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Runen gestern, heute, morgen

Rudolf Simek

/ 20 Minuten zu lesen

Nationalsozialisten und Neonazis nutzten und nutzen Runen intensiv für ihre Propaganda und ihr Konstrukt einer jahrtausendealten germanischen Rasse. Doch wissenschaftliche Betrachtungen zeigen: Wie Rechtsextreme diese frühhistorischen Schriftzeichen interpretieren, ist in den allermeisten Fällen purer Unsinn.

Karlevi-Runenstein auf Oeland in Schweden (© picture-alliance/dpa)

Germanische Runen und Runenschrift

Die germanischen Runen sind in erster Linie eine Schrift wie viele anderen Schriften auch, die allen Formen der menschlichen Kommunikation dienen konnte, und keinesfalls eine ausschließlich geheimnisvolle oder gar magische Angelegenheit. Auch das angebliche prähistorische Alter ist ein Mythos, denn die ältesten Runeninschriften gehören in das späte 1. und 2. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung, also in durchaus historische Zeit. Wo die Vorbilder der ersten Runen nun tatsächlich liegen, ist allerdings noch immer umstritten, von der Griechisch-These, der Latein-These und der etruskischen These, die im Wesentlichen besagen, dass die Runenschriften Übernahmen und Adaptionen der griechischen (geografisch am Schwarzen Meer), lateinischen oder etruskisch-norditalienischen Alphabete (letztere im südalpinen Raum) sind, scheint die letztere schon aus räumlichen Gründen die Wahrscheinlichste. Dagegen vertritt heute niemand mehr eine rein germanische Herkunft der Runen, welche aber im Nationalsozialismus aus politischen Gründen als Faktum zu gelten hatte und weswegen "Abweichler" sanktioniert wurden.

Es ist im Wesentlichen zu unterscheiden zwischen drei Typen des Runenalphabets, das nach den ersten sechs Zeichen als Futhark bezeichnet wird:

  1. Das Ältere Futhark mit 24 Zeichen, das von den Anfängen bis ins 7./8. Jahrhundert im Gebrauch war;

  2. das Jüngere, vereinfachte Futhark mit nur 16 Zeichen, in Gebrauch seit dem 8. Jahrhundert bis ins spätere Mittelalter und

  3. das sogenannte Anglo-Friesische Futhorc, das in England das ältere Futhark ab dem 5./6. Jahrhundert um etliche Zeichen bis auf schließlich etwa 31 erweiterte, aber nur bis etwa 1000 in Verwendung blieb.

Darüber hinaus gab es zusätzlich regionale und zeitliche Varianten bei der Ausführung der einzelnen Runenzeichen.

Während sich ab dem Beginn der Wikingerzeit (also dem Ende des 8. Jahrhunderts) das Jüngere Futhark zu einer reinen Gebrauchsschrift entwickelte, gehören von den heute bekannten mehr als 6.500 Runendenkmälern nur etwa 350 Inschriften dem Älteren Futhark und somit dem germanischen Altertum und der Völkerwanderungszeit an. Dass viele dieser älteren Inschriften für uns nur bedingt verständlich sind, liegt einerseits am oft schlechten Erhaltungszustand der Objekte, mehr noch aber an sprachlichen Schwierigkeiten, einem weitgehenden Mangel an orthographischen Regeln, an einer Tendenz zu Abkürzungen und der geringen Länge der Inschriften, die häufig genug nur ein Wort umfassen. Etliche der ältesten Inschriften, soweit sie überhaupt deutbar sind, dienten auch religiösen oder magischen Zwecken – so etwa bei Zauberwörtern auf Amuletten –, viele bestehen aber auch einfach nur aus Namen oder sind Gegenstands-, Besitzer-, oder Schenker-Inschriften. Eine vorwiegend magische oder religiöse Verwendung auch des Älteren Futhark ist jedenfalls nicht nachzuweisen.

