Einleitung
Am 17. Juni 1991, kaum zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen der "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" abgeschlossen. Dies war ein Symbol für den Willen der Regierungen beider Länder, die deutsch-polnischen Beziehungen zu entlasten und eine dauerhafte Verständigung einzuleiten. Vorangegangen war der Grenzbestätigungsvertrag von 1990, der die bestehende Grenzziehung der "Oder-Neiße-Linie" als endgültige deutsch-polnische Grenze festlegte. Die Grenzfrage zwischen Deutschland und Polen galt als einer der brisantesten Konfliktstoffe im Nachkriegseuropa und hatte jahrzehntelang zu negativen Vorurteilen über den jeweiligen Nachbarn beigetragen.
In den 1990er Jahren konnte sich das deutsch-polnische Verhältnis so intensiv und vielfältig wie nie zuvor entfalten, wenngleich die Wahrnehmung des östlichen Nachbarn bei einem Großteil der Deutschen keineswegs Schritt mit der positiven Entwicklung auf offizieller Ebene hielt. Trotz zahlreicher "Polnischer Kulturtage", Symposien und Übersetzungen aus dem Polnischen sowie des "Schwerpunkts Polen" auf der Buchmesse 2000 ist die Unkenntnis über das östliche Nachbarland und seine Bevölkerung nach wie vor weit verbreitet.
Im Herbst 2002 tat sich im Irak-Konflikt eine Kluft zwischen Deutschen und Polen auf. Auch Polens Beitritt zur Europäischen Union am 1. Mai 2004, der eine neue Ära europäischer Integration symbolisiert, wurde schon im Vorfeld zu einer weiteren Bewährungsprobe. Die Hoffnung, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen immer besser gestalten, wenn erst einmal beide Länder demselben Militärbündnis und derselben europäischen Gemeinschaft angehören, hat sich noch nicht erfüllt.
Deutsche und Polen wurden erneut damit konfrontiert, dass trotz der Vertiefung von Kontakten die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs für die kollektive gegenseitige Wahrnehmung, soweit sie von Politik und Medien bestimmt wird, immer noch von entscheidender Bedeutung sind. Jüngste geschichtspolitische Debatten wie die Diskussionen um ein "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin zeigen, dass die Beziehung von Deutschen und Polen noch weit von einem vertrauensvollen Verhältnis entfernt ist.
Sicht der Bundesrepublik
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg fand vor allem zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland eine intensive Auseinandersetzung statt. Dabei neigten beide Länder, die außer durch den Eisernen Vorhang auch noch durch die DDR getrennt waren, aufgrund ihrer konträren Gesellschaftssysteme besonders dazu, Klischees und Vorurteile aufrechtzuerhalten. In Westdeutschland bildete Polen die Kulisse für die deutsche Tragödie im Osten. Für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Polen waren in den ersten Nachkriegsjahren die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen und das Schicksal deutscher Kriegsgefangener in polnischen Gefängnissen bestimmend. Zwar hatte die "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" vom 5. August 1950 auf Rache und Vergeltung verzichtet, aber das Trauma der Vertreibung der Deutschen überlagerte die Auseinandersetzung mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939, den Verbrechen des Vernichtungskriegs und der nationalsozialistischen Besatzungspolitik. Das westdeutsche Polenbild blieb von der Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze geprägt. Die schlesischen, pommerschen und ostpreußischen Landsmannschaften hatten in der Bundesrepublik sowohl für die deutsch-polnischen Auseinandersetzungen als auch für das deutsche Polenbild eine zentrale Bedeutung. Keine Partei in der Bundesrepublik wollte mit "nationalem Verzicht" in Verbindung gebracht werden und auf die Wählerstimmen der Vertriebenen verzichten, deren Führung jahrzehntelang das Verhältnis zu Polen störte.
Erst nach dem Arbeiteraufstand in Posen 1956 und dem Standhalten des polnischen KP-Chefs Wladyslaw Gomulkas gegenüber Moskau im Herbst 1956 begannen erstmals westdeutsche Politiker und Journalisten, Polen als ein Land wahrzunehmen, das eine selbstständige Rolle innerhalb des Ostblocks zu spielen versuchte. Nicht zuletzt der "polnische Oktober" erweckte alte, positiv besetzte Rollenbilder von den aufständischen rebellischen Polen, wie sie im Vormärz (1818 bis März 1848) entstanden waren. Im Laufe der 1960er und 1970er Jahre entwickelte sich ein gewisses Interesse an der vor allem von Karl Dedecius übersetzten polnischen Lyrik, an der polnischen Filmschule mit Andrzej Wajda und Andrzej Munk, an der grotesken oder ironischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem Gesellschaftssystem der Volksrepublik im polnischen Theater von Slawomir Mrozek.
