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Ein Klimapräsident? Macrons Klima- und Energiepolitik (2017–2022)

Sébastien Vannier

/ 6 Minuten zu lesen

Ehrgeizige Ziele zu Beginn der Amtszeit

„Make our planet great again“: Kaum war Emmanuel Macron im Jahr 2017 Präsident, brachte er mit diesem Slogan seinen internationalen Führungsanspruch im Bereich Klimapolitik zum Ausdruck. Damit wandte er sich auch schlagfertig an den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der kurz zuvor den Ausstieg der USA aus dem Weltklimavertrag angekündigt hatte, indem er Trumps ‚America-First‘-Polemik in abgewandelter Form übernahm. Anknüpfend an den Erfolg der Pariser Klimakonferenz 2015 sollte Frankreich die Spitzenposition im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen.

Mit seiner neu gegründeten Bewegung La République en Marche positionierte sich Macron schon im Wahlkampf 2017 mit einer klaren Haltung in der Klimapolitik. Seine ambitionierten Ziele umfassten den Kohleausstieg noch während seiner Amtszeit, die schrittweise Erhöhung der CO2-Bepreisung auf 100 Euro pro Tonne bis 2030. Zudem sollten Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien gefördert und so die Kapazitäten im Wind- und Solarbereich verdoppelt werden. In der Bilanz sollten bis zum Jahr 2030 32 % des Bruttoendenergieverbrauchs durch erneuerbare Energien gespeist und der Anteil an Kernenergie bis auf 50 % im Jahr 2025 reduziert werden.

Weltweiter Klimastreik in Paris, 20.09.2019 (© picture-alliance, NurPhoto)

Bei der Bildung seiner Regierung gelang dem frisch gewählten Präsidenten ein medienwirksamer Coup, als der Klimaaktivist Nicolas Hulot Umweltminister wurde. Der beliebte ehemalige Fernsehreporter stand in der Regierung als Garant dafür, dass die Versprechen des Präsidentschaftskandidaten ernst gemeint waren. Die neu gebildete Regierung konnte durchaus Erfolge im Bereich der Umweltpolitik verbuchen: Das umstrittene Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes in der Nähe von Nantes wurde aufgegeben (2018). Ebenso konnten Projekte wie eine großflächige Entwaldung im Rahmen der Montagne d’Or, eines der größten Goldminenprojekte in Französisch-Guayana (2019), oder das Mega-Immobilienprojekt Europacity im Norden von Paris (2019) gestoppt werden. Im Juni 2020 wurde das kontrovers diskutierte Atomkraftwerk in Fessenheim nahe der deutsch-französischen Grenze nach 43 Jahren Laufzeit stillgelegt – ein Versprechen, das Präsident François Hollande acht Jahre zuvor gegeben hatte.

In der ersten Hälfte der Amtszeit widmete sich die Regierung der Klimafrage also mit einer gewissen Entschlossenheit. Doch der erste Rückschlag für Emmanuel Macron kam früh. Im August 2018 trat der beliebte Minister Nicolas Hulot zurück. Hulot habe eine „Anhäufung von Enttäuschungen“ erlebt. Er wolle „nicht die Illusion aufrechterhalten“, dass seine Beteiligung an der Regierung bedeute, Frankreich handle in Umweltfragen angemessen. Ein schwerer Schlag für den selbsternannten Klima-Präsidenten, aber nicht der letzte.

Von den Gelbwesten bis zum Klima-Bürgerrat

Nicht die erfolgreiche Klimapolitik, sondern insbesondere die Interner Link: Gelbwesten-Bewegung hat Macrons erste Amtszeit und das Bild Frankreichs im Ausland geprägt. Die landesweiten Proteste hatten viele verschiedene Ursachen – die CO2-Bepreisung ist eine der wesentlichen. Die CO2-Bepreisung wurde bereits 2014 unter Nicolas Sarkozy eingeführt und ist auch Teil der 2015 unter François Hollande verabschiedeten Stratégie Nationale Bas-Carbone (SNBC – Nationale Strategie für Dekarbonisierung): Beginnend mit 7 Euro pro Tonne CO2 soll die Bepreisung schrittweise auf bis zu 100 Euro pro Tonne ansteigen.

