Sammelrezension zu:
Hanna Haag: Erinnerungen ostdeutscher arbeitsloser Frauen an die DDR-Vergangenheit. "Jeder hat seine Zeit anders erlebt" (Bibliotheca Academica; Soziologie; 7), Würzburg: Ergon 2010, 207 S., € 26,–, ISBN: 9783899137828.
Jens Hildebrandt: Gewerkschaften im geteilten Deutschland. Die Beziehungen zwischen DGB und FDGB vom Kalten Krieg zur Neuen Ostpolitik 1955 bis 1969 (Mannheimer Historische Forschungen; 31), St. Ingbert: Röhrig 2010, 723 S., € 68,–, ISBN: 9783861104766.
Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 199), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 380 S., € 59,95, ISBN: 978352537001.
Dirk Moldt: Nein, das mache ich nicht! Selbstbestimmte Arbeitsbiographien in der DDR (Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Links 2010, 176 S., € 29,90, ISBN: 9783861536062.
Thomas Reichel: "Sozialistisch arbeiten, lernen und leben". Die Brigadebewegung in der DDR (Zeithistorische Studien; 47), Köln u.a.: Böhlau 2011, 320 S., € 39,90, ISBN: 9783412205416.
Peter Rütters, Siegfried Mielke (Hg.): Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund 1945–1949/50. Gründung, Organisationsaufbau und Politik (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert; 15), Bonn: J. H. W. Dietz 2011, 1.028 S., € 68,–, ISBN: 9783801242091.
Manfred Scharrer: Der Aufbau einer freien Gewerkschaft in der DDR 1989/90. ÖTV und FDGB-Gewerkschaften im deutschen Einigungsprozess, Berlin: de Gruyter 2011, 443 S., € 39,95, ISBN: 9783110254327.
"Der deutsche Sozialstaat"
Vergleichende Untersuchungen für die Zeit der deutschen Zweistaatlichkeit sind nicht eben häufig; das gilt erst recht für die breiten Felder von Arbeit und Leben. Daher kommt Hans-Günter Hockerts' Sammlung von Aufsätzen schon auf den ersten Blick eine besondere Bedeutung zu. Hockerts hat es außerdem verstanden, einen Sammelband von beachtlicher Homogenität vorzulegen, dessen thematische Geschlossenheit bei gleichzeitiger inhaltlicher Breite überzeugt.
Über die Grundlegungen westdeutscher Sozialstaatlichkeit hinaus, die den ersten Teil des Bandes ausmachen, widmet er sich den Fragen der Wiedergutmachung, die die Geschichte der "alten" Bundesrepublik zeit ihrer Existenz begleiteten, und – etwas breiter – den Reformen der Großen Koalition und der sozialliberalen Regierungen. Aber schon zuvor schimmerte die innerdeutsche Problemlage durch: Hockerts belegt, wie schon bei der Dynamisierung der Renten in der Reform von 1957 die Auswirkungen auf die DDR in das Kalkül der Bonner Politiker einfloss. Auch auf diesem Weg sollte die Attraktivität der jungen Bundesrepublik gegenüber dem zweiten deutschen Staat deutlich gemacht werden.
Vier instruktive Beiträge enthält das Kapitel, das dem Vergleich gewidmet ist, unter der Überschrift: "Die DDR als gescheiterte Alternative". Geboten wird indes mehr. In einem knappen Überblick zeigt der Verfasser drei Grundtypen deutscher Sozialstaatlichkeit im 20. Jahrhunderts, indem er die Ausprägungen im "Dritten Reich" mit einbezieht. Die drei unterschiedlichen Ausprägungen als "völkischer Wohlfahrtsstaat", die Bonner Variante, die Demokratie und Kapitalismus in ein fruchtbares Gleichgewicht brachte, und der "planwirtschaftliche Versorgungsstaat der SED-Diktatur" interpretiert Hockerts als konträre Ausprägungen der gemeinsamen Weimarer Wurzeln.
