Nach Beendigung der militärischen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in der Kuba-Krise im Herbst 1962 zeichnete sich ein Arrangement ab, das zum Abschluß des Moskauer Atomtestabkommens vom 5. August 1963 führte. Aus dem Bemühen der USA und der UdSSR, Konflikte auf der Grundlage des Status quo einzugrenzen und rational zu bewältigen, formierte sich die Politik der Entspannung. Im internationalen System verminderte sich die antagonistische Konfrontationspolitik der beiden Supermächte, indem die ideologischen Gegensätze durch eine primär interessenorientierte Handlungsweise zurückgedrängt wurden. Besonders die ungelösten Probleme der atomaren Rüstungskontrolle traten mehr und mehr in den Vordergrund, verbunden mit dem Versuch, eine Eskalation militärischer Auseinandersetzungen mit konventionellen Waffen zu vermeiden. So entstand ein Beziehungsfeld von gemeinsamen Interessen, das ein vorsichtiges Sondieren in den bestehenden fundamentalen Gegensätzen erlaubte. Dabei sollt ein verbessertes und vielfältiges Kommunikationssystem entwickelt werden, das den unkontrollierten Rüstungswettlauf beendet, die Entscheidungsfreiheit der Atommächte erhält und den Gegner nicht zur Alternative der Wahl zwischen einem demütigenden Rückzug und einem Atomkrieg zwingt. Das amerikanische Engagement in Vietnam und die innenpolitischen Belastungen einerseits, die Krise im Herrschaftsbereich der Sowjetunion andererseits, führten zu einer nachlassenden Intensität der Spannungen in Mitteleuropa.
In den internationalen Kontakten der Staaten bahnte sich eine ökonomische, kulturelle und technische Kooperation an, die den mittleren und kleineren Nationen der beiden Hemisphären eine größere Optionsfreiheit in ihrer Außenpolitik zu gewähren schien. Jedoch war die sowjetische Führung nicht bereit, eine Desintegration ihres Imperiums zuzulassen. Somit schließt eine bilaterale Verständigung zwischen den USA und der UdSSR nicht aus, daß sich die Fronten in den Kategorien des Status quo in Mitteleuropa verhärten. Die weltpolitischen Gegebenheiten lassen keine radikale Änderung beider Systeme zu, und es zeigt sich, „daß der scheinbar immobile Status quo, auf den sich die Entspannung gründete, von sich aus nicht stabil genug war, um den Widersprüchen in der Politik der beteiligten Mächte ihre Schärfe zu nehmen" Im internationalen Beziehungssystem versuchen die Weltmächte seit dem Beginn der sechziger Jahre eine schrittweise Neuorientierung in der Deutschland-und Ostpolitik, in die sich die Entspannungspolitik der Bundesrepublik mit ihren drei Aspekten einfügt: die Beziehungen zur Sowjetunion, zu den osteuropäischen Staaten und zur DDR.
Zunächst ist es notwendig, den in unterschied licher Weise unreflektiert benutzten Begriff Entspannung näher zu umreißen, um ihm den Charakter einer beliebig austauschbaren politischen Leerformel zu nehmen. Primär kennzeichnet Entspannung einen erwünschten Zustand, eine Lage, in der die Spannung in der internationalen Politik beseitigt und ein dauerhafter Friede erreicht worden ist Einschränkender wird aber auch unter Entspannung „eine Beendigung oder wesentliche Milderung des Ost-West-Gegensatzes" verstanden. Bei den Westmächten besteht ein übereinstimmendes Grundkonzept über die eng begrenzten politischen Möglichkeiten der Entspannung In einer international entspannten Lage sollen die verborgenen Gegensätze im Ostblock sichtbar und politisch relevant werden und somit eine differenzierte Annäherung zwischen den Westmächten, der UdSSR und Osteuropa herbeiführen, die eine Lösung des Deutschlandsproblems ermöglicht. Der Konflikt in der Deutschland-und Ostpolitik soll eingeschränkt und beseitigt werden, „wobei man mit relativ einfachen Problemen beginnen will, um in einem langen Prozeß dann auch zu Gemeinsamkeiten in den Kernfragen zu gelangen"
Die Entspannung soll dazu benutzt werden, die Überwindung oder Milderung der deutschen Teilung durch eine langfristig konzipierte Politik und nicht durch eine kurzfristige Wandlung des Sowjetblocks zu erreichen. A. Levine verwendet in seinem Buch „The Arms Debate"
(Cambridge 1963) die Begriffe . marginal'und systemic. „Unter . marginal'versteht Levine die langsame Verfolgung eines langfristigen Ziels durch kleine Schritte; . systemic'bedeutet dagegen für ihn einen grundlegenden Wandel im bestehenden System." Dabei besteht allerdings unvermindert die Gefahr, daß sich der Status quo festigt die Bundesrepublik im außenpolitischen Beziehungsfeld isoliert wird und ihr Beitrag zur Entspannung nicht zur Lösung der Deutschlandfrage führt. Der sicherheitspolitische Aspekt der Entspannungspolitik zielt darauf ab, den Handlungsspielraum zu erhalten, aber dennoch zu einem Rapprochement über Zielsetzung und Ausmaß des globalen militärischen Potentials zu gelangen. Für die Sowjetunion dagegen bedeutet Entspannung die Fortsetzung der Rivalität zwischen den Systemen: „Entspannung ist also sowohl Pause im Kalten Krieg wie eine neue Herausforderung an den Westen, zielt mit neuen Mitteln auf die alten Ziele hin." Der Begriff Entspannung wird also von den Westmächten und im Ostblock sowie innerhalb der beiden Hemisphären verschieden interpretiert. Ein einzelner Staat kann zwar eine militärische Provokation oder eine feindselige Handlung allein bewirken, jedoch nicht eine Entspannung im Rahmen einer angespannten Weltpolitik.
II. Die Konzeptionen der Großmächte zur Deutschland-und Ostpolitik von 1961— 1969
1. Kennedys „peace strategy" — wirtschaftliche und kulturelle Kontakte als Mittel der Deutschland-und Ostpolitik
Für die USA als Führungsmacht des Westens ist die deutsche Teilung nur eine, wenn auch sehr wesentliche Komponente des Gesamtproblems der Ost-West-Auseinandersetzung. Mit dem Beginn der Kennedy-Admipistration 1961 löste sich die amerikanische Außenpolitik aus dem Denken der antagonistischen Bipolarität, indem Präsident Kennedy die Überprüfung der Einstellung zum Kalten Krieg forderte Die Vereinigten Staaten waren bereit, der Herausforderung durch die Sowjetunion nun mit neuen eigenständigen Zielsetzungen zu begegnen. Dazu sollten differenzierte und angepaßte Verfahrensweisen in der Osteuropapolitik entwickelt werden. Die Ziele der amerikanischen Deutschlandpolitik wurden konkretisiert und neu definiert: Freies Berlin, gesichert durch die Präsenz amerikanischer Truppen; unabdingbarer freier Zugang; enge Beziehungen zur Bundesrepublik, um die Lebensfähigkeit für West-Berlin zu sichern; ein wiedervereinigtes Deutschland und eine Verminderung der Spannungen und Rüstungen in Mitteleuropa Das Ende der deutschen Teilung scheint nur denkbar in einem langfristigen Wandlungsprozeß des Ostblocks und damit einer Annäherung der getrennten Teile Europas In der Übergangsphase solle eine aktive und friedliche Politik des wirtschaftlichen und kulturellen Engagements mit Osteuropa betrieben werden, in der Hoffnung, . . ] daß konstruktive Veränderungen innerhalb des kommunistischen Blocks Lösungen in Reichweite bringen könnten, die heute noch unerreichbar scheinen"
In der Folge definierte Außenminister Dean Rusk drei Zielsetzungen gegenüber der kommunistischen Staatenwelt: erstens eine Containment-Politik gegen die Versuche, den kommunistischen Herrschaftsbereich auszudehnen, zweitens Arrangements, welche die Gefahr eines vernichtenden Krieges verringern und drittens Förderung von Strömungen im Ostblock, „[... ] die nach einer Entwicklung in Richtung auf größere nationale Unabhängigkeit, friedliche Zusammenarbeit und offene Gesellschaften tendieren" Rusks Definition der amerikanischen Ziele in Osteuropa erläuterte A. Harriman vor dem Unterausschuß des Repräsentantenhauses für Europa am 10. März 1964: „Unsere Politik geht dahin, die im Fortschreiten begriffenen Änderungen zu begünstigen, indem wir alle denkbaren Möglichkeiten friedlicher Kontakte nützen." Dieses Konzept — friedliche Einwirkung in Osteuropa, um eine größere ideologische und nationale Unabhängigkeit der osteuropäischen Staaten zu fördern — beruht auf der Absicht, den Handel als Mittel der Beeinflussung der kommunistischen Politik zu benutzen. Daraus ergibt sich, die osteuropäischen Nationen in unterschiedlicher Weise — nicht als Monolithen — zu behandeln. 2. Wiedervereinigung durch Entspannung — „peaceful engagement" — Verhandlungen statt Konfrontation
Die flexible Deutschland-und Ostpolitik wurde von Dean Rusk und Präsident Johnson weitergeführt, während der Fragenkomplex der Rüstungskontrolle immer mehr in den Vordergrund rückte. Die amerikanischen Diplomaten versuchten, die Politik der Entspannung mit der Lösung des Deutschlandproblems zu verbinden. Johnson betonte in seiner Rede vom 31. Mai 1964, in der er das „BrückenschlagsKonzept" formulierte, „[. . . ] daß eine kluge und geschickte Entwicklung der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas uns schneller dem Tag näherbringt, an dem Deutschland wiedervereinigt sein wird" Damit wird die Abhängigkeit des Wandlungsprozesses mit der Wiedervereinigung Deutschlands deutlich herausgestellt. Die politischen Erfolge der amerikanischen Entspannungspolitik sind eng begrenzt geblieben, dennoch haben sich die Grundgegebenheiten der Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR auch nach dem sowjetischen Über-fall auf die Tschechoslowakei am 21. August 1968 nicht geändert. Die USA entwickelten zahlreiche kulturelle und wirtschaftliche Kontakte zu Polen, gefördert durch die großen amerikanischen Stiftungen . Die USA konnten den eigenständigen Bestrebungen Rumäniens durch den Abschluß eines Handelsvertrages 1964 wirksamen Rückhalt verleihen. Die guten Verbindungen zwischen den beiden Staaten wurden durch den Besuch Präsident Nixons am 2. /3. August 1969 in Bukarest demonstrativ unterstrichen. Dies war die erste Visite eines amtierenden US-Präsidenten in einem kommunistischen Land seit den Tagen der Kriegsallianz, als Roosevelt im Februar 1945 an der Konferenz von Jalta teilnahm.
Die amerikanische Entspannungspolitik belastete teilweise die Beziehungen zu den Verbündeten der USA , da es dem State Department nicht gelang, das atlantische Bündnis als Sicherheitsbasis und die Einheit des Westens als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Entspannungspolitik aufzuwerten . Zwar bekräftigten die Vereinigten Staaten regelmäßig ihr Interesse an der Wiedervereinigung Deutschlands , doch dieses Maximalziel steht im Widerspruch zu ihrer Ostpolitik, die durch die Vertagung der deutschen Grenzfrage auf eine Friedenskonferenz noch zusätzlich negativ belastet wird. Washington sowie London ermunterten die Bundesrepublik zu einer aktiven Ostpolitik Senator Fulbright bezeichnete vor dem Europarat den Weg zur Wiedervereinigung als lang, mühsam und ohne die Mitwirkung der USA als nicht möglich: „In der unmittelbaren Zukunft sei viel zu gewinnen durch die Ausdehnung der persönlichen, der kulturellen und der Handelsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem kommunistischen Ostdeutschland. Darüber hinaus sei er überzeugt, daß ein indirekter Fortschritt zur Wiedervereinigung Deutschlands durch die Ausweitung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Osteuropa und dem Westen erzielt werden könnte."