Am 21.09.2019 fanden zeitgleich Großdemonstrationen der Gelbwesten-Bewegung und der Klima-Bewegung in Paris statt. (© picture-alliance/dpa, MAXPPP)

Die Erhöhung im Jahr 2019 lief jedoch ganz anders als geplant. In einem ohnehin sozial angespannten Kontext befand sich der Benzinpreis auf dem globalen Markt im Winter 2018/19 auf einem hohen Niveau. Zu diesem kritischen Zeitpunkt sollte die CO2-Bepreisung planmäßig von 44,60 auf 55 Euro ansteigen, was den Benzinpreis weiter in die Höhe getrieben hätte. Die darauffolgenden Wochen erschütterten die französische Gesellschaft: Erste Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise formierten sich im November 2018. Symbol der Bewegung wurden Menschen, die im ländlichen Raum auf das Auto angewiesen sind und so unter dieser Preiserhöhung stark gelitten hätten. Großdemonstrationen und wochenlange Proteste führten schließlich dazu, dass im Dezember 2018 die geplante Erhöhung rückgängig gemacht und bis Ende der Amtszeit nicht wieder angefasst wurde. Politisch ist das Thema CO2-Bepreisung mittlerweile ein Pulverfass. Dennoch plädierte der unabhängige Conseil des prélèvements obligatoires (wörtlich „Rat für Zwangsabgaben“) Anfang 2022 dafür, die strittige und unbeliebte Maßnahme wieder umzusetzen, damit die Klimaziele Frankreichs eingehalten werden können. Die durch die Bepreisung generierten Einnahmen sollen aber besser und transparenter verteilt werden.

Als Antwort auf die Anfänge der Gelbwesten-Bewegung wurde im Oktober 2019 der Klima-Bürgerrat ins Leben gerufen: 150 zufällig ausgeloste Teilnehmende entwickelten 149 Vorschläge für die Umwelt- und Klimapolitik des Landes. Ein Teil dieser Empfehlungen manifestierte sich in dem Gesetz zu Klima und Resilienz, das im August 2021 verabschiedet wurde. Für viele Umweltorganisationen, aber auch für viele Teilnehmende verlief dieser Prozess jedoch enttäuschend. Zentrale Vorschläge wie zum Beispiel die Volksabstimmung, die den Klimaschutz in der französischen Verfassung verankern sollte, wurden vom Parlament abgelehnt.

Die unzureichende Bilanz der Klimapolitik

Enttäuschend und mangelhaft: So wird von Umweltaktivisten/-innen, aber auch von verschiedenen Gerichten die Klimapolitik Frankreichs beschrieben. Das Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 (gegenüber 1990) um 40 % zu reduzieren, scheint in weite Ferne zu rücken. In seinem letzten Externer Link: Jahresbericht beobachtet der Haut conseil pour le climat (HCC – Hoher Rat für das Klima): Die Emissionen wurden 2019 und 2020 zwar gesenkt, „doch sind die aktuellen Bemühungen unzureichend, um zu gewährleisten, dass die Ziele bis 2030 erreicht werden, erst recht im Kontext des neuen europäischen Klimagesetzes“. Laut HCC sollten die Emissionen im Jahr 2021 und in den Folgejahren um durchschnittlich 3 % gesenkt werden – ab 2024 sogar um 3,3 %. Dies kommt de facto einer Verdopplung der Senkungsrate gleich.

HCC – Hoher Rat für das Klima

Das Haut Conseil pour le Climat (HCC - Hoher Rat für das Klima) wurde am 14.05.2021 per Dekret gegründet. Es handelt sich um ein unabhängiges Organ, das jährlich über die Entwicklung der CO2-Emissionen des Landes berichtet und prüft, ob die eingeführten Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens ausreichen und sozialverträglich ausgestaltet sind.

Eine ähnliche Bilanz zog die höchste Verwaltungsinstanz des Landes, der französische Staatsrat (Conseil d’État), in der sogenannten Externer Link: Affaire Grande-Synthe: Die nordfranzösische Kommune klagte im Jahr 2019 gegen die „klimapolitische Untätigkeit“ Frankreichs mit dem Argument, selbst vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen zu sein. Der Staatsrat erklärte: Frankreich habe sich selbst verpflichtet, im Rahmen des Pariser Abkommens seine Emissionen bis 2030 um 40 % zu reduzieren. Jedoch waren die Senkungen 2019 „schwach und 2020 nicht aufschlussreich, weil die wirtschaftliche Aktivität wegen der Corona-Krise reduziert wurde“. Das Gericht erklärte zudem: Die „Reduzierung von 12 % im Zeitraum 2024 bis 2028“ erscheine nicht machbar, „wenn keine neuen Maßnahmen getroffen werden“. Die Regierung müsse „bis zum 31. März 2022 neue Maßnahmen treffen“.

In dieser Hinsicht soll Frankreich nicht nur seine Klimapolitik für die Zukunft verbessern, sondern auch die Versäumnisse der Vergangenheit ausgleichen. Im Oktober 2021 entschied das Pariser Verwaltungsgericht, dass der französische Staat bis Ende 2022 die „Folgen seiner Mängel im Kampf gegen den Klimawandel beheben“ muss. Konkret müssten die zu viel ausgestoßenen Treibhausgase bis zum Ende des Jahres 2022 kompensiert werden.

Renaissance der Atomenergie

Der französische und der deutsche Weg im Energiesektor weichen zum Ende von Macrons Amtszeit im Winter 2021/2022 stark voneinander ab. Am 31. Dezember 2021 wurden drei der letzten sechs deutschen AKWs vom Netz genommen; spätestens Ende des Jahres 2022 wird Deutschland komplett aus der Kernenergie aussteigen. Ganz anders in Frankreich, wo die Kernenergie im Jahr 2020 noch ca. 66 % der Nettostromerzeugung ausmachte. Das Ziel, diesen Anteil im Jahr 2025 auf 50 % zu reduzieren, wurde nun offiziell auf das Jahr 2035 verschoben.

Frankreichs ältestes Kernkraftwerk Fessenheim – nahe der deutschen Grenze am Rhein gelegen – wurde am Montag, dem 30.06.2020 abgeschaltet. Seine über vier Jahrzehnte lange Laufzeit geht so zu Ende. Zwischenfälle hatten mehrfach grenzüberschreitende Kontroversen ausgelöst. (© picture-alliance, ABACA)

Emmanuel Macrons Sinneswandel in Sachen Kernenergie wurde während des Wahlkampfes 2022 noch deutlicher, als er Anfang Februar 2022 eine „Externer Link: Renaissance der Atomenergie“ versprach: „Einige Länder haben radikale Wahlen getroffen und sind aus der Kernenergie ausgestiegen. Frankreich hat eine andere Wahl getroffen.“ In der Rede, die sein energiepolitisches Programm für eine mögliche zweite Amtszeit vorstellt, plädiert der Präsident für den Bau von Druckwasserreaktoren der nächsten Generation (EPR 2). Sie sollen mit sogenannten Mini-AKWs (Small Modular Reactors) sowie durch eine Verlängerung der Laufzeit bestehender Kernkraftwerke die Energiesicherheit Frankreichs herstellen. Ebenfalls war der französische Präsident sehr aktiv, um die Kernenergie als „nachhaltige Energie“ ins Taxonomie-Regelwerk zum nachhaltigen Wirtschaften der Europäischen Union (EU) zu integrieren. Im Endspurt seiner ersten Amtszeit (2017–2022) setzte sich Emmanuel Macron wieder für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Allerdings deckten die erneuerbaren Energien im Jahr 2020 in Frankreich lediglich 19,1 % des Bruttoendenergieverbrauchs. Damit war Frankreich das einzige EU-Land, das das verabredete Ziel (23 %) in dem Sektor verfehlte.

Anfang 2022 bestärken der Krieg in der Ukraine und die insgesamt angespannten Beziehungen zu Russland die Befürworter der Kernenergie in ihrer Einschätzung, dass Kernenergie eine essenzielle Säule der Energie-Souveränität Frankreichs und somit auch von sicherheits- und außenpolitischer Bedeutung sei. Doch in der Energiepolitik und in der Klimakrise wird der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin nicht nur vonseiten der französischen Gerichte, sondern auch vonseiten der Europäischen Union unter Druck geraten, um die Maßnahmen zur Erreichung der geplanten Ziele zu verschärfen.

Quellen / Literatur

Götze, Susanne: „Vom Vorreiter zum Sorgenkind? – Frankreich und der Klimaschutz“, in: Länderbericht Frankreich, hrsg. v. Corine Defrance/Ulrich Pfeil, Bundeszentrale für politische Bildung, 2021, S. 285–292.

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Sébastien Vannier für bpb.de

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Sébastien Vannier ist seit 2013 im Centre Marc Bloch für die wissenschaftliche Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er arbeitet zudem als Deutschlandkorrespondent für die französische Tageszeitung Ouest-France.