Dresden
Vom schnellen Scheitern der sozialistischen Städtebaukonzepte.
Der Weg zurück zur historischen Stadt
Die Große Meißner Straße 15 und das Hotel "Bellevue"
Parallel zur Rekonstruktion der Semper-Oper sollte für die zu erwartenden Touristenströme ein neues Fünf-Sterne-Interhotel als Devisenbringer entstehen. Dafür wurde 1980 ein Ideenwettbewerb für den als "Canaletto-Blick" bekannten Elbufer-Bereich zwischen Blockhaus und Japanischem Palais ausgeschrieben.[22] Dieses prominente Areal entwickelte sich bereits in der Nachkriegszeit zum Politikum. Denn hier befanden sich auf vielen schmalen, sich bis in die Elbwiesen erstreckenden Parzellen historisch gewachsene Strukturen, die an der leicht geschwungenen Großen Meißner Straße einen der "kostbarsten Straßenzüge der barocken Stadt"[23] bildeten
Da die kleinteiligen Strukturen rund um den Neustädter Markt auch weiterhin eine großzügige Neugestaltung des Areals behinderten, setzten bereits kurz nach 1945 erste Versuche der Stadtverwaltung ein, den Straßenzug von der Liste der erhaltenswerten Bauten zu streichen. Als dies aufgrund des Widerstandes der Denkmalpflege nicht gelang, wurden die ausgebrannten Ruinen der Häuser 3–13 trotzdem 1950 wegen fingierter "Einsturzgefahr" ad hoc abgerissen. Dies löste eine Protestwelle unter Bürgern und Fachleuten über diese "sinnlose Zerstörungswut"[24] aus. Die daraufhin einsetzenden Untersuchungen ergaben, dass die kurzfristig über die Pfingstfeiertage erfolgte Anmeldung der nicht näher genannten "Maßnahmen" (Landeskonservator Hans Nadler bot sogar an, die Sprengkapseln eigenhändig zu entfernen) nur den Zweck hatte, "den Einspruch der Denkmalpflege gegen diese Sprengung wie auch die Möglichkeit, die künstlerisch wertvollen Reliefplatten und andere Architektureinzelheiten musealen Wertes zu bergen"[25], auszuschalten. Um aufgrund der anhaltenden Proteste trotzdem einen Schuldigen präsentieren zu können, wurde der Leiter der örtlichen Denkmalpflege entlassen. Die Stelle wurde anschließend gestrichen[26], und die Mittel wurden so stark reduziert, dass statt der Ruinensicherung nur noch eine – meist ehrenamtliche – Inventarisierung des geborgenen Denkmalgutes möglich war.[27]

Da beim Ideenwettbewerb viele der beteiligten Planungskollektive (auch die Hälfte der Preisträger) nachgewiesen hatten, dass eine Integration der Altbausubstanz möglich sei, votierte das Preisgericht aus denkmalpflegerischen Gründen für einen Erhalt, denn "mit der Einbeziehung dieses wertvollen historischen Gebäudes besteht die Möglichkeit, dem Hotel einen spezifischen und einmaligen Charakter zu geben, der gleichzeitig die günstige Einbeziehung in die vorhandene Bebauung der Umgebung vermittelt".[28] Diese Umgebung war mit Blockhaus, Japanischem Palais und dem genau gegenüber liegenden, zwar stark heruntergekommenen, aber immerhin noch vorhandenen Quartier rund um die Königstraße größtenteils barock. Selbst bei der Straße der Befreiung hatte man die Rekonstruktion einer Handvoll eher einfacher barocker Bürgerhäuser euphorisch gefeiert.

Die Kajima Corporation hatte mit dem Internationalen Handelszentrum an der Berliner Friedrichstraße (1976–1978) sowie dem Fünf-Sterne-Devisenhotel "Merkur" in Leipzig (1978–1981) bereits zwei vergleichbare Projekte realisiert, beide als knapp 100 Meter hohe Hochhäuser. Auch in Dresden kursierten zeitweilig Entwürfe für ein ähnlich imposantes Interhotel an der Prager Straße, sie wurden aber nicht realisiert. Mittlerweile hatte sich auch der Zeitgeist verändert – weg von der Ostmoderne hin zur "Pflege des kulturellen Erbes". Die Verhandlungen für das Interhotel am Elbufer liefen intern über den staatlichen Importausschuss in Berlin mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses zum 18. Dezember 1981 ab.[31] Der Presse wurde bereits im Vorfeld jegliche Berichterstattung untersagt, und die Redakteure wurden über den Wert des historischen Regierungsgebäudes in der Großen Meißner Straße gezielt falsch informiert. Denn die Öffentlichkeit sollte ausgeschlossen und vor vollendete Tatsachen gestellt werden.[32]
Bereits für den 23. Dezember 1981 war die Sprengung angesetzt worden, da der Stadtarchitekt das Votum für den Erhalt der Altbauten gar nicht weitergereicht hatte.[33] Die Sprenglöcher waren schon gebohrt, als eine Gruppe von Dresdner Denkmalpflegern und namhaften Bürgern durch anhaltende Proteste bis zu den höchsten Stellen zuerst einen Aufschub des Abrisses und schließlich auch den Erhalt des geschichtsträchtigen Baudenkmals durchsetzen konnten.[34] Angeblich soll SED-Chef Honecker die Entscheidung sogar persönlich getroffen haben.[35] Mitte Januar kam endlich das erlösende Schreiben aus Berlin: Die alten Gebäude sollten in Gänze erhalten werden und die Architekten des Dresdner VEB Gesellschaftsbau die Projektierung für den Umbau der Altbauten sowie die Freiflächengestaltung übernehmen, die später in Anlehnung an barocke Formen erfolgte.[36] Die kurzfristig durchgeführten denkmalpflegerischen Untersuchungen brachten in mehreren Räumen wertvolle Ausmalungen und Architekturdetails zutage. Beim ersten Baggerhub für das neue Hotel am 15. März 1982 war neben SED-Bezirkschef Hans Modrow auch der japanische Großindustrielle Eishiro Saito anwesend, und die Ansprache "erinnerte daran, daß gerade die Dresdner vieles Gemeinsame mit den Bürgern von Hiroshima und Nagasaki für die Erhaltung des Friedens verbindet".[37]
