Viele Analysten untersuchen die Interessen "der Staaten" bzw. deren Einwände gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Jedoch werden entsprechende Regelwerke nicht "vom Staat" in einem Black-Box-Mechanismus geschaffen. Vielmehr handelt es sich um einen vielschichtigen Politikprozess, in dem das Zusammenspiel verschiedener Akteure und Koalitionen mit unterschiedlichsten Werten und Interessen zur Ablehnung oder Annahme einer Regelung führt.
Wodurch ist die aktuelle Debatte geprägt?
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Zudem bestehen in politischen und gesellschaftlichen Diskursen oft Versuchungen, Daten und Positionen der eigenen politischen Überzeugung unterzuordnen und weniger objektiv darzustellen. Viele der oben diskutierten Gründe gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erscheinen wenig überzeugend. Im Folgenden soll anhand von drei Thesen aufgezeigt werden, warum der Kern der Diskussion zumeist verschleiert wird, welche Vorstellungen ihm zugrunde liegen und was sein Inhalt ist.
Ein beschränktes Diskursfeld
Die erste These lautet, dass das Diskursfeld um die doppelte Staatsbürgerschaft – wie um andere migrationspolitische Diskussionen – insofern beschränkt ist, als dass gewisse Argumente zunächst grundsätzlich als illegitim und damit außerhalb des zulässigen Diskussionsrahmens gesehen werden
Ein prototypischer Ausländer als Basis der Einstellung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft
Der zweiten These zufolge beherrscht ein bestimmtes negatives Bild der "Ausländer" das Vorstellungsbild der Kritiker, wobei negative Einstellungen gegenüber Einwanderern mit Ansichten über die doppelte Staatsbürgerschaft vermengt werden. Hier spielt vor allem die objektive und subjektiv wahrgenommene Zusammensetzung der Migrantenströme eine Rolle.
Eine bestimmte Wahrnehmung von Details aus amtlichen Statistiken bezüglich der Herkunft der Migranten, ihrer schulischen und beruflichen Leistungen sowie ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Arbeitslosigkeitqote
Viele Einwände, die sprachlich abstrakt formuliert sind, wie die Kritik an der Unvereinbarkeit verschiedener Loyalitäten und das Abstellen auf die integrationshemmende Wirkung sind häufig nicht abstrakt-generell gedacht. Vielmehr beruhen sie auf dem Bild eines spezifischen, als vermeintlichen Standardtypus des Ausländers an sich erkannten Menschen. Mit anderen Worten, Kritiker mögen nicht generell bezweifeln, dass Menschen aufrichtige Bindungen an zwei Staaten haben können. Vielmehr haben sie Personen mit bestimmten, negativ wahrgenommenen soziokulturellen Eigenschaften im Blick, die hierzu nicht in der Lage seien. Aufgrund der oben behandelten Diskursbeschränkung wird dies nur undeutlich vorgebracht.
Exklusion als Hauptgrund der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft
Die Verpflichtung zur Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit kann Einwanderer trotz bestehender Integration aus praktischen oder identitären Gründen von der Einbürgerung abhalten
Die dritte These lautet, dass es vielen Kritikern nicht um die Verhinderung der doppelten Staatsangehörigkeit an sich, sondern um die Erschwerung der Einbürgerung geht
Einbürgerungsdetails für verschiedene Zuwanderergruppen | ||||||
Bisherige Staatsangehörigkeit | Anzahl der Einbürge- rungen | Anteil an der Gesamt- einbürgerung | Durchschnitt- liche Einbürge- rungsquote1 | Eingebürgerte mit doppelter Staats- angehörigkeit | Durchschnitts- alter bei Einbürgerung | Durchschnitts- aufenthalts- dauer bei Einbürgerung |
in % | in Jahren | |||||
Jahresdurchschnitt 2003-2007 | Jahresdurchschnitt 2005-2007 | |||||
Asien | 31.914 | 26,3 | 3,8 | 58,8 | 29,6 | 11,0 |
EU-Staaten2 | 12.334 | 9,7 | 0,6 | 86,2 | 36,2 | 18,4 |
Afrika | 10.926 | 8,8 | 3,9 | 59,7 | 31,0 | 11,0 |
Türkei | 39.124 | 31,8 | 2,2 | 15,6 | 26,5 | 20,1 |
Ehemalige Sowjetunion | 13.357 | 11,1 | 2,7 | 56,5 | 35,8 | 9,2 |
Russische Föderation | 4.190 | 3,5 | 2,3 | 66,0 | 36,7 | 9,6 |
Ukraine | 4.017 | 3,3 | 3,1 | 80,5 | 37,5 | 9,9 |
Ehemaliges Jugoslawien | 12.868 | 11,0 | 1,6 | 52,8 | 28,7 | 16,1 |
Polen | 5.954 | 5,1 | 3,8 | 73,2 | 35,2 | 14,3 |
Iran | 5.413 | 4,3 | 8,4 | 99,7 | 36,0 | 15,3 |
Marokko | 3.731 | 3,0 | 5,1 | 99,9 | 28,5 | 15,0 |
Afghanistan | 3.610 | 2,9 | 6,4 | 99,6 | 26,2 | 11,6 |
Irak | 3.325 | 2,9 | 4,3 | 30,3 | 25,4 | 8,8 |
Alle Länder | 125.544 | 100,0 | 1,8 | 48,3 | 30,5 | 15,1 |
Quelle: Einbürgerungsstatistik, Ausländerregister (AZR), Statistisches Bundesamt 1) Die Einbürgerungsquote spiegelt das Verhältnis von Einbürgerungen und im Ausländerzentralregister (AZR) gemeldeten Ausländern in einem Jahr wider. 2) 2003: EU15; ab 2004 EU25 |
Daniel Naujoks ist Rechts- und Wirtschaftwissenschaftler und promoviert am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Zurzeit ist er Mitarbeiter der Organisation for Diaspora Initiatives, New Delhi.