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Klimaethik

Prof. Dr. Bernward Gesang

/ 7 Minuten zu lesen

Durch den Klimawandel stellen sich klimaethische Fragen: Was bewirkt mein Verhalten? Wie können die Folgen des Klimawandels gerecht verteilt werden? Und soll der Mensch versuchen, im Sinne eines "Climate Engineering" ins Klima einzugreifen?

Braunkohlekraftwerk in Großbritannien, in der Nähe von Selby, North Yorkshire. (© picture-alliance, Photoshot)

Der Klimawandel

Wir messen, dass sich die durchschnittliche Temperatur auf unserem Planeten laufend erhöht. Wie ist das zu erklären? Der Mechanismus, mit dem man den von Menschen verursachten Anteil dieses Klimawandels erklärt, ist der Treibhauseffekt. CO2 und andere Treibhausgase steigen in die Atmosphäre auf und verweilen langanhaltend. Diese Treibhausgase lassen die Sonnenstrahlung passieren. Sie trifft auf die Erde und wird zeitverzögert als langwellige Wärmestrahlung von der Erde wieder abgestrahlt. Die Treibhausgase lassen diese von der Erde zurückgestrahlte Wärme nicht ungehindert in das All austreten, sondern sie absorbieren die Strahlung zum Teil und strahlen sie in alle Richtungen gleichmäßig wieder ab. Ähnlich wie das Dach eines Treibhauses reflektieren sie einen Teil der aufsteigenden Wärme zurück zur Erde, was dort zu einem "Wärmestau" führt. Der Treibhauseffekt ist ein natürlicher Vorgang und es gibt von je her Treibhausgase in der Atmosphäre. Nun emittieren die Menschen aber immer mehr Treibhausgase, die lange in der Atmosphäre verweilen. Damit und durch die Zerstörung von CO2-Speichern (zum Beispiel Wäldern) wird die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und damit der natürliche Treibhauseffekt verstärkt.

Das Fazit, das etwa die Potsdamer Klimaforscher S. Rahmstorf und H.-J. Schellnhuber daraus ziehen: "Die Klimageschichte ist ein sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz empfindlich reagiert hat. [...] Das Klima ist kein ‚träges Faultier, sondern gleicht einem wilden Biest‘." Die zahlreichen Gefahren durch den Klimawandel sind in aller Munde. Diese Befunde gehen auf den IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zurück, ein Gremium der UNO, das fast alle renommierten Klimaforscher und auch andere Wissenschaftler repräsentiert. Es gibt auch Zweifel an diesen Befunden, die einer genaueren Analyse aber kaum standhalten. Es muss zudem immer gefragt werden, ob bestimmte Ansichten nicht absichtlich von gesellschaftlichen Gruppen gestreut werden, die ihre Profitinteressen schützen wollen.

Klimaethik – Vermeidung und Anpassung

Die Klimaethik fragt, welches Handeln angesichts des Klimawandels moralisch ist. Die Disziplin teilt sich in drei Teilbereiche auf, die im Folgenden dargestellt werden. Erstens geht es um moralische Muster der Vermeidung von Emissionen, zweitens um moralische Gestaltung von Anpassung an zu erwartende Schäden. Beispielsweise wäre eine Erhöhung von Dämmen eine solche Maßnahme. Drittens wird die Moral von "Climate Engineering" (CE) diskutiert. Das sind Eingriffe ins Klima, um die Erderwärmung zu begrenzen. Sie werden mit technologischen Mitteln auf meist globalem Niveau geplant. Eine wichtige Frage in der Klimaethik ist die nach der individuellen Verantwortung für geringe Emissionsmengen. Was bewirkt mein Verhalten? Zudem wird diskutiert, welche politischen Voraussetzungen gute Klimapolitik braucht. Im Mittelpunkt der bisherigen Klimaethik steht aber die Klimagerechtigkeit. Dabei werden Vermeidung und Anpassung parallel behandelt. Es läuft darauf hinaus, konkrete Verteilungsprinzipien auf ihre Gerechtigkeit zu prüfen. Die gehaltvollsten Prinzipien sind:

  1. Das Subsistenzemissionsprinzip: Eine (notwendige) Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass das Existenzminimum der Vertreter der gegenwärtigen Generationen bei der Verteilung des Wohlstands gewahrt bleibt.

  2. Das Gleiche-pro-Kopf-Rechte-Prinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass jedem gegenwärtigen und zukünftigen Menschen dasselbe Recht zugestanden wird, CO2 zu emittieren.

  3. Das Verursacherprinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass die Verursacher von Klimaschäden diese reparieren oder ausgleichen.

  4. Das Nutznießerprinzip: Eine elementare Bedingung für Gerechtigkeit besteht darin, dass alle Nutznießer vergangener und gegenwärtiger Schadenshandlungen für die entstandenen Schäden aus diesen Handlungen aufkommen.

Vertiefen wir das, indem wir die Debatte um das Verursacherprinzip (VUP) exemplarisch betrachten.

Das Verursacherprinzip (VUP)

Alle Länder (oder Personen) haben prinzipiell das gleiche Recht, die Erdatmosphäre zu nutzen. Gemessen an den begrenzten Kapazitäten der Erde haben die Industrieländer (beziehungsweise ihre Bewohner) diese Recht überstrapaziert und müssen dafür einen Ausgleich zahlen. Die vergangene und zukünftige Übernutzung muss durch deren Verursacher ausgeglichen werden, um zum Ideal gleicher Nutzung durch jeden zurückzufinden. Die Verursacher werden meist auf der Ebene ganzer Staaten identifiziert. Um VUP konkret anzuwenden, könnte man die global notwendige Reduktionsmenge ermitteln und die Lasten auf Staaten proportional zu ihrem kausalen Beitrag zur Klimakrise verteilen.

Kritik – Gerechtigkeit: Man kann Staaten und Individuen eventuell nur für jene Emissionen verantwortlich machen, die sie im Wissen um deren Wirkung in die Luft entlassen haben. Dieses Wissen war aber vielleicht erst ab 1990 (Erster Bericht des IPCC) verfügbar und ist durch ein ständiges Verwirrspiel der Klimaskeptiker verschleiert worden. Weiterhin ist fraglich, ob alle Bürger eines Staates einen emissionsintensiven Lebensstil gepflegt haben. VUP differenziert nicht zwischen "Yuppies" und "Ökos". Es kann gerecht sein, wenn einige mehr als andere emittieren, weil sie zum Beispiel in Regionen leben, wo man ohne intensives Heizen oder ohne Auto nicht leben kann.

Zudem könnte man VUP als Plädoyer für eine Kollektivschuld von Staatsbürgern auffassen. Viele Verursacher sind bereits tot, und es wäre ungerecht, wenn die lebenden Verursacher alle Kosten zahlen müssten, denn sie hätten den Schaden nicht alleine angerichtet. Letztlich bedarf es einer Festlegung, ob die Verschmutzer unbegrenzt den vollen Umfang der Schäden zahlen sollen oder ob man meint, ihr (wie definiertes?) Existenzminimum dürfe dabei nicht gefährdet werden.

Zugunsten von VUP könnte man vorbringen: Wenn X das Leben von Y bedroht und Y verletzt, und wenn beide das merken, muss X dann nicht sofort mit seiner Handlung aufhören und Y zudem heilen? Gilt dies auch, wenn X vorher nicht um die Wirkung seiner Tat wusste? Allerdings verletzen, wie gesagt, nicht alle Bürger reicher Staaten andere Menschen.

Auf diese Gerechtigkeitsprobleme von VUP wird mit einer Modifikation des Prinzips reagiert, dem Nutznießerprinzip. Gegen dieses Prinzip lassen sich aber auch wieder Gerechtigkeitseinwände vorbringen. Der gewichtigste: Der gegenwärtige Wohlstand basiere nicht nur auf Kohlenstoffverbrennung, sondern auch auf vielen anderen Faktoren, z. B. "harter Arbeit". Vertreter des Prinzips würden die Ursachen des Wohlstand unzulässig auf CO2-Verbrennung reduzieren.

Mit John Stuart Mill lässt sich daher behaupten, dass es eine unauflösbare Verschiedenartigkeit von Konzeptionen der Gerechtigkeit gibt. Diese konkurrieren miteinander, sodass eine einheitliche Definition und Zuschreibung von Gerechtigkeit zumindest schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Vielleicht muss sich die Klimaethik vom Wettlauf um Gerechtigkeit als Leitwert lösen. Andere moralische Konzeptionen könnten die Gerechtigkeitsüberlegungen aufnehmen und Blockaden lösen. Der ethische Utilitarismus bietet sich hier an.

Climate Engineering (CE)

Manche sehen die Bemühungen um Emissionsvermeidung als zum Scheitern verurteilt an. Sie setzen auf CE. Im Vordergrund stehen Techniken des "Solar Radiation Management": Dabei wird Sulfat in die Stratosphäre eingebracht, das die Erwärmung kurzfristig stoppt. Das Sulfat ist nach zwei Jahren ausgewaschen. Das CO2 steigt davon unbeeindruckt an und wenn die Kühlung versagt, ist die Hitze durch die inzwischen gestiegene CO2-Konzentration wieder da. Also muss man zum Erhalt der kühlenden Wirkung permanent nachspritzen und dauerhaft CO2 vermeiden, sonst verschiebt man nur einige Symptome. Wichtige Gegenargumente sind:

  • Ist das technisch machbar und bezahlbar?

