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Funktion des Kredits und Macht der Zinsen

Caspar Dohmen

/ 3 Minuten zu lesen

Ohne Kredit wäre vieles unmöglich: Nur wenige könnten ein Unternehmen gründen oder erweitern. Auch privat könnte sich kaum jemand ein Eigenheim kaufen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Zins.

Manch ein Sparer sucht lange nach der Anlagemöglichkeit mit der höchsten Verzinsung, entsprechende Vergleichstabellen im Internet sind sehr beliebt. (© picture-alliance, Zoonar | DANKO N)

Ein Kredit stellt gewissermaßen einen Tausch von Gütern über einen längeren Zeitraum dar. In unserer modernen Wirtschaft werden Interner Link: Kredite meist in der Form von Geld und nur noch selten in Naturalien gewährt. Eine Sparerin verzichtet auf Konsum und parkt ihre Mittel gewöhnlich bei Finanzinstitutionen wie Banken oder Versicherungen, die wiederum die Spargelder als Kredite an Unternehmen verleihen. Aus dem Kredit wird Kapital. Banken verleihen jedoch vor allem Geld, das sie bei der Kreditvergabe praktisch aus dem Nichts schaffen.

Der Weg zum Wohlstand

Nach Ansicht des britischen Historikers Niall Ferguson hat die Schaffung des Kreditwesens zum Wohlstand der Menschheit genauso viel beigetragen wie technische Erfindungen. Für Fortschritte in der zivilisatorischen Entwicklung waren neben Bergbau, Fabriken und Maschinen eben auch Kredite und Interner Link: Schulden entscheidend. Eine Gesellschaft ohne Kredit wäre von unten nach oben starr, weil nur Vermögende investieren könnten. Dadurch würde sich die Vermögensverteilung in einer Gesellschaft zementieren. Wenn Menschen mit pfiffiger Idee, aber ohne Interner Link: Kapital, im Wirtschaftsleben außen vor bleiben, ist dies volkswirtschaftlich ineffizient. Umgekehrt kann ein besserer Zugang solcher Leute zu Krediten für Arbeit und Wohlstand sorgen, von dem alle Beteiligten einer Volkswirtschaft profitieren. Vor allem in ärmeren Ländern liegt hier noch sehr vieles im Argen. Laut Studien gibt es beispielsweise auch einen Zusammenhang zwischen beschränkten Kreditangeboten und Kinderarbeit in einem Land. Menschen haben sich früher vor allem untereinander Geld geliehen, ob in Familien oder unter Freunden. Die Höhe des realen, d.h. inflationsbereinigten Zinses hat also Einfluss darauf, welche Unternehmungen in einer Gesellschaft getätigt werden. Entscheidend für Investitionen ist eben nicht per se deren Sinn oder ausschließlich die Nachfrage, sondern zu einem Großteil die voraussichtliche Rendite. Was aber ist der Zins überhaupt, dieses wirtschaftliche Phänomen, das den Alltag in unserem Kulturkreis so stark mitbestimmt?

Die Zinsen

Ihre Macht scheint unbegrenzt zu sein: Zinsen können die Wirtschaft abwürgen oder antreiben, sie können ganze Staaten in die Bredouille bringen, sie können verschuldete Menschen in den Freitod treiben – oder anderen als Rentiers [Menschen, die von regelmäßigen Zahlungen aus ihrem angelegten Kapital leben] ein sorgenfreies Leben ermöglichen, ganz ohne Arbeit und Mühsal. Seit die Menschen das Privateigentum eingeführt haben, werden auch Interner Link: Zinsen gezahlt und verlangt. Seitdem gab es jedoch auch immer wieder Streit über die Frage, ob man überhaupt Zinsen nehmen darf? Besonders einflussreich war in dieser Diskussion der griechische Philosoph Interner Link: Aristoteles mit seiner ablehnenden Haltung zum Zins. Er war überzeugt, dass diese Art des Gelderwerbs gegen die Natur gerichtet sei. In seiner berühmten Politik schreibt er, das Zinsdarlehen sei mit dem größten Recht verhasst, "weil dieses unmittelbar aus dem Gelde selber den Erwerb ziehe und nicht aus dem, wofür das Geld allein erfunden. Denn nur zur Erleichterung des Tausches kam es auf, der Zins aber vermehrt es an sich selber. Daher denn auch der griechische Name für ‚Zins‘ so viel als ‚Junges‘ bedeutet, denn das Junge pflegt seinen Erzeugern ähnlich zu sein, und ist auch der Zins wieder Gelde vom Gelde. Und diese Art von Erwerbskunst ist denn hiernach die widernatürlichste von allen."

