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Zur Entwicklung der polnischen Land- und Ernährungswirtschaft seit 1989 | Visegrád-Staaten | bpb.de

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Zur Entwicklung der polnischen Land- und Ernährungswirtschaft seit 1989

Axel Wolz Aaron Grau Heinrich Hockmann Inna Levkovych

/ 14 Minuten zu lesen

Die polnische Agrarwirtschaft zählt zu den Gewinnern der Transformationsprozesse und des EU-Beitritts. Es gab jedoch erhebliche Anpassungsschwierigkeiten und kleine Betriebe herrschen weiterhin vor. Der Strukturwandel wird sich fortsetzen.

Schon Ende 1989 wurden in Polen erste Schritte für einen Übergang von der zentralen Planwirtschaft hin zu einem marktwirtschaftlichen System eingeleitet. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert kann man feststellen, dass die polnische Land- und Ernährungswirtschaft zu den Gewinnern der Transformationsprozesse sowie des EU-Beitritts zählt. Allerdings war dieser Erfolg zu Anfang nicht abzusehen. Vielmehr gab es erhebliche Anpassungsschwierigkeiten und ein "Tal der Tränen" musste durchschritten werden. Dieser Beitrag analysiert die Entwicklung der Systemtransformation. Und es wird ein kurzer Vergleich zu den drei anderen Visegrád-Staaten gezogen.

Die neueren Entwicklungen können nicht verstanden werden, wenn nicht die Politik der kommunistischen Regierungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs berücksichtigt wird. Wie in den anderen sowjetisch besetzten Ländern wurde nach 1944/45 in Polen eine Landreform durchgeführt, die eine Besitzobergrenze von 100 Hektar (ha) Betriebsgröße festlegte. Die darüber hinausgehenden Flächen sowie der Grundbesitz der vertriebenen Deutschen wurden enteignet. Zum Teil wurden Staatsbetriebe errichtet, aber der größte Anteil wurde an umgesiedelte Bauern und Kleinstbauern vergeben. Mehr als eine Million Bauern profitierten von dieser Landreform. Allerdings wurde schon Ende der 1940er Jahre mit der Kollektivierung der landwirtschaftlichen Betriebe in (unfreiwillige) landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften begonnen. Doch der Wiederstand der landwirtschaftlichen Bevölkerung gegen die Kollektivierung war erheblich. Nach dem erfolgreichen Aufstand im Jahre 1956 wurde unter der neuen Regierung von Władysław Gomułka das Kollektivierungsvorhaben beendet und die Bauern konnten frei entscheiden, die Zwangsgenossenschaften zu verlassen. Die meisten nutzen diese Gelegenheit und nur in den ehemaligen deutschen Gebieten verblieben einige Produktionsgenossenschaften. Dort befanden sich auch die meisten staatlichen Agrarbetriebe.

So war Polen neben dem ehemaligen Jugoslawien das einzige sozialistische Land, das private Betriebe duldete. Es gab Ende der 1980er Jahre rund 2,2 Millionen landwirtschaftliche Familienbetriebe mit einer durchschnittlichen Betriebsfläche von 6,3ha. Sie bewirtschafteten gut drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen des Landes. Der Anteil der Staatsbetriebe lag bei knapp 20 Prozent, der der Genossenschaften bei etwa vier Prozent. Allerdings bedeutete dies nicht, dass die Bauern nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten produzieren durften. Vielmehr waren sie voll in das zentrale planwirtschaftliche System eingebunden. Ihre wirtschaftliche Lage war jedoch nicht schlecht, da auch in Polen gemäß des sozialistischen Ziels, die Stadt-Land-Unterschiede auszugleichen, die landwirtschaftlichen Erzeuger und Verbraucher erheblich subventioniert wurden. Und die Landwirtschaft war ein bedeutender Wirtschaftssektor: Ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag bei 12,9 Prozent und zur nationalen Beschäftigung bei 26,7 Prozent.