Runen aller drei Futhark-Reihen trugen auch Namen, mit deren Hilfe man die in drei Gruppen (ættir "Familien") unterteilten Zeichenfolgen mit Hilfe von Merkgedichten ("Runengedichten", 9.-13. Jahrhundert) memorieren konnte, um sich so die Runen und ihre genaue Reihenfolge merken zu können. Ob die Namen der Runen auch eine eigenständige Bedeutung haben, ist höchst umstritten. Die Frage ist aber deshalb wichtig, weil davon abhängt, ob es zulässig ist, Runen, die in einer Inschrift alleine stehen und deswegen schwierig zu deuten sind, als ein Wort mit der Namensbedeutung dieser Rune zu interpretieren. Dennoch bilden gerade die Runennamen – die sich von Futhark zu Futhark und von Runengedicht zu Runengedicht teils deutlich unterscheiden – die Grundlagen für die meisten esoterischen Deutungen der Runen als "Sinnzeichen". Die Runennamen für die ältere germanische Zeit im älteren Futhark sind jedenfalls nicht bewahrt, sie können allenfalls dort erschlossen werden, wo die Namen der späteren Runenzeichen in den erhaltenen Gedichten übereinstimmen. Es kann aber deswegen zumindest angenommen werden, dass die Runen zu dieser Zeit schon Namen trugen. Dem Zeitraum der vorwiegenden Runenverwendung entsprechend - also ab der Wikingerzeit - stammen die meisten erhaltenen Runendenkmäler aus einer Zeit, in der das Christentum in Nordeuropa bereits etabliert war, wenngleich es bei etlichen schwedischen Grabinschriften nicht klar wird, ob der Begrabene noch dem Polytheismus oder schon dem Christentum anhing. Die größte Zahl von Runeninschriften auf losen Gegenständen gehört ohnehin, auch wenn säkularen oder gar trivialen Inhalts (wie Namenschilder oder Paketanhänger), in das christliche Hochmittelalter in Skandinavien. Aus dieser Zeit sind zahlreiche Gegenstände mit christlichen Gebeten in Runen erhalten, sodass, wie bei den spätwikingerzeitlichen christlichen Grabsteinen, mit Sicherheit kein Konflikt zwischen Runengebrauch und Christentum gesehen wurde. In der Missionszeit in England dürften die Missionare sogar ganz bewusst den Runengebrauch als Mittel der kulturellen Anpassung gefördert haben.

Im Spätmittelalter und der Frühneuzeit ist die Verwendung von Runen, Runenkombinationen und runenähnlichen Zeichen in Skandinavien sowohl in bäuerlichen Kalendarien ("Runenkalender") als auch in gelehrten Zauberbüchern nachweisbar, ab dann geht der Runengebrauch bis zur wissenschaftlichen Beschäftigung im 17./18. Jahrhundert stark zurück.

Politische Bedeutung von Runen in der Neuzeit

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Runen, die seit der humanistischen Renaissance nie völlig abriss, bekam schon im 17. Jahrhundert eine politische Dimension im Kampf um die skandinavische Vormachtstellung zwischen Dänemark und Schweden. Hatte der dänische Runologe Ole Worm (1588–1654) durch die Runeninschriften den Ursprung der skandinavischen Sprachen im Dänischen beweisen wollen, so sahen die schwedischen Vertreter des sogenannten Götizismus, besonders Olof Verelius (1618–1682) und Olof Rudbeck (1630–1702), nicht nur den Ursprung der skandinavischen Sprachen, sondern auch ihrer Völker und der Menschheit insgesamt im "Gotischen", das sie mit dem Schwedischen gleichsetzten. Neben den in Sagas überlieferten Stammbäumen der schwedischen Könige konnten sie sich dabei auch auf die große Zahl schwedischer Runensteine stützen, und die Sammlung und Edition von Runendenkmälern blieb ab da nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch bedeutende politische Aufgabe.

Aber erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich im Gefolge des Literaturwissenschaftlers und Märchensammlers Wilhelm Grimm auch ganz langsam eine deutsche wissenschaftliche Runenkunde zu etablieren begann, wurden Runen auch im deutschsprachigen Gebiet zum Gegenstand und Material politisch-esoterischer Deutungen und Spekulationen. An erster Stelle ist hier der österreichische Kaufmannssohn und Journalist Guido List (1848-1919) zu erwähnen, der sich selbst Guido von List nannte und nach diversen anderen Ausflügen in die esoterische, völkische und freimaurerische Szene 1911 den "Hohen Armanen Orden" gründete. Er behauptete, diese Armanen seien ein Geheimorden, der das "geheime Wissen" der Germanen als des angeblich ältesten Volkes überhaupt über Jahrtausende weitergegeben hätte. Zu diesem "Wissen" zählte er auch die Runen. 1908 veröffentlichte er die esoterische Monographie "Das Geheimnis der Runen", in der er behauptete, eine von ihm auf 18 Zeichen erweiterte Runenreihe, sie sei die älteste Schrift der Menschheit. Für eine derartige Runenreihe mit 18 Zeichen gibt es sonst keine Belege; List musste die 16 Zeichen des Jüngeren Futhark um zwei Zeichen erweitern, wovon das letzte zwischen der Wolfsangel und einer Vorform des Hakenkreuzes steht.

Runenreihe mit 18 Zeichen

Seine Runenreihe und seine Theorie vom angeblichen hohen Alter der Runen finden sich bis in die Gegenwart in einer ganzen Reihe esoterischen Schriften zu Runen. Indem List seine "Heilszeichen-Runen" oder "Zauber-Charaktere" von den reinen "Buchstaben-Runen" unterschied, waren für ihn alle möglichen Interpretationen offen. Er stellte sogar eine Verbindung zum Eddagedicht Hávamál her, das zu Lists Zeit auch von seriösen Forschern noch als deutlich älter eingestuft wurde als heute, da man seine Entstehung ins christliche 12. Jahrhundert verlegte. In seiner direkten Nachfolge standen Rudolf John Gorsleben (1883-1930), der sich Lists Theorie zu eigen machte und die Runen "als ur-uralte Heilszeichen" ansah, der aber auch die vom Nationalsozialisten Herman Wirth (1885-1981) 1928 publizierte völkische Theorie von der Existenz und Dominanz einer atlantisch-nordischen Rasse zu integrieren versuchte. Aus seiner Interpretation von Symbolen entwickelte er das Hakenkreuz als "Urglyphe" oder "Schöpfungsglyphe", und erst ab da wurde dieses bis dahin eher nur vereinzelt verwendete Symbol populärer, bis es 1920 zum Parteisymbol der NSDAP wurde. In der Runenschrift der altgermanischen Zeit kam die Swastika nicht vor, sehr wohl aber - wie bei vielen anderen Kulturkreisen bis hin nach Ostasien - als Symbol von unbekannter, aber jedenfalls meist glückbringender Bedeutung.

Runen im Nationalsozialismus

Im Nationalsozialismus gewann die völkisch-esoterische Interpretation der Runen die Oberhand über eine streng wissenschaftliche Beschäftigung mit jenen. Zwar hatte der junge Helmut Arntz (1912-2007) 1935 ein wissenschaftliches Handbuch der Runenkunde veröffentlicht – die erste umfassende Darstellung seit Die Runenschrift des Dänen Ludvig Wimmer (1839-1920) aus dem Jahr 1874 –, aber er wurde aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausrichtung, die sich zwar nicht gegen die NS-"Rassenlehre", wohl aber gegen die mythische Runenlehre richtete, mit Sanktionen von den unterschiedlichen NS-Organisationen belegt und dadurch in seiner Lehre behindert, trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP. Dagegen kamen esoterisch-völkische Nationalsozialisten wie der österreichische Veteran Karl Maria Wiligut, bekannt als Weisthor (1866-1946), der schon als Jugendlicher völkische Ideen in Buchform in Umlauf brachte, durch Himmlers Gnaden zu Ehren: Wiligut war bereits 1924 in Österreich wegen sogenannter Schizophrenie und Megalomanie entmündigt worden; bis 1927 befand er sich in der Psychiatrie; 1934 bekam er eine Stelle am "Rasse- und Siedlungshauptamt" (dessen Symbol die von List veränderte Odal-Rune war, s. unten) und wurde schließlich als Mitglied der SS Leiter des dort angesiedelten "Instituts für Vor- und Frühgeschichte". Wiligut beförderte den Asenglauben – den Glauben an die Germanengötter – und beriet Himmler in Fragen des Okkultismus; daneben war er ein heftiger Verfechter eines germanischen Ursprungs der Runen und unterstützte die Zeitschrift der Edda-Gesellschaft namens "Hagal" (nach der H-Rune), die allerdings mehrmals durch die SS vor dem Eingehen bewahrt werden musste. Von Himmlers Institut "Ahnenerbe" der SS, unter dessen Dach u.a. Kunst geraubt und systematisch KZ-Häftlinge im Zuge von Menschenversuchen getötet wurden, ließ sich auch der bis dahin durchaus seriöse Runenforscher Wolfgang Krause (1895-1970) vereinnahmen, dessen Tendenz zur symbolischen Deutung der Runen den Interessen der völkischen Esoteriker entgegenkam.

Keine Runenkundler im engeren Sinn, aber Verfechter einer germanischen Herkunft der Runen, waren auch der antisemitische und nationalsozialistische Berliner Professor für Vor- und Frühgeschichte Hans Reinerth (1900-1990, hinter dem das Amt Rosenberg stand, das u.a. für Kunstraub während des Zweiten Weltkriegs verantwortlich war) und der Berliner Altgermanistik-Professor Gustav Neckel (1878-1940), schon 1933 Mitgründer der völkischen "Deutschen Glaubensbewegung", die einen "arisch-nordischen" Glauben gegen das Christentum durchsetzen wollten.

Wie am Beispiel des Namens der Zeitschrift "Hagal", so ist allgemein während der NS-Diktatur eine verstärkte Verwendung von Runen als Symbole mit politischer Wirksamkeit zu beobachten. Dazu sind allerdings auch Pseudo-Runen wie das schon erwähnte Hakenkreuz oder die sogenannte Wolfsangel zu zählen, ebenso die unhistorische Kombination einzelner Runenzeichen zu neuen "Symbolen". Insgesamt ist für die NS-Zeit weiterhin festzuhalten: "Die Verwendung von angeblich germanischen Symbolen (Thorshammer, Irminsûl, Runen) ist fast durchwegs ohne Zusammenhang mit genuinen Quellen."

Verwendung von einzelnen Runen und runenähnlichen Zeichen im Nationalsozialismus und im heutigen Rechtsextremismus

S-Rune

S-Rune

Die bekannteste und verbreitetste Verwendung einer Rune ist die der doppelten S-Rune als Abzeichen der Waffen-SS in den Jahren 1933-1945: ss. Diese wurde nach der Neudeutung der Runen durch Guido von List, die er als Traumvision erhalten haben wollte, als "Siegrune" bezeichnet, obwohl im Älteren wie im Jüngeren Futhark der Name der Rune mit dem Lautwert /s/ das Wort für "Sonne" (*sōwilō bzw. sól) wiedergab. Der Begriff "Siegrune" taucht zwar im Eddalied Sigrdrífumál in Strophe 6 auf, dürfte sich hier aber auf die T-Rune beziehen. So hat schon Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert offenbar die Strophe verstanden (Edda. Gylfaginning Kap.13), obwohl er den nur in der Sigrdrífumál vorkommenden Begriff "Siegrune" selbst gar nicht nennt. Die Doppelschreibung der S-Rune ist heute in Deutschland gemäß § 86a StGB verboten, in Österreich ist auch die Einfachschreibung der S-Rune als Zeichen des "Deutschen Jungvolks" sowie der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten" (ANS/NA) strafbar.

T-Rune

T-Rune

Ebenfalls weite Verbreitung als Abzeichen erlangte die Rune t mit dem Lautwert /t/ aus der Runenreihe des Älteren Futhark. Hier ist die Interpretation als "Týr-Rune" zwar als *Tīwaz bzw. Týr durch die Runengedichte belegt, aber die Identifikation von Týr als Kriegsgott geht auf dieselbe genannte Stelle bei Snorri Sturluson zurück. Tragfähiger ist nur die Interpretatio germanica ["germanische Interpretation" bzw. Übrsetzung, hier bezogen auf die Übertragung bzw. Aneigung der römischen sieben-Tage-Woche, wobei die römischen Götter mit germanischen Göttern ersetzt wurden; Anm. d. Redaktion.] der Wochentagsnamen, bei der Týr für Mars eingesetzt worden sein könnte; allerdings bereitet die Entsprechung von german. Tīwaz mit Dienstag lautliche Probleme. Seit Guido von List wurde die T-Rune einerseits mit dem Kriegsgott Týr und somit für "Krieg" und "Kampf" überhaupt, andererseits wegen des Anfangsbuchstabens als "Tat" interpretiert. Die T-Rune fand und findet vielfältigen Einsatz, in der NS-Zeit wurde sie von Abgängern der SA-Reichsführerschule als Abzeichen am linken Oberarm getragen. Sie war auch Truppenkennzeichen der am 15. Januar 1945 gegründeten und schon am 25. bis 28. April 1945 aufgeriebenen 32. SS-Freiwilligen-Grenadier-Division "30. Januar" sowie ein Leistungsabzeichen der Hitler-Jugend.

Zusätzlich findet die T-Rune mitunter Verwendung in der "Schwarzen Sonne", wenn im Zentrum des radförmigen Symbols (s. unten) zusätzlich Runen eingeschrieben sind. Heute findet die T-Rune in rechten und esoterischen Kreisen statt des christlichen Kreuzes auf Gedenksteinen z.B. für Unfalltote Verwendung und wird dabei als "Todesrune" (anstatt der Y-Rune, s. unten) interpretiert.

Die Rune ist auch im Logo der schwedischen rechtsextremen "Widerstandsbewegung" enthalten.

O-Rune

O-Rune

Eine weitere Rune als Zeichen nationalsozialistischer Organisationen ist die O-Rune O, die vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart weit verbreitet ist. Die Rune mit dem Lautwert /o/ ist die letzte Rune im Älteren Futhark (im Jüngeren Futhark kommt sie nicht mehr vor) und wird dort mit dem erschlossenen Runennamen *ōþilan "Land, Erbbesitz" bezeichnet. Da sie in der jüngeren Runenreihe gar nicht vorkommt, ist eine Deutung, nach der sie in der Wikingerzeit Odin oder den Glauben an ihn symbolisiert haben soll, völlig abwegig. Im Nationalsozialismus findet sie sich in zwei abgewandelten Formen: Als Abteilungszeichen der erst im Februar 1945 etablierten 23. SS-Freiwilligen Panzergrenadier-Division "Nederland" hat die Rune an den unteren Enden Pfeile angesetzt; als Zeichen der schon seit 1941 existierenden 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division "Prinz Eugen" trug die Rune unten links und rechts aufwärts gerichtete Ansätze, ebenso als Symbol des "Rasse- und Siedlungshauptamtes" (RuSHA, 1931-1945) der SS. In dieser zweiten Form wird die Rune meist auch heute verwendet, abweichend von der ursprünglichen Runenform. In dieser neuen Form gehört die jetzt unter dem Namen Odal-Rune geläufige Rune auch zu den verbotenen Zeichen gemäß § 86a StGB, sobald sie in Verbindung mit der "Wiking-Jugend" oder dem "Bund Nationaler Studenten" (BNS) gebraucht wird. Diese Rune geht übrigens als eine der wenigen nicht auf die Armanen-Runen Guido von Lists zurück, der seine Runen an der verkürzten jüngeren Runenreihe orientierte. "Odal" heißt immer noch eine 1999 gegründete rechtsextreme Band, die dem Pagan-Black-Metal zuzuordnen ist. Welche Bedeutung die Gruppe der namengebenden Rune zuordnet, wird auch auf der Homepage nicht erklärt, wo die Rune selbst übrigens keineswegs dominant auftritt.

I-Rune

I-Rune

Die sogenannte Eibenrune hatte im Älteren Futhark den Lautwert /i/ und den erschlossenen Namen *īwaz "Eibe, Eibenholzbogen". Die Rune hat mehr Bedeutung im esoterischen Gebrauch, wo sie für Widerstand und Selbstverteidigung steht, als in der nationalsozialistischen Symbolik. Dort wurde sie aber in zwei unhistorischen Varianten verwendet. Zum einen wurde sie, nach rechts gekippt und dadurch waagerecht kaum mehr als Rune zu erkennen, schon 1918 bei der Vereinigung "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" von völkischen Kriegsveteranen verwendet und 1923 von den Nazis übernommen, die sie als "Opfer-Rune" interpretierten. Nach der Übernahme der Stahlhelm-Verbände in die SA 1933/34 aber verlor sie als Symbol fast völlig an Bedeutung. Nach der Neugründung der in "Der Stahlhelm e. V. – Bund der Frontsoldaten – Kampfbund für Europa" umbenannten Organisation 1951, aus der einzelne Ortsvereine schon in den 1960er Jahren verboten wurden und die sich 2011 weitgehend selbst auflöste, spielte das Symbol kaum mehr eine Rolle. Die zweite Variante der "Eibenrune" war nach links gekippt und noch dazu gespiegelt und fand offenbar nur in den frühen Jahren der nationalsozialistischen Bewegung Verwendung, besonders als Abzeichen von Hitlers persönlichen Adjutanten wie Rudolf Hess.

Elch-Rune

Elch-Rune

Diese im Älteren Futhark als *algiz "Elch" bezeichnete Rune mit dem Lautwert /r/z/ findet sich in der jüngeren Runenreihe in derselben Form, aber mit dem Lautwert /m/ und dem Namen "Mann". Diesen Runennamen hatte Guido von List in seiner "Armanen"-Runenreihe aus dem Jüngeren Futhark übernommen; sie wird aber seither zusätzlich auch mit den historisch völlig unhaltbaren Bedeutungen "Magie" und "Mond" belegt, während in den mittelalterlichen Runengedichten ausschließlich eine Bedeutung "Mann/Mensch" belegt ist und das Wort sich dazu im stabenden Kontext [in alliterierender Verwendung; Anm. d. Red.] mit mold "Erde" (als Sinnbild der menschlichen Vergänglichkeit) findet. In esoterischen Kreisen werden dem erschlossenen Namen *algiz im Älteren Futhark zusätzlich noch die Bedeutungen "Schutz, Geleit; Abwehr" zugeschrieben – historische Belege gibt es dazu nicht.

In der Verwendung der Nationalsozialisten wurde die Rune unabhängig von ihrer ursprünglichen Bedeutung als "Lebensrune" interpretiert, die das menschliche Leben, Geburt und Fruchtbarkeit symbolisieren sollte. Die Rune wurde daher zum Abzeichen der "NS-Frauenschaft", des "Deutschen Frauenwerks" und des "Reichsbund Deutsche Familie". Daneben wurde es auch zum Dienstrangabzeichen des SA-Sanitätswesens und mitunter (inoffiziell) zum Zeichen nationalsozialistischer Apotheker. Als Symbol für "Geburt" findet es sich (zum Teil immer noch, aber verbotener Weise) auf Grabsteinen von SS-Angehörigen neben dem Geburtsdatum. Heute nutzen Esoteriker vereinzelt die immer noch als "Lebensrune" sinnentfremdete Rune unabhängig vom Geburtsdatum auf Grabsteinen, wo sie "Leben", "Wiedergeburt" oder Ähnliches symbolisieren soll.

Y-Rune

Y-Rune

Die von Runologen heute als Besen-Rune bezeichnete Rune mit dem Lautwert /y/ hat im Jüngeren Futhark als "Eiben-Rune" die I-Rune der älteren Runenreihe ersetzt und wird in den Runengedichten durchwegs in der Bedeutung "(gespannter Eiben-)Bogen" belegt. Nur im nationalsozialistischen und esoterischen Gebrauch wurde sie zur "Todesrune" umstilisiert, offenbar, weil sie als gestürzte "Lebensrune" angesehen wurde. Die Rune spielt nicht nur auf Grabsteinen von SS-Männern als Zeichen für das Todesdatum eine Rolle, sondern wird heute häufig in der rechtsextremen Szene als Erkennungszeichen genutzt.

H-Rune

H-Rune

Diese heute wissenschaftlich als Sternrune bezeichnete Rune mit dem Lautwert /h/ entstammt dem Jüngeren Futhark, die ältere Runenreihe verwendet dafür die Rune H, welche aber in der Rezeptionsgeschichte keine Rolle spielt, da schon Guido von List die jüngere Form übernommen hatte. Der Name der Rune wird in den mittelalterlichen Runengedichten durchwegs mit hagall "Hagel", im Sinn von "schädlichem Unwetter", auch "Winter", wiedergegeben. Im Gegensatz dazu wurde die Rune von den "Armanen" und in der nationalsozialistischen Verwendung nicht als Schadensrune (dies ist wohl die ursprüngliche Bedeutung), sondern als "Hagal-Rune" für den unerschütterlichen Glauben an die NS-Bewegung angesehen. Sie tauchte als solche ikonographisch auf dem Totenkopfring der SS, als Abzeichen der 6. SS-Gebirgs-Division "Nord" (in Norwegen, seit 15.1.1942) und bei SS-Hochzeiten auf. In heutiger esoterischer Verwendung interpretiert man sie als Verschmelzung der angeblichen Lebens- und Todesrunen, welche dann für Harmonie stehen soll. Als politisches Symbol findet sie sich u.a. als Abzeichen bei der Neonazigruppe "Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft", die es seit 1982 in Berlin gibt.

Pseudo-runische Symbole: Wolfsangel

Die Wolfsangel ist in Deutschland in Zusammenhang mit rechtsextremer Propaganda verboten. Quelle: fluter Nazis (Nr. 42), S. 26.

Das bekannteste nationalsozialistische Zeichen pseudo-runischer Art ist die Wolfsangel (ein mittelalterliches Instrument zum Fangen von Wölfen mittels Köder), die zwar zweifellos ein altes Wappen-Symbol ist, niemals aber Teil einer Runenreihe war. Die Bezeichnung "Gibor-Rune" stammt nur von Guido von List und ist eine reine Erfindung. (In der jüngeren Runenreihe gibt es keine G-Rune mehr, im Älteren Futhark findet sich eine *gebō-Rune G zwar in der Bedeutung "Gabe", aber niemals in Form der Wolfsangel). Sie wurde als Abzeichen nationalistischer Jungmannschaften schon in den 1930er Jahren ebenso wie bei der HJ verwendet, aber auch nach dem Krieg etwa bei der seit 1982 als verfassungsfeindlich verbotenen Jungen Front. Heute ist die Wolfsangel in Deutschland in Zusammenhang mit rechtsextremer Propaganda verboten. Die Wolfsangel ist in keiner Form als Rune überliefert und kann daher auch nicht als solche bezeichnet werden.

Schwarze Sonne

Schwarze Sonne. Quelle: fluter Nazis (Nr. 42), S. 26.

Die sogenannte Schwarze Sonne war ein beliebtes Symbol in okkultistischen Kreisen des Nationalsozialismus, besonders im Umfeld von Himmler und der SS. Auf Himmlers Initiative hin wurde sie auf der Wewelsburg bei Paderborn, die als ein Versammlungsort der SS genutzt wurde, als Bodenmosaik gelegt. Ob hier tatsächlich okkultistische Rituale vollzogen wurden, kann nicht rekonstruiert werden. Die "Schwarze Sonne" kann entweder als zwölfarmiges Hakenkreuz oder als Rad aus zwölf S-Runen gedeutet werden und tritt als Erkennungszeichen und Tattoo in der heutigen rechtsextremen Szene relativ häufig auf.

