"Das Warschauer Ghetto war das größte Ghetto im Nazi besetzten Europa. 300 Hektar groß, knappe vier Quadratkilometer. Hier haben über 460000 Menschen auf diesem Gebiet gewohnt, über drei Jahre lang. Das Ghetto existierte von 1940 bis 1943.“
Marzena Świrska-Molenda ist Reiseleiterin in Warschau. Sie gibt Führungen durch das ehemalige Ghetto, das heute nur noch stellenweise im Stadtbild zu erkennen ist. Und in dem heute vor 79 Jahren, am 16. Mai 1943, der Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen wurde. Aber zuerst ein kurzer Blick auf die Geschichte des Ghettos.
Aufstand im Warschauer Ghetto
Bereits wenige Monate nach dem Überfall auf Polen 1939 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs begannen die deutschen Besatzer, alle Jüdinnen und Juden Warschaus von der übrigen Bevölkerung zu trennen. Die Deutschen riegelten das Gebiet durch eine hohe Mauer mit Stacheldraht vom Rest der Stadt ab. Wer außerhalb des Ghettos ohne Passierschein aufgegriffen wurde, dem drohte die Todesstrafe. Das Ghetto diente der Internierung, Ausbeutung und Vernichtung. Über Tausend ähnlicher Ghettos errichteten die Deutschen in Europa. Die jüdischen Ghettos waren sowohl Teil der Deutschen Besatzungspolitik als auch des Holocaust.
Die Bedingungen für die Eingeschlossenen waren katastrophal. In einem Zimmer waren durchschnittlich sieben bis acht Menschen untergebracht. Die winzigen Essensrationen und die entsetzliche sanitäre Versorgung beförderten den Ausbruch von tödlichen Krankheiten wie Fleckfieber oder Tuberkulose. Wen die Nationalsozialisten beim Schmuggeln von Medikamenten oder Lebensmitteln erwischten, ermordeten sie meist noch an Ort und Stelle.
Deutsche Firmen und auch die Wehrmacht profitierten von der Not der Menschen: Wer arbeiten konnte, schuftete in Fabriken für einen Hungerlohn. Immer in der Hoffnung, die Überlebenschancen für sich und die Angehörigen zumindest etwas zu erhöhen.
Bis Juli 1942 starben rund 100.000 Männer, Frauen und Kinder im Warschauer Ghetto. Dann begannen die Deportationen: Innerhalb weniger Wochen wurden mehr als eine Viertel Million Menschen aus Warschau in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet.
Als am 19. April 1943 eine weitere Deportationswelle beginnen sollte, begann der verzweifelte Widerstand: Einige Hundert ausgehungerte und leidlich bewaffnete Aufständische setzten sich gegen die Deutschen zur Wehr.
"Der Ghetto-Aufstand war ein hoffnungsloser Aufstand, ein Aufstand ohne militärischen Erfolg. Nichtsdestoweniger haben die Juden zu Waffen gegriffen um zu zeigen, dass sie nicht freiwillig in den Tod gehen werden."
Die jüdische Kampforganisation ŻOB (Żydowska Organizacja Bojowa oder jiddisch Jidische Kamf Organisatie) hatte den Widerstand vorbereitet. Sie vereinte mehrere Ghetto-Untergrundgruppen.
SS, Waffen-SS und Polizei reagierten erst überrascht über die Gegenwehr, gingen dann aber erbarmungslos vor: Sie setzten einen Häuserblock nach dem anderen in Brand. In den 27 Tagen der Gefechte wurden fast 13.000 Ghetto-Bewohner/-innen erschossen oder starben in den Bunkern. Nur wenigen gelang die Flucht durch Abwasserkanäle in andere Stadtteile. Die Verbliebenen wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.
Am 16. Mai sprengte schließlich der Oberkommandant Jürgen Stroop eigenhändig die Große Synagoge in der Tłomackie-Straße und meldete an Heinrich Himmler, den Reichsführer der SS, dass es keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr gebe. Die größte jüdische Gemeinde Europas, die vor dem Krieg ca. 400.000 Mitglieder hatte, war fast vollständig ausgelöscht worden.
Erinnerung an Warschauer Ghetto und Ghetto-Aufstand
Der Aufstand im Warschauer Ghetto war der größte bewaffnete Widerstand jüdischer Zivilist/-innen im Zweiten Weltkrieg und inspirierte weitere Aufstände unter anderem in Bialystok und Minsk. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Warschauer Aufstand, der über ein Jahr später vor allem von der polnischen Heimatarmee getragen wurde.
"Der Stellenwert an den Ghetto-Aufstand in Polen ist heutzutage sehr groß, das heißt viel größer als zum Beispiel zu kommunistischen Zeiten. Das beste Beispiel dafür ist die Aktion Narzisse, die jedes Jahr zum Jahrestag des Ausbruchs des Aufstands im Ghetto stattfindet. Vom 19. April, es findet fast einen Monat lang – in der Stadt auf den Straßen sieht man viele Volontärinnen und Volontäre mit einer gelben Narzisse aus Papier, sie informieren darüber was der Aufstand war, wann er ausgebrochen ist und wofür die Aufständischen gekämpft haben."
Auf dem ehemaligen Ghetto-Gebiet sind viele Narzissen gepflanzt, die meisten sind zum Jahrestag der Niederschlagung schon verblüht. Doch das ganz Jahr über ziert einer Häuserfassade das Bild von Marek Edelmann, Kommandeur und Überlebender des Aufstands, in seiner Hand eine gelbe Narzisse, daneben sein Zitat "Hass ist einfach. Liebe erfordert Anstrengung und Opfer."