Der umfangreichste Beitrag dieses Teils, den Grundlinien der Sozialpolitik in der DDR gewidmet, kann schon wegen seines Umfangs nicht eine detaillierte Spezialuntersuchung ersetzen. Hockerts geht es auch in erster Linie nicht uns Detail, wie etwa in Beatrix Bouviers Analyse "Die DDR – Ein Sozialstaat?" (Bonn 2002), sondern will besondere Problemlagen erörtern. So geht er der Frage nach, welchen Anteil die Sozialpolitik an der "Formierung und Erosion" der DDR-Gesellschaft hatte. Im Einzelnen werden beleuchtet die Umformung des Sozialversicherungswesens in der Nachkriegszeit, die Überwindung der Arbeitslosigkeit, die Rolle der Gewerkschaften und der Betriebe. Hier offenbart sich bereits ein zentraler Mangel: Die Defizite in den Finanzen erforderten stets Zuschüsse aus dem Staatshaushalt, trotz über Jahre hinweg unzureichender Standards im Gesundheitssystem und beständig niedriger Renten. Der Umbau des Gesundheitswesens nahm das sowjetische Vorbild weitgehend auf; den Betrieben fiel mehr und mehr eine tragende Rolle in der Gesundheits-Vor- und -Fürsorge zu – auch das ein Feld weiterer "Entbürgerlichung" der Gesellschaft. Trotz anfänglicher Erfolge blieb die DDR seit den Siebzigerjahren hinter der Entwicklung der westlichen Industriestaaten zurück. Selbst die Lebenserwartung ihrer Bürger stieg weit weniger als im Westen, aus welchen Gründen auch immer, seien es Umweltprobleme oder die inzwischen rückständige materielle und technische Ausstattung.
Betriebszentriertheit der Sozialpolitik und Selbstverständnis der DDR als "Arbeitsgesellschaft" bedingen nicht unbedingt niedrige Renten. Aber die ungleiche Verteilung der Sozialleistungen auf die Generationen schuf Konflikte, die "in einem gewissen Maße zum gesellschaftlichen Zankapfel" wurden. Auf der anderen Seite griffen die Förderung von Frauen und Familien in einem wesentlich geringeren Maße, als von der Politik intendiert. Die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf wurde in der DDR zum gängigen Standard, schuf aber zugleich ein Feld neuer Probleme, sichtbar etwa an den seit den Siebzigerjahren drastisch steigenden Scheidungsquoten. Das Spannungsverhältnis von ökonomischer Effizienz und sozialer Sicherheit hat die DDR, so Hockerts, immer weniger beherrschen können. Ihr Niedergang begann mit der zweiten industriellen Revolution. Die Grundlagen des Wachstums, gegründet auf dem Mehreinsatz von Produktionsmitteln und Arbeitskräften, bildete die Grenze für die Funktionsfähigkeit ihres Sozialstaates und bewirkte eine bleierne Stagnation.
Danach thematisiert der Verfasser die Rolle der Sozialpolitik als Legitimationsbasis der SED-Herrschaft. Fraglos hat das für Teile der Bevölkerung in den rund 40 Jahren der Existenz der DDR "eine relativ tragfähige Brücke" gebildet und kompensierte partiell die geringe ökonomische Effizienz. Gleichwohl war deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit mitunter weit auseinanderklafften, wie die Probleme im Wohnungsbau bei gleichzeitigem Verfall alter Bausubstanz und im Gesundheitswesen, dessen Personal überproportional Ausreisewünsche hegte, zeigen. Der Band schließt mit einer einleuchtenden vergleichenden Betrachtung der Sozialpolitik in beiden deutschen Staaten und einem letzten Kapitel über die akuten Probleme des Sozialstaates im vereinten Deutschland. Insgesamt stellt der Band eine beachtliche und beeindruckende Übersicht über die deutsche Sozialpolitik seit 1945 dar.
"Sozialistisch arbeiten, lernen und leben"
© Böhlau, Köln u.a. (© Böhlau )
© Böhlau, Köln u.a. (© Böhlau )
Einen fraglos zentralen Aspekt der "Arbeitsgesellschaft" der DDR behandelt die Potsdamer Dissertation von Thomas Reichel: die "Brigadebewegung" seit dem Ende der Fünfzigerjahre. Allein die numerische Größe rechtfertigt eine eingehende Untersuchung. An der in ihrem Rahmen inszenierten Wettbewerbe um die Titel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit" nahmen in den Achtzigerjahren jeweils Millionen von Werktätigen teil; für 1988 spricht der Verfasser von rund 75 Prozent aller Arbeiter und Angestellten. Schon in der Einleitung wird klargestellt, dass es sich im engeren Sinne nie um eine "Bewegung" handelte, sondern um eine "von oben", von SED- und FDGB-Führung inszenierte, gelenkte und kontrollierte Kampagne. Das Moment der Spontaneität oder der Aktivitäten "von unten" fehlte.
