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Prophet des Friedens | Einstein | bpb.de

Einstein Editorial Perfekter Wissenschaftler oder beschädigtes Genie? Von Ulm nach Princeton Wer waren Einsteins Gegner? Wissenschaft und Politik: Einsteins Berliner Zeit Prophet des Friedens

Prophet des Friedens

Irene Armbruster

/ 16 Minuten zu lesen

Einstein verlangte eine überstaatliche Regierung, um Krieg zwischen Nationen zu verhindern. Als die Nationalsozialisten an die Macht gelangten, forderte der Pazifist die militärische Aufrüstung.

Einleitung

Albert Einstein war kein Diplomat oder Politiker. Er war überzeugter Pazifist mit großer Wortgewalt und klaren Überzeugungen: "Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei, wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg; ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen." Vier Jahrzehnte seines Lebens kämpfte er intensiv für den Frieden, setzte seine Berühmtheit ein und zweigte Zeit, die sonst nur der Forschung diente, für dieses Engagement ab.

Der angesehene und bewunderte Physiker machte sich als Pazifist Feinde. Viele seiner friedenspolitischen Vorstellungen sind bis heute Visionen geblieben, sein persönliches Engagement aber erhebt ihn noch immer für viele zum Vorbild. Dabei war Einstein kein Heiliger, kein charismatischer Führer wie Gandhi, aber er legte sich mutig mit Mächtigen an und setzte sich für Pazifisten ein, egal, ob sie berühmt waren oder als einfache Kriegsdienstverweigerer in Bedrängnis gerieten. Einstein war eine Gestalt des blutigen 20. Jahrhunderts, und dessen Widersprüche spiegeln sich in seinem Leben wider. Sein Einsatz für den Frieden war nicht ohne Kehrtwendungen und Umdenkungsprozesse, aber dasWichtigste war ihm das Wohl der Menschheit.

Derart pathetische Formulierungen sind angemessen - die Menschen überall auf der Welt lagen Einstein am Herzen, wie er hunderte Male schrieb. In Briefen, Manifesten und Artikeln beschwor er den Weltfrieden, schloss sich Aktivisten an oder gründete selbst eine Initiative. Er wählte aus, was er unterstützte, aber er war nicht kleinmütig, sondern davon überzeugt, dass es auf die persönliche Entscheidung des Menschen für den Frieden ankomme.

Er nahm diese Verantwortung mehr als ernst, und immer wieder haben sich die Biografen gefragt, was Einstein bewegte, sich so vehement für den Frieden einzusetzen. Es sei seine ungeheure Achtung für das gesamte Universum gewesen, sagen die einen: Einer wie er, der sich mit den Grundlagen unseres Seins beschäftigt habe, könne die Zerstörung dieser reichen Schöpfung nicht ertragen. Er sei ein Internationalist gewesen, schreiben die anderen: In Grenzen und Nationalismen habe er keinen Sinn gesehen, denn sie behinderten nur die Freiheit des Individuums. Warum also Kriege dafür führen? Außerdem sei Einstein Weltbürger gewesen, Mitglied in der Gesellschaft internationaler Wissenschaftler, die nationale Eitelkeiten überwunden hätten.

Wahrscheinlich ist es von allem etwas, ebenso wie seine jüdische Identität eine Rolle spielte, die er immer als aufklärerische Kraft verstand. Einstein hat sein Engagement nie im Detail erklärt. In einem Interview mit der Zeitschrift "Christian Century" sagte er im Jahr 1929: "Mein Pazifismus ist instinktiver Natur - ein Gefühl, von dem ich besessen bin. Der Gedanke des Mordes an einem menschlichen Wesen erfüllt mich mit Abscheu. Meine Haltung ist nicht von intellektueller Theorie, sondern von einem tiefen Widerwillen gegenüber jeglicher Art von Grausamkeit und Hass motiviert."

Freud und Gandhi

Wieso teilen nicht alle Menschen diesen Widerwillen? Einstein sah sie durch Institutionen und Kirchen verführt, von Nationalismen und Despoten aufgehetzt. Deshalb fragte er 1932 Sigmund Freud, ob es eine Möglichkeit gebe, "die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden". Das Internationale Komitee des Völkerbundes für Intellektuelle Zusammenarbeit hatte ihm vorgeschlagen, einen Experten seiner Wahl mit einer Fragestellung seiner Wahl zu konfrontieren. Einstein war Freud nur zweimal kurz begegnet, er hielt sehr wenig von der Psychoanalyse, und erst im vorgerückten Alter fällte er ein milderes Urteil, aber die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und die schwere Krise der Weimarer Republik ließen ihn dringend nach neuen Lösungen suchen: "Ich vertraue darauf, dass Sie auf Wege der Erziehung werden hinweisen können, die auf einem gewissermaßen unpolitischen Wege psychologische Hindernisse zu beseitigen imstande sind."

Doch Freud konnte dem Suchenden nur wenig Hoffnung machen. Er erklärte ihm die menschliche Evolutionsgeschichte und die Funktionen des Destruktiven im Menschen und hoffte auf die weitere Entwicklung der Zivilisation: "Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg." Im Frühjahr 1933 wurden die beiden Briefe der Koryphäen in kleiner Auflage veröffentlicht, doch sie gingen im Strom der Zeit unter.

Mit einem anderen wichtigen Friedensaktivisten stand Einstein ebenfalls in Kontakt: Mahatma Gandhi. Schon 1923 schrieb der Physiker Zeilen der Bewunderung über den Inder, Zeit seines Lebens argumentierte er oft mit dessen Gedanken. Einstein war vor allem von Gandhis moralischer Integrität angetan, auch wenn ihm viele seiner Instrumentarien fremd blieben. Einstein demonstrierte nicht, Hungerstreiks lagen ihm fern, und das Prinzip der Gewaltfreiheit war für ihn nur begrenzt einsetzbar: "Gewaltfreiheit ist zwar der klügste Weg, um mit Gegnern fertig zu werden, aber man kann sie nur unter idealen Bedingungen anwenden. Sie ist vielleicht in Indien gegen die Engländer anwendbar, aber nicht gegen die Nazis im heutigen Deutschland", meinte er 1935 in einem Interview. Dennoch hatte Einstein 1931 einen Briefwechsel mit Gandhi aufgenommen und schrieb 1939 einen Essay zu dessen siebzigstem Geburtstag. In den späteren Jahren beschäftigte sich Einstein immer mehr mit Gandhi, und so war es nur konsequent, dass er in den fünfziger Jahren gegen die Verhöre der McCarthy-Ära gewaltlosen Widerstand im Sinne Gandhis forderte.

Kriegstaumel in Berlin

Einstein hatte sich schon mit 15 Jahren gegen das Militär entschieden, auch weil ihm, wie Fritz Stern urteilt, "die vielgepriesene Schneidigkeit nicht lag". Er flüchtete in die Schweiz und kehrte 1913 erst wieder nach Deutschland zurück, als ihm Max Planck und Walther Nernst ein sehr gutes Angebot in Berlin machten. Einstein sollte bezahltes Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften werden. Er sagte zu, auch wenn ihm das Deutsche Reich Wilhelms II. mit seinem militärischen Gepränge und dem imperialen Pomp widerstrebte.

Er sollte mit seiner Skepsis Recht behalten. Als Deutschland den Ersten Weltkrieg mit dem Überfall auf Belgien und Frankreich begann, entbrannten viele seiner Kollegen in heftiger Kriegsbegeisterung. 93 Vertreter der deutschen Elite unterschrieben im September 1914 den "Aufruf an die Kulturwelt", in dem die deutsche Kriegsschuld bestritten und behauptet wurde, Deutschland sei mit seinem Angriff auf das neutrale Belgien einem Angriff der Alliierten zuvorgekommen. Weiter hieß es in diesem Papier: "Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur vom Erdboden getilgt. (...) Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. Dieses Bewusstsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei."