Von besonderer Bedeutung für die Überwindung feindseliger Distanz zwischen Polen und Deutschen waren die Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands vom September 1965 und die Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe "an ihre deutschen Brüder in Christus" vom 18. November desselben Jahres.
Ein wichtiges Zeichen setzte 1970 der Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Denkmal für die Aufständischen des Warschauer Gettos. Im Zuge der Entspannungspolitik und der Ostverträge der sozialliberalen Koalition wurde 1972 die deutsch-polnische UNESCO-Schulbuchkommission mit dem Ziel ins Leben gerufen, einseitige nationalistische Sichtweisen zu verhindern. Bei allen Kontroversen bildeten die gemeinsam erarbeiteten Schulbuchempfehlungen nach Jahrzehnten gegenseitiger Missachtung im Zeichen des Kalten Kriegs einen großen Fortschritt in den deutsch-polnischen Beziehungen.
Die Entstehung der offenen Opposition in Polen nach der Streikwelle 1976 und die Gründung des unabhängigen polnischen Gewerkschaftsverbandes Solidarność im Herbst 1980 belebten im Westen erneut das Bild der polnischen Freiheitshelden. Die Vorgänge führten zu einer groß angelegten privaten Polenhilfe in Form von Paketaktionen, die auch in Polen zu einem neuen Bild der Deutschen als hilfsbereite Begleiter des polnischen Kampfes beitrug. Doch die Bewunderung für die mutigen polnischen Oppositionellen wandelte sich im Westen zuweilen in Ernüchterung und Enttäuschung, und in Teilen der Linken wurde die antikommunistische Opposition als Störenfried der Entspannungspolitik wahrgenommen.
Heute wird von polnischer Seite zu Recht beklagt, wie wenig bewusst sich die Deutschen der Tatsache sind, dass der Zerfall des Kommunismus und die Chance zur deutschen Wiedervereinigung Teil eines Prozesses sind, der 1980 in Polen begann und von den freien Gewerkschaften der Solidarność maßgeblich geprägt wurde. Kränkend für die polnische Wahrnehmung ist die Überbewertung der Rolle des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow, während Polens Vorreiterrolle oft verkannt wird.
Sicht der DDR
Zwischen den beiden "Bruderstaaten", der DDR und der Volksrepublik Polen, bildeten sich auf der Basis der verordneten Völkerfreundschaft spezifische Beziehungen heraus, die vom Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit geprägt waren. Bereits am 6. Juli 1950 wurde die Grenzfrage zwischen den beiden Staaten im Görlitzer Abkommen geregelt, was sich auf die Entwicklung der politischen Beziehungen positiv auswirkte. Landsmannschaften der Vertriebenen waren in der DDR verboten, und der Komplex der Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen blieb ein Tabu. Schon vor dem Grenzabkommen hatte die DDR-Führung Schritte eingeleitet, die Bevölkerung im Geiste freundschaftlicher Beziehungen zu Polen zu erziehen. Seit dem "polnischen Oktober" 1956 und der folgenden Liberalisierung in Polen entwickelten sich die beiden Staaten jedoch auseinander. Die DDR wurde unter Walter Ulbricht noch weiter abgeschottet.
Die verordnete "Freundschaft der sozialistischen Brüdervölker" diente auch der machtpolitischen Stabilisierung des eigenen Systems. Auf der einen Seite stand das Prinzip der internationalen Solidarität, auf der anderen entwickelte sich durch die Reglementierung der Kontakte eine Abwehrhaltung gegen "Fremde". Die "Oder-Neiße-Friedensgrenze" blieb lange geschlossen, die "Freundschaftsbrücken" in Görlitz und Frankfurt/Oder waren unpassierbar. Erst als unter dem Ersten ZK-Sekretär und Gomulka-Nachfolger Edward Gierek und seinem Amtskollegen Erich Honecker 1972 der Passzwang aufgehoben wurde, reisten tausende Deutsche aus der DDR nach Masuren, in die Hohe Tatra und an die polnischen Ostseestrände in den Urlaub. Die Intellektuellen der DDR entdeckten Polen für sich, wo sie Jazz hören, amerikanische Filme sehen und Westpresse lesen konnten. Polen wurde in der DDR zum Synonym für ein "mögliches Anderssein" (Hermann Kant), und die in der DDR-Literatur einsetzende "Polenwelle" zeigtedas Nachbarland als ein farbigeres, lebendigeres und freieres Land als die DDR.
Stärker noch als im Westen diente in der DDR der geringschätzige Blick auf die "polnische Wirtschaft" zur Stabilisierung des eigenen Selbstbewusstseins und wurde je nach politischer Lage instrumentalisiert. Dies war in den 1950er Jahren noch anders gewesen. Damals galt der rasche Wiederaufbau Warschaus als vorbildhafte Leistung, das "Warschauer Tempo" wurde zum geflügelten Wort. Als aber nach der Aufhebung des Passzwanges tausende Polen in den "Konsum"-Häusern der gesamten DDR einkauften und sich die sozialistische Wirtschaft dem Kaufbedarf der Polen nicht gewachsen zeigte, kam es aus der Bevölkerung zu Forderungen, die Regierung möge die Hamsterkäufe der Polen verbieten. Die DDR-Regierung kam diesen Beschwerden gern nach, konnte doch der eigenen Bevölkerung damit gezeigt werden, dass sie etwas Besseres sei als ihr östlicher Nachbar. Polen galt im Verhältnis zur DDR als arm. Vor allem mit der Herausbildung der Solidarność griff die DDR-Propaganda gezielt auf antipolnische Vorurteile zurück: Die Polen streikten, anstatt zu arbeiten, seien daher faul und anarchistisch, sie bräuchten eine starke Hand.
Langlebige Stereotype
In beiden deutschen Staaten existierte ein Gestus der Überlegenheit, gestützt auf das Bewusstsein von der eigenen ökonomischen Effizienz. Als Erklärungsmuster für die wirtschaftliche und angeblich auch zivilisatorische Rückständigkeit Polens dienten häufig das Stereotyp von der "polnischen Wirtschaft" und die mit ihm verbundenen negativen Klischeevorstellungen.
In der ersten Jahren nach dem Umbruch von 1989 wurden in einem Teil der deutschen Medien Bilder von Chaos und Rückständigkeit in Polen präsentiert, die deutlich auf das Stereotyp von der "polnischen Wirtschaft" (Desorganisation, Chaos und allgemeine Unfähigkeit zu effektivem ökonomischem Handeln) verwiesen. Der Ursprung dieser Redewendung geht auf Reiseberichte aus Polen zur Zeit des Untergangs der polnischen Adelsrepublik um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zurück. In Gustav Freytags Roman "Soll und Haben" (1855) wird die "polnische genial-liederliche Wirtschaft" mit der "siegreich hervorbrechende[n] Tüchtigkeit" der Deutschen konfrontiert; letztere wird zur Gegendefinition der "polnischen Wirtschaft". Das überwiegend verächtliche und oft giftige Polenbild des Kaiserreichs und der Weimarer Republik spiegelt sich auch in der populären satirischen Zeitung "Kladderadatsch" wider, deren Publizisten und Zeichner das als bekannt vorausgesetzte Stereotyp "polnische Wirtschaft" inden unterschiedlichsten Zusammenhängen aufgriffen. Bissige Karikaturen dieser Art sind von 1863 bis zum Ende der Weimarer Republik nachgewiesen.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 konnte die NS-Propaganda die überlieferten antipolnischen Bilder und Begriffe abrufen. Der bekannte Propagandafilm "Heimkehr" (1941) zeigt die Polen als mordlustigen, unberechenbaren und perfiden Feind, der kein Mitleid verdient. Den Deutschen wurde eingebleut, dass es eine "rassische" und zivilisatorische Kluft zwischen Polen und Deutschen gebe.
Im Westen Deutschlands, dem damaligen "Wirtschaftswunderland", wurde das zählebige Stereotyp von der "polnischen Wirtschaft" mit der Ablehnung der sozialistischen Plan- und Zwangswirtschaft verbrämt, der die ehemals deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie anheim gefallen waren. Während der Zeit der Solidarność-Bewegung in Polen 1980 tauchte in einer den real existierenden Sozialismus kritisierenden Karikatur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Stereotyp der "polnischen Wirtschaft" mit seiner ethnischen Stigmatisierung und Schuldzuweisung erneut auf, gefolgt von ähnlichen Karikaturen in der Neuen Rhein-Zeitung.
Solche Bilder können nur korrigiert werden, wenn die bisherigen Leistungen dieses Landes gewürdigt werden, das als erster ehemaliger Ostblockstaat in die freie Marktwirtschaft gestartet ist und eine relative ökonomische Stabilität mit einem steten Wirtschaftswachstum erreicht hat (siehe Grafik). Es muss außerdem in das Bewusstsein gerückt werden, weshalb sich der Unterschied im Lebensstandard zwischen Polen und Ostdeutschland nicht etwa schrittweise verringert, sondern rapide vergrößert hat: Die neuen Bundesländer hatten mit 17 Millionen Einwohnern ein Investitionsvolumen von 800 Milliarden DM zur Verfügung, während Polen mit 38 Millionen Einwohnern lediglich über umgerechnet zehn Milliarden DM verfügte - das bedeutet eine 200fach höhere pro Kopf-Investition in Ostdeutschland. Der drastisch angewachsene Unterschied des Lebensstandards wirkte sich unvermeidlich negativ auf das Zusammenleben im grenznahen Raum aus. Der polnische Publizist und Historiker Adam Krzeminskiformulierte im März 2000: "Erst wenn der in Deutschland übliche Begriff der 'polnischen Wirtschaft' nicht mehr für Unordnung und Indolenz [Gleichgültigkeit], sondern für Flexibilität und Dynamik stehen wird, kann es wirklich zu einem Ausgleich zwischen diesen beiden schwierigen Nachbarn kommen."
Ängste nach der Wende
Karikatur: Aus der Region
Karikatur: Aus der Region
Vor der Einführung der Visafreiheit für die Polen 1991 befürchtete ein Teil der ostdeutschen und Berliner Presse einen "Ansturm der Barbaren" und sah mit dem Polenmarkt in Berlin voller Entsetzen östliches Chaos einziehen. So entstand das Bild einer Grenze, die von Mitgliedern der Automafia, Zigarettenschmugglern oder Schwarzarbeitern überschwemmt wird. "Kaum gestohlen, schon in Polen", reimte damals die Bild-Zeitung im Zusammenhang mit einem Autodiebstahl. Fernsehfilme mit den obligaten polnischen Autodieben und Prostituierten waren zu sehen; die Polenwitze des Talkmasters Harald Schmidt griffen diese Klischees auf. Die Schwierigkeiten mit einer kleinen Gruppe von Kriminellen, nicht zuletzt Produkt des Wirtschaftsgefälles und der Wohlstandsgrenze, beeinflussten oft unzulässig die Vorstellung von der Bevölkerung des Nachbarlandes. In den deutschen Grenzgebieten überwiegen vor allem in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit nach wie vor Ängste und Vorurteile.
Um das beiderseitige Verhältnis nachhaltig zu verbessern, kommt der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung, die einen Problemschwerpunkt in den deutsch-polnischen Re---gierungskontakten bildet, eine wichtige Rolle zu. Stereotype und Vorurteile können nur durch Kooperation unter gleichberechtigten Bedingungen ausgeräumt werden.
Neben den legalen Möglichkeiten für polnische Staatsangehörige, in der Bundesrepublik als Werksvertrags-, Saison- und Gastarbeiter sowie als Grenzgänger - oft unter miserablen Bedingungen - Geld zu verdienen, entstand in den 1990er Jahren durch die Möglichkeit der visafreien Einreise ein Markt für die illegale Vermittlung polnischer Arbeitskräfte, die selbst bei niedrigster Bezahlung umgerechnet wesentlich mehr als in Polen verdienen konnten. Diese informellen Arbeitsmärkte für "Schwarzarbeit", vor allem auf dem Bau und in der Landwirtschaft, führten schnell zur verzerrten Darstellung des Nachbarlandes als unerschöpfliches Reservoir gefährlicher Jobdiebe.
