Laut Schätzungen eines viel zitierten Berichts der für Bevölkerungsfragen zuständigen Abteilung bei den Vereinten Nationen (United Nations Population Division) würde Deutschland zwischen 2000 und 2050 jährlich 3,6 Mio. neue Zuwanderer brauchen, um das aktuelle Niveau seines Wohlfahrtsstaates zu halten.
Könnte die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland das Problem beheben?
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Jedoch gibt es nur wenige Experten, die diese Zuwanderungszahl befürworten bzw. für notwendig halten. Statt dessen ziehen die Bundesregierung und die meisten Regierungen der OECD-Länder Reformen vor, die das Angebot an inländischen Arbeitskräften verbessern sollen.
Folgende Maßnahmen könnten ergriffen werden:
Die Förderung höherer Erwerbsquoten durch soziale Programme, durch die Menschen ermutigt werden, sich (wieder) eine Stelle zu suchen. Dazu gehört insbesondere die Verbesserung der Kinderbetreuungsangebote, damit Mütter wieder verstärkt einer Tätigkeit nachgehen können.
Die Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Arbeitskräfte, um eine frühe Rente zu vermeiden. Hiermit würde eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ermöglicht werden.
Die Priorität auf Aus- und Weiterbildung, um der zukünftigen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften Rechnung zu tragen und somit Innovationen zu sichern. Die Förderung von regionaler Mobilität, um freie Stellen in anderen Regionen zu besetzen. Gleichzeitig sollten Anreize für Erwerbslose geschaffen werden, Tätigkeiten aufzunehmen, die gegebenenfalls nicht in Betracht gekommen wären.
Nichtsdestotrotz werden diese Maßnahmen aller Voraussicht nach eine begrenzte Wirkung zeigen. Erstens gibt es grundsätzlich keine Garantie dafür, dass sie einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Menschen in Bezug auf Beschäftigung haben. So können beispielsweise Reformen in der Bildungs- und Sozialpolitik zwar Anreize geben, müssen aber nicht unbedingt die gewünschten Effekte hervorrufen. Zweitens bedarf es einer gewissen Zeitspanne bis diese Maßnahmen greifen. So braucht es erfahrungsgemäß etwa 5 – 10 Jahre bis Reformen im Bildungssektor zum Tragen kommen. Daher können dies keine Lösungen für kurzfristige und dringend zu behebende Engpässe sein. Ein dritter Aspekt bezieht sich auf bestimmte Fähigkeiten in Bezug auf Fremdsprachen, spezifische Kenntnisse über ausländische Märkte und neue Technologien, für welche die Expertise von ausländischen Arbeitskräften wertvoll ist. Bei dem vierten und wichtigsten Aspekt geht es darum, dass die Projektionen von zukünftigen Engpässen grundsätzlich unzuverlässig sind. Viele der Faktoren, die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt beeinfl ussen können, wie z.B. schneller technologischer Wandel, können kaum prognostiziert werden. Dies macht es für Politiker umso schwerer, spezielle Maßnahmen zur Stärkung der Angebotsseite des Arbeitsmarktes oder sogar Rahmenrichtlinien für mittel- und langfristige Lösungen zu entwerfen.
Im Vergleich dazu ist die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland ein eher kurzfristiges und effizientes Instrument, um Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zu beheben. Programme, die auf die Beschäftigung in bestimmten Sektoren oder Berufsgruppen abzielen, oder auch Punktesysteme
Dennoch sollten bei der Frage der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte einige Aspekte bedacht werden. Die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte wird weiterhin emotionale Reaktionen in der öffentlichen Debatte auslösen und stellt daher eher ein politisch kontroverses Instrument dar. Eine der Sorgen, die in diesem Zusammenhang am häufigsten geäußert werden, bezieht sich auf den Wettbewerb mit inländischen Arbeitskräften um die wenigen freien Arbeitsstellen. Wie oben dargestellt handelt es sich hierbei grundsätzlich um ein unzutreffendes Argument: Die richtige Steuerung der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte wird, ganz im Gegenteil, zu Wirtschaftswachstum und damit zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze beitragen. Ein weiterer Diskussionspunkt ist sozio-kultureller Natur und betrifft das gesellschaftliche Zusammenleben. Bedenken kommen dort auf, wo es Schwierigkeiten bei der Integration von ausländischen Arbeitnehmern und ihrer Familien in die Gesellschaft gibt. Zwar sollte diesen Bedenken grundsätzlich Rechnung getragen werden, im Allgemeinen treten jedoch bei der Integration von qualifi zierten Zuwanderern mit guten Zukunftsperspektiven nur selten Integrationsprobleme auf.
