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Land (Freistaat) Bayern | bpb.de

Land (Freistaat) Bayern

Heinrich Oberreuter

Historischer Hintergrund

Bay. in seiner tausendjährigen Geschichte ist das größte und traditionsreichste Bundesland. Das ältere Stammesherzogtum unter den Agilolfingern umfasste seit dem 6. Jh. das altbayerische Siedlungsgebiet östlich der Alemannen und Franken einschließlich Kärntens, der Steiermark und Tirols. Mit der Absetzung Tassilo III. (788) beendete Karl der Große diese frühe Eigenständigkeit, ohne dass unter fränkischer Verwaltung eigenes Stammesrecht und eigene kirchliche Organisation verlorengegangen wären. Beim Niedergang des karolingischen Großreiches konnte an diese Traditionen angeknüpft werden. Unter den Luitpoldingern entstand das jüngere Stammesherzogtum zu Beginn des 10. Jh., das zeitweise auch die Markgrafschaft Verona und die Marken Istrien und Krain umschloss. Herzog Arnulf erreichte weitgehende Unabhängigkeit vom Sächsischen Königtum, an welches das Land gleichwohl lehensrechtlich gebunden war. Die Bindungen an Königtum und Reich wurden vom 10.–12. Jh. immer enger. 1070 wurde Bay. an die Welfen, 1180 durch Barbarossa an die Wittelsbacher verliehen. Die südlichen und östlichen Besitztümer gingen dabei verloren. Die Herrschaft der Wittelsbacher währte bis zur Revolution am 07.11.1918.

Durch die einheitliche Herrschaft im altbayerischen Gebiet bildete sich dort frühzeitig der Territorialstaat heraus. Anders verlief die Entwicklung in den schwäbischen und fränkischen Gebieten, in denen es viele adelige und kirchliche Herrschaften nebeneinander gab. Daraus entstanden unterschiedliche Traditionszonen, die durch alle Modernisierungsprozesse hindurch fortwirkten, Bedeutung für die Mentalitätsprägung und selbst Einfluss auf die Bildung moderner → Parteien und deren regional unterschiedliche Attraktivität behielten. War durch Heirat 1214 zum Kerngebiet noch die Rhein-Pfalz gekommen (und bis 1945 geblieben), so gewann Bay. seine heutige Gestalt erst durch die Erhebung zum Königreich 1806 im Zuge der Säkularisation und Mediatisierung, als die fränkischen und schwäbischen Territorien angegliedert wurden. Dem waren glanzvolle Phasen wittelsbachischen Königtums im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit die zeitweilige Rolle einer europäischen Großmacht an der Seite Frankreichs unter den Kurfürsten Maximilian und Max Emanuel vorausgegangen, als Bay. Vorkämpfer des gegenreformatorischen Katholizismus war. Innenpolitisch geschah damals der Bruch mit der auf die Zeit um 1300 zurückgehenden konstitutionellen Tradition, welche die Freiheiten der Landstände (Adel, Geistlichkeit, Bürger) gewährleistet hatte: Der Absolutismus etablierte sich.

Nach 1806 versuchten planmäßige Staats- und Verwaltungsreformen die drei gewachsenen Traditionszonen – katholisch-konservativ, agrarisch und patriotisch strukturiertes Altbay., katholisch und gemäßigt föderalistisches Schwaben sowie protestantisch und nationalliberal geprägtes Franken – „staatsbayrisch“ zu überwölben. Daher legte die erste „Konstitution“ (1808) nicht nur erstmals → Grundrechte, sondern vor allem auch einheitliche Rechts- und Verwaltungsgrundsätze fest, mit denen die Heterogenität der Landesteile überwunden werden sollte. Im Kontext des süddeutschen Konstitutionalismus erhielt Bay. bereits 1818 eine fortschrittliche Verfassung mit einer aus zwei Kammern bestehenden Ständeversammlung, mit welcher der Monarch das Gesetzgebungsrecht teilte. Sie beruhte auf direkter und indirekter Wahl, gebunden an Zensus und Grundbesitz. Erstmals war das überkommene Ständewesen überwunden, wenngleich Ludwig I. sich bis zu seiner Abdankung 1848 durchaus auf das monarchische Prinzip berief. Seit 1848 hieß die zweite Kammer „Landtag“. Das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht wurde schrittweise 1881, 1906 und 1909 durchgesetzt. Trotz zugestandener Separatrechte war der Beitritt zum Deutschen Reich 1871 der Anfang vom Ende bayerischer Souveränität. Die vorbehaltenen Befugnisse in Finanzen, Verkehr, Militär, Rechtspflege, Sozialem, Kultur und Verwaltung wurden immer mehr zugunsten der Zentrale ausgehöhlt, das Land immer enger mit dem Schicksal des Wilhelminischen Reiches verbunden. Im Nov. 1918 versank die bayerische Monarchie in der Revolution. Volkssouveränität löste das monarchische Prinzip ab: Bay. wurde „Freistaat“. Arbeiter- und Soldatenräte konnten sich gegen den Parlamentarismus nicht durchsetzen. Die Bamberger Verfassung vom 14.08.1919 konstituierte den Freistaat als parlamentarische Demokratie. Unter der Weimarer Verfassung reduzierte sich seine Eigenständigkeit praktisch auf die Kulturpolitik. Bestrebungen zugunsten föderalistischer Reichsreform gingen von Bay. aus. Doch durch das NS-Regime wurde es schließlich wie die anderen Länder auch zur Verwaltungsprovinz gleichgeschaltet.

Die amerikanische Besatzungsmacht stellte das Land in seinen historisch gewachsenen Grenzen (allerdings ohne die Pfalz) wieder her. Am 01.12.1946 entschied das Volk über die neue demokratische Verfassung und wählte zugleich den ersten Nachkriegslandtag.

Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft

Bevölkerung

Gegenwärtig (2019) leben in Bay. auf 70.542 qkm über 13 Mio. Menschen, 16 % der deutschen Bevölkerung auf 19,8 % des Staatsgebiets. Die Einwohnerdichte beträgt 185 pro qkm. Die Bevölkerungsentwicklung war nach 1945 zunächst geprägt durch den Zustrom von mehr als 2 Mio. Heimatvertriebenen, darunter 1,025 Mio. aus dem Sudetenland. Nahezu 20 % der Bevölkerung mussten integriert werden. Bis Mitte der 1950er-Jahre prägten Abwanderungsverluste die Entwicklung. Dieser Trend hat sich durch den grundlegenden Wandel der ökonomischen Rahmenbedingungen völlig umgekehrt (Tab. 1).

Bevölkerungsentwicklung in Bayern

Tab. 1

1950

9.177.724

1990

11.448.823

1960

9.494.939

2000

12.230.255

1970

10.561.110

2010

12.538.696

1980

10.928.151

2019

13.070.721

Gründe dafür sind: die relativ günstige Geburtenrate (im Vergleich zum Durchschnitt relativ niedriger Überschuss der Gestorbenen gegenüber den Geborenen), die Erwerbszuwanderung seit den 1960er und die Alterszuwanderung seit den 1970er-Jahren. Von der Nord-Süd-Wanderung in D profitiert der Freistaat jährlich mit einem Gewinn von über 20.000 Personen, Migrationshintergrund besitzen über 3 Millionen, die Hälfte davon besitzt deutsche Staatsangehörigkeit.

Räumlich konzentriert sich die Bevölkerung auf die drei großen Agglomerationen München, Nürnberg und Augsburg, die stets auch innerbayerische Wanderungen aus strukturschwachen Gebieten anzogen. Das Ende des Ostblocks und die EU-Erweiterung schafften in Ostbay., das 1945 in eine wirtschafts- und verkehrspolitische Schattenlage geraten war, neue Chancen. Schon zuvor kompensierten wirtschafts- und bildungspolitische Strukturförderungen gezielt regionale Benachteiligungen. Davon profitieren neue Verdichtungsräume wie Ingolstadt und Regensburg, immer intensiver aber auch das ehedem strukturschwächere Niederbay. (Automobilbau, Großflughafen).

Gesellschaft

Die Konfessionsstruktur weicht von der im übrigen D erheblich ab. Sie ist insgesamt noch immer katholisch geprägt, wenn auch durch die verstärkten Kirchenaustritte und den Zuzug aus dem Norden mit beschleunigend abnehmender Tendenz: 1970: 70 %, 2011: 54 %. In Mittel- und Oberfranken bekennt sich die Mehrheit als evangelisch. Der Gesamtanteil der Protestanten fiel in der gleichen Zeit von 25 % auf 20 %. Gestiegen ist der Anteil der Bekenntnislosen von 3,5 % auf 21 %, jener der Muslime liegt aufsteigend bei 4 %. Ansonsten setzt sich der Säkularisierungstrend fort.

Die Berufsstruktur hat sich dem übrigen Bundesgebiet angeglichen. Der allergrößte Teil der Erwerbstätigen ist abhängig beschäftigt, nur 10,7 % (1950: 17,1 %) sind selbstständig. Der Anteil der Angestellten und Beamten hat sich mehr als verdreifacht. Der entscheidende Wandel liegt jedoch im tiefgehenden Umbau einer vordem agrarisch bestimmten → Gesellschaft (Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschaft/Fischerei 1950: 30,6 %, 2017: 1,7 %) zur Industrie- und mittlerweile vor allem zur Dienstleistungsgesellschaft (Dienstleistung 1950: 32,3 %, 2017: 66,9 %; produzierendes Gewerbe 1950: 37,1 %, 2017: 31,5 %).

Bildungspolitische Offensiven in den 1960er-Jahren begleiteten die wirtschaftlichen: Durch eine flächendeckende Versorgung des gesamten Landes mit weiterführenden Schulen, unter anderem mit der Gründung von 100 Gymnasien und sechs Universitäten sowie 20 Fachhochschulen, wurden Bildungsreserven erschlossen.

Wirtschaft

Im nach dem Wiederaufbau und der Eingliederung der Vertriebenen einsetzenden Industrialisierungsprozess war in den 1950er- und 1960er-Jahren der Zuwachs an Produktionsstätten (vorzugsweise Investitionsgüter) doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Dabei überwogen mittelständische und Wachstumsindustrien. Die geringen eigenen Energiequellen wurden frühzeitig durch Import von Erdöl und Erdgas sowie durch eigene Raffinerien kompensiert. Steigende Wirtschaftskraft beruht vor allem auf der stark vertretenen elektrotechnischen und elektronischen Industrie, auf Maschinenbau, Automobilbau und der Chemie. 50 % aller deutschen Arbeitsplätze in der Luft- und Raumfahrtindustrie sind hier angesiedelt. Umgekehrt ist Bay. nicht mit veralteten Industrierevieren und -zweigen belastet gewesen. Umstellungsprobleme ergeben sich aufgrund der weltpolitischen Entwicklung allerdings in der wehr- und rüstungstechnischen Industrie. Im Dienstleistungsbereich bleibt die noch immer steigende Bedeutung des Fremdenverkehrs hervorzuheben. 70,1 % trägt derzeit der tertiäre Sektor zum BIP bei, das produzierende Gewerbe etwa 29,1 %.

Das reale Wirtschaftswachstum betrug zwischen 1990 und 2000 29,8 %, zwischen 2000 und 2009 10,1 %, das Beschäftigungswachstum von 2010 bis 2018 12,8 %. Im Rahmen der EU entspricht Bayerns ökonomische Lage jener der Niederlande. Die Arbeitslosenquote liegt mit 3,2 % (2/2019) deutlich unter dem Bundesschnitt (5,3 %). Bay. hat den schonenden Umbau zu einer hochmodernen Wirtschafts- und Erwerbsstruktur vollzogen. Durch Modernisierung wurden regionalspezifische Schwächen und Nachteile ausgeglichen. Strukturproblemen der ökonomischen Entwicklung in D entgeht der Freistaat dadurch nicht. Aber er ist relativ gut gerüstet und alles andere als eine Armuts- und Krisenregion.

Politisches System

Verfassung

Die von der verfassunggebenden Versammlung unter maßgebendem Einfluss des damaligen, föderalistisch geprägten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten W. Hoegner und des Staatsrechtlers H. Nawiasky erarbeitete Verfassung wurde am 01.12.1946 durch Volksentscheid mit 70,6 % der abgegebenen Stimmen angenommen. Sie ist geprägt von Überlegungen, die bereits im Exil angestellt wurden, aus Geschichte und Vorgeschichte des → Nationalsozialismus Konsequenzen zu ziehen, zusätzlich von verfassungspolitischen Vorstellungen der amerikanischen Besatzungsmacht, deren Genehmigung schließlich erforderlich war. Da zu Verfassungsänderungen jeweils ein Volksentscheid obligatorisch ist, erfuhr sie lange Zeit nur wenige, im 21. Jahrhundert jedoch eine Reihe modernisierender Modifizierungen, besonders in den Bereichen Lebensverhältnisse, Europa und Finanzausstattung (z. B. der Kommunen). In zwei Fällen führten Plebiszite zu Verfassungsänderungen (Einführung kommunaler Bürgerbegehren und -entscheide 1995 sowie Abschaffung des Senats 1998). Auch die (vom Landtag im Konsens vorgelegten) Verfassungsreferenden über die Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule (1968) und die Garantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (1973) waren letztlich durch Volksbegehren initiiert.

Unzulässig sind Änderungen, „die den demokratischen Grundgedanken der Verfassung widersprechen“ (Art. 75). Der Verfassungsgerichtshof zählt dazu auch vorstaatliche, besonders die Menschenwürde und die Gleichheit schützende Grundsätze. In den ersten drei Artikeln wird die republikanische („Freistaat“) und demokratische Qualität Bay.s hervorgehoben, dieses aber zusätzlich als „Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“ (Art. 3) definiert. Die Grundrechtsordnung ist im zweiten der vier Hauptteile festgelegt. Über die liberalen Freiheitsrechte hinaus enthält sie als soziales Grundrecht den Anspruch auf angemessene Wohnung (Art. 106) und einige Grundpflichten (z. B. Übernahme von Ehrenämtern, Art. 121). Sie wird durch den organisatorischen (1.) Hauptteil sowie durch die programmatischen (3. und 4.) Hauptteile wesentlich ergänzt: Dort werden z. B. die plebiszitären Mitwirkungsrechte, Ehe und Familie, Anspruch auf Bildung u. ä. geregelt. Art. 141 normiert den freien Zugang zur Natur sowie die Pflicht, sie zu schützen, was heute mehr Bedeutung besitzt als 1946. Insgesamt charakterisieren hohe ethische Orientierung und deutliche Wertbindung den Verfassungstext. Kultur- und sozialstaatliche Details verloren durch Zeitbedingtheit und Überlagerung durch Bundes- und Europarecht an Bedeutung.

Nicht aber die Gliederung in Gemeinden, Kreise und sieben Regierungsbezirke, die Sicherung der gemeindlichen Selbstverwaltung sowie die Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze auf die kommunale Ebene. Auch Bürgermeister und Landräte werden seit jeher direkt vom Volk gewählt. Seit 1995 können die Stimmberechtigten zudem an allen Fragen des kommunalen Wirkungskreises durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide mitwirken.

Organisation des politischen Systems

Wahlen

Verfassungs- und Wahlrecht fördern im → politischen System Bay.s intensiv den unmittelbaren Einfluss der Bürger. Auf kommunaler Ebene ist es möglich, zu kumulieren und zu panaschieren. Das Landtagswahlrecht verbindet Verhältnis- und Persönlichkeitswahl. Mit der Erststimme werden im Stimmkreis Kandidaten mit relativer Mehrheit gewählt, mit der zweiten Stimme Bewerber über begrenzt offene Wahlkreislisten der → Parteien, die jeweils einen der sieben Regierungsbezirke umfassen: Der Wähler kann – häufig genutzt – einen bestimmten Kandidaten ankreuzen und damit die Reihenfolge beeinflussen.

Plebiszit

Art. 71–75 BVerf. eröffnen den Bürgern das Recht, sich durch Volksbegehren und Volksentscheid selbst Gesetze zu geben. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter und begründeter von 25.000 Stimmberechtigten durch Unterschrift unterstützter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Treten ihm 10 % der Stimmberechtigten bei, hat es die Staatsregierung mit ihrer Stellungnahme dem Landtag zu unterbreiten. Nimmt dieser es an, entfällt der Entscheid. Lehnt er es ab oder will er es modifizieren, kann er dem Volk zusammen mit dem Volksbegehren einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Meist entschied das Volk in solchen Fällen für den Landtagsentwurf, da dieser oft ein aufgrund des Volksbegehrens zustande gekommener interfraktioneller Kompromiss ist. Das Plebiszit erwies sich in Bay. deutlich als Oppositionsinstrument zur Initiierung von Veränderungen, für die sich Mehrheiten im Volk, nicht aber im Parlament abzeichneten. Auch wenn die ursprünglichen Initiatoren meist Abstriche von ihren Intentionen hinnehmen mussten, entfalteten die parlamentarischen Kompromisse erheblich modernisierende Wirkungen, die ohne plebiszitäre Anstöße kaum erreicht worden wären.

Bis 2019 gab es 21 Volksbegehren und 19 Volksentscheide, fünf davon ohne die Zustimmung der Landtagsmehrheit wie z. B. Nichtraucherschutz (2009) und Abschaffung der Studiengebühren (2013). Die überwältigende Zustimmung zum Artenschutzgesetzbegehren (2019, 18,6 %) führte zu dessen Übernahme in die Gesetzgebung. Vom Plebiszit ausgenommen bleibt der Staatshaushalt. Ein Volksentscheid ist mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen angenommen, die noch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs 1999 (Abschaffung des Senats) ein Viertel der Stimmberechtigten umfassen muss. Wirkung zeitigen nicht nur erfolgreiche Volksbegehren, sondern im Vorfeld bereits Androhungen von Oppositionsparteien und (zunehmend) Bürgergruppen, notfalls den plebiszitären Weg zu beschreiten.

Landtag und Staatsregierung

Der Landtag (Art. 13–33) wird seit 1998 auf fünf (zuvor vier) Jahre gewählt. Er kann sich selbst auflösen oder auf Antrag von 1 Mio. Wählern durch Volksentscheid abberufen werden. Ihm gehören 187 (bis 2003: 204; bis 2008: 180) → Abgeordnete an. Die zwölf Fachausschüsse tagen seit 1946 – beispielhaft für Transparenz – grundsätzlich öffentlich. Der Landtag wählt den Ministerpräsidenten auf fünf Jahre. Er muss der Ernennung und Entlassung der Minister und Staatssekretäre zustimmen. Die BVerf. kennt kein Misstrauensvotum. Der Ministerpräsident muss jedoch zurücktreten, wenn er das Vertrauen des Parlaments verliert. Sein Rücktritt hat den der ganzen Staatsregierung zur Folge (Art. 44.3). Angesichts der ausgeprägten Mitwirkung des Landtages an der Regierungsbildung und der engen Bindung der Staatsregierung an das stetige Vertrauen des Parlaments (genauer: der Parlamentsmehrheit) besteht trotz des fehlenden Misstrauensvotums in Bay. ein parlamentarisches Regierungssystem. Als Gegengewicht zur regierenden Mehrheit wurde 1998 die Opposition in die BVerf (Art 16a) aufgenommen. Dem Landtag stehen die üblichen Frage-, Informations- und Kontrollrechte zu Gebote.

Bei Gesetzgebung und Haushalt partizipiert er an den generellen Entwicklungstendenzen des → Föderalismus, die selbstständige Gestaltungsmöglichkeiten immer mehr zugunsten nationaler und europäischer Kompetenzen eingeschränkt haben. Dennoch hat er sich zum Vollzeitparlament entwickelt, zumal die Abgeordneten ihren Tätigkeitsschwerpunkt immer stärker auf Wahlkreisarbeit und Vertretung von Wahlkreisinteressen verlagern. Anträge und Anfragen sind daher quantitativ im Gegensatz zu Gesetzentwürfen stark gestiegen. Die Geschäftsordnung räumt dem einzelnen Abgeordneten das Recht ein, Gesetzentwürfe einzubringen und fast alle Kontrollrechte zu nutzen. Gleichwohl hat sich auch der Bayerische Landtag zum Fraktionenparlament entwickelt, in welchem der Abgeordnete nicht für sich, sondern eingebunden in eine politische Aktionsgemeinschaft handelt. Unterschiedliche Interessen und Positionen finden Ausdruck und Ausgleich weniger in der Öffentlichkeit als in den differenzierten Strukturen innerfraktioneller Willensbildung. Hilfs- und Beratungsdienste sind nur in Ansätzen vorhanden. Für die Beschäftigung von Mitarbeitern erhält der Abgeordnete einen festen Betrag. Den → Fraktionen stehen Sach- und Personalmittel zur Verfügung, bestehend aus Sockelbetrag, Kopfbetrag und einem bescheidenen Oppositionsbonus.

Die Staatsregierung (Art. 43–59) besteht aus dem Ministerpräsidenten, den Ministern und Staatssekretären, letztere führen – eigentümlich in Bay. – als Parlamentarier das politische Amt eines Kabinettsmitglieds. Die Richtlinienkompetenz besitzt der Ministerpräsident. In ihrem Rahmen führen die Minister ihr Ressort selbstständig und in eigener Verantwortung. Zahl und Zuschnitt der Ressorts legt die Verfassung fest, die mit Zustimmung des Landtags auch Änderungen zulässt. Daher war es möglich, neuen Aufgabenstellungen gemäß Ministerien für Umwelt (1970 als erstes in D) und für Bundes- und Europaangelegenheiten einzurichten sowie das Kultusministerium zu teilen oder auch wieder zusammenzulegen. Von der Ausnahme Wilhelm Hoegners (→ SPD) abgesehen, der beim Zerfall der gegen die → CSU gerichteten Viererkoalition (1954–1957) zurücktrat, stellte die CSU seit den ersten Landtagswahlen 1946 alle Ministerpräsidenten in Koalitionskabinetten bzw. zwischen 1962 und 2008 sowie 2013–2018 in Alleinregierungen: Hans Ehard (1946–1954 und 1960–1962), Hanns Seidel (1957–1960), Alfons Goppel (1962–1978), Franz-Josef Strauß (1978–1988), Max Streibl (1988–1993), Edmund Stoiber (1993–2007), Günther Beckstein (2007–2008), Horst Seehofer (2008–2018), Markus Söder (seit 2018).

Verfassungsgerichtshof

Die wichtigsten Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs (Art. 60–69) sind die Normenkontrolle sowie die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden und Popularklagen. Verfassungsbeschwerde kann jeder Bewohner Bay.s erheben, der sich durch Behörden- oder Gerichtsentscheid in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt fühlt. Der Rechtsweg muss erschöpft und der Tatbestand subjektiver Beeinträchtigung gegeben sein. Die – eine Besonderheit – Popularklage kann jedermann führen, der ein → Grundrecht durch eine landesrechtliche Vorschrift verletzt sieht, auch wenn er subjektiv nicht betroffen ist: ein Jedermannsrecht auf abstrakte Normenkontrolle. Die Verfassungsrichter werden vom Landtag gewählt. Da es kein Quorum und der Mehrheitswille den Ausschlag gibt, stößt der Wahlmodus zunehmend auf oppositionelle Kritik.

Parteien, Wahlen, Wählerverhalten

Im bayerischen Parteiensystem dominiert die CSU in ihrer Sonderrolle als Landespartei mit bundesweitem Anspruch. Der überwältigende Wahlerfolg bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung und zum 1. Landtag 1946 (58,3 % bzw. 52,3 %) signalisierte nur die Stärke des bürgerlich-konservativen Lagers. Mit dem Auftreten der Bayernpartei sah sich die CSU 1950 halbiert (27,4 %). Zusätzlich gab es Spannungen zwischen ihrem betont katholisch-konservativen und ihrem liberalen Flügel. Letzterer setzte sich mit seiner Absicht durch, die CSU zur interkonfessionellen gesamtbayerischen Volkspartei zu entwickeln. Tradition und moderne Industrie- und Bildungsgesellschaft sind – typisch für die sozio-kulturelle Eigenprägung Bay.s – in Einklang gebracht worden. Darauf beruht die Attraktivität der Partei, der es seit den 1950er-Jahren gelang, sich jenseits des katholischen Reservoirs neue Wählerschichten im fränkisch-protestantischen Raum, im städtischen Bürgertum, im „neuen Mittelstand“ und bei Arbeitern zu erschließen. Seit den 1960er-Jahren hat sie das konservative Wählerpotenzial aufgesaugt und entwickelte sich zunehmend zur alleinregierenden Mehrheitspartei mit Stimmanteilen, die sich nach 1970 um oder sogar weit jenseits der 55 % eingependelt haben (1974 62,1 %, 1998 52,9 %, 2003 60,7 %), allerdings spätestens mit dem Einbruch 2008 (43,4 %) und dem Tiefstand 2018 (37,2 %) verzögert dem gesamteuropäischen Trend erodierender Volksparteien folgen und damit ihre Hegemonie im Freistaat herausfordern. Die eigenständige Rolle im Rahmen der Fraktionsgemeinschaft mit der → CDU im Bund unterstreicht ihren besonderen Anspruch auf Vertretung bayerischer Interessen, unterstützt von ihrer selbstständigen Parteiorganisation und einem überaus stabilen Mitgliederstand (142.000 2018). Durch Wahlalternativen im urbanen und bürgerlichen Lager (Bündnis 90/Die Grünen; Freie Wähler) sowie neue Entwicklungen am rechten Rand (AfD 2018: 10,2 %) vermindert sich ihre Bindekraft.

Die bayerische SPD setzte traditionell an den drei selbstständigen Bezirken Franken, Südbayern und Niederbayern-Oberpfalz an. Erst 1991 konnte ein gemeinsamer Landesverband gebildet werden. Von profilierenden Regierungsämtern ist sie seit 1957 ausgeschlossen. Neue Wählerschichten vermochte sie sich nicht zu erschließen. Die SPD blieb relativ stark in den industrialisierten fränkisch-protestantischen Gebieten und in den Industrieinseln. Aus dem 30 %-Turm ist sie nie herausgewachsen (bestes Ergebnis 1966 35,8 %). Selbst unter den günstigen Konstellationen 1994 und 1998 kam sie nur auf 30,0 % bzw. 28,7 %, 2003 auf nur 19,6 %, 2008 auf 18,6 %. 2018 stürzte sie auf 9,7 % ab. Mithin scheint die Partei auf ihre Oppositionsrolle festgelegt. In Berlin besitzt sie keine mit der CSU vergleichbare hervorgehobene Position. Ihre Parteiorganisation ist schwach und war zwischen Mitte der 1970er-Jahre und Mitte der 1980er sogar rückläufig bei 62.000 Mitgliedern 2018.

Kleinparteien besaßen zu Beginn als Integratoren politischer Interessen und Koalitionspartner größeres Gewicht. Bayernpartei (1950–1966) und BHE (1950–1962) saßen mehrere Legislaturperioden im Landtag, die BP mit ihrer bäuerlich-patriotischen und extrem föderalistischen Orientierung einige Zeit als ernsthafte Herausforderin der CSU, der BHE als Vertretung der Flüchtlingsinteressen. Die BP wurde in harten politischen Kämpfen von der CSU aufgerieben, der BHE mit der gelingenden Integration überflüssig. Mitglieds- und Wählerschaften beider Parteien sind im Wesentlichen in der CSU aufgegangen.

Die Grünen haben sich seit 1986 im Landtag etabliert (1986: 7,5, 1990: 6,4, 1994: 6,1, 1998: 5,7, 2003: 7,7 sowie 2008: 9,4 %). Wo sie noch bis zur Jahrtausendwende ihre Wähler vorrangig aus dem gleichen Potenzial wie die SPD rekrutierten, sind sie inzwischen zunehmend bei urbanen, partizipationsorientierten bürgerlichen Schichten erfolgreich und profitieren vom Wandel der politischen Kultur, wie 2018 mit 17,6 % als führende Oppositionspartei deutlich bewiesen. Ihre Basis besitzen sie vor allem in Gebieten mit spezieller Umweltbetroffenheit, in Ballungs- und Dienstleistungszentren und bei Akademikern. Im Landtag üben sie eine akzentuierte und belebende Oppositionsrolle.

Die → FDP hatte ihre Hochburg stets im liberal-protestantischen Mittelfranken und konnte dort lange Zeit ihren Einzug in den Landtag sichern. Dritte Kraft wurde sie erst 1962, verfehlte aber schon 1966 und dann seit 1982 (mit Ausnahme von 1990) den Einzug in den Landtag. 1998 erlitt sie mit 1,7 % ein Debakel. Erst 2008 konnte sie unter günstigen Rahmenbedingungen, zu denen auch die Schwächung der CSU zählte, mit 8,0 % wieder ins Maximilianeum einziehen, um es, obgleich Koalitionspartner, mit nur 3,3 % 2013 wieder verlassen zu müssen. Die Rückkehr gelang 2018 mit 5,1 % knapp.

Die Freien Wähler verbuchen vor allem im ländlichen Raum Erfolge: bei bürgerlichen Schichten als Alternative zur CSU (2008: 10,2 %; 2013: 8,6 %; 2003 mit durchaus beachtlichen 4,0 % noch an der Sperrklausel gescheitert). Politische Professionalisierung, Parlamentarisierung und letztendlich unvermeidliche reale Parteibildung – und damit auch sichere Zukunft im Landtag – scheinen mit 11,6 % 2018 und anschließender Regierungsbeteiligung, auf dem Weg zu sein.

Am rechten Rand reüssierte zunächst nur 1966 für eine Wahlperiode die NPD, gestützt auf die nationalkonservativen Regionen Mittelfrankens mit hohen protestantischen Bevölkerungsanteilen. Die → Republikaner sind 1990 knapp (4,9 %) und 1994, 1998 und 2003 deutlich (3,9 %, 3,6 % und 2,2 %) gescheitert. Letztlich ist es ihnen nicht gelungen jenseits traditioneller Rechtswähler sich das bürgerlich-agrarisch-konservativ-altbayerische Potenzial zu erschließen, in welchem die AfD 2018 (10,2 %) reüssierte.

Auf mittlerem Niveau (1946 75,7 %, 1954 82,4 %, 1994 67,9 %, 1998 70,0 %) hatte sich die Wahlbeteiligung stabilisiert. Mittlerweile folgt sie bundesweiten Trends abwärts (2003: 57,1 %; 2008: 57,9 %) wie aufwärts mit 72,4 % 2018, letzteres zurückzuführen auf emotionalisierte Partizipationsbereitschaft und die Kandidatur der Repräsentationslücken schließenden AfD. Für die Wahlentscheidung sind partiell immer noch traditionelle sozialstrukturelle und konfessionelle Kriterien aussagekräftig. So erreichte die SPD 2003 zwar bei den Gewerkschaftsmitgliedern ihre besten Ergebnisse, musste sich aber auch in diesem Milieu mit dem zweiten Platz begnügen. Ihr Wähleranteil an der Arbeitnehmerschaft entspricht in etwa dem durchschnittlichen Wahlergebnis, was nicht zuletzt auf einen geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad zurückzuführen ist. Die CSU ist trotz deutlicher Absetzbewegung weiterhin bei Landwirten und Selbstständigen am erfolgreichsten, rekrutiert Wähler aber auch quer durch alle anderen Schichten. Junge, Studenten, Frauen und Konfessionslose wählen überdurchschnittlich grün. Die Grünen gewinnen zunehmend auch beim urbanen, partizipationsorientierten Bürgertum mit konfessioneller Bindung.

Insgesamt gleicht das Wählerverhalten in Bay. grundsätzlich den aus dem übrigen D bekannten Strukturmustern, durchaus auch beeinflusst von der hohen Zuwanderung. Doch erfährt es Modifizierungen durch die historische Sonderrolle des Freistaats, die nach wie vor stärkere katholische Prägung und die späte Modernisierung zur industriellen und post-industriellen (Hightech-)Gesellschaft. Der CSU gelang bislang eine Symbiose mit diesen strukturellen Vorgaben. Aufgrund der Erfolge ihrer Modernisierungspolitik, die den Freistaat ökonomisch und fiskalisch an die Spitze der Bundesländer geführt hat, vermochte sie ihre Position lange zu behaupten. Politische Kultur und Parteiensystem befinden sich inzwischen auf dem Weg zu bundesdeutscher Normalisierung, wodurch die Position der CSU erheblich tangiert wird. Bay.s Uhren gehen nicht anders. Wertewandelprozesse und Einstellungsveränderungen gegenüber Politik und Gesellschaft finden auch in Bay. statt.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Heinrich Oberreuter

Fussnoten