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Zur Geschichte der deutschen Gemeinde-Selbstverwaltung | APuZ 6/1965 | bpb.de

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APuZ 6/1965 Artikel 1 Aufgabe und Funktion des Bundesverfassungsgerichts Zur Geschichte der deutschen Gemeinde-Selbstverwaltung

Zur Geschichte der deutschen Gemeinde-Selbstverwaltung

Hans Müthling

I. Die Vorformen der Selbstverwaltung

Die älteste Form des Gemeinwesens bestand wohl in den Dörfern, die aus den altgermanischen Hundertschaften entstanden waren. Es war die Gemeinfreiheit. Zu ihrem Bild gehörte eine volksverbundene Führerschaft des Adels. Montesquieu, der auf seine deutschen Vorfahren stolz war, schrieb in der Einführung zum „Geist der Gesetze" „Wenn man das bewunderungswürdige Werk des Tacitus über die Sitten der Germanen lesen wollte, so würde man sehen, daß die Engländer von ihnen die Idee ihrer politischen Regierung entlehnt haben. Dieses schöne System ist in den Wäldern gefunden worden. Am Anfang stehen fürstliche Territorien. Von ihren partikulären Kräften ging in Deutschland die neue Staatsführung aus. Dabei stoßen sie auf das zähe Eigenleben der kleinen und kleinsten Lebenskreise. In dem Neben-und Gegeneinander dieser Einzelelemente des territorialen Lebens liegen die Vorformen der eigentlichen deutschen Selbstverwaltung. Im nordischen Raum entwickelten sich als eigenständige Vorform städtischen Lebens die „Wike"; sie waren Stützpunkte der genossenschaftlich organisierten Wanderhändler (Schleswig, Lübeck, Wisby, Reval, Dorpat). So entstand wohl die Selbstverwaltung nach dem Vorbild des deutschrechtlichen Genossenschaftsprinzips (der Kaufmannskorporationen, der Zunft, der Deichverbände, der Wasser-und Waldgenossenschaften), nach dem die Glieder eines gemeinsamen Lebensbereiches sich zur Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten in vielfältigen Verbänden vereinigten. Eine genossenschaftliche Einigung der Bürgerschaft war jedenfalls der stärkste Ausdruck für die Entstehung der politischen Gemeinde. Wir werden sehen, daß sich die Selbstverwaltung nach dieser Vorgeschichte in Stadt und Land recht unterschiedlich entwickelte.

II. Die Entstehung der deutschen Selbstverwaltung

Die mittelalterliche Stadt erwuchs auf dem Grund und Boden des geistlichen oder weltlichen Stadtherrn. In seiner Hand allein lag die obrigkeitliche Gewalt. Das änderte sich in den Anfängen der Städtebildung durch einige bemerkenswerte Faktoren: 1. Die Rolle der bürgerlichen Freiheit Es waren letzten Endes agrarwirtschaftliche Gesetze, die die Bewohner des flachen Lan des in ständig zunehmende Abhängigkeit von den Grundherren brachten. Die erste Phase der Landflucht setzte ein. Wer vom Dort unfrei durch das Holstentor von Lübeck kam, gewann dort wie in Köln und Magdeburg ie bürgerliche Freiheit. So ist der Ge an e „Stadtluft macht frei" eine der wesentlichen Grundlagen für die wachsende Bedeutung der städtischen Gemeinwesen geworden. Eine Förderung dieser Wanderungsvorgänge liegt darin, daß die frühmittelalterliche Stadt in erster Linie eine Burg, ein mit Mauer und Graben befestigter Ort war, der den Bewohnern der umliegenden offenen Landorte als Zuflucht diente Die Stadt setzte also einen Schutzverband voraus, der die weiteren Umkreise zu einer Art militärischer Gemeinschaft zusammenfügte. Alle diesem Verbände angehörenden Orte hatten die Verpflichtung, die Befestigungswerke der Stadt durch gemeinsame Arbeitsund Gespannleistungen zu unterhalten und im Kriegsfälle mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Sie hatten dafür das Recht, sich mit allen Bewohnern und mit Vieh und Fahrzeugen hinter den Mauern zu bergen. Das war das Bürgerrecht; wer es genoß, war ein Bürger.

2. Die Stärke der alten Wohlstandsgesellschaft Für jene Stadtwirtschaft war das Vorhandensein eines Marktes charakteristisch. Darin spiegelt sich für uns die mittelalterliche Wirtschaft der Städte und ihre Wirtschaftspolitik wider. Hier sehen wir über die Jahrhunderte hinweg eine lokal gebundene Differenzierung zwischen Landwirtschaft und Gewerbe, die durch einen Markt zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefügt sind: das Land, die Produktionsstätte der Nahrungsmittel und Rohstoffe, die Stadt als Produktionsstätte für die Weiterverarbeitung.

Im Gegensatz zum flachen Lande kam die städtische Bürgerschaft schnell zu Wohlstand (Folge des Marktrechtes der Städte für Handel und Gewerbe). So vollzog sich schon frühzeitig die Teilung volkswirtschaftlicher Arbeit zwischen Stadt und Land. Der Wohlstand ermöglichte es den Bürgern, der organisierten Bürgerschaft, eben der so in Entstehung befindlichen Selbstverwaltung, den Grundherren die Obrigkeitsrechte allmählich in langwierigen Verhandlungen oder zähen Kämpfen zu entwinden. Am Ende stand die städtische Kompetenz in einer Art Allzuständigkeit (Marktrecht, Zoll, Steuern, Münze, Justiz). Im städtischen Staat sehen wir also die umfassende Selbstverwaltung der Städte, die bis zur Gerichtsbarkeit über Leben und Tod in einem Maße gilt, daß sie sich als „Staaten im Staate" beinahe aus dem Verbände des Territorialstaates herauslösen.

3. Genossenschaftliche Stadtregierungen Es gab die selbstgewählte Stadtobrigkeit. Die städtische Selbstregierung, als typisches Organ meistens der „Rat", war eine republikanische Selbstregierung. Dabei lag das Schwergewicht der altdeutschen Städtefreiheit nicht so sehr in der Teilhaberschaft an den reichs-und landstädtischen Rechten (wie etwa in Frankreich und England), sondern in der Selbständigkeit der einzelnen Städte. Die Städte, vor allem die Reichsstädte (Nürnberg, Augsburg, Lübeck wie Bern, Zürich, Gent, Brügge, Antwerpen, Amsterdam), übten in ihrem Gebiet die meisten staatlichen Hoheitsrechte aus.