Allerdings kam es zu Differenzen über die Prioritäten der Entspannungspolitik, ob die Wiedervereinigung durch Entspannung (USA)
oder Entspannung durch Wiedervereinigung (BRD) zu erreichen sei. Die letztgenannte Ansicht wurde bekräftigt durch eine Stellungnahme des geschäftsführenden Vorsitzenden der CDU, „[... ] oberstes Anliegen sei die deutsche Wiedervereinigung. Ohne sie könne in Europa die Spannung nicht nachlassen" Die neue amerikanische Regierung unter Führung Nixons möchte die Periode der Konfrontation beenden und in eine Ära der Verhandlungen eintreten An erster Stelle der zu lösenden Probleme stehen die angestrebten „Strategie arms limitation talks" (SALT) mit der UdSSR. Ebenso bemühen sich die USA zunächst um ein schrittweises militärisches Disengagement auf dem asiatischen Festland, verbunden mit dem Aufbau eines besseren Verhältnisses zu Peking. Als Voraussetzung für eine weitere Entspannung sollen die Kontakte und Konsultationen in Europa intensiviert werden In der Deutschland-und Ostpolitik dagegen zeigen sich keine neuen Aspekte. Bei seinem Berlin-Besuch im Februar 1969 bekräftigte Nixon die Entschlossenheit der USA, ihren Verpflichtungen nachzukommen und betrachtete die Berlin-Krise im Zusammenhang mit der Wahl des Bundespräsidenten als einen Appell zum Handeln, „[. . . ] als eine Aufforderung zur Beendigung der Spannungen eines vergangenen Zeitalters, hier und überall auf der Welt" Trotz der negativen Bilanz der amerikanischen Entspannungspolitik deutet sich keine konkrete Alternative zur Lösung der deuts•chen Frage an. 3. De Gaulles Konzept der „Detente, entente et Cooperation" — Die Europäisierung der deutschen Frage unter französischer Führung
Im gleichen Zeitraum, als die Intensität der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in Europa nachließ, entwickelte De Gaulle im Schatten der Weltmächte eine eigenwillige Europa-und Ostpolitik. Die außenpolitischen Initiativen des französischen Staatspräsidenten zielten darauf ab, den Führungsanspruch der USA im westlichen Bündnis zurückzudrängen und die bisherije Bündnispolitik aufzugeben, da die NATO als Instrument der Entspannung ungeeignet sei Vielmehr sollte ein Vetorecht der Europäer bei den Abmachungen zwischen den USA and der UdSSR angestrebt sowie die Entspannungspolitik auf dem Geheimdiplonatie der vorbereitet werden. Er empfahl, die Viermächte-Verantwortung zur Wiederverinigung zugunsten der primär europäischen nteressen zurückzustellen. Die Initiativen soll-
en von den ost-und westeuropäischen Staaten ergriffen und deren Lösungen dann von den eiden Führungsmächten der Blöcke garantiert werden
De Gaulle strebte die Führung Frankreichs in inem geeinten Europa an, das nicht nur das Niedervereinigte Deutschland, sondern auch Dsteuropa einschließlich der Sowjetunion um-assen sollte. Um den Machtzuwachs eines Niedererstarkten Deutschlands zu neutralisieen, war an eine enge Zusammenarbeit zwiichen Frankreich und der Sowjetunion gelacht De Gaulle sah die Wiedervereinijung Europas und Deutschlands als einen langvierigen historischen Umgestaltungsprozeß in. Die osteuropäischen Staaten sollten das Sa-ellitenstadium überwinden und eine neue tolle in Europa erhalten. „Europa, Mutter der nodernen Zivilisation, muß vom Atlantik bis um Ural entstehen [. .. ]" Nur durch die Europäisierung des deutschen Problems in inem Europa vom „Atlantik bis zum Ural"
tönnte eine Lösung heranwachsen. Im Gegen-
atz zu den USA setzte sich de Gaulle eindeutig ür eine Anerkennung der gegenwärtigen Grenzen in Europa ein, dabei bezeichnete er lie Wiedervereinigung Deutschlands als einen röllig legitimen Anspruch des deutschen Volles, „[. . . ] vorausgesetzt, daß diese Wieder-Vereinigung die gegenwärtigen Grenzen im Westen, Osten, Norden und Süden nicht in Frage stellt und vorausgesetzt, daß das wiedervereinigte Deutschland beabsichtigt, sich eines Tages in eine vertragsmäßige Organisation ganz Europas für die Zusammenarbeit, für Freiheit und Frieden zu integrieren"
Die Wiedervereinigung ist in diesem Konzept das Resultat eines historischen Prozesses, dessen Verwirklichung in ferner Zukunft liegt. Bis zur Erreichung dieses Ziels empfahl de Gaulle die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu den Ostblockstaaten und die Vervielfachung praktischer Schritte zwischen den beiden getrennten Teilen des deutschen Volkes Trotz der diplomatischen Aktivitäten Frankreichs in der Osteuropapolitik gelang es de Gaulle nicht, seinem in vieldeutiger Weise formulierten Konzept politische Substanz zu geben, dagegen wächst in der französischen Öffentlichkeit die Tendenz, die „Zweistaaten-Theorie" zu akzeptieren 4. Die britische Deutschlandpolitik Die Ost-West-Entspannung ist ein wesentlicher Faktor der britischen Außenpolitik. London zeigt sich sehr zurückhaltend in der Deutschlandfrage. Jedoch hat Großbritannien auf diplomatischem Wege wiederholt in zahlreichen Konsultationsgesprächen, Noten und Verlautbarungen zusammen mit den anderen Westmächten seinen Standpunkt zum Deutschlandproblem dargelegt. Es neigt dazu, die offizielle Politik der Bundesregierung zu fördern und zu unterstützen und sich nicht der Vier-mächte-Verantwortung zu entziehen. Bei seinem Berlin-Besuch vom 14. Februar 1969 bekräftigte der britische Premierminister Harold Wilson erneut die Garantie seines Landes für die Stadt: „Großbritannien steht zu seiner Verpflichtung, und wird fest dazu stehen, die fortlaufende Freiheit der Stadt und ihrer Bewohner zu gewährleisten, und es wird auch weiterhin alle Bemühungen unterstützen, die menschlichen Probleme, die sich aus der Teilung der Stadt ergeben, zu erleichtern." Andererseits tendieren die öffentliche Meinung und eine beträchtliche Anzahl der englischen Parlamentarier dahin, die Wiedervereinigung „als eine Bedrohung der Stabilität und des Friedens zu betrachten" 5. Die sowjetische Konzeption zur Deutschlandpolitik — Entspannungspolitik als angespannte Auseinandersetzung der Systeme
Die Entspannungspolitik der Westmächte besitzt eine gemeinsame Basis, obwohl Ziele und Methoden differieren; deutlich unterscheidet sich dagegen die sowjetische Konzeption. Die Entspannungsphase wird zur angespannten Auseinandersetzung „des ökonomischen, politischen und ideologischen Kampfes" benutzt. Für die Sowjetunion als Führungsmacht des östlichen Lagers tritt selbst die Zusammenarbeit mit dem Westen als Form des Kampfes auf Die Entspannung bringt den Vorteil einer größeren Effektivität der sowjetischen Wirtschaftsplanung und der Grundlagenforschung Ebenso steigt die Möglichkeit, größere finanzielle Mittel in die weitgespannte Entwicklungshilfe mit einzubeziehen
In der sowjetischen Deutschlandpolitik läßt sich ein Wechsel von Spannung und Entspannung beobachten, der nicht auf einer prinzipiellen Umorientierung beruht, sondern taktische Züge aufweist Zwischen der sowjetischen Status-quo-Haltung und der deutschen Wiedervereinigung besteht ein Interessenkonflikt, der sich nicht durch eine Politik der Entspannung lösen läßt Eine offensiv betriebene Diplomatie soll nicht die Teilung Europas und Deutschlands überwinden, sondern das westliche Bündnis schwächen und die USA aus ihren Positionen in Europa herausdrängen Die Deutschlandpolitik der UdSSR zielt darauf ab, den Status quo zu konsolidieren. Seit 1955 sind die Grundpositionen dieser Konzeptionen konstant geblieben. Sie umfassen a) Unantastbarkeit der in Europa bestehenden Grenzen;
b) Anerkennung der DDR als zweiten souveränen deutschen Staat;
c) Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches der Bundesregierung;
d) Anerkennung West-Berlins als besondere politische Einheit, die nicht zur Bundesrepublik gehört;
e) keine Verfügungsrechte der Bundesregierung über Kernwaffen.
