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Sicherheit gewähren - Freiheit sichern - Essay | Innere Sicherheit im Wandel | bpb.de

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Sicherheit gewähren - Freiheit sichern - Essay

Bernhard Frevel

/ 4 Minuten zu lesen

Rings um Sicherheitsgefährdungen und das staatliche Sicherheitsversprechen werden sowohl die sicherheitstechnische Aufrüstung des Staates als auch die Privatisierung der Sicherheit als Lösung präsentiert. Gefährdet das die Freiheit?

Einleitung

Das hört sich doch aus dem Mund des Bundesinnenministers ganz gut an, wenn er bei der Präsentation des Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts der Bundesregierung im November 2006 feststellt, "dass die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere im europäischen Vergleich - zu den sichersten Ländern gehört". Damit schließt er an das an, was er schon bei der Vorstellung der "Polizeilichen Kriminalstatistik 2005" im Mai desselben Jahres formuliert hatte: "Wir können für das Jahr 2005 einen deutlichen Rückgang der polizeilich registrierten Kriminalität verzeichnen. Gleichzeitig ist die Aufklärungsquote noch einmal leicht angestiegen. Dies zeigt: Deutschland ist per se und im internationalen Vergleich eines der sichersten Länder der Welt."



Glaubt ihm das Volk, wenn er die Erfolge der Sicherheitspolitik und der Polizei so lobt? Augenscheinlich wohl, denn die Kriminalitätssorgen der Bürgerinnen und Bürger gehen zurück, das Sicherheitsempfinden verbessert sich. Sowohl bei expliziten Kriminalitätsfurchtstudien als auch bei den Untersuchungen zu den "Ängsten der Deutschen" werden seit 1993 stetige Verbesserungen des Sicherheitsempfindens gemessen. Da ließ sich das Volk auch durch den Terror 9/11 in New York nicht groß bange machen.

Aber wo kämen wir denn hin, wenn sich das Volk zu sicher fühlte, seiner Polizei in großem Vertrauen Beifall klatschte und sich beim Nachdenken über den Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit wieder stärker der Gestaltung der Freiheitsrechte zuwenden würde? Es muss wohl nicht so weit gehen, das "Angst essen Seele auf"-Prinzip zu fördern, aber ein bisschen Furcht und Sorge darf schon sein, damit sich die Bürgerinnen und Bürger an den Schutz versprechenden Staat anlehnen. Die Sicherheitspolitiker werden nicht müde zu betonen, die Bedrohungen seien vielfältiger, unberechenbarer geworden. Und der Bundesinnenminister formuliert neue Sachzwänge: "Aus ermittlungstaktischen Gründen ist es unerlässlich, dass die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit haben, eine Online-Durchsuchung nach entsprechender richterlicher Anordnung verdeckt durchführen können." Das hohe Gefährdungs- und Anschlagspotenzial stellt an die Sicherheitsbehörden neue und komplexe Anforderungen.

Das hört sich nun etwas schizophrener an, als es tatsächlich ist. Denn sicherlich haben sich Qualität und Quantität von Kriminalität und Terror gewandelt, werden neue Anforderungen deutlich, sind die rechtlichen Kompetenzen der Strafverfolger und Gefahrenabwehrer den technischen Fähigkeiten der Täter irgendwie anzupassen. Aber die Art und Weise des staatlich geführten Diskurses lässt gleichwohl stutzen.

Polizei und Sicherheitspolitik versuchen dem Volk mit der Beschreibung der mal nur "latenten" und dann wieder "konkreten" Gefahr und mit einem lauten Bedauern der in der Strafprozessordnung aufgestellten Begrenzungen der polizeilichen Befugnisse zu suggerieren, dass zwar die Sicherheit insgesamt gewährleistet sei, aber das Damoklesschwert der Gefahr an doch schon arg gespanntem Rosshaar über den Köpfen hänge. "Gebt uns mehr Befugnisse, da wir sonst nicht mehr für eure Sicherheit garantieren können!" lautet der staatliche Ruf - hoffend, dass die verschreckten Bürgerinnen und Bürger der Lebenslüge des Obrigkeitsstaates auf den Leim gehen: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, braucht doch auch keine Angst vor der Verwanzung der Wohnung, vor der Videoüberwachung auf dem Rathausplatz, dem Trojaner im PC, vor der Speicherung seiner DNA und der verdachtsunabhängigen Personenkontrolle am Bahnhof zu haben.

Von solch jahrelangem Beschall mürbe geworden, sind inzwischen große Teile der Bevölkerung bereit, diesem Drängen nachzugeben. Andererseits machen sie die Erfahrung, dass die Sicherheits- und Ordnungslage in ihrem sozialen Nahraum nicht ganz ihren Wünschen entspricht. Es ist wohl nicht eine richtige Kriminalitätsfurcht, aber doch mehr als ein Unwohlsein, das sich beim Anblick von Graffiti an Häuserwänden, von Gruppen obdachloser und Alkohol trinkender Menschen am Marktplatz, von nach dem Diskobesuch laut streitenden Jugendlichen oder dumpf pöbelnden Neonazis einstellt. Droht auch dieses Rosshaar zu reißen, und enthauptet uns dann das Damoklesschwert?

Kann der Staat uns denn schützen? Gibt es hinreichend Polizeikräfte? Wie können wir uns der Bedrohung erwehren? - fragen viele. Und mit der liberal-konservativen Programmaussage "Privat vor Staat" im Kopf wird zunehmend die Hilfe bei der Sicherheitswirtschaft gesucht - und zum Teil gefunden. Schwarze Sheriffs in der Fußgängerzone und im Wohnviertel, geleaste Kaufhausdetektive, aufgeschaltete Einbruchsmeldeanlagen oder auch der Bodyguard für den Manager sind Teile eines expandierenden Marktes, der inzwischen mehr Personen umfasst als die Polizei. Teilweise sind die "Securities" gar über Private-public-partnerships in die Gewährung der öffentlichen Sicherheit eingebunden.

Beide Tendenzen - sowohl die Aufrüstung des Staates als auch die Privatisierung von Sicherheit - sollten uns unter dem Aspekt des Rechtsstaates nachdenklich machen. Die Bürger haben mit dem Verzicht auf die "Macht des Stärkeren" und das alte Prinzip der Rache dem Staat das Gewaltmonopol übertragen. Hierdurch sollen die individuellen und kollektiven Persönlichkeits- und Freiheitsrechte gesichert werden. Diese Aufgabe ist eine zentrale Pflicht des Staates. Sicherheit darf weder ein käufliches - und damit sozial ungleich verteiltes - Gut sein, noch darf die Betonung der Sicherheit dazu führen, das einzuschränken, was gesichert werden soll: die Freiheit.

Dr. rer. soc., geb. 1959; Dozent für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Abt. Münster, Nevinghoff 8-10, 48147 Münster.
E-Mail: E-Mail Link: bernhard.frevel@fhoev.nrw.de