Frohe Ferien in der DDR
Kommunismus und Antikommunismus in den 1950er-Jahren
Zehntausende westdeutscher Kinder lud die DDR zwischen 1954 und 1961 in Ferienlager ein. Die Bundesrepublik reagierte mit zusätzlichen Mitteln für Ferienhilfswerke, Kampagnen, polizeilichen und juristischen Maßnahmen. Die Geschichte der Ferienaktion wirft Schlaglichter auf die SED-Westpolitik, den westdeutschem Antikommunismus und die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz.Einleitung

Für viele Kinder bedeuteten die Ferienfahrten einige Wochen voller Lagerfeuerromantik und Naturerleben. Im Wettstreit der Systeme in der Hochphase des Kalten Krieges war die Ferienaktion jedoch eine hochpolitische Angelegenheit, die die Regierungen in Ost-Berlin und Bonn, die Medien, die Sicherheitsbehörden und schließlich auch die Justiz beschäftigten. Anhand der Ferienaktion lässt sich die Konkurrenz der beiden deutschen Staaten aufzeigen. Insbesondere auf dem sozialen Felde musste die DDR ihrem eigenen Selbstverständnis gemäß zeigen, dass sie das bessere Deutschland sei. Die Bundesrepublik wiederum musste auf diese Herausforderung reagieren.[2]
Die Ferienaktion ist auch ein Beispiel dafür, wie die DDR direkten Einfluss auf die bundesdeutsche Gesellschaft gewinnen wollte. Die "Westpolitik" der SED war vor dem Mauerbau vor allem darauf gerichtet, Sympathien zu gewinnen und – besonders nach dem Verbot der KPD 1956 – eine organisatorische Basis aufzubauen. Die ZAG zählte zu diesem Netzwerk kommunistischer Organisationen in der Bundesrepublik, die bislang nur wenig erforscht sind.[3]
Schließlich zeigen aber auch die westdeutschen Reaktionen das Ausmaß und die Bedeutung des Antikommunismus für die junge Bundesrepublik auf. Die Kampagnen gegen die kommunistische Unterwanderung stimmten dabei nicht unbedingt mit der tatsächlichen Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepublik überein. Dies lässt sich insbesondere an der juristischen Verfolgung der ZAG-Mitarbeiterinnen zeigen.[4]
Die Geschichte des deutsch-deutschen Systemwettstreits ist insbesondere in ihrer konstitutiven Bedeutung für die politische und Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik noch nicht abschließend geschrieben. Die Geschichte der Aktion "Frohe Ferien für alle Kinder" kann als exemplarische Fallstudie zu dieser Geschichte beitragen.
Ein Propagandacoup für die DDR –
"Red Scare" in der Bundesrepublik

In Bonn fiel die Reaktion heftig aus: Eine "starke Wirkung im Sinne der Aufweichung der Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Kommunismus" befürchtete der Staatssekretär im Gesamtdeutschen Ministerium, Franz Thedieck: Die "Aktion sei wahrscheinlich die wirkungsvollste Aktion der kommunistischen Stellen in der Bundesrepublik".[6]
Ganz unbegründet waren die Befürchtungen nicht: Die Ferienaktion war zunächst ein Erfolg. Allein 1955 reisten über 46.000 westdeutsche Kinder in ostdeutsche Ferienlager und auch in den folgenden fünf Jahren lagen die Teilnehmerzahlen im fünfstelligen Bereich. Für die DDR war dies ein gelungener Propagandacoup im Wettstreit der Systeme, konnte man doch die eigenen sozialen Errungenschaften mit Mängeln der westdeutschen Gesellschaft kontrastieren.
Die Regierungen in Bund und Ländern mussten dabei zunächst auf repressive Gegenmaßnahmen verzichten. Die Verschickung von Kindern in ostdeutsche Ferienlager war nicht illegal. Der hessische Innenminister, Heinrich Zinnkann, schrieb in der Sache an Bundesinnenminister Gerhard Schröder: "Aufgrund der bestehenden Regelungen über den Interzonenverkehr (...) bin ich der Ansicht, dass eine Rechtsgrundlage, die Ausreise der Kinder aus dem Bundesgebiet zu verhindern, nicht besteht."[7] Sein Kieler Kollege Paul Pagel sagte der "Neuen Zeitung", dass es für ein Verbot der Ferienaktion keine Rechtsgrundlage gäbe. Auch in Nordrhein-Westfalen wies der Innenminister die ihm nachgeordneten Stellen an, keine polizeilichen Maßnahmen gegen die Ferienverschickungen einzuleiten.[8]
Die staatseigene Bundesbahn stellte Sonderzüge für die Ferienreisen zur Verfügung. Dies war zwar nicht unumstritten, aber die Bundesregierung fürchtete, dass die DDR andernfalls Reiserestriktionen in der anderen Richtung erlassen würde.[9]
Stattdessen setzte Bonn auf publizistische Maßnahmen und auf die Ausgrenzung und Krimininalisierung der Ferienaktion und ihrer Mitarbeiter.

Die Presse machte sich diese Position unisono – sieht man von den kommunistischen Zeitungen ab – zu eigen. Die "Frankfurter Rundschau" titelte: "Frohe Ferien – aber nicht für die Phantasie". "Die Zeit" schrieb "Verwirrte Kinder, ratlose Minister". In der "Rheinischen Post" war vom "Einsickern östlicher Ideen" die Rede. Der "Rheinische Merkur" schrieb von "Kindervergiftung" und den Ferienlagern als "Bürgerkriegsschulen".[12]
Bei der Produktion dieser Bilder spielte auch die Justiz eine wichtige und eigenständige Rolle. Die Sonderstrafkammer beim Landgericht Dortmund verurteilte beispielsweise eine Aktivistin der verbotenen Freien Deutschen Jugend (FDJ) unter anderem wegen ihrer Mitarbeit bei der Ferienaktion, weil diese dazu diene, die Jugendorganisation "von unten" wiederaufzubauen. Damit verpasste das Landgericht der Vorstellung von "Kindervergiftung" und "Bürgerkriegsschulen" ein richterliches Siegel.[13]
Die angebliche Unterwanderung der Bundesrepublik durch den Kommunismus war seit den späten 1940er-Jahren der Fokus des westdeutschen Antikommunismus. Die antikommunistische Propaganda operierte dabei mit der Vorstellung eines Netzwerkes kommunistischer Organisationen, deren tatsächliche Aktivitäten grob überzeichnet wurden. Die Bilder, die dabei produziert wurden, stellten den Kommunismus als ein "Gift" bzw. eine "Infektion" in der eigentlich gesunden Gesellschaft dar.[14]
Die Kinderferienaktion passte in diese antikommunistische Strategie der Bundesrepublik. Die Topoi "Gift" und "Infektion" konnten nicht nur bedient werden, sie boten sich quasi wie von selbst an und wurden auch genutzt. Grundsätzlich weisen diese antikommunistischen Projektionen zurück auf den Antibolschewismus der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus. Anhand der Ferienaktion zeigte sich aber auch der Einfluss des amerikanischen Antikommunismus.[15] Die Warnung vor der ideologischen Manipulation der Kinder in den Ferienlagern weist enge Verbindungen mit der amerikanischen Vorstellung auf, dass Kriegsgefangene aus dem Koreakrieg in chinesischen Lagern "umgedreht", einer "Gehirnwäsche" unterzogen und anschließend als "Schläfer" in die Heimat zurück geschickt worden seien.[16]
Frohe Ferien in der DDR

Die im Westen befürchtete kommunistische Beeinflussung der Kinder stand zunächst tatsächlich auf der Agenda von SED/KPD. In den Ferienlagern erlebten die westdeutschen Kinder morgendliche Appelle und politische Schulungen genauso wie Geländespiele und Lagerfeuer. Sie sollten "mit den Errungenschaften unserer Deutschen Demokratischen Republik vertraut gemacht" werden. Zudem sei ihnen "zu erklären, dass dies alles nur dort möglich ist, wo die Arbeiter und Bauern über ihr Leben selbst bestimmen."[19] Am Lagerleben nahmen die Gäste gemeinsam mit ihren ostdeutschen Altersgenossen teil, und Politik spielte dabei eine gewichtige Rolle. Es kam zu Treffen mit SED- oder KPD-Politikern und mit sowjetischen Soldaten oder Komsomolzen. Die Kinder sahen den "Thälmann-Film" und nahmen an Feiern zu Ehren des von den Nationalsozialisten ermordeten Arbeiterführers teil.[20]
