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Fidel Castro und die Geschichte Kubas | Lateinamerika | bpb.de

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Fidel Castro und die Geschichte Kubas

Michael Zeuske

/ 10 Minuten zu lesen

Mit Kuba bringt man seinen Namen in Verbindung: Fidel Castro. Seit annähernd 50 Jahren dominiert er die Innen- wie Außenpolitik des Landes, zuerst als Minister-, dann als Staatspräsident. Doch Kuba steht vor gewaltigen Umbrüchen, und es wird bezweifelt, dass der "ewige Guerillero" sie stemmen kann.

Venezoelaner demonstrieren gegen US-Präsident Bush anlässlich dessen Süd-Amerika-Reise. (© AP)

Kuba ist das einzige Land der Welt, das einen Regierungschef hat, der obwohl krank, von 1959 bis heute an der Macht ist – Anfang 2008 werden das 49 Jahre sein! Kubas Politik wird seit 1959 weitgehend durch zwei Persönlichkeiten bestimmt: Fidel Castro (geb. offiziell 13. August 1926 oder 1927 in Birán, Oriente), 1959 bis 1976 als Ministerpräsident, 1976 bis 2006 als Staatspräsident, und seinem jüngeren Bruder Raúl Castro Ruz (geb. 3. Juni 1931 in Birán, Oriente).

Am 24. Februar 2008 wurde Raúl Castro (hier auf einem Foto aus dem Jahr 2007) vom Parlament zum Staatsoberhaupt und Regierungschef gewählt, er löste damit seinen Brudel Fidel ab. (© AP)

Die Biografie von Fidel Castro ist durch unzählige Bücher bekannt. Weniger bekannt ist das politische Leben von Raúl Castro: zeitig Mitglied des Partido Socialista Popular (PSP, die alte kommunistische Partei), wurde der jüngere Castro nach dem Sieg der Guerilla Anfang 1959 zunächst Armeeminister (seit 16. Oktober 1959: Ministerio de las Fuerzas Armadas Revolucionarias - Minfar), seit 1962 stellvertretender Ministerpräsident (und seit dem Rückzug Ernesto Che Guevaras (1960) 1965 Zweiter Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, PCC - Partido Comunista Cubano), seit 1976 erster Vizepräsident des Staatsrates und des Ministerrates. Raúl Castro ist heute Vier-Sterne-Armeegeneral; er kontrolliert seit 1989 neben dem Armeeministerium (Minfar) auch das Innenministerium (Ministerio del Interior – Minint, seit 1961, der gegenwärtig agierende Innenminister Abelardo Colomé Ibarra ist General der Armee und Mitglied des Politbüros) und ist seit August 2006 Interims-Präsident des Staats- und Ministerrates in Vertretung seines Bruders.

Der kranke Fidel Castro im Oktober 2006. Mittlerweile hat er die Macht auf der Karibikinsel an seinen Bruder Raul übergeben. (© AP)

Diese "lange Dauer" des harten Kerns der kubanischen Regierung, dessen Umfeld allerdings in den letzten zehn Jahren verjüngt worden ist, war sicherlich zunächst Verdienst der Brüder Fidel und Raúl Castros selbst. Fidel Castro zählt zu den bedeutendsten Politikern des 20. Jahrhunderts; Raúl Castro wirkte bis 2006 eher im Hintergrund. Vor allem aber ist diese Struktur der kubanischen Regierung das Ergebnis der von der US-Administration Eisenhower 1960 verhängten Blockade über Kuba (und ihrer Verschärfung im Helms-Burton-Gesetz von 1996 sowie weiterer Aktivitäten der US-Administration) und das historische Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher Elemente der Globalisierung seit etwa 1800, ihren Auswirkungen auf die Menschen, die im Zuge dieser Globalisierung nach Kuba verschleppt wurden oder als Migranten kamen, der starken sozialen Hierarchisierung durch das zeitige Eindringen eines erbarmungslosen Freihandelskapitalismus sowie der Kämpfe von kubanischen Mittelklassen, Intellektuellen, Bauern, freien Farbigen und ehemaligen Sklaven gegen spanische, US-amerikanische oder andere ausländische Dominanz. Geschichte ist nie tot, sie ist meist nicht einmal vergangen. Die traditionellen Eliten Kubas, vor allem die Oberschichten der größten Städte Havanna und Matanzas, trieben seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Entwicklung einer hochmodernen und stark technologisierten Zuckerproduktion mit Massensklaverei voran, die fast zu einer eigenständigen Industrialisierung "ohne Fabrikindustrie" auf Kuba geführt hätte, wenn Kuba nicht Kolonie Spaniens und damit die "melkende Kuh" eines alten und ziemlich unmodernen Imperiums gewesen wäre. Zugleich sicherte dieses Imperium die militärisch-politischen Grundvoraussetzungen eines kolonialen Unterdrückungssystems, in dem einzig und allein die Sklavereiwirtschaft funktionieren konnte. Die in ihrer Zeit hochmoderne Zuckerwirtschaft führte zwar zu hohen Profiten sowie zu Luxus der relativ kleinen Oberklassen und zu hohen Pro-Kopf-Verdiensten für die freien Angestellten der Zuckerproduktion. Aber sie konnte nur mit der massiven Verschleppung unfreier Arbeitskräfte aus Afrika und der massiven Elendsmigration armer Landarbeiter aus Spanien, vor allem aus Galicien und den Kanaren sowie aus der Karibik, aufrecht erhalten werden. Seit 1820 geschah diese Versorgung durch atlantischen Sklavenschmuggel, mit dem wegen des internationalen Sklavenhandelverbots gigantische Gewinne erzielt werden konnten. Havanna wurde zur Welthauptstadt des Zuckers. Der kubanische Zucker, der seit Beginn des 19. Jahrhunderts in einem effizienten Fabrikkomplex mit Kapital aus dem Sklavenschmuggel finanziert und für den offenen Weltmarkt produziert sowie verkauft wurde, war ein weltweit gefragtes Qualitätsprodukt (raffinierter Weißzucker). Die Eliten des Zuckers und der Sklaverei sowie des Sklavenhandels bildeten eine kosmopolitische Gruppe, die die Kolonialherrschaft zwischen Madrid in Spanien und Havanna auf Kuba organisierte, nachdem Spanien in den langwierigen Unabhängigkeitskriegen zwischen 1810 und 1830 seine kontinentalen Festlandskolonien wie Mexiko, Venezuela, Neu-Granada, Argentinien und Peru verloren hatte. Allerdings hatte die Krone in Spanien nur während der Zeit der Kriege den kreolischen Oligarchien Kubas (vor allem Havannas) weitgehende Freiheit in wirtschaftlichen Dingen gewährt, über die sich selbst ein Alexander von Humboldt in seinem berühmten "Essay über die Insel Kuba" (1826) getäuscht hatte.

Nach 1837 kam es zu einer Allianz zwischen spanischen Liberalen und spanischen Kaufleuten vor allem aus dem Sklavenschmuggel (negreros), was zur Bildung einer extrem konservativen, aber freihändlerisch (also im Grunde liberal) eingestellten, zugleich ultramontanen, imperialen und rassistischen Kolonialoligarchie führte, in der Kubaner (das bedeutete in diesem Falle auf Kuba geborene Eliten) nur noch die Rolle von Juniorpartnern spielten. Die nunmehr ausgebooteten traditionellen urbanen Oligarchien Kubas wiederum - und das ist ein Grundzug kubanischer Geschichte bis heute, überschätzten ihre einmal erlangten strategischen Positionen im Zucker und ihre Stärke auf Basis von Zuckerreichtum und Sklaverei sowie deren Modernität. Sie nahmen – unter kolonialen Bedingungen – das Konzept der Nation auf und versuchten es gegen konservative "neue" spanisch-kubanische Kaufleuteoligarchien, darunter viele extrem reiche Negreros, aber zugleich gegen die Masse der auf die Insel verschleppten Menschen aus Afrika und gegen die armen spanischen Migranten, von denen sie zugleich als billigen Arbeitskräften abhingen, durchzusetzen. Die spanischen Kaufleute, Finanziers und Negreros übernahmen wegen Verschuldung die Zuckerproduktion und verdrängten die alten kubanischen Oligarchien mehr und mehr aus dem Zentrum dieser Gesellschaft. Dieses zusammen bildete schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein solch explosives Gemisch, dass Spanien nicht ein Jahr zwischen 1825 und 1898 davon ablassen konnte, die Insel durch Generalkapitäne, im Grunde Militärdiktatoren mit Sondervollmachten, regieren zu lassen, zumal sich die Sklaven auf eigene Weise (Aufstände, Streiks, Cimarronaje, eigene kulturelle Formen wie synkretistische Religionen) wehrten. Seit den 1860er-Jahren kam es zu einer generellen Krise dieser Gesellschaft. Diese Kolonialkrise kulminierte zwischen 1868 und 1898 in einer Reihe langanhaltender Kolonial-, Befreiungs- und Bürgerkriege unter Anführern aus den kubanischen Mittelklassen an der Spitze regelrechter Armeen aus ehemaligen Sklaven und kubanischen Bauern (guajiros). Die verwickelten Kämpfe endeten schließlich 1898 darin, dass die USA in den Konflikt zwischen Kubanern und Spaniern eingriffen und die Staats- und Nationsbildung auf Kuba insofern kanalisierten, als die alten Eliten, denen es gelungen war, die Zuckerwirtschaft kontinuierlich zu modernisieren, zu erhalten, ebenso wie die Strukturen des großen Landeigentums (Latifundien). Die Bildung einer modernen, transrassialen Nation auf Kuba hatte zwar im Befreiungsheer erstaunliche Fortschritte gemacht, konnte aber nur auf den unteren Ebenen des politischen Systems unter Kontrolle der USA (die Kuba von 1899 bis 1902 und von 1906 bis 1909 okkupiert hatten) zum Zuge kommen, in Verbindung mit den ebenfalls im Kriege formierten Klientelbeziehungen. Damit trat Kuba als verspätete Nation, zugleich mit einer extrem effizienten wirtschaftlichen (agrarischen) sowie globalisierten Basis und einer konservativen, aber sehr kosmopolitischen und auf Modernisierung orientierten Oberklasse in die Existenz als eigenständige Nation, die freilich unter der Kontrolle des Platt-Amendments und US-amerikanischer Prokonsuln stand und eine Bauernschaft sowie arme Stadtbevölkerung hatte, die sich über die ersten 57 Jahre der Existenz Kuba als Republik um einen Sieg und gerechte Agrarreformen betrogen sehen musste.