Auch die Lokalpresse freute sich: "Das fünfgeschossige Gebäude – also kein Hochhaus als Dominante – erhält der Dresdner Bautradition folgend eine für die Bezirksstadt typische Sandsteinfassade und ein mit Kupfer eingedecktes Mansarddach."[38] Der ehemalige Kanzleibau, die einzige noch erhaltene barocke Doppelhofanlage Dresdens, wurde als zentraler Teil in den Neubau integriert und zum Restaurantbereich umgestaltet. Die Einweihung des Interhotels "Bellevue" fand parallel zur medienwirksam inszenierten Wiedereröffnung der Semper-Oper am 13. Februar 1985 statt, dem 40. Jahrestag ihrer Zerstörung. Das "Bellevue" war danach jahrelang das erste Haus am Platz. "Die Bürgerinitiative von 1981/82 war der erste große Sieg über Funktionärsentscheidungen in Dresden."[39]
Die Frauenkirche
Trotz der Kriegszerstörungen und der staatlich verordneten Wiederaufbauplanungen hat die Dresdner Denkmalpflege immer versucht, die wichtigsten Baudenkmale als "Leit-Ruinen" für einen späteren Wiederaufbau zu erhalten. Um die Überreste der Frauenkirche vor dem Abtransport zu retten und gleichzeitig auch eine unsensible Überbauung des ansonsten freigeräumten Neumarktes zu verhindern, betonte der damalige Chefkonservator Hans Nadler immer wieder, dass es kein geeigneteres Mahnmal gegen den Krieg geben könnte. Daraufhin wurde der Altarbereich eingemauert und der Trümmerberg mit Rosen bepflanzt.Denn Dresden spielte während des Kalten Krieges eine zentrale Rolle in der Erinnerungspolitik der DDR.[40] Durch das Aufgreifen des bereits durch die Nazi-Presse etablierten Topos des "angloamerikanischen Bombenterrors" sowie die Verbreitung völlig überhöhter Opferzahlen[41] wurde die Elbestadt mithilfe eines riesigen Propaganda-Apparates gezielt zum "Deutschen Hiroshima"[42] stilisiert. Die staatlich inszenierten Massenveranstaltungen[43] an den Jahrestagen der Luftangriffe etablierten zusammen mit verschiedenen Bestsellern[44] die Zerstörung Dresdens als schrecklichen Höhepunkt des Bombenkrieges. Als am 13. Februar 1982 etwa eintausend Jugendliche aufgrund eines spontanen Aufrufes ("Lasst Euch von der Polizei nicht provozieren. Bringt Kerzen und Blumen mit. Dann singen wir 'We shall overcome' und gehen nach Hause"[45]) trotz staatlicher Repressalien zur Ruine der Frauenkirche zogen und sich dort mit ihren brennenden Kerzen schweigend versammelten, etablierten sie – als Gegenbewegung zu den Propagandaveranstaltungen – ein für Dresden typisches Ritual der schweigenden Trauer und gaben der entstehenden Friedensbewegung wichtige Impulse.[46] Die Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 vor der Kirchenruine, in der er "die Einheit unserer Nation" als sein persönliches Ziel betonte, lud die symbolische Bedeutung des Ortes zusätzlich auf.[47]
Schon die ersten Skizzen zum Wiederaufbau des Neumarktes aus den 1970er-Jahren zeigen – obwohl zu diesem Zeitpunkt eine Rekonstruktion weder politisch gewollt noch überzeugend möglich gewesen wäre – im Zentrum des Ensembles eine wiedererrichtete Frauenkirche. Bereits Anfang 1982 lautete ein offizielles Fazit der Teilnehmer des 3. Internationalen Entwurfsseminars für das Rekonstruktionsgebiet Neumarkt, dass die Ruine auch weiterhin erhalten werden soll, um eine Rekonstruktion für die "Generationen nach uns, die sich dann andere Möglichkeiten und Mittel erarbeitet haben werden, offen zu halten."[48] Die in den "Grundsätzen für die weitere Arbeit" – die nach 1989 als Grundlage für das städtebaulich-gestalterische Leitbild des gesamten Areals fungierten – enthaltene Formulierung "Der Wiederaufbau der Frauenkirche als entscheidender Akzent der historischen Stadtsilhouette und Hauptdominante des Neumarktensembles wird für die Zukunft berücksichtigt",[49] passierte dann auch den Stadtrat. Die "Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche" war der erste Verein, der nach der "Wende" in Dresden neu gegründet wurde. 1992 beschloss die Stadtverordnetenversammlung nach heftiger Diskussion den Wiederaufbau, die Kirche wurde daraufhin 1996–2005 rekonstruiert und gilt seitdem als Symbol für eine gelungene Wiedervereinigung.