Es ist nicht irgendein Geburtstag, der gefeiert wird: Es ist der 70. Geburtstag des sowjetischen Diktators Josef Stalin, der in der Berliner Zeitung vom 20. Dezember 1949 als „größter Kämpfer für den Frieden“ und als „Wohltäter“ für die Berliner Bevölkerung gefeiert wird. Seine Verbrechen werden verschwiegen. Die größte Kundgebung findet in Berlin-Friedrichshain statt. Hier wird die Frankfurter Allee zu Ehren des sowjetischen Herrschers in „Stalinallee“ umbenannt. In den kommenden Jahrzehnten wird der besonders breit ausgebaute Boulevard ein zentraler Ort für die Machtdemonstrationen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sein. Ebenfalls am 20. Dezember wird an der nahegelegenen Weberwiese der Grundstein für die ersten Häuser im Rahmen eines neuen Bauprogramms des Magistrats gelegt. Nicht mehr nur der Wiederaufbau der kriegszerstörten Häuser – ein wirklicher Neuaufbau Berlins „im großen Stil“ soll beginnen. Das ist dringend nötig, denn fast jede zweite Wohnung in Berlin ist im Krieg beschädigt worden, viele Häuser sind komplett zerstört. Als Ziel wird propagiert: „Alle sollen gesund wohnen, inmitten von Grünanlagen, abgelegen von Fabrikstaub und rauchenden Schloten, umflutet von Licht, Luft und Sonne.“ Die Absage gilt den Mietskasernen des 19. Jahrhunderts, in denen die ärmere Bevölkerung leben musste. Ende 1950 sollen die ersten knapp 600 Wohnungen bezugsfertig sein, doch leben darf hier vor allem die sozialistische Elite, nicht die werktätige Bevölkerung. In der Propaganda aber spielt dies keine Rolle.
Berlin, Frankfurter Allee
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Dr.; geb. 1966, Historikerin. Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin u. a. für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt, die Stiftung Berliner Mauer, das Museum Neuruppin, das Deutsche Historische Museum und die Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Bis Ende 2020 Leiterin des Barnim Panoramas Wandlitz. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte.