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Die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands zwischen 1945 und 1949 | APuZ 19/1969 | bpb.de

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APuZ 19/1969 Zwanzig Jahre Comecon Die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands zwischen 1945 und 1949

Die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands zwischen 1945 und 1949

Hans Böhme

L Ausgangspunkte

Inhalt I. Ausgangspunkte II. Die erste Nachkriegsphase: negative Wirtschaftsentwicklung 1. Alliierte Pläne 2. Unstimmigkeiten in der Planausführung III. Wirtschaftsentwicklung in Mitteldeutschland 1. Sowjetische Ziele 2. Sozialistische Übergangswirtschaft 3. Eigentumspolitik 4. Aufbau der Wirtschaftsplanung 5. Grundprobleme der mitteldeutschen Planwirtschaft 6. Zusammenfassung IV. Wirtschaftsentwicklung im westlichen Deutschland 1. Hatte der Westen ein einheitliches Konzept? 2. Ansätze einer Wiederbelebung

Die Entwicklung Deutschlands in den beiden letzten Jahrzehnten wurde entscheidend bestimmt durch Ereignisse der Jahre zwischen 1945 und 1949. Äußerliche Markierungspunkte dieser ersten Periode der jüngsten deutschen Wirtschaftsgeschichte sind die politischen Geschehnisse, von denen die Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 und die Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland durch die Militärbehörden der Siegermächte am 5. Juni 1945 sowie die Errichtung des Alliierten Kontrollrates als gemeinsamen Organs zur Ausübung dieser Gewalt am 30. August 1945 den Ausgangspunkt bezeichnen. Am Ende dieser Phase stehen die Konstituierung der Bundesregierung im westlichen Teil Deutschlands am 15. September 1949 und der „provisorischen Regierung" der Deutschen Demokratischen Republik in der Sowjetischen Besatzungszone am 7. Oktober 1949. Der für die nachfolgende Zeit und noch heute maßgebliche wirtschaftliche Sachverhalt ist die gleichzeitige Bildung von zwei deutlich voneinander abgegrenzten Wirtschaftssystemen.

Die zentrale Frage einer Darstellung der deutschen Wirtschaft in den ersten Nachkriegsjahren ist deshalb auf diese Tatsache gerichtet. Wie kam es in den Jahren 1945 bis 1949 zu den Entwicklungen, welche die bis heute getrennten Wirtschaftssysteme herbeigeführt haben, und welches waren ihre Hauptphasen sowie die ausschlaggebenden Ursachen? Von daher ist der Inhalt der folgenden Gedankengänge bestimmt, wobei allerdings die einschränkende Anmerkung notwendig ist, daß im Westen Deutschlands keine so konsequente Ausrichtung auf ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Modell slattfand.

Die sich frühzeitig abzeichnende gesonderte wirtschaftliche Entwicklung in Ost und West mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen legt eine analytische Trennung der Behandlung des Themas nahe. Es ist aber zweckmäßig, nicht von vornherein eine solche Zweiteilung vorzunehmen. Den Ausgangspunkt bildet deshalb die Lage Deutschlands am Ende des Krieges nach dem Verlust der Ostgebiete im eigentlichen Sinne. Westdeutschland bezeichnet also die Westzonen bzw. die Bundesrepublik, der östliche Teil die DDR, bis 1949 noch Sowjetische Besatzungszone. Zum Ausgangspunkt gehören auch die Grundsätze der damals herrschenden alliierten Auffassungen zur wirtschaftlichen Behandlung Deutschlands. Dieses wurde ja noch als Gesamt-Deutschland angesehen, obwohl eine spätere Aufspaltung in mehrere souveräne Staaten beabsichtigt war.

Bei dieser Überlegung zeigt sich, daß einer der ausschlaggebenden Bestimmungsfaktoren der ersten Nachkriegszeit die Politik der Siegermächte war. Von ihr ist die wirtschaftliche Entwicklung in keiner Phase der ausgehenden vierziger Jahre zu trennen. Der sich entfaltende politische Gegensatz zwischen den Siegermächten hat in vielfältigem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Vorgängen im Nachkriegsdeutschland gestanden, von denen er auch seinerseits beeinflußt wurde. Demgegenüber scheinen „objektive Faktoren" nur eine begrenzte Rolle gespielt zu haben, wenn auch gewisse ökonomische Tatsachen wie die Kriegszerstörungen nicht übersehen werden können. Für die hier in den Mittelpunkt gerückte Fragestellung überwiegt aber das politische Element, da von derartigen Entscheidungen auch wirtschaftspolitische Details abhängig waren.

Die nachfolgende Analyse beschränkt sich aber auf für Deutschland relevante ökonomische Faktoren. So kann insbesondere der Frage nach der Entstehung und Verursachung der Ost-West-Spannungen nicht nachgegangen werden; sie müssen hier als ein „meta-ökonomisches" Datum behandelt werden. Die Untersuchung wendet sich zunächst den alliierten Kriegszielen auf wirtschaftlichem Gebiet und den Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung zu, um dann auf die unterschiedlichen Entwicklungen in Ost und West einzugehen.

II. Die erste Nachkriegsphase: negative Wirtschaftsentwicklung

1. Alliierte Pläne über die Behandlung Deutschlands nach dem Siege hatten sich die Verbündeten bekanntlich auf mehreren internationalen Konferenzen verständigt, von denen Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) und Jalta (3. bis 11. Februar 1945) zu nennen sind. Unter dem Einfluß der psychologischen Wirkungen des Krieges zeichnete sich dabei eine im wesentlichen einheitliche Auffassung aller beteiligten Mächte ab. Sie lief in wirtschaftspolitischer Hinsicht kurzfristig auf eine Zerstörung des deutschen Rüstungspotentials sowie auf die Leistung von Reparationen an die Sieger und die kriegsgeschädigten Staaten hinaus. Langfristig dagegen bedeutete sie den Versuch, Deutschland industriell weitgehend zu beschränken und entsprechend in ein Agrarland zurückzuverwandeln. Extreme Formulierungen dieser Auffassungen enthielt bekanntlich der sogenannte „Morgenthau" -Plan aus dem Jahre 1944.

Die grundlegenden Ziele wurden auf der amerikanisch-britisch-sowjetischen Konferenz, die nach der Besetzung Deutschlands vom 28. Juli bis 2. August 1945 stattfand, im Potsdamer Abkommen niedergelegt. Danach sollten die inzwischen gebildeten Besatzungszonen weiterhin als zusammengehörendes Ganzes betrachtet werden. Seine Bevölkerung sollte einen ausreichenden Lebensstandard auf der Höhe des europäischen Durchschnitts — aber unter Außerachtlassung Großbritanniens und der

Sowjetunion — erreichen. Die notwendigen Importe sollten durch eigene Exportleistungen bezahlt werden. Reparationen waren grundsätzlich auf drei Wegen vorgesehen: durch Demontage von Industrieausrüstungen, durch die Ablieferung der deutschen Handelsflotte und durch die Beschlagnahme der deutschen Auslandsanlagen. Entnahmen aus der laufenden Produktion waren ausgeschlossen. Die Produktion war im Hinblick auf den vorgestellten Lebensstandard auf etwa 55 °/o des Standes von 1938 bemessen und für zusätzliche Leistungen zu gering.

Eine Konkretisierung erfuhren diese allgemeinen Formulierungen des Potsdamer Abkommens im Industrieplan des Kontrollrates vom 28. März 1946. Auf der Grundlage einer angenommenen Bevölkerung von 66, 5 Mill. Menschen wurde genau fixiert, in welchem Umfange die deutsche Industrie im Jahre 1949 Güter erzeugen sollte. Außerdem wurde eine Reihe von Industriezweigen als Kriegsindustrie verboten; ihre Kapazitäten sollten demontiert werden, wobei in einzelnen Fällen eine Auslauffrist zugestanden wurde. Zu diesen verbotenen Zweigen zählten vor allem sämtliche Rüstungsproduktionen im engeren Sinne, der Seeschiffbau, künstliche Benzine und Ole, synthetischer Gummi, Ammoniak, Aluminium und andere Leichtmetalle. Ferner wurde die Herstellung von bestimmten schweren Werkzeugmaschinen und Kugellagern aller Art verboten. Für die verbleibenden Industrien wurden teilweise Beschränkungen durch Festlegung mengen-oder wertmäßiger Obergrenzen verfügt; hierzu zählten u. a. die eisenschaffende Industrie, Fahrzeugbau, Schuhindustrie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Chemie, Textilindustrie, kautschuk-und metallverarbeitende Industrie. Die Begrenzungen bezogen sich auf die Basis der entsprechenden Produktionszahlen von 1936. Die erheblichen, nicht ausschließlich militärischen Zwecken dienenden Kapazitätserweiterungen nach 1936 blieben somit von vornherein außer Ansatz. Im einzelnen schwankten die erlaubten Prozentsätze bei den verschiedenen Industriezweigen beträchtlich, z. B. 15% für Werkzeugmaschinenbau, 78% für Textilindustrie, 60% für Leichtmaschinenbau usw.

Der Bauwirtschaft sowie einigen Verbrauchsgüterindustrien wurde eine teils kontrollierte, sonst aber freie Entwicklung zugestanden. Der Kali-und Kunstfasererzeugung wurden Ziele gesetzt, welche die Werte von 1936 überstiegen. Letztere blieb aber weit unter dem im Kriege erreichten Höchststand.

Aus diesem Industrieplan ergab sich das nicht im einzelnen festgelegte Ausmaß der bis 1948 vorgesehenen Demontagen als Restgröße zwischen tatsächlich vorhandener und für die Erreichung der gesetzten Ziele benötigter Kapazität. Dabei sollte prinzipiell jede Macht nur aus ihrem Besatzungsgebiet entnehmen können, die UdSSR aber außerdem mit 25 % — z. T. im Austausch gegen Rohstoffe — an den Entnahmen aus den Westzonen beteiligt werden. Gegenüber solchen „Planzielen" der Alliierten für das Jahr 1949 belief sich die tatsächliche Industrieproduktion im Jahre 1946 in Rumpf-deutschland auf nur ca. 35 % des Standes von 1936. Dabei lag die SBZ mit etwa 42 % noch gegenüber Westdeutschland mit nur 34 % in Führung. Nach den ausgewiesenen statistischen Ziffern wurde sie erst 1949 überrundet. 2. Unstimmigkeiten in der Planausführung Auf der Grundlage des Industrieplans sollte sich die Reparationspolitik vollziehen. Tatsächlich aber ergaben sich schon bald Unstimmigkeiten in der Auslegung; von sowjetischer Seite wurde eine Heraufsetzung der Gesamt-kapazitäten gefordert, um auch eine Entnahme von Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion zu ermöglichen. Diesen Forderungen stimmten die Westmächte ebensowenig zu wie der Festsetzung einer an die UdSSR insgesamt zu leistenden Entschädigung von 10 Mrd. US-Dollar. Außerdem war der nach den bereits zu Anfang der Besetzung begonnenen Demontagen verbliebene Kapazitätsumfang der Industrie in der SBZ teilweise schon stark unter die im Industrieplan vorgesehene Grenze gesunken. Dazu hatten natürlich auch Kriegsschäden nicht unerheblich beigetragen. Es machte sich aber schon zu dieser Zeit ein grundlegender Unterschied in der Motivation der Demontagen bemerkbar, der später noch ausgeprägter zutage trat.

Infolge solcher Probleme der praktischen Politik zeichnete sich der beginnende kalte Krieg zwischen Ost und West auch in der als gemeinsame Zusammenarbeit der Siegermächte gedachten Ausführung wirtschaftspolitischer Maßnahmen in Deutschland schon ein Jahr nach dem Zusammenbruch ab. Ganz klar erkannte man die Differenzen, als General Clay als Chef der amerikanischen Militärregierung im Mai 1946, also nur zwei Monate nach Verkündung des Industrieplans, die Lieferungen aus demontierten Werken an die Sowjetunion stoppen ließ, weil nach seiner Auffassung eine einheitliche Behandlung der deutschen Wirtschaft als Ganzes nicht mehr gewährleistet sei. Nach deutschen Schätzungen waren zu diesem Zeitpunkt im Westen noch etwa 2/3 der industriellen Kapazitäten von 1936, in der Sowjetzone dagegen nur noch etwa 1/3 vorhanden. Der Industrieplan war demgegenüber von insgesamt etwa 70 % als erforderlich ausgegangen.

Das offenkundig gewordene Scheitern des ersten Industrieplans im Sommer 1946 darf man somit als das Ende einer gemeinsamen Politik der drei Siegerstaaten gegenüber Deutschland betrachten. Die Weichen für die folgenden Jahre waren gestellt. Wie war es dazu gekommen?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, die Entwicklung in den nunmehr zunehmend auseinanderfallenden Besatzungszonen getrennt zu analysieren, um die bestimmenden Elemente zu erkennen. Dabei erscheint es zweckmäßig, zunächst die Verhältnisse in der Sowjetzone zu untersuchen.

III. Wirtschaftsentwicklung in Mitteldeutschland

1. Sowjetische Ziele Die Beschlüsse der Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam entsprachen weitgehend den den ge sowjetischen Auffassungen über -genüber Deutschland einzuschlagenden Weg. Angesichts der Rolle Stalins auf diesen Zusammenkünften überrascht das nicht. Offensichtlich beschränkten sich die Absichten der Sowjetunion jedoch nicht auf Maßnahmen der bereits erwähnten Art, sondern zielten — wie in den anderen von ihr besetzten Ländern Ost-und Südosteuropas — auch auf politische Veränderungen ab. Die am Ende der hier in Rede stehenden — etwa fünf Jahre umfassenden — Periode deutlich gewordene Veränderung des Wirtschaftssystems ist im Zusammenhang mit diesen im engeren Sinne außerwirtschaftlichen Einflüssen zu sehen und reicht daher wenigstens teilweise in die Anfangsphase der Besatzungszeit zurück. Allerdings bestand zunächst noch durchaus Übereinstimmung zwischen den Verbündeten darüber, daß neben den wirtschaftspolitischen Abbau-und Beschränkungsmaßnahmen auch eine Neugestaltung der politischen Verhältnisse in Deutschland erfolgen müsse. Erst aus der rückschauenden Betrachtung kann man daher verschiedene Grundzüge der Politik der UdSSR klarer erkennen. Zugleich werden die Auffassungsunterschiede zwischen Ost und West klar. Zunächst folgte die Wirtschaftspolitik der Sowjetischen Militäradministration jedoch der Linie einer weitgehenden Demontage der mitteldeutschen Industrie, um die festgelegte „wirtschaftliche Abrüstung" Deutschlands zu vollziehen. Zur Vermeidung möglicherweise einengender Bestimmungen einer bevorstehenden Drei-Mächte-Vereinbarung beschleunigte man diesen Prozeß außerordentlich. Bereits weniger als einen Monat nach dem Einrücken der sowjetischen Truppen sollen etwa 1200 Betriebe abgebaut worden sein. Diese wurden unmittelbar in die UdSSR abtransportiert, um dort einen Teil der Kriegsschäden auszugleichen und zum anderen die sowjetische Produktionskapazität zu erweitern. Von diesen Aktionen wurden alle wesentlichen Industriezweige erfaßt. Sie beschränkten sich keineswegs auf Rüstungs-oder Produktionsmittelindustrien, sondern bezogen auch Konsumgüterindustrien mit ein. Außerdem wurden bekanntlich auch Verkehrswege abgebaut — wie etwa das zweite Gleis nahezu aller Eisen-bahnlinien sowie zahlreiche Industriebahnen.

Die schon erwähnte starke Reduzierung der Gesamtkapazität der SBZ auf etwa noch ein Drittel im Frühjahr 1946 wurde von westlicher Seite als Verstoß gegen die Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit ausgelegt. Sie hatte jedoch nicht nur in dieser Richtung Probleme aufgeworfen.

Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß ein großer Teil der demontierten Betriebe aus Transportgründen die Sowjetunion entweder gar nicht oder nur in beschädigtem Zustand erreichte. Teilweise lagen die Maschinenteile ohne Schutz monatelang unter freiem Himmel entlang den Bahnlinien. Wegen mangelnder Sorgfalt beim Abbau und des Fehlens ausreichender Konstruktionspläne ergaben sich außerdem Schwierigkeiten beim Wiederaufbau der Betriebe. Aus technisch-ökonomischen Ursachen konnte deshalb der beabsichtigte Effekt der Demontagen auf die Sowjetwirtschaft höchstens sehr beschränkt erreicht werden.

Mit Rücksicht auf diese unbefriedigende Lage entwickelten sich neue Auffassungen in der Sowjetführung, die von Veränderungen auch der politischen Einschätzung der SBZ und ihrer Rolle in der russischen Einflußsphäre begleitet waren. Sie brachten eine weitgehende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik mit sich und wurden für die weitere Gestaltung der mitteldeutschen Wirtschaft bedeutungsvoll. Sie waren auch ursächlich für den sowjetischen Vorstoß, die vorgesehene Industriekapazität Deutschlands über den Stand des Industrie-plans zu heben, um laufende Reparationen als Beitrag zum Ausbau der eigenen Volkswirtschaft zu erlangen.

Soweit bekannt, stand hinter der Neuorientierung als treibende Kraft der Außenhandelsminister der UdSSR, A. Mikoyan. Nach seiner Auffassung sollten die Demontagen eingestellt und statt dessen die verbleibenden Betriebe für sowjetische Rechnung tätig werden. Dadurch sollte u. a. auch den zahlreichen und störenden Kompetenzschwierigkeiten zwischen den beteiligten sowjetischen Instanzen ein Riegel vorgeschoben werden, die sich während der Demontagephase vielfältig bemerkbar gemacht hatten und teilweise auch auf die überstürzte Art der Durchführung zurückzuführen waren.

Dieser Standpunkt setzte sich im Jahre 1946 zunehmend durch. Die Wirtschaft der SBZ wurde nunmehr in den Dienst sowjetischer Produktionsziele gestellt, unter denen der Er-B satz bisheriger sowjetischer Importe aus Dritt-ländern, Lieferungen für Re-Exporte der UdSSR an Drittländer im Rahmen von Tauschgeschäften oder gegen Westdevisen zu nennen sind (neben der Arbeit für deutsche Zwecke). Die günstigen beschäftigungspolitischen Wirkungen auf die Zonenwirtschaft sind offenkundig.

Eine konsequente Fortführung fand die neue Politik in der Übernahme zahlreicher wichtiger Industriebetriebe in sowjetische Hand. Am 5. Juni 1946 wurden durch einen Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) insgesamt 213 einzelne Betriebe zu Eigentum der UdSSR erklärt und in Sowjetische Aktiengesellschaften umgewandelt (SAG). Diese Gruppe umfaßte die Schlüsselstellungen der mitteldeutschen Industrie. Die Gründung der SAG — die erwähnten Betriebe wurden in 25 Gesellschaften zusammengefaßt — ermöglichte es, die sowjetischen Reparationswünsche besser zu befriedigen, als es die Demontage und anschließende Wiedererrichtung der Betriebe vermocht hätte. Sie lieferten auch an die Wirtschaft der Zone selbst, in der sie auf diese Weise eine beherrschende Stellung erlangten. Ihr Anteil an der gesamten Industrieproduktion der SBZ betrug etwa 25 bis 30 °/o. Die wirtschaftliche Kontrolle von innen her wurde somit wesentlich erleichtert.

Die Neuausrichtung der Industriepolitik der Sowjetunion beschränkte sich im übrigen nicht auf die SBZ. Entsprechende Maßnahmen — Gründung „gemischter Gesellschaften" —-fanden auch in anderen östlichen Volkswirtschaften statt, so z. B. in Rumänien und anderen Ländern. Sie waren offensichtlich Ausdruck eines umfassenderen Konzepts der russischen Europa-Politik, das im Zeitablauf an Gestalt und Gewicht gewann. Mit der Abgrenzung der Fronten zum Westen hin erschien es zweckdienlich, die eroberten Gebiete zunehmend organisch mit der UdSSR zu verbinden. Es kam zu einer Übertragung des sowjetischen Wirtschaftssystems auf alle in ihrem Machtbereich befindlichen Länder. Die einzelnen Schritte und Phasen wurden nicht im einzelnen koordiniert, sondern je nach den politischen Möglichkeiten in den betreffenden Ländern selbst unternommen. In der SBZ reichten die Anfänge, wie schon angedeutet, bis in das Jahr 1945 zurück. In gewisser Weise stehen sie allerdings in Zusammenhang mit den Bestrebungen der Alliierten, auch eine politische Neuorientierung Deutschlands herbeizuführen und ein demokratisches System einzurichten. Der unterschiedliche Inhalt dieses Begriffes trat erst nach und nach zutage. Man darf wohl davon ausgehen, daß auf östlicher Seite zumindest in politischer Hinsicht ein langfristig-planmäßiges Vorgehen festgelegt war, wenn auch die taktischen Schritte im einzelnen noch nicht fixierbar waren. 2. Sozialistische Übergangswirtschaft Die Verwirklichung der Umgestaltungsabsichten in diesem Sinne wird im Westen häufig als Übernahme des sowjetischen Wirtschaftsmodells bezeichnet. In der Tat entspricht das gegen Ende der vierziger Jahre entwickelte System weitgehend dem sowjetischen Vorbild. Außerdem lassen sich zahlreiche Parallelen zwischen den Verhältnissen in Rußland nach der Oktoberrevolution und in der Sowjetischen Besatzungszone auffinden.

Das angestrebte Endziel einer solchen Wirtschaftsordnung läßt sich in wenigen Haupt-merkmalen beschreiben. Es sind dies auf der einen Seite die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsprozesses, auf der anderen Seite seine Organisation und seine Zielsetzungen im einzelnen. Dabei ist zu beachten, daß es sich nicht lediglich um eine Frage zweckmäßiger Wirtschaftsgestaltung handelt, sondern daß in der östlichen Auffassung die Wirtschaft als Basis der gesellschaftlichen Verhältnisse angesehen wird. Ihr fällt daher eine tragende Rolle bei der Herstellung der angestrebten kommunistischen Gesellschaftsordnung zu, die das angebliche Endziel der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit überhaupt ist und daher auch für die von der UdSSR besetzten Länder zwangsläufig irgendwann einmal unausweichlich erreicht werden wird.

Grundlage des sich entwickelnden sozialistischen Wirtschaftssystems ist das kollektive Eigentum an allen Produktionsmitteln. Das bezieht sich sowohl auf den industriellen als auch auf den landwirtschaftlichen und den Handels-bereich. Der Eigentumspolitik kommt somit im ersten Stadium des Übergangs besondere Bedeutung zu.

Auf dieser Basis soll sodann eine durchgehende Wirtschaftsplanung errichtet werden, da die Überwindung des Marktes und seiner als Negativum betrachteten Spontaneität ein Hauptziel ist. Eigentumspolitik und Planwirtschaftsprinzip lassen sich mehr oder weniger zwingend aus den Marxschen Lehren herleiten. Der konkrete Inhalt der Planung — also die Bestimmung des Wirtschaftsprozesses selbst — lehnte sich nach dem Kriege in allen neu in das „sozialistische Lager" einbezogenen Ländern weitgehend an das sowjetische Vorbild an. Ein Schwerpunkt ist die Industrialisierung, wobei der Schwerindustrie besonderes Gewicht beigemessen wird. Als wesentliche Absicht muß auch die Veränderung der Einkommensverteilung bezeichnet werden, wenn auch die ursprüngliche Idee einer gleichheit-liehen Verteilung zumindest für die Phase des Überganges zum Kommunismus einer leistungsbezogenen Verteilung weichen mußte. 3. Eigentumspolitik Den Ausgangspunkt zur Verwirklichung dieser in kurzen Umrissen dargestellten Grundlagen des östlichen Wirtschaftssystems bildete die Übernahme der wesentlichen „KommandoHöhen" der Volkswirtschaft (Lenin). So wurden bereits am 23. Juli 1945 alle Banken des sowjetischen Besatzungsgebietes geschlossen, sämtliche Guthaben beschlagnahmt. An ihrer Stelle wurden staatliche Provinzialbanken neu gegründet, die Eigentum der fünf neuen Länder waren. Den geschlossenen Banken wurde jede Geschäftstätigkeit untersagt.

Ein nächster Schritt wurde seitens der thüringischen Landesregierung unternommen. Im September 1945 wurden alle Bodenschätze des Landes sowie alle zu ihrer Ausbeutung dienenden Einrichtungen in Landeseigentum überführt. Entsprechende Schritte in den anderen Ländern zogen sich bis ins Jahr 1947 hin.

Von sehr viel weiterreichender Bedeutung war der am 30. Oktober 1945 erlassene Befehl Nr. 124 der SMAD, der sog. „Sequesterbefehl". Er ist als die eigentliche Grundlage der Industrieverstaatlichung anzusehen. Er ordnete die Beschlagnahme aller dem Deutschen Reich, dem Land Preußen, der Deutschen Wehrmacht, den verbotenen Organisationen als Eigentum gehörenden Industriebetriebe an. Ferner wurde das Eigentum bestimmter Kategorien von Amtsträgern der NSDAP sowie einer beträchtlichen Anzahl von Personen beschlagnahmt, die in besonderen Listen der SMAD genannt waren. Mit Hilfe dieses Befehls wurde ein erheblicher Teil der gewerblichen Betriebe der SBZ der Verfügungsgewalt seiner früheren Eigentümer entzogen und unter sowjetische Kontrolle gebracht. Damit wurde ein wesentlicher Schritt zur Beseitigung der privatunternehmerischen Wirtschaft getan.

In der gleichen Richtung wirkte eine andere Maßnahme, die zwar vorwiegend der Bekämpfung latenter Inflationsgefahren diente. Um eine Auswirkung des noch vorhandenen Geldüberhanges auf die Preise zu verhindern, wurden schon im Jahre 1945 sämtliche Preise auf dem Niveau des Jahres 1944 festgehalten. Angesichts der stark veränderten Produktivitätsverhältnisse entsprachen diese aber häufig nicht mehr den Kosten. Die Gewinnspannen wurden entsprechend reduziert und die Wiederaufbaumöglichkeiten finanziell beschnitten. Eine bewußte Nebenwirkung dieser Preisstoppanordnung war also die Aushöhlung der Reserven privater Betriebe, denen keine Rückgriffe auf öffentliche Mittel offenstanden („funktionelle Enteignung"). Zu Beginn des Jahres 1946 verschärfte der Befehl Nr. 63 die Preisstoppbestimmungen noch wesentlich.

Das sequestrierte Eigentum wurde teilweise im Juni 1946, wie schon erwähnt, in die Sowjetischen Aktiengesellschaften überführt. Der verbleibende Rest ging zunächst in den Besitz der fünf Länder der SBZ über. Er bildete somit einen Grundstock des späteren Volkseigentums und damit der öffentlichen Industrieverwaltung. Kurz darauf wurden auch von seifen der deutschen Länderverwaltungen Schritte unternommen. Ein Volksentscheid lieferte in Sachsen die Grundlage für weitere Industrieenteignungen. Entsprechende Verordnungen erließen die anderen Länder.

Ähnliche Maßnahmen wurden auch 1947 und zu Beginn des Jahres 1948 getroffen. Eine Reihe direkter eigentumspolitischer Eingriffe betraf die weitere Verstaatlichung von Bodenschätzen und Bergbaubetrieben und die Enteignung von bereits seit 1945 geschlossenen Privatbanken. Es wurden aber auch indirekte, insbesondere preispolitische Hebel verwendet, um die verbliebene Privatwirtschaft weiter zu schwächen. Das gilt vor allem auch für den privaten Handel, gegen den besonders seit Ende 1947 vorgegangen wurde. In diesem Bereich, der unter ideologischen Gesichtspunkten möglichst eingeschränkt werden soll, gipfelte die Entwicklung während der hier betrachteten Zeitspanne schließlich in der Gründung der sogenannten staatlichen HO (= Handelsorganisation) im November 1948. Schon vorher waren Konsumgenossenschaften und ähnliche kollektive Einrichtungen besonders herausgestellt worden.

Die eigentumsrechtliche Stellung der sequestrierten Industriebetriebe war zunächst noch unklar. Nachdem sie Mitte 1946 in die Nut-B zung der Länder gegeben worden waren, wurde ihr Charakter im April 1948 insoweit geklärt, als die in Betracht kommenden Betriebe mit Ausnahme der SAG in Volkseigentum umgewandelt wurden (Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948). Nach Angaben aus der damaligen Industrieverwaltung wurden bis Mitte 1948 insgesamt etwa 9300 gewerbliche Betriebe enteignet. Damit befand sich der überwiegende Teil aller Industrien in öffentlichem Eigentum der Zonenbehörden oder in der Hand der Sowjetunion. Die Grundlage für den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaftsordnung war gelegt, soweit der industrielle Bereich in Betracht kam. Der verbleibende Teil privater Industrie-betriebe war in seiner Bewegungsfreiheit infolge der Abhängigkeit von staatlichen Zulieferern usw. weitgehend eingeschränkt. Vertragliche Bindungen an die Volkseigene Wirtschaft trugen dazu bei, eine marktmäßige Verhaltensweise der Privatbetriebe zu verhindern, wenn sie der Planung zuwiderlief. Ihr Anteil am Bruttoprodukt der Industrie (ohne Bau) betrug im Jahre 1950 noch 22, 1 0/0.

Weitere eigentumspolitische Maßnahmen fanden in der Landwirtschaft statt. Hier folgte man jedoch nicht sofort dem sowjetischen Modell einer Kollektivierung der Betriebe. Vielmehr wurde im Herbst 1945 zunächst von seifen der deutschen Länderverwaltungen eine Bodenreform vorgenommen. Ähnliche Maßnahmen bildeten einen Bestandteil der gesamt-alliierten Kriegsziele; in den westlichen Besatzungszonen hatte man jedoch zu jenem Zeitpunkt weder Schritte eingeleitet noch überhaupt einen konkreten Plan gefaßt.

Die mitteldeutsche Bodenreform erstreckte sich hauptsächlich auf die Güter und Großbauernwirtschaften. Alle landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 100 Hektar Nutzfläche wurden entschädigungslos enteignet. Ferner wurde der Grundbesitz der „Kriegsverbrecher und Hauptschuldigen" sowie der „aktiven Verfechter der Nazipartei und ihrer Gliederungen" den Eigentümern entzogen. Als letztes der fünf Länder ordnete Thüringen am 12. September 1945 die Bodenreform an. Durch diese Maßnahmen wurde etwa ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche erfaßt.

Anders als im industriellen Sektor wurde das enteignete Eigentum jedoch nicht in öffentliche Kontrolle überführt. Es wurde vielmehr zu Siedlungszwecken aufgeteilt und einerseits den sogenannten „Neubauern", das heißt den zahlreichen aus den unter polnische Verwaltung gelangten Ostgebieten zugeströmten Bauern, zugewiesen. Andererseits wurde es zur Vergrößerung von Kleinbesitz verwendet. Somit wurde zwar das Großeigentum zerstört, insgesamt aber die Zahl der Selbständigen auf dem Lande um etwa 200 000 vergrößert. Es lassen sich bei dieser Politik gewisse Ähnlichkeiten mit der Agrarpolitik feststellen, die während der russischen Oktoberrevolution verfolgt wurde und auf eine Befriedigung des Land-hungers der besitzlosen Landbewohner (im ideologischen Sinne auf das Bündnis zwischen Industrieproletariat und Bauernschaft) hinauslief. Argumente dieser Art wurden auch in der mitteldeutschen Bodenreformdiskussion verwendet.

In eigentumsrechtlicher Hinsicht kann man also kaum von einer revolutionären Veränderung der landwirtschaftlichen Verhältnisse sprechen. Die Resultate waren allerdings unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten dennoch von erheblicher Bedeutung, weil ein beträchtlicher Anteil der Landwirtschaft, vor allem im Norden, in Großbetrieben bewirtschaftet wurde. Diese Tatsache dürfte u. a. dazu beigetragen haben, daß eine Reihe von solchen Betrieben auch weiterhin produktionstechnische Einheiten blieben. Sie wurden nicht aufgeteilt, sondern unmittelbar in Staatseigentum, sogenannte Staatsgüter, umgewandelt.

Ansätze zu einer Umwandlung der Agrarpolitik, die mehr dem sowjetischen Modell entspricht, wurden zu jener Zeit auch schon sichtbar. Hier ist vor allem die Gründung der „Vereinigungen der gegenseitigen Bauernhilfe" zu nennen, mi deren Hilfe eine Kooperation in die Wege geleitet werden sollte. Langfristig sollte damit die begonnene Entwicklung wohl auf eine Kollektivierung der Landwirtschaft hinauslaufen. Wie in der UdSSR wurden ferner Ende 1946 Maschinen-Ausleih-Stationen eingerichtet, die später zu den staatlichen Maschinen-Traktoren-Stationen und wichtigen Instrumenten der Agrarpolitik entwickelt wurden.

Weitere Schritte zur systemkonformen Gestaltung der Agrarstruktur kamen erst wesentlich später, als im Jahre 1952 die Kollektivierung der bislang selbständigen Bauernwirtschaften in Gang gesetzt wurde. Ein früherer Versuch blieb ohne Folgen.

Somit befand sich die mitteldeutsche Wirtschaft insgesamt etwa schon um das Jahr 1947 in einer weitreichenden, wenn auch noch nicht in allen Einzelheiten dem sowjetischen Vorbild entsprechenden Umgestaltung. Sie erlaubte es, auch den Produktionsprozeß selbst allmählich in ein Gesamtplanungssystem einzuordnen. Diesem wichtigen Vorgang ist der folgende Abschnitt gewidmet. 4. Aufbau der Wirtschaftsplanung Der Befehl Nr. 9 der SMAD vom 21. Juli 1945 hatte den Betrieben der sowjetischen Besatzungszone die Wiederaufnahme der Produktion auferlegt. Von einer Lenkung der zunächst unverändert privaten Wirtschaft konnte jedoch keine Rede sein, wenn auch schon einige Tage darauf Zentralverwaltungen für die einzelnen Wirtschaftszweige eingerichtet wurden. Aus der Analyse der Demontagepolitik ging hervor, daß die sowjetische Politik noch vorwiegend destruktiven Charakter besaß. Eine sinnvolle Lenkung der Produktion war unter solchen Umständen kaum möglich, vor allem wegen der anhaltenden Entnahmen von Kapazitäten aller Erzeugungsrichtungen. Außerdem fehlte es an einer entsprechenden Organisation. Eine organisatorische Grundlage zur Entwicklung einer Planwirtschaft ergab sich jedoch mit der Beschlagnahme der Industriebetriebe und der später folgenden Übertragung eines Teils von ihnen in die Verfügungsgewalt der deutschen Länderverwaltungen. Mit der Neuorientierung der sowjetischen Deutschlandpolitik und der zunehmenden Einbeziehung des mitteldeutschen Produktionspotentials in die Zwecke der Sowjetwirtschaft verdichteten sich die Beziehungen zum sowjetischen Planungssystem. Die Sowjetischen Aktiengesellschaften — und damit ein erheblicher Teil der Zonenwirtschaft — wurden gleichzeitig immer enger mit den Planzielen verbunden. Eine Sicherung der Planerfüllung nahm an Bedeutung zu. Die Schaffung einer Wirtschaftsplanung und -leitung nach russischem Muster entsprach den Erfordernissen einer rationellen Ausnutzung der Produktionsmöglichkeiten im Dienste der sowjetischen Absichten.

So wurde Ende Dezember 1946 auf Befehl der SMAD zunächst mit der systematischen Erfassung und regelmäßigen Berichterstattung aller Betriebe begonnen, um die notwendigen Planungsunterlagen zu beschaffen. Dabei verfolgte man das Ziel, eine zentralisierte Verwaltung der Wirtschaft herbeizuführen. Im Februar 1947 wurden die ersten Schritte in dieser Richtung unternommen. Zwischen den Ländern wurde vereinbart, die bisherigen Zentralverwaltungen für einzelne Wirtschaftsbereiche zusammenzuschließen und so Zuständigkeiten auf Zonenebene zu schaffen. Für das Jahr 1946 hatten diese Verwaltungen auch schon Quartalswirtschaftspläne entworfen.

Die neue Vereinbarung wurde am 18. April 1947 in Kraft gesetzt. Kurz darauf wurde der Grundstein für die Zentralisierung des gesamten Wirtschaftssystems gelegt, als am 14. Juni 1947 aufgrund eines weiteren SMAD-Befehls aus den zusammengefaßten Länderverwaltungen die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) gebildet wurde. Sie wurde zum Kristallisationskern auch der späteren politischen Entwicklungen, die sich gegen Ende des hier betrachteten Zeitraums ergaben. Es ist bemerkenswert, daß hier eine ähnliche Entwicklung vor sich ging, wie sie etwa zur gleichen Zeit in den Westzonen stattfand.

Die Deutsche Wirtschaftskommission hielt am 27. Juni 1947 ihre erste Sitzung ab, blieb jedoch zunächst noch ziemlich bedeutungslos.

Erst nahezu ein Jahr später, im April 1948, wurde sie neu organisiert und mit weitergehenden Vollmachten ausgestattet. Sie gliederte sich in 17 Hauptverwaltungen für die einzelnen Wirtschaftssektoren und wurde kurz darauf Spitze der inzwischen in Volkseigentum überführten Industrie. Von den zu jenem Zeitpunkt etwa 2800 VEB (Volkseigenen Betrieben), die von den Ländern verwaltet wurden, unterstellte man 1800 mit zusammen rund 80 °/o aller VEB-Beschäftigten der DWK. Damit konnte sie unmittelbar auf den größten Teil der unter deutscher Leitung arbeitenden Betriebe einwirken. Die Basis für eine umfassende Planung und Koordination der Wirtschaft war somit gegeben.

Ein entsprechender Beschluß wurde wenige Wochen später gefaßt. Für die Jahre 1949 und 1950 sollte ein erster längerfristiger Wirtschaftsplan aufgestellt werden. Am 21. Juni 1948 wurde der Planentwurf angenommen, nachdem schon ein Halbjahresplan für die zweite Hälfte 1948 entwickelt worden war. An den Zweijahresplan schlossen sich ab 1951 nach sowjetischem Vorbild, das inzwischen in allen Ländern des Ostens befolgt wurde, Fünfjahrespläne an. Dieser Beschluß vollendete im wesentlichen den Prozeß der allmählichen Errichtung eines Wirtschaftssystems sowjetischen Typs, der mit zunehmender Konsequenz unter dem Einfluß der russischen Deutschland-politik seit etwa 1946 in Gang gesetzt worden war.

Ohne daß hier die Frage nach der eigentlichen Verursachung dieses Prozesses der wachsenden Trennung des östlichen und westlichen Teils Deutschlands nachgegangen werden soll, kann zunächst festgehalten werden, daß entgegen den Annahmen der alliierten Deutschland-konferenzen während und nach dem Kriege der deutsche Wirtschaftsraum nicht eine Einheit geblieben war. Vielmehr hatten sich die beiden Teile so verändert, daß zwei in ihren Grundprinzipien vollkommen unterschiedliche Wirtschaftssysteme entstanden waren. Die etwa zur Zeit der Annahme des ersten Zweijahresplanes durch die DWK von den Westmächten vorgenommene separate Währungsreform dürfte im wesentlichen nur eine Bestätigung dieser Entwicklung gewesen sein, weniger die Ursache. 5. Grundprobleme der mitteldeutschen Planwirtschaft Nach der Bereinigung der Währungsverhältnisse auch in Mitteldeutschland, wo vom 24. bis zum 28. Juni 1948 eine neue Währung eingeführt wurde, ergaben sich die Aufgaben für die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus hauptsächlich aus der engen Verflechtung mit dem Ostblock. Im Vordergrund der Neuausrichtung standen vor allem die durch die vorangegangene Zeit stark in Mitleidenschaft gezogenen Zweige der Produktionsmittel-und Grundstoffindustrien. In den langfristigen Wirtschaftsplänen der folgenden Jahre trat aber besonders nachhaltig hervor, daß die Trennung Mitteldeutschlands aus dem ehemals einheitlichen und untereinander eng verflochtenen Wirtschaftsraum des Deutschen Reiches eine Reihe schwerwiegender Strukturprobleme aufgeworfen hatte. Durch den in relativ engen Grenzen gehaltenen Interzonenhandel konnten diese nicht gelöst werden. Einen Eindruck von der teilweise recht ungünstigen Struktur bieten die nachfolgenden Ziffern. Die Erzeugung der SBZ, bezogen auf die jeweiligen Ziffern für das Deutsche Reich, betrug bei Kriegsende für Steinkohle 2, 3 °/o, Roheisen 1, 3 °/o, Rohstahl 6, 6 °/o, Schwefelsäure 20, 0 °/o, Schnittholz 22, 1 °/o, Zellstoff 17, 1 °/o, Zement 14, 4 °/o. Eine in den Jahren vor dem Krieg begonnene strategisch bedingte Verschiebung der industriellen Kapazitäten in den mitteldeutschen Raum konnte die Abhängigkeit von Zulieferungen auf vielen Sektoren nicht aufheben. Die zunehmend von ihren alten Lieferbeziehungen gelöste Zonenwirtschaft war also von zahlreichen ausgesprochenen Engpässen bedroht.

Die Wirtschaftspolitik — unter dem Einfluß des sowjetischen Modells nunmehr ohnehin stark auf das Ziel „Industrialisierung" ausgerichtet, das eine besondere Rolle in der Ideologie des Sozialismus zu spielen hat — entschied sich für eine Konzentration der Mittel auf die Schaffung einer eigenen Grundstoffindustrie. Die Konsumgüterindustrie wurde vernachlässigt, obwohl auch sie stark geschädigt worden war.

Insbesondere wurde der Aufbau einer eigenen Hüttenindustrie zur vordringlichen Aufgabe gemacht. Die Struktur der Produktionsmittel-industrien wurde weitgehend auf die Bedürfnisse der UdSSR ausgerichtet. Einzelne Zweige waren ausschließlich auf den Export nach Ruß-land eingestellt, z. B.der Schiffsbau, bestimmte schwere Werkzeugmaschinen usw. Die Beschränkungen des Potsdamer Abkommens hatten offensichtlich keine Bedeutung mehr.

Das sich aus diesen Hauptaufgaben ergebende Zentralproblem war vor allem angesichts eines in Aussicht genommenen schnellen Tempos der Re-und Weiterindustrialisierung die Kapitalbildung. Mit Hilfe der zentralgelenkten Allokation der verfügbaren Ressourcen konnte dieses Problem unverzüglich in Angriff genommen werden. Insbesondere wird eine straffe zentrale Zuweisung der Investitionsmittel vorgenommen, die eine unbestreitbare Stärke der Planwirtschaft ist. Daß dabei der Lebensstandard der Bevölkerung außerordentlich gedrosselt wurde und eine bedarfsgerechte Produktion von Konsumgütern als untergeordnete Aufgabe angesehen wurde, ist bekannt. Als wesentliches Merkmal der mitteldeutschen Planwirtschaft am Beginn der Fünfjahresplan-Ära ist diese Behandlung des Konsums als Restgröße der Planung sowohl in makroökonomischer als auch in mikroökonomischer Hinsicht zu betonen. Zur Aufbringung der erforderlichen Mittel bediente man sich seit Gründung der HO in großem Umfang einer Kaufkraftabschöpfung über die Preise der Konsumgüter bei gleichzeitiger starker Differenzierung der einzelnen Preise. Dabei wurden Güter, die nicht zur Befriedigung der Grundbedürfnisse dienten, mit sehr hohen Abscböpfungssätzen belegt. 6. Zusammenfassung überblickt man die Entwicklung Mitteldeutschlands zwischen 1945 und 1949, so heben sich die Konturen des neuen Wirtschaftssystems unter dem Einfluß einer veränderten sowjetischen Deutschlandpolitik sowie des in der Ber43 liner Blockade (24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949) zu einem Höhepunkt gelangten Kalten Krieges zwischen Ost und West zunehmend klarer hervor.

Weitgehende Überführung der Produktionsmittel in staatliches bzw. Volkseigentum, Vorbereitung einer neuen Agrarpolitik und Durchsetzung des Prinzips einer zentralgelenkten Wirtschaftsplanung sind seine Hauptelemente. Die enge Anlehnung an die Sowjetunion fand gegen Ende der hier untersuchten Periode einen sichtbaren Ausdruck in der Aufnahme der DDR in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (September 1950 vollzogen).

Vordringliche Industrialisierung unter Betonung sowjetischer Bedürfnisse, Schaffung einer eigenen Grundstoffindustrie und Kapitalbildung auf Kosten des Konsums der Bevölkerung bei eher ansteigender Einkommensdifferenzierung sind die charakteristischen Merkmale der Planung. Auch hierin trat das sowjetische Modell, dessen Rezeption inzwischen als vollkommen bezeichnet werden konnte (mit Ausnahme der Kollektivierung der Landwirtschaft), deutlich hervor.

Die Übernahme dieses Modells wird im Osten als eine revolutionäre Veränderung angesehen, die einer zwingenden Entwicklungsgesetzlichkeit entsprang. In der politischen Verwirklichung bezieht man sich dabei auf Lehre und Praxis Lenins, insbesondere auf die führende Rolle der kommunistischen Partei. Im übrigen weist das Vorgehen eine weitgehende Ähnlichkeit mit den taktischen Umwegen Lenins nach dem Ende des Kriegskommunismus auf; auf die Gegebenheiten Mitteldeutschlands wurde Rücksicht genommen. Darauf ist z. B. die zögernde Behandlung der Kollektivierung während jener Anfangsphase zurückzuführen. Ähnliche Ursachen hat die nicht vollständige Überführung des privaten Produktionsmittel-eigentums in Volkseigentum.

IV. Wirtschaftsentwicklung im westlichen Deutschland

1. Hatte der Westen ein einheitliches Konzept? Die Analyse der wirtschaftspolitischen Entwicklung im östlichen Teil Deutschlands hat gezeigt, daß sich die Grundlinien ziemlich klar erfassen lassen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verwirklichung eines neuen Wirtschaftssystems nach sowjetischem Vorbild das Ziel der UdSSR in Deutschland war, mindestens seitdem die erste Nachkriegsphase verstrichen war. Die in der SBZ ergriffenen Maßnahmen entsprechen somit weitgehend dem theoretischen Modell und daraus abgeleiteten Erwartungen. Sie sind in diesem Sinne zielkonform und aus einem vorgestellten Ergebnis ableitbar.

Demgegenüber läßt sich für den Westen Ähnliches nicht feststellen. Es ist wesentlich schwieriger, plausible Grundrichtungen der Entwicklung aufzuzeigen, zumal der einen bestimmenden Macht im Osten hier drei gegenüberstanden, von denen Frankreich sich ohnehin nicht voll an die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz gebunden fühlte, obwohl es am 4. August 1945 dem Abkommen beigetreten war. Ein gemeinschaftliches oder auch nur individuelles Gesamtkonzept für die Behandlung Deutschlands, das dem sowjetischen vergleichbar wäre, gab es deshalb nicht.

Es wurde bereits dargelegt, daß auch die westalliierte Politik zunächst eindeutig destruktiv auf die Zerschlagung der wirtschaftlichen Kapazität Deutschlands und auf seine Desindustrialisierung gerichtet war — bei gleichzeitiger Niedrighaltung des Lebensstandards unter dem Niveau von 1936. Hinsichtlich der allgemeinen politischen Stellung eines solchen Nachkriegsdeutschlands war man von der Vorstellung ausgegangen, daß diese in gemeinsamer Arbeit mit der Sowjetunion entschieden werden könne.

Im Jahre 1946 machte die beginnende Trennung Deutschlands die Irrealität dieser Auffassung zunehmend deutlich. Es erwies sich, daß offenbar auf der östlichen Seite ein abweichendes Konzept verfolgt wurde, dem von westlicher Seite vorerst nichts entgegengesetzt werden konnte. Ausgangspunkt der westlichen Maßnahmen ist daher die Erkenntnis, daß die eigenen Vorstellungen einer Kooperation aller Siegermächte nicht mehr zutreffend waren. Sie bilden insofern zunächst lediglich einen Reflex auf die sowjetischen Handlungen, ohne daß bereits eigene Zielalternativen erkennbar gewesen wären. Es ist dabei eben auch zu bedenken, daß gemeinsame Grundlage einer Neuorientierung im Westen nur eine Abwehrstellung gegenüber dem Osten war. Eine Einheitlichkeit der Auffassungen über die wirtschaftspolitische Behandlung Deutschlands unter den veränderten Umständen bestand aber nicht. Die drei westlichen Besatzungszonen waren weiterhin mehr oder weniger scharf voneinander getrennt.

Von einer systematischen Verwirklichung eines wirtschaftspolitischen Modells, dessen analytische Grundzüge sich genau umreißen lassen, kann deshalb in bezug auf die Entwicklung im Westen nicht gesprochen werden. Die eingeschlagenen Maßnahmen muß man eher nur als Reaktion auf die Probleme auffassen, die um die Mitte des Jahres 1946 auftauchten. Es ist aber zu betonen, daß rückschauend betrachtet eine sehr enge Verbindung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit dem allmählich sich kristallisierenden Konzept einer Wiedereingliederung des westlichen Teils Deutschlands in das westliche System souveräner Staaten besteht. Die im Vergleich zur Entwicklung in der SBZ langsamere Behandlung der Reparations-und Demontagefragen z. B. ist auf solche Zusammenhänge zurückzuführen. In bezug auf die Wirtschaftsordnung — Markt-oder Planwirtschaft —, die in Deutschland zu verwirklichen wäre, bestanden auf alliierter Seite offenbar keine bestimmten Vorstellungen. Angesichts der zerrütteten wirtschaftlichen Zustände war man aber wohl der Ansicht, daß eine administrative Ordnung unvermeidlich sei, jedenfalls bis zu einer durchgreifenden Verbesserung der Lage.

Zwei Grundlinien lassen sich herausheben. Sie betreffen einmal die alliierte Politik, die durch die Schlagworte „Reparations-und Demontagepolitik" sowie „Europäisches Wiederaufbau-Programm" zu kennzeichnen ist. Auf der anderen Seite lassen sich deutsche Einflüsse auf die Gestaltung des Wirtschaftssystems untersuchen, das mit dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft" umschrieben wurde. 2. Ansätze einer Wiederbelebung in den Westzonen Wie erwähnt, hatte General Clay als amerikanischer Militärgouverneur im Mai 1946 die Reparationslieferungen aus dem Westen an die UdSSR gestoppt, weil entgegen den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens von einer Einheitlichkeit der deutschen Wirtschaft unter dem Einfluß der sowjetischen Politik nicht mehr gesprochen werden könne. Dabei bezog er sich insbesondere darauf, daß die erwarteten Lieferungen von Industriegütern und Nahrungsmitteln für den Westen seitens der Ostzone nicht ausgeführt würden. Das im Potsdamer Abkommen und dem Plan zur Begrenzung der deutschen Industrie vorgesehene Prinzip einer Selbsterhaltung Deutschlands war jedoch davon ausgegangen, daß ein solcher Ausgleich zwischen den unterschiedlich strukturierten Regionen Deutschlands stattfinden würde. Bedeutende Zweige z. B.der Maschinenbauindustrie hatten ja ihren Sitz in Sachsen und lieferten traditionell im innerdeutschen Austausch an den schwerindustriellen Westen.

Das Ausbleiben dieser vorgesehenen Lieferungen veränderte die Lage. Für den westlichen Teil ergab sich die Aufgabe, eine Lösung herbeizuführen. Die ersten Schritte dazu bezweckten eine Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit zwischen der britischen, stark industrialisierten Zone und dem amerikanischen Besatzungsgebiet, das weitgehend auf Lieferungen aus dem Ruhrgebiet angewiesen war.

Aufgrund von Verhandlungen zwischen den Amerikanern und den Engländern wurde die Verbindung der beiden Besatzungszonen vereinbart. Ein entsprechender Plan wurde von General Clay am 5. September 1946 angekündigt. Am folgenden Tage hielt der amerikanische Außenminister Byrnes seine berühmt gewordene Rede in Stuttgart, die einen gewissen Wandel in der allgemeinen Einstellung zur Deutschlandfrage erkennen ließ; sie war Ausdruck der wachsenden Gegensätze zwischen Ost und West auf den verschiedensten Gebieten. Das Ergebnis der gemeinsamen Überlegungen und Verhandlungen war das Abkommen über die Schaffung eines Vereinigten Wirtschaftsgebietes zwischen den USA und Großbritannien. Am 2. Dezember 1946 wurde es von den Außenministern beider Länder, Byrnes und Bevin, in London unterzeichnet. Es trat mit Wirkung vom 1. Januar 1947 in Kraft. Damit war ein erster Schritt zur Wiederbelebung der westdeutschen Wirtschaft unter Berücksichtigung der inzwischen entstandenen Lage getan. Seine Auswirkungen auf den Produktionsstand blieben jedoch noch relativ gering. Infolge der schlechten Ernährungslage war die Arbeitsproduktivität äußerst gering, und es fehlte weitgehend an Anreizen für eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungen auch auf Seiten der Unternehmungen.

Im Mai des gleichen Jahres trafen die Alliierten auch Anstalten, eine deutsche Zentralverwaltung wiederzubeleben. Zu diesem Zweck wurde —• übrigens etwa zur gleichen Zeit wie in der SBZ die Deutsche Wirtschaftskommission — ein Zweizonen-Wirtschaftsrat ins Leben gerufen, der sich aus von den Westmächten ernannten deutschen Mitgliedern zusammensetzte. 3. Das neue Europa-Konzept der USA Inzwischen hatte sich die Entwicklung zwischen der Sowjetunion und dem Westen weiter zugespitzt; das war auf mehreren Außen-ministerkonferenzen jener Jahre in verschiedener Hinsicht deutlich geworden. In bezug auf Deutschland stand die von Rußland betonte Forderung nach Reparationen in Höhe von 10 Mrd. Dollar allein an den Osten im Vordergrund, die vom Westen abgelehnt wurde. Nach dessen Auffassung sollte die Höhe der Reparationsleistungen sich ja aus der notwendigen Kapazität der deutschen Industrie im Vergleich zur vorhandenen ergeben.

Die darüber hinaus sich abzeichnenden politischen Vorstellungen der UdSSR in Europa führten im Frühjahr 1947 zur Entwicklung eines neuen Europa-Konzepts der USA. Es wurde zum ersten Mal Anfang Mai 1947 öffentlich erwähnt (Rede Achesons in Cleveland). Mit der Rede des amerikanischen Außenministers Marshall am 5. Juni 1947 in der Harvard University wurde die neue Phase dann offiziell eingeleitet. Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wurde sie von ausschlaggebender Bedeutung. Die deutsche Wirtschaft sollte nunmehr ihren „unerläßlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Rehabilitierung Europas als Ganzem" leisten. Wahrscheinlich hatte man zu dieser Zeit auch erkannt, daß sich die traditionelle Verflechtung der deutschen mit der europäischen Industrie nicht auf politischem Wege ohne nachteilige Folgen für die anderen Länder würde beseitigen lassen.

Für die Erfüllung dieses Konzepts bestanden aber nach wie vor schwerwiegende Hindernisse. Im Mittelpunkt stand dabei der nach wie vor gültige Industrieplan vom März 1946. Im Hinblick auf das anlaufende europäische Hilfsprogramm der USA trennte sich daher die westliche Wirtschaftspolitik nunmehr von dieser als Ausführung des Potsdamer Abkommens geschaffenen Grundlage. Aufgrund einer Direktive der Joint Chiefs of Staff vom Juli 1947 wurde ein revidierter Industrieplan entworfen, der am 26. August 1947 für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet verkündet wurde. Bei prinzipiell gleichen Zielen, wie sie der alte Plan enthalten hatte, wurde faktisch eine eigenständige westliche Industriepolitik verfolgt. Formell wurde allerdings die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Besatzungsmächten (für die französische Zone galt der neue Plan ebensowenig wie für die sowjetische) auf der Grundlage der Zielsetzungen des Potsdamer Abkommens betont. Jedoch lehnte die Sowjetunion eine Beteiligung ab.

Die Revision des Industrieplanes ging davon aus, daß nur eine Erhöhung der Industrieproduktion Deutschland in die Lage versetzen könne, sich selbst auf dem angestrebten mittleren europäischen Lebensstandard zu halten. Insbesondere sollten die verstärkt notwendigen Nahrungsmitteleinfuhren durch industrielle Exporte bezahlt werden können. Dies hatte sich immer mehr als ein Grundproblem eines erfolgreichen Wiederbelebungsprogramms erwiesen. Infolge der aus Qualitäts-und anderen Gründen mangelhaften Industrieexporte mußten in größerem Umfange Rohstoffe ausgeführt werden, um ein Mindestmaß an erforderlichen Devisen erlangen zu können. Ein erheblicher Teil der Nahrungsmittelimporte mußte — trotz äußerst gedrosseltem Versorgungsniveau — jedoch durch amerikanische, z. T. auch britische und französische Hilfsmaßnahmen im Rahmen des GARIOA-(Government Aid and Relief in Occupied Areas) und ähnlicher Programme finanziert werden.

Das neue Konzept ging von einem auf etwa 70— 75 °/o des Standes von 1938 erhöhten (gegen vorher 55 °/o) Niveau der Industrieproduktion aus. Das entsprach ungefähr dem Stand im Jahre 1936. Allerdings war das Pro-Kopf-Einkommen wegen der gestiegenen Einwohnerzahl Westdeutschlands geringer vorausgesehen. Es kam nur auf etwa 75 °/o des Standes von 1936. Wesentlich erhöht wurde vor allem die Erzeugung der Stahlindustrie, deren Produktionsumfang nahezu verdoppelt wurde (von 5, 8 Mill. Jahr/t Ausstoß im Plan von 1946 auf nunmehr 10, 7 Mill. Jahr/t). Grundsätzlich blieb es jedoch bei einer Verbotsliste für eine Reihe von Erzeugnissen bzw. Industriezweigen und einer Demontage der überschüssigen Anlagen.

Infolge der Erhöhung der verbleibenden Kapazitäten verminderte sich das für Demontage-Zwecke verfügbare Anlagenvolumen. Daher wurde am 17. Oktober 1947 eine revidierte Liste aller in der Bi-Zone zu demontierenden Betriebe veröffentlicht. Sie umfaßte insgesamt fast 700 Betriebe verschiedener Art. Darunter befanden sich nur 309 ausdrücklich als ü-stungsbetriebe gekennzeichnete Werke. In der französischen Zone waren zur gleichen Zeit 236 Betriebe, davon 37 Rüstungswerke, zum Abbau vorgesehen. Das Demontage-Problem blieb daher auch weiter von großer wirtschaftlicher, vor allem aber psychologischer Bedeutung. Es drohte zudem, den Beschäftigungsumfang der durch die Zugänge aus dem Osten gewachsenen Bevölkerung zu beeinträchtigen und lieferte innenpolitischen Zündstoff.

Auch der revidierte Industrieplan war wie sein Vorgänger in sich nur mangelhaft abgestimmt. Er wies insbesondere bei der Produktionsmittelherstellung erhebliche Engpässe auf; die Kapazität der Grundstufen war teilweise viel zu gering. Doch war diese Tatsache zunächst von weniger großer Bedeutung. Vielfach waren die bestehenden Kapazitäten ja bei weitem nicht ausgenutzt, weil es vor allem an Kohle fehlte. Die Erreichung und Sicherung des angestrebten Lebensstandards war längerfristig gesehen aber kaum realisierbar.

Immerhin zeichnete sich in Verbindung mit dem anlaufenden Marshall-Plan, der inzwischen (am 22. September 1947) von den westeuropäischen Ländern gebilligt worden war, die Chance für die Wiederingangsetzung der westdeutschen Wirtschaft ab. Die Verwirklichung dieser Möglichkeit hing jedoch weitgehend von einer Steigerung der Leistungsfähigkeit und vor allem von einer Überwindung des Engpasses in der Energieversorgung, insbesondere der Kohlenförderung, ab. Beides wiederum war großenteils eine Folge unzureichender Ernährung und ceteris paribus ohne Gewaltmaßnahmen unlösbar.

Die Durchbrechung des sich hier abzeichnenden circulus vitiosus läßt sich somit als das Hauptproblem der westdeutschen Wirtschaft gegen Endes des Jahres 1947 ansehen. Bei seiner Überwindung, für die die amerikanische Auslandshilfe einen grundlegenden Beitrag leistete, konnte sich auch deutscher Einfluß stärker geltend machen. Für die weitere Herausbildung des Wirtschaftssystems Westdeutschlands wurden im Frühjahr 1948 die Weichen gestellt. Der Marshall-Plan war am 3. April 1948 in Kraft getreten. Für die Westzonen lief er im Juli 1948 an. Da nunmehr auch die Finanzierung der Einfuhren von Rohstoffen und dringend benötigten industriellen Ausrüstungen wesentlich erleichtert wurde, waren die Möglichkeiten einer Wiedereinsetzung der Produktion im Sinne des European Recovery Program (ERP) vergrößert. Die Neuordnung der Geldverhältnisse gab den Anstoß dazu. 4. Stabilisierung und Wiederaufbau Trotz der schon Ende Juni 1947 vollzogenen Gründung einer Zweizonen-Wirtschaftsverwaltung muß man feststellen, daß erst im Frühjahr 1948 Ansätze zu einer Rückverlagerung wirtschaftspolitischer Entscheidungen auf deutsche Instanzen in größerem Maße bemerkbar wurden. Dazu wurde der Zweizonen-Wirtschaftsrat reformiert und zu einer deutschen Zentralinstanz ausgebaut. Die Währungsneuordnung vom 20. Juni 1948 schuf — großenteils von den Amerikanern entworfen — die Grundlagen für eine Stabilisierung und die Einleitung der Wiederaufbauphase. Sie bot aber der deutschen Verwaltung auch die Möglichkeit, den weiteren Gang der wirtschaftlichen Entwicklung nachhaltig zu beeinflussen. Die nachfolgende Zeit bis zum Ende des hier betrachteten Zeitraums ist daher durch ein Nebeneinander maßgeblicher Einflußfaktoren gekennzeichnet. Sie waren teilweise durch deutsche, teilweise nach wie vor durch alliierte Entscheidungen bestimmt.

Die Währungsneuordnung beseitigte vor allem die Gefahr, die einer wiederanlaufenden Produktion von selten der angesammelten Geldbeträge drohte. Ferner war sie geeignet, eine neue Leistungsbereitschaft zu erwecken, von der ein Wiederaufstieg hauptsächlich abhängig sein würde. Bislang hatten sich sowohl Unternehmungen als auch die Bevölkerung einer Situation gegenüber gesehen, in der das Geld infolge des aus der Vorkriegszeit (1936) übernommenen Preisstopps und des dadurch entstandenen Mißverhältnisses zwischen Geldvolumen und Güterangebot seine eigentlichen ökonomischen Funktionen weitgehend verloren hatte. Insbesondere gingen vom Gelderwerb kaum Leistungsanreize aus, da wenig Verwendungsmöglichkeiten für Geldeinkommen bestanden.

Zwar konnte man die Auswirkungen der Reform in dieser Hinsicht nicht exakt voraussagen. Infolge der physischen Lage der Bevölkerung und des nur teilweise funktionierenden Produktionsapparates waren ja die Leistungsbereitschaft und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begrenzt und das Güterangebot noch gering. Immerhin war damit zu rechnen, daß wenigstens die theoretischen Erfordernisse für eine Wiederherstellung einer funktionsfähigen Wirtschaft erfüllt würden. Hinsichtlich des sehr scharfen Umstellungsverhältnisses von nur 100 : 6, 5, das wahrscheinlich aus Vorsichtsgründen gewählt wor47 den war, ist der alliierte Anteil hervorzuheben. Es wäre wohl von deutscher Seite kaum durchsetzbar gewesen, da z. B. auch Geldvermögen wie Bargeld zu Umsatzzwecken behandelt wurde.

Die Stagnation der deutschen Wirtschaft wurde durch die Währungsreform in einem überraschenden Ausmaß überwunden. Trotz der erwartungsgemäß einsetzenden Konsumgüter-nachfrage gelang es, die Relation zwischen Angebot und Nachfrage einigermaßen zu kontrollieren. Die befürchtete erneute Inflation blieb trotz teilweise beträchtlicher Preissteigerungen im Jahre 1948 aus. Der angelaufene Expansionsprozeß drohte aber an strukturellen Schwierigkeiten zu scheitern, die auch durch die amerikanische Hilfe nicht beseitigt werden konnten. Von besonderem Gewicht blieb daher weiterhin die Frage, in welchem Maß die Demontagezielsetzungen trotz der veränderten Gesamtlage verwirklicht werden sollten. Der Abbau von Industrieanlagen ging nämlich inzwischen auf der Basis des revidierten Industrieplans und der Demontageliste vom Oktober 1947 weiter und bedrohte die Erreichung der Ziele des Europäischen Wiederaufbau-Programms.

Die Wirtschaftspolitik der deutschen Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes hatte sich vordringlich auf eine Lösung der hierdurch aufgeworfenen Probleme zu richten. Sie hatte dabei u. a. auch die beschäftigungspolitischen Auswirkungen der Ausschaltung strukturell wichtiger industrieller Kapazitäten zu bedenken, die sich insbesondere für die Überwindung der Arbeitslosigkeit von weit mehr als einer Million Personen sehr nachteilig auswirkte. Arbeitsbeschaffung mußte ein vorrangiges Ziel sein, weil die große Zahl zugeströmter Vertriebener eingegliedert werden mußte. In wiederholten Vorstellungen gegenüber der Marshall-Plan-Administration und den westlichen Alliierten, vor allem den USA, bemühte sich die deutsche Wirtschaftspolitik um die Beendigung des Industrie-Abbaus und die Erhaltung der bedrohten Arbeitsplätze. Jedoch zeigte sich hierbei die außerordentlich enge Verzahnung zwischen der innerdeutschen Wirtschaftsentwicklung und der außen-politischen Gestaltung in Westeuropa. Obwohl sich in den USA die Stimmen gegen die Fortführung der Demontagen mehrten, gelang es der amerikanischen Regierung nur langsam, ihre Auffassung gegenüber den Regierungen Frankreichs und Englands durchzusetzen. Ferner trug die vorgesehene Aufteilung der demontierten Anlagen auf insgesamt 16 Entschädigungsempfängerländer zu einer Komplizierung der Lage bei, der sich die UdSSR auf der anderen Seite nicht ausgesetzt sah.

Zwar war inzwischen klar, daß ganz Westeuropa durch ein Zurückbleiben Deutschlands bei der Erfüllung der ERP-Ziele geschädigt werden würde. Die Reparationsgesichtspunkte in der Demontage-Frage verloren infolgedessen an Gewicht. Dagegen erwiesen sich Aspekte der europäischen Sicherheit immer wieder als Faktoren, welche die Wandlungen der Einstellung in Frankreich und auch in England behinderten. Außerdem läßt sich nicht übersehen, daß Wettbewerbsgründe eine Rolle spielten.

Deshalb konnte erst im April 1949 ein weiterer Fortschritt auf diesem wichtigen Gebiet erzielt werden. Eine größere Zahl von Betrieben wurde von der Demontageliste gestrichen (159 Betriebe mit ca. 10% des Gesamtwertes der Demontagen in der britischen Zone). Erleichterungen wurden auch hinsichtlich der Liste verbotener und eingeschränkter Industriezweige gewährt (Schiffsbau, Werkzeugmaschinen-und NE-Metallindustrien). Allerdings waren vor allem im Stahlsektor nach wie vor Kapazitätsverringerungen vorgesehen, die im Widerspruch zum Wiederaufbauprogramm standen.

Die Demontagen wurden aber auf der nunmehr verringerten Basis Mitte 1949 wieder ausgenommen. Das führte zu schwerwiegenden psychologischen Belastungen der deutschen Bevölkerung kurz vor der ersten Bundestagswahl. Sie schlugen sich auch in der Tätigkeit der neuen Bundesregierung nieder, die im September 1949 die bisherige deutsche Wirtschaftsverwaltung abgelöst hatte und nunmehr für alle drei Besatzungszonen zuständig war. Bereits kurz nach ihrer Einsetzung gab sie eine Demontage-Erklärung im Bundestag ab. Einer ihrer ersten größeren Erfolge war das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949. Es brachte einen wesentlichen Durchbruch in der Demontage-Frage.

Um die bestehenden Befürchtungen in bezug auf mögliche deutsche Aggressionen zu zerstreuen, trat die Bundesrepublik der internationalen Ruhrbehörde bei. Zur Kontrolle der Ruhrindustrie war diese Institution im Jahre 1948 von den sechs Ländern USA, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Belgien und Luxemburg errichtet worden. Hier zeichnete sich der weitere Weg der westdeutschen Wirtschaft klar ab. Die enge Verknüpfung von Demontage-, Reparations-und Sicherheitsfragen führte dazu, daß eine Freigabe der Industrieerzeugung von quantitativen und qualitativen Begrenzungen in wesentlichen Bereichen nur über inter-bzw. supranationale Einrichtungen wie die Ruhrbehörde zu erreichen war, von denen eine gewisse Kontrolle ausgeübt werden konnte. Deutschland erlangte durch seinen Beitritt immerhin eine Einwirkungsmöglichkeit in einer alliierten Behörde, aus der sich später mehr oder weniger folgerichtig die Montanunion entwickelte.

Die endgültige Einstellung der Demontagen zog sich allerdings noch bis Anfang 1951 hin. Auch die Aufhebung von Produktionsbeschränkungen ging nur schrittweise vor sich; so fiel das Schiffbauverbot erst im April 1951, andere noch später. Trotzdem wurden die Produktionsziele des Marshall-Planes für 1952 schon erheblich früher erfüllt. Die Hauptzielsetzung der deutschen Wirtschaftspolitik, die Überwindung der vielen Hemmnisse und Beschränkungen, konnte als gelungen bezeichnet werden. Ihr Preis war die Verbindung der Bundesrepublik mit dem Westen und die teilweise Übertragung eigener Befugnisse auf internationale Institutionen. 5. Marktwirtschaftliches System Anders als die Währungsreform in der Sowjetischen Besatzungszone, die wenige Tage nach der westdeutschen vorgenommen wurde, hatte diese eine wesentlich größere Bedeutung für die Wiederbelebung. Im Osten legte ja bereits die Wirtschaftsplanung Produktionsziele und Produktionsstruktur für die Betriebe weitgehend fest. Für den Westen wurde entscheidend wichtig, daß zugleich mit der Währungsreform die grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Wiederherstellung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft getroffen wurde. Erst mit diesem Schritt wurde der Aufbau eines bestimmten Wirtschaftssystems eingeleitet. Auf verschiedenen anderen Gebieten läßt sich eine weitgehende zeitliche wie sachliche Entsprechung der Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands feststellen. In dieser Hinsicht hinkte der Westen eindeutig nach, zumal von Seiten der Besatzungsmächte keine einheitliche Linie verfolgt wurde. In der französischen Zone blieb es bei einer schärferen Bewirtschaftung.

Die Frage, nach welchen Prinzipien die westdeutsche Wirtschaft künftig organisiert werden sollte, war bis zu diesem Zeitpunkt verhältnismäßig wenig aktuell gewesen. Eine administrative Verteilung der geringen Produktion war aus der Kriegszeit überkommen. Sie war auch aus wirtschaftlichen Gründen zwingend gewesen, solange das Mißverhältnis zwischen verfügbarer Geldmenge und Güterangebot bei gestoppten (Vorkriegs-) Preisen so groß blieb. Die Begleiterscheinungen in Form schwarzer Märkte waren allerdings nicht zu übersehen.

Trotz dieser Zwangslage hatte sich in der deutschen Öffentlichkeit schon bald nach Kriegsende eine eingehende Debatte über derartige Probleme ergeben. Dabei war eine starke Strömung zugunsten einer umfassenden Sozialisierung der Produktionsmittel und für eine Bodenreform aufgetreten. Sie bildete auch in den folgenden Jahren einen wichtigen Gegenstand der innenpolitischen Auseinandersetzung in Deutschland. Sozialisierungsforderungen kristallisierten sich insbesondere bei den Links-parteien SPD und KPD, blieben aber nicht auf diese beschränkt. Eine Verstaatlichung der wesentlichen Zweige der deutschen Industrie sollte die Grundlage für eine umfassende Wirtschaftsplanung bilden. Die Planwirtschaft war ja eine der traditionellen Zielsetzungen auch der SPD, für die man nun Verwirklichungschancen sah. Die Notwendigkeit einer Bewirtschaftung schien diese Auffassung zu stützen. Insbesondere in der britischen Besatzungszone, die ohnehin den wesentlichen Teil der deutschen Schwerindustrien umfaßte und daher für eine Sozialisierung den Hauptbereich bildete, wurden solche Bestrebungen auch durch die englische Besatzungsmacht und die Verbindungen der Sozialdemokratie zur regierenden Labour-Party gefördert. In England war zu jener Zeit bekanntlich das Konzept des Wohlfahrtsstaates mit einer weitgehenden staatlichen Lenkung der Wirtschaft entwickelt und großenteils auch in die wirtschaftspolitische Praxis umgesetzt worden. Die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige spielte dort eine zentrale Rolle. Offenbar glaubte man in der Labour-Party, ähnlich wie ja auch in der Sowjetunion, daß Deutschland beim weiteren Fortgang eines weltweiten Sozialismus eine Schlüsselposition zufallen könne.

Auf der anderen Seite glaubten die amerikanischen Behörden wohl eher aus pragmatischen Gründen an die Notwendigkeit fortdauernder zentraler Bewirtschaftung, wenigstens bis zu einer Wiederherstellung des angestrebten Lebenshaltungsniveaus mit entsprechendem Güterangebot. Bestimmte ordnungspolitische Zielsetzungen bestanden auf amerikanischer Seite hauptsächlich in bezug auf die Organisations -

der deutschen Industrie; man prinzipien ging offenbar daß dabei stillschweigend davon aus, diese auch weiterhin in privater Hand sein würde. Entflechtung der Konzerne der deutschen Schwer-und Chemie-Industrie sowie eine umfassende Dekartellisierung wurden in diesem Sinne nachdrücklich verlangt und hatten langfristige Auswirkungen auf die Entwicklung des westdeutschen Wirtschaftssystems.

Die in Deutschland zunächst recht starken Sozialisierungstendenzen führten teilweise auch zu konkretenSchritten, wie der Verstaatlichung bestimmter Industrien in Hessen. Sie stießen aber im Verlauf der innenpolitischen Klärung zunehmend auf Widerstand. So war für die unerwartet und gegen die Ansichten zahlreicher deutscher und alliierter Stellen durchgesetzte Hinwendung zur Marktwirtschaft immerhin eine relativ breite Grundlage vorhanden. Die Befreiung privater Initiative von den Fesseln des Bewirtschaftungssystems wurde in der Bevölkerung zweifellos weitgehend begrüßt, zumal auch im sozialpolitischen Bereich ein gewisses Mindestmaß an Schutz gewährt wurde. Strittig war allerdings die Frage, ob zum gegebenen Zeitpunkt der Übergang zu einem auf freier Marktpreisbildung beruhenden System realisierbar sei.

Im Hintergrund dieser wirtschaftspolitischen Entwicklungen stand eine kräftige Wiederbelebung des wirtschaftlichen Liberalismus. In Deutschland stützte sie sich auf die Arbeit der Freiburger Schule der Nationalökonomie unter ihrem Hauptvertreter Walter Eucken. Funktionsfähige Märkte mit freier Preisbildung, eine Rahmengesetzgebung und ständige Sicherung der Funktionsbedingungen der Wettbewerbswirtschaft durch den Staat sowie privates Eigentum an den Produktionsmitteln bilden die Grundlagen der wirtschaftspolitischen Anschauungen dieser Richtung. Sie erstrekken sich auch auf die außenwirtschaftlichen Beziehungen und befürworten eine ungehinderte Eingliederung nationaler Volkswirtschaften in eine Weltwirtschaft, die ebenfalls nach liberalen Prinzipien organisiert ist. Die wirtschaftspolitische Durchschlagskraft dieser Schule war nach der Überwindung der zunehmend unter staatlichen Einfluß geratenen NS-Wirtschafts

Ordnung besonders groß. Sie wurde offensichtlich durch die allgemeine psychologische Situation in Deutschland noch verstärkt.

In ihren Grundlinien entsprach sie auch der im seitens der USA noch Kriege begonnenen Neuausrichtung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die sich in den Versuchen zur Schaffung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) und in dem Konzept des Europäischen Wiederaufbau-Programms niedergeschlagen hatte. Ein Abbau der hemmenden Zollschranken, der Devisenbewirtschaftung und anderer Handelsrestriktionen und eine Zurückdrängung des seit der Weltwirtschaftskrise so stark angewachsenen Staatseinflusses in der Wirtschaft war ein weitgehend unterstütztes Ziel. Es wurde auf deutscher Seite ebenso geteilt wie die Wettbewerbspolitik der USA, die später zur deutschen Kartell-gesetzgebung führte.

Allerdings bedeutete die Entscheidung für eine Liberalisierung der Binnenmärkte und einen damit einhergehenden Abbau der Bewirtschaftung im Juni 1948 nur einen ersten Schritt. Die Bemühungen zur Verwirklichung des neo-liberalen Ordnungskonzeptes erstreckten sich über eine Reihe von Jahren, weit über die Zeit bis 1949 hinaus.

Im Vergleich zu dem reinen marktwirtschaftlichen Modell, wie es von der Freiburger Schule vertreten wurde, war allerdings die tatsächlich während jener Zeit betriebene Wirtschaftspolitik ein nur teilweise freies System. Ihr Weg ist durch ein Nebeneinander von freien Märkten mit ungehinderter Preisbildung als regulierendem Prinzip (besonders in konsum-nahen Bereichen) und Sektoren andauernder zentraler Beeinflussung in mehr oder weniger großem Umfang gekennzeichnet. So blieben administrative Preisvorschriften in den Grundstoffindustrien und anderen Bereichen, in der Wohnungswirtschaft usw., bestehen. Für wichtige Güter blieb zunächst auch noch eine direkte Bewirtschaftung in Kraft. Außerdem war ein sehr beträchtliches öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln vorhanden.

Von größerem Gewicht war die Beibehaltung einer weitgehend vom Markt unabhängigen Zinsfixierung. Diese machte wiederum ziemlich umfangreiche Kapitalbildungs-und lenkungsmaßnahmen der öffentlichen Hand notwendig, weil wesentliche Wirtschaftszweige nicht in der Lage waren, sich selbst zu finanzieren, und Kapital am Markt nicht zu erhalten war. Die besondere Konstruktion der amerikanischen Hilfslieferungen, die mit der Bildung der sogenannten „Counterpart Funds" verbunden war, trug wesentlich zur Überwindung derartiger struktureller Schwierigkeiten bei.

Daß die Kapitalknappheit der westdeutschen Wirtschaft ein langanhaltendes Phänomen blieb, macht die Probleme deutlich, die sich aus Kriegs-und Demontageschäden, der Zerschneidung traditioneller gesamtdeutscher Wirtschaftsbeziehungen und aus der notwendigen Eingliederung der Flüchtlinge ergaben. Sie lassen sich sinngemäß auch auf die Wirtschaft der DDR übertragen und bieten wenigstens teilweise eine Erklärung für die dort betriebene forcierte Kapitalbildung über den Staatshaushalt. Im westlichen Teil wurden allerdings bei der ebenfalls hohen Kapitalbildungsquote die Konsumentenwünsche in der Produktionsstruktur wesentlich stärker berücksichtigt. Dennoch brachte das marktwirtschaftlich-privatunternehmerische System auch eine Reihe von Spannungen mit sich. Kritik richtete sich vor allem gegen den sozialpolitisch umstrittenen Schritt des Anfangs, angesichts eines noch bestehenden Mangels und niedrigen Lebensstandards die Bewirtschaftung aufzuheben und starke Unterschiede der persönlichen Einkommen wie der Vermögen zuzulassen.

Bei einer solchen Bewertung muß aber beachtet werden, welches die vordringlichen Aufgaben jener Zeit waren. Die produktionspolitischen Ziele wurden weitgehend erreicht, und das kräftige Wachstum verminderte die entstandenen Spannungen wahrscheinlich besser, als es eine administrative Verteilung auf niedrigem Niveau vermocht hätte. Die enge ökonomisch-funktionale Verbindung von differenzierter Entlohnung, Leistungswillen und Risikobereitschaft insbesondere im Zusammenhang mit dem Produktionsmitteleigentum ist dabei zu erwähnen. Die neueren Entwicklungen im sowjetischen Wirtschaftssystem lassen erkennen, wie stark wirtschaftliches Wachstum von einer richtigen Berücksichtigung dieser Faktoren beeinflußt wird.

V. Vergleichende Beurteilung der Entwicklung

Die vorangegangene Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung in Ost-und Westdeutschland hat einen Eindruck von den wesentlichsten Grundzügen während der Jahre 1945 bis 1949 gegeben. Nachstehend wird ein zusammenfassender vergleichender Überblick geboten, der mit einigen Schlußfolgerungen aus heutiger Sicht verbunden wird. 1. Die Tatsachen Als Hauptergebnis dieser Zeit ist festzuhalten, daß aus ursprünglich gleichen Zielen der Siegermächte in Ost und West entgegengesetzte Entwicklungen entsprangen. Die ehemals einheitliche Volkswirtschaft Restdeutschlands befand sich 1949 in einem fortschreitenden Desorganisationsprozeß. Das bezieht sich sowohl auf die systemkonstituierenden Faktoren als auch auf den Inhalt des Wirtschaftsprozesses, der sich innerhalb des durch sie gesetzten Rahmens entfaltet.

Im Westen war die allmähliche Befreiung von Restriktionen mit dem Aufbau eines marktwirtschaftlichen Systems auf der Basis privaten Eigentums, freier Initiative und wirtschaftlichen Wettbewerbs verbunden, das weitgehend dezentralisiert, wenn auch nicht ohne staatlichen Einfluß ist. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch im Westen ein neues System verwirklicht wurde, das sich von den Prinzipien der Staatswirtschaft des Dritten Reiches scharf abhebt. Im Osten fand eine Hin-wendung zur Planwirtschaft und eine strenge Zentralisierung aller wirtschaftlichen Entscheidungen statt. Damit verbunden war die tendenzielle Beseitigung privaten Produktionsmitteleigentums und unternehmerischer Entscheidungen sowie die Ausrichtung individueller Initiativen auf die Ziele der Wirtschaftsplanung.

Das ökonomische Ergebnis ist dabei auf beiden Seiten relativ gleich: Die durch das Potsdamer Abkommen und den Industrieplan von 1946 gezogenen Produktionsgrenzen waren mehr oder weniger gefallen oder doch ihre völlige Beseitigung vorauszusehen. Die Preis-gabe der ursprünglich auf alliierter Seite bestehenden Absichten ging einher mit einem Anschluß an die sich zunehmend weiter auseinander entwickelnden großen machtpolitischen und wirtschaftlichen Blöcke. Einer verhältnismäßig freien Einordnung der westdeutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft stand dabei die Umorientierung Mitteldeutschlands auf den Ostblock bei weitgehender Abkapselung von den traditionellen Weltmarktbeziehungen gegenüber. 2. Die Ursachen Grenzt man die Fragestellung auf die ökonomischen Verhältnisse in Deutschland ein, so sind die Ursachen für diese divergierende Entwicklung in der etwa zu Anfang 1946 sichtbar hervorgetretenen neuen Konzeption der Sowjetunion zu suchen. Dabei ist es durchaus möglich, daß eine solche Konzeption auf sowjetischer Seite schon viel früher bestanden hat. Der übereilte Abbau von mitteldeutschen Industrieanlagen könnte allerdings auch einen gegenteiligen Schluß erlauben und einen langsamen Entwicklungsprozeß politischer Gedanken nahelegen. Ebenso ist hiermit nichts über einen etwaigen Anteil des Westens an der Herausbildung des Ost-West-Gegensatzes und des Kalten Krieges ausgesagt. Lediglich in bezug auf die gegenüber Deutschland eingeschlagene Wirtschaftspolitik gilt, daß äußerer Anlaß zur Spaltung die von der UdSSR vorgebrachten veränderten Reparationsforderungen waren, auf welche die Westalliierten mit der allmählichen Entwicklung eines eigenen unabhängigen Konzeptes antworteten.

Ein zeitlicher Vergleich der einzelnen Stufen zur Wiederingangsetzung der deutschen Wirtschaft und Bildung entsprechender deutscher Organisationen in den Besatzungszonen macht eine bemerkenswerte Übereinstimmung deutlich. Dabei taten zumeist die Westmächte den ersten Schritt. Die Sowjets folgten gewöhnlich in kurzem Abstand. Besonders ist das am Beispiel der getrennten Währungsreform sichtbar. Sie wird von östlicher Seite vielfach als wesentlicher Grund für die Trennung Deutschlands angeführt, da sie vom Westen willkürlich nur für Westdeutschland vorgenommen worden sei.

Eine Überlegung an Hand der vorhergegangenen Entwicklung in beiden Teilen zeigt jedoch, daß die Währungsfrage durchaus zweitrangig war, soweit die auseinanderstrebenden Tendenzen in Deutschland zur Debatte stehen. Man muß die getrennte Reform im Westen vielmehr als Schlußfolgerung aus einer ohnehin schon früher begonnenen, mit dem allgemeinen Ost-West-Gegensatz verbundenen Ausbildung verschiedener Systeme betrachten. Die ökonomische Bedeutung, die ihr normalerweise zu eigen ist, konnte eine einheitliche gesamtdeutsche Währung wegen des Vorranges der Planung im Osten, wegen der Beschränkung des Austausches zwischen beiden Teilgebieten und wegen der Ausrichtung der mitteldeutschen Wirtschaft auf andersartige Planungsziele nicht erfüllen.

Die westlichen Verbündeten zogen also hier wie in anderen Fällen nur die Konsequenz aus einer bestehenden Situation, die sich — aus welchen Gründen auch immer — inzwischen ergeben hatte. 3. Wandel der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen Ausschlaggebend für diese Entwicklung war ein Wandel in der Motivation der sowjetischen Politik in Fragen der Stellung und Behandlung Deutschlands. Die Sieger waren ursprünglich davon ausgegangen, die deutsche Produktionskapazität zu verringern und zu beschränken, um einerseits eine Wiedergutmachungsleistung zu erlangen, andererseits aber um zukünftigen deutschen Aggressionsbestrebungen einen Riegel vorzuschieben. Die Beschränkung der Industrie sollte als Instrument dazu dienen.

Inzwischen beabsichtigte die UdSSR aber, das deutsche Produktionspotential in möglichst weitem Umfange in die eigenen Wiederaufbau-und Expansionspläne einzuschalten. Wirtschaftliche und militärische Absichten mögen dabei gleichermaßen im Spiel gewesen sein. Im östlichen Teil Deutschlands führte somit das Bestreben der Sowjetunion, den eigenen wirtschaftlichen Aufbau zu unterstützen, zu einer Aufhebung der Produktionsbeschränkungen.

Im Westen ergaben sich nach der Ingangsetzung eines Wiederaufbau-Programms für Westeuropa, das sich ebenfalls in starkem Maße auf die deutsche Wirtschaft als traditionelles Kernstück der europäischen Industrie gründete, Widersprüche zwischen alten und neuen Zielsetzungen. Die Sicherheitsfrage trat, nachdem das Reparationsargument im eigentlichen Sinne an Gewicht verloren hatte, stärker hervor. Dafür waren offensichtlich die Furcht vor einer wiedererstehenden deutschen Industrie und auch Wettbewerbsbefürchtungen in einzelnen westlichen Ländern ursächlich. Diese Problematik war daher eng mit der Wirtschaftspolitik in ihrer konstruktiven Periode verknüpft. Die Sowjetunion löste sie auf machtpolitischem Wege wesentlich einfacher, obwohl selbstverständlich auch der Westen Deutschlands infolge seiner Außenhandelsabhängigkeit kontrollierbar ist.

Es ist daher einleuchtend, daß die Eingliederung in größere Zusammenhänge sich mehr oder minder zwangsläufig ergab, weil nur so die vorhandenen Befürchtungen über das Verhalten eines wirtschaftlich erholten Deutschlands überwunden werden konnten. Sie entspringt somit folgerichtig den Entschlüssen zur faktischen Beseitigung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens.

Die Möglichkeit, sich aus dem wirtschaftlichen Tiefstand zu erholen und einen annehmbaren Lebensstandard wiederzugewinnen, ist insofern nicht anders vorstellbar. Angesichts der aus verschiedenen Ursachen aufgetretenen Spannungen zwischen den Weltmächten muß man die zunehmende Auflösung der Beziehungen zwischen der Wirtschaft West-und Mitteldeutschlands als unvermeidlich ansehen. 4. Ökonomische Fragen Die eingeschlagene Wirtschaftspolitik in beiden Teilen Deutschlands selbst wurde weitgehend von der Durchschneidung früherer „natürlicher" Austauschbeziehungen und den Anforderungen der Besatzungsmächte bestimmt. Vor allem im Osten bewirkten die Demontageschäden und sowjetischen Anforderungen an die laufende Produktion starke strukturelle Veränderungen. Daraus und aus der Unmöglichkeit, benötigte Industriegüter wie früher aus Westdeutschland einzuführen, leiteten sich bestimmte Investitionsnotwendigkeiten her, wie etwa der Vorrang schwerindustrieller Investitionsprojekte zeigt. Die Unterschiede in der schon Ende der vierziger Jahre ungleichen Lebenshaltung in Ost und West sind vorwiegend auf solche autarkiebetonten Erfordernisse zurückzuführen.

Auch Westdeutschland ging mit erheblichen Verpflichtungen in das folgende Jahrzehnt. Jedoch bedeutete die ausländische Hilfe, die es zuvor erhielt, eine wichtige Stütze des Wiederaufbaus. Sie ermöglichte die Überwindung von Zahlungsbilanz-und Kapitalbildungsproblemen im Anfangsstadium, als diese eine Ausdehnung der Produktion stark behinderten. Hierin liegt eine wesentliche Hilfe im Vergleich zur Sowjetzone, die überwiegend auf eigene bei die Produktionsleistung äußerster Drosselung des Lebensstandards angewiesen war. Die Einführung eines planwirtschaftlichen Systems selbst scheint dabei insofern wirtschaftlich konsequent, als die sowjetische Wirtschaft sehr viel störanfälliger war als Marktwirtschaften und Importe aus der Zone besonders wichtige Lieferungen umfaßten. 5. Zur Problematik des Systemvergleichs Anstelle einer bei Untersuchungen dieser Art vielfach üblichen Bewertung soll abschließend die Problematik eines solchen Inter-System-Vergleichs aufgeworfen und sollen einige grundsätzliche Aspekte des Themas erfaßt werden. — Einerseits bezogen sich die Darlegungen auf einen nur sehr begrenzten Zeitabschnitt, zum anderen waren die Systeme selbst in den seither verstrichenen zwei Jahrzehnten vielfältigen, auf Veränderungen tendierenden Einflüssen ausgesetzt. So ist es zwar unbestreitbar, daß in der zugrunde liegenden Phase die Weichen für einen Abschnitt der deutschen Wirtschaftsgeschichte gestellt wurden. Es ist jedoch weder statthaft, jene Ereignisse und ihre am Ende der vierziger Jahre sichtbaren Ergebnisse zu verabsolutieren, noch etwa, heutige Probleme als Maßstab vergangener Entwicklungen zu benutzen.

Für den Systemvergleich ergeben sich außerdem eine Reihe sehr schwieriger methodischer Probleme, die selbst unter Ausschaltung politischer Fragen auch im engeren Bereich der Wirtschaft komplizierte Erörterungen verlangen. Für die hier betrachteten Zusammenhänge sei nur auf die angewendeten Wachstumsstrategien in Ost und West verwiesen, bei denen annähernd gleiche Sparquoten ganz unterschiedlich produktionswirksam wurden. Ein „objektives" Beurteilungskriterium für die sich ergebenden Wirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren kann jedoch zur Zeit von der wirtschaftspolitischen Theorie wegen der erforderlichen gesamtgesellschaftlichen Nutzenfunktionen noch nicht angeboten werden. Ähnliches gilt für den Bereich der Sozialpolitik, der Einkommens-und Vermögensverteilung usw. Jeder Versuch einer Bewertung stößt unvermeidlich an Grenzen und kann im Ergebnis die Hürde sozialphilosophisch begründeter Wertungen nicht überwinden.

Langfristig betrachtet wurde in beiden Teilen Deutschlands das gleiche ökonomische Problem einer Harmonie von privaten und öffentlichen Interessen von den jeweiligen einseitig betonten Positionen aus in Angriff genommen, wie es eben den traditionellen Auffassungen von Liberalismus und Kommunismus entspricht. Der Bevölkerung dürfte zweifellos der westliche Weg als der ihren Wertvorstellungen adäquatere erschienen sein. Die Befriedigung von Kollektivbedürfnissen, die in der DDR aufgrund ihres gesellschaftspolitischen Konzepts (im wesentlichen erst nach 1950, teilweise aber auch schon früher) betont wurde, hatte im Urteil der westdeutschen Bevölkerung mit Sicherheit nicht das ihnen heute beigelegte Gewicht, zumal viel unmittelbarer drängende Probleme zu lösen waren.

Das Zurückbleiben der Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft hinter der westlichen hingegen ist auch nach heutiger östlicher Sicht Folge eines unzureichenden, eher auf quasi-frühkapitalistische Verhältnisse zugeschnittenen und aus der UdSSR übernommenen Lenkungssystems, das dem Marktmechanismus in einer industriellen, dynamischen Wirtschaft auch damals schon nicht gewachsen war. Dieser schließt Anreizwirkungen einer differenzierten Verteilungspolitik unter ökonomischen Aspekten weitgehend ein. Für die hier interessierende erste Phase der Nachkriegswirtschaft standen diese an erster Stelle. Daß daraus für die späteren Jahre auch Probleme entstanden, wird damit nicht geleugnet. Doch muß jede andere Beurteilung berücksichtigen, daß die Realisierung sozialpolitischer Ideen eine materielle Grundlage voraussetzt, die es vor 1950 nicht gab.

Ob hingegen die in der vorangegangenen Untersuchung für die Jahre 1945— 1949 aufgezeigte Entwicklung von Dauer sein wird, vermag man nicht vorauszusehen. Im Urteil des Ostens handelt es sich bei dem dort vollzogenen Über-gang zu einer sozialistischen Wirtschaftsform sowjetischen Typs um eine notwendige und irreversible Folge der historischen Gesetzmäßigkeiten. Im Westen dagegen ist in den letzten Jahren über die Wandlungstendenzen eine ausgedehnte Debatte entstanden, die sich um den Begriff der „Konvergenz" der Wirtschaftssysteme konzentriert und weitere Veränderungen beider Systeme voraussagt.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Böhme, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirt, Wissenschaftlicher Assistent am Institut zum Studium der Wirtschaftssysteme an der Universität Göttingen, geb. 1932. Veröffentlichungen: Zahlreiche Abhandlungen und Rezensionen, vorwiegend über Probleme der Wirtschaftssysteme.