AntisemitismusZinsverbot in der Kirche

Bereits im Alten Testament ist von einem Zinsverbot die Rede. „Wenn du (einem aus) meinem Volke Geld leihst, einem Armen neben dir, so handle an ihm nicht wie ein Wucherer, ihr sollt ihm keinen Zins auferlegen“, heißt es im 2. Buch Mose. Auch Kirchengelehrte wie Ambrosius, Hieronymus und Augustinus verurteilten in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung den Zins. Papst Innozenz III. erließ 1215 das sogenannte kanonische [der kirchlichen Rechtsbestimmungen gemäß] Zinsverbot. Jahrhundertelang lehnte die Kirche jede Zinszahlung ab. Der Wucher galt sogar als eine besonders schwere Sünde, also genauso wie die Gotteslästerei, Raub oder Sodomie. Wer sich eines dieser Vergehen schuldig machte, kam laut christlicher Lehre in den siebten Kreis der Hölle. Beim Wiener Konzil forderten Bischöfe 1311 gar eine Exkommunizierung aller Fürsten, die nicht sämtliche Wucherer in ihrem Herrschaftsbereich aburteilten.

Trotzdem verliehen Menschen Geld, Christen übrigens genauso wie Juden. Letztere konnte die katholische Kirche allerdings weniger unter Druck setzen, weil es im Judentum, keine Hölle gebe, sagt die US-Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg. Vor allem aber hatten Menschen jüdischen Glaubens „keine anderen sozialen Optionen“. Denn die wichtigen Bereiche der damaligen Wirtschaft waren ihnen verschlossen. Sie konnten den Zünften nicht beitreten und eigentlich nicht produzieren. Meist handelten sie deswegen mit Waren und Geld. „Als Geldverleiher waren sie besonders wichtig, weil die Kirche auf der einen Seite natürlich den Geldverleih verurteilte, auf der anderen Seite aber in einer Welt lebte, in der Kredit und Geldverleih notwendig waren. Die Kirche war ja einer der führenden Kunden bei jüdischen Geldverleihern.“ In der Kultur taucht immer wieder das antisemitische Bild des jüdischen Wucherers auf. „Bilder von dem bösen und dem guten Juden vermischen sich. Sie vermischen sich zu der Vorstellung des reichen Juden. Der Geldjude kommt heraus und das muss nicht unbedingt negativ sein, das kann auch positiv bewundernd sein.“

Die Regulierung des Zinswesens

Im Alltag verpuffte das Zinsverbot, kaum jemand hielt sich daran – und das, obwohl es bereits unter Karl dem Großen von 768 bis 814 säkulares Recht geworden war. Das Verbot umgingen Menschen oft, beispielsweise indem sie die Zinsen als eine Art Entschädigung verpackten. Für Zinsen sprachen aber auch handfeste ökonomische Gründe: Warum sollte beispielsweise ein Kaufmann gefährliche Reisen in Kauf nehmen, bei denen er ein hohes Verlustrisiko hatte, wenn er anschließend für seine Mühen nicht mit einem Zins als Risikoaufschlag entschädigt wurde? Trotzdem hielt sich in der Gesellschaft ein Unbehagen. Und schon damals gab es wie heute Geldverleiher, die die Notlage von Menschen ausnutzten und unanständig hohe Zinsen verlangten. Während der Aufklärung und Säkularisierung schwand der Einfluss der Kirche generell, auch auf das Wirtschaftsgeschehen. Die weltlichen Herrscher sorgten jetzt vielerorts mit Gesetzen für Klarheit in der Zinsfrage: So setzte das französische Parlament 1807 den Zinssatz für Darlehen fest: Bei Privatdarlehen galt ein Satz von fünf Prozent und bei Handelsgeschäften von sechs Prozent. Höhere Zinsen galten auch in den Augen der weltlichen Regenten als Wucher.