Die Zucker-Elite

Bis 1933 bildeten sich Regierungen meist aus hohen weißen Offizieren des Unabhängigkeitskrieges, die trotz nationalistischer Diskurse und Wahlkämpfe die Vorherrschaft der USA und des Zuckersektors akzeptierten. Das führte 1933 bis 1936 zu einer Massenrevolution, die nur mit Hilfe eines populistischen Militärs aus den farbigen Unterklassen, Fulgencio Batista, abgewürgt und wiederum in ein populistisches Regierungs- und Staatssystem kanalisiert werden konnte, das zwischen relativ demokratischen Maßnahmen (Verfassung von 1940, vor allem unter Einfluss des Kampfes der Anti-Hitlerkoalition) und offener Diktatur (Batista 1953 bis 1958, auch unter Eindruck der Modernisierungskrise der Zuckerwirtschaft) schwankte. All diese Widersprüche und den nichteingelösten Triumpf von 1898 machte sich eine Gruppe um den jungen Rechtsanwalt aus der Oberschicht, Fidel Castro, zunutze, der sowohl - wegen des Kosmopolitismus der Oberschichtenausbildung - unter Einfluss des modernsten Gesellschaftsdenkens seiner Zeit, den Erzählungen der kubanischen Unterschichtengeschichte, wie auch unter dem Einfluss jesuitischer Soziallehren stand. Über die Stationen 1953 (Angriff auf die Moncada-Kaserne), 1956 bis 1958 (Guerrillakrieg mit Sieg gegen Batista und Übernahme von Macht und Regierung 1959) bis 1961 (Invasion in der Schweinebucht) und 1962 (Raketenkrise zwischen USA und UdSSR um Kuba) führte Castro das Land auf antikapitalistische, antiimperialistische Positionen, die nach einigen Jahren der Krisen (1961 bis 1971) zur Bildung des ersten Sozialstaates in Lateinamerika führte. Die radikale Gleichheitsideologie, meist falsch nur unter dem Kürzel "Marxismus-Leninismus" zusammengefasst (das Gleichheitsstreben hat vor allem historisch und interne Ursachen), führte bis 1970 zum Abbruch jeglicher formaler Elemente von Marktwirtschaft; Schwarzmärkte existieren seit etwa 1962, parallel zur Vergabe von Nahrungsmittel-Bezugsheften (libreta). Der kubanische Sozialstaat konnte mit der Extraarbeit seiner Bürger, der Hilfe der UdSSR und des realsozialistischen Lagers (vor allem DDR und CSSR) finanziert und mit Hilfe eines real existierenden Schwarzmarktes im Innern aufrecht erhalten werden. Kuba wurde zu einem Ausnahmefall. Das Land übte Solidarität mit anderen Befreiungsbewegungen und Ländern und versuchte eine Zeit lang, das "kubanische Revolutionsmodell" zu exportieren (Guerillas u.a. in Venezuela, Kongo und Tod Che Guevaras im Oktober 1967 in Bolivien) und wurde Führungsmacht der Nichtpaktgebundenenbewegung. Zwischen 1970 und 1986 war Kuba mit seinem Sozialsystem, seiner Alphabetisierung, dem Verhältnis zwischen urbanem und ruralem Bereich sowie seinem Bildungs- und Gesundheitswesen das Modell für Lateinamerika und Staaten der Dritten Welt. Seit 1979 griff Kuba massiv (und nicht nur militärisch) auch in den Kampf um die Unabhängigkeit Angolas ein und setzte somit eine Süd-Süd-Operation in Gang, die sich nicht einmal solche lateinamerikanischen Riesenländer wie Argentinien, Brasilien oder Mexiko gewagt haben. Castro war geachtet bei Freund und Feind; letzteres brachte ihm ca. 30 Attentatsversuche ein, die er alle überlebte, auch dank eines sehr effizienten Geheimdienstes.

Minister der Regierungen und das Führungspersonal Kubas haben in den Jahren seit 1959 häufig gewechselt; die bestimmende Figur in der Politik des Landes, vor allem in der Außenpolitik blieb immer Fidel Castro, der seit 1976 zwar alle Ämter und Titel vereinigte, aber sich mit Charisma, sehr gutem Wissen und dem Mythos des ewigen Guerilleros immer am Rande der Institutionen und der Partei hielt. Kuba besitzt, nachdem in den Sechzigerjahren viel experimentiert worden war, alle Elemente eines modernen Staates, aber außer den Castros kaum politische Akteure. Das politische System Kubas ist durch das Ein-Parteiensystem des PCC geprägt; Gewerkschaften und ihr Dachverband, die Central de Trabajadores Cubanos (CTC) sowie eine Reihe von Organisationen (von der Frauenföderation – Federación de Mujeres Cubanas, FMC, über den Studentenverband bis zum Künstler- und Schriftstellerverband – Unión de Artistas y Escritores Cubanos, UNEAC) sind politisch eingebunden, repräsentieren aber unterschiedliche Interessen. Oppositionelle stehen unter dem Dauerdruck der Verfolgung im Innern und der Instrumentalisierung von Außen. Die Kandidatenaufstellung für die periodischen Wahlen werden durch die CDR (Comités de Defensa de la Revolución = Komitees zur Verteidigung der Revolution; Überwachungskomitees auf Nachbarschaftsbasis) kontrolliert, die wiederum unter Kontrolle der Einheitspartei PCC, deren Erster Sekretär Fidel Castro ist und heute in seiner Vertretung Raúl Castro. Parlament sowie Minister- und Staatsrat (Asamblea Popular, Consejo de Ministros und Consejo del Estado) sind mit handverlesenen Parteimitgliedern und (sehr wenigen) Parteilosen besetzt, ebenso wie die Provinzsekretäre des PCC. Regierung, diplomatisches Chor und hohe Posten in Armee, Polizei, Geheimdienst und anderen bewaffneten Organen werden immer von Fidel Castro, meist aber von Raúl Castro selbst besetzt; im Zweifelsfall entschied Fidel Castro auch alleine. Seit den Achtzigerjahren gewann Fidel Castros jüngerer Bruder Raúl mehr und mehr an Einfluss als Armeechef, zweiter Mann und Quasi-Personalchef in diesem System, so dass alle fidelistas zugleich auch "raulistas" sind, vor allem in der Armee und im Geheimdienst. Etwa 25 Prozent der Bevölkerung auf Kuba sind dem harten Kern des Systems zuzurechnen, sei es durch Überzeugung, Tradition, Antikapitalismus, Ämter, Klientelismus oder Familienbande.

Touristen beobachten Mitglieder der Konferenz der Bischöfe Lateinamerikas (CELAM) vor der Kathedrale in Havanna im Juli 2007. (© AP)

Kuba befindet sich seit Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder des Ostblocks in einer lang anhaltenden Krise, die bisher trotz des Versuchs einer Reform im Sozialismus (vor allem 1993 bis 2000), nicht überwunden werden konnte. Die Zuckerindustrie ist seit Ende des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen und konnte auch durch die Schließung vieler unrentabler Zuckercentrales (seit 2001) nicht wiederbelebt werden. Die offiziell vorherrschende katholische Kirche hat sich seit 1963 notgedrungen mit der kubanischen Regierung arrangiert und agiert vor allem im sozialen Bereich. Die Amtskirche galt immer als Oberschichteninstitution; heute haben die Amtskirchen – weil sie die einzigen Institutionen sind, die nicht vollständig von der Regierung kontrolliert werden können – wahrscheinlich mehr wirklichen Einfluss auf die Gesellschaft als jemals in der Geschichte der Landes. Auf Kuba gab und gibt es deshalb eine Reihe von afro-kubanischen Religionen, die wichtigsten sind Santería, Palo Monte und Vudú, und eine Vielzahl protestantischer Kirchen, die vor 1962 vor allem das Schulwesen prägten (heute vor allem pentecostales - Pfingstler).

Nahrungsmittelproduktion, Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs und Dienstleistungen funktionieren sehr schlecht, was auch der Blockade geschuldet ist, seit 2000 aber vor allem der Tatsache, dass die Reformen im Sozialismus abgebrochen wurden und eine neue Runde der Zentralisierung sowie Monopolisierung durch Staatsunternehmen eingesetzt hat; nicht zuletzt durch Ersetzung des Dollars durch den peso convertible cubano (CuC) 2005. Die meisten funktionierenden Wirtschaftsunternehmen und Joint Ventures stehen unter Kontrolle der Armee und des Innenministeriums. Beim Abbruch der Reformen haben die neuen Beziehungen zu Venezuela (vor allem seit 2003) eine wichtige Rolle gespielt; Venezuela versorgt Kuba mit Rohöl gegen Dienstleistungen, Ärzte und Ausbildung. Für etwa 75 Prozent der Bevölkerung Kubas spielt die historische Meistererzählung (wie sie oben knapp im historischen Abriss dargestellt wurde) zwar noch eine Rolle für ihre Identität, aber wirtschaftliche und soziale Probleme sowie interne Dauerpropaganda über revolutionäre Moral und revolución zerstören Nationalstolz, alltägliche Widerstandskraft und Identität mehr und mehr). Für die Masse der Bevölkerung, vor allem außerhalb Havannas, spielen die realen sozialen Probleme (Wohnungsfrage insbesondere für junge Leute, Nahrungsmittel, Dienstleistungen, Strom, mittlerweile auch Ärztemangel, weil diese im Ausland praktizieren, Konsum, etc.) die größte Rolle; allerdings fürchten sie angesichts der harten offiziellen Haltung der USA und der Dauerpropaganda Veränderungen noch mehr. Außerhalb Kubas, vor allem in Lateinamerika, ist mit dem Linksrutsch der jüngsten Jahre der Mythos von Fidel Castro und Castro-Kuba eher noch gewachsen.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Michael Zeuske, geb. 1952 in Halle/Saale. Historiker. Professor für Iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität zu Kön. Zu seinen Publikationen zählen "Insel der Extreme. Kuba im 20. Jahrhundert", Zürich 2004; "Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavereikulturen und Emanzipation", Zürich 2004; "Kleine Geschichte Kubas", München 2007.