Triskele

Regionalflagge Siziliens: Beispiel für eine unproblematische Verwendung der Triskele. Quelle: Wikipedia. (© Public Domain)

Die Triskele findet sich als Symbol schon in der frühen Geschichte sowohl bei den Kelten, als auch weit im osteuropäischen und asiatischen Raum. Obwohl auch dieses Zeichen mitunter als altes germanische Symbol bezeichnet und behauptet wird, es sei aus drei L-Runen zusammengesetzt (was rein optisch denkbar wäre), ist dieses Zeichen noch nicht einmal bei Guido von List zu finden. Eine schwarze gleichschenklige Triskele in weißem Kreis auf rotem Grund war lange Zeit das Logo der "Afrikaner Weerstandsbeweging (Afrikaner Resistance Movement)", einer neonazistischen Organisation weißer Südafrikaner, die seit 1983 für die Apartheid kämpfte.

Die Triskele im Logo der verbotenen Organisation "Blood and Honour" ist dagegen eher als Ersatzsymbol für das Hakenkreuz zu interpretieren. Quelle: fluter Nazis (Nr. 42), S. 26. (© bpb)

In Europa wird die Triskele auch von rechtsextremer Kreisen in Form von Schmuck und Tattoos benutzt und war u.a. das Logo der neonazistischen Frauenzeitschrift "Triskele", die ab Anfang 2001 nur für kurze Zeit erschien.

Ausblick

Die Verwendung von Runen in völkischen und nationalen Kreisen ist meist auf die oben erwähnten einzelnen Runen in ihrer heutigen, esoterischen, durch Guido von List vorgegebenen Bedeutung beschränkt. Nur in einzelnen Fälle rekurriert man in rechtsextremen Kreisen auf die Runen überhaupt. Die oben beschriebenen Runen spielen einzeln gesehen in der (meist) privaten esoterischen Verwendung – ob als "Heilszeichen", Amulett oder in der Wahrsagerei/Divination – eine größere Rolle als im politischen Diskurs. Daneben dient der Rekurs auf (vorgebliche oder tatsächliche) Ähnlichkeiten von Schrifttypen mit Runen im Schriftbild der meisten Aktivisten, Vereinigungen und nicht zuletzt Musik-Gruppen der Selbstdarstellung und gegenseitigen Identifikation. Zudem zeigt die Verwendung von Nutzernamen wie Runa, nordruna, Runenweber, RunenKrieger, Runenleser u.v.a.m. in rechtsextremen Foren den vielfach persönlichen Bezug der Namenträger zu Runen. Die Verwendung aller Runen im öffentlichen Raum ist heutzutage im politischen Sinn zumindest belastet. Denn, auch wenn nicht immer intendiert, könnte auch nur ein stilistisches oder ästhetisches Spiel mit Runen oder runenähnlichen Schriften, wie es noch bis ins frühe 20. Jahrhundert möglich war, eine Nähe zum Rechtsextremismus nahelegen. Ausgenommen davon ist nur die streng wissenschaftlich-universitäre Beschäftigung mit den frühgeschichtlichen und mittelalterlichen Runen, die wenigstens im deutschen Sprachraum in sorgfältiger Abgrenzung vom rechtsextremen gesellschaftlichen Spektrum vollzogen wird.

Bibliographie

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu Ulrich Hunger: Die Runenkunde im Dritten Reich. Frankfurt /M. etc. 1984, 41-70.

  2. th steht hier für den stimmlosen Thorn-Laut þ, also nur ein Zeichen.

  3. John McKinnel / Rudolf Simek / Klaus Düwel: Runes, Magic and Religion. Wien 2004, 17-25.

  4. Dazu gehören auch die in der Neuzeit fälschlich so sogenannten Geheimrunen, die mit relativ einfachen Verschlüsselungsmethoden den eigentlichen Sinn der Zeichen zu verschleiern versuchten. Wahrscheinlich wurde damit aber nicht so sehr auf die Verschlüsselung des Inhalts gezielt, als vielmehr darauf, die Kunstfertigkeit des Runenritzers hervorzuheben.

  5. Klaus Düwel: Runenkunde, 4. Auflage, Stuttgart 2008, S. 3.

  6. Alessia Bauer: Runengedichte. Texte, Untersuchungen und Kommentare zur gesamten Überlieferung. Wien 2003, 7f und 11ff.

  7. Vgl. Otto Springer: Die nordische Renaissance in Skandinavien. Stuttgart / Berlin 1936 (= Tübinger Germanistische Arbeiten 22), 109ff; Ulrich Hunger: Die Runenkunde im Dritten Reich. Frankfurt /M. etc. 1984, 294-298.

  8. Wilhelm Carl Grimm: Ueber deutsche Runen. Göttingen 1821.

  9. Zu dem 1979 neugegründeten Armanen-Orden, der immer noch existiert, vgl. sehr ausführlich Stefanie von Schnurbein: Religion als Kulturkritik: neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert. Frankfurt 1992, 24-79.

  10. Guido von List: Das Geheimnis der Runen. Mit einer Runentafel. Groß-Lichterfelde 1908 (= Guido-List-Bücherei, Reihe 1, Band 1), Neuausgabe Graz 2007; Vgl. dazu auch Bäumer, Michael: Zur völkischen Religiosität von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Runen-Okkultisten. Diss. FU Berlin 1997, 80-93.

  11. Eine Aufzählung dieser derivativen esoterischen Schriften findet sich bei Hunger, a.a.O., 319, und für noch jüngere Publikationen bei Alexandra Pesch: Noch ein Tropfen auf die heißen Steine: Zur 1992 entdeckten Runeninschrift an den Externsteinen. In: Wilhelm Heizmann und Astrid van Nahl (Hrsg.): Runica - Germanica - Mediaevalia. Festschrift für Klaus Düwel, (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 37). Berlin/New York 2003, 567-580: 572, Anm. 15.

  12. Vgl. Hunger, a.a.O, 317.

  13. Die Hávamál, ein Gedicht von 164 Strophen, ist ein Teil der sogenannten Lieder-Edda, die Götter- und Heldenlieder unterschiedlichen Alters versammelt und im späten 13. Jahrhundert in altisländischer Sprache verfasst wurde.  Davon zu unterscheiden ist die schon um 1224 abgeschlossene Prosa-Edda des Isländers  Snorri Sturluson, ein Handbuch der Dichtkunst und der nordischen Mythologie.

  14. Rudolf Simek / Hermann Pálsson: Lexikon der altnordischen Literatur. Stuttgart 2.Aufl. 2007, (= Kröners Taschenausgabe 490), 166.

  15. Rudolf John Gorsleben: Hoch-Zeit der Menschheit. Leipzig 1930, 375.

  16. 1935 gründete Wirth zusammen mit Heinrich Himmler die "Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS". Während des Zweiten Weltkriegs wurden unter dessen Dach systematisch KZ-Häftlinge für Menschenversuche genutzt und getötet, etwa bei Gas- und Kälteexperimenten.

  17. Herman Wirth: Aufgang der Menschheit. Jena 1928; vgl. dazu Bäumer, a.a.O., 112ff.

  18. Guido von List: Die Bilderschrift der Ario-Germanen. Wien 1910; vgl. dazu Stefanie von Schnurbein: Religion als Kulturkritik. Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert. Heidelberg 1992, 93.

  19. Helmut Arntz: Handbuch der Runenkunde. Halle/Saale 1935.

  20. Dazu Klaus Düwel: Runenkunde, a.a.O., S. 223f; ausführlich Hunger, a.a.O., S. 70-95; Klaus Düwel: Krause, Wolfgang. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 17, Berlin / New York 2001, S. 320-324.

  21. Ein Beispiel dafür ist die missbräuchliche Doppelschreibung der S-Rune bei der SS, die umso auffälliger ist, als dass die Doppelschreibung von Runen in germanischer Zeit so gut wie nie gebraucht wurde.

  22. Rudolf Simek: Germanische Mythologie – Forschungsstand und aktuelle Rezeption am Beispiel der rechten Szene. In: Volker Gallé (Hrsg.): Germanische Mythologie und Rechtsextremismus. Missbrauch einer anderen Welt. Worms 2015, S. 33-44, hier S. 43.

  23. Vgl. Klaus von See u. a: Kommentar zu den Liedern der Edda. Bd. 5: Heldenlieder. Heidelberg: 2006, S. 558.

  24. Vgl. Georg Schuppener: Strategische Rückgriffe der extremen Rechten auf Mythen und Symbole. In: Stephan Braun / Alexander Geisler / Matin Gerster (Hrsg.): Strategien der extremen Rechten. Hintergründe - Analysen - Antworten. 2. Auflage Wiesbaden 2016, S. 310-331, hier S. 328f.

  25. http://www.odal-horde.de/content/index.php?cat=Heim

  26. Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Runic_insignia_of_the_Schutzstaffel#cite_note-Lumsden18-3, aufgerufen am 25.06. 2017.

  27. So nach Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis vom 24.02.1983 in Österreich.

  28. Vgl. dazu Karlheinz Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen. Die Entwicklung der politischen Symbolik der deutschen Rechten zwischen 1890 und 1945. Düsseldorf 1991, 97; Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen, www.ida-nrw.de/hintergrundwissen/symbolik/embleme-und-runen/embleme-und-runen.html, Zugriff am 25.6. 2017.

  29. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen, http://www.ida-nrw.de/hintergrundwissen/symbolik/embleme-und-runen/embleme-und-runen.html, abgerufen am 25.6. 2017.

  30. Vgl. dazu Felix Wiedemann: Rassenmutter und Rebellin: Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Würzburg 2007, S. 204.

  31. Dazu vgl. Bäumer, a.a.O., 199-201.

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Rudolf Simek ist Professor für Ältere Germanistik in Bonn mit dem Fachgebiet Nordistik.