Viele Kinder kehrten mit dem Sportabzeichen der FDJ oder auch dem Pionierhalstuch in die Bundesrepublik zurück.[21] Sport- und Freizeitaktivitäten hinterließen bei den Kindern aber nachdrücklicheren Eindruck. Dies belegen die Briefe und Erlebnisberichte der Kinder, in denen von Politik nicht viel die Rede ist, und die Erinnerung von Zeitzeugen: Der Sportmoderator Waldemar Hartmann aus Nürnberg, von 1958 bis 1960 im Alter von zehn bis zwölf Jahren dreimal im Ferienlager in der DDR, sagte 2009 in einer Fernsehsendung im Mitteldeutschen Rundfunk, dass ihn das Sportangebot fasziniert habe, die Ideologie hingegen sei ihm egal und die politischen Rituale für die Kinder viel zu abstrakt gewesen.[22]
Überhaupt war es realitätsfern, in wenigen Ferientagen eine dauerhafte politische Beeinflussung von Kindern zu erreichen. Sowohl in der SED als auch bei der ZAG wurde dies von vornherein nur einer von einer Minderheit als Ziel ausgegeben. Wie wenig dies erreicht werden konnte, zeigen schon früh Berichte der ostdeutschen Lagerleitungen, die über Undiszipliniertheiten und das geringe "Einfühlungsvermögen" der westdeutschen Kinder "in die Pioniergesetze" klagten: Durch "Lächerlichmachen der Morgenappelle" sei auch die "Moral der Jungen Pioniere" in Mitleidenschaft gezogen worden. Insgesamt – so hielt die ZAG im Oktober 1956 fest – müsse "die Einflussnahme einer kollektiven Erziehung auf die westdeutschen Kinder (...) als gescheitert angesehen werden."[23]
Staatsfeinde und Tarnorganisationen

Auch die Ferienkinder kamen nur zum Teil aus dem engeren Umfeld der KPD. Verfassungsschutz und Polizei gingen davon aus, dass nur ein Drittel der Kinder aus explizit kommunistischen Familien stammte. Ein Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der sich 1960 auf Spurensuche begab, traf ebenfalls viele Eltern an, die nichts vom Kommunismus hielten, ihre Kinder aber dennoch in die DDR-Ferienlager schickten.[26]
Auch wenn die ZAG keine typische kommunistische Kaderorganisation war, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, dass Ost-Berlin die Zügel stets fest in der Hand behielt. Zwar waren viele Mitarbeiterinnen der ZAG keine Mitglieder der KPD – gerade auch viele Landesvorsitzende –, aber in jedem Landesausschuss saß wenigstens ein hauptamtlicher, das heißt von der KPD/SED bezahlter, Kader, der die ehrenamtlichen Helferinnen kontrollierte und sich mit dem Amt für Jugendfragen der DDR abstimmte. Insbesondere in der Frühphase der Ferienaktion schickte Ost-Berlin auch SED-Kader nach Düsseldorf, um die ZAG direkt anzuweisen; regelmäßige Treffen fanden in der DDR statt.[27]
Deutsch-deutsche Konkurrenz und Politische Justiz

Die massive Aufstockung der Mittel für Ferienaufenthalte belegt, dass die Bundesrepublik auf sozialstaatlicher Ebene ihre Überlegenheit zeigen musste, um ihrerseits nicht an Legitimation einzubüßen. Der wachsende Wohlstand in der Bundesrepublik machte diese speziellen Maßnahmen zwar bereits zehn Jahre später überflüssig, das zu Grunde liegende Muster – die Konkurrenz auf sozialem Gebiet – blieb aber darüber hinaus konstitutiv für beide deutschen Staaten.
Auch andere Faktoren trugen zum Niedergang der Aktion "Frohe Ferien für alle Kinder" am Ende der 1950er-Jahre bei: Ost-Berlin verlor wegen des ausbleibenden Erfolges und wegen der Neuausrichtung der Deutschlandpolitik das Interesse. Innere Konflikte schwächten die ZAG. Auch die Exklusions- und Diskreditierungspolitik der Bundesregierung schadete der ZAG. Die Teilnehmerzahl sank auf rund 10.000 Kinder im Jahr 1960.
Durch ihre Vertrauensleute, die seit 1956 in mehreren Landesverbänden der ZAG angeworben worden waren, waren die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern über diesen Niedergang im Bilde.[32] Entsprechend schätzte man dort die Ferienaktion kaum noch als Bedrohung ein. So stellte der Verfassungsschutz NRW in einem Bericht an Innenminister Hermann-Josef Dufhues im Mai 1959 fest, dass der "starke Rückgang" bei den Teilnehmerzahlen erkennen lasse, dass "das Interesse an dieser Aktion in der Bundesrepublik erheblich abgenommen hat." Die Zahl der in die DDR verschickten Kinder mache ohnehin "nur einen verschwindend kleinen Bruchteil" der vom Ferienhilfswerk NRW betreuten Kinder aus. Auch sei zuletzt bei den teilnehmenden Kindern "der Personenkreis (...) im wesentlichen der gleiche geblieben".[33]
Obwohl die Ferienaktion an Bedeutung verlor und den Behörden dies auch bewusst war, gingen Verwaltung, Justiz und Polizei verstärkt gegen die ZAG vor. Polizeibeamte durchsuchten im April 1959 die Geschäftsräume der ZAG in Düsseldorf und beschlagnahmten Unterlagen.[34] In Niedersachsen stellte die Polizei die Personalien von 20 Mitarbeitern der Ferienaktion fest, die sich zu einer Besprechung in einem Lokal versammelt hatten, und beschlagnahmte alle Materialien.[35] Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen weigerten sich, die Kinder vor Reiseantritt zu untersuchen.[36] In Düsseldorf, Mönchengladbach und Remscheid holte die Polizei Schulkinder aus dem Unterricht, um sie über ihre Aufenthalte in DDR-Ferienlagern zu befragen.[37]
Nach dem Tode eines Kindes aus Nordrhein-Westfalen in einem DDR-Ferienlager, fürchtete die bayerische Landesregierung nicht nur die Infektion der Kinder mit dem Kommunismus und ließ die aus der DDR zurückkehrenden Kinder noch im Zug vom Gesundheitsamt untersuchen.[38] Die "Süddeutsche Zeitung" titelte: "800 Ferienkinder unter Ruhrverdacht".[39] Die Medien begleiteten die Polizeimaßnahmen auch darüber hinaus mit entsprechenden Schlagzeilen. Die "Rheinische Post" beispielsweise warnte: "Eltern, die ihre Kinder verlieren wollen, setzen sie in den Sonderzug ins Zonenlager."[40]
Die verstärkten Kampagnen und Maßnahmen gegen die Ferienaktion hatten nicht zuletzt innenpolitische Gründe. Der deutsch-deutsche Kalte Krieg hatte sich in den späten 1950er-Jahren aufgeheizt. Aber auch für konkrete Gesetzesvorhaben spielte die Ferienaktion als Begründung eine Rolle: Im Januar 1961 brachte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf von Innenminister Schröder in den Bundestag ein, der die Ein- und Ausreise in die bzw. von der Bundesrepublik neu regeln sollte. Das "Gesetz über Ein- und Ausreise" sollte die ungehinderte Einreise von Bundesbürgern in die DDR und von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik stärkerer Kontrolle unterwerfen. Die Gesetzesbegründung führte vor allem die "Infiltration" durch "kommunistische Wühler und Agenten" an, aber auch den Ferienfahrten sollte auf diesem Wege ein Ende bereitet werden. Ein Ausbau der Grenzsicherung auf westdeutscher Seite wäre die Folge gewesen. Das Gesetz scheiterte schließlich am Widerstand der SPD und der West-Berliner CDU, die Erschwernisse im Transitverkehr befürchtete.[41]
Das Verbot der Ferienaktion beendete deren Aktivitäten schließlich im Sommer 1961 – kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, der ohnehin ihr Ende bedeutet hätte. Zwar hatten die Innenministerien der Länder noch kurze Zeit vorher festgestellt, dass es eine gesetzliche Grundlage für ein Verbot nicht gebe, aber die Anklageschrift der Lüneburger Staatsanwaltschaft gegen vier Mitarbeiter der ZAG schien neue Tatsachen zu schaffen.[42] In dieser – so hielt es das Innenministerium NRW – sei "die Verfassungswidrigkeit" der Ferienaktion "eindeutig nachgewiesen".[43]
