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Von "Energielücke" bis "Zappelstrom" | Blackout | bpb.de

Blackout Editorial Sind Blackouts in Deutschland wahrscheinlich? Einfluss einer möglichen Energieknappheit und der Energiewende auf die Versorgungssicherheit Von "Energielücke" bis "Zappelstrom". Diskursgeschichte der Blackout-Narrative in Deutschland Der Blackout und die politische Rechte Stromausfälle: Ursachen, Folgen und Lösungen Blackout und Bevölkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement Schutz kritischer Infrastrukturen während eines Blackouts

Von "Energielücke" bis "Zappelstrom" Diskursgeschichte der Blackout-Narrative in Deutschland

Tobias Haas Daniel Häfner

/ 15 Minuten zu lesen

Schon in den 1970er Jahren wurde als Argument für die Atomkraft die Sorge um eine „Energielücke“ angeführt. Ängste um einen drohenden Energiemangel kommen auch im Kontext der Energiewende auf, münden mitunter aber in dystopische Vorstellungen über Blackouts.

Ohne Elektrizität geht in modernen Gesellschaften kaum etwas. Mit der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche sind diese immer abhängiger von einer sicheren Stromversorgung. Dies bringt Risiken mit sich – und mittels der sozialen Konstruktion und Kommunikation ebendieser Risiken wird mitunter versucht, die Politik zu beeinflussen.

Das Thema eines drohenden Blackouts, also eines großen, überregionalen und lang anhaltenden Stromausfalls, wird aktuell vehement von verschiedenen Akteuren diskutiert und hat auch die Boulevard-Medien erreicht. Häufig wird eine Verknüpfung zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Gefahr eines Blackouts hergestellt. Mit Blick auf diese Sorge wird das Ziel der Energiewende – eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien – zuweilen infrage gestellt.

Wir wollen anhand der historischen und aktuellen Diskurse um den Blackout zeigen, dass das Thema eines drohenden Strommangels oder gar eines Stromausfalls bisher immer mit energiepolitischen Interessen verknüpft war. Zur Durchsetzung des Atomprogramms in den 1970er Jahren wurde in der Bundesrepublik etwa eine drohende „Stromlücke“ konstruiert, wenn denn die anvisierten Atomreaktoren nicht gebaut würden. In jüngerer Zeit hat der geplante Kohleausstieg beispielsweise in der Lausitz die Furcht vor einem Blackout erneut angeheizt – und wurde dort vor allem von rechtspopulistischen Akteuren instrumentalisiert.

Gegner der Energiewende argumentieren, dass die fluktuierend einspeisenden regenerativen Energieträger sogenannten Flatter- oder Zappelstrom produzieren und mit deren steigendem Anteil die Gefahr für einen Blackout wachse. Der Wegfall russischer Erdgaslieferungen infolge des Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 hat der Debatte eine völlig neue Dynamik verliehen, die sich zunehmend mit Verschwörungsmythen mischt.

Risiko und Risikokommunikation von Stromausfällen

Das Risiko von Stromausfällen ist real – und auch das eines Blackouts, der zu massiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden führen kann. Deutliche Unterschiede gibt es aber in der Wahrnehmung von Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensausmaßen.

Beispielsweise fiel am 13. Juli 1977 in New York der Strom für 25 Stunden aus. Es kam zu Plünderungen, Brände wurden gelegt, die Krankenhäuser konnten nur mit Mühe ihre Notstromversorgung aufrechterhalten. Das US-Energieministerium schätzte den entstandenen Schaden auf mindestens 350 Millionen US-Dollar.

Auch in Deutschland gab es in der Vergangenheit größere Stromausfälle, beispielsweise im Münsterland Ende November 2005. Eine ungewöhnliche Wetterlage führte zu starken Schneefällen, viele Strommasten brachen unter dem Gewicht zusammen. 250.000 Menschen waren betroffen, die letzten Haushalte gingen erst nach sechs Tagen wieder ans Netz. Es entstanden Schäden von mehr als 100 Millionen Euro.

