Von der Stasi-Erstürmung zur Aktenöffnung
Konflikte und Kompromisse im Vorfeld der Deutschen Einheit
Der Konflikt
Im dem sich vor der Vereinigung anbahnenden Konflikt ging es vereinfacht um die Alternative: Sollten die Akten komplett erhalten und bürgernah verwaltet und einzusehen sein, oder sollten sie teilvernichtet, für die Bürger weitgehend unzugänglich, in die Hände der bundesdeutscher Exekutive und ihrer Sicherheitsbehörden gelangen?
Bürgerkomitees in Leipzig und andernorts plädierte für eine radikale Dezentralisierung in bezirklichen Aktendepots unter parlamentarischer Kontrolle. Eine mittlere Position nahm der Sonderausschuss der Volkskammer unter seinem Vorsitzenden Joachim Gauck ein. Er plädierte für Landesaktendepots mit Landesbeauftragten an der Spitze.
Die extreme Gegenposition stammte aus Bundeskreisen. Danach waren die Akten zentral in einer Bundesbehörde, dem Bundesarchiv, zu lagern, weitgehend abgeschirmt, den Sicherheitsinteressen dienend. Ironischerweise war ein solcher Vorschlag im Dezember 1989 zuerst in Stasi-Kreisen diskutiert worden. Die Akten sollten demnach in einem Staatsarchiv mit langen Sperrfristen – nach dem Vorbild der USA an 50 Jahre – gelagert werden. Das war nach Ansicht der Stasi-Strategen die zweitbeste Variante des "Quellenschutzes" nach der Vernichtung.[52]
Angeblich wurde dieses Modell der Bundesregierung über das DDR-Innenministerium erfolgreich angetragen.[53]
Nach westdeutscher Auffassung betraf ein Drittel der sechs Millionen Stasi-Personendossiers Bundesdeutsche, deren verfassungsmäßig garantieren Persönlichkeitsrechte untolerierbar verletzt seien. Diese Akten müssten daher zeitnah vernichtet werden. Mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz in Kombination mit dem Bundesdatenschutzgesetz war zudem präventiv eine Rechtslage geschaffen, die es erlaubte, mit dem Tage der Vereinigung zumindest alle Abhörprotokolle, wenn nicht die zwei Millionen Westdossiers, möglicherweise sogar die Ostdossiers zu vernichten.