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UNHCR: Die Flüchtlingshilfsorganisation der Vereinten Nationen

Dr. Gil Loescher

/ 7 Minuten zu lesen

Weltweit sind rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Not. Um den Großteil von ihnen kümmert sich das 1951 gegründete Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR).

Eine geflüchtete Frau aus Somalia mit ihrem Kind in einem Lager des UNHCR in Äthiopien im August 2011. (UN Photo/Eskinder Debebe/ Flickr) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Während Zwangsmigration seit langer Zeit ein Merkmal der Weltgesellschaft ist, wurden erst ab 1921 auf internationaler Ebene Institutionen geschaffen, die sich um Flüchtlinge kümmern sollten: Als Reaktion auf die Flucht von Menschen aus Russland nach dem Ersten Weltkrieg ernannte derInterner Link: Völkerbund Fridtjof Nansen zum ersten Hohen Kommissar für Flüchtlinge. Im Laufe der folgenden 20 Jahre weiteten sich Wirkungsbereich und Funktionen von Hilfsprogrammen für Flüchtlinge in Europa schrittweise aus, da man sich bemühte, den Status und die Kontrolle staatenloser und entstaatlichter Volksgruppen zu regeln. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der internationale Organisationsrahmen durch die Hilfs- und Wiederaufbauorganisation der Vereinten Nationen (United Nations Relief and Rehabilitation Agency – UNRRA) und die Internationale Flüchtlingsorganisation (International Refugee Organization – IRO), deren Mandate sehr unterschiedlich waren, weiterentwickelt. Während beide Organisationen eine große Zahl an Flüchtlingen repatriierten oder in Drittstaaten neu ansiedelten, verblieben jedoch bis Ende der 1940er Jahre in ganz Europa Hunderttausende Vertriebene (Displaced Persons) in Flüchtlingslagern. Zudem flohen mit Beginn des Interner Link: Kalten Krieges neue Gruppen von Flüchtlingen aus Osteuropa in Richtung Westen. Zeitgleich kam es in Indien, Korea, China und Palästina zu massiven neuen Fluchtbewegungen. Daher sahen die Staaten die dringende Notwendigkeit, eine neue UN-Flüchtlingshilfsorganisation zu schaffen: den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees – UNHCR).

Seit 1951 gibt es ein internationales Flüchtlingsregime bestehend aus dem UNHCR und einem Netzwerk anderer internationaler Organisationen, nationaler Regierungen und ehrenamtlicher bzw. Interner Link: Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die eine Strategie entwickelt haben, um auf das globale Problem der Flüchtlinge zu reagieren. Obwohl sie uneinheitlich angewendet werden, ist eine Reihe internationaler Gesetze und regionaler Abkommen verabschiedet und ratifiziert worden. Diese haben, wie die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, zum Teil bereits seit sechseinhalb Jahrzehnten Bestand. Sie definieren Flüchtlinge als spezifische Kategorie von Opfern von Menschenrechtsverletzungen, denen besonderer Schutz und Unterstützungsleistungen gewährt werden sollen. Seit 2005 ist der UNHCR neben seiner Arbeit für Flüchtlinge zudem die führende Organisation für den Schutz von Menschen auf der ganzen Welt, die innerhalb des Landes, in dem sie leben, auf der Flucht vor Konflikten sind (Binnenvertriebene/Internally Displaced Persons – IDPs). Dazu zählt auch die Verwaltung von Unterkünften und Flüchtlingslagern für Binnenvertriebene.