In Deutschland ist Wucher heute im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 138 Abs. 2 geregelt. Demnach ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft nichtig, "durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen".

Prinzipiell waren Zinszahlungen für die Menschen jedoch in früheren Wirtschaftssystemen schwieriger zu leisten als für uns heute, denn von der Antike bis ins 18. Jahrhundert war die Wirtschaft von Agrargesellschaften geprägt. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf stagnierte, die Bevölkerungszahl nahm kaum zu. Denn die Menschen nutzten fast nur ihre eigene Arbeitskraft oder die von Tieren und diese Ressourcen blieben weitgehend gleich. Daher konnte der Einzelne kaum Profit machen, wenn er seine Geschäftspartner nicht übervorteilen wollte. Das änderte sich schlagartig mit dem Aufkommen des Interner Link: Industriekapitalismus, der in Nordengland im 18. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Hier hatten Menschen erstmals die umwälzende Idee, im großen Stil Maschinen einzusetzen. Geld wurde jetzt in Kapital verwandelt und damit veränderte sich auch der Charakter von Schulden. Weil die kapitalistische Wirtschaft ein erhebliches Wachstum ermöglicht, zahlt ein Schuldner die Zinsen gewöhnlich nicht mehr aus der Substanz, sondern aus dem zusätzlich von ihm Erwirtschafteten. Ein Zinsverbot stand damit jetzt in einem starken Widerspruch zum Wirtschaftsprinzip der Gesellschaft. Schließlich benötigten die Unternehmen immense Mengen an Kapital, um Fabriken, Eisenbahnen oder Stahlwerke zu bauen.

Die katholische Kirche stellte ihre Zinslehre erst 1822 infrage. Aber es sollte noch mehr als 150 Jahre dauern, bis der Vatikan das Zinsverbot 1983 aus dem kanonischen Recht strich. Zwar ist Wucher noch immer eine Sünde, nun allerdings definiert als die Berechnung übermäßiger Zinsen zum Vorteil des Geldverleihers. Im islamischen Recht gilt dagegen bis heute ein Zinsverbot.

Kein Anrecht auf Realzins

Natürlich hat keine Sparerin ein Anrecht auf die reale Verzinsung seines Bankguthabens, d.h. einen Zinssatz, der inflationsbedingte Verluste zumindest ausgleicht. Vielmehr resultiert der gegenwärtige Zins aus den wirtschaftlichen Verhältnissen. Es gehört auch keineswegs zu den Aufgaben einer Notenbank, für eine reale Verzinsung der Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Die EZB ist gesetzlich nur dazu verpflichtet, die Stabilität des Euro sicherzustellen. Dazu gehört die Bekämpfung einer übermäßigen Inflation und der Deflation: Beide Szenarien würden zu einer Rezession, schrumpfenden Einkommen und Arbeitsplatzverlusten führen. Davon wären ebenfalls die Bürger betroffen.

Es gab bereits Situationen, in denen sich eine Zentralbank entschied, von den Geschäftsbanken einen negativen Zins zu verlangen. Allerdings können Notenbanken wohl nur einen niedrigen Strafzins verlangen, weil ansonsten die meisten Sparer ihr Geld schlicht abheben und daheim deponieren würden. Bei geringen negativen Zinsen, beispielsweise von einem Zehntel Prozent, dürften allerdings die meisten Anlegerinnen mitspielen. Schließlich fallen auch Kosten für die private Bargeldhaltung an, beispielsweise für den Bau eines Tresors. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Diskussion um die Abschaffung von Bargeld an Bedeutung. 2019 wurden bereits die 500-Euro-Banknoten abgeschafft, d. h. es werden keine neuen mehr ausgegeben.

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Caspar Dohmen ist Wirtschaftsjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaft und Politik arbeitete er als Redakteur für den Wiesbadener Kurier, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung. Heute schreibt er als freier Wirtschaftsjournalist für die SZ, verfasst Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk und die ARD-Sender und arbeitet als Buchautor und Dozent u.a. an den Universitäten Witten-Herdecke und Siegen.