Einstein sah sich nicht als Bruder deutscher Militaristen. Er zögerte erst, ob er reagieren sollte. Er war zum Forschen nach Berlin gekommen und nicht zum Agitieren. Aber er, der in Italien und in der Schweiz gelebt, in Prag gearbeitet hatte und der Paris gut kannte, sah plötzlich Europa und seine Kultur in einem Krieg der Nationalstaaten untergehen - ein Phänomen, das er längst überwunden glaubte. Er konnte sich nicht - so sehr er es sich wünschte - nur in seiner Arbeit verkriechen. Als der bekannte Pazifist und Herzspezialist Georg Friedrich Nicolai im Oktober 1914 mit dem Manifest "Aufruf an die Europäer" an Einstein herantrat, unterzeichnete er: "Solche Stimmung ist durch keine nationale Leidenschaft zu entschuldigen, sie ist unwürdig dessen, was bisher alle Welt unter dem Namen der Kultur verstanden hat, und sollte sie Allgemeingut der Gebildeten werden, so wäre das ein Unglück."

Zumindest in den ersten Kriegsjahren blieb die nationale Begeisterung ein Allgemeingut, und Nicolai und Einstein fanden kaum einen Mitstreiter. Der Text gelangte erst Jahre später an die Öffentlichkeit. Trotz dieses Misserfolges ist das Manifest ein Wendepunkt in Einsteins Leben. Er blieb der erfolgreiche Forscher, aber er wurde ein immer profilierterer Pazifist. Nach anfänglichem Zögern wuchs er Schritt für Schritt in diese neue Rolle hinein. Schon im November 1914 gründete er die pazifistische Vereinigung "Bund Neues Vaterland" mit. Diese Organisation forderte nicht nur mutig einen Friedensvertrag ohne weitere Eroberungen, sondern setzte sich für Kriegsdienstverweigerer ein, die überall in Europa mit drakonischen Strafen zu rechnen hatten. Außerdem rief der Bund für die Zeit nach dem Krieg nach einer überstaatlichen Regierung, ein Thema, das Einstein fortan begleiten sollte.

Als der Krieg endlich vorüber war, jubelte Einstein in Berlin. Als Demokrat und Pazifist frohlockte er über die Absetzung des Kaisers und die Errichtung einer Republik. Am Tag des Waffenstillstandes schrieb Einstein an seine Mutter: "Ich bin sehr glücklich über die Entwicklung der Sache. Jetzt wird es mir erst recht wohl hier. Die Pleite hat Wunder getan." Parallel dazu bestätigten britische Forscher seine Relativitätstheorie. Albert Einstein wurde zum weltweiten Wissenschaftsstar, und er nutzte seine Berühmtheit für seine politische Arbeit: Er kämpfte für Kriegsdienstverweigerer, unterstützte Aufrufe und versuchte, die deutschen Wissenschaftler wieder in die Gemeinschaft der internationalen Forschung zurückzuführen. Einstein war die Figur, nach der sich die vom Weltkrieg desillusionierten Menschen sehnten. Seine Friedensbotschaft fand breites Gehör, sein wissenschaftlicher Erfolg machte die besiegte Nation stolz.

Weltrecht und Weltregierung

Der Höhepunkt seines politisches Wirkens in der Weimarer Republik war 1922 die Berufung in das Internationale Komitee des Völkerbundes für Intellektuelle Zusammenarbeit - schon vier Jahre vor Deutschlands Beitritt zur Weltorganisation. Einsteins Wirken im Komitee glich einer Berg- und Talfahrt. Zwar verkörperte der Völkerbund zumindest am Anfang seine Utopie von der überstaatlichen Organisation, aber die politischen Realitäten ließen ihn immer wieder zweifeln. Als Frankreich 1923 den Schlichtungsvorschlag des Völkerbundes zur Frage der Reparationszahlungen ablehnte und das Ruhrgebiet besetzte, trat Einstein aus dem Komitee aus. Er sah den Völkerbund als Ganzes diskreditiert.

Ein Jahr später überzeugten ihn Freunde, seinen Entschluss rückgängig zu machen, aber er kämpfte weiter gegen Bürokratismus und nationale Eitelkeiten. Dennoch gab er die Idee der Weltregierung nie auf. Seine Konzeption war bezwingend einfach, die Realitäten - zumindest im Völkerbund - forderten aber zum Beispiel endlose Diskussionen darüber, ob Schulbücher mit chauvinistischen Texten vom Völkerbund kritisiert werden dürften. Einstein dachte in größeren Kategorien. Er wollte, dass eine supranationale Organisation mit ausreichender Macht und einer Polizeitruppe ausgestattet wurde, die sich auf ein von allen akzeptiertes Weltrecht stützte. Für ihn war es selbstverständlich, dass die souveränen Staaten diese Macht zugunsten der höheren Instanz abgaben.

Diese Option, die weder in der UNO noch damals im Völkerbund auch nur in Ansätzen umgesetzt werden konnte, nennt die liberale "New York Times" auch heute noch "eine gefährliche Illusion". Eine überstaatliche Organisation, so David Brooks, sei zu anfällig für Korruption, außerdem würden zumindest die Amerikaner ihre Verfassung zu sehr lieben, als dass sie sie zugunsten einer übergeordneten Instanz aufgeben würden. Für Einstein aber war es die einzige Möglichkeit, den Nationalismus zu bekämpfen und später im Kalten Krieg einen Atomkrieg zu verhindern: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das gegenwärtige System souveräner Nationen Barbarei, Krieg und Unmenschlichkeit nach sich ziehen muss und dass nur ein Weltrechtzu einer zivilisierten friedlichen Menschheit führen wird", schrieb Einstein 1947 aus seinem amerikanischen Exil. Schon in Berlin hatte Einstein diese Idee entwickelt, und der Siegeszug des Nationalsozialismus in Deutschland und der Zweite Weltkrieg machten ihn darin noch sicherer: "Als Bürger Deutschlands habe ich erlebt, wie ein verstiegener Nationalismus sich einer Epidemie gleich verbreiten und für Millionen vonMenschen Tragik und Leiden bringen kann."

Die Nationalsozialisten trieben den deutschen Bürger Einstein 1933 ins Exil. Diese ihn tief verletzende Erfahrung stellte eine grundlegende Wende im politischen Handeln Einsteins dar. Als radikaler Pazifist hatte er in den zwanziger Jahren immer wieder Kriegsdienstverweigerer unterstützt und betont, dass er selbst im Falle eines Krieges keine Waffe anrühren würde. Noch 1930 stellte er die These auf, dass schon zwei Prozent Kriegsdienstverweigerer den militärischen Apparat eines Staates lahm legen würden.

Der geläuterte Pazifist

Nach einem Besuch im Sommer 1933 in Belgien entschloss sich Einstein zu einem folgenschweren Schritt. Er setzte sich nicht für zwei belgische Kriegsdienstverweigerer ein, die in Brüssel inhaftiert waren, denn er sah im faschistischen Deutschland den künftigen Aggressor und konnte es nicht verantworten, dass die Nachbarländer nicht in der Lage sein würden, sich militärisch zu verteidigen. Einstein ging noch einen Schritt weiter und rief die Westmächte zur Aufrüstung auf. Viele seiner pazifistischen Wegbegleiter waren entsetzt, und er konnte sich kritischer Post und Presse kaum erwehren, wie er seiner Sekretärin Helene Dukas am 10. September 1933 schrieb: "Die Antimilitaristen fallen nun über mich her als über einen bösen Renegaten. Die Kerle haben eben Scheuklappen und wollen die Vertreibung aus dem 'Paradies' nicht erkennen."

Einstein bewies mit dieser Entscheidung, dass er nicht nur ein politischer Utopist, sondern durchaus in der Lage war, eine politische Lage richtig einzuschätzen. Und er machte damit auch klar, dass der Krieg nicht die schlimmste Geißel der Menschheit ist. Er kann sogar notwendig werden, um die Zerstörung von Kultur und Humanismus zu unterbinden. In den ersten Jahren im Exil bemühte sich Einstein, diese Position verständlich zu machen. Es musste für ihn, der das Militär aus tiefster Seele hasste, ein extrem schwerer Schritt gewesen sein. Schließlich hatte er mit Stefan Zweig, Sigmund Freud und Thomas Mann noch 1930 einen Aufruf unterzeichnet, in dem es hieß: "Fort mit der Militarisierung! Fort mit der Wehrpflicht! Erzieht die Jugend zur Menschlichkeit und zum Frieden!"

Aber die Zustände in Deutschland ließen keine Kompromisse mehr zu. Seine Warnungen vor dem Faschismus wurden in seiner früheren Heimat als Gräuelpropaganda ausgelegt, und die gleichgeschaltete Presse diffamierte den Nobelpreisträger. Die Nationalsozialisten hassten Einstein, den Weltbürger, Juden, Pazifisten und, wie er sich selbst nannte, den "untadeligen Sozi", denn er hatte ihre Politik früher als die meisten Zeitgenossen durchschaut. Er forschte in Kalifornien, als Hitler an die Macht gelangte. Nach Europa kehrte er nur zurück, um seinen Austritt aus der Preußischen Akademie zu erklären, die bereits den Rauswurf geplant hatte. Einstein betrat niemals wieder deutschen Boden und widersetzte sich nach dem Krieg allen Versuchen, ihn in irgendeiner Form wieder "heimzuholen".

Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, im Juli 1939, bekam Einstein in seiner Sommerfrische in Nassau auf Long Island Besuch von den Physikern Eugene Wigner und Leo Szilard, europäische Emigranten wie er. Sie hatten schlechte Nachrichten aus Deutschland: Hitler baue möglicherweise an einer Atombombe. Einstein schrieb in großer Sorge einen Brief an Franklin D. Roosevelt, der dem Präsidenten am 3. Oktober 1939 überreicht wurde. Am 7. März 1940 folgte ein zweiter: "Seit dem Ausbruch des Krieges besteht in Deutschland erhöhtes Interesse an Uran. Ich habe jetzt gehört, dass die Forschungen in größter Verschwiegenheit fortgeführt werden und auf einen weiteren Zweig der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, das Institut für Physik, ausgedehnt worden sind."

Diese Briefe sollten Einsteins Leben verändern - obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass sie zur Forcierung des 1942 begonnenen amerikanischen Manhattan-Projektes, der Entwicklung der Atombombe, geführthaben. Aber dennoch: Die USA schickten ihre besten Physiker nach Los Alamos in die Wüste von New Mexico, und die Bombe wurde gebaut.

Einstein war nicht dabei. Warum nicht, blieb ein Geheimnis des FBI. Zwar misstraute ihm die Behörde und schätzte ihn als illoyalen Kommunistenfreund ein, aber Kontakte zu europäischen und sowjetischen Linken hatten auch andere Physiker, die teilnehmen durften.

Einstein und die Atombombe

Einstein hat Zeit seines Lebens zwei unterschiedliche und auf den ersten Blick widersprüchliche Strategien im Umgang mit seiner "Schuld" an der Entwicklung der Atombombe gewählt. Er spielte einerseits die Briefe an Roosevelt herunter, engagierte sich aber andererseits nach dem Zweiten Weltkrieg leidenschaftlich gegen einen möglichen Atomkrieg. Als klar wurde, dass Deutschland nicht an der Atombombe baute, und die USA die verheerende neue Waffe zweimal über Japan abgeworfen hatten, war der Physiker zutiefst geschockt. Immer wieder soll er gesagt haben: "Hätte ich gewusst, dass die Deutschen nicht in der Lage waren, eine Atombombe zu bauen, dann hätte ich nie einen Finger gerührt."

In den Kriegsjahren hatte sich Einstein mit öffentlichen Auftritten zurückgehalten, mit Ausnahme von einigen Interviews, in denen er schon früh den Kriegseintritt der USA gefordert hatte. Als Deutschland besiegt war, wurde Einstein bis zu seinem Tod wieder zum radikalen Pazifisten. Das lag nicht nur an der eigenen Verantwortung, die er aufgrund seiner "Verstrickung" bei der Entwicklung der Atombombe spürte, sondern auch an der tiefen Enttäuschung darüber, dass zwar "der Krieg gewonnen ist - nicht aber der Friede".

Das Wissen um die Zerstörungskraft der Atombombe trieb ihn unermüdlich an. 1946 wurde das Notstandskomitee der Atomwissenschaftler von Forschern gegründet, die an der Entwicklung der Bombe beteiligt waren. Einstein ließ sich zum Vorsitzenden wählen, obwohl er das einzige Mitglied war, das nicht aktiv mitgebaut hatte. Gemeinsam wollte man die Welt über die Gefahren der Atomkraft informieren und so eine öffentliche Meinung gegen die atomare Aufrüstung schaffen. Die Mitglieder sammelten Geld, schrieben Manifeste und publizierten Broschüren und Bücher. Im ersten Stadium bat man - allerdings erfolglos - sowjetische Atomwissenschaftler, ebenfalls mitzuarbeiten. Das Komitee erhielt eine große Aufmerksamkeit, doch den Rüstungswettlauf des Kalten Krieges konnte es nicht stoppen.

Die Warnung vor den Risiken ist das eine, die Verwaltung der schon vorhandenen atomaren Sprengköpfe das andere. Wer sollte über diese Büchse der Pandora wachen? Einstein wurde sich immer sicherer: Es muss eine Weltregierung mit einer klaren und von allen gebilligten Verfassung geben, und die Nationalstaaten müssten auf Armeen verzichten. Das war in seinen Augen die einzige Chance, den Atomkrieg zu verhindern. Auch wenn es aus heutiger Sicht so aussehen mag: Einstein war kein politischer Naivling. Er analysierte die Situation zu Beginn des Kalten Krieges sehr klar. Zwei Mächte rüsteten unkontrolliert auf, und zum ersten Mal in der Weltgeschichte war die totale Vernichtung möglich. Die Atomenergie hatte mit ihrem Zerstörungspotenzial eine ganz neue Welt geschaffen. Die alten diplomatischen Rezepte, etwa die Herstellung eines Gleichgewichtes der Kräfte, würden nicht mehr funktionieren, und ebenso würde es fortan keine geheime Forschung mehr geben. Überall auf der Welt würden Wissenschaftler arbeiten, die zur Entwicklung der Bombe fähig seien.

Diese beklemmende Situation ließ Einstein zu seinen konsequenten Forderungen der zwanziger Jahre zurückkehren - mit noch größerer Verve. Er wollte nicht warten, bis sich die Menschheit Schritt für Schritt von den Nationalismen verabschiedet und alle Vorurteile überwunden hätte. Prophetisch sah er das atomare Wettrüsten voraus und forderte 1947 in einer Rundfunkdiskussion: "Eine mit der nötigen Macht für Friedenssicherung ausgestattete Weltregierung stellt kein wolkenhaftes Ideal für eine entfernte Zukunft dar. Sie ist das Gebot der Stunde, der Rettungsanker für unsere Zivilisation, die Vorbedingung unseres Überlebens und des Fortbestandes aller kulturellen Werte, an denen wir hängen."

Bittere Erinnerung an Deutschland

Einstein litt unter der Existenz der beiden rivalisierenden Blöcke, und er sah keine Kraft, die eine Brücke zwischen Kommunismus und Kapitalismus hätte schlagen können. Von der UNO war er enttäuscht: zu wenig Macht, zu wenig Kompetenzen. Dass er früh erkannte, dass die USA ihren Rüstungsvorsprung bald verlieren würden, legte man ihm als Verrat aus. Wieder einmal war Einstein Prophet, und wieder einmal wurde er nicht gehört. Ebenso heftig, wie ihn die konservativen Kräfte in Deutschland vor dem Krieg für seine Analysen angegriffen hatten, wurde er in den USA der Nachkriegsjahre attackiert. Vieles kam ihm wie ein Déjà-vu-Erlebnis vor: "Ich muss offen bekennen, dass mich das außenpolitische Verhalten der Vereinigten Staaten seit Beendigung der Feindseligkeiten oft unwiderstehlich an das Verhalten des Wilhelminischen Deutschland erinnert, und ich weiß, dass auch anderen, ganz unabhängig von mir, diese Analogie peinlich aufgefallen ist."

Säbelrasselnden Militarismus ortete Einstein überall: bei der Verteilung der Mittel für die Forschung durch Verantwortliche des Militärs, bei der Weigerung, ernsthaft mit der Sowjetunion zu verhandeln, und schließlich bei der Beschneidung der Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers. Einstein schrieb und sprach unermüdlich - wichtige Anlässe waren dabei die vielen Preise und Ehrungen, die er in seiner letzten Lebensdekade erhielt - weiter deutliche Worte: "Militarisierung bedeutet nicht nur unmittelbare Kriegsdrohung, sondern auch langsame, stetige Unterhöhlung des demokratischen Geistes und der Menschenwürde in unserem Land."

1950 spitzte sich die Lage zu: Präsident Harry Truman setzte eine Forschergruppe ein, die an der Entwicklung einer Wasserstoffbombe arbeiten sollte, und 1949 hatte die Sowjetunion ihre erste Atombombe gezündet. Gleichzeitig nahm ein Senatsausschuss unter der Leitung des republikanischen Senators aus Wisconsin, Joseph McCarthy, seine Arbeit zur Untersuchung von "unamerikanischen Umtrieben" auf, die sich zur antikommunistischen Verfolgungswelle ausweitete. Einstein wurde überwacht, denn er war natürlich verdächtig. Dennoch warnte er in der NBC-Show "Today with Mrs. Roosevelt" öffentlich vor den Folgen der Wasserstoffbombe. Einsteins CIA-Akte wuchs. Er fühlte sich isoliert und einsam. Kurz vor seinem Tod rief er zum zivilen Ungehorsam gegen die Anhörungen des McCarthy-Komitees auf. Da wandte sich selbst die "New York Times" von ihm ab: "Der Rat Professor Einsteins, den unnatürlichen und illegalen Weg des zivilen Ungehorsams zu beschreiten, heißt ein Übel mit einem anderen zu bekämpfen."

Auch seine allerletzte politische Tat sollte dem Frieden dienen. Er unterzeichnete wenige Tage vor seinem Tod das hauptsächlich von Bertrand Russell verfasste "Russell-Einstein-Manifest", das die Völker und Regierungen eindringlich vor dem Atomkrieg warnte. In der Nacht zum 18. April 1955 starb Albert Einstein. Bereits 1936 hatte er seinen Nachruf formuliert: "Liebe Nachwelt! Wenn ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger sein werdet, als wir sind, bzw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen. Diesen frommen Wunsch mit aller Hochachtung geäußert habend bin ich euer (ehemaliger) gez. Albert Einstein."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Albert Einstein, Wie ich die Welt sehe, in: Carl Seelig (Hrsg.), Albert Einstein: Mein Weltbild, Frankfurt/M. - Berlin 1986, S. 9.

  2. Zit. nach Otto Nathan/Heinz Norden (Hrsg.), Albert Einstein. Über den Frieden, Neu Isenburg 2004, S. 116.

  3. Albert Einstein/Sigmund Freund, Warum Krieg? Ein Briefwechsel, Zürich 1972, S. 20.

  4. Zit. nach ebd., S. 16.

  5. Zit. nach ebd., S. 47.

  6. Zit. nach O. Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 277.

  7. Fritz Stern, Ein Europäer in Berlin, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.4. 2005, S. 13.

  8. Zit. nach O. Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 21.

  9. Zit. nach ebd., S. 22.

  10. Zit. nach ebd., S. 43.

  11. David Brooks, Loudly, with a Big Stick, in: The New York Times vom 14.4. 2005, S. 27.

  12. Zit. nach O. Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 417.

  13. Ebd.

  14. Zit. nach ebd., S. 251.

  15. Zit. nach ebd., S. 131.

  16. Zit. nach: Jürgen Neffe, Einstein. Eine Biografie, Reinbek 2005, S. 287.

  17. Zit. nach Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 314.

  18. Zit. nach Abraham Pais, Ich vertraue auf Intuition. Der andere Albert Einstein, Heidelberg-Berlin 1998, S. 282.

  19. Albert Einstein, Aus meinen späten Jahren, Stuttgart 1984, S. 134.

  20. Zit. nach O. Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 427.

  21. A. Einstein (Anm. 19), S. 139.

  22. Ebd., S. 165.

  23. Zit. nach O. Nathan/H. Norden (Anm. 2), S. 547.

  24. Zit. nach J. Neffe (Anm. 16), S. 445.

M.A., geb. 1968; Historikerin, Theologin und Autorin; bis 2004 Leiterin des Berliner Büros der New Yorker Zeitung "Aufbau". Mirabellenstraße 48, 70329 Stuttgart.
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