Die Satzung des UNHCR legt ein klares Mandat fest und definiert, dass das Kernmandat der Organisation zwei Hauptbereiche fokussiert: die Zusammenarbeit mit Staaten, um sicherzustellen, dass Flüchtlinge Zugang zu Schutz vor Verfolgung erhalten sowie die Sorge dafür, dass Flüchtlinge Zugang zu einer Reihe dauerhafter Lösungen haben. Die Satzung sieht dabei drei verschiedene dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge vor: (1) die freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland, (2) die Integration im Aufnahmeland und (3) die Neuansiedlung in einem Drittland (Resettlement). Der UNHCR hat sich zur führenden Organisation innerhalb des globalen Flüchtlingsregimes entwickelt. Das Kernstück dieses Regimes ist das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) von 1951, das definiert, wer als Flüchtling gilt. Zudem legt es die Rechte fest, auf die anerkannte Flüchtlinge einen Anspruch haben. Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt darüber hinaus ausdrücklich, dass der UNHCR die Verantwortung über die Aufsicht der Einhaltung der Konvention innehat. Die Organisation ist damit für die Überwachung und Unterstützung von Staaten bei der Einhaltung der Normen und Regeln verantwortlich, die die Basis des globalen Flüchtlingsregimes bilden. Trotz dieser in seiner Satzung und der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 festgelegten Bestimmungen schrieben die Staaten dem UNHCR zunächst nur eine eingeschränkte Rolle zu. Sie beschränkten seine Zuständigkeit auf Einzelpersonen, die im Zuge von Ereignissen in Europa, die vor 1951 stattgefunden hatten, zu Flüchtlingen geworden waren. Die Flüchtlingsschutzinstrumente galten zudem ausschließlich Flüchtlingen und schlossen andere vertriebene Personen aus. Darüber hinaus sahen die Staaten den UNHCR als kleine, mit niedrigem Budget ausgestattete, temporäre Organisation, die ausschließlich eine rechtsberatende Funktion innehaben sollte, anstatt sich für die materielle Unterstützung von Flüchtlingen einzusetzen. Seit diesen ungünstigen Anfängen ist das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars im Laufe der Zeit ausgeweitet worden und der UNHCR hat sich zu einer dauerhaften globalen Organisation mit einem Budget im Jahr 2016 von zugesagten sechs Milliarden US-Dollar und mehr als 10.000 Mitarbeitern in 125 Ländern entwickelt. Sie bietet nicht nur Schutz und Hilfeleistungen für Flüchtlinge, sondern ist auch für Binnenvertriebene, staatenlose Personen und andere Gruppen von Vertriebenen zuständig.

In den vergangenen 65 Jahren hat das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars auf Veränderungen der politischen und institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen es arbeitet, reagiert und seine Rolle und sein Mandat neu gedeutet und ausgeweitet. Seit den 1960er Jahren erweiterte der UNHCR seinen ursprünglichen Fokus auf die Zurverfügungstellung von Rechtsschutz für Flüchtlinge, die vor kommunistischen Regimen in Ost- und Mitteleuropa flohen, und ist seitdem zunehmend mit Flüchtlingssituationen im globalen Süden befasst. Mit der Verabschiedung des UN-Protokolls von 1967 wurde die zeitliche und geografische Begrenzung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 aufgehoben. Sie erhielt universelle Gültigkeit. In den 1960er Jahren führten in Afrika gewaltsame Dekolonisation und Konflikte nach Erlangung der Unabhängigkeit zu großen Fluchtbewegungen, die den UNHCR dazu veranlassten, sich noch stärker im Bereich der Zurverfügungstellung von materieller Unterstützung zu engagieren. Das Abkommen der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) von 1969 weitete die Definition des Flüchtlingsbegriffs auf Menschen aus, die vor Besatzung, Konflikten und ernsthaften Störungen der öffentlichen Ordnung fliehen. In den 1970ern führten die Massenflucht aus Ostpakistan, Uganda und Indochina, die hoch politisierten Flüchtlingskrisen in Chile, Interner Link: Brasilien und Interner Link: Argentinien und die Rückführung von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Süden Sudans zur Ausweitung der Mission des UNHCR rund um den Globus. Infolge der Fluchtbewegungen in Süd- und Mittelamerika erweiterte die Cartagena-Erklärung von 1984 die regionale Flüchtlingsdefinition um Menschen, die vor generalisierter Gewalt, ausländischer Aggression, internen Konflikten oder massiven Menschenrechtsverletzungen fliehen. In den 1980er Jahren rückte der UNHCR weiter von seinem traditionellen Fokus auf Rechtsschutz ab und nahm eine wachsende Rolle bei der Versorgung von Millionen von Flüchtlingen in Lagern und sogenannten langwierigen Situationen ("protracted situations") in Südostasien, Mittelamerika und Mexiko, Südasien, am Horn von Afrika und im Süden Afrikas ein. Nach dem Kalten Krieg übernahm der UNHCR eine größere Rolle bei der Zurverfügungstellung massiver humanitärer Nothilfe im Rahmen Externer Link: innerstaatlicher Konflikte und engagierte sich bei der Rückführung von Flüchtlingen auf dem Balkan, in Afrika, Asien und Mittelamerika. Im frühen 21. Jahrhundert hat der UNHCR größere Verantwortung für die Opfer großer Naturkatastrophen übernommen und ist formell mit dem Schutz von Binnenvertriebenen beauftragt worden. Die Ausweitung der Befugnisse und Aufgaben des UNHCR auf diese neuen Bereiche ist oft von kontroversen Debatten begleitet worden: Einige Staaten, NGOs und Flüchtlingsforscher haben die Besorgnis geäußert, dass die Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche des UNHCR auf Binnenvertriebene und Opfer von Naturkatastrophen das zentrale Schutzmandat der Organisation schwäche und seine begrenzten Ressourcen für den Schutz und die Unterstützung von Flüchtlingen übersteige.

Der UNHCR verfügt über kein festes Budget. Seine Arbeit ist vollkommen von freiwilligen Zuwendungen abhängig. Das gibt einer begrenzten Zahl von Staaten im globalen Norden einen großen Einfluss, die traditionell den Großteil des Betriebsbudgets des UNHCR finanzieren. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Flüchtlinge und der Bedarf für ihre Versorgung deutlich schneller gestiegen als die Finanzmittel, die global für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stehen. Daher können aktuell die Hälfte der Bedarfe von Flüchtlingen und anderen betroffenen Bevölkerungsgruppen vom UNHCR nicht angegangen werden, was die Verwundbarkeit der betreffenden Menschen weiter erhöht. Der UNHCR benötigt eine deutlich sicherere Finanzierungsgrundlage, um die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, für die die Organisation zuständig ist. Gleichzeitig arbeitet der UNHCR auf Einladung von Staaten, auf ihrem Staatsgebiet tätig zu werden und muss daher mit einer Reihe von Flüchtlingsaufnahmeländern, insbesondere im globalen Süden, verhandeln. UNHCR obliegt die schwierige Aufgabe, Austausch und Kooperation zwischen den Geberländern im globalen Norden und den Staaten des globalen Südens, die mehr als 85 Prozent der weltweiten Flüchtlinge beherbergen, fördern und ermöglichen zu müssen. Gleichzeitig arbeitet die Organisation in sich verändernden globalen Kontexten, ist mit wechselnden Dynamiken von Vertreibungen konfrontiert und kooperiert mit einer Reihe von Partnern innerhalb und außerhalb des Systems der Vereinten Nationen. Die humanitäre Welt ist heute ein wettbewerbsorientierter Markt, der eine große Zahl von Akteuren umfasst, die alle ihr eigenes Mandat und ihre eigene institutionelle Identität besitzen und den Schutz ihrer eigenen Interessen anstreben. Diese politischen und institutionellen Zwänge beeinträchtigen das Funktionieren des globalen Flüchtlingsregimes und die Fähigkeit des UNHCR, sein Mandat zu erfüllen.

Die Interner Link: Asylkrise in Europa hat den UNHCR mit einer nahezu unmöglichen Aufgabe konfrontiert. Im Zuge der Krise haben europäische Staaten den UNHCR weitgehend ausgeschlossen und zunehmend ihre eigenen Reaktionen entwickelt, um sich von der wachsenden Zahl an Flüchtlingen, die auf ihren Territorien Schutz suchen, abzukapseln. Der Mangel an Kooperationsbereitschaft der Staaten hat die Arbeit des UNHCR deutlich behindert und ist eine seiner aktuell größten Herausforderungen.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Interner Link: Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers "Akteure im (inter-)nationalen (Flucht-)Migrationsregime".

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ist Gastprofessor am Zentrum für Flüchtlingsforschung (Refugee Studies Centre) der Universität Oxford und Autor des Buches UNHCR and World Politics: A Perilous Path, Oxford University Press sowie Mitautor des Buches UNHCR: The Politics and Practice of Refugee PSrotection, Routledge.