Das Verbot der Zentralen Arbeitsgemeinschaft und ihrer Landesausschüsse nach Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes erfolgte am 7. Juli 1961 durch die Innenminister der Länder. Die Innenminister verwiesen auf die Gründung der ZAG auf Veranlassung der KPD und die auch über das Verbot der KPD hinaus bestehende Steuerung der ZAG durch KP-Funktionäre bzw. durch staatliche Stellen der DDR. Diese Steuerung klassifiziere die ZAG als kommunistische Hilfsorganisation. Darüber hinaus habe sich die ZAG systematisch mit den politischen Zielen von KPD und SED identifiziert. Da das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der KPD festgestellt habe, folge aus dieser Identifizierung die Verfassungsfeindlichkeit der ZAG.[44]
Für einige Protagonistinnen der Ferienaktion endete ihr Engagement im Gefängnis. In einem Prozess verurteilte das Landgericht Lüneburg die Angeklagten zu Freiheitsstrafen wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation, nachrichtendienstlicher Tätigkeit – als solche galt bereits die Übermittlung der Personalien der Kinder an die DDR – und Verstoßes gegen das KPD-Verbotsurteil.[45] Angesichts der Tatsache, dass die Ferienaktion jahrelang ungehindert und in Zusammenarbeit mit der Bundesbahn tätig sein konnte, erscheint das Urteil sehr hart. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob in der Revision die Freiheitsstrafen gegen eine der Angeklagten auf, bei zwei Frauen – Elfriede Kautz und Gertrud Schröter – bestätigte er jedoch das auf ein Jahr Gefängnis lautende Urteil. Bei ihnen stellte der BGH, im Gegensatz zu den Mitangeklagten, den Vorsatz zu verfassungsgefährdenden Tätigkeit fest. In seiner Rechtsgeschichte schreibenden Begründung führte der BGH die frühere Mitgliedschaft der beiden Frauen in der KPD an. Die Nicht-Parteimitglieder kamen frei. Die fatal an Gesinnungsjustiz erinnernde Bestrafung der politischen Haltung anstelle der objektiven Tatbestände war auch zuvor schon angewandt worden. Sie war nun aber oberste Rechtssprechung in der Bundesrepublik geworden.[46] Kautz und Schröter wurden nach knapp zehn Monaten – nachdem das Landgericht eine Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe abgelehnt hatte – dank des Einsatzes ihres Strafverteidigers Diether Posser und des Generalbundesanwalts Max Güde vom niedersächsischen Ministerpräsidenten begnadigt.[47]
Fazit
Die Ferienaktion war in den Jahren 1954/55 ein gelungener Propagandacoup der DDR. Für einen kurzen Moment konnte sie sich als das sozialere und bessere Deutschland darstellen. Die Bundesregierung reagierte mit einer Erhöhung der finanziellen Mittel für die Kinderferienerholung, was wohl der Hauptgrund dafür war, dass die ostdeutsche Aktion rasch wieder an Bedeutung verlor.
Darüber hinausgehende Ziele Ost-Berlins, wie die dauerhafte Beeinflussung der Ferienkinder im kommunistischen Sinne und der Aufbau einer SED-treuen Basis in der Bundesrepublik, waren von vornherein nachrangig gewesen. Ihnen war auch kein dauerhafter Erfolg beschieden.
Subjektiv konnten die Verantwortlichen in Bund und Ländern die Ferienaktion nur zu Beginn als ernsthafte Bedrohung für die freie westdeutsche Gesellschaft wahrnehmen. Am Ende der 1950er-Jahre war offensichtlich, dass die Ferienaktion im Niedergang begriffen war. Während sie an Bedeutung verlor, verstärkten sich jedoch die polizeilichen und anderen Maßnahmen gegen sie, gipfelnd schließlich im Verbot. Innenpolitische Gründe – im Sinne der antikommunistischen Mobilisierung der Gesellschaft – waren hierfür zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit ausschlaggebend.
Das Verbot selbst ist dennoch nachvollziehbar. Die ZAG war eine von Ost-Berlin maßgeblich finanzierte und gesteuerte Organisation, mithin durchaus eine "Tarnorganisation" der SED/KPD. Die Urteile im Lüneburger Prozess gegen die niedersächsischen Mitarbeiterinnen der ZAG sind aber exemplarisch für die politische Justiz in der frühen Bundesrepublik, die nicht die tatsächlich strafrechtlich relevanten Betätigungen der Angeklagten beurteilte, sondern deren politische Haltung.