Konflikte und Bilder nach 2000
Die polnische Entscheidung für eine militärische Beteiligung am Irakkrieg traf in Deutschland weitgehend auf Unverständnis. Sie wird hier zu Lande oft einseitig als Ausdruck übermäßiger Bündnisloyalität bzw. einer zu starken Bindung an die USA kommentiert. Dabei wird übersehen, dass die Verankerung im Westen und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in Polen als Garant für seine Sicherheit gesehen werden. Wegen seiner traumatischen historischen Erfahrung von Überfällen sowohl durch den westlichen als auch östlichen Nachbarn ist Polen bereit, gegen potenzielle antiwestliche Aggressoren und Diktatoren auch präventiv vorzugehen. Zudem werden Polens antirussische Gefühle und Ängste - aus Moskau sind bis heute keine Gesten der Wiedergutmachung gekommen - in Deutschland wenig verstanden.
Neben dem Irak-Krieg belasteten unterschiedliche Interessen in der Endphase der EU-Erweiterung vom Mai 2004 die deutsch-polnischen Beziehungen. Die deutsche Politik hatte Polen den Weg in die EU geebnet. Als aber Polen in der Diskussion um die EU-Verfassung auf einer überproportionalen Stimmengewichtung im Rat der Europäischen Union bestand, war die deutsche Seite in ihrer schroffen Ablehnung nicht frei von Überlegenheitsgefühlen. In diesem Streit spielten historische Wunden eine Rolle: Polen, das lange als zweitrangig behandelt worden war, wollte gegenüber Deutschland und Frankreich nicht ein Land zweiter Klasse sein. Der schließlich allseits akzeptierte Kompromiss berücksichtigte Polens Vorbehalte.
Die deutschen Medien zeichneten in der Berichterstattung über die EU-Osterweiterung ein zu negatives Bild. Kommentatoren stellten die Schwierigkeiten der Integrationsfinanzierung und die Probleme durch den Zufluss billiger Arbeitskräfte in den Vordergrund. 72 Prozent der im Eurobarometer vom September 2004 befragten Deutschen erwarteten eine höhere Arbeitslosigkeit, 64 Prozent befürchteten einen Ansturm von Arbeitssuchenden aus den neuen EU-Mitgliedstaaten.
Polen
Polen
Zwar hatte Deutschland durchgesetzt, dass Arbeitnehmer aus Beitrittsländern wie Polen und Tschechien für maximal sieben Jahre innerhalb der EU nicht frei ihren Arbeitsplatz wählen dürfen. Durch die innerhalb der EU garantierte Dienstleistungsfreiheit kommen trotzdem zahlreiche Polen auf den deutschen Arbeitsmarkt, die die Chance der Öffnung des Arbeitsmarktes für selbstständige Unternehmer nutzen. Seit hierzulande Debatten über Billigarbeiter in Schlachthöfen und über Mindestlöhne geführt werden, sei die Stimmung gegen die Polen schlecht, sagen in Deutschland tätige polnische Handwerker. Sie sehen sich unter Generalverdacht gestellt, den Deutschen mit Dumpinglöhnen Arbeit wegzunehmen.
Einen Rückfall in Denkmuster, die als überwunden galten, brachte in den vergangenen Jahren der deutsch-polnische Streit um die Errichtung eines von der Stiftung der Vertriebenen geforderten "Zentrums gegen Vertreibungen" in der deutschen Hauptstadt. Die Erfahrungen der Annäherungen im deutsch-polnischen Dialog wurden in dieser Auseinandersetzung nicht genutzt. In Polen kamen Befürchtungen auf, in Deutschland solle ein neues Geschichtsbild entwickelt werden, das vor allem die Deutschen als Opfer darstelle. Demgegenüber entstand in Deutschland das Bild, Polen wolle sich nicht mit dem schmerzlichen Komplex der Vertreibungen der Deutschen beschäftigen und diesen gar verbieten, ihrer Opfer zu gedenken.
In Deutschland sind sich manche Menschen zu wenig bewusst, wie groß die Sorge polnischer Intellektueller ist, dass das Leiden der polnischen Bevölkerung unter dem deutschen Besatzungsterror des Zweiten Weltkriegs immer weniger wahrgenommen werde. Dass auch die überarbeitete deutsche "Wehrmachtsausstellung" von 2002 die Verbrechen der Wehrmacht in Polen gegen polnische und jüdische Zivilisten sowie Kriegsgefangene aussparte, die schon in den ersten Kriegswochen im Herbst 1939 begangen wurden, nahmen viele Polen mit Verwunderung und Unverständnis auf. Als besonders kränkend wird es empfunden, dass die breite Bevölkerung in Deutschland nach wie vor nur wenig über die Ermordung der polnischen Intelligenz unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg weiß, etwa von der Erschießung mehrerer Tausend Professoren und auch Priester.
Die Vergangenheit bleibt präsent: Deutsche Vertriebene und Spätaussiedler kündigten Klagen auf Rückübertragung von Eigentum an. Als Antwort darauf verabschiedete das polnische Parlament am 10. September 2004 eine Resolution, in der es die Regierung in Warschau zu Gesprächen mit der Bundesrepublik über Reparationszahlungen aufforderte. Die im östlichen Nachbarland geweckten Ängste und Ressentiments bringen an den Tag, dass sich Polen seines neuen Partners Deutschland noch immer nicht sicher ist. Doch gibt es deutliche Anzeichen, dass die Akteure zweier Zivilgesellschaften von ihren politischen Führungen erwarten, dass der Weg der Verständigung weitergegangen wird.
Chancen der Überwindung von Ressentiments
Für die langfristige Überwindung von Vorurteilen, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit der jungen Generationen in Deutschland und Polen wurden auf beiden Seiten wichtige Voraussetzungen geschaffen. Eine davon ist die am 6. September 1991 in Frankfurt an der Oder eröffnete Europa-Universität Viadrina, anknüpfend an die Tradition der ersten Brandenburgischen Oder-Universität, die in ihrer mehr als 300-jährigen Geschichte Begegnungsstätte von Ost und West war. Die an der deutsch-polnischen Grenze gelegene, international ausgerichtete Viadrina will einen Beitrag zur europäischen Integration leisten. Etwa ein Drittel der Studierenden kommt aus Polen.
Inzwischen ist mit dem Collegium Polonicum in Slubice auch am polnischen Oderufer eine Dependance der Viadrina und der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen entstanden. Es widmet sich ebenfalls multikulturellen, europabezogenen Problembereichen. Auch die Internationale Jugendbegegnungsstätte Kreisau (Krzyzowa) mit ihren breit gefächerten Projektangeboten bietet zahlreichen deutsch-polnischen Jugendgruppen und Schulklassen den Rahmen für ein gegenseitiges Kennenlernen.
Es gibt eine weitere hoffnungsvolle Perspektive für eine neue, unverzerrte gegenseitige Wahrnehmung und damit für eine langfristige positive Entwicklung der deutsch-polnischen Verständigung: 1993 wurde nach dem Vorbild des Deutsch-Französischen Jugendwerks das Deutsch-Polnische Jugendwerk gegründet. Dies hatten Polen und Deutschland im Partnerschaftsvertrag verankert. Das Büro des Jugendwerkes in Warschau ist für Schüleraustausch, Lehrerfortbildung, sportliche Jugendbildung, Sprachförderung und internationale Programme zuständig, während ein zweites Büro in Potsdam den Jugendaustausch von Jugendverbänden und Organisationen, kulturelle und kirchliche Zusammenarbeit und kommunale Programme organisiert.
Die deutsch-polnischen Schulbuchgespräche werden fortgesetzt und bleiben auch künftig ein wesentlicher Bestandteil des Kulturdialogs zwischen Deutschen und Polen.
Die direkte Erfahrung im Kontakt mit den anderen, das Kennenlernen der Lebenssituation und der Alltagsprobleme des Nachbarn sind das sicherste Mittel, Falschbilder zu korrigieren und Interesse, Verständnis und Sympathie zu entwickeln.
Im Herbst 2005 wurden die Jubiläen der kirchlichen Versöhnungsinitiativen von 1965 begangen und damit Chancen zur Wiederanknüpfung an jene Ideen geboten. Im September 2005 gedachten die katholischen Bischöfe Deutschlands mit ihren polnischen Amtskollegen des 40. Jahrestags der Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe vom 1. Oktober 1965. Die damaligen Versuche eines Brückenschlags könnten neue Impulse für die deutsch-polnischen Beziehungen freisetzen.