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Geschichte als Politische Wissenschaft | APuZ 46/1962 | bpb.de

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APuZ 46/1962 Politische Wissenschaft und Geschichtswissenschaft Geschichte als Politische Wissenschaft

Geschichte als Politische Wissenschaft

WALDEMAR BESSON

Es handelt sich um einen Vortrag, der verfaßt worden ist für die Arbeitstagung über . Politische Bildung in der Oberstufe der Höheren Schulen“.

Zum Verhältnis von nationalstaatlichem und historischem Denken

I.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Politik entspringt einem elementaren Bedürfnis des Menschen nach rationaler Klärung seiner sozialen Situation. Das wird um so mehr gelten, seitdem sich der historische Prozeß beschleunigte und den einzelnen Menschen erfaßt hat, dessen öffentliche Bindungen sein Privates mehr und mehr einengen. Gerade wenn die menschliche Existenz revolutionären Erschütterungen über-persönlicher Art ausgesetzt ist, vermag das politische Denken einen neuen Ansatz und eine neue Intensität zu gewinnen. „In Krisenzeiten“, so schreibt Eric Voegelin „wenn die Ordnung einer Gesellschaft sich auflöst, werden die Grundprobleme der politischen und historischen Existenz deutlicher als in Zeiten verhältnismäßiger Stabilität." Nur in labilen Situationen kann die theoretische Politik mehr sein als eine dienende Magd der jeweils herrschenden Mächte, verwiesen auf bloße Beschreibung der bestehenden Institutionen ohne eigenen kritischen Impuls. Versteht man mit Arnold Bergstraesser als wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Politik das Vorausdenken politischen Handelns, dann wird in der Tat ein solches Denken sich erst voll entfalten, wenn die Zukunft voller Gefährdung und Provokation ist, die Alternativen möglicher Entscheidungen prinzipielle Extreme umschließen und gerade deshalb mit rationalen Methoden die Grenzen der Wahlfreiheit abgesteckt werden müssen. Politische Wissenschaft geschieht danach grundsätzlich in der Gleichzeitigkeit der Besinnung auf das Gesellte und dem Wissen um das Mögliche, beides als Folge realer Analyse wie normativer Setzung.

Dabei ist das, was als wissenschaftliche Beschäftigung in der Politik zu gelten hat, keineswegs abhängig von einer institutionellen Fixierung in Gestalt einer eigenständigen akademischen Disziplin Political Science. Ihr Neuanfang in Deutschland nach 1945 bringt die Sache, um die es ihr geht, in gewisser Weise zwar neu in den akademischen Gesichtskreis. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Grunde nur eine Intensivierung und Erweiterung der politikwissenschaftlichen Aufgabenstellung erfolgt ist und eine Übernahme aus anderen akademischen Disziplinen geschah. Wie man es schwer haben dürfte, etwa Max Weber einer bestimmten akademischen Disziplin endgültig zuzuweisen, so führt die Frage einer Begründung der Politischen Wissenschaft durch eine besondere wissenschaftliche Methode am Kern des Problems ihrer akademischen Verankerung vorbei. Mit Recht hat Arnold Bergstraesser sich gegen eine Gewanneinteilung der Wissenschaften gewandt und statt deren das Bild des Nebeneinanders lichtspendender Zentren gebraucht, deren Strahlenkegel einander überschneiden. Akademische Disziplinen in den Sozial-und Geisteswissenschaften unterscheiden sich durch eine sie jeweils konstituierende Fragestellung, die zugleich einen ganz bestimmten historischen Ort ihres Ursprungs besitzt. Jede wissenschaftliche Betrachtungsweise hat ihre unverlierbare soziale Leiblichkeit, in der sie einst geboren wurde und mit der sie immer verbunden bleibt. Wenn man nach dem Zentrum des Weberschen Denkens sucht, stößt man auf den leidenschaftlichen bürgerlichen Politiker. Webers Weg verbindet die Anteilnahme an der Lage der deutschen Bourgeoisie mit der methodischen Reflektion über die Natur ihrer sozialen und politischen Institutionen. Aber der vitale Bezug seines wissenschaftlichen Denkens ist immer gegeben

Ähnliches ließe sich von Ranke behaupten, den man zuweilen als weltfremden Gelehrten darzustellen beliebt hat und für den doch die Erfahrung eines nach der Zweiteilung der Welt für oder gegen Napoleon sich wiederherstellenden Staatensystems gleichzeitig zu einem wissenschaftlichen Urerlebnis wurde, das den Blick für die Individualitäten der großen Mächte freigemacht hat. Die historische Darstellung war auch bei ihm motiviert durch die Anteilnahme an den res gerendae und nicht durch das antiquarische Bedürfnis der Versenkung in die res gestae Die Frage nach der richtigen Ordnung von Staat und Gesellschaft verbarg sich hinter der historischen Erzählung, auch wenn sie von der heute naiv anmutenden Überzeugung bestimmt war, die Geschichte genüge, um die Gegenwart aufzuschließen. Das methodische Postulat des „Politischen Gesprächs“, vom Besonderen zum Allgemeinen voranzuschreiten, wurzelt im konservativen Denken, das, wie Karl Mannheim gezeigt hat seinerseits als Denkstil einer bestimmten sozialen Situation und eines bestimmten Erlebens der politischen Wirklichkeit zuzuordnen ist.

Es ist ein nicht unwesentlicher Aspekt in der Geschichte des politischen Denkens und Theoretisierens, wie sich in ihr die Wissenschaftszweige unter dem Gesichtspunkt der Fruchtbarkeit für das jeweilig gegenwärtige politische Denken ablösen. Je nachdem wie intensiv die Zukunft darin einbezogen ist, wird man die Mächtigkeit des erkennenwollenden Impulses bemessen dürfen und werden die Konsequenzen für die wissenschaftliche Methode einschneidende sein. Dort, wo eine Disziplin zur Zunft erstarrt, ist der Verdacht nicht unbegründet, daß ihr politisches Zentrum anderswohin gewandert ist und trotzdem unternommene Versuche, die Politik der eigenen Zeit zu deuten, die Gefahr einer nicht mehr adäquaten Begrifflichkeit in sich tragen. Diese Gefahr wächst gewiß mit dem Grad der wissenschaftsorganisatorischen Verfestigung einer Disziplin, deren jede gerade in ihrem politischen Erkenntniswert in besonderem Maße dem Wandel der wissenschaftlichen Perspektiven parallel zum Wandel der sozialen Situation unterworfen ist.

Beachtet man solche natürlichen Schwerpunkt-verlagerungen innerhalb des wissenschaftlichen Kosmos, so kann die in Deutschland neu begin-nende Politische Wissenschaft an vielfältiges politisches Denken in den Nachbarwissenschaften anknüpfen. Sie ist nicht traditionslos, auch nicht in bezug auf die jüngste Geschichte, und sie braucht keineswegs nach Aristoteles zu rufen, wenn sie sich legitimieren will. Sie kann sich unmittelbar Methoden und Erkenntnisse schaffen, wenn sie neben dem Ergreifen neuartiger Fragestellungen und Aufgaben sich zugleich bemüht, politische Erfahrungen anderer Wissenschaften freizulegen und zu prüfen. Angesichts der zentralen Bedeutung der Geschichtswissenschaft in der deutschen akademischen Tradition der letzten 150 Jahre ist gerade sie ein wesentlicher Gegenstand solchen Bemühens, und die Frage, inwiefern politische Einsichten deutschen historischen Denkens nutzbar für das Verstehen gegenwärtiger politischer Situationen gemacht werden können, ein Thema, das der Behandlung lohnt. Es ist damit die weitergehende Aufgabe umrissen, die politischen Kategorien der deutschen Geschichtswissenschaft kritisch zu erarbeiten, ihre politische Begrif flichkeit zu beschreiben und zu analysieren. Einige Aspekte und Themen aus dieser größeren Aufgabe sollen hier vorweggenommen werden.

II.

Der Zusammenhang des die moderne Geschichtswissenschaft ermöglichenden historischen Denkens mit dem Entstehen eines speziell modernen Konservativismus kann als erster Fixpunkt in unserer Betrachtung dienen. Nicht zufällig haben Konservatismus und Historismus nebeneinander in Deutschland ihre intensivste gedankliche Ausprägung gefunden. Justus Möser läßt diese Verknüpfung von Historischem und Konservativem wohl am leichtesten durchschaubar werden. Der Osnabrücker Ständesyndikus stand in der Abwehrhaltung gegen die zentralistische Bürokratie des absoluten Staates und dessen Drang nach rationaler Großräumigkeit. Die in Osnabrück entdeckte und entdeckbare „Lokalvernunft" ist ebenso ein politisches Prinzip, wie sie als Vor-form der Kategorie Individualität eine methodische Prämisse der modernen Geschichtswissenschaft wurde Wenn Möser forderte, eine politische Erscheinung von ihren jeweils eigenen Voraussetzungen und Tendenzen her zu verstehen, weil nur so der adäquate Maßstab für ein kritisches Verstehen gefunden werden könne, so war damit gleichermaßen eine politische Haltung wie eine wissenschaftliche Methode impliziert. Wenn andererseits der konservative Geschichtsbegriff, dessen kategorialer Apparat die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts weitgehend durchdrang, auf eine ganz bestimmte soziale Perspektive zurückverweist, so muß die Kritik der in dieser wie in jeder Perspektivität liegenden Einseitigkeit zu einer Lebensfrage aller auf die Historie bauenden Geisteswissenschaften sein Die Tragfähigkeit einer spezifisch historischen Methode zum Erfassen der verschiedenartigsten politischen Phäno-mene ist erst gesichert, wenn die Naivität des Zusammenhangs mit dem Konservativismus aufgegeben wird. Das Postulat des voll entwickelten Historismus, eine Sache in ihren Bezügen, d. h. in ihrer Relativität zu fassen, muß auch auf ihn selbst wie auf die aus ihm entstandene wissenschaftliche Methode angewandt werden

In der nationalstaatlichen Politik des 19. Jahrhunderts war ein der historischen Methode in hohem Maße adäquater Gegenstand vorgegeben. Es ist ein eigenartiger Gleichklang, daß im Fortschritt des historischen Denkens, wie ihn Meinecke geschildert hat, Herder die Individualität der großen Kollektivmächte, der Volks-und Zeitgeister entdeckte, während gleichzeitig die nationalen Individualitäten im Zeitalter der Französischen Revolution auf das Intensivste geschichtsmächtig geworden sind. Sie haben so der Bewegung des Denkens die reale Grundlage gegeben, wie umgekehrt nicht zufällig die Idee der Nation am Beginn des historischen, des 19. Jahrhunderts steht. Die Romantik hat vollends den nationalen Staat als überpersönliche Individualität verklärt, zunächst noch in naiver, vegetativer Einheit mit den Persönlichkeitsidealen des Neuhumanismus, mit dem Christentum und einer allgemeinen weltbürgerlichen Stimmung In Ranke tritt uns schließlich der Staat entgegen als das Real-Geistige, das Eigenes ist und doch seine Bestimmung auch darin findet, daß es ein Glied der Staatengemeinschaft bildet. Dieses individualisierende Denken will konkret sein und meidet die begriffliche Zuspitzung. Es muß vieles noch im Schwebenden lassen; das komplizierte und spannungsreiche Verhältnis von nationalem und historischem Staat ist ungeklärt. Die verschiedenartigen historischen Individualitäten Staat und Nation gehen wachstümlich ineinander über, und die so neu entstehenden politischen Potenzen tragen gerade in ihrem jeweils individuellen Charakter zugleich einen universalen Anspruch in sich.

Die Vorstellung der Nation als einer Individualität, die aus eigener Spontaneität sich frei entfalten und ihr Wesen ausbilden sollte, war wiederum wie der Konservativismus politisches und historisches Denken zugleich. Man könnte vermuten, daß es gerade die Kategorie der Individualität war, die die Brücke vom Konservativismus eines der feudalen Gesellschaft verhafteten Staatsdenkens zum modernen Nationalstaat hat schlagen helfen. Er erwies sich als dynamische Kraft stärkster Art, die sich das Rationale und Liberale auch der bürgerlichen Welt einzubauen wußte. Durch Vermittlung des historischen Denkens aber war in ihm auch die Kontinuität von konservativer und bürgerlicher Welt gesichert.

Die deutsche Historie wurde so zur Wissenschaft vom Nationalstaat. Wer seine Geschichte erforschte, beteiligte sich zugleich aktiv an seiner Herstellung, nicht zuletzt dadurch, daß er ihn als Ziel des geschichtlichen Prozesses auffaßte und lehrte. Nach dem Scheitern eines nationalen und zugleich liberalen Staates in der Revolution von 1848 waren zwar seine bürgerlichen Befürworter, zu denen auch Deutschlands führende Historiker Droysen, Dahlmann und Waitz zählten, entmutigt einen Schritt zurückgetreten. Sie hatten damit teil an dem neuen Realismus der 50er Jahre. Aber sie ließen nicht ab vom Ziele der nationalen Einheit, nur setzten sie jetzt für ihre Verwirklichung auf die Macht des preußischen Staates. Die Historiker der kleindeutschen oder borussischen Geschichtsauffassung reihten sich ein in den Dienst an dieser Zukunftsaufgabe deutscher Politik, indem sie sich durch die Art ihrer Interpretation der Vergangenheit an jenem Erziehungsprozeß beteiligten, der im Geistigen die Einheit vorbereitete, die der preußische Staat dann vollziehen sollte. Auf die so-genannte politische Schule deutscher Geschichtsschreibung ist das Wort von den deutschen Geschichtsprofessoren gemünzt, deren Werk die deutsche Einigungsbewegung gewesen ist.

Solche nationalpolitische Aktivität mußte freilich Zug um Zug jene universalen Bindungen auflösen, die Rankes historisches Denken noch besessen hatte und die es in den politischen Aspekten nicht pointiert auf die Entscheidungen des Tages zugespitzt sein ließ. Jetzt schien Ranke nur noch als Schöpfer der historischen Methode interessant. Man tadelte seine Neigung zum bloßen Betrachten der Geschichte, die anscheinend ohne politischen Aktivismus und preußischen Tatwillen war. Ihm „traten die stürmenden, der Gegenwart und Zukunft verschriebenen jüngeren Kräfte entgegen, die Leben schaffen und nicht in erster Linie anschauen wollten und denen die Nationalgeschichte als Ansporn zur Neugestaltung des Staates höher stand als die Universalgeschichte, die schaffenden Männer höher als die geistigen Tendenzen. Es war ein deutsches und preußisch patriotisches, bürgerlich protestantisches Element, das einen politischen Rückschlag auch gegen die Ideologie des Altliberalismus und seine Selbst-wirkung des Geistes darstellt “. Die Geschichtswissenschaft wollte Politische Wissenschaft in dem Sinne sein, daß sie das auf die nationale Einheit zielende politische Handeln vorausdachte.

Die kleindeutsche Geschichtsschreibung vermißte an Ranke die Entschiedenheit des Eintretens für den zu verwirklichenden Nationalstaat und beklagte deshalb in seiner Geschichtsschreibung das Fehlen eines „eigentlich" politischen Impulses. Auch die Geschichte der Jurisprudenz kennt den Stilwandel, den die wissenschaftliche Bemühung in Deutschland nach 1848 erfuhr. Rudolf Iherings „Kampf ums Recht“ hebt sich deutlich von dem stillen Rechtswerden der Historischen Schule ab. Wer in dieser Entwicklung bedauern möchte, wie sehr sie Rankes weiten Blick einschränkte, soll zugleich die Gewinne nicht übersehen. Das nunmehr primär nationale Arbeitsgebiet erfuhr eine Verbreiterung und Vertiefung durch stärkere Berücksichtigung des Rechtes, der Verfassung, der Wirtschafts-und Soziallage und der Parteiengeschichte. Dies alles stand in lebendigster Beziehung zur Politik und erfuhr aus ihr den stärksten Antrieb, wie umgekehrt die politischen Historiker den Rang der Geschichtswissenschaft bedeutsam zu heben vermochten. Friedrich Meinecke bat deshalb das Zeitalter der Sybel und Treitschke als das goldene der deutschen Geschichtswissenschaft bezeichnet. Sein eigenes Buch von 1908, Weltbürgertum und Nationalstaat, hat jene von der politischen Historie mit vollzogene Loslösung des Nationalen aus der universalen Stimmung Rankes noch als Befreiung zum Menschlichen gefeiert. Der deutsche Nationalstaat trug in sich nicht nur einen politischen Anspruch: er war zugleich die Synthese aller individuellen, sittlichen und geistigen Kräfte.

Diese positive Deutung der kleindeutschen Geschichtsschreibung muß gegen ein naheliegendes Mißverständnis abgeschirmt werden. Wenn wir auch sicher sein dürfen, in der nationalen Historie den Hauptstrang der deutschen Geschichtswissenschaft zwischen 1850 und 1890 zu erfassen, eine Gleichsetzung beider wäre eine unzulässige Vereinfachung. Man braucht nur daran zu erinnern, daß sie politisch wie wissenschaftlich nicht ohne Widerspruch blieb und eine großdeutsche Richtung ihr vor allem im katholischen Deutschland entgegentrat, für die die Namen Julius Ficker und Ignatz Döllinger stellvertretend stehen mögen. Es muß auch angemerkt werden, daß nach der methodischen Sicherung der Geschichtswissenschaft durch Ranke und Droysen ein breiter Gürtel der Gelehrsamkeit sich einer Historie anlagerte, die eine politische Ausgabe zu erfüllen bestrebt war. Der unlängst verstorbene Walter Goetz hat einmal in einem Vortrag über die deutsche Geschichtsschreibung und die Nation nachdrücklich darauf hingewiesen, daß klein-und groß-deutsche Schule mit wertvoller Arbeit im Lager der reinen Wissenschaft gestanden hätten, die demnach auch übrigbleibe, wenn man das Historisch-Publizistische abziehe Es gab daneben auch noch eine große Zahl Historiker, die mit großen Quellensammlungen und der Erforschung der Tatsächlichkeiten befaßt waren, mit dem, was Droysen die Kritik des Richtigen nannte. In alledem schien ein großer Teil der Geschichts-

Schreibung nicht oder nur wenig von aktueller Politik berührt. Das gilt auch für die selbständige kulturgeschichtliche Richtung eines Jakob Burckhardt und eines Wilhelm Heinrich Riehl, die ebenfalls sich nicht unter den klein-oder großdeutschen Zusammenhang von Geschichte und Politik subsumieren lassen, die freilich im Falle Burckhardts ebenfalls aus politischen, wenn auch anders motivierten Impulsen lebte.

Der breite Gürtel der Gelehrsamkeit, der sich der Geschichtswissenschaft anlagerte, als sie sich im akademischen Bereich institutionell befestigt und etabliert hatte, verweist auf eine Spannung, auf die man in der Deutung der deutschen Historiographie immer wieder stößt. Geschichte ist nur von einem Teil der Historiker als Politische Wissenschaft verstanden worden, vor allem von denen, die wie etwa Treitschke an ein breiteres Publikum sich wandten und weit über die Grenzen des eigenen Fachgebietes hinaus wirkten. Das Antiquarische behauptete daneben seinen Platz, und niemand wird leugnen können, daß es eine notwendige Funktion nicht nur im wissenschaftlichen Betrieb erfüllte. Seitdem uns die Gefährdungen einer naiven Identifizierung von historischem und politischem Denken offenbar geworden sind, wird man die Korrektur nicht für unnötig halten, die durch die im stilleren wirkenden Antiquarier unübersehbar gegeben wird. Man mag darüber streiten, ob der Bildungswert des Anhäufens großer historischer Stoffmassen ein großer ist. Man könnte geneigt sein, hier im Nietzsche eher eine Lähmung aller lebendigen Kräfte zu vermuten. Der Wahrheitsfanatismus aber, auch wenn er nur ein positivistisch vordergründiger ist, ist doch ein Anteil-Element gegen die leichte Verführbarkeit derer, die die Geschichte um der Gegenwart willen trieben und betreiben. Insofern wird auch von einer Geschichte als Politischer Wissenschaft her das, was an Richtigem und Bleibendem durch die andere Strömung der Historie geschaffen wurde, keineswegs unterschätzt werden dürfen. Freilich, sofort wenn der Übergang von der einzelnen Tatsächlichkeit zum Zusammenhang der Fakten und damit zu ihrer Deutung getan wird, stellt sich das perspektivische Problem und erweist sich die Standortgebundenheit des Historikers, und damit auch seine politische Qualität. Kaum je ist ein geschichtliches Bild großen Stils für den Historiker möglich gewesen, ohne daß er selbst mit aller Entschiedenheit sich dem Lebensgefühl seiner eigenen Gegenwart zugehörig wußte und aus der lebendigen Anschauung der Gegenwart heraus, und bewegt von ihr, Geschichte schrieb. Nur im Erfassen des Zusammenhangs von Geschichte und Politik kann zugleich auch der pädagogische Auftrag erfüllt werden, den die Geschichtswissenschaft als Weg zur Standortbestimmung der Gegenwart zweifellos besitzt. Beschreitet man ihn, dann reiht sich auch der Historiker in die Front derer ein, die prinzipiell von der Wissenschaft ein Mit-und Vorausdenken des menschlichen Handelns verlangen. Seine Disziplin muß so notwendig eine politische werden. Es ist ein nicht geringes Verdienst der Historiographie der Droysen, Sybel und Treitschke, der deutschen Geschichtswissenschäft diesen pädagogischen und politischen Charakter mit auf den Weg gegeben zu haben. Durch sie ist eine Tradition begründet worden, die im grundsätzlichen genausowenig aufgegeben werden kann wie die historische Methode und die Kritik des Richtigen.

Man wird heute im Rückblick geneigt sein, gegenüber den offenkundigen Leistungen und Impulsen dieser nationalstaatlichen deutschen Geschichtswissenschaft, die sie gerade der Einseitigkeit ihrer Perspektiven verdankt, ihre Mängel und Gefährdungen stärker hervorzuheben. So hat schon Friedrich Meinecke im kritischen Rückblick davon gesprochen, daß der neu ersehnte monarchisch liberale Nationalstaat fast als ein absoluter Wert behandelt worden sei, zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht über alle Lebenswerte hinaus — das blieb der späteren biologistischen Umdeutung des Nationalstaates vorbehalten —, aber doch immerhin gegenüber den sonstigen politischen Werten, Formen und Möglichkeiten als überlegen erschien. „Eine tatsächlich vorhandene, mächtige und lebensvolle Tendenz der deutschen Geschichte geriet in Gefahr, übermäßig kanonisiert zu werden und den unbefangenen historischen Blick für alles übrige geschichtliche Leben zu trüben . . . Die . politischen Historiker'vermochten es nicht, zur vollen Empfänglichkeit und Gerechtigkeit für diejenigen geschichtlichen Bildungen zu gelangen, die jenseits der Sphäre ihres politischen Ideals lagen."

Auch mußte die enge Bindung der wissenschaftlichen Zielsetzungen an eine politische Aufgabe deren Erledigung durch die Reichsgründung zur Ursache eines neuen, aber andersartigen Ungenügens machen. Friedrich Meinecke hat in seinem Essay über Droysen in meisterhafter Kürze die neue Problematik der Geschichtswissenschaft geschildert. Die Erfüllung der nationalen Hoffnungen durch die Bismarcksche Reichsgründung schuf für die deutsche Geschichtsschreibung eine kritische Situation, die er selbst in seiner Jugend dunkel gefühlt habe. Meinecke berichtet, wie Sybel das Ungenügen auf der Höhe des Sieges einmal blitzartig empfunden habe. „Wie wird man nachher leben?“, schrieb er am 27. Januar 1871, „woher soll man seinen Lebensjahren noch einen neuen Inhalt für das weitere Leben nehmen?"

Es erwies sich gerade in der Krise, daß das politische Vorausdenken der eigentlich schöpferische Impuls des historischen Arbeitens gewesen war. Die offene, aber normativ gesetzte Zukunft vermittelte auch die den Rückblick konstituierende Kategorie. Politische Sehnsucht und Hoffnung beflügelten anders als der Genuß erreichter Wünsche. Zwar meinte Meinecke, daß in den ersten Jahren des nationalen Daseins die großen, noch lebenden Historiker die Höhenlinie noch einzuhalten vermocht hätten, getragen von ihrer in den Jahren des nationalen Darbens erwachsenen Schwungkraft. Aber den Nachwuchs sah Meinecke von der Frage gepeinigt, ob noch etwas anderes als Epigonenkunst möglich sei: „Wie man aber auch die Leistungen und die Aussichten der letzten Generation deutscher Geschichtswissenschaft einschätzen möge, es bleibt dabei, daß sie ein gewisses starkes Etwas nicht gehabt haben, was den Generationen von Ranke bis Treitschke eigen war, jenes eigentümliche Vitamin, das durch die damalige Symbiose von Wissenschaft und Politik erzeugt wurde und in der politischen Luft seit 1871 nicht mehr voll gedieh. Um es etwas kraß auszudrükken, es begann Laboratoriumsgeschmack anzunehmen. Denn die bloße Pflege überlieferter und erfüllter politischer Ideale, mochte sie in noch so treuer und warmer Gesinnung erfolgen, drohte zur Konvention herabzusinken, und die strengere Methodik, die sich jetzt verbreitete, konnte aus sich heraus neue Ideen nicht erzeugen. Die im großen formende, gestaltende und beseelende Kraft der Älteren ist unerreicht geblieben. Dem goldenen Zeitalter der deutschen Historie ist ein silbernes Zeitalter gefolgt.“

Unsere Fragestellung legt es nahe, die epigonale Situation der Nachfolger Treitschkes aus dem Fehlen eines auf die Gestaltung der Zukunft drängenden und die historische Bemühung motivierenden politischen Impulses zu erklären. Der geschichtlichen Betrachtung war jetzt von den eigenen Zukunftserwartungen her keine vorausdenkende Aufgabe mehr gestellt, wie hoch auch inzwischen sich die methodische und formale Tüchtigkeit gesteigert hatte. Noch deutlicher und aggressiver hat Walter Hofer die Kritik an den Epigonen vorgetragen Im Gegensatz zu Meinecke behauptet er, das politische Zentrum fehle den Epigonen keineswegs, es habe sich vielmehr so verabsolutiert, daß andere Werte und Zentren überhaupt nicht mehr in das Blickfeld gekommen seien. Die Wirkung auf die geistige Produktion ist aber für Hofer wie für Meinecke dieselbe. Hofer beklagt den Verlust kritischer Maßstäbe des Mitdenkens, wie des Willens, von der Gegenwart aus reale Utopien für die Zukunft zu entwickeln. Die Geschichte verlor den Charakter einer politischen Wissenschaft und begann statt dessen zur bloßen Magd herrschender Kräfte und Tendenzen zü werden.

Ihre kritische Funktion gegenüber aktuellen politischen Entscheidungen und ihre Orientierung an einer Zielvorstellung universal begründeter Art war verloren gegangen. „So verengte sich der universalistische Aspekt der Rankeschen Geschichtskonzeption im Verlauf der Jahrzehnte immer mehr zu einem nationalistischen Geschichtsbild, in welchem der Sinnbezug des Nationalen auf ein höheres Allgemeines zusehends fehlte. Auch hier ging die Proportion verloren. Macht, Ansehen und Prestige der Nation wurden oberste Werte, denen alle sittlichen, geistigen und kulturellen Werte und Lebensfunktionen untergeordnet erschienen. Das deutsche Geschichtsbild wurde germanozentrisch. Das historische Denken verriegelte sich zusehends das tiefere Verständnis für die Mentalität und Lebensweise anderer Völker, und dadurch wurde auch die Anerkennung der Lebensrechte anderer Völker immer schwieriger. Statt sich gegenseitig zur Weitung des Horizontes anzuregen, bestätigten sich Geschichtsdenken und politisches Handeln in der Verabsolutierung des nationalen Daseins und Anspruchs." Hofer bestimmt das Epigonentum der nächsten Generation mit der Absolutheit der drei Potenzen Nationalismus, Militarismus und Imperialismus und spitzt die Kritik an der deutschen Geschichtswissenschaft der Jahrhundertwende zur Anklage der Verantwortungslosigkeit und des Illusionismus zu.

Das berührt sich mit geläufigen Charakterisierungen des Wilhelminischen Deutschlands. So hat etwa eine neue amerikanische Veröffentlichung von Gordon A. CraigHolstein, Bülow und Kiderlen-Wächter dem Meister und Maßstab Bismarck gegenüber gestellt Verglichen mit ihm erscheinen diese „Epigonen" nach Talent, Charakter und Leistung eindeutig als minderwertig. Der Zusammenhang dieser Vorstellung von politischem Epigonentum mit der Annahme des Schwindens schöpferischer Potenzen im Bereich des politischen Denkens liegt auf der Hand. Aber ist die Charakterisierung einer ganzen Generation als Epigonen wirklich eine realistische? Die Antwort verlangt, das Verhältnis von Geschichtsschreibung und Politik in den Jahrzehnten vor 1914 einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Vor allem die Frage, ob es in der deutschen Historie nach 1890 ein Zentrum politischen Wollens gegeben hat und in welcher Weise von ihm aus ein Vorausdenken politischer Entscheidungen möglich war, müßte aufmerksam bedacht werden. Könnte es nicht sein, daß sich die Art dieses Zentrums gegenüber der vorausgehenden Generation nur verwandelt hat und man es deshalb in seiner Intensität unterschätzt, wenn man es nur an der der früheren Generation mißt? Könnten die politischen Kategorien der Geschichtswissenschaft um 1900 nicht einfach andere geworden sein und müßten sie nicht nach ihrer Leistungsfähigkeit für ihre Gegenwart und nicht nach der für die vorhergehende Zeit beurteilt werden?

III.

Es empfiehlt sich, die Antwort dadurch zu versuchen, daß das Werk eines der führenden Historiker der neuen Generation in seiner Ergiebigkeit für das hier aufgeworfene Thema befragt wird. Als Inhaber eines der angesehensten historischen Lehrstühle jener Zeit lehrte in Berlin Max Lenz. Er hatte als 20jähriger die Reichsgründung erlebt, und er war der Schüler eines der Führenden der politischen Schule gewesen, Heinrich von Sybels. Er hatte über Luther, Wallenstein, Napoleon und Bismarck gehandelt, und Heinrich von Srbik hat ihn nicht nur in seiner wissenschaftlichen Originalität, sondern gerade auch als typische Erscheinung innnerhalb der geistig führenden Historiker-schicht im zweiten Reich vor und nach der Jahrhundertwende hoch bewertet Gerade dies Repräsentative macht ihn in unserem Zusammenhang besonders interessant. Zur näheren Bestimmung seiner politischen Position sei der 1900 erschienene Essay „Die großen Mächte" genauer analysiert.

Schon der Titel, der auf Rankes Vorbild verweist, enthält ein Programm, das der kleindeutschen Schule der Sybel und Treitschke vorhielt, daß der deutschen Geschichtswissenschaft in der nationalen Verengung ihres Blickpunktes etwas Wichtiges verloren gegangen sei, nämlich Rankes universales, der romanisch-germanischen Staatengemeinschaft gewidmetes Denken. Lenz fordert deshalb jetzt den bewußten Rückgriff auf den Altmeister und damit die Öffnung des weltpolitischen Horizontes. In solchem Bemühen bezeichnet er sich selbst bescheiden als einen Epigonen Rankes.

Lenz sucht zunächst Klarheit darüber, was es für sein Verhältnis zur politischen Historie Sybels und Treitschkes bedeuten müsse, wenn er den Großvater anziehender finde als die Väter. Selbstverständlich bejaht auch Lenz die nationale Erziehungsaufgabe, die von den Vätern geleistet worden ist. „Hier finden auch Rankes Schüler, die ihren Meister verließen und ihre Muse in den unmittelbaren Dienst der nationalen Idee stellten, ihre Rechtfertigung. Mochten auch die Kämpfe des Tages, in denen sie als die Führer voranstritten, ihr Urteil befangen machen, dennoch zeigte sich der Wille, der sie beseelte, blind wie er war, allein imstande, die Wege anzuzeigen und zu eröffnen, auf denen die Nation ihrer Macht und Einheit stürmisch entgegendrängte. Wir Nachgeborenen aber haben wahrlich wenig Ursache, auf unsere bessere Einsicht in die Bedingungen historischen Wachstums stolz zu sein, da wir ja selbst nicht durch eigene Kraft, sondern nur wieder durch die Macht der Tatsachen, die historische Entwicklung dahin gelangt sind. Das Reich mußte gegründet sein, ehe der Sinn für die Wirklichkeit, das rechte Augenmaß für die Realitäten auch der Vergangenheit gegenüber neu erwachen konnte. Das Verdienst daran hat mehr noch Bismarck als Ranke selbst. Solange die Nation im Kampfe für ihre höchsten Güter stand, mußte die objektive Historie zurücktreten; als der Sieg erfochten war, kam sie von selbst hervor. Die Leidenschaften haben sich gelegt, und so können wir wieder Gerechtigkeit üben.“

Hofers und Craigs Vorwürfe gegen die Epigonen haben sich also für Lenz geradezu umgekehrt. Erst die Epigonen gewinnen für ihn das Augenmaß und die Proportionen wieder, welche die Gründergeneration nicht besaß und nicht besitzen konnte. Von Lenz aus betrachtet mutet demnach die nationalstaatliche Verengung der historischen Perspektive naiv an und die Väter haben es gerade an kritischem Mitdenken ihrer politischen Aspirationen fehlen lassen. Nachdem nun die nationale Gärung sich beruhigt habe. könne man wieder distanziert urteilen, was der leidenschaftliche Zorn eines Treitschke nicht vermocht hätte. Sehr unmittelbar wirkte sich eine solche abstandnehmende Haltung beim Geschichtsschreiber Lenz aus, z. B. in seiner Napoleondeutung. Er hat gegen Max Duncker, einen Vertreter der kleindeutschen Schule, Rankes Urteil übernommen und ohne nationalistische Blickfesselung in dem Korsen nicht die „Eroberungsbestie, auf den Augenblick lauernd, wo sie einen nach dem andern seiner Nachbarn verschlingen könne", gesehen. Wie Ranke sah er „das größte Weltverhältnis, in welchem sich Napoleon überhaupt bewegte, im Kampf gegen England und den Zusammenhang desselben mit den kontinentalen Angelegenheiten." Gerechtigkeit üben heißt so für Lenz zu Ranke zurückkehren und weltpolitisch denken und so zugleich die deutsche Frage wieder als Problem der europäischen Staatenkonstellation erfassen.

Diese Wendung der Lenzschen Argumentation läßt aufhorchen. Man muß sie zusammennehmen mit den realen Veränderungen der deutschen politischen Situation seit dem Abgang Bismarcks, die entscheidend mitbedingt waren durch die Ausbildung einer allgemeinen imperialistischen Stimmung. Im Ausgreifen Deutschlands in die Welt sah eine neue Generation, die sich des deutschen Nationalstaats und seiner Kraft sicher war, den eigenen Impuls, mit dem das Schicksal des Epigonentums abgewendet werden konnte. Für die historische Wissenschaft war damit eine neue Perspektive gegeben, die im Willen, die eigene nationale Zukunft auch in den Strudeln der Weltpolitik zu meistern, die Vergangenheit neu und anders ins Bewußtsein treten ließ. Lenz steht damit im Zusammenhang mit den allgemeinen Tendenzen und Bedürfnissen der Jahrhundertwende, die der junge Freiburger Professor Max Weber in seiner Antrittsvorlesung so beredt geschildert hat. Auch er sah, nachdem die Einheit der Nation errungen war, einen eigenartigen unhistorischen und unpolitischen Geist sich entwikkeln „Die Bescheidenheit verbot ja — so schien es — der Weltgeschichte, zur Tagesordnung ihres alltäglichen Verlaufs überzugehen über die Erfolge der deutschen Nation. Heute sind wir nüchtern geworden, es ziemt uns der Versuch, den Schleier der Illusionen zu lüften, der uns die Stellung unserer Generation in der historischen Entwicklung des Vaterlandes verhüllt. Und es scheint mir, daß wir dann anders urteilen . . . Entscheidend ist auch für unsere Entwicklung, ob eine große Politik uns wieder die Bedeutung der großen politischen Macht-fragen vor Augen zu stellen vermag. Wir müssen begreifen, daß die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluß und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte.“

Was Weber für die deutsche Politik forderte, erkennt Lenz jetzt geradezu als allgemeines Prinzip des geschichtlichen Lebens. „Denn das ist die Erscheinung, welche in der Politik der großen Mächte seit dem französischen Kriege die sichtbarste ist und heute die Blicke der Welt gefesselt hält. Gegeneinander sind sie in Ruhe geblieben: wo sie aber die Arme frei regen konnten, haben sie auf das Gewaltigste um sich gegriffen.“ Deswegen würde der deutsche Nationalstaat auch erst in seiner Fähigkeit, in die Weltpolitik auszugreifen, sich als wirklich gegründet und stabilisiert erwiesen haben. Den Bismarckschen Status quo zu bewahren, genügte weder angesichts des Kraftgefühls der jungen Generation noch in Anbetracht der weltpolitischen Konkurrenz der großen Mächte mit ihren gewissermaßen natürlichen Expansionstendenzen, die auf alle Fälle den Status quo verändern mußten. „Von hier aus müssen wir den Kämpfen entgegenblicken, die nicht ausbleiben werden, sobald erst die Nationen, die sich heute noch der rastlosen Energie unserer auf dem Grunde der romanisch-germanischen Welt erwachsenen Zivilisation machtlos ergeben, durch den Stoß, den sie von außen erhalten, aus ihrer Lethargie erwachen und sich auf ihre alten Grundlagen besinnen werden, um aus sich heraus die Organe zu schaffen, welche ihnen einen Halt in den Weltkämpfen der Zukunft geben sollen. Das wird erst das rechte Exempel werden auf die Echtheit unserer Macht, auf die Zukunft unserer Kultur, an die wir glauben, auf deren Ewigkeit wir hoffen.“ Lenz war nicht im Zweifel, daß das Deutsche Reich die Bewährungsprobe der Weltpolitik bestehen werde. Er hoffte, wie er sich ausdrückte, daß die nationale Blutwelle täglich kräftiger durch die Adern rinnen und alle Glieder der Nation mehr und mehr von dem Gemeingefühl, das die gleichen Schicksale und Ziele ausbildeten, durchdrungen würden.

Lenz sah dabei wohl die schweren sozialen Spannungen des deutschen Kaiserreiches. Aber so wie einst der deutsche Liberalismus in seinem prinzipiellen Gehalt, den Lenz mit Ranke und Bismarck als Doktrin, bloßen Bedürfnissen des inneren Staatslebens entstammen, auffaßte, durch den Sieg des Reichsgedankens den Interessen des Staates sich untergeordnet habe, so würde auch die neue Doktrin der Sozialdemokratie und des Zentrums unter die neue weltpolitische Aufgabenstellung subsumiert werden „Der Kraftentwicklung der großen Nation hat der innere Unfriede keinen Eintrag getan. Man könnte wohl eher im Gegenteil sagen, daß dort, wo die Massen durch die staatlichen Interessen besonders tief gepackt sind und ihren Willen wiederum zur Geltung bringen dürfen, die Kraft am konzentriertesten und die Bewegungsfreiheit am größten ist. Und ohne Frage hängt beides zusammen: der Gesamtwille muß bis in die Tiefe des Staates reihen, damit die moralische Energie, die in ihm lebt, sich um so freier rege und er alle seine Kräfte, Stärke nah innen und außen, entwickeln könne. Voraussetzung ist nur, daß das oberste Prinzip des Staates, sein Wille, die Unabhängigkeit, seine Stellung in der Welt zu behaupten, lebendig bleibe und von jedermann als leitendes Interesse empfunden und gefördert werde. Wo das der Fall ist, da haben die Parteien an demselben noh immer eine Shranke gefunden, die sie bändigt und ihren Führern und Programmen zum Trotz innerlih verwandelt.“

Auh das ist ein Rückgriff auf Ranke und seine Staatsanshauung, wie sie im Politishen Gepräh den klassishen Ausdruck gefunden hat. Niht die Parteien mähen den Staat aus. Er hat seinen eigenen positiven Inhalt, seine natürliche eigentümlihe Tendenz, die er vor allem durchsetzen müsse. Auh die Vorstellung von Lenz, daß die Außenpolitik den Primat haben und die integrierende Kraft in den sozialen Spannungen des deutshen Nationalstaates sein werde, hat seine Wurzel in Rankeshem Denken: „Das Maß der Unabhängigkeit," so kennen wir es shon von Ranke, „gibt einem Staate seine Stellung in der Welt; es legt ihm zugleih die Notwendigkeit auf, alle inneren Verhältnisse zu dem Zwecke einzurihten, sih zu behaupten. Dies ist sein oberstes Gesetz.“

Die Bewahrung der Unabhängigkeit, einer großen Mäht als oberstes Gesetz auferlegt, wies den deutshen Staat hinaus in die Gefährdung und die Konkurrenz der Weltpolitik. Lenz fühlte sih dabei in Einklang mit Ranke, ohne doh zu bemerken, daß unter dem Eindruck des politishen Impulses der eigenen Zeit und den an ihn anknüpfenden politishen Zielvorstellungen einer neuen Generation niht nur ein Rückgriff, sondern auh eine Neuinterpretation Rankes vollzogen worden war. Ranke hatte seine politishen Kategorien in der Anshauung des europäishen Staatensystems des 17. und 18. Jahrhunderts und unter dem Eindruck seiner nah 1815 ansheinend vollzogenen Restauration gebildet. Nun wurde naiv ihre Anwendbarkeit in einem Weltstaatensystem postuliert, zu dem sih das europäishe natürlih zu entwickeln shien. Ein solh innerer Zusammenhang der neuen mit der älteren Situation diente dem historishen Bedürfnis nah Kontinuität und mohte für das Kraftgefühl der neuen Zeit die Vorstellung abwehren, daß man, wenn die Bismarckshen Dämme durhstohen wurden, abenteuerlih zu einer sizilischen Expedition aufbrehe.

Es wäre auf dem Wege, den Ludwig Dehios Aufsatz über Ranke und den deutshen Imperialismus vorgezeihnet hat leiht zu zeigen, daß Max Lenz seine politishen Wunshbilder und Maßstäbe weitgehend mit seinen Kollegen ge-teilt hat. Sie können in der Tat als repräsentativ für den neuen politischen imperialistischen Anlauf der Jahrhundertwende gelten, durch den sich Geschichtsschreibung und Politik gleichermaßen vom Fluch des Epigonentums zu befreien suchten. Es ist heute offenbar, wie sehr Scharfsinn und Blindheit im politischen Denken der deutschen Geschichtswissenschaft um 1900 im Gemenge lagen. Ein Sinn für die elementaren Kräfte der Weltpolitik mit ihrem sich offenbar immer wieder neu einstellenden Pluralismus weltpolitischer Potenzen verband sich mit einer merkwürdigen Befangenheit gegenüber den Fundamenten der eigenen politischen Lage. Die Güte des Vorausdenkens wird gewiß daran zu messen sein, wieweit es die Proportionen zu wahren versteht, die der handelnde Politiker immer in Gefahr ist zu verlieren. Daß die deutsche Geschichtswissenschaft einem solchen Postulat nicht zu genügen vermochte, lag nicht zuletzt daran, daß sie versäumte, zugleich mit dem Erweitern der europäischen Staatengemeinschaft in ein Weltstaatensystem die Kategorie der nationalstaatlichen Individualität einer kritischen Behandlung zu unterziehen, und statt dessen einem naiven Verabsolutierungsprozeß verfiel. Das Ausbleiben einer solchen kritischen Reflektion über die eigenen politischen Prämissen ließ andersartige Entwicklungen, die im Fortschritt der industriellen Revolution Staat und Gesellschaft einem radikalen Verwandlungsprozeß unterzogen, nicht genügend bemerken und verleitete dazu, den Gedanken einer natürlichen Teilhabe der Nation an der Weltpolitik ohne Prüfung ihrer innerstaatlichen Grundlagen und ohne wachen Sinn für ihre Problematik zu vertreten. Je weniger das politische Handeln objektiv aus nationalstaatlichen Impulsen im Sinne der Generation Treitschkes sich bestimmte, um so mehr verlor die Geschichtswissenschaft ihren Rang als effektive politische Wissenschaft. Während tatsächlich die nationalstaatlichen Loyalitäten angesichts der sozialistischen Provokation gegenüber dem traditionellen politischen Denken eine erste Belastung erlebten, fehlten für diese Vorgänge in der deutschen Historie die adäquaten Maßstäbe der Beurteilung. Es ist nicht zufällig, daß jetzt die Soziologie, wie die empirische Sozialwissenschaft überhaupt, stärker einen politischen Auftrag zu erfüllen vermochte. Vom Historismus zur Soziologie, so müßte man sagen, sei das politische Zentrum des wissenschaftlichen Vorausdenkens gewandert, und es ist nicht zufällig, daß auch die Methoden historischer Betrachtung von dieser Bewegung betroffen wurden

IV.

Die Krise des Nationalstaates, die der erste Weltkrieg offenbar machte, hat angesichts der engen Bindung des historischen an das national-staatliche Denken auch zu einer schweren Krise der deutschen Geschichtswissenschaft geführt, die sich bis heute nur mühsam aus dem historisch gewachsenen Zusammenhang mit der deutschen Nationalbewegung zu befreien vermag.

Die große und zunehmende Bedeutung der Geschichte sozialer Strukturen in der heutigen Historie mag aber als Hinweis dienen, daß sich eine Überwindung des in der Krise befindlichen individualisierenden Denkens abzeichnet, freilich nicht dadurch, daß man darauf verzichten könnte In der Beteiligung des Historikers an der Analyse sozialer Strukturen ist zugleich ein neuer Ansatz zum Vorausdenken zukünftiger sozialer Orientierungen des Menschen gegeben und damit wird auch die politische Qualität der Geschichtswissenschaft neu betont. Das historische Denken sucht wieder den Weg zur politischen Erkenntnis. Dabei brauchen die älteren Bestände der historischen Begrifflichkeit keineswegs weggeworfen zu werden, weil sie in neuer Interpretation durchaus auch gegenwärtige politische Tatbestände zu enthüllen vermögen. In der Krise des nationalen Machtstaates sind auch schon für das historische Denken älterer Art bereits zu einem früheren Zeitpunkt Konsequenzen gezogen worden, die zumindest noch angedeutet werden sollen.

Dafür wäre etwa zu verweisen auf den Versuch Friedrich Meinedees, die Hypertrophie des Nationalistischen zu überwinden und auf dem Boden des historischen Staates das Bleibende und politisch Orientierende zu finden. Voraus ging auch hier im Persönlichen die Desillusion durch den ersten Weltkrieg, die bittere Erfahrung der Unfähigkeit des eigenen Volkes und seiner Führung, zu einem auch innerlich gegründeten und konsequenten Nationalstaat zu werden, wohin Meinedees eigene politische Versuche in jener Zeit zielten Er erfuhr in den Jahren 1917— 18 schmerzlich das einander zugeordnete Mißlingen von Verständigungsfrieden nach außen und sozialer Reform nach innen. „Das frohe Gefühl“, so schrieb er im Mai 1918 in sein Tagebuch, „das ich früher hatte, einen schmalen, aber gangbaren sicheren Grat zu wandeln und alle Machtkämpfe, alles Geistige, das rechts und links auseinander zu fallen schien, in der Tiefe doch einheitlich und mächtig zu wissen, dies Gefühl wankt bei mir jetzt.“

Mit Recht hat man hier den Ansatz jener philosophischen Wendung Meineckes gesehen, den Walter Hofer als Übergang vom objektiven zum dualistischen Idealismus bezeichnet hat Idee und Wirklichkeit, Geist und Natur traten auseinander. Rankes Überzeugung, der die Macht als ein geistiges Wesen erschien, konnte jetzt nicht mehr geteilt werden. Der Nationalstaat war nicht mehr die bisher so fest geglaubte Synthese von Geist und Macht. Damit wird für Meinecke ein neuer Ansatz in der Deutung des Staatlichen gewonnen. Der Staat wird das „Amphibium“, und seine Macht enthüllte sich als urmenschlicher, ja vielleicht animalischer Trieb. Gleichwohl hat die 1924 erschienene „Idee der Staatsräson“ am hohen Wert des Staatlichen festgehalten, und wenn man jetzt auch nicht mehr naiv die Forderung seiner immer entschiedeneren Identifizierung mit dem Nationalen vollziehen konnte, so blieb doch der Triumph der politischen Sittlichkeit im Staat über Partei-und Partikularinteressen, wie ihn die Geburt des modernen Staates aus den Wirren des konfessionellen Zeitalters erkennen läßt.

Man mag es als charakteristisch für den frühen Meinecke ansehen, daß er die Entwicklung der nationalen Individualifäten als Erbe einer großen Tradition historischen Denkens mit naivem Optimismus betrachtete. Jetzt ist das Strahlende und Unbekümmerte verschwunden. Zu deutlich sind die Fehlentwicklungen und Mängel jener Entwicklung offenbar geworden, und jetzt vermag das historische Denken sich nicht einfach mehr mit dem Faktischen zu versöhnen. Für Meinecke, der sich konsequent auf den Boden der Weimarer Republik stellte, als der Staatsform des sozialen Friedens und der politischen Verkörperung des Kompromisses von Arbeiterschaft und Bürgertum, trat nun statt der freudigen Hoffnung auf eine immer vollkommenere Gestalt der eigenen nationalen Gemeinschaft die nüchterne Pflicht zum Erhalten und Bewahren inmitten größter Veränderungen hervor. Wenn der Nationalstaat an seinen eigenen Überzeichnungen zugrunde zu gehen drohte, so wurde es zur Aufgabe des Historikers, auf die Notwendigkeit der Kontinuität hinzuweisen und den historischen Staat als jenes Medium zu begreifen, in dem diese Kontinuität faßbar werden kann. Jenes die zwanziger Jahre Meineckes bestimmende Bedürfnis nach Kontinuität hat freilich in der deutschen Staatskrise seit 1930 sich an die Ära Brüning geklammert, in der die Kontinuität bewahrt schien und in der doch andererseits in einer nicht zu verkennenden Blindheit gegenüber dem Neuen, das 1918 bedeutet hatte, gerade die politischen Errungenschaften der November-Revolution preisgegeben wurden. Meinecke mußte dann erfahren, daß seit 1933 wirklich jene Revolution geschah, die durch Reform des Bestehenden zu verhindern sein Bestreben gewesen war. Alle geheiligten Traditionen seines eigenen Lebens wie des Lebens seines Volkes riß Adolf Hitler mit in den Abgrund, nachdem die Versuche einer in konservativer Partnerschaft unternommenen Disziplinierung des Nationalsozialismus wirkungslos geblieben waren. Meinecke hat in den Jahren der deutschen Katastrophe sein Historismus-Buch geschrieben und darin sich bemüht, Individualität und Kontinuität als Prämissen alles geschichtlichen Denkens auch dann zu postulieren, wenn der Nationalstaat so augenfällig pervertierte.

Meinecke hat damit eine Position vorgeformt, die dem Historiker offensichtlich in einer Welt radikalster Veränderungen in besonderer Weise aufgegeben ist. Er mag sich auf der einen Seite auch in der Moderne bestätigt finden im Erlebnis, daß alles wieder in Fluß geraten sei; er tritt andererseits aber gerade diesen Veränderungen mit der Forderung nach Kontinuität entgegen. In den Bestimmungen, die z. B. Hans Freyer und Hermann Heimpel für die Aufgabe des Historikers in der technischen Welt versucht haben, wird immer wieder auf die Grundprinzipien historischen Denkens der vorausgehenden Generation verwiesen. Es gelte, so sagt Heimpel, einer rädersurrenden Zeit ihre Geschichtlichkeit, d. h. ihre Menschlichkeit zu retten Ähnlich möchte Hans Freyer durch einen „Rückgriff" die mächtigen Tendenzen zur Ausbildung „sekundärer Systeme" hemmen und sieht in der bewußten Geschichtlichkeit des Menschen das große rettende Gegengewicht gegen die Gefahren der technischen Welts Einmal mehr erweist es sich gerade bei solchen Neuansätzen geschichtlicher Betrachtung in unserer Zeit, daß, wenn auch die naive Bindung des Historikers an den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts aufgegeben werden mußte, der konservative Grund-zug seines Wesens geblieben ist. Die moderne deutsche Geschichtswissenschaft erhielt ihren entscheidenden Impuls durch den in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstehenden Konservativismus. In seinem Geiste ist sie angetreten und hat von daher ihr Gesetz empfangen, unter dem sie bis zum heutigen Tage steht, freilich in einer sehr anderen Weise als vor 150 Jahren. Da die westliche Zivilisation insgesamt in eine konservative Position gedrängt ist, und es gegenwärtig darum geht, die politische Freiheit des Menschen und damit ein wesentliches Stüde seiner Menschlichkeit gegen die totalitären Tendenzen und Provokationen zu erhalten, ist die Historie wieder auf dem besten Wege, eine politische Disziplin in dem Sinne 1 zu werden, daß sie den politischen Entscheidungen der Gegenwart vorausdenkt und sie auf ihren zukunftsichernden Wert für eine freiheitliche Lebensordnung gegenüber tödlichen Bedrohungen prüfen möchte. Sie tut das vor allem dadurch, daß sie das politische Handeln an die Tradition der Freiheit und das überlieferte Prinzip der Menschenwürde bindet und in solcher Kontinuität den radikalen Vereinfachern und Verführern zu widerstehen sich verpflichtet. Sie ist jedoch darin keine naive politische Disziplin mehr, und sie steht auch in ihrem Auftrag nicht isoliert. Sie ist ein Glied in der Reihe politischer Wissenschaften, die von ihren jeweils verschiedenen Prämissen und Methoden her gemeinsam ihre Pflicht des Vorausdenkens zu erfüllen suchen, da diejenige Form der menschlichen Gemeinschaft, in der sie allesamt allein frei sich entfalten können, auf das äußerste gefährdet ist und ihrer Hilfe bedarf.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik. München 1959 S. 18.

  2. Arnold Bergstraesser, Wissenschaftliche Politik in unserer Zeit. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 6. Jahrg. (1958). S. 221 f.

  3. Das ist nach der umfassenden Analyse des Politikers Max Weber durch Wolfgang Mommsen (Max Weber und die deutsche Politik. Tübingen 1959) in allen Phasen des Weberschen Lebensweges deutlich geworden.

  4. Für Ranke hat die Darstellung durch Rudolf Vierhaus (Ranke und die soziale Welt. Münster 1957) denselben Dienst geleistet wie Mommsens Darstellung für Weber.

  5. Karl Mannheim, Das konservative Denken. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 57, Bd. (1927).

  6. Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus. Darmstadt 1960.

  7. Für diese Zusammenhänge s. Mannheim, Das konservative Denken. A. a. O., S. 5.

  8. Für die methodischen Kategorien des Historismus s.den gleichlautenden Aufsatz von Karl Mannheim, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1924. Dazu auf Mannheim aufbauend der Versuch des Verfassers, auch in veränderter sozialer Umwelt relevante Aspekte der politischen Prinzipien des Historismus freizulegen. Vgl.den Artikel Historismus im Fischer-Lexikon, Band Geschichte. Frankfurt/M. 1961.

  9. Vgl. dazu Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert Bd. I, 5. Ausl., Freiburg 1959, S. 303 ff.

  10. Heinrich v. Srbik, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. Bd. I, München 1950, S. 361.

  11. Walter Goetz, Historiker in meiner Zeit. Gesammelte Aufsätze. Köln—Graz 1957, S. 98. Diese Äußerung von Goetz kann man als Beschreibung gelten lassen, wenn nicht Wertungen derart damit verbunden sind, als habe eine reine einer unreinen Wissenschaft gegenübergestanden. Was die politische Geschichtsschreibung an faktologischer Gelehrsamkeit lieferte, war Ausfluß eines politischen Impulses und wäre ohne ihn nicht denkbar gewesen. Die Wertung rein-unrein ist deshalb mißverständlich, weil es scheinen könnte, als wäre Gelehrsamkeit nur gegeben, wenn die Perspektivität des Gelehrten ausgeklammert ist; während es sich in Wahrheit um zwei Formen einander bedingender und sich gegenseitig ergänzender Gelehrsamkeit handelt.

  12. Friedrich Meinecke, Schaffender Spiegel. Stuttgart 1948, S. 150 f.

  13. Ebenda S. 147.

  14. Ebenda S. 148.

  15. Walter Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Basel 1956, S. 30 f.

  16. Gordon A Craig, From Bismarck to Adenauer. Aspects of German Statekraft. Baltimore 1958, S. 32.

  17. Heinrich v Srbik, Geist und Geschichte, Bd. II, S. 6 ff.

  18. Max Lenz, Die großen Mächte Ein Rückblick auf unser Jahrhundert. Berlin 1900, S. 25 f.

  19. Heinrich von Srbik, Geist und Geschichte. Bd. II, S. 7.

  20. Das Nebeneinander von unhistorisch und unpolitisch bezeugt einmal mehr, wie eng auch Max Weber den Zusammenhang von historischem und politischem Denken gesehen hat. Eines bedingte das andere.

  21. Max Weber, Gesammelte politische Schriften. Tübingen 1958, S. 21 und 22.

  22. Max Lenz, Große Mächte. S. 145.

  23. Ebenda S. 157.

  24. Ebenda S. 139 f.

  25. Ludwig Dehio, Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert. München 1955, S. 37 ff.

  26. Vgl. Carlo Antoni, Vom Historismus zur Soziologie. Stuttgart 1950.

  27. Vgl. in dem hier angeschnittenen Fragenkreis die Artikel Historismus, Historische Methode und Sozialgeschichte im Band Geschichte des Fischer-Lexikons 1961. Darin liegt der Versuch vor, eine Art neohistorischer Position mit der starken Betonung struktureller Ziele und Methoden zu verbinden.

  28. Uber den Zusammenhang von Geschichtsschreibung und Politik bei Friedrich Meinecke vgl.den entsprechenden Aufsatz des Verfassers in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte. 7. Jahrg. (1959), S. 113 ff.

  29. Walter Hofer, Geschichtsschreibung und Weltanschauung, Betrachtungen zum Werk Friedrich Meineckes. München 1950, S. 25 f.

  30. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 5. Jahrg. (1957), S. 17.

  31. Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. Stuttgart 1955.

Weitere Inhalte

Anmerkung: Waldemar Besson, Dr. phil., o. Prof, für politische Wissenschaften an der Universität Erlangen. Fachgebiete: Amerikanische Geschichte und Politik) Weimarer Republik und Nationalsozialismus; Verwaltung und Beamtentum; Deutsche Parteien-geschichte; Methodik von Geschichtswissenschaft und Politik. Veröffentlichungen u. a.: Die politische Terminologie Franklin D. Roosevelts, Eine Studie zum Zusammenhang von Sprache und Politik (1955); Von der Bürde und dem Geist Amerikas (1957); Politische Bildung im Zeitalter der Gruppengesellschaft (1958); Zur Frage der Staatsführung in der Weimarer Republik (1959); Friedrich Meinidee und die Weimarer Republik (1959); Württemberg und die deutsche Staatskrise 1929 bis 1933, Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik (1959).