  • Welche Nebeneffekte sind zu erwarten?

  • Wie ist das Problem lösbar, dass CE global eingesetzt werden muss und einigen Regionen dabei nutzen kann, während es anderen massiv schaden kann?

Für CE wird oft über den Verweis auf Handlungsfolgen (konsequentialistisch) argumentiert: Unsere politische Untätigkeit lasse eine Katastrophe wahrscheinlich werden. CE sei ein Übel, aber ein geringeres als eine globale Klimakatastrophe, die derzeit sonst unvermeidlich scheine: Wir sollten daher sofort mit der Forschung beginnen. Allerdings ist auch ein solch konsequentialistisches Urteil über CE unklar, da sehr viele Informationen fehlen, um die Folgen überhaupt abwägen zu können.

Gegen die Ausübung und Erforschung dieser Techniken plädiert derzeit besonders Gardiner. Er argumentiert pflichtethisch: Einige Übel wie die Nebenwirkungen und unbeabsichtigten Effekte von CE seien so groß, dass sie auch nicht als geringere Übel in Kauf genommen werden können. Der Zweck heilige nicht die Mittel. Wenn man CE betreibe, werde z. B. die Vermeidung von CO2 nicht mehr ernsthaft verfolgt, da man eine Versicherung für den Notfall zu haben meine. Das verringere sozusagen den "Druck im Kessel" und biete dem beliebten Vertagen und Aussitzen wieder neuen Raum.

Kritiker Gardiners verfolgen einen "Portfolioansatz". Wie beim Anlegen von Geld sei es gut, Risiko zu streuen und auf viele verschiedene Lösungen zu setzen. CE gehöre in dieses Portfolio, nur dann sei es im Ernstfall weit genug entwickelt. Und es sei immerhin wahrscheinlich, dass die Vermeidungsstrategie nicht rechtzeitig greift. Daher wäre es nicht verantwortbar, diese Chance unbeachtet zu lassen, auch wenn sie Gefahren birgt. Wenn man sicherstellen kann, dass CE nicht die Erforschung anderer Optionen oder die Vermeidung beeinträchtigt, könnte das vernünftig sein.

Literatur

Caldeira, R, Keith, D. 2010, "The Need for Climate Enigneering Research”, in: Issues in Science and Technology 27, 57-62

Caney, S. 2006, "Environmental Degradation, Reparations, and the Moral Significance of History”, in: Journal of Social Science 37-3, 464-482.

Gardiner, S. 2004, "Ethics and Global Climate Change”, in: Ethics, 114-3, 555-600.

Gardiner, S. 2011, A perfect Moral Storm, Oxford.

Gesang, B. 2011, Klimaethik, Berlin.

Gesang, B. 2017, "Climate Change—Do I Make a Difference?”, in: Environmental Ethics, Vol 39.

Mill, J. S. 2000, Der Utilitarismus, Stuttgart.

Rahmstorf, S., Schellnhuber, H-J. 2007, Der Klimawandel, München.

Schüssler, R. 2008, "Global Governance and Climate Change: A Question of Historical Justice?”, in: The Philosophical Yearbook 21, Supplement, 51-65.

Singer, P. 2002, One World, New Haven, London.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Rahmstorf, Schellnhuber 2007, 28.

  2. Gesang, 2011, 1. Kpt.

  3. Gesang 2013.

  4. Gardiner 2004, 579f.; Singer 2002, 31f.

  5. Gardiner 2004, 581.

  6. Vgl. Schüssler 2008, Abschnitt 3.

  7. Gardiner 2004, 584.

  8. Caney 2006, 473.

  9. Schüssler 2008, Abschnitt 4.

  10. Mill 2000, 96, 101.

  11. Singer 2002, Gesang 2011.

  12. Zur Technik: Royal Society "Geoengineering the climate", http://www.royalsociety,org/WorkArea/DownloadAsset.aspx?id=10768 Zuletzt aufgerufen: (01.08. 2017).

  13. Caldera/Keith 2010.

  14. Gardiner 2011.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Prof. Dr. Bernward Gesang für bpb.de

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ist Professor am Lehrstuhl für Philosophie III mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik der Universität Mannheim. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören normative Ethik, Wirtschafts- und Klimaethik, Medizinethik u.a. 2011 erschien seine Monographie "Klimatehik" im Suhrkamp-Verlag.