Auf dem Weg in die Marktwirtschaft

Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft begann eine kritische Phase in der Landwirtschaft. Die Abkehr von der zentralen Planung führte zu einem massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung, Hyperinflation und rapidem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die hohen Subventionen wurden zurückgefahren mit der Folge, dass sich die Betriebsmittelpreise stark verteuerten. Auf der anderen Seite stagnierten die Produktpreise, sodass die landwirtschaftlichen Einkommen massiv sanken. Polen war seit vielen Jahren ein Nettoexporteur von Nahrungsmitteln, die primär in die anderen sozialistischen Länder exportiert wurden. Diese waren jedoch ebenso wie Polen von einer Wirtschaftskrise betroffen und fielen als Handelspartner nun fast völlig aus. Die sozialistische Handelsgemeinschaft "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe" (RGW) brach zusammen. Auf der anderen Seite strömten mit dem Abbau aller Handelsbarrieren und Zölle hochwertige Lebensmittel aus der Europäischen Union (EU) beziehungsweise den Weltmärkten in das Land, die von den Konsumenten bevorzugt wurden. Die polnischen Agrar- und Ernährungsgüter waren international wegen minderer Qualität nur bedingt konkurrenzfähig.

Neben einer Preisliberalisierung wollte die Regierung die staatlichen Flächen und die (Ernährungs-)Industrie privatisieren. Es ging um 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche, die in den folgenden Jahren sukzessive versteigert wurden. Ebenso mussten sich die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in marktwirtschaftlich kompatible Organisationen umwandeln; in der Regel transformierten sie sich in Genossenschaften mit freiwilliger Mitgliedschaft.

Ein massiver Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion war das Resultat. Während die Bodenproduktion in den ersten Jahren zurückging und ab 1993 wieder leicht anstieg, wurde die Fleisch- und Milchproduktion sehr stark eingeschränkt. Viele Kleinbetriebe konzentrierten sich im Zuge der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen auf die Selbstversorgung ihrer Familien sowie zum Teil städtischer Verwandter und stellten den Verkauf ihrer Produkte ganz ein. Die landwirtschaftlichen Betriebe waren ein wichtiger sozialer Sicherheitspuffer, der das Überleben in schwierigen Zeiten sicherstellte. Hinzu kam, dass das Bankenwesen erst im Aufbau begriffen war und Kredite für landwirtschaftliche Betriebe nur in einem sehr geringen Umfang ausgereicht wurden. Kurz gesagt: Landwirtschaft wurde als nicht kreditwürdig eingestuft. Die Modernisierung der Produktion musste noch warten. Erst zum Ende des Jahrzehnts stieg sie wieder leicht an. Sie hatte aber zur Jahrtausendwende das Niveau von 1989 noch nicht wieder erreicht.

So sank der Beitrag der Landwirtschaft zum BIP stetig. Im Jahr 1997 betrug er nur noch sechs Prozent. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sank nur leicht auf etwas mehr als zwei Millionen ab und die durchschnittliche Betriebsgröße stieg auf 7,9ha an. Auf der anderen Seite waren immer noch 26,7 Prozent aller Beschäftigten in diesem Sektor tätig. Diese Werte zeigen die geringe Arbeitsproduktivität in jenen Jahren auf. Die nachlassende Agrarproduktion hatte auch ihren Niederschlag im Handel mit Agrar- und Ernährungsgütern. Bis 1991 war das Land ein Nettoexporteur von Nahrungsmitteln gewesen, ab 1992 wurde es zum Nettoimporteur.

Trotz dieser Phase der Stagnation waren die polnischen Bauern recht erfolgreich dabei, sich politisch zu organisieren. Schon ihre große Zahl machte sie zu einer bedeutenden Wählergruppe. Waren die ersten Jahre von einer sehr liberalen Wirtschaftspolitik geprägt, so gelang es ihnen 1992, Importzölle auf Nahrungsmittel und garantierte Mindestpreise für wichtige Agrarprodukte wie Weizen, Roggen oder Milch durchzusetzen. Seit dem Systemwechsel ist die Polnische Bauernpartei (PSL), wenn auch in unterschiedlichen Koalitionen, relativ regelmäßig Mitglied der Regierung. Die finanzielle Unterstützung für die Bauern wurde in den frühen 1990er Jahren ausgebaut, wobei der größte Teil (75 Prozent) in die Unterstützung der landwirtschaftlichen Alterssicherung ging. Darüber hinaus wurde ein Kreditprogramm aufgelegt, in dessen Genuss aufgrund des bescheidenen Budgets jedoch nur wenige Betriebe gelangten. Im Vergleich zu den anderen Visegrád-Staaten war die staatliche Unterstützung trotz der guten politischen Vertretung doch relativ gering.

Der starke politische Einfluss der PSL wurde jedoch auch als ein Grund dafür angesehen, dass sich die polnische Landwirtschaft nicht konsolidierte. So wurde ihre Lage Ende der 1990er Jahre auch im Vergleich zu der in den anderen Visegrád-Staaten als problematisch angesehen. Die Betriebe waren sehr klein, die Betriebsflächen in viele Parzellen aufgeteilt und es bestand ein erheblicher Überhang an Arbeitskräften. Mehr als ein Viertel der Betriebe war völlig auf die Selbstversorgung ausgerichtet.

Vergleich mit den anderen Visegrád-Staaten

In der Tschechoslowakei und Ungarn war die Landwirtschaft zu Beginn der 1960er Jahre völlig kollektiviert worden. Private Betriebe spielten mit einem Anteil von rund zwölf Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Ungarn, rund vier Prozent in der Slowakei und ein Prozent in Tschechien nur eine untergeordnete Rolle. Besonders in Ungarn waren sie in der Regel mit den Kollektivbetrieben eng verbunden. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften bewirtschafteten 62 Prozent der Fläche in Tschechien, 69 Prozent in der Slowakei sowie 74 Prozent in Ungarn. Staatliche Betriebe (Volkseigene Güter) bewirtschafteten 37 Prozent der Fläche in Tschechien, 26 Prozent in der Slowakei und 13 Prozent in Ungarn. Die landwirtschaftliche Produktion spielte in der Wirtschaft und für die Beschäftigung also bei weitem nicht eine so große Rolle wie in Polen.

In allen drei Ländern war die Dekollektivierung der landwirtschaftlichen Produktion die herausragende Aufgabe in der ersten Phase der Transformation. Die Genossenschaften mussten sich in marktwirtschaftlich anerkannte Rechtsformen umwandeln oder auflösen. Die Flächen wurden an jene beziehungsweise deren Erben zurückgegeben, die sie in die Genossenschaften hatten einbringen müssen. Viele der Begünstigten, die nun Land erhielten, waren aber längst in anderen Bereichen tätig, sodass die meisten ihren Boden an die neugegründeten Rechtsnachfolger der Kollektivbetriebe verpachteten. So kam es nicht zu der erwarteten Welle von Gründungen an Familienbetrieben. Nur in Ungarn spielen sie heute eine gewisse Rolle. So werden in Tschechien und der Slowakei mehr als 70 Prozent der Fläche (2013) von landwirtschaftlichen Unternehmen (GmbHs, Aktiengesellschaften sowie Genossenschaften) bewirtschaftet und in Ungarn knapp 60 Prozent (2010).

Wandel im Zuge des Beitritts zur EU

Die Jahre der Vorbereitung, aber besonders die Folgen des Beitritts am 1. Mai 2004 brachten nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die Wirtschaft Polens insgesamt einen großen Modernisierungsschub. Die Landwirtschaft profitierte außerordentlich von den hohen Beihilfen im Zuge der Einführung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Diese Mittel wurden für Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe, aber unter anderem auch für die Steigerung der Qualitätsstandards, Verbesserung der Vermarktungswege oder auch Modernisierungsmaßnahmen in den Betrieben eingesetzt. Bedingt durch diese Zuflüsse, aber auch durch hohe ausländische Direktinvestitionen erlebte das Land einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. So verdoppelte sich das Pro-Kopf-Einkommen seit Beginn des EU-Beitritts bis 2012, während sich die Arbeitslosenrate halbierte.

Die Jahre nach dem Regimewechsel waren von einem extremen Verfall der landwirtschaftlichen Einkommen begleitet gewesen. So brachte der Beitritt zur EU den polnischen Bauern einen regelrechten "Geldsegen". Im Vergleich zu 2002/03 hatten sich die Einkommen im Jahr 2004 bedingt durch die Direktzahlungen verdoppelt. Auch in den folgenden Jahren stiegen sie stetig weiter an. Im Jahr 2012 waren sie vier Mal so hoch. Der Anteil der Subventionen und Beihilfen am gesamten landwirtschaftlichen Einkommen von rund 1,5 Prozent (2003) wuchs auf 15,3 Prozent (2006) und mittlerweile im Durchschnitt auf etwa die Hälfte an. Allerdings sind die durchschnittlichen landwirtschaftlichen Einkommen auch heute immer noch erheblich niedriger als die anderer Berufsgruppen.

Auch die Rolle der Landwirtschaft in der Gesamtwirtschaft veränderte sich seit den Jahren der Vorbereitung, aber besonders seit dem EU-Beitritt. Im Zuge des allgemein guten wirtschaftlichen Wachstums nahm ihre Bedeutung stetig ab. So sank ihr Beitrag zum BIP im Jahre 2010 auf drei Prozent, ihr Anteil an der Beschäftigung auf rund 15 Prozent. Allerdings sind diese Werte immer noch weit höher als im EU-Durchschnitt. Auch im Vergleich zu den drei anderen Visegrád-Staaten ist der Beitrag zum BIP zwar relativ ähnlich, aber der Anteil an der Gesamtbeschäftigung liegt mehr als doppelt so hoch.

Auch wenn die allgemeine Bedeutung der Landwirtschaft sank, war ihr Wachstum in Folge des EU-Beitritts sehr beeindruckend. Ihr Bruttoproduktionswert nahm in der Zeit von 2000 bis 2011 um rund 40 Prozent zu, während er in Ungarn stagnierte und in Tschechien um rund 5 Prozent und in der Slowakei gar um rund 15 Prozent abnahm. Steigende Einkommen der Gesamtbevölkerung führten in Polen zu einer steigenden Nachfrage nach Agrar- und Ernährungsgütern, während steigende landwirtschaftliche Einkommen zu steigenden Investitionen beitrugen. Diese kontinuierliche Entwicklung hin zur Modernisierung der Produktion schlägt sich auch in einer stetig steigenden Flächenproduktivität nieder. Nach Slowenien und noch vor Ungarn erwirtschaften polnische Bauern den zweithöchsten Umsatz je Hektar innerhalb der Gruppe der EU-Beitrittsländer. Dennoch besteht im Vergleich zu den "alten" EU-Staaten immer noch ein erheblicher Nachholbedarf.

Die schnelle wirtschaftliche Entwicklung sowie die steigenden landwirtschaftlichen Einkommen hatten einen erheblichen Einfluss auf den landwirtschaftlichen Strukturwandel. Die Zahl der Betriebe sank von 2,2 Millionen im Jahr 2003 auf 1,5 Millionen im Jahr 2010. Auch nimmt die Bedeutung der größeren Betriebe (das heißt zwischen 20–50ha sowie größer als 50ha) stetig zu. Allerdings war der Hauptgrund für das Absinken der Anzahl der Betriebe darin begründet, dass Kleinstbetriebe statistisch nicht mehr erfasst werden. Auf der anderen Seite sind dem betrieblichen Wachstum enge Grenzen gesetzt. So dürfen Familienbetriebe nicht mehr als 50ha bewirtschaften. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt immer noch bei (nur) 9,6ha.

Zwar sank der Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen auf 15 Prozent, doch ist ihre absolute Zahl beträchtlich. Der Sektor zählt immer noch mehr als zwei Millionen Arbeitskräfte. Die Landwirtschaft wird immer noch von arbeitsintensiven Produktionsverfahren bestimmt. Allerdings sind viele dieser Personen unterbeschäftigt oder üben als Nebenerwerbslandwirte einen weiteren Beruf aus. Trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung hat die Landwirtschaft daher immer noch die Rolle des sozialen Puffers. So war 2012 immer noch ein Sechstel aller Betriebe auf die reine Eigenversorgung ausgerichtet.

Neben den 1,5 Millionen landwirtschaftlichen Familienbetrieben gibt es rund 5000 landwirtschaftliche Betriebe, die als Unternehmen geführt werden. Die Mehrzahl von ihnen sind privatisierte ehemalige Staatsbetriebe. Ihr Anteil an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche liegt bei etwa einem Fünftel. Im Durchschnitt bewirtschaften sie rund 300ha und arbeiten sehr effizient. Allerdings weist die nationale durchschnittliche Betriebsgröße von rund 10ha darauf hin, dass diese Betriebe – anders als in den drei anderen Visegrád-Staaten – nur eine bescheidene Rolle spielen. Zwar ist in Ungarn die durchschnittliche Betriebsfläche ähnlich groß, aber hier werden zwei Drittel der nationalen Nutzfläche von landwirtschaftlichen Unternehmen bewirtschaftet. In der Slowakei liegt die durchschnittliche Betriebsgröße bei 80ha, in Tschechien gar bei 150ha. Die Agrarstruktur in Polen ist relativ homogen und nicht in zwei parallele Systeme gespalten, bei denen eine große Anzahl kleiner Betriebe nur einen kleinen Teil der nationalen Agrarfläche bewirtschaftet, während eine kleine Anzahl von Großbetrieben den größten Anteil der Flächen unter sich aufteilt.

Der EU-Beitritt hatte nur bedingt Auswirkungen auf die Produktionsausrichtung. War nach dem Übergang in die Marktwirtschaft besonders die Rindfleisch-, Milch- und Geflügelproduktion zurückgefahren worden, so stieg die Getreideproduktion an. Zum Ende der 1990er Jahre bestimmten Getreideanbau, Milch- und Schweinefleischproduktion die Produktionsstruktur der Betriebe. Nach dem EU-Beitritt wurde die Getreide-, Milch- und Geflügelproduktion ausgebaut. Der EU-Beitritt führte auch zu einer graduellen Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktivität. So stiegen die Flächenerträge stetig an, wie beispielsweise bei Weizen, einer der wichtigsten Agrarkulturen, von 38 Dezitonnen je Hektar (dt/ha) (1989) auf 43dt/ha (2004) und 44dt/ha (2012). Noch sehr viel höher war der durchschnittliche Anstieg der jährlichen Milchleistung je Kuh. Er stieg von 3358kg (1989) auf 4269kg (2004) und 5189kg (2012). Im Zuge der Förderung von Bioenergie wurde der Rapsanbau erheblich erweitert.

Steigende Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelindustrie

Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Ernährungswirtschaft gehört zu den success stories der EU-Erweiterung. Sowohl die Importe als auch die Exporte von Agrar- und Ernährungsgütern nahmen nach dem Beitritt erheblich zu. Ein Grund waren die steigenden Pro-Kopf-Einkommen im Zuge der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung. In der Ernährungsindustrie wurde vor allem mit Hilfe ausländischer Direktinvestitionen ein zügiger Modernisierungsprozess eingeleitet. Polnische Produkte, besonders verarbeitete Lebensmittel, wurden international wieder konkurrenzfähig. So konnte sich das Land auch im Gegensatz zu vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten erfolgreich im globalen Wettbewerb behaupten. Der Weltmarktanteil für Agrar- und Lebensmittelprodukte der EU sank aufgrund wachsenden Wettbewerbs mit Schwellenländern wie Brasilien und Russland von 47,2 Prozent auf 41,3 Prozent im Zeitraum von 2000 bis 2011 ab. Insbesondere die alten Mitgliedsstaaten verloren an Bedeutung. Ihr Weltmarkanteil fiel von 40,7 Prozent auf 36,8 Prozent. Im Gegensatz hierzu konnten die neuen EU-Staaten ihren globalen Exportanteil von 2,2 Prozent auf 4,5 Prozent steigern. Der größte Gewinner der Entwicklung war Polen, das seine Marktanteile auf knapp ein Prozent des globalen Handels ausweiten konnte.

Die günstige Handelsentwicklung Polens auf den Weltagrarmärkten wurde von Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft und der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse begünstigt. Die Wettbewerbsfähigkeit ("totale Faktorproduktivität"), insbesondere in der Getreideproduktion, hatte sich über die Jahre positiv entwickelt. Bei der Lebensmittelproduktion konnten ebenfalls Produktivitätszuwächse bei Fleisch- und Milchprodukten erzielt werden. Insbesondere bei verarbeiteten tierischen Erzeugnissen konnte Polen seine komparativen Exportvorteile nutzen und überproportionale Zuwächse verbuchen. Heute ist Polen der siebtgrößte Fleischexporteur der EU. Polnische Milcherzeugnisse konnten ebenfalls ihren Absatz deutlich steigern. Im Gegensatz hierzu musste die EU hinsichtlich beider genannten Produktgruppen Exportanteilsverluste verbuchen. Zwar liegt die polnische Lebensmittelindustrie in ihrer Produktivität bei der Herstellung von Fleisch- sowie Milchprodukten im EU-Vergleich im hinteren Mittelfeld, aber sie konnte ihre Produktivität dennoch steigern. Bei Getreideprodukten (Rang 12) sowie insbesondere bei Obst- und Gemüseprodukten (Rang 6) kann es Polen hingegen sehr wohl mit den alten Mitgliedstaaten aufnehmen.

Ein entscheidender Grund für die positive Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit Polens ist die Funktionsfähigkeit von Märkten entlang der Lebensmittelketten. Sowohl die Märkte für landwirtschaftliche als auch für Produkte der Verarbeitungsebene funktionieren im EU-Vergleich sehr gut. Dies bedeutet, dass weder auf der Ebene zwischen Bauern und Verarbeitern, noch zwischen Verarbeitern und Lebensmitteleinzelhandel Preise durch die Ausübung von Marktmacht deutlich höher oder niedriger waren als im Falle vom optimalen Marktergebnis. Beispielsweise wurde im Rahmen des EU-finanzierten und am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) koordinierten Forschungsprojektes COMPETE geschätzt, dass auf den Märkten für Getreide- sowie Obst- und Gemüseprodukte seitens der Verarbeiter gegenüber dem Handel nur etwa zehn Prozent höhere Preise als im absoluten Wettbewerb verlangt wurden. Dies entspricht den branchenübergreifenden Gewinnraten.

Die gestiegene Konkurrenzfähigkeit der polnischen Agrar- und Ernährungsindustrie schlägt sich positiv im Handel nieder. Nach mehr als einem Jahrzehnt als Nettoimporteur wurden im Jahr 2003 erstmals wieder mehr Nahrungsmittel aus- als eingeführt. Auch wenn sich die Nahrungsmittelimporte seitdem stetig erhöhen, steigen die Exporte deutlich stärker, so dass Nahrungsmittelexporte einen bedeutenden Beitrag zu Handelsbilanz leisten. Im Jahre 2014 betrug der Exportüberschuss bei Nahrungsmitteln rund 6 Milliarden Euro.

Perspektiven

Nach dem EU-Beitritt stellten sich die Befürchtungen sehr viel kleiner dar als die Möglichkeiten. Die polnische Agrarwirtschaft und Ernährungsindustrie hat ihre Chancen auf dem lukrativen Markt für Nahrungsmittel innerhalb und auch außerhalb der EU sehr wohl genutzt. Gerade in arbeitsintensiven Bereichen ist sie gut aufgestellt. Der Beitritt brachte einen Einkommensschub für die Bauern mit sich. Die Hauptgewinner sind aber die polnischen Konsumenten, die nun mit qualitativ hochwertigen nationalen sowie internationalen Lebensmitteln zu relativ günstigen Preisen versorgt werden können.

Allerdings wird die polnische Agrar- und Ernährungswirtschaft ihre Konkurrenzfähigkeit steigern müssen, verstärkte Investitionen werden notwendig sein. Es ist zu erwarten, dass in den kommenden Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sowie der Betriebe der Ernährungsindustrie sinken, die durchschnittliche Betriebsgröße steigen und die Zahl der Arbeitskräfte erheblich abnehmen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl-Eugen Wädekin, Sozialistische Agrarpolitik in Osteuropa I. Von Marx bis zur Vollkollektivierung, Berlin 1974.

  2. Vgl. Jarka Chloupkova, Polish Agriculture: Organisational Structure and Impacts of Transition, Kopenhagen 2002 (Unit of Economics Working Papers 2002/3); European Commission-DG Agri, Agricultural Situation and Prospects in the Central and Eastern European Countries – Poland, Brüssel 1998.

  3. Vgl. ebd.

  4. Vgl. zu deren Entwicklung EU-DG Agri, Czech Agricultural Sector – Organisational Structure and its Transformation, Brüssel 2002; Axel Wolz/Gejza Blaas/Iveta Namerova/Stanislav Buchta, Agricultural Transformation in Slovakia, Saarbrücken 1998; Erik Mathijs/Sándor Mészáros, Privatisation and Restructuring of Hungarian Agriculture, in: Johan F. M. Swinnen/Allan Buckwell/Erik Mathijs (Hrsg.), Agricultural Privatisation, Land Reform and Farm Restructuring in Central and Eastern Europe, Aldershot 1997, S. 161–188.

  5. Vgl. Statistisches Amt, Farm Structure Survey 2013. Prag 2013.

  6. Vgl. Statistisches Amt, Green Report 2014. Bratislava 2015.

  7. Vgl. Orsolya Tóth, Farm Structure and Competitveness in Hungarian Agriculture, in: Agroeconomia Croatia, 3 (2013) 1, S. 26–32.

  8. Vgl. hierzu Wieslaw Lapaciuk/Adam Wasilewski Marek Wigier, Food Economy and Rural Areas in Poland – Structural Changes and Effectiveness of Public Policy, Warschau 2014; Wojciech Józwiak/Zofia Mirkowska, Polish Agricultural Holdings in the First Years of the EU Membership, in: Institute of Agricultural Economics (IAFE-NRI) (Hrsg.), Problems in Agricultural Economics, Warschau 2014, S. 76–89; Csaba Csaki/Attila Jambor, After the Transition: The Impacts of EU Membership upon the Agriculture of the New Member States, in: Ajal Kimhi/Zvi Lerman, (Hrsg), Agricultural Transition in Post-Soviet Europe and Central Asia after 25 Years, Halle/S. 2015, S. 17–34; EUROSTAT, Your Key to European Statistics: Agriculture, Externer Link: http://www.ec.europa.eu/eurostat/web/agriculture/data/database/ (30.9.2015).

  9. Vgl. United Nations Statistical Division (UNSD), Commodity Trade Database (COMTRADE), verfügbar über World Bank’s World Integrated Trade Solution (WITS), Externer Link: http://wits.worldbank.org (21.9.2015).

  10. Vgl. Lukáš Čechura Aaron Grau/Heinrich Hockmann/Zdeňka Kroupová/Inna Levkovych, Total Factor Productivity in European Agricultural Production, COMPETE Working Paper 9/2014.

  11. Vgl. Lukáš Čechura/Heinrich Hockmann/Zdeňka Kroupová, Productivity and Efficiency of European Food Processing Industry, COMPETE Working Paper 7, Halle (Saale) 2014.

  12. Vgl. Lukáš Čechura/Heinrich Hockmann/Zdeňka Kroupová, Market Imperfections in the European Food Processing Industry, COMPETE Working Paper 12/2014.

  13. Vgl. Andrzej Kowalski, Polish Food Sector 5 Years after the Accession, in: Institute of Agricultural Economics (IAFE-NRI) (Hrsg.), Problems in Agricultural Economics, Warschau 2014, S. 45–56.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Axel Wolz, Aaron Grau, Heinrich Hockmann, Inna Levkovych für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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Dr. agr., geb. 1954; Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Agrarpolitik am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Theodor-Lieser-Straße 2, 06120 Halle/S. E-Mail Link: wolz@iamo.de

Dipl.-Geograph, geb. 1985; Doktorand der Abteilung Agrarmärkte am IAMO (s.o.). E-Mail Link: grau@iamo.de

Dr. agr., geb. 1959; Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Stellvertretender Leiter der Abteilung Agrarmärkte am IAMO (s.o.). E-Mail Link: hockmann@iamo.de

Dr. agr., geb. 1974; Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Agrarmärkte am IAMO (s.o.). E-Mail Link: levkovych@iamo.de