Dem trägt auch der Aufbau der Untersuchung Rechnung. Nach einem knappen Rückblick auf die Vorläufer, auf die "Aktivisten-Bewegung" seit 1948, die Kampagnen um Betriebs-Kollektivverträge seit Beginn der Fünfzigerjahre, die "Neuerer"-Bewegung seit dem Beginn der Sechzigerjahre oder die "Mach-mit"-Kampagnen, die allesamt Mobilisierung in Betrieben oder in der Bevölkerung intendierten, wird breit die Gründungsinitiative analysiert, die vom FDGB-Bundesvorstand ausging und auf ein sowjetisches Vorbild zurückgriff. Die Motive ähnelten denen vorausgegangener Kampagnen: Steigerung der Produktion und der Produktivität. Beides war bekanntlich immer hinter den hochgesteckten Zielen der Planwirtschaft zurückgeblieben. In den Entwürfen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) ging es, anders als zuvor, nicht um Prämien oder Verträge, sondern um die "Erfüllung und Übererfüllung" der Wirtschaftspläne, damit auch um Leistungslöhne. Aber, so ein Hinweis des Verfassers, die FDGB-Führung plante, das Ansehen und den Einfluss der eigenen Organisation gegenüber der SED zu verbessern. Wie üblich wurde die Kampagne minutiös geplant, um sie tatsächlich nach außen als Initiative aus den Betrieben erscheinen zu lassen. Vorreiter waren Jugendbrigaden, die sich im Jahre 1959, von Halle und Potsdam ausgehend, über die beiden Bezirke ausbreiteten. Die SED-Führung betrachtete das zu dieser Zeit mit Wohlwollen, sah sie sich doch ihrem Ziel der "sozialistischen Erziehung" der Arbeiter näher kommen.
Die Reaktionen der Arbeiter in den Betrieben war naturgemäß schwer nachzuzeichnen; indes blieben mitunter innerbetriebliche Spannungen nicht aus. Die Umsetzung der Teil-Kampagne "Sozialistisch arbeiten" gelang in den Schlüsselbetrieben nicht zuletzt dank der Unterstützung durch SED-Funktionäre, das sozialistische "Leben" und "Lernen" wurde skeptischer gesehen. Der Aufbau von Feierabend-, Kultur- oder Weiterbildungsstrukturen innerhalb der Brigaden verlief eher schleppend. An drei instruktiven Beispielen, die selbstverständlich nicht repräsentativ sein können, aus Bitterfeld, Eisenhüttenstadt und Brandenburg/Havel wird das "Innenleben" der frühen Brigaden beleuchtet.
In einigen Plänen und Artikeln aus dem Jahr 1960 wurde, ausgehend vom Kreis um Erich Apel, dem Leiter der Wirtschaftskommission beim Politbüro der SED, erwogen, die Kompetenzen der Brigaden zu erweitern. Für Günter Mittag drohte daraus die Konsequenz, dass "sozialistischen Leitungen" liquidiert würden. Walter Ulbricht gab seine ursprünglich positive Haltung zu den Brigaden jäh auf: Im Mai 1960 verurteile er die Reformvorstellungen als "Syndikalismus einiger Gewerkschaftsfunktionäre" – ein grundlegender Kurswechsel war damit eingeleitet. Dass anschließend die "Bewegung" stagnierte, kann nicht verwundern. Erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre wendete sich das Blatt wieder, aber mit veränderten Vorzeichen: der Anpassung an technische Veränderungen. In der Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR suchten Partei- und Staatsführung nach Bausteinen einer Erfolgsbilanz. So wurde die Brigadebewegung mit großem Aufwand wiederbelebt und zugleich auf nichtindustrielle Bereiche ausgedehnt.
Der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker brachte auf dem Feld der Brigadebewegung keinen Richtungswechsel, aber eine Verbreiterung und Intensivierung. Sie ging einher mit vereinfachten Modalitäten und – DDR-typisch – exzellenten Statistiken. Auch hier ermöglichen Einzelstudien, so zum Eisenhüttenkombinat Ost, wertvolle Einblicke. Immerhin vermittelt Reichels Untersuchung auch ein Bild von der Routine einer "Bewegung" in den Achtzigerjahren. Impulse waren selten geworden, Innovation nicht erforderlich. Man versuchte, die Bewegung zu verbreitern, durch Übernahme von "Patenschaften" für weniger aktive Betriebe oder Schulen. Ein letztes instruktives Kapitel ist den Jugendbrigaden gewidmet. Hier wird für die Achtzigerjahre deutlich, dass Partei- und Gewerkschaftsführung unfähig oder unwillig waren, die Schwierigkeiten der Jugendbrigaden aufzugreifen. Die Problemlagen hatten sich seit dem Beginn der Sechzigerjahre kaum verändert. Für den Verfasser resultiert daraus ein rapider Vertrauensverlust. Ob die Brigaden "die zentrale Institution zur 'Kollektivierung' der Gesellschaft" waren, wie der Verfasser abschließend festhält, mag dann vom Ergebnis her fragwürdig sein. Intendiert war es jedenfalls von der Partei- und Staatsführung.
"Nein, das mache ich nicht!"
© Ch. Links Verlag, Berlin. (© Ch. Links Verlag )
© Ch. Links Verlag, Berlin. (© Ch. Links Verlag )
Die Kehrseite der Arbeitsgesellschaft zeigt der schmale Band von Dirk Moldt. Ihm geht es um Biografien von Menschen, die sich der staatlich regulierten Beschäftigung entzogen, zum Teil freiwillig, zum Teil unfreiwillig. Es geht um Personen, die individuelle Freiheit für sich beanspruchten "und dafür auf berufliche Sicherheit, auf regelmäßiges Einkommen und auch auf eine bestimmte gesellschaftliche Stellung zu verzichten" bereit waren, "sogar unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen."
Die erste Hälfte des Buches behandelt den rechtlichen Rahmen für Verhaltensweisen, sich der Arbeitspflicht nach staatlichen Vorgaben zu entziehen. Wie häufig in der DDR waren die Normen unkonkret und dehnbar; präzise Bestimmungen von "Asozialität" oder "Arbeitsscheu" gab es nicht. Willkür der Behörden war stets denkbar. Noch vor dem Erlass eines neuen Strafgesetzbuches 1968, das als erstes Ziel setzte, die Interessen des Staates zu schützen, hatte die DDR im August 1961 eine "Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung" erlassen, um gegen "Arbeitsbummelei" vorgehen zu können. Mit der Neufassung des Strafrechts galt nun der neue Paragraph 249, der nach den Worten von Hilde Benjamin "die Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten" zur Straftat erklärte. Hinzu kam die Möglichkeit von "Erziehungsmaßnahmen". Das Strafrechtsergänzungsgesetz von 1977 verschärfte die Sanktionsmöglichkeiten, vor allem, weil der Personenkreis, gegen den vorgegangen werden konnte, ausgeweitet wurde.
In diesem Teil werden darüber hinaus Untersuchungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus den Sechzigerjahren zu diesem Problemkreis behandelt, die Bekämpfung der Schwarzarbeit, die Versuche zur Unterdrückung anderer Lebenskulturen und die Bemühungen, "asoziales" Verhalten gesellschaftlich zu diskriminieren. Erst in den Achtzigerjahren bildeten sich Diskussionen um alternative Arbeitsformen in der sich formierenden Oppositionsbewegung, ebenso wie eine Grauzone, "in der Waren und Dienstleistungen den Konsumenten direkt, also an der sozialistischen Planwirtschaft vorbei, angeboten wurden". Naturgemäß konzentrierte sich das auf bestimmte Subkulturen oder künstlerische Milieus.
Der erste Abschnitt des Bandes gründet sich vornehmlich auf Akten. Der zweite Teil, der konkrete Schicksale vorstellt, fußt auf Interviews mit standardisierten Fragen. Die Biografien zeigen eine beträchtliche Spannbreite dessen, was die DDR-Behörden als "Asozialität" ahndeten. Dazu zählt ein Landwirt, der sich 1960 der Kollektivierung widersetzte, ein Mann, der die Freizeit vor seinen Beruf setzen wollte und auf Umwegen zum Fotografen wurde, eine Frau, die nach fester Anstellung als freiberufliche Schneiderin wirkte, ein Disc-Jockey, der über Umwege in diese Rolle kam, ein Schauspieler mit zeitweiligem Berufsverbot, Pfleger in selbst verwalteten Heimen oder eine Malerin, der die Karriere verwehrt blieb. Die Fragen galten den Gründen für den Ausstieg, den Reaktionen im Bekanntenkreis, staatlichen Behinderungen und nicht zuletzt dem "Ertrag" aus der Rückschau. Resümierend unterscheidet Moldt vier Typen von "Aussteigern": die Individualisten, die Künstler und Publizisten, die politischen Verweigerer und den Karriereverzicht aus gesundheitlichen Gründen. Alle Interviewten trafen eine rationale Entscheidung.
"Erinnerungen ostdeutscher arbeitsloser Frauen"
© Ergon Verlag, Würzburg. (© Ergon )
© Ergon Verlag, Würzburg. (© Ergon )
Hannah Haags Untersuchung – aus einer Diplomarbeit hervorgegangen – beleuchtet anhand von fünf Biografien die Erfahrungen und Wahrnehmungen von Arbeitslosigkeit nach dem Ende der DDR. Die Frauen, zwischen 1950 und dem Beginn der Sechzigerjahre geboren, charakterisiert die Verfasserin als die "Wehmütige", die Systemtreue", die "Kritische", die "Behütete" und die "Fügsame". Aus den Verarbeitungsmustern leitet sie drei Typen ab: das Bedauern über den Verlust der Werte in der DDR, das Einrichten in der Gegenwart mit Kritik an den Zuständen in der Bundesrepublik und die Bereitschaft zum Blick in die Zukunft. Die Frauen, als größte Gruppe in Ostdeutschland von Arbeitslosigkeit nach 1990 getroffen, zeigen also deutlich unterschiedliche Auffassungen und Verhaltensweisen.
"Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund
1945 bis 1949/50"
© Verlag J.H.W. Dietz, Bonn. (© J.H.W. Dietz Verlag )
© Verlag J.H.W. Dietz, Bonn. (© J.H.W. Dietz Verlag )
"Endlich!", ist man versucht zu sagen bei Ansicht der umfangreichen, von Siegfried Mielke und Peter Rütters, beide ausgewiesene Kenner der Geschichte des FDGB besorgten Edition zur Führungsebene der Gewerkschaften in der SBZ/DDR. Da trotz recht guter Literaturlage (so etwa in den umfangreichen Arbeiten von Detlev Brunner, Helke Stadtland oder Stefan Paul Werum) eine breite Gesamtgeschichte für die Frühzeit der Gewerkschaften in der Sowjetischen Besatzungszone noch aussteht, schließ diese Edition fraglos eine schmerzliche Lücke. Immerhin sind hier mehr als 300 Dokumente, in großer Zahl weitgehend ungekürzt, wiedergegeben und erschlossen; der zeitliche Rahmen reicht vom Mai 1945 bis zum September 1950. Das erste Dokument vom Mai 1945 gibt die Richtlinien des sich formierenden Gewerkschaftsbundes in Halle (Saale) wieder, noch unter US-amerikanischer Besatzung erstellt. Die Edition schließt mit der durch den 3. Bundeskongress des FDGB veränderten Satzung, mit der sich die frühere "freie Gewerkschaft" bedingungslos dem Kurs der inzwischen stalinisierten SED unterordnete.
Dann aber betreffen die meisten Dokumente die Gewerkschafts-Entwicklung in Berlin. So werden – sachlich zweckmäßig – für die Zeit vor dem Gründungskongress des FDGB im Februar 1946 mehr als 40 Protokolle, Schreiben, Anweisungen und Berichte wiedergegeben. Sie zeigen nicht nur das rasche Wachstum der Organisation, sondern auch die inneren Streitigkeiten, vor allem zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, die auch die Westalliierten zur Absage der erste geplanten Delegiertenkonferenz für Berlin im September 1945 veranlassten. Interessanterweise versagte Marschall Georgi K. Shukow, Chef der Sowjetischen Militäradministration, zuvor dem FDGB die Genehmigung, sich über Groß-Berlin hinaus auszudehnen.
Vom Frühjahr 1946 stand die Ausdifferenzierung und Konsolidierung der Organisation auf der Tagesordnung. Der Aufbau der Einzelgewerkschaften musste gesichert werden, "Grenzfragen" zwischen einzelnen Verbänden mussten geklärt, die Finanzverteilung beschlossen, die Fronten in der offenen Frage der Organisation der Angestellten begradigt und selbstverständlich, trotz eines allgemeinen Lohnstopps, die Haltung zu den Tarifverträgen fixiert werden, zudem ja in der sowjetischen Besatzungszone keine Unternehmerorganisationen zugelassen waren und bereits weite Teile der Wirtschaft sich entweder in Staatshand oder in sowjetischem Eigentum befanden. Im Frühjahr und Sommer 1946 unterstützte die FDGB-Führung die Wahl von Betriebsräten in möglichst vielen Betrieben. Anschließend propagierte sie auf breiter Front den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, gerade auch in Privatbetrieben.
Der FDGB zeigte aber auch schon unverhohlen eine Abkehr von der parteipolitischen Neutralität, als er im August 1946 im Vorfeld der Wahlen in Berlin und der sowjetischen Zone ziemlich offen für die SED Partei ergriff – leider haben die Herausgeber diesen Aufruf des FDGB-Bundesvorstandes nicht in die Edition aufgenommen. Noch deutlicher zeigte die Streikordnung, Ende November verabschiedet, diese Tendenz: Streiks in verstaatlichten Betrieben waren nicht vorgesehen und folglich auch nicht unterstützungsfähig.
Die inneren Streitigkeiten dauerten an: Dokumentiert sind Proteste gegen Wahlfälschung zu dem Delegiertenwahlen des 1. FDGB-Kongresses, wiederum Auseinandersetzung um die Wahlordnung in Groß-Berlin, die im Januar 1947 dann durch ein Flugblatt der Gewerkschaftsopposition über die Organisation hinaus breit publik gemacht wurde.
Die weiteren Schritte der Transformation des FDGB sind vorzüglich in ihrem Kontext erschlossen, so zum einen die Kampagnen zur Steigerung der Arbeitsleistung, zum Leistungslohn und zu den "Wettbewerben", zur Abschaffung der Betriebsräte und zur Überleitung ihrer Funktionen an die Betriebsgewerkschaftsleitungen und letztlich zum Kampf gegen das "Nur-Gewerkschaftertum". Zum anderen gehört in diesen Kontext der Prozess der Spaltung des Berliner FDGB, die Entstehung und Formation einer "Unabhängigen Gewerkschaftsopposition", aus der 1950 der Landesverband Berlin des DGB hervorging.
Insgesamt erschließt die Edition die politischen Konfliktlinien der Nachkriegsjahre ebenso wie die "traditionellen" gewerkschaftlichen Aufgaben: Tarifpolitik, Sozialpolitik, Arbeitsverhältnisse und anderes. Die Annotationen zu den Dokumenten lassen kaum Wünsche übrig; die mehr als 110 Seiten umfassende Einleitung von Peter Rütters ist nicht nur kompetent, sie erleichtert auch angesichts der chronologischen Ordnung der Dokumente den Zugriff auf Sachfragen. Eine besondere Leistung stellt das "Biographische Register" dar. Wer weiß, wie schwer es ist, an entsprechende Daten für die Nachkriegszeit zu kommen, kann die Leistung der Bearbeiter ermessen. Insgesamt wünscht man sich eine Fortsetzung der Arbeiten, nicht nur, wie angekündigt, für die Regionalebene, sondern auch in zeitlicher Folge. Eine Edition bis in das Jahr 1954, also über den Arbeiteraufstand vom Juni 1953 hinaus, wäre sinnvoll.
"Gewerkschaften im geteilten Deutschland"
© Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert. (© Röhrig Universitätsverlag )
© Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert. (© Röhrig Universitätsverlag )
Forschungen zur Gewerkschaftsgeschichte und zu den innerdeutschen Beziehungen in der Phase der Zweistaatlichkeit haben nicht eben Konjunktur. Jens Hildebrandts voluminöse Untersuchung der Beziehungen zwischen DGB und FDGB in den Jahren von 1955 bis 1969 erscheint fast zur "Unzeit". Manfred Scharrer behandelt ein ebenfalls wenig bearbeitetes Feld der deutschen Vereinigungsgeschichte: die Integrationsgeschichte der ostdeutschen Gewerkschafter und Gewerkschaften am Beispiel der Verbände des öffentlichen Dienstes.
Hildebrandts außerordentlich material- und quellengesättigte Untersuchung setzt 1955 ein und schließt mit dem Beginn der "Neuen Ostpolitik". Die Wahl des Jahres 1955 wird nicht näher erläutert und leuchtet im Grunde auch nicht ein, denn weder für die Gewerkschaften noch für ihre innerdeutschen Beziehungen bedeutete das Jahr eine Zäsur. Die Strukturen der Gewerkschaftsverbände in Ost und West waren längst gefestigt; im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit dem Gründungskongress 1949, im FDGB mit dem Abschluss der Umformung zu einer "marxistisch-leninistischen" Massenorganisation 1950. Allerdings bleibt das der einzig sichtbare Mangel der Untersuchung.
Die Einleitung holt weit aus und vermittelt vor dem "eigentlichen" Thema eine Fülle von Informationen. Behandelt werden Ideologien und Strömungen im DGB, die ideologischen Determinanten im FDGB, Gruppen, Strömungen und Netzwerke im DGB, Generationen-Prägungen auf beiden Seiten, ebenso die unterschiedlichen Erfahrungen des Exils. Dem folgen vier längere Einzelabschnitte "einer asymmetrisch verflochtenen Parallel- und Abgrenzungsgeschichte". In den ersten drei Jahren bis 1958 dominierte westlicherseits die Hoffnung auf Wiedervereinigung, eine Phase, in der der DGB mehrfach konkrete Positionen in der Deutschlandpolitik fixierte, die aber von einem Generationenwechsel überlagert wurde. Für den FDGB waren die Probleme größer: Er hatte die sowjetische und die SED-Politik zur Verhinderung der Pariser Verträge mitzutragen, die halbherzige Entstalinisierung nach dem XX. Parteitag der KPdSU zu verteidigen, das KPD-Verbot in der Bundesrepublik zu bekämpfen und zugleich für eine "Aktionseinheit der Arbeiterklasse" zu werben und westdeutsche Teilnehmer zu "Gesamtdeutschen Arbeiterkonferenzen" zu gewinnen. Hier beeindruckt die Darstellung des Verfassers zu Umfang und Kosten der Westarbeit des FDGB.
Die zweite Phase, geprägt von wechselseitigen Destabilisierungsversuchen, datiert Hildebrandt bis zum Mauerbau 1961. Für den DGB waren das spannungsreiche Jahre: Er hatte zur Anti-Atomtod-Bewegung Positionen einnehmen müssen, zu einer Frage, die auch in den Gewerkschaften umstritten war. Die Krise des Ruhrbergbaus drängte ihn auch politisch in die Defensive, die zweite Berlin-Krise erforderte klare Signale. Für den FDGB begann diese Phase mit einer Reorganisation seiner Westarbeit, die dann im Zuge des Siebenjahresplanes der SED auch in äußerst ehrgeizige gesellschaftliche und wirtschaftliche Ziele für den FDGB mündeten. Zugleich verlagerte sich die Propaganda hin zum Schwerpunkt auf die Anerkennung der DDR; nach dem Godesberger "Sündenfall" der SPD sahen SED und FDGB in den westdeutschen Gewerkschaften die einzige "Klassenorganisation" in der Bundesrepublik. Die immer noch aufwendige Westarbeit des FDGB erlebte mit dem Mauerbau ein definitives Scheitern.
Der dritte Abschnitt, überschrieben "Deutschlandpolitik im Schatten der Mauer", zeigt wiederum höchst ungleiche Akteure. Der DGB stellte seine Solidarität mit West-Berlin heraus und hatte sich mit den Anfängen der "Neuen Ostpolitik" auseinanderzusetzen. Die Erschießung des Gewerkschaftsmitgliedes Kurt Lichtenstein an der innerdeutschen Grenze durch DDR-Grenzer und die Entführung des IG-Metall-Redakteurs Heinz Brandt belasteten selbstverständlich das Verhältnis zum FDGB schwer. Aber die Entspannungspolitik zeigte erste Resultate. Das Kontaktverbot zum FDGB wurde gelockert: Fahrten der Gewerkschaftsjugend nach Auschwitz wurden davon ausgenommen. Der FDGB war nach dem Mauerbau mit der Neuauf- und -ausrichtung seiner Westpolitik beschäftigt, die letztlich in einen weiteren Zentralisierungsschub mündete. Die Entspannungspolitik war ihm suspekt, sie galt als "Aggression auf Filzlatschen". Zuvor hatte man die Kampagne gegen die "Richter-Gruppe" – wie die SED-Führung den DGB-Vorstand um Willi Richter abfällig bezeichnete – entfacht.
Die letzten fünf Jahre des Untersuchungszeitraums, bis 1969, stellten für den DGB den allmählichen Durchbruch zur Neuen Ostpolitik als einer Form der Deutschlandpolitik dar. Mehr und mehr wurden Forderungen nach Kontakten zum FDGB erhoben. Vorreiter wurde der ÖTV-Vorsitzende Heinz Kluncker, der mit einigen osteuropäischen Gewerkschaften Gespräche verabredet hatte. Mit dem gewaltsamen Ende des "Prager Frühlings" erlitten die Befürworter von Kontakten einen nur kurzzeitigen Rückschlag, bevor die Radikalisierung in der IG Druck und Papier sowie in der Gewerkschaftsjugend ein neues Klima anzeigte. Der DGB-Kongress des Jahres 1969 sprach sich dann mehrheitlich für solche Kontakte aus. Der FDGB bemühte sich, das Kontaktverbot zu unterlaufen und intensivierte diesen Kurs noch. Die SED-Absage an eine Wiedervereinigung hatte der FDGB naturgemäß mitzutragen, was seine Position gegenüber dem DGB nicht gerade stärkte. Auch die Westarbeit sollte Ulbrichts zeitgenössischen Vorstellen "verwissenschaftlicht" werden; neue Kader wurden dafür herangezogen, unter ihnen die stellvertretende Bundesvorsitzende Johanna Töpfer, die freilich zuvor schon in der Westkommission der SED gewirkt hatte. Die Entwicklung zu einem "regulierten Nebeneinander" (so Jens Hildebrandt in seinem Schlusswort) war nicht mehr aufzuhalten.