Für die Entwicklung der modernen Selbstverwaltung war dagegen die städtische Autonomie innerhalb der fürstlichen Territorien wichtiger. Auch ohne eigentliche Staatsfreiheit oder Reichsfreiheit gab es dadurch starke, bedeutungsvolle Kräfte in Danzig, Rostock, Stralsund, Magdeburg, Braunschweig, Osnabrück und in Erfurt. Natürlich war der so herrschende „kräftigste Stadtpatriotismus"

(Schmöller) häufig genug zugleich der eng-herzigste Kommunalegoismus (Kirchturmhorizont). Dem entsprach weitgehend die „nach innen" gerichtete Stadtregierung: Der herrschende Rat wurde vielfach durch eine patri-zische Oberschicht, durch einen Stadtadel der „Geschlechter" der Kaufleute besetzt. Die dagegen ankämpfende breite Mittelschicht der Handwerker konnte nach und nach mit Hilfe ihrer eigenen genossenschaftlichen Organisation, ihrer Zünfte einen gewissen Anteil am Stadtregiment erlangen. Eigentliche Demokratie war das noch nicht.

War es dem so in Zünften zusammengeschlossenen Handwerkerstand beispielsweise in Köln (1260), später in Ulm, Worms und in Freiburg i. Br. möglich, in den Rat „einzudringen", um Einfluß auf die städtische Verwaltung zu gewinnen, so erweiterte sich diese Bewegung ganz allgemein im 14. Jahrhundert, das von dem Ringen um die Stadtherrschaft erfüllt ist. Hierbei kam es den Zünften als Organisation militärisch geschulter Bataillone zustatten, daß sie die Verteidigung der Stadt mit zu übernehmen hatten. Dem Patriziat konnten Zugeständnisse abgerungen werden. Die Geschichtsforschung unterscheidet Konsumentenstädte (insbesondere durch den Sitz von Großkonsumenten, Bischofssitze), Produzenten-und Gewerbestädte (so frühzeitig Solingen, Ulm, Augsburg, Bochum und Essen) und Händlerstädte, z. B. Fernhandel der Hanse mit ihren ersten drei Reichsstädten Lübeck, Goslar und Dortmund, bis zur Ausdehnung der Stadtwirtschaft auf spekulative Unternehmungen im Ausland (z. B. Frankfurt a. M.).

In gewerbereichen Mittelstädten, in denen ein fernhändlerisches Patriziat kaum vorhanden war, kamen die Zünfte indes allein an die Herrschaft. In Trier haben z. B. erst die Zünfte die Ratsverfassung durchgeführt. In Münster erlangten sie das Recht, die Beschlüsse des Rates zu genehmigen In Frankfurt a. M. zerfällt die Bürgerschaft bis zum Ende des 14.

Jahrhunderts in zwei gleich starke Gruppen:

die „Gemeinde" und die Zünfte einerseits und die organisierten Handwerker anderseits. An der Spitze der „Gemeinde" standen die Geschlechter (Patrizier). Sie hatten dort vermutlich allein das Stadtregiment mit den königlichen Beamten geführt, den Zünften aber schon früh ein Drittel der Ratsstellen eingeräumt

Waren die Zünfte so einmal ins Stadtregiment eingedrungen, hatten sie dort naturgemäß die beste Sicherung ihrer Existenz.

Hier erhielten sie das wohl nachhaltig gesicherte Recht, ihr Gewerbe in Stadt und Um-land auszuüben. Die Zünfte waren Träger der Gewerbepolizei, ihre geselligen Vereinigungen übernahmen auch wirtschaftliche Aufgaben (von Below). Sie bildeten auch die einzige gewerberechtliche Instanz (Schmöller). Stadtmagistrat und Zünfte bildeten die neue Einheitsorganisation zum äußeren Schutz der Bürgerschaft (Keutgen). Die Zünfte waren auch Garanten der fiskalischen Leistungen an die Stadt (Stieda). Immerhin dürfen die Zustände nicht idealisiert beschrieben werden: Die Mitgliedschaft wurde nicht nur durch Lehrzeit und Aufnahme, sondern auch durch Erbschaft und Einkauf erworben. Es gab innerhalb der Zünfte auch ökonomische und soziale Gegensätze (Max Weber). Häufig waren die Zünfte nur ein Wahlverband für die Besetzung der Gemeindeämter.

Ansätze jener Entwicklung lassen sich schon im Altertum nachweisen. Aber nicht mehr Grundbesitzer wie in der Antike, sondern Kaufleute und Handwerker waren die führenden Schichten der mittelalterlichen Städte. Hier stieg zum erstenmal in der Geschichte der wirtschaftende, handarbeitende Mensch zur politischen Führung auf. Gerade in Nordeuropa, wo der Adel auf seinen Standesprivilegien und bei seinen Lebensformen verharrte, erwuchs im Städter das Bewußtsein seiner Eigenart, ein bürgerliches Standesgefühl, das Bürgertum Es gibt Theorien, die aus der Überwindung des ständischen Wesens die großen bürgerlichen Revolutionen ableiten.

4. Die kulturgeschichtliche Bedeutung jener Selbstverwaltung Im alten Deutschen Reich gab es auf der Höhe des Mittelalters etwa 3 000 Orte, denen das Stadtrecht in jenem Sinne verliehen war. Dieser Städtereichtum, bei eigener Stadtverwaltung über das ganze Reich hingelagert, bedeutete ein bewundernswertes System örtlicher Dezentralisation. Das etwa war die Epoche, da der Bürger noch Civis, nicht Bourgeois war, da es ein selbständiges städtisches Leben gab mit eigenem Geist, eigener Natur, eigener Kultur, da der Bürger noch Gewächs und aktiver Träger einer politischen Stadtgesamtheit war, einer Polis, einer Burg, einer Gemeinde.

Das war die Zeit, auf die man uns Rathausleute verwies, als wir 1945 nach dem Zusammenbruch vor unseren baulich wie wirtschaftlich zerstörten Städten standen: Nun müßten wir wie jene alten Dombaumeister arbeiten, die angesichts der in jenen Zeiten jahrhundertelangen Baudauer wußten, daß sie selber niemals die Vollendung ihrer eigenen Schöpfung erleben würden, die aber dennoch ihre Bauten auf dem Papier in den Himmel türmten.

Zu dieser Zeit wurden die Rathäuser gebaut, deren Größe und Schönheit wir heute noch bewundern. Die Stadt war Gehäuse, und die höchste und geheimnisvolle Kunst der Architektur war es wohl schon damals, in ihr den Menschen zu halten.

So wuchs und entfaltete sich in diesen freien Städten die Gemeindedemokratie, mit der die Deutschen seit eh und je so sehr viel besser zustande gekommen sind als mit der politischen Demokratie.

Soziologisch sehen wir in der Geschichte der Städte vorwiegend den Widerstreit zwischen dem selbstbewußten Bürgertum und den Machtbestrebungen der Fürsten, den Gegensatz zwischen Rat und Zünften, die Durchsetzung neuer Glaubenswerte gegenüber der alten Kirche. So gelang es den Städten noch bis ins Ende des 17. Jahrhunderts hinein, ihre bevorzugte Sonderstellung in die neue, nivellierende Zeit hinüberzuretten. Gewalttätigkeit und Machtkämpfe waren schon damals keine Privilegien der Herrscher, sie waren das Gesetz jener Welt. Allerdings war es wohl so, wie es Ricarda Huch schildert: Sie waren, wenn auch immer kampfbereit, wenn es um ihr Recht und ihre Freiheit ging, doch nicht maßlos und nicht übermütig. Von jeher mischten sie etwas bedachtsame Vernünftigkeit in ihren Heroismus und ihre Wildheit. Die Verfassungskämpfe verliefen wohl nicht so blutig wie auf der staatlichen Ebene, die Regierenden waren nicht so herrisch, das Volk besann sich nach verübter Gewalttätigkeit eher wieder auf die gemeinsamen Interessen. Diese bestanden in der Liebe zum Gemeinwesen wie auch in der Freude an einem behaglichen, durch gutes Essen und starken Trunk gewürzten Dasein.

Es war, zusammengefaßt, so glauben wir, kein Garten Eden. Schließlich lebte der Mensch der mittelalterlichen Städte mit ihren dauernden Seuchengefährdungen in den gefährlichen Zonen des Daseins.

5. Die Rückständigkeit des flachen Landes Die „Landflächen" Deutschlands nahmen an dieser Entwicklung nicht teil. Das ostdeutsche Land war wie alles Kolonialgebiet volks-und kulturärmer als „das große Preußen". Um so leichter konnte sich die Herrschaft des Land-adels in seiner schroffen und einseitigen Form, die das Kennzeichen des sozialen Aufbaues bis in den Anfang unseres Jahrhunderts in Osteibien geblieben ist, entfalten. Während der west-und süddeutsche Adel an der alten, für die Bauern nicht sehr drückenden Wirtschaftsform der Grundherrschaft festhielt, ging die Ritterschaft der ostdeutschen Länder seit dem 16. Jahrhundert zur Gutsherrschaft über, die die Bauern in stärkste Abhängigkeit brachte und den Gutsherrn die Gerichts-und Polizeigewalt über die „erbuntertänigen" Bauern ausüben ließ. Der Gutsherr war Obrigkeit. Der Landadel hatte seine bäuerlichen Hintersassen. Die Vorbilder der östlichen Nachbarländer Polen, Böhmen und Ungarn spielten bei dieser „aristokratischen Selbstverwaltung" eine große Rolle. Die Kommunal-geschichte verzeichnet hiervon nur wenig Ausnahmen. Nur in den bäuerlichen Freistaaten der Nordseeküste, in den Marschen Hol-steins und in den Alpentälern der Schweiz erlangten bäuerliche Landschaften schon frühzeitig eine politische Autonomie.

6. Das Eigenleben der Städte und das flache Land Die in den Städten endgültig erkämpfte Rats-verfassung gewinnt auch für die innerstaatliche Entwicklung eine ungemeine Bedeutung. Sie bringt die genossenschaftlich autonome Selbstverwaltung zum Siege, im Gegensatz zu dem sich auf dem Lande ausbreitenden Prinzip der Herrschaft einzelner. Auf dem Lande wurden die alten genossenschaftlichen Verbände in Gericht und Wirtschaft (Markt-genossenschaft) durch herrschaftliche Macht zurückgedrängt. Je kleiner der Herrschaftsbezirk war, um so drückender wurde der ins kleinliche gehende Zwang. Darin mag der tiefere Grund liegen, daß gerade in den zersplittertsten Teilen Deutschlands später der Bauernkrieg seine heftigsten Formen an-nahm. Gewiß hat sich als Ausnahme auch in Deutschland auf dem Lande bäuerliche Freiheit längere Zeit gehalten; in Dithmarschen fiel sie erst im sechzehnten Jahrhundert den Herren zum Opfer. Aber im ganzen war es so, daß jeder Bauer seinen Herrn oder gar mehrere hatte.

Der Kulturvorsprung der Sädte vor dem flachen Lande war zu groß, als daß er im eigentlichen Mittelalter hätte ausgeglichen werden können.

III. Die mittelalterliche Gemeindedemokratie im Spiegel des Haushalts

Wer das Stadtregiment führte, war naturgemäß nicht nur eine Frage der Repräsentation, sondern der gesamten sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Herrschaft. Wenn die Kaufleute, die Patrizier an der Macht waren, sah die Besteuerung anders aus, als wenn die Zünfte regierten. Die Steuerreform war (schon damals) eine Machtfrage 1. Zur Ausgabenseite In der Ausgabenwirtschaft bestand in der mittelalterlichen Stadt nicht überall die Universalität der Zuständigkeit. So wurden gewisse Hauptposten für Krankenhäuser, Schulen, Straßen und Brücken, Wasserversorgung den unmittelbar Interessierten zur Last gelegt oder durch Errichtung von Stiftungen selbständig gemacht. Unbestrittene „Rathaussachen" waren etwa der Bau der Stadtmauern (bewundernswerte Leistungen in Köln, Rothenburg, Nürnberg und Reval), die Polizei, das allgemeine Gesundheitswesen und die Verzinsung der Schulden.

2. Die städtischen Umlagen an den Landesherrn

Die Steuern, die die Städte an den Stadtherrn (bei den Reichsstädten der König, sonst an den geistlichen oder weltlichen Fürsten) zu entrichten hatten, wurden als Pauschalsummen festgelegt. Mit der Art der Aufbringung beginnt die finanzielle Autonomie der Städte.

Um diese Abführungspflichten (einschl. Zwangsanleihen) aufzubringen und um die unmittelbaren eigenen Bedürfnisse für militärische Sicherung, Verwaltung, Wohlfahrtspflege, Schulen, Verkehr zu erfüllen, entwickelte sich zwangsläufig ein städtisches Steuersystem, das a) auf Verbrauchsabgaben beruhte (Aufschlag auf die Tuchtabrikation, Akzisen auf Lebensmitteln b) auf direkten Steuern wie Einkommensteuern,

c) auf der Vermögensteuer

3. Die Grundlagen der direkten Kommunalsteuern

Die direkte Besteuerung mutet modern an. Bei diesen Abgaben gab es nämlich schon den Grundsatz der Steuergleichheit nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Steuerkraft, der Bürger. Ich möchte sagen, daß hier der Ausgangspunkt für die „Äquivalenztheorie"

der Kommunalbesteuerung liegt, wonach die gemeindlichen Abgaben ganz allgemein von denen getragen werden sollen, denen die öffentlichen Leistungen zugute kommen. Die Kommunalsteuern hatten in jenen Zeiten eben schon einen gebühren-oder beitragsähnlichen Charakter.

Zu den ertragreichsten direkten Steuern gehörte die auf den Häusern ruhende Grundsteuer.

Sie wurde meistens durch Kapitalisierung des Mietertrags errechnet Das waren eben Objekte, die sich dem örtlichen Zugriff nicht leicht entziehen konnten. Wis-sen wir doch aus zahlreichen Einzeluntersuchungen, daß einer übermäßig angespannten Einkommensteuer ganz einfach die „Steuerflucht" folgte. Der zu hoch besteuerte Unternehmer ging in die Nachbarstadt, in der die „Hebesätze" geringer waren.

Wo der Landesherr die Gemeinden mit der Armenfürsorge betraut hatte und sie anderseits gleichzeitig ermächtigte, hierfür die von der Landplage des Bettelns befreiten Gemeindebürger zu besteuern, wurde meistens ein Zuschlag zur Grundund Gebäudesteuer erhoben.

4. Sonderart der direkten Gemeindebesteuerung in den Landgemeinden Auf dem flachen Lande ließ sich innerhalb eines kleineren Bezirks durch eine allgemeine Hufenbesteuerung (schon mit Bonitierung) eine wohl annähernd gleichmäßige Besteuerung herbeiführen.

5. Indirekte Steuern im Stadthaushalt Hier ist in erster Linie das Ungeld, nämlich die Getränkesteuer, als einträgliche Finanzquelle der mittelalterlichen Städte zu nennen Torzölle (in romanischen Ländern: octrois) lagen vor allem auf Getränken und Nahrungsmitteln.

6. Im außerordentlichen Haushalt Die mittelalterlichen Kommunalschulden sind zum größten Teil Rentenschulden. Schul-Die denpolitik war gut Man amortisierte ständig die Schulden und suchte höher verzinsliche durch weniger hoch zu verzinsende zu ersetzen. In der glücklichen Ausbildung des öffentlichen Kreditwesens lag eine wesentliche Stärke der mittelalterlichen Städte. Das Vertrauen war so groß, daß die städtischen Rentenkassen zu förmlichen Sparbanken und Versorgungsanstalten wurden.

7. Zur kommunalen Finanzverwaltung Das Finanzwesen in den deutschen Städten des Mittelalters stand auf einer verhältnismäßig bedeutenden Höhe. Durch seine Kämmereiverwaltung und durch die dabei verwendete Buchführung (für Lübeck schon aus dem 13. Jahrhundert bezeugt) war es vorbildlich für die Entstehung der Finanzverwaltung in den Territorien. Bei der direkten Besteuerung gab es weitgehend ein Steuerveranlagungssystem, das sich in seinen Grundzügen noch in unseren heutigen Abgabenordnungen und Techniken (Buchprüfungsdienst!) widerspiegelt. Der auch (weniger) verbreitete Grundsatz der Selbstveranlagung (Selbsteinschätzung) und der „Steuereid" der Bürger wurden in den meisten Städten im 17. Jahrhundert abgeschafft. In Bremen hat er sich bis 1876 gehalten.

Das oberste Organ der städtischen Finanzverwaltung (Ausschreibung der Steuern, Steuer-höhe, Haushaltsveranschlagung der Ausgaben, Rechnungslegung) war überall der Rat.

IV. Der Rückgang unter dem Absolutismus

Im Preußen Friedrich wilhelms I. gingen die Anfänge einer wieder aufkommenden Selbstverwaltung schnell verloren. „Wir befinden uns nicht mehr im Gemeinwesen, wo freie Menschenkräfte sich durch eigenen Trieb naturgemäß entfalten. Alles ging von der höchsten Gewalt aus, die einseitige Gebote vorschrieb. Es hatte alles den Beigeschmack des Gewaltsamen und Drückenden."

Mit den harten Jahrhundert abgeschafft. In Bremen hat er sich bis 1876 gehalten.

Das oberste Organ der städtischen Finanzverwaltung (Ausschreibung der Steuern, Steuer-höhe, Haushaltsveranschlagung der Ausgaben, Rechnungslegung) war überall der Rat.

IV. Der Rückgang unter dem Absolutismus

Im Preußen Friedrich wilhelms I. gingen die Anfänge einer wieder aufkommenden Selbstverwaltung schnell verloren. „Wir befinden uns nicht mehr im Gemeinwesen, wo freie Menschenkräfte sich durch eigenen Trieb naturgemäß entfalten. Alles ging von der höchsten Gewalt aus, die einseitige Gebote vorschrieb. Es hatte alles den Beigeschmack des Gewaltsamen und Drückenden." 14)

Mit den harten Reformen Friedrich Wilhelms 15) begann der Aufstieg Preußens. Der „Soldatenkönig" zwang den Adel in den Militärdienst, was dann zur Monopolisierung des Sozialprestiges führte. Demgegenüber sank das bürgerliche Selbstbewußtsein.

In seiner Zeit wie unter der Regierung Friedrichs II. ergab sich ein „beschwerliches Übergreifen des Soldatenstandes" (Ranke)

auf die Gemeinden. In den Städten traten die nicht mehr gewählten, sondern die eingesetzten Magistrate vor den staatlichen Steuer-räten 16) zurück. Die Bürgermeister und die leitenden Stadtbeamten „rekrutierten“ sich aus verabschiedeten Unteroffizieren (Ranke).

Unter Friedrich II. wurde 1748 durch spezielles Dekret festgelegt, daß die Städte „zur Verhinderung einer selbständigen Entwicklung“ von den Ortskommissaren, eben den Steuer-räten, abhingen; diese hätten für „ehrliche und brave Bürgermeister" zu sorgen. Für die Gemeinden sollte Redlichkeit vor der Initiative den Vorrang haben: „Dorthin gehöre der zuverlässige und ordentliche Mann, der betriebsame dagegen in die Industrie." 17) In hochpolitischen Erziehungsbriefen aus jener Zeit (Kabinettorders) finden wir immer wieder die gleiche Frage, ob nicht die Verwaltung einer Armee die beste Schule für die Verwaltung des Staates oder der Kommunen sei. Auch dort müsse für Geld und Brot gesorgt werden, für Recht, Strafe und Lohn, für Ruhe, Gehorsam und Ordnung.

Dazu sagt Ranke bei der Beschreibung der Zeit Friedrich Wilhelms I. „In den Städten übte der Steuerrat eine Autorität aus, vor der die Magistrate in den Schatten traten; sie wurden oft nicht mehr gewählt, sondern gesetzt. Die Landräte, die zugleich Deputierte der Landschaft waren, wurden auf eine dieser unbequemen Weise von der Kammer abhängig." Im Zusammenhang hiermit sagt Ranke an gleicher Stelle: „An den unbedingten Wert, den man dem Soldatenstande beimaß, knüpfte sich, so sehr man es zu vermeiden suchte, ein beschwerliches Übergreifen desselben in andere Sphären des Lebens."

Der Absolutismus schränkte die Selbstverwaltung der Städte erheblich ein. Im Polizeistaat sehen wir die Städte zu von oben her regierten staatlichen Verwaltungsbezirken ohne jegliche Selbständigkeit werden.

V. Die preußischen Reformen

Zu Beginn des Jahrhunderts bildete die Wiederherstellung der städtischen Selbstverwaltung eines der Hauptstücke der preußischen Reformen. Die Entwicklung und Festigung der Selbstverwaltung jener Zeit ging von der preußischen Städteordnung von 1808 aus. Es war die Zeit der Erneuerung des zusammengebrochenen Preußentums. Diese Städteordnung war das Werk Steins, der dadurch nach einem viel zitierten Worte Dahlmanns 19) „in tieferem Sinne als König Heinrich, der bloß Festungen bauen konnte, der Städtebauer von Deutschland geworden ist."

Die letzten Motive Steins hingen wohl aufs engste mit dem allgemeinen Streben nach politischer, sozialer und menschlicher Freiheit zusammen, das den Grundzug der abendländischen Geschichte seit der Aufklärung bedeutet. Und so mag der Kern seiner Staats-auffassung moralisch dahin erklärt werden, daß der Staat die Menschen zum Gemeinsinn und zur gemeinnützigen Tätigkeit erziehen solle. Hierin ist das echte, von ihm selber beispielhaft vorgelebte Ethos seiner Selbstverwaliungsidee begründet. Für den Bürger soll die Mitarbeit an der Selbstverwaltung kein Beruf, sondern ein selbstverständliches Stück des öffentlichen Lebens sein, um das sich ein gebildeter Mensch zu kümmern hat. Aus seinen Schriften und Reden fassen wir Steins Hauptargumente in den großen Vorzügen der gewachsenen Ordnung zusammen, in den starken Kräften der Freiwilligkeit und damit in der besonderen Fähigkeit, sich immer wieder aus sich selbst heraus zu erneuern und in großen Krisen Zähigkeit und Energie aufzubringen. Mit solchen Forderungen war Stein der Bahnbrecher der freien Selbstverwaltung auch für eine deutsche Demokratie des

Jahrhunderts. Er sah in der Selbstverwaltung das wesentliche Element einer freiheitlichen Volkserziehung 20). Dort, im staatlichen Bereich, sollte ein einheitlicher und vereinheitlichender Wille stehen; hier in der Gemeinde, eine individualitätenreiche Mannigfaltigkeit in lebensvollem Eifer.

Zum Wesen dieser fast modern anmutenden Selbstverwaltung gehörte neben der Autonomie naturgemäß ein hohes Maß an bürokratischer Ordnung; vieles an ihr war nichts anderes als Dezentralisation innerhalb des staatlichen Verwaltungsapparates. Den anfänglichen Unvollkommenheiten, besonders in der eigentlichen Verwaltungsarbeit, im Städtebau und im Verkehrswesen wie in den sozialen Verpflichtungen, hielt man das stolze Wort der Engländer entgegen: „Better selfgoverned than well-governed."

Die konservative Tendenz verband die Selbstverwaltung mit einem mehr oder weniger starken Verzicht auf gesamtstaatliche Freiheit. Aus alten (Magdeburger) Archivunterlagen wissen wir, wie Stein den Bürgerschaften und brandenburgischen Provinzialständen versicherte, daß „alle Fragen, die auf örtlicher Ebene auftauchen, auch auf örtlicher Ebene gelöst werden sollen", und er erklärte zur Begründung: „Wenn wir das nicht tun, dann kommt da diese schleichende Flut von Gesetzen, von zentralistischen Gesetzen, auf uns zu, die schließlich zu einem allmächtigen Staat führt und denen wir dann nur noch gehorchen, weil der Staat uns dazu zwingt."

gleichen Ziele leiteten schon Gesetzesbegründung die der neuen Städteordnung ein: „Wir wollen dem dringend sich äußernden Bedürfnis einer wirksamen Teilnahme der Bürger an der Verwaltung des Gemeinwesens genügen, in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten." Die französische Revolution von 1789 bestärkte Stein, daß der alte Staat erneuert werden müsse. Die Ideen von 1789 lehnte er ab. In der äußersten Not des Staates ging Stein an grundlegende Reformen: Bauern-befreiung nach dem Edikt von 1807, Beseitigung ständischer Beschränkungen und an die Städteordnung vom 19. 11. 1808, die die Selbstverwaltung in den Städten verfügte. Das neue freiheitliche Pathos der Städteordnung paßte indes kaum zu der meist kleinstädtischen Enge der Verhältnisse. Hinzu kamen die wirtschaftlichen Nöte der von Kriegs-lasten erfüllten Zeit, und „der Staat" bemerkte, daß die Selbstverwaltung die Ausgaben erheblich vermehrte. Nur ganz langsam schlug die Selbstverwaltung feste Wurzeln, und noch länger dauerte es, bis sie ihre Früchte der Erziehung des Bürgertums zu neuem politischem Selbstbewußtsein zeigen konnte. Was das flache Land betrifft, so plante Stein die Einrichtung von Kreistagen, Provinziallandtagen und Reichsständen. Von einer Reform der Dorfverwaltungen sah Stein ab, da der Widerstand des Adels zu stark war. Die Wahlberechtigung wollte er auf die Grundbesitzer beschränkt wissen. Die Stadtverordneten wurden von den „Bürgern" gewählt. Das Bürgerrecht besaß allerdings nur, wer Grundbesitz in der Stadt besaß oder wer bei Ausübung seines Berufs eine bestimmte Steuerkraft erlangt hatte. Für aktive Mitarbeit in der Selbstverwaltung wollte er nur die Schichten von Bildung und Besitz heranziehen. Zu einer Vollendung dieser Reform ist es nicht gekommen. Der König ließ Stein 1808 fallen.

In vierzehn Monaten, in denen Stein die beherrschende Stellung eines leitenden Ministers innehatte, wurden, wie gezeigt, wesentliche Veränderungen der sozialen Grundlagen des Staates eingeleitet. Die Reformen kamen indes bald an Schranken, die durch die französische Besatzung gegeben waren. Nur Bruchstücke von Plänen konnten realisiert werden. Im ganzen ließ Stein den preußischen Staat in einem gärenden Chaos zurück.

VI. Die Situation nach 1848

Im monarchistisch-konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts standen sich zwei grundverschiedene Elemente gegenüber: das herrschaftlich-obrigkeitliche Element der monarchischen Regierung und bürokratischen Verwaltung und das freiheitlich-genossenschaftliche Element der Volksvertretung und der Gemeindefreiheit. Das muß man berücksichtigen, wenn man den erneuten Rückfall politisch oder soziologisch verstehen will: Das Erbe des Steinschen Reformwillens ging auf den bürgerlichen Liberalismus über. Dieser war bestrebt, in Übereinstimmung mit freiheitlicher Verfassung und bürgerschaftlich fundierter Verwaltung demokratische Bahnen einzuschlagen. Das gipfelte in der Revolution von 1848. Ihr Scheitern war der eigentliche Bruch des Jahrhunderts. Die demokratische Entwicklung wurde um zwei Menschenalter zurückgeworfen Gewiß war die Städteordnung nur ein Bruchstück des Steinschen Gesamtplans. Aber sie teilte das Schicksal des Ganzen.

Jetzt kämpfte das liberale Bürgertum mit den Forderungen des Rechtsstaates und der Selbstverwaltung um eine eigene Freiheitssphäre für die einzelnen Staatsbürger und für die kommunalen Zellen eines neuen bürgerlichen Gemeinwesens. Und bei dieser Gelegenheit bog Bismarck aus dem Zusammenbruch der Revolution von 1848 die Selbstverwaltung auf eine bescheidene Ergänzung des Obrigkeitsstaates hin ab. Es war der sogenannte konservativ-liberale Kompromiß.

Im kommunalen Bereich wurde tüchtige Verwaltungsarbeit geleistet, dabei jedoch die staatliche Bürokratie mehr ergänzt als eingeschränkt. Starke Kräfte politischer Erneuerung regten sich nicht mehr. Auch in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in der Selbstverwaltung kaum Fortschritt. Bismarck bemühte sich zwar von Fall zu Fall durch mancherlei Entgegenkommen, aber dieses Unternehmen war in den großen Städten durch seine harte Verfolgung der Sozialdemokratie zu schwer belastet.

Die neue Selbstverwaltung hatte das Dreiklassenwahlrecht (Besitz und Gesellschafts-rang) zur Voraussetzung In einigen Teilen Deutschlands gab es etwa seit den 70er Jahren ein Gemeindewahlrecht, das auch geringe Steuerzahlungen mit berücksichtigte und deshalb demokratischen Kräften den Zugang zu den Gemeindevertretungen ermöglichte, so in Württemberg, Frankfurt, Schleswig-Holstein., In Hannover, Frankfurt a. M. und in Hamburg, Bremen und Lübeck verblieb aus der Revolution von 1848 ein gewisser Fortschritt zur freieren Kommunalverfassung. In Lübeck führte schon die Verfassung vom 30. 12. 1848 einen Kompromiß aus Altem und Neuem, aus Tradition und Wagnis zum modernen konstitutionellen System. Nunmehr standen Senat und die „Bürgerschaft", die dort sogar aus allgemeinem und gleichem Wahlrecht hervorging, im dualistischen Gleichgewicht.

Im scharfen Gegensatz zu den Leitsätzen der Steinschen Städteordnung setzte sich im Rheinland die napoleonische Gemeindeordnung durch: Es war die rheinische Bürgermeistereiverfassung, die den von der Regierung ernannten Bürgermeister als Gemeindechef weder durch Beigeordnete noch durch den Gemeinderat einengte. Die Gemeinden waren sozusagen verstaatlicht. Das war ein Rückfall. Günstiger verlief die Entwicklung in Österreich. Dort wurde etwa zur gleichen Zeit durch die Verfassung von 1849 das Schwergewicht auf die Selbstverwaltung gelegt. Die Reformpolitik wurde nach der Devise geführt: „Die Grundfeste des freien Staats ist die freie Gemeinde".

VII. In der Weimarer Republik

Es begann mit einer romantischen Überschätzung der Selbstverwaltung, die immer wieder als das Allheilmittel politischer Reformen bewertet wird, und es endete damit, daß unter der Weimarer Verfassung am 11. 8. 1919 das Recht der Selbstverwaltung feierlich gewährleistet wurde. Daraus ergab sich die Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch für die Gemeinden. Das alte undemokratische Dreiklassenwahlrecht wurde zugunsten der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl auch in den Gemeinden abgeschafft. Die Gutsobrigkeit wurde aufgehoben.

In der Erzberger sehen Finanzreform lag schwerwiegend der Zentralismus des Reichs, der die Selbstverwaltung einengte. Der Finanzausgleich, der die Steuerquellen zwischen dem Reich, den Ländern und den Gemeinden verteilte, wurde ein vielumstrittenes Problem der Weimarer Republik Das Reich war hier der stärkste, die Gemeinden die schwächsten Partner: Die Wurzel ihrer Selbständigkeit wurde empfindlich getroffen Der Unitarier Hugo Preuß fällte das harte Urteil: „Das gegenwärtig überwiegende Dotationssystem, das Länder und Gemeinden die finanzielle Bewegungsfreiheit und damit auch die finanzielle Verantwortlichkeit zum größten Teil abnimmt, untergräbt das Wesen der Selbstverwaltung nicht nur wirtschaftlich." Es bestand in den Anfängen von Weimar Klarheit, daß in den Gemeinden die beste örtliche Organisation der Staatsmacht läge; es gäbe begrifflich wie praktisch keinen anderen Weg zu wirklicher Dezentralisation der Verwaltung als den Weg der Selbstverwaltung.

Preuß verwarf im kommunalen Bereich nicht nur die Scheidung des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises der Gemeinden, sondern forderte überhaupt den Rückzug des Staates und seiner bürokratischen Organe auf die Zentrale. Die staatliche Aufsicht über die völlig kommunalisierte Lokalverwaltung sollte auf eine bloße Rechtskontrolle, ohne Leitungsund Bestätigungsbefugnisse obrigkeitlicher Art, eingeschränkt werden. An dieser Stelle kam sein theoretischer Standpunkt einer kommunalen Autonomie nahe. Sie aber war gerade nicht Ziel und Ergebnis der modernen Entwicklung; denn überall, auch in England, ist es ein wesentliches Merkmal der Selbstverwaltung, daß sie im Prinzip wie tatsächlich dem Gesamtstaat ein-und untergeordnet worden ist.

Man blieb in vielem stecken. Eine der Ursachen für den Untergang von Weimar ist sicherlich auch darin zu suchen, daß man die in der Selbstverwaltung liegenden starken Kräfte einer demokratischen Trägerschaft des Staates nicht zu nutzen verstand. Erzberger hatte die Gemeinden zu Kostgängern des Reiches gemacht. Seine Nachfolger hatten den Brotkorb von Jahr zu Jahr höher gehängt. So ging es auch auf kommunalem Gebiet bergab.

VIII. Das Zwischenspiel

Der Gleichschaltung nach 1933 mußten alle Kräfte des öffentlichen Lebens weichen. Der Lebensnerv freier Selbstverwaltung war getötet. Was übrig blieb, war eine rein demonstrative Dezentralisation. Sie wurde in die Form der „Deutschen Gemeindeordnung" von 1935 gekleidet — auch dafür wurde das geistige Erbe Steins in Anspruch genommen.

IX. Nach 1945

Im mühseligen Wiederaufbau der ersten Nachkriegsjahre hatte die deutsche Selbstverwaltung ihre große Stunde. Das allgemeine Chaos stärkte die Verantwortung des einzelnen. Ganz nüchtern, realistisch, fingen wir wieder von vorne an. Wir sagten uns, daß Selbstverwaltung nichts anderes sein könne als ein Bestandteil der Demokratie, als eine volks-mäßige Verwaltung im Volksstaat. So zeigte sich im wiedergewonnenen Staat die Wiederherstellung einer begrenzten Selbstverwaltung der Gemeinden und ihrer Zusammenschlüsse, der Kreise und der Provinzialverbände. Und zu allem kam der nicht zu erschütternde Bestandteil der politischen Alltags-reden: Die Selbstverwaltung sei eine große Sache, sie sei das Fundament des neuen Staates, der Freiherr vom Stein müsse das neue Leitbild werden. Wenn im dreifach aufgebau-ten Bundesstaat jeder Verband bestimmte Funktionen habe, die ohne Schaden für das Ganze nicht vernachlässigt werden könnten, stehe weder dem Bund noch den Ländern, noch den Gemeinden irgendein Deckungsvorrang zu. Nach der finanzwirtschaftlichen Verbundenheit aller Glieder der öffentlichen Hand hätten vielmehr Bund und Länder die Verpflichtung, ihre Finanzansprüche so abzustimmen, daß der gemeinsame Ausgleich ohne Existenzgefährdung des einen oder anderen Partners erreicht werden könne. Wer das verneine, wer gleichwohl auf dem Deckungsvorrang des Bundes oder des Landes bestehe, der sehe die Gemeinde als Körperschaft zweiten Ranges an, der übersehe ihre Bedeutung im Staat und in der Demokratie, der verneine mit solcher Auffassung, daß die Gemeinde überhaupt das tragende Fundament der staatlichen Pyramide ist. Die Gemeinden würden finanziell immer weiter zurückgeworfen. Im föderativen Aufbau des Staates müßten die Länder sie schützen. So sagte man.

Und darauf stellen Kommunen und ihre Spitzenverbände eine Frage, die eigentlich das ganze Problem enthält: Wer schützt uns vor denen, die nach der Verfassung zu unserem Schutze berufen sind? Die finanzielle Aushöhlung der Gemeinden geht ständig weiter. Der kommunaleigene Spielraum wird immer kleiner.

Zugleich zeigt sich auf allen Gebieten eine Krise der Selbstverwaltung, da die eigentlichen genossenschaftlichen Aufgaben durch die gruppenmäßigen Kollektivverbindungen und zugleich durch den Pluralismus der modernen Massengesellschaft überdeckt und zersetzt zu werden drohen. Auch die Tatsache, daß Bürgertum und Arbeiterschaft das Ganze des Staates in ihrer Hand halten und daher nicht ohne weiteres „ausgesparter Verwaltungsreservate' bedürfen, kennzeichnet eine Situation, in der jene politische Spannungslage offenbar nicht mehr besteht, aus der sich einst das Daseinsrecht der Selbstverwaltung ableitete.

Es paßt wohl zu dieser Besorgnis, wenn Wilhelm Röpke über einen deutschen Landesminister berichtet, „der vor einigen Jahren allen Ernstes erklärte, Föderalismus, Selbstverwaltung und Gemeindeautonomie seien in einem demokratischen Staate unnötig, da es ja jetzt im Gegensatz zum alten Obrigkeitsstaate keine Trennung mehr zwischen Volk und Regierung gäbe. Jene Dinge wären Ausdruck berechtigten Mißtrauens gegenüber einer volksfremden Zentralregierung gewesen und daher heute gegenstandslos geworden". Was mag der Grund dafür sein? Sicherlich nicht Gleichgültigkeit, sicherlich nicht sach-liehe Lässigkeit der verantwortlichen übergeordneten Organe oder Persönlichkeiten! Der letzte Grund liegt offenbar tiefer: Der Gedanke der Selbstverwaltung ist wohl mit der Ideenwelt der Demokratie nicht ohne Schwierigkeiten zu vereinbaren. Die Gemeinde der Gemeindemajorität anheimgeben, heißt ja, sie der möglicherweise abweichenden Staatsmajorität entziehen. Wo die Demokratie im Staate ihren Absolutismus der Majorität durchgesetzt hat, wie in Frankreich, hat sie deshalb genau wie der monarchistische Absolutismus die Selbstverwaltung mehr oder weniger erdrückt. Anderseits konnte in nichtdemokratischen Staatswesen, wie früher in den deutschen Landen, gerade umgekehrt die Selbstverwaltung, die die Gemeinden zu kleinen demokratischen Republiken macht, beachtliche Ansätze zur Verwirklichung der Demokratie schaffen. Und so fordert man in Protestaktionen, Denkschriften und Reden, daß auch in Zukunft neben dem demokratischen Gedanken die Neigung zur Dezentralisation groß genug sein müsse, um trotz der durch die Finanznot der Gemeinden gesteigerten Schwierigkeiten die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung, eine der größten politischen Leistungen der Nation, zu verhüten. Wir Rathausleute hoffen noch. Aber wir fürchten auch, daß das alles nur noch schöne Worte sind. Ein Stück Freiheitsgarantie ginge verloren!

Fussnoten

Fußnoten

  1. L’Esprit des Lois, Montesquieus Hauptwerk, 1748.

  2. Karl Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, Bd. 1, S. 117.

  3. Daß die Stadt aus der Burg hervorgegangen sein soll, das will uns Heutigen, uns Städtern nur schwer in den Kopf. Eher empfinden wir die Begriffe von Burg und Stadt und die Bilder von Burg und Stadt, wie sie in Königstein und anderwärts gleichsam urtypisch sich darbieten, als feindlichen Gegensatz. Die Burg als Symbol der Herrschaft, die Stadt als Bezirk der Freiheit. Die Burg als Ort und Zeichen der Feudalität, die Stadt als Bereich der Zivilität oder auch der Urbanität, so Dolf Stem-berger, Bürger kommt von Burg, Franks. Allg v. 7. 9. 1963.

  4. Wilhelm Stieda, Entstehung des deutschen Zunftwesens, in: Jahrb. für NatOk Bd. 27 S. 55.

  5. Ricarda Huch, Im alten Reich, Lebensbilder deutscher Städte, 1960, Abschn. 19.

  6. Karl Bücher, Die soziale Gliederung einer mittelalterlichen Stadt, in: Entstehung der Volkswirtschaft, S. 393 ff.

  7. Edith Ennen, Neuere Arbeiten zur Geschichte des nordwesteuropäischen Städtewesens im Mittelalter, in: Vierteljahreszeitschrift für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, 1949, Bd. 2.

  8. Im alten Reich, Lebensbilder deutscher Städte zu Ziff. 177.

  9. Wilh. Stieda, Städtische Finanzen im Mittelalter, Jahrb. f. NatOk u. Stat., 3. Folge, Bd. 17 (1925); Adolf Erler, Bürgerrecht und Steuerpflicht im mittelalterlichen Städtewesen, mit besonderer Untersuchung des Steuereides, Frankfurter wissenschaftl. Beiträge, Rechts-u. staatswissensch. Reihe II, Frankfurt 1939; Karl Bücher, Zwei mittelalterliche Steuerordnungen, Der öffentl. Haushalt der Stadt Frankfurt a. M. im Mittelalter, Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte, Leipzig 1922; L. Schönberg, Die Technik des Finanzhaushalts der deutschen Städte im Mittelalter, 1910 (Sonderheft der Münchner volkswirtschaftlichen Studien); B. Kuske, Das Schuldenwesen der deutschen Städte im Mittel-alter, Tübingen 1904 (Erg. Heft der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jahrg. 1904).

  10. Der Anteil am Gesamtaufkommen war bedeutend: in Frankfurt a. M. z. B. 1404 62 °/o, Basel um 1500 90% aller Einnahmen.

  11. Diese Abgabe war nach Mayer i. Handb.der Finanzwissensch. 2. Ausl. Bd. 1 S. 268 verhältnismäßig hoch. Sie betrug:

  12. über den der Kapitalisierung zugrunde liegenden Zinsfuß für langfristige Schulden gibt es ziemlich genaue Überlieferungen:

  13. nach Kuske a. a. O.

  14. Ranke, 6. Buch der Preuß. Geschichte, Innere Verwaltung.

  15. Ranke, Preuß. Geschichte, 12. Buch, 4. Kap. über Friedrichs Administration und Armee.

  16. Preuß. Geschichte, 6. Buch, 2. Kap.

  17. 1785— 1860, Professor der Geschichte in Kiel, Anführer der Göttinger Sieben, 1848 Führer der klein-deutschen Partei.

  18. Erinnern wir uns an den Ausspruch Ludwig von der Marwitz (preuß. General, Verteidiger der altständisch-patriarchalischen Ordnung), der zur Städteordnung Steins sagte: „Da wird ja jede Stadt der Monarchie zu einer kleinen Republik", Theodor Fontane, Briefe, 1940.

  19. s. dazu Heffner, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950.

  20. Das Dreiklassenwahlrecht teilte die Wahlberechtigten nach der Höhe der von ihnen gezahlten Steuern in drei „Steuerklassen", von denen je e in der Summe den gleichen Steuerbetrag autbrachte. Jede dieser Klassen wählte die g eicne Zahl von Wahlmännern. Die Wahlmanner der drei Klassen traten dann im Wahlkreis zusammen une wählten die Abgeordneten, wobei die Wahlmanner der beiden obeien Klassen die der i Klasse überstimmen konnten.

  21. Matthias Erzberger führte als Reichsfinant-minister 1919 eine Finanzreform durch, 16 f malig eine reichseigene Steuerverwaltung schut und so die Finanzhoheit des Reiches stark e.

  22. Auch in Deutschland finden wir vor 1918 vor allem Subventionen der Länder an bestimmte Aus gaben der Gemeinden und Gemeindeverbände die wenigstens zum Teil nach der finanzie der Empfänger abgestuft waren,: sowie nicht nz iW tae gc gebundene Finanzzuweisungen, n e 1 Nach tung dieser Leistungen waren die Lander Ausdehnung der Einnahmekompetenzen des Reichs im Jahre 1920 griff jedoch das Reich auch in den Finanzausgleich zwischen Ländern und Selbstverwaltungskörpern ein, indem es die Länder verpflichtete, einen Teil der ihnen überwiesenen Anteile an den großen Reichssteuern an die Gemeinden weiterzugeben und insbesondere auch für einen horizontalen Lastenausgleich zwischen ihren Gemeinden und Gemeindeverbänden vor allem auf dem Gebiete der Armen-, Schulund Polizeilasten zu sorgen.

  23. Im Rathaussaal zu Bamberg (welche Symbolik!) klagten im Januar 1921 die Finanzminister der deutschen Länder gegen die Zentralisierung der Finanz-und Steuergewalt beim Reiche.

  24. Hugo Preuß, 1919 Reichsminister, vertrat die Auffassung von der „organischen Persönlichkeit des Staates" und befürwortete die Entwicklung der Selbstverwaltung im Steinschen Sinne.

  25. in „Staat, Recht und Freiheit", 1928, S. 140.

  26. Köttgen, in Handwörterbuch der Sozialwissenschaften 1962, Bd. 9, S. 221.

  27. In: Jenseits von Angebot und Nachfrage, Zürich 1958 S. 92. Prof. Röpke (Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales Genf) erwies sich in einem Brief v. 19. 6. 1964 leider außerstande, dem Verfasser den Namen dieses Ministers zu nennen.

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HansMüthling, geb. 8. Juli 1901, kommt aus der gemeindlichen Verwaltung seiner holsteinischen Heimat, Studium der Rechtsund Staatswissenschaften (Diplomvolkswirt, Dr.der Staatswiss., staatl. Befähigung für höh. Verwaltungsdienst), Kämmerer beim Kreis Stormarn und beim Provinzialverband in Kiel, nach 1945 Erster Landesdirektor in Kiel, Kommunaldezernent beim Bundesminister des Innern, Stadtkämmerer von Hannover und (seit 1954) Oberbürgermeister von Kiel, Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Städtetages.