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Editorial | Vorurteile | bpb.de

Inhalt Editorial Was sind Vorurteile? Fremde, Fremdsein - von der Normalität eines scheinbaren Problemzustandes "Fremde" in den Medien Türkische Minderheit in Deutschland Polenbilder in Deutschland seit 1945 Rassistische Vorurteile Antisemitismus Sinti und Roma als Feindbilder "Zigeuner" und Juden in der Literatur nach 1945 Vorurteile gegen sozial Schwache und Behinderte Stereotype des Ost-West-Gegensatzes Literaturhinweise und Internetadressen Autorinnen und Autoren, Impressum

Editorial

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Rüdiger Fleiter

"Dass irgendein Mensch auf Erden ohne Vorurteil sein könne, ist das größte Vorurteil", spottete schon August von Kotzebue (1761-1819). Mit diesem Ausspruch formulierte der umstrittene Dramatiker eine Einsicht, die bis heute gültig ist: Alle Menschen haben Vorurteile, denn diese sind in der Struktur des Denkens und Lernens angelegt. Vorurteile sind wie andere unbewusste Einstellungen zunächst nichts Verwerfliches, schließlich können sie in unvorhergesehenen Situationen eine erste Orientierungshilfe geben.

Es gibt jedoch eine problematische Kehrseite des Vorurteils. Vorgefasste Meinungen verstellen den Blick auf die Wirklichkeit und führen häufig zu bequemen Pauschalurteilen. Wer kennt nicht die landläufigen Auffassungen über "die Blondinen", "die Schwulen", "die Amerikaner" oder "den Islam"? Spätestens wenn solche Gruppenvorstellungen auf eine individuelle Person übertragen werden, ist das nicht nur falsch, sondern unter Umständen auch gefährlich: Menschen werden oftmals allein aufgrund äußerer Merkmale einer Gruppe zugeordnet, ausgegrenzt, diskriminiert und - im Extremfall - sogar körperlich angegriffen.

Das vorliegende Heft widmet sich dieser Problematik. In einem einleitenden Kapitel erklärt es aus soziologischer und psychologischer Sicht, was Vorurteile eigentlich sind. Sie entstehen unter anderem dann, wenn Menschen mit "Fremdem" konfrontiert werden. Der anschließende Beitrag zeigt, dass dies keine neue Erfahrung ist, denn eine Auseinandersetzung mit unbekannten Kulturen hat es in der Geschichte zu allen Zeiten gegeben. Zur Verbreitung von Feindbildern und Stereotypen tragen - bewusst oder unbewusst - in besonderem Maße die Medien bei, weil sie Themen zuspitzen und verkürzen müssen; ihre Rolle wird im dritten Kapitel analysiert.

Im zweiten Teil des Heftes untersuchen die Autorinnen und Autoren beispielhaft die gängigen Vorurteile gegenüber Türken, Polen, Schwarzen, Juden, Sinti und Roma sowie gegenüber sozial Schwachen und Behinderten. Der abschließende Beitrag geht auf die Stereotype zwischen Ost- und Westdeutschen ein.

Wie können Vorurteile entkräftet werden? Hier kann nur ein ganzes Bündel von Maßnahmen helfen, und zahlreiche Akteure sind gefragt: Eltern und Familien, Schulen, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Jugendarbeit und Sportvereine - um nur einige zu nennen. Dabei dürfen die Angebote die bildungsfernen Schichten der Gesellschaft nicht ausklammern, denn die Vorurteilsbildung nimmt mit abnehmendem Bildungsgrad zu. Sinnvoll sind alle Bestrebungen, die auf eine Stärkung der Persönlichkeit und die Entwicklung des Selbstbewusstseins zielen. Denn: Insbesondere schwache Persönlichkeiten lassen ihr Handeln oft von vorgefassten Meinungen und Vorurteilen bestimmen. Eine weitere Möglichkeit zum Abbau von Vorurteilen und Feindbildern ist die Begegnung zwischen den Kulturen. Wo Menschen sich persönlich kennen lernen und mehr übereinander wissen, fällt ein pauschales Urteil über "die Anderen" schwerer.

Das vorliegende Heft verharrt nicht auf der Ebene der Beschreibung von Vorurteilen, sondern stellt auch Gegenmaßnahmen vor. Es wurde unter der Koordination von Prof. Dr. Werner Bergmann von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin erstellt und erscheint hier in einer aktualisierten Fassung.

Rüdiger Fleiter