Diese Auffassung hat die UdSSR in zahlreichen Noten und Memoranden zum Ausdruck gebracht. Sie ist ebenso Bestandteil der Vorschläge zu einer europäischen Sicherheitskonferenz der Warschauer-Paktstaaten vom 13. März 1969 sowie des Themas Gewaltverzicht und Berlinproblem im Aide-memoire vom 12. September 1969 Für die UdSSR ist die DDR ein entscheidender machtpolitischer Faktor, ökonomisch als hochentwickeltes Industriegebiet, militärisch als Vorwärtsglacis des Warschauer Paktes; geographisch trennt die DDR Polen vom Westen Zur Abwehr gegen die Entspannungspolitik der Westmächte hat die UdSSR die DDR durch den Abschluß eines Freundschaftsvertrages am 12. Juni 1964 in das bilaterale Bündnissystem des Ostblocks integriert.
Um die Prager Invasion vor der Weltöffentlichkeit und im eigenen Lager theoretisch zu rechtfertigen, wurde die „Breschnjew-Doktrin" lanciert, nach der die nationale Souveränität den Belangen der sozialistischen Gemeinschaft unterzuordnen sei. Im kommunistischen Herrschaftsbereich sind „die Gesetze und Normen des Rechts [. . . ] den Gesetzen des Klassenkampfes, den Gesetzes der gesellschaftlichen Entwicklung untergeordnet" Die Ansicht von der „begrenzten" Souveränität der sozialistischen Staaten in Osteuropa wurde vom sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko vor dem Forum der Vereinten Nationen bekräftigt, wobei er ausführte, daß „die Länder der sozialistischen Gemeinschaft [. . . ] ihre eigenen Lebensinteressen [hätten], ihre eigenen Verpflichtungen, unter anderem zur Gewährleistung der gegenseitigen Sicherheit, ihre eigenen sozialistischen Prinzipien der gegenseitigen Beziehungen [. . . ]" Die Sowjetunion ist bemüht, ihr Imperium intakt zu hal-ten und wendet sich entschieden gegen die Absichten der Westmächte, die Liberalisierungstendenzen in Osteuropa zu fördern. Die „Versuche der deutschen Bundesregierung, an der DDR vorbei Kontakte mit Staaten Osteuropas aufzunehmen" wurden entschlossen zurückgewiesen.
III. Die Konzeptionen zur Ostpolitik in der Bundesrepublik
1. Die Konzeption der Annäherung a) Schröders Politik der Bewegung — Normalisierung der Beziehungen zu Osteuropa Zur gleichen Zeit, als sich eine amerikanische Außenpolitik in Richtung engerer Kontakte zu Osteuropa abzeichnete, bemühte sich Gerhard Schröder verstärkt — seit dem Regierungsantritt Erhards im Oktober 1963 — um eine vorsichtige Neuorientierung einer deutschen Osteuropapolitik. Die Wiedervereinigung Deutschlands schien weitgehend, als langfristiges Ziel, von den zukünftigen Beziehungen der CSSR und Polens zur Sowjetunion und zur Bundesrepublik abzuhängen. Die Bundesregierung sollte bei der Ausgestaltung dieser Beziehungen eine konstruktive Rolle spielen und sich nicht der Aufgabe entziehen, „. ] trotz aller Widerstände der anderen Seite, Brücken zu schlagen und die Spaltung Europas, soweit uns dies möglich ist, zu überwinden" Ohne den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik aufzugeben, setzte sich der Außenminister dafür ein, die „HallsteinDoktrin", die ja gerade kein Dogma sei, pragmatisch zu handhaben Auf dem außenpolitischen Sektor haben Erhard und Schröder eng zusammengearbeitet und’sich in ihrer „Politik der Bewegung" gegen den Widerstand in der Parteiführung und Fraktion der CDU/CSU an den Entspannungsversuchen der Westmächte orientiert.. Der Bundeskanzler war bereit, „[... ] jeden Beitrag zur Entspannung zu leisten, wenn er dem Ziel der Wiedervereinigung dient [. . . ]" Bei den Begegnungen mit Präsident Johnson am 28. Dezember 1963 und 12. /13. Juni 1964 konnte sich die Auffassung Erhards und Schröders — Entspannung durch Wiedervereinigung — nicht durchsetzen. Die Wiedervereinigung schien nur noch als Folge der Entspannung möglich zu sein, konkrete Initiativen waren in absehbarer Zeit nicht zu erwarten
Die deutsche Wirtschaft hatte im Laufe der Zeit durch persönliche Kontakte ihre traditionellen Märkte im Osthandel teilweise wieder aufgebaut. Diese Beziehungen wurden gefördert und wirksam vertreten durch den 1952 auf Anregung der Bundesregierung gegründeten Ostausschuß der deutschen Wirtschaft, dessen Vorsitzender in direktem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium steht. Eine Liberalisierung des Osthandels wurde durch die politischen Sondierungen der Bundesregierung erreicht und somit eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Außenhandelsmonopolen der Ostblockstaaten ermöglicht. In den Grenzen der außen-und sicherheitspolitischen Zielsetzungen gelang es, in Polen 1963, in Rumänien, Ungarn und Bulgarien 1964, Handelsmissionen einzurichten. Diese Ostpolitik wurde durch einen Beschluß des Bundestages vom 14. Juni 1961 eingeleitet, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Beziehungen zur UdSSR und Osteuropa gemeinsam mit den Verbündeten zu normalisieren. Um ein wiedervereinigtes Deutschland herbeizuführen, sollte „die Bundesregierung jede sich bietende Möglichkeit ergreifen, um ohne Preis-gabe lebenswichtiger Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staa-ten zu gelangen, den weiteren Ausbau der bestehenden Beziehungen zu diesen Staaten auf wirtschaftlichem, humanitärem, geistigem und kulturellem Gebiet anzustreben [. . . ]"
Die FDP als der kleinere Koalitionspartner plädierte weitgehend für eine flexible Han-dels-und Wirtschaftspolitik einschließlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten Sie war bemüht, formaljuristische Erwägungen zugunsten politischer Lösungen zurückzustellen. Mende empfahl den Weg über Osteuropa als Umweg nach Deutschland b) Bahrs Formel „Wandel durch Annäherung"
Getragen von dem Streben nach außenpolitischer Profilierung unterstützte die SPD teilweise Schröders Kurs. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, sah in der Politik der Entspannung ein Instrument, um den erstarrten Dialog in der Deutschland-frage zu lösen. Eine differenzierte und vorsichtige Politik sollte eine Kooperation mit den Ostblock-Ländern ermöglichen. „Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die osteuropäischen Staaten gegen die Sowjetunion auszuspielen. Unser Ziel muß es jedoch sein, zu diesen Völkern in ein Verhältnis der vertraglichen Nachbarschaft zu kommen." Diese Konzeption zur Ostpolitik läßt sich auf Bahrs Formel „Wandel durch Annäherung" bringen. Sie bedeutete, daß das politische Herrschaftssystem in Osteuropa nicht beseitigt, sondern verändert werden sollte, um durch Annäherung einen Wandel des Verhältnisses zwischen Ost und West zu erreichen. Ohne die Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden, sollte Kennedys Friedensstrategie — soviel Handel mit dem Ostblock wie möglich zu treiben — angewandt werden Bei dem Versuch, eine weiterreichende Änderung des Ost-West-Verhältnisses zu erwirken, würde es sich „um einen langen Weg und wohl auch um einen Weg mit verschiedenen Etappen handeln müssen" Nur im Rahmen einer dauerhaften Entspannungspolitik hielt die Opposition die Chancen für ausreichend, durch einen intensivierten Osthandel indirekt zur Wiedervereinigung beizutragen. 1963 trat Brandt für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten ein und überreichte im Sommer 1964 Dean Rusk ein Memorandum, in dem die Umrisse eines großen wirtschaftlichen Entwicklungsplans für Osteuropa skizziert wurden c) Barzels Anregung „Änderung durch Einwirken" Schröders „Politik der Bewegung" und der sozialdemokratischen Formel „Wandel durch Annäherung" hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU den Begriff der „Politik des Ein-wirkens" hinzugefügt. Auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf im März 1965 führte er aus:
„Wir können einwirken und helfen durch Kontakte, Mitanwesenheit und Anteilnahme."
Ohne prinzipielle Positionen aufzugeben, wäre die Bundesrepublik bereit, „über Deutschland als Ganzes zu sprechen, allen Nachbarn Sicherheit zu geben, den östlichen Völkern ökonomisch zu helfen und über vieles mit uns reden zu lassen" Um die UdSSR zu Verhandlungen über das Deutschlandproblem zu bewegen, sollte die Bundesregierung „ein Bündel interessanter politischer und ökonomischer Vorschläge auf den Tisch [. . . ] legen" d) Die Ostpolitik der Regierung der Großen Koalition — Die Wiedervereinigung als Folge der Annäherung zwischen Ost-und Westeuropa
Unter der Leitung Schröders blieb die deutsche Ostpolitik weitgehend von der Wiedervereinigungspolitik getrennt, wobei der Alleinvertretungsanspruch unterhalb der Botschafterebene flexibel angewandt wurde. Die westliche Einheit, das Engagement der USA in Europa und die Integration der ostpolitischen Bemühungen in entsprechende Maßnahmen der Westmächte bildeten die notwendigen Bedingungen für eine allmähliche Entspannung. Auf dem außenpolitischen Sektor habe sich gezeigt, „[. . . ] daß gerade für uns als Bundesrepublik Deutschland jede realistische Ostpolitik im Westen beginnt und in möglichst viel westliche Gemeinsamkeit eingebettet sein muß" Bundeskanzler Kiesinger betonte in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966, daß die Bundesregierung entschlossen sei, „[. . . ] mit allen Völkern Beziehungen zu unterhalten, die auf gegenseitiges Vertrauen und auf den Willen der Zusammenarbeit gegründet sind". An die Adresse der osteuropäischen Länder gewandt, erklärte er, daß die Bundesrepublik daran interessiert sei, „[. . . ] wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen" Die Differenzen über die Modifizierung der „Hallstein-Doktrin" führten jedoch im Mai 1969 zu einer innenpolitischen Prestigefrage zwischen den beiden Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD. Nachdem Kambodscha diplomatische Beziehungen zur DDR ausgenommen hatte, entschied das Kabinett in einer Kompromißformel, den deutschen Botschafter in Pnom Penh abzuberufen
Der Austausch von Gewaltverzichtserklärungen sollte dazu beitragen, Angst und Mißtrauen abzubauen. Dabei wurde der Versuch, die DDR durch die Ostpolitik zu isolieren, aufgegeben, denn das ursprüngliche Angebot in der Friedensnote der Regierung Erhard vom März 1966 schloß die DDR noch aus Der Bundestag empfahl nun, den Gewaltverzicht „so zu vollziehen, daß er ohne jeden Vorbehalt auch für den anderen Teil Deutschlands und diesem gegenüber gilt" In den Beziehungen zur UdSSR konnte eine substantielle Verbesserung nicht erreicht werden. Mit dem Gewaltverzichtsdialog schien sich eine Möglichkeit zu bieten, dem sowjetischen Interventionsanspruch aufgrund der UN-Charta entgegenzuwirken und eine Vorarbeit für eine europäische Friedensordnung zu leisten. In ihrem Gesprächsangebot vom 12. September 1969 empfiehlt die Sowjetunion konkrete Verhandlungen mit der Bundesrepublik in Moskau und deutet damit erste Anzeichen für die Realisierung bilateraler Kontakte an.
In der Osteuropapolitik wurden jedoch einige substantielle Fortschritte erzielt, die ihren Niederschlag in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen fanden: zu Rumänien 1967, Wiederaufnahme zu Jugoslawien 1968 und die Errichtung einer Handelsmission in der CSSR 1967. Auch nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei gibt es keine rationale Alternative zur Politik der Entspannung Trotz der bedingten Stagnation in der deutschen Ostpolitik blieb die Bundesregierung bereit, . ] für eine europäische Zone friedlicher Nachbarschaft zu wirken, die allmählich zu konstruktivem Miteinander führt und in der die gefährliche Konfrontation abgebaut werden kann"
Obwohl der Brückenschlag nach Osten nur teilweise gelungen ist, konnte die Bundesregierung ihren Handlungsspielraum erweitern und differenzierte Beziehungen zu den osteuropäischen Nationen aufbauen. Da die deutsche Ostpolitik auf langfristige Veränderungen im internationalen Beziehungssystem hinarbeitet, gehört es „zu den Grundprinzipien außenpolitischen Handelns, eine als richtig erkannte Politik auch über lange Fristen hinweg konsequent weiterzuverfolgen" 2. Das Konzept der Fortdauer des Kalten Krieges Eine wesentliche und einflußreiche Gruppe innerhalb der CDU/CSU stellt — weniger verbal als effektiv — sich gegen die Entspannungspolitik. Die Vertreter dieser Richtung argumentieren, daß eine Politik der Entspannung die Verfestigung des Status quo impliziert. Sie erheben vor allem den Vorwurf, daß die aufgezwungene Teilung Deutschlands durch eine Entspannungspolitik zementiert und nachträglich legitimiert werden könnte Die ostpolitischen Absichten de Gaulles und damit — zumindest indirekt — auch die Führungsrolle Frankreichs in Europa werden dagegen befürwortet. Man sieht eine wirksame Lösungsmöglichkeit für die Wiedervereinigung in der Magnetwirkung eines föderativen Europas der Vaterländer Diese Vorstellungen implizieren die Loslösung oder Befreiung der osteuropäischen Völker vom sowjetischen Imperium. „Die Bundesgenossen der freien Welt in Osteuropa sind die Rücksichtnahmen zwingen die Politiker dazu, Unterdrückten, nicht die Unterdrücker." Dieses Konzept basiert auf der Annahme, daß'auch in den sechziger Jahren der „Kalte Krieg" unvermindert anhalten und Kontakte mit den osteuropäischen Regierungen keine Wandlungen erbringen würden. An die Bundesregierung richteten sich die Mahnungen, daß bei „allem Ja zu einer positiven Regelung, zu einer Partnerschaft der Völker [. . . ] die Deutschen aus dem Osten nicht gewillt (seien), in eine Legalisierung der Vertreibung einzuwilligen" Solange die Staaten Osteuropas noch den Standpunkt der UdSSR in der Deutschlandfrage ausrechterhielten, seien Handelsmissionen nicht unbedenklich und diplomatische Beziehungen zu Osteuropa sinnlos. Die Ablehnung des Entspannungskurses erfolgt teilweise aus innenpolitischen Motivationen und nicht aus außenpolitischen Notwendigkeiten. Dennoch sind trotz der geforderten Härte die Auffassungen zu Sachfragen durchaus unterschiedlich und wandelbar.
IV. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der Bundesrepublik
1. Respektierung der DDR a) Politik der kleinen Schritte Die entspannungspolitische Richtung, die sich im Laufe der Zeit deutlich von dem unbeweglichen Kategorienschema der Bipolarität in der Ostpolitik absetzte, findet ihre Entsprechung in den unterschiedlichen Strategien zur Deutschlandpolitik. Die Befürworter dieser Anschauung legen ihre Argumente, die sich nicht einer Partei unverwechselbar zuordnen lassen, in einer vielfältigen und nuancierten Weise dar. Parteitaktische und innenpolitische Rücksichtnahmen zwingen die Politiker dazu, sich nicht in allen Detailfragen eindeutig zu exponieren. Dennoch zeichnen sich zwei große Alternativen in der Wiedervereinigungspolitik ab: „Lösung der Teilungsfrage durch Liquidierung oder durch Respektierung der DDR."
Die ersten Anzeichen einer Kooperationsbereitschaft deuteten sich am Ende der Ära Adenauer an. Bundeskanzler Adenauer hatte am 6. Juni 1962 in einer Unterredung mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow der UdSSR gegen menschliche Erleichterungen in der DDR einen „Burgfrieden" auf zehn Jahre angeboten Die Bundesregierung wäre bereit gewesen, „über vieles mit sich reden zu lassen", wenn dadurch das Los der Menschen in der DDR verbessert werden könnte Unter Bundeskanzler Erhard wurden die bisher ungelösten Probleme der Deutschlandpolitik überprüft. Obwohl die These, daß die Teilung Deutschlands nicht nur Ursache, sondern auch Folge der weltpolitischen Spannung sei, in offiziellen Erklärungen vermieden wurde, ergaben sich jedoch keine neuen Perspektiven. Erst die Große Koalition strebte Verhandlungen mit der DDR auf allen Ebenen an und intensivierte ständig die angebahnten Kontakte. In dieses Konzept der Respektierung lassen sich auch die Vorstellungen einer Gruppe innerhalb der FDP einordnen. Sie spricht sich seit Jahren ideenreicher, intensiver und kompromißbereiter als die anderen Parteien für eine vertragliche Regelung zwischen den beiden Teilen Deutschlands aus. Anfang 1969 legte die FDP den Entwurf eines deutschen Generalvertrages vor. Darin wird festgestellt, daß beide deutsche Staaten im Verhältnis zueinander nicht Ausland sind. Außerdem sieht der Vertrag die Ernennung ständiger Beauftragter vor sowie paritätisch besetzte Kommissionen
Entgegen den Erwartungen der unmittelbaren Nachkriegszeit scheint die Wiedervereinigung nur noch als langfristiges Ziel einer Entspannungspolitik möglich zu sein. Kleine praktische Schritte sollen zur Kooperation mit der DDR führen und das Verhältnis zueinander normalisieren. Die wichtigste Grenze dieser flexiblen Politik ist die völkerrechtliche Nichtanerkennung der DDR Dennoch zeigt sich, daß diese Strategie in der politischen Praxis über die Respektierung Anerkennung zur der DDR führt und nicht notwendigerweise eine Wiedervereinigung erbringen muß. Für die Bundesregierung stellt sich ständig die Frage, wie sie mit einem modifizierten Alleinvertretungsanspruch und trotz der Ost-Berliner „Zweistaatentheorie" Kontakte zur DDR aufnehmen kann.
In den Auseinandersetzungen um die Berliner Passierscheinregelungen betonten die Befürworter den Kompromißcharakter solcher Vereinbarungen. Priorität kam dem Aspekt der menschlichen Erleichterungen zu und nicht den juristischen Argumenten.
Viele Theoretiker und Politiker verweisen auf den gesamteuropäischen Zusammenhang einer Europas Annäherung der beiden Teile und der Wiedervereinigungsfrage. So stellte schon Heinrich von Brentano 1963 im Deutschen Bundestag fest, „ [. . . ] daß der Weg zur Wiedervereinigung über die Einigung Europas führt"
Auch die innerparteiliche Diskussion hat im Streit der Parteien über die Anerkennungsfrage zugenommen. Im März 1969 forderten die Delegierten der SPD Hessen-Süd auf ihrem Parteitag in Frankfurt „normale Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gleichberechtigte, souveräne Staaten deutscher Nation" Neben den begrenzten Möglichkeiten der Kooperation und der Respektierung wird aber auch das nationalpolitische Ziel der Wiedervereinigung öffentlich infrage gestellt b) Passierscheine in Berlin Die Berliner Passierscheinvereinbarungen waren das wichtigste Ergebnis der „Politik der kleinen Schritte". Egon Bahr entwickelte das Konzept einer speziellen deutschen Aufgabe in der Entspannungspolitik. Er hielt die Alternative „entweder freie Wahlen oder nichts" für sinnlos. Die Wiedervereinigung sei kein einmaliger Akt, „[. . . ] sondern ein Prozeß mit vielen Schritten und vielen Stationen" Für praktische Lösungen, welche die Beziehungen in der geteilten Stadt normalisieren sollten, ergaben sich für die Bundesregierung und den Berliner Senat seit dem 13. August 1961 zwei Ebenen der Gesprächsführung mit der DDR, die in West-Berlin tätige „Treuhandstelle für den Interzonenhandel", eine Bundesdienststelle unter Leitung von Dr. Kurt Leopold, und die technischen Kontakte auf kommunaler Ebene in Berlin.
Bis Ende 1963 erfolgten drei Angebote des Berliner Senats an Ost-Berlin: Am 16. November 1961 wurden zur Erleichterung des innerstädtischen Verkehrs West-Berliner Kontakt-beauftragte angeboten, im November 1962 Verhandlungen über die Treuhandstelle des Interzonenhandels vorgeschlagen. Außerdem unterstützte der Berliner Senat eine Anregung des Roten Kreuzes vom Frühjahr 1963, Gespräche zwischen Juristen beider Seiten einzuleiten, um die Beziehungen mit Ost-Berlin zu verbessern Diese Angebote führten zu keinem konkreten Ergebnis. Stattdessen schlug der stellvertretende Ministerpräsident der DDR, Alexander Abusch, in einem Brief an Willy Brandt vom 5. Dezember 1963 eine befristete Passierscheinregelung über Weihnachten und Neujahr 1963/64 vor.
Nach langen Beratungen wurde Dr. Leopold beauftragt, die Gespräche für die Bundesregierung zu führen. Jedoch lehnte H. Behrendt, Leopolds Interzonenhandelspartner, die Gesprächsführung auf dieser Ebene ab. Nach neuen Konsultationen wurde von westlicher Seite Senatsrat H. Korber benannt. Die DDR schlug ihrerseits am 11. Dezember 1963 Staatssekretär E. Wendt vor und nannte als ersten Gesprächstermin den 12. Dezember 1963. Insgesamt, fanden sieben Besprechungen statt. Dabei war die Formulierung des Protokolls wegen der gegensätzlichen Rechtspositionen ein schwieriger Verhandlungspunkt. Nachdem im Protokoll festgehalten worden war, daß über Orts-, Behörden-und Amtsbezeichnungen keine erzielt Einigung worden sei 87 kam das erste Passierscheinabkommen am 17. Dezember 1963 zustande.
Die DDR war in den schwierigen Verhandlungen ständig darauf bedacht, die rechtlichen Argumente der westlichen Verhandlungsseite zu torpedieren. „Indem aber nicht zwischen Sendboten des Westberliner Senats und des Ostberliner Magistrats, sondern der Regierung der DDR verhandelt wird, kann die Gegenseite dies als Argument für ihre Theorie von den drei deutschen Staaten buchen [. . . ] Der Westen akzeptiert auf ostdeutscher Seite einen Staatssekretär als Partner; von Mal zu Mal wird es schwieriger, nur von einfachen technischen Kontakten zwischen Beauftragten zu sprechen." Dem als Verwaltungsvereinbarung bezeichneten ersten Abkommen folgten zwei weitere, die sich durch technische Details unterschieden. Die DDR war jedoch dabei bemüht, über die Ebene der technischen Kontakte hinauszukommen, wie die Neubesetzung der Verhandlungsleitung nach dem Tode Wendts im Mai 1965 erkennen läßt. „Die Tatsache, daß Kohl dem Vorsitzenden des Ministerrats, Willi Stoph — nicht wie Wendt dem Kultusminister — unterstellt ist, deutet darauf hin, daß Stoph das Passierscheinproblem direkt an sich gezogen hat, und die Verhandlungen auf einer höheren Ebene als bisher geführt sehen möchte."
Das letzte Passierscheinabkommen wurde am 7. März 1966 unterzeichnet. Die letzte noch tätige Institution aus den Passierscheinverhandlungen ist nur noch die „Härtestelle für dringende Familienangelegenheiten". „Die DDR hat natürlich großes Interesse daran, diesen für sie positiven Musterfall am Leben zu erhalten; gleichzeitig ist sie an der Existenz einer Dienststelle in Westberlin interessiert, in der Repräsentanten der DDR unmittelbar tätig sind." Diese eng begrenzten Erfolge der von Brandt und Bahr konzipierten Politik schienen die Hoffnung zu wecken, daß man ein Instrument gefunden habe, mit dem sich — unter Ausklammerung von Grundsatzproblemen und Anerkennungsthematik — weiterreichende vertragliche Regelungen mit der DDR verwirklichen ließen.
Während es im März 1966 zu einer Kontroverse zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung über die Einbeziehung der „salvatorischen Klauseln" in die Passierschein-vereinbarungen kam, setzte sich in Ost-Berlin derjenige Flügel durch, welcher auf grundsätzliche Entscheidungen in der Deutschland-politik drängte Die Verhandlungen über ein viertes Passierscheinabkommen Ende 1966 scheiterten, ebenso die Versuche von Klaus Schütz, im Herbst 1967 zu einer neuen Regelung zu gelangen
Im Februar 1969 kam es zu Auseinandersetzungen um den Wahlort des neuen Bundespräsidenten. Ost-Berlin und Moskau boten ein Tauschgeschäft auf der Grundlage Bundesversammlung gegen Passierscheine an. Die Bundesregierung forderte ein längerfristiges Abkommen und konnte die zu erwartende Ablehnung politisch durchstehen, „[... ] da in Berlin keine psychologische Situation bestand, die einen Ruf nach Passierscheinen Begünstigte. Der Wunsch nach Besuchsmöglichkeiten hat nicht mehr die Durchschlagskraft, die er nach dem Mauerbau einmal besessen hat. Dazu haben Rentnerbesuche und Passierscheine für Härtefälle wesentlich beigetragen." c) Die Intensivierung der Kontakte mit der DDR Die Regierungserklärung Bundeskanzler Kie-singers vom Dezember 1966 beinhaltete den Wunsch nach menschlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakten mit der DDR. Das Alleinvertretungsrecht wird nur noch in umschriebener Form ausgesprochen und das Wort SBZ oder Sowjetzone in den offiziellen Reden vermieden Alle Parteien, ein Teil der Publizistik und der Öffentlichkeit waren bereit, über verbale Absichtserklärungen hinauszugelangen. Einen umfassenden Katalog, der diesen Vorstellungen Rechnung trägt, hat die Bundesregierung am 12. April 1967 vorgelegt. Darin sind die in der politischen Diskussion genannten „praktischen Schritte" konkretisiert. Die 16 Vorschläge an die Delegierten des VII. SED-Parteitages enthalten
I. Maßnahmen zur Erleichterung des täglichen Lebens für die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands, sowie a) verbesserte Reisemöglichkeiten, vor allem für Verwandte, mit dem Ziel der Entwicklung eines normalen Reiseverkehrs; b) Passierscheinregelungen in Berlin und zwischen den Nachbargebieten beider Teile Deutschlands; c) Erleichterungen des Zahlungsverkehrs durch innerdeutsche Verrechnung und beiderseitige Bereitstellung von Reise-zahlungsmitteln ; d) Erleichterung des Empfanges von Medikamenten und Geschenksendungen; e) Ermöglichung der Familienzusammenführung, insbesondere der Kinderrückführung.
II. Maßnahmen zur verstärkten wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zusammenarbeit, wie a) Ausweitung und Erleichterung des innerdeutschen Handels, dazu auch öffentliche Bürgschaften und Einräumung von Kreditlinien; b) Austausch zwischen den beiderseitigen Energiemärkten, Herstellung einer rationellen Elektrizitätsverbündwirtschaft; c) gemeinsamer Ausbau oder Herstellung neuer Verkehrsverbindungen: insbesondere Brücken, Autostraßen, Wasserstraßen, Eisenbahn; d) verbesserte Post-und Telephonverbindungen, insbesondere Wiederherstellung des Telephonverkehrs in ganz Berlin; e) Erörterung wirtschaftlicher und technischer Zweckgemeinschaften.
III. Rahmenvereinbarungen für den wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch, wie a) entbürokratisierter Verkehr zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten und wissenschaftlichen Gesellschaften; b) zeitgemäße Formen der wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit; c) schrittweise Freigabe des ungehinderten Bezuges von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen; d) Besuche von Jugendgruppen und Schulklassen; e) freier innerdeutscher Sportverkehr; f) freier Austausch und Verkehr kultureller Vereine und Institutionen.
Die Große Koalition sah die Deutschlandpolitik als Funktion und Bestandteil einer europäischen Entspannungspolitik und eines geregelten Nebeneinanders in Deutschland an. In zahlreichen öffentlichen Erklärungen betonte sie immer wieder ihre grundsätzliche Gesprächsbereitschaft. Jedoch kam für sie „die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation [. . . ] nicht in Betracht" Das weitestgehende Angebot wurde vom sozialdemokratischen Koalitionspartner vorgeschlagen: „Wir bieten der DDR Verhandlungen ohne jegliche Diskriminierung auf der Ebene der Regierungen an, die zu den Formen der Zusammenarbeit führen, die im beiderseitigen Interesse liegen."
Durch die Besetzung der CSSR am 21. August 1968 kam das von Ulbricht angebotene Treffen zwischen den Wirtschaftsministern Solle und Schiller nicht zustande. Doch nach langwierigen Verhandlungen zwischen Kleindienst und Behrend wurden am 6. Dezember 1968 die Interzonenhandelsvereinbarungen auf eine neue Grundlage gestellt. Die Bundesrepublik zahlt danach 120 Millionen Mark als Ausgleich für Erlösminderungen bei Mineralöllieferungen an die DDR, erhöht die Maschinenlieferungen, erweitert den Kreditrahmen und verzichtet auf den zur Jahresmitte üblichen Salden-ausgleich im Warenverkehr Die neuen Übereinkünfte gelten bis 1975. Die innerdeutschen Verkehrsgespräche auf der Ebene der Abteilungsleiter zwischen Ministerialdirigent Wolfgang von Dörrer vom Bundesverkehrsministerium und dem Hauptabteilungsleiter Gerber des DDR-Verkehrsministeriums im September 1969 haben ein erstes Ergebnis erzielt. Die seit dem 1. Dezember 1967 stillgelegte Kali-Bahn zwischen Philipsthal und Gerstungen hat ihren Betrieb wieder ausgenommen Weitere Themenbereiche für die zu erwartenden Verhandlungen umfassen Fragen der Binnenschiffahrt, der Straßenbauplanung und des Zugverkehrs. Ebenso zeichnen sich Gespräche auf der Beamtenebene über Verbesserungen des Post-und Telephonverkehrs ab
Die Bereitschaft der Großen Koalition, das Verhältnis zur DDR zu normalisieren, blieb zwangsläufig nicht unumstritten. Besonders einige Spitzenpolitiker der CDU/CSU warnten vor einer Anerkennung der DDR. Bundeskanzler Kiesinger stellte in einer Erklärung über die Lage der Nation'am 17. Juni 1969 fest: „Eine Anerkennung [der DDR] würde Unrecht als Recht bestätigen und gegen den allgemein anerkannten Grundsatz der Selbstbestimmung verstoßen." 2. Umgestaltung des politischen Systems der DDR Die Träger dieser Konzeption motivieren ihre politischen Argumente in unterschiedlicher Weise, die parteipolitische Frontstellung ist verwischt. Von primärem Interesse ist die Stärkung der westlichen Allianz. Nur mit Hilfe von Viermächteverhandlungen sei es möglich, den deutschen Rechtsstandpunkt zu wahren und eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen. Obwohl niemand mehr in Bonn auf einen mechanischen Anschluß der DDR hofft, wird in der „Hallstein-Doktrin" ein adäquates Mittel gesehen, um das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik durchzusetzen. Dieser Alleinvertretungsanspruch besagt, daß die Bundesrepublik der einzig legitime Staat auf deutsche! Boden sei und daß sie daher allein berechtic sei, in internationalen Angelegenheiten fi das ganze deutsche Volk zu sprechen. Di DDR-Regierung dagegen verfüge über keine: lei demokratische Legitimation durch da Volk. Man bedauerte, „[... ] daß die Volke: gemeinschaft es zwar durchgesetzt hat, da auch der kleinste afrikanische Staat das Reel auf Selbstbestimmung erhielt, Völkern in de Mitte Europas dasselbe Recht aber noch in mer verweigert wird"
Bedenklich erscheint den Vertretern diese Richtung der lokal begrenzte deutsche Beitra zur Entspannung. Die „Politik der kleine Schritte" wird entschieden abgelehnt. Gewal anwendung als Mittel zur Überwindung de deutschen Teilung wird sowohl für die Kor zeption der Respektierung als auch der Umge staltung der DDR als irrelevant angesehei Eine Ausnahme bilden die Ausführungen vo Hans-Georg von Studnitz, Redaktionsmitglie der Wochenzeitung . Christ und Weit’, der di Wiedervereinigung in Frieden und Freihei als „contradictio in adjecto" bezeichne Vielmehr sei es „klarzumachen, daß die Wie dervereinigung nur als Frucht von Opfern un Kämpfen kommen kann [. . . ]"
Eine einflußreiche Gruppe innerhalb der CDU CSU lehnt die Respektierung der DDR ab un warnt vor den unabsehbaren Folgen eine Anerkennung der Ost-Berliner Regierun „Eine Anerkennung würde im Gegenteil ein Vertiefung der Spaltung Deutschlands bewii ken [. . . ] Wir würden ein Regime legitimie ren, das eine demokratische Legitimatio: durch den von ihm beherrschten Teil Deutsch lands nicht besitzt und sich nur auf die fremd Besetzung gründet [. . . ] Anerkennung hieß Rivalität, Gegensätze und Hegemonie verfe stigen; hieße Gräben zementieren statt sie zu zuschütten." Die Vertreter dieser Auffas sung warnen vor den politischen Zugeständ nissen einer Entspannungspolitik und forder die Freigabe der Zone Die DDR erