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Schutz kritischer Infrastrukturen während eines Blackouts

Giuseppe Puleo Maximilian Mütherig Markus Zdrallek

/ 14 Minuten zu lesen

Die Gesellschaft ist auf kritische Infrastrukturen angewiesen. Bei einem großräumigen und lang andauernden Stromausfall hat ihre Wiederversorgung mit Strom oberste Priorität. Dafür bedarf es jedoch vorher erprobter Notfallkonzepte und präventiver Maßnahmen.

Die Stromnetzbetreiber in Deutschland sind wegen des Ausbaus erneuerbarer Energien mit zahlreichen Veränderungen und neuen Herausforderungen konfrontiert, gleichzeitig kommt es zu einer zunehmenden Belastung durch Cyberattacken. Den Betreibern kommt in dieser Gemengelage vor allem die Aufgabe zu, das Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter elektrischer Energie zu jedem Zeitpunkt zu halten. Das Stromnetz kann man sich dabei wie eine Waage vorstellen: Auf der einen Seite befinden sich Kraftwerke, die Strom in das Netz einspeisen, auf der anderen Seite stehen die Verbraucher, die den erzeugten Strom benötigen. Bei einem Ungleichgewicht dieser beiden Größen kommt es durch Über- oder Unterbelastung zu einer Instabilität des Netzes, welche zu Störungen und im schlimmsten Fall zu einem großflächigen und lang andauernden Stromausfall, also einem Blackout, führen kann.

Die Folgen eines Blackouts sind schwierig zu bestimmen, da viele Ereignisse einen Dominoeffekt anstoßen können, dessen Ausmaß im Vorhinein ungewiss ist. Beispielsweise kann der Ausfall von Ampeln zu einem chaotischen Straßenverkehr führen, der wiederum die Anzahl an Verkehrsunfällen erhöht. Dadurch steigt auch der Bedarf an Rettungsdiensten. Parallel dazu können Tankstellen ausfallen und die Treibstoffversorgung so eingeschränkt werden, dass Krankenwagen kaum mehr einsatzfähig sind.

Dieses exemplarische Gedankenspiel zeigt, wie abhängig wir von einem stabilen Stromnetz sind und wie sich einzelne Szenarien gegenseitig bedingen. Es gab in der Vergangenheit bereits mehrere großflächige Stromausfälle, die die Auswirkungen einer Netzinstabilität verdeutlichen. Ein Beispiel ist etwa der Stromausfall im September 2003 in Italien, von dem über 56 Millionen Menschen betroffen waren. Er begann in den frühen Morgenstunden und legte weite Teile des Landes lahm. Grund für den Ausfall war ein umgefallener Baum, der eine Hauptstromleitung zerstört hatte. Die Auswirkungen waren gravierend: Verkehrssysteme brachen zusammen, und Krankenhäuser und andere Notfallzentren mussten mit Notstromaggregaten arbeiten. Erst nach 18 Stunden konnte die Stromversorgung wieder vollständig hergestellt werden.

Ein weiteres Beispiel ist der Stromausfall im November 2006, der mehrere Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien, betraf. Dieser Vorfall wurde durch die geplante Abschaltung einer Höchstspannungsleitung ausgelöst, die über die Ems führte und die für die Überführung eines Kreuzfahrtschiffes aus Papenburg abgeschaltet werden musste. Durch unzureichende Planung und Koordination kam es infolge einer Überlastung in den Leitungen zu automatischen Abschaltungen. Etwa 15 Millionen Menschen waren europaweit von vorübergehenden Stromausfällen betroffen.

Aktuell zeigt der Krieg in der Ukraine, wie anfällig Stromnetze gegenüber Cyberattacken sind. Dabei greifen Hacker gezielt Umspannwerke in der Ukraine an und versuchen, diese lahmzulegen. Doch auch Deutschland war von einem dieser Angriffe mitbetroffen. Durch den Ausfall des KA-SAT-Satellitennetzwerkes nach dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 konnten Windparks in Deutschland nicht mehr gesteuert werden. 5.800 Anlagen mit einer Gesamtleistung von elf Gigawatt waren davon betroffen.

Notfallkonzepte

Die Ereignisse zeigen die Verwundbarkeit von Stromnetzen und die Notwendigkeit von Konzepten, die Stromversorgung bei einem Netzzusammenbruch möglichst schnell wiederherzustellen. Aktuell gibt es zwei Strategien, die für die Wiederherstellung der Stromversorgung bei einem Netzzusammenbruch angewandt werden: die Top-down- und die Bottom-up-Strategie. Diese konzentrieren sich allerdings nur auf die Wiederherstellung des gesamten Stromnetzes und nicht auf die schnelle Wiederversorgung einzelner Netzabschnitte. Bei der Top-down-Strategie wird das Stromnetz mithilfe eines benachbarten, unter Spannung stehenden Stromnetzes wiederversorgt. Ein Beispiel hierfür ist der genannte Fall in Italien, bei dem das Land schrittweise wieder an das europäische Verbundnetz angeschlossen wurde. Unter der Bottom-up-Strategie versteht man hingegen ein Verfahren, in dem das Stromnetz sich aus eigener Kraft wiederversorgt. Diese Strategie wird angewandt, wenn eine Wiederversorgung durch ein benachbartes Stromnetz nicht möglich ist. Kann sich ein Kraftwerk ohne Energiezufuhr von außen selbst hochfahren, spricht man von einem sogenannten Schwarzstart. Ausgehend von einem oder mehreren schwarzstartfähigen Anlagen oder Kraftwerken wird das Netz bei der Bottom-up-Strategie schrittweise wiederaufgebaut. Bei beiden Strategien ist eine koordinierte und schrittweise Zuschaltung der Netzabschnitte wichtig, da es ansonsten zu einer Überlastung der Anlagen kommen kann. Eine sofortige Wiederversorgung des gesamten Netzes mit elektrischer Energie ist aus diesem Grund nicht möglich.

Kritische Infrastrukturen, also die Energie- und Wasserversorgung, der Verkehr oder Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, sind dabei enorm abhängig von elektrischer Energie. Beispielsweise benötigen Krankenhäuser für lebenswichtige Instrumente wie Beatmungs- oder Dialysegeräte eine sichere und stabile Stromversorgung. Aber auch die Wasserwirtschaft ist auf Strom angewiesen, um ihre Pumpen und Kläranlagen betreiben zu können. Ein Ausfall hätte zur Folge, dass die Bevölkerung nicht mehr ausreichend mit sauberem Trinkwasser versorgt werden kann und es zusätzlich zu einer Verstopfung des Abwassersystems kommt. Dies hätte wiederum eine Kettenreaktion zur Folge, in der Schmutzwasser in das Oberflächengewässer gelangt und sich Bakterien und Krankheitserreger weiterverbreiten. In einem solchem Szenario wären die Krankenhäuser bereits überlastet.

Damit die Stromversorgung von kritischen Infrastrukturen auch während eines Stromausfalls gewährleistet ist, werden meist Dieselgeneratoren oder sogenannte Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung als Notstromversorgung eingesetzt. Diese verfügen allerdings über begrenzte Brennstoffreserven beziehungsweise Batteriekapazitäten und haben daher nur ein geringes Durchhaltevermögen. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag hat 2011 einen Bericht veröffentlicht, der die Folgen eines lang andauernden und großräumigen Stromausfalls veranschaulicht. Dieser zeigt, dass bereits nach kurzer Zeit in betroffenen Gebieten eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit essenziellen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Daraus folgt, dass weitere Anstrengungen nötig sind, um die Widerstandsfähigkeit beziehungsweise die Resilienz kritischer Infrastrukturen zu erhöhen.

Inselnetze zur Wiederversorgung kritischer Infrastrukturen

Nach einem großflächigen Stromausfall wäre eine Handlungsoption der Aufbau eines sogenannten Inselnetzes innerhalb eines Verteilnetzes. Während die großen Kraftwerke ihren generierten Strom in Transportnetze einspeisen, dient das Verteilnetz der anschließenden Weiterleitung des Stroms an die Endverbraucher. Ein Inselnetz dagegen ist ein Stromnetz, das von einem oder wenigen Anlagen mit Strom versorgt wird und keinen elektrischen Anschluss zu anderen Stromnetzen besitzt. Befindet sich auf Verteilnetzebene mindestens ein mittelgroßes schwarzstartfähiges Kraftwerk, kann damit ein Inselnetz aufgebaut werden. Dabei bieten sich vor allem Müllverbrennungsanlagen oder Wasserkraftwerke an, da diese über eine gesicherte Einspeiseleistung verfügen.

Ihrem Namen entsprechend werden Inselnetze meist auf Inseln eingesetzt. Beispielsweise befindet sich auf den Färöer-Inseln ein Inselnetz, das von einer Kombination aus fossiler Wärme-, Wasser- und Windkraft betrieben wird. Aber auch in der Bergbauindustrie werden Inselnetze eingesetzt, da die Abbaugebiete meist weit von der öffentlichen Stromversorgung entfernt sind. Ein Beispiel dafür ist die Granny-Smith-Mine in Australien, die zukünftig über eine Photovoltaikanlage, einen Stromspeicher und ein Gaskraftwerk versorgt werden soll und damit über eines der weltweit größten hybriden Inselnetze verfügt.

Ein Inselnetz kann nicht nur isoliert, sondern auch auf Verteilnetzebene aufgebaut werden, um im Fall eines großflächigen Stromausfalls kritische Infrastrukturen wieder mit Strom zu versorgen. Dabei ist ein schwarzstartfähiges Kraftwerk zentral. Von diesem ausgehend werden schrittweise einzelne Netzabschnitte mit kritischen Infrastrukturen zu einem Inselnetz zusammengeschaltet. Die Anzahl der kritischen Infrastrukturen, die an das Netz angeschlossen werden können, hängt dabei primär von der zur Verfügung stehenden elektrischen Leistung des Inselnetzes ab. Um jene zu erhöhen und weitere kritische Infrastrukturen mit Strom zu versorgen, können weitere einspeisende Anlagen dem Inselnetz hinzugeschaltet werden. Beispielsweise befinden sich durch den Ausbau erneuerbarer Energien weitere Einspeiser wie Photovoltaikanlagen auf Verteilnetzebene. Diese besitzen allerdings eine hohe Volatilität, also wetter- oder tageszeitbedingte Schwankungen bei der Stromerzeugung, die es zu berücksichtigen gilt: Tagsüber scheint die Sonne und Photovoltaikanlagen speisen Strom in das Inselnetz ein, Verschattungen durch Wolkenzüge führen allerdings zu einer kurzzeitigen Reduzierung der Stromerzeugung. Nachts hingegen speisen solche Anlagen keinen Strom ein, und das Inselnetz muss entsprechend verkleinert werden, indem ausgewählte Abschnitte davon getrennt werden. Die Schwierigkeit besteht somit in der optimalen Ausnutzung der elektrischen Energie, indem tagsüber das Inselnetz vergrößert und nachts verkleinert wird. Parallel dazu müssen auch die kurzzeitigen Schwankungen bei der Stromerzeugung berücksichtig werden.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Zuschaltung von kritischen Infrastrukturen zu dem Inselnetz. Grundsätzlich befindet sich in einem Stromnetz eine Vielzahl an Generatoren. Dadurch haben Zuschaltungen von einzelnen Lasten keine großen Auswirkungen auf die Netzstabilität. In einem Inselnetz allerdings befinden sich nur wenige Generatoren, und somit ist die Anfälligkeit für Überlastung höher. Man kann sich das Stromnetz dabei wie ein großes Containerschiff vorstellen, auf das eine fünf Meter hohe Welle keine großen Auswirkungen hat. Das Inselnetz entspricht dagegen einem Fischerboot mit einer viel geringeren Masse. Eine fünf Meter hohe Welle würde dieses stärker zum Schwanken bringen als das Containerschiff. In diesem Sinne wirken sich Zuschaltungen in einem Inselnetz stärker auf dessen Stabilität aus. Dadurch hat das Inselnetz auch weniger Zeit, um mit seinen Regelmechanismen auf das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch zu reagieren. Es ist also wichtig, vorher zu überprüfen, ob eine kritische Infrastruktur zugeschaltet werden kann oder ob die Zuschaltung zu einem erneuten Netzzusammenbruch führt.

Außerdem muss im Vorhinein ein genauer Plan über die notwendigen Handlungsmaßnahmen vorliegen, um in einer Krisensituation schnell reagieren zu können. Es sollte genau festgelegt sein, wie das Inselnetz aussieht und welche Zuschaltungen in welcher Priorität durchgeführt werden müssen. Allerdings benötigen nicht alle kritischen Infrastrukturen eine dauerhafte Stromversorgung. Eine Schwebebahn wie in Wuppertal bräuchte im Krisenfall beispielsweise lediglich Strom, damit die Passagiere bis zur nächsten Station fahren und aussteigen können. Danach wird kein Strom mehr benötigt, und andere kritische Infrastrukturen können vorrangig versorgt werden.

Forschungsprojekt SiSKIN

Es ist schwierig, ein Inselnetz auf Verteilnetzebene zu untersuchen, da im regulären Netzbetrieb keine Versuche durchgeführt werden können, die die Netzsicherheit gefährden und Verbraucher potenziell betreffen könnten. Im Rahmen von Forschungsprojekten wie „SiSKIN – Großflächiger Stromausfall – Möglichkeiten zur Teilversorgung von kritischen Infrastrukturen“ lassen sich solche Situationen jedoch untersuchen, indem Stromausfälle simuliert und Handlungsoptionen in einer Laborumgebung getestet werden. So lassen sich Probleme bei der Notfallversorgung im Vorhinein identifizieren und beheben, um anschließend einen Feldtest durchführen zu können.

An dem Forschungsprojekt, das im Dezember 2021 gestartet ist und eine Laufzeit von drei Jahren hat, sind hauptsächlich die Bergische Universität Wuppertal, WSW Netz aus Wuppertal, die Energieversorgung Leverkusen, RheinEnergie aus Köln, der Wupperverband und die AWG Abfallwirtschaftsgesellschaft in Wuppertal beteiligt. Das Projektkonsortium besteht somit aus einer universitären Forschungseinrichtung, drei Netzbetreibern, einem Betreiber eines Müllheizkraftwerks auf Verteilnetzebene und einem Betreiber einer Kläranlage, die als kritische Infrastruktur eingestuft wird. Projektziel ist die Verminderung schwerwiegender Folgen eines lang andauernden, großflächigen Stromausfalls, wenn kritische Infrastrukturen nicht mehr betrieben werden können. Dazu werden Konzepte für einen Teilnetzbetrieb von Verteilnetzen durch die Bildung von Inselnetzen entwickelt. So soll sichergestellt werden, dass kritische Infrastrukturen jenseits ihrer bisherigen Notstromkonzepte schnellstmöglich und resilient mit elektrischer Energie wiederversorgt werden können.

Der Projektplan umfasst drei zentrale Wegmarken: Zunächst wurde der Entwurf für ein Gesamtkonzept entwickelt. Dieses soll in einem Labortest und anschließend in einem Feldtest validiert werden. Für den Labortest dient das Smart Grid Lab (SGL) auf dem Campus Freudenberg der Bergischen Universität Wuppertal. Das SGL ist ein Niederspannungstestnetz, in dem das Konzept zur Inselnetzversorgung mit realen Netzkomponenten und Stromflüssen in einer gesicherten Umgebung erprobt werden kann, bevor es in einem realen Netz zum Einsatz kommt.

Die Konfiguration des Testnetzes kann individuell über die installierten Komponenten gestaltet werden. Sogenannte Lastbänke ermöglichen die Nachbildung von typischen Stromverbrauchsmustern, denen ein Inselnetz in der Praxis ausgesetzt sein wird. Dies ist äußerst hilfreich, um die Stabilität und Belastbarkeit des Inselnetzes zu testen und um sicherzustellen, dass es den Anforderungen unter verschiedenen Bedingungen standhalten kann. Zusätzlich befinden sich im SGL Ladesäulen für E-Autos und eine Photovoltaikanlage, mit der die Auswirkungen einer wetterbedingt volatilen Einspeisung getestet werden können. Eine weitere Besonderheit im SGL sind die sogenannten Umrichter, die Strom in das Netz einspeisen oder aus dem Netz entnehmen können. Durch die richtige Programmierung kann so auch das Verhalten einer Batterie in einem Inselnetz nachgestellt werden. Das SGL ist mit allen relevanten Komponenten eines realen Stromnetzes ausgestattet und ermöglicht so eine Vielzahl an möglichen Testszenarien.

Im Rahmen des Feldtests soll das entwickelte Konzept letztendlich mit einem realen Kraftwerk und realen elektrischen Verbrauchern erprobt werden. Dazu muss ein Netzabschnitt, der als Testnetzgebiet fungiert, vom restlichen Stromnetz isoliert werden, um sicherzustellen, dass der Feldtest keinen Einfluss auf die Versorgungssicherheit der anliegenden Verbraucher hat. Das dabei zugrundeliegende Konzept ist eine Spezifizierung der zuvor beschriebenen Bottom-up-Strategie: Die Inselnetzbildung soll über ein dezentrales Kraftwerk, den sogenannten Netzbildner, auf Verteilnetzebene angestoßen werden. Der Fokus liegt dabei auf der schnellstmöglichen Wiederversorgung kritischer Infrastrukturen. Zentraler Bestandteil des Konzepts ist eine Software, die anhand von vordefinierten Eingabewerten bei der bestmöglichen Verschaltung des Inselnetzes unterstützt. Ein Eingabewert entspricht dabei den Anschlussprioritäten der elektrischen Verbraucher und Versorger. Kritische Infrastrukturen haben jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Stromversorgung in Bezug auf die tägliche Dauer und die Dringlichkeit. Da es aus Gründen der hohen Dynamik und der begrenzten Leistungskapazitäten des Netzbildners nicht möglich ist, alle kritischen Verbraucher auf einmal an das Inselnetz anzuschließen, muss vorher festgelegt werden, welche kritischen Verbraucher dringlicher mit Strom versorgt werden müssen als andere. Da die Erzeugungskapazitäten des Netzbildners begrenzt sind, kann es dazu kommen, dass beim stetigen Zuschalten von elektrischen Verbrauchern auch zusätzliche elektrische Erzeuger an das Inselnetz angeschlossen werden müssen, um den Netzbildner zu entlasten. Hier wird nach der Verfügbarkeit der Energiequelle, der Hochfahrzeit des Erzeugers und der Leistungsgröße priorisiert. Ein anderer Eingabewert entspricht den Netzdaten des aufzubauenden Netzabschnitts, also den Angaben über die Komponenten des Netzes wie Kabel, Transformatoren, Schalter, Kraftwerke und Verbraucher. Über die Kenntnis der Anschlussprioritäten und des Netzaufbaus kann eine Software entscheiden, welche elektrischen Verbraucher und Erzeuger in welcher Reihenfolge und über welche Leitungen und Transformatoren zu einem immer größer werdenden Inselnetz zusammengeschaltet werden. Währenddessen prüft die Software anhand von Messdaten aus dem Inselnetz, wie sich der Anschluss neuer Netzkomponenten auf die Netzstabilität auswirken würde.

Damit das Konzept auf ein Verteilnetz angewendet werden kann, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein: Zunächst muss sich ein schwarzstartfähiges Kraftwerk oder ein Kraftwerk im Verteilnetz befinden, das sich nach dem Blackout im Eigenbedarf gefangen hat. Ein Kraftwerk im Eigenbedarf erzeugt nur die elektrische Energie, die es benötigt, um in Betrieb zu bleiben. Zum Eigenbedarf gehören unter anderem die Steuerung und Überwachung des Generators, aber auch triviale Dinge wie Licht und Klimaanlagen. Manche Kraftwerke verfügen über einen Sicherheitsmechanismus, der es ihnen erlaubt, sich präventiv abzukoppeln, falls das anliegende Stromnetz im Begriff ist, zusammenzubrechen. So verhindert es den eigenen Zusammenbruch und muss nicht schwarzgestartet werden. Dieses Kraftwerk kann als Netzbildner dienen, von dem aus das Inselnetz schrittweise aufgebaut wird.

Weiterhin muss das Kraftwerk inselnetzfähig sein. Das bedeutet in den meisten Fällen, dass es über eine Drehzahl- und eine Spannungsregelung verfügt. Die Drehzahlregelung ist dafür zuständig, dass die an einen Generator gekoppelten Turbinen mit einer Frequenz von 50 Hertz rotieren. Das ist sehr wichtig, da die elektrischen Erzeuger und Verbraucher nur bei einer Netzfrequenz nahe den 50 Hertz betrieben werden können. Werden elektrische Verbraucher an das Inselnetz angeschlossen, wird die Turbine wegen der entnommenen Energie abgebremst. Werden elektrische Verbraucher vom Inselnetz getrennt, dreht sich die Turbine schneller, da weniger Energie entnommen wird. In beiden Fällen sorgt die Drehzahlregelung dafür, dass die Turbine wieder auf die 50 Hertz zurückgeführt wird. Die Spannungsregelung hingegen regelt die elektrische Spannung, die in einem Netz konstant vorliegen muss.

Zuletzt sollte der Netzbildner über eine genügend hohe Nennleistung verfügen, also die Leistung, die er unter Normalbedingungen imstande ist zu produzieren. Mit jedem zusätzlich zu versorgenden Verbraucher muss dieser mehr Strom erzeugen. Übersteigt die Summe der elektrischen Leistung der angeschlossenen Verbraucher die Nennleistung des Netzbildners, ist dieser überlastet und kann nicht weiter betrieben werden. Das bedeutet, dass der Netzbildner genügend Leistung zur Verfügung stellen muss, um einen wesentlichen Anteil der kritischen Verbraucher im Inselnetz zu versorgen.

Die Leistung des Netzbildners wird in einem Umspannwerk über das Schließen von Schaltern in die Netzabschnitte mit den kritischen Verbrauchern geleitet. Damit dies schrittweise passieren kann und der Netzbildner nicht sofort überlastet ist, sollten die Schalter vor Aufbau des Inselnetzes alle geöffnet sein.

Erste Erkenntnisse

Mit Ablauf der ersten Hälfte des Forschungsprojekts konnten bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Die Zusammenarbeit mit den Netz- und Anlagenbetreibern war dabei entscheidend. So ließ sich feststellen, dass eine präventive Priorisierung von elektrischen Verbrauchern für den Krisenfall bisher schwierig zu legitimieren ist. Nach Artikel 20 Absatz 1 Energiewirtschaftsgesetz sind Betreiber von Energieversorgungsnetzen nämlich dazu verpflichtet, „jedermann nach sachlich gerechtfertigten Kriterien diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren“. Das ist eine wichtige Regelung im alltäglichen Normalbetrieb von Stromnetzen. In einem Krisenfall, in dem aufgrund fehlender Erzeugungsleistung aber nicht die Möglichkeit einer Gleichbehandlung aller Verbraucher besteht, muss priorisiert werden, welche Verbraucher unbedingt mit elektrischer Energie versorgt werden müssen. Eine präventive Priorisierung hilft im Krisenfall, schnell handeln zu können und so den gesellschaftlichen Schaden eines großflächigen und lang andauernden Blackouts zu minimieren.

Außerdem sollten die Anlagen und Netze vermehrt auf den Ernstfall hin getestet werden. Oftmals ließen sich im Zuge des Forschungsprojekts keine klaren Aussagen darüber treffen, was passiert, wenn man tatsächlich ein Inselnetz von einem Netzbildner aus verschalten müsste. Daraus folgt, dass mehr Anreize und gesetzliche Regelungen geschaffen werden sollten, um die Netz- und Anlagebetreiber dazu zu motivieren, Krisenszenarien regelmäßig zu erproben.

Ausblick

Ein Blackout ist in einem sicheren Stromnetz wie dem deutschen sehr unwahrscheinlich, dennoch ist er nicht gänzlich auszuschließen. Die Folgen eines lang andauernden und großflächigen Stromausfalls können verheerend für die Gesellschaft sein, insbesondere, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Fast alle alltäglichen Dinge wie Lebensmittelbeschaffung, Beleuchtung, Transport, Kommunikation und Hygiene sind von einer funktionierenden Stromversorgung abhängig. Mit steigender Anzahl von Cyberangriffen und Unwetterereignissen nimmt auch das Risiko für einen solchen Krisenfall zu. Somit sollten sich die Netzbetreiber präventiv auf ein derartiges Szenario vorbereiten. Ohne gesetzlich verordnete Regularien zur Blackout-Prävention ist es leider weiterhin sehr unattraktiv, Investitionen hinsichtlich eines solchen High-impact-low-probability-Ereignisses zu tätigen. Idealerweise sollten dennoch regelmäßige Schwarzstart-Tests von geeigneten Netzbildnern durchgeführt werden. Außerdem sollte jeder Verteilnetzbetreiber einen fertigen Verschaltungsplan für ein Notinselnetz einsatzbereit haben, nach dem die wichtigsten kritischen Infrastrukturen mit Strom versorgt werden können. Um diesen Verschaltungsplan umzusetzen, müssen alle nötigen Techniker einen fertigen Fahrplan haben, damit sie genau wissen, welche Schalthandlungen auszuführen sind, wenn die Kommunikation mit der Leitstelle nur eingeschränkt funktioniert. Eine gute Vorbereitung führt im Krisenfall zu schnelleren Entscheidungen – und kann so Leben retten.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal und betreut das Forschungsprojekt „SiSKIN – Großflächiger Stromausfall – Möglichkeiten zur Teilversorgung von kritischen Infrastrukturen“.
E-Mail Link: puleo@uni-wuppertal.de

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal und betreut das Forschungsprojekt „SiSKIN – Großflächiger Stromausfall – Möglichkeiten zur Teilversorgung von kritischen Infrastrukturen“.
E-Mail Link: muetherig@uni-wuppertal.de

leitet den Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal und leitet das Forschungsprojekt „SiSKIN – Großflächiger Stromausfall – Möglichkeiten zur Teilversorgung von kritischen Infrastrukturen“.
E-Mail Link: zdrallek@uni-wuppertal.de