In der deutschen Politik werden mutmaßlich unterschiedliche Lösungsansätze zur Vermeidung von zukünftigen Engpässen auf dem Arbeitsmarkt angestrebt. Die Priorität für die Bundesregierung wird die Förderung höherer Qualifikationen, die Erweiterung der Erwerbstätigenquote und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit sein. Dort, wo diese Maßnahmen unzureichend sind, sollte in Betracht gezogen werden, spezifische Zuwanderungsprogramme unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussionen zu ergreifen. Zweifelsohne wird die Arbeitszuwanderung ein essentielles Instrument zum Erhalt des Wirtschaftswachstums und Wohlfahrtsstaates in Deutschland sein.
KommentarVolker Roßocha, DGB-Bundesvorstand, Abteilung Europäische und internationale Gewerkschaftspolitik, Referat Migrationspolitik
Deutsche Betriebe werben jährlich mehr als 300.000 zumeist ungelernte Arbeitskräfte aus dem Ausland an. Der größte Teil arbeitet für wenige Wochen oder Monate als Erntehelfer oder in Gaststätten. Ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beschäftigt bei einem im Ausland ansässigen Unternehmen, werden nach Deutschland entsandt und übernehmen Aufträge im Bereich der industrienahen Dienstleistungen oder bauen ganze Fabriken ab, welche ins Ausland verkauft werden. Die Zahlen dieser Arbeitnehmer belaufen sich auf mehrere 100.000 pro Jahr.
Eine Zuwanderungspolitik, die sich ausschließlich an den aktuellen Arbeitskräftebedarfen orientiert, greift zu kurz. Fraglich bleibt auch, ob sie angesichts von 5 Mio. Arbeitslosen ausreichend begründet werden kann. Richtig ist, dass die Arbeitsmarktlage ein "Mismatch" ausweist, zu deren Ursachen eine mangelnde Übereinstimmung zwischen den Qualifikationsanforderungen mit den vorhandenen gehört, wie auch die weit verbreitete Kurz-(sicht-)fristigkeit unternehmerischer Entscheidungen. In einem System, in dem allein die Realisierung aktueller Gewinnerwartungen zum Maßstab erfolgreichen Handelns gemacht wird, führt der Einsatz von Engpassarbeitskräften zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit bei älteren und gering qualifizierten Arbeitskräften. Außerdem stößt die Anwerbung von Engpassarbeitskräften schnell an ihre Grenzen, wie das Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfes gezeigt hat. Dort mussten die Bedarfzahlen der Unternehmen aufgrund der Krise der Branche drastisch reduziert werden. Gleichzeitig war Deutschland u.a. wegen der folgerichtigen ausländerrechtlichen Beschränkungen für Hochqualifizierte wenig attraktiv.
Eine an den längerfristigen Entwicklungen des Arbeitsmarktes orientierte Einwanderungspolitik kann dazu beitragen, die Folgen des demographischen Wandels abzumildern. Die Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild, welches die Einwanderung gut qualifizierter Arbeitskräfte und ihrer Familien fördert, wäre ein richtiger Schritt. Gescheitert ist er aktuell am Widerstand der Unionsparteien. Richtig bleibt dennoch, ihn weiter zu verfolgen. Untrennbar verbunden werden muss der Ansatz mit Maßnahmen zur Verbreiterung des einheimischen Erwerbspersonenpotenzials. Einige Stichworte dazu sind: alters- und familiengerechte Arbeitsplätze, Ausbau von Kinderhorten und Ganztagsschulen, Qualifizierungs- und Integrationsoffensiven. Voraussetzung für die Durchsetzung einer sozial und ökonomisch sinnvollen Einwanderung ist und bleibt aber die Umsetzung einer politischen und gesellschaftlichen Strategie gegen Vorurteile und Ausgrenzung und für Akzeptanz und Weltoffenheit.
Die Meinung des Autors muss nicht unbedingt mit den im Kurzdossier geäußerten Meinungen übereinstimmen.
Dr. Christina Boswell ist Leiterin der Migration Research Group. Die Migration Research Group ist am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) angesiedelt.
Prof. Dr. Thomas Straubhaar ist Präsident des HWWA und des HWWI sowie Professor für Volkswirtschaft an der Universität Hamburg.
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