resonanz, die Thorsten Eitz' und Georg Stötzels "Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung" entgegengebracht wurde, signalisiert die aktuelle Relevanz der Problematik.
Insbesondere in den Medien haben sich in dieser Hinsicht eine Reihe Aufsehen erregender Fälle ereignet - etwa jener der Moderatorin Juliane Ziegler, die am 30. Januar 2008 in der Pro7-Quizshow "Nightloft" meinte, einen arbeitsmüden Anrufer mit den Worten "Arbeit macht frei" aufmuntern zu müssen. Ihre Äußerung, mit der Ziegler jene zynische Redewendung zitierte, die über oder an den Eingangstoren der Konzentrationslager Auschwitz I, Groß Rosen, Sachsenhausen, Dachau, Theresienstadt und Flossenbürg angebracht war, wertete der Sender als einen "unentschuldbaren Aussetzer" und kündigte der Moderatorin fristlos.[4] Bereits im Oktober 2007 hatte es in der ZDF-Talkshow "Johannes B. Kerner" einen Eklat gegeben, als der ehemaligen ARD-Nachrichtensprecherin Eva Herman nationalsozialistischer Sprachgebrauch vorgeworfen und sie deshalb schließlich aus der Talkrunde ausgeschlossen wurde[5]. Ihr Rausschmiss führte kurz darauf in der ARD-Fernsehshow "Schmidt & Pocher" zur Aufstellung eines "Nazometers", dessen Witz darin bestand, den Gebrauch belasteter Ausdrücke durch einen Signalton anzuzeigen.

In der Forschung ist seit den späten 1990er Jahren einerseits über die problematische Geschichte des Ausdrucks aufgeklärt [8] und größere Sensibilität bei der Verwendung des "inzwischen missbrauchten Schlagworts" [9] angemahnt worden, andererseits aber auch vehement gegen eine Vermeidung oder Tabuisierung der Sentenz argumentiert worden.[10] Im Unterschied etwa zur Auseinandersetzung mit "Arbeit macht frei" fällt dabei auf, wie wenig Aufmerksamkeit der Buchenwalder Torinschrift bis dato entgegengebracht worden ist. Weder in dem wohl bedeutendsten Nachschlagewerk zur NS-Lexik, in Cornelia Schmitz-Bernings "Vokabular des Nationalsozialismus"[11], noch in der zweifellos wichtigsten Publikation zur Frage der Weiterverwendung, dem bereits erwähnten "Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung"[12], hat die Wendung bislang Beachtung gefunden.