"Der Aufbau einer freien Gewerkschaft in der DDR 1989/90"
© de Gruyter, Berlin. (© de Gruyter )
© de Gruyter, Berlin. (© de Gruyter )
Manfred Scharrers Untersuchung setzt mit dem Zerfallsprozess des FDGB im Herbst 1989 ein, als manche Funktionäre entdeckten, dass der bisherige Dachverband "eigentlich" keine Gewerkschaft sei. Einige Fachabteilungen aus FDGB-Untergliederungen begannen nun, sich nach dem Vorbild westdeutscher Verbände neu zu organisieren, so im Organisationsbereich der späteren Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) die Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft, des Gesundheitswesens, des Transport- und Nachrichtenwesens sowie des Bergbaus, zu dem die an den Leitungs- und Überlandnetzen Arbeitenden gehörten. Zu den Entwicklungsschritten zu autonomen Verbänden gehörten die Abschaffung des Berichtswesens, kontroverse Debatten in den Vorständen, personelle Veränderungen und schließlich der Aufbau neuer Strukturen. Im November 1989 bildete sich zudem eine Initiative für unabhängige Gewerkschaften, die jedoch mit den Wahlen am 18. März 1990 funktionslos wurde.
Die westdeutschen Gewerkschaften sahen dieser Entwicklung eigentümlich passiv zu. Erst Anfang Februar wurde der ÖTV-Hauptvorstand aktiv. Er beschloss, in jedem DDR-Bezirk ein Beratungsbüro einzurichten – andere Einzelgewerkschaften waren dem vorausgegangen. Mitte Februar bekannte sich der Vorstand zur deutschen Einheit und entsandte Berater in die DDR, am 26. Februar legte sich der Hauptvorstand fest, eine einheitliche ÖTV in ganz Deutschland anzustreben. Zusammenarbeit mit FDGB-Funktionären sollte es nur geben, wenn diese demokratisch legitimiert waren. Zu dieser Zeit war in der DDR aber noch offen, ob die Gewerkschafter Betriebsräte oder erneute Betriebsgewerkschaftsleitungen anstreben sollten.
Ferner suchten der FDGB und seine Untergliederungen ebenfalls Kooperationen mit den westdeutschen Organisationen. Die oben genannten Untergliederungen waren dabei von Dezember 1989 an erfolgreich, zwischen Februar und Mai 1990 orientierten sie sich eng an der ÖTV, wobei sie deren Rivalitäten zur Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und die "Grenzstreitigkeiten" mit anderen DGB-Gewerkschaften zur Kenntnis zu nehmen hatten.
Im Mai 1990 ließ der ÖTV-Hauptvorstand durch eine Satzungsänderung die Gründung einer ÖTV in der DDR zu, deren Gründung sich allerdings so lange hinauszögerte, bis sie letztlich überflüssig geworden war. Zugleich kündigte der Hauptvorstand seine Zusammenarbeit mit der Spitze des FDGB auf. Die FDGB-Funktionäre fühlten sich düpiert. Anfang Juli wandten sich mit an die Öffentlichkeit mit einer Erklärung gegen das Vorgehen der ÖTV, der sie unterstellten, nur an der Mitgliederzahl orientiert zu sein. Dennoch waren alle Beteiligten an einer Deeskalation interessiert, im August war dann der Weg frei für eine gesamtdeutsche ÖTV, als deren Kern die 14 Kreisverwaltungen in den früheren Bezirksstädten fungierten. Im Januar 1991 konnten erstmals Delegierte der ÖTV der neuen Länder zu einem außerordentlichen Gewerkschaftstag nach Stuttgart reisen.
Scharrers Analyse macht deutlich, wie kompliziert und problembeladen der Aufbau einer neuen Gewerkschaft in der sich zu Demokratie und Marktwirtschaft umformenden DDR gewesen ist. Die Quellenlage unterstreicht das Dilemma noch weiter. Große Teile der Untersuchung beruhen mangels schriftlicher Quellen auf Zeitzeugen-Befragungen. Mehr als die Hälfte des Bandes stellt eine Dokumentation dieser Auskünfte dar. Dass ohne diese Methode Vieles nicht hätte rekonstruiert werden können, ist unstreitig und sollte zur Fortführung animieren. Insgesamt ist Scharrers Studie fraglos ein Buch, das die Kenntnisse vom Transformationsprozess in der DDR 1990 sinnvoll erweitert.