Gleichwohl lag die durchschnittliche ungeplante Versorgungsunterbrechung in Deutschland 2022 laut Bundesnetzagentur bei lediglich 12,2 Minuten – Tendenz abnehmend. Großflächige, lang anhaltende Stromausfälle hat es in der Bundesrepublik bisher nicht gegeben, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rät aber grundsätzlich zur Vorbereitung auf einen, gegebenenfalls längeren, Stromausfall. Wesentliche Risiken liegen im Ausfall der digitalen Infrastruktur, etwa der Kommunikationsmittel, der Bankautomaten sowie der Steuerung des ÖPNV oder von Fernverkehrszügen.

Auch wenn der Soziologe Ulrich Beck seine Definition für zivilisatorische Risiken anhand von Umweltrisiken trifft, lässt sich diese auch auf alle weiteren Risiken anwenden, denn „sie basieren auf kausalen Interpretationen, stellen sich also erst und nur im (…) Wissen um sie her, können im Wissen verändert, verkleinert oder vergrößert, dramatisiert oder verharmlost werden und sind insofern besonders offen für soziale Definitionsprozesse. Damit werden Medien und Positionen der Risikodefinition zu gesellschaftlich-politischen Schlüsselstellungen.“

Solchen sozialen Definitionsprozessen von prognostizierten Risiken begegnen wir auch bei den Narrativen um den Blackout. Hierbei wird insbesondere die steigende Eintrittswahrscheinlichkeit durch die Energiewende thematisiert. Relativ neu im Diskurs ist dagegen die Vorstellung eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Alternativ wäre aber auch ein solidarisches, nachbarschaftliches Handeln der Betroffenen denkbar. Beispielsweise gaben in einer Untersuchung rund 87 Prozent der Befragten an, bei einem Blackout knappe Güter wie Batterien oder Wasser tendenziell mit Fremden teilen zu wollen.

Das Atomprogramm und die vermeintliche Stromlücke

Blackout-Narrative erlangten in der Bundesrepublik erstmals in den 1970er Jahren an Bedeutung. Im Zuge des sogenannten Wirtschaftswunders stiegen das Bruttoinlandsprodukt und die Stromnachfrage massiv an. Gedeckt wurde dieser Bedarf durch die Ausweitung des Kohlebergbaus, vor allem im Ruhrgebiet. Außerdem formierte sich in Deutschland bereits in den 1950er Jahren ein Akteursnetzwerk, bestehend aus Wissenschaftlern, Unternehmensvertretern, Politikern und Gewerkschaftern, die ein Atomprogramm vorantreiben wollten. Dem Soziologen Dieter Rucht zufolge war dieses von einem nahezu grenzenlosen Optimismus getragen: „Die Erlangung der vollen Souveränitätsrechte im Jahr 1955 bedeutete den Startschuss für die ersten offiziellen Förderungsmaßnahmen der Atomenergie mit dem Ziel, sie zu einer billigen, problemlosen und quasi unerschöpflichen Energiequelle auszubauen.“ Allerdings stellte sich unter anderem das Problem, dass der Strombedarf zur damaligen Zeit mittels der heimischen Kohlevorräte bereits gedeckt werden konnte. Deshalb wurden, insbesondere von Akteuren, die das Atomprogramm befürworteten, Szenarien entwickelt, die einen starken Anstieg des Strombedarfs prognostizierten. Entsprechend wurde das Argument vorgebracht, dass es zu einer Stromlücke kommen würde, wenn das Atomprogramm nicht umgesetzt wird. Als sich 1975 starke Proteste gegen den Bau eines AKW in Wyhl formierten, prognostizierte der damalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU), dass spätestens 1980 die Lichter ausgehen werden, wenn das AKW nicht gebaut würde. Am Ende kam es nicht zum Bau des Kraftwerks, die Lichter blieben an.

Zwischen 1961 und 1989 wurden insgesamt 37 Kernreaktoren gebaut. Die letzten Atomkraftwerke wurden am 15. April 2023 vom Netz genommen. In den Auseinandersetzungen um die Atomenergie spielten zweifelsohne die Sicherheitsrisiken eine zentrale Rolle, gleichwohl wurde auch die Gefahr einer drohenden Stromlücke angeführt, um ein Argument für das Atomprogramm zu konstruieren.

Um diesen Argumenten zu begegnen, wurden innerhalb der Anti-AKW-Bewegung wesentliche Impulse für die Energiewende entwickelt. Programmatisch steht dafür etwa die 1980 vom Freiburger Öko-Institut herausgegebene Studie „Energiewende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“. Im Zuge des verstärkten Ausbaus der erneuerbaren Energien spielten Blackout-Narrative eine relevante Rolle, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen als in der Studie: Nicht der Nicht-Ausbau der erneuerbaren Energien führe zur Gefahr eines Blackouts, sondern deren Ausbau.

Energiewende

Bis in die 1990er Jahre hinein waren die erneuerbaren Energien keine ernstzunehmende Konkurrenz für die etablierte Energiewirtschaft. Indes wurde nach dem Atomunglück von Tschernobyl 1986 in der Bundesrepublik ein Moratorium für den Neubau von Atomanlagen beschlossen. Die technischen Fortschritte vor allem im Bereich der Wind- und Solarenergie waren enorm, die Debatten um Ursachen und Folgen der Klimaerwärmung nahmen bereits in den späten 1980er Jahren an Fahrt auf. Insofern zeichnete es sich ab, dass die erneuerbaren Energien zunehmend zu einer Konkurrenz für die etablierten Technologien und die großen Energiekonzerne werden könnten. Diese reagierten unter anderem mit großflächigen Anzeigen in führenden Tageszeitungen. Darin verkündeten sie beispielsweise, dass die erneuerbaren Energien auch langfristig nicht mehr als vier Prozent des deutschen Strombedarfs decken könnten. Dessen ungeachtet legte die 2000 regierende rot-grüne Koalition mit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) einen wichtigen Grundstein für die dynamische Entwicklung der regenerativen Stromerzeugung. So stieg in den 2000er Jahren der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien von 6,4 auf 16,8 Prozent an, ohne dass die Netzstabilität darunter gelitten hätte.

Finanziert wurde der Ausbau der erneuerbaren Energien zu einem wesentlichen Teil über eine Umlage auf den Strompreis, von dem die energieintensive Industrie jedoch weitgehend befreit war. Gleichwohl wurde die Kritik an der Energiewende etwa von Wirtschaftsverbänden vorwiegend damit begründet, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zu teuer sei und er die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gefährde. Die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) startete 2012 die Kampagne „EEG stoppen – Energiewende machen!“. Sie schaltete Anzeigen mit Titeln wie „Hilfe! Die Energiewende wird unbezahlbar“, „Für eine Energiewende ohne räuberische Kosten“ oder „Subventionen lassen die Strompreise explodieren“. Auf ihrer Website installierte die INSM einen „EEG-Milchmädchenrechner“. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) intensivierte in den frühen 2010er Jahren seine Kritik an der Energiewende. So etablierte der Verband 2012 einen „Energiewende-Navigator“ und monierte vor allem die hohen Kosten, die der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Februar 2013 auf bis zu eine Billion Euro bezifferte.

Neben dem Druck auf die Energiewende mit Verweis auf die vermeintlich ausufernden Kosten wurden jedoch auch Diskurse geprägt, die die Energiewende als Gefahr für die Versorgungssicherheit konstruieren. In den jeweiligen Milieus, die häufig skeptisch gegenüber dem Klimawandel sind und die Energiewende grundsätzlich ablehnen, wird Strom aus Wind und Sonne häufig, wie erwähnt, als „Zappelstrom“ oder „Flatterstrom“ bezeichnet. Vor diesem Hintergrund wurde auch das Konzept der „Dunkelflaute“ entwickelt, das auf eine geringe Stromeinspeisung verweist, wenn Dunkelheit und Windstille gleichzeitig auftreten. Die Volatilität dieser Stromquellen stellt tatsächlich eine Herausforderung dar, sowohl im Hinblick auf den Ausbau der Stromnetze als auch auf die Entwicklung von zusätzlichen Stromspeichern oder auch nachfrageseitige Maßnahmen, die ergriffen werden können, um die Stromeinspeisung und den Verbrauch im Gleichgewicht zu halten.

Trotz eines wachsenden Anteils von erneuerbaren Energien, der in Deutschland im ersten Halbjahr 2023 bei 52 Prozent lag, hat die Netzstabilität weiter zugenommen. Ungeachtet dieser Entwicklungen hat etwa der langjährige Leiter des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, mehrfach auf Vorträgen die Behauptung aufgestellt, der Anteil regenerativer Energieträger am deutschen Strommix könne nicht dauerhaft über 50 Prozent hinausgehen.

Auf der Website des „Deutschland-Kurier“, einer AfD-nahen Gratiszeitung mit Online-Angebot, befassten sich 2021 acht Artikel mit dem Thema Blackout, 2022 waren es 36 und 2023 rund 60 Beiträge. Schon die Überschriften machen die vermeintlichen zukünftig Schuldigen klar: „‚Grüne‘ Gefahr Blackout: Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann!“ oder „Blackout legt Dresden lahm: Der ‚grüne‘ Energiewende-Irrsinn lässt schon mal grüßen!“. Zwar stand der Stromausfall in der Sächsischen Landeshauptstadt im September 2021 in keinerlei Zusammenhang mit der Energiewende, in verschwörungsideologischer Manier lässt sich dennoch schlussfolgern: „Ob ‚Anschlag‘, ‚Zufall‘, ‚Unfall‘ oder was auch immer: Die Dresdner haben jedenfalls einen ersten Vorgeschmack dessen bekommen, was bald ganz Deutschland infolge des ‚grünen‘ Energiewende-Irrsinns blühen dürfte.“

Die Lausitz: Kohleausstieg und Blackout

In der DDR hatte die Braunkohleverstromung eine überaus große Bedeutung. 1988 stammten rund 81 Prozent der Stromerzeugung aus der Braunkohleverstromung und 9,5 Prozent aus Atomkraft. Die Region Lausitz fungierte mittels Kohleverstromung und -vergasung als Rückgrat der DDR-Energieversorgung. In besonders kalten Wintern, wenn die wasserhaltige Braunkohle in den Tagebauen und Kohlezügen festgefroren war, wurde der „Winterkampf“ ausgerufen – beispielsweise im Winter 1978/79. Die Bergarbeiter und viele Tausend NVA-Soldaten kämpften bei zeitweise minus 30 Grad im wahrsten Sinne des Wortes um die Strom- und Wärmeversorgung. So wurden Turbinen von Jagdflugzeugen eingesetzt, um die gefrorene Braunkohle auf Zügen aufzutauen, oder Panzer, um festgefrorene Fahrzeuge zu befreien. Diese entbehrungsreiche Sicherung der Energieversorgung war und ist bis heute bedeutend für die Identität des Reviers. In einem Artikel des „Cottbuser Wochenkuriers“ von 2019 wird die anhaltende Bedeutung des Winterkampfes folgendermaßen beschrieben:

„Wer vor 40 Jahren etwas von der Dramatik des Kampfes um Licht und Wärme mitbekam, verbittet sich noch heute, die Arbeitsstätten der Kohle- und Energiearbeiter als ‚Dreckschleudern‘ zu bezeichnen. Die Ereignisse vor 40 Jahren sind ein Teil des Stolzes und des Lebensgefühls der Lausitzer.“

Nach dem Ende der DDR kam es zu einem rasanten Rückgang der Braunkohleförderung. Die Zahl der Stellen ging stark zurück. Waren 1990 noch rund 80.000 Personen allein im Tagebau beschäftigt, lag die Gesamtzahl der Beschäftigten, inklusive der Belegschaften in den Kraftwerken, 2015 bei rund 8.000. Auch die Fördermenge reduzierte sich von rund 200 Millionen Tonnen auf rund 60 Millionen.

Um die absehbare Beendigung der Braukohleverstromung zu verhindern, gründete sich 2011 der Verein „Pro Lausitzer Braunkohle“. Vorstandsmitglieder waren zunächst unter anderem regionale Politiker:innen von SPD, CDU und Die Linke. Neben der Betonung positiver Effekte der Braunkohleverstromung versuchte der Verein zunehmend, die Proteste gegen die Braunkohle zu delegitimieren: Die Zukunftsvorstellungen einschlägiger Akteure seien unrealistisch bis nicht existent, es fehle ihnen an Legitimation, und im Falle eines Kohleausstiegs drohe der Verlust der Energiesicherheit. Exemplarisch dafür steht eine 2015 veröffentlichte Pressemitteilung:

„Grüne Ideologen wollen die Lausitz abschaffen! Das politische Gezerre ums Braunkohle-Aus für die Lausitz zeigt immer deutlicher, wie stark grüne Ideologen ohne Zukunftskonzepte die Medien und die öffentliche Meinungsmache in unserem Land prägen.“

In dieser Argumentation, die starke Anknüpfungspunkte an und für Verschwörungserzählungen beinhaltet, zeigt sich ein wiederkehrendes Deutungsmuster: Die Braunkohleverstromung in der Lausitz solle demnach von außen aufgrund irrationaler Ideologien beendet werden; damit würde die Deindustrialisierung Deutschlands vorangetrieben.

Durch den Beschluss des Kohleausstiegsgesetzes und des Strukturstärkungsgesetzes 2020 kam es zu einer strategischen Neuausrichtung: Zum einen wurde die Förderung und Verstromung von Kohle nicht länger als unverzichtbar dargestellt, zum anderen wurde dazu übergegangen, die Chancen des Strukturwandels zu betonen. Dies geht auch darauf zurück, dass mit dem Ausstiegsbeschluss umfangreiche Strukturhilfen von insgesamt bis zu 40 Milliarden Euro für die betroffenen Regionen gesetzlich verankert wurden. Von weiten Teilen der Bevölkerung wurde und wird diese kohlepolitische Neuausrichtung aber nicht mitgetragen. Laut dem Lausitz-Monitor von 2023, einer repräsentativen Online-Befragung, spricht sich mit 49 Prozent zwar eine Mehrheit der Menschen in der Lausitz für die Ziele der Energiewende aus, 36 Prozent lehnen diese jedoch ab. Eindeutiger wird das Ergebnis bezüglich eines vorgezogenen Kohleausstiegs: Mit 68 Prozent lehnt eine große Mehrheit den Ausstieg bis 2030 ab. Lediglich 21 Prozent sind dafür. Gegen den Kohleausstieg bis 2038 sprechen sich 46 Prozent aus, während 42 Prozent ihn befürworten.

Auch Teile der Belegschaft des Lausitzer Braunkohleunternehmens Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) sehen dem Kohleausstieg mit Skepsis entgegen. Ängste vor einem Blackout sind bei einem nennenswerten Teil der Mitarbeiter:innen verankert. Auf der Basis einer Befragung von Beschäftigten der LEAG 2019 lassen sich die Sichtweisen der Interviewten folgendermaßen zusammenfassen:

„Als Folge von Importen könne es zu geopolitischen Abhängigkeiten von osteuropäischen Ländern und hier vor allem vom Erdgaslieferanten Russland kommen. Noch greifbarer ist für manche die Gefahr eines sogenannten Blackouts, also mehr oder minder weiträumiger Stromausfälle durch Versorgungsengpässe. Kaum jemand unter den Befragten weiß nicht mehr oder minder dramatische Geschichten eines Blackouts zu erzählen. Andere schildern Katastrophenszenarien, die der Zusammenbruch des Stromnetzes mit sich bringen würde. Mit einem gewissen Zynismus wünscht man der verantwortungslosen Politik geradezu einen Blackout, weil das die Verantwortlichen zum Aufwachen bewegen könne.“

Hier zeigt sich, dass das Narrativ eines Blackouts und die damit verbundenen dystopischen Zukunftsvorstellungen durchaus Anklang finden. Die vermeintlichen Folgen eines solchen weitreichenden Stromausfalls wurden 2019 durch „Pro Lausitzer Braunkohle“ auch im regionalen Familien- und Elternmagazin „Lausebande“ skizziert: „Ein großflächiger Blackout verursacht auch in Deutschland eine Katastrophe vom Ausmaß eines Bürgerkriegs mit Plünderungen und vielen Toten.“

Der positive Bezug auf die Braunkohleverstromung reicht historisch weit zurück und ist tief verankert in den Lebenswelten vieler Lausitzer:innen. Die Aus- und Verhandlung des Braunkohleausstiegs in der Lausitzer Öffentlichkeit rekurriert dabei neben dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der historisch gewachsenen Identität auch auf die mit der Abkehr von der Kohleverstromung vermeintlich einhergehende Gefahr eines Blackouts. Dies wurde auch durch Teile der Gewerkschaften und die populistische Zuspitzung durch „Pro Lausitzer Braunkohle“ in den vergangenen Jahren verstärkt. Das Motiv eines ideologisch motivierten Eingriffs in die Lausitz „von außen“ und des daraus folgenden Blackouts wird, gemeinsam mit verschiedenen anderen wissenschaftskritischen Narrativen, auch häufig als Teil von Verschwörungserzählungen artikuliert. Damit wurde das Feld für (rechts-)populistische Akteure bereitet, die sich als Verteidiger des „einfachen Volkes“ positionieren und klimaskeptische Positionen in den Diskurs integrieren.

Vergleichbare Positionen zum Klimawandel, zum Kohleausstieg und damit auch zur Energiewende und dem Strukturwandel im Allgemeinen finden sich parteipolitisch am deutlichsten bei der AfD. Die Erzählung des „großen Stromausfalls“ deckt sich weitgehend mit anderen Verschwörungsmythen sowie technischen und sozialen Dystopien. Die AfD positioniert sich gegen die „grüne Ideologie“ als politische Kraft, die für die Interessen der Lausitz kämpfe. Im Wahlkampf 2021 wurde den Parteimitgliedern und Wähler:innen der Grünen unterstellt, sie wollten eine Ökodiktatur errichten und arbeiteten an der Zerstörung des Industriestandortes Deutschland.

Auffällig ist hier die narrative und inhaltliche Nähe der Positionen von „Pro Lausitzer Braunkohle“ und der AfD: Beide kritisieren grüne Ideologien und die daraus angeblich folgende Zerstörung der Industrie. Die Argumente für die Fortsetzung der Braunkohleverstromung in der Lausitz sind somit anschlussfähig an Blackout-Narrative, an Elemente der Klimawandelleugnung und an Positionen der AfD. Über die AfD findet schließlich auch die Rückbindung an die Nutzung der Kernenergie statt – zur Verhinderung möglicher Blackouts.

Fazit

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 stellte sich in Deutschland erneut die Frage der Energieversorgungssicherheit. Das Ausbleiben russischer Gaslieferungen führte die Abhängigkeit von Energieimporten vor Augen. Durch diverse Einsparmaßnahmen konnte der Gasverbrauch reduziert werden, zugleich wurde innerhalb kürzester Zeit eine bemerkenswerte Infrastruktur für Flüssiggasimporte etabliert. Trotz dieser Maßnahmen hatten Blackout-Erzählungen erneut Konjunktur – denn es war im Herbst 2022 keineswegs garantiert, dass sich im darauffolgenden Winter keine Gasmangellage bilden würde. Der „Deutschland-Kurier“ warnte am 1. Dezember 2022: „Blackout voraus: Verbrauchern drohen ab jetzt willkürliche Stromabschaltungen“. Am 19. April 2023 hieß es: „Habecks faules Osterei: Noch mehr Zappelstrom erhöht die Blackout-Gefahr!“. Meldungen wie diese fördern alarmistische Tendenzen: Zum Beispiel ist die Nachfrage nach Notstromgeneratoren und inselfähigen Solaranalgen, aber auch Bunkern deutlich angestiegen.

Schlussendlich lässt sich beobachten, dass sich der soziale Gehalt von Blackout-Narrativen gewandelt hat. Waren sie in den atompolitischen Auseinandersetzungen noch stark politisch-strategisch ausgerichtet, verbunden mit dem Versuch, die energiepolitischen Weichen atomfreundlich zu stellen, haben die Blackout-Narrative der Gegenwart zumeist dystopischen Charakter und verweisen auf einen potenziellen Zusammenbruch der Zivilisation.

Solche Narrative – und ihre bereitwillige Rezeption – geben gleichsam einen tiefen Einblick in den „seelischen“ Zustand der Gesellschaft. Warum erfahren dystopische Ansätze eine so breite Rezeption? Ist es ausgemacht, dass ein Blackout zu quasi bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen führen würde? Im größten Blackout Nordamerikas im August 2003 wurden in New York auch Partys gefeiert. Neben den zu lösenden Problemen von steckengebliebenen Aufzügen oder einem kolossalen Verkehrsstau verschenkten Restaurants ihre Lebensmittel. Menschen trafen sich in Bars und feierten ganze Blockpartys. In Toronto regelten Passanten den Verkehr, und die Menschen unterstützten sich gegenseitig: „Keiner verfällt in Panik, alle bleiben cool. Wir helfen einander.“

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Research Institute for Sustainability (RIFS) des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum.
E-Mail Link: tobias.haas@rifs-potsdam.de

ist Geschäftsführer der Plon GmbH – Lausitzer Institut für strategische Beratung.
E-Mail Link: daniel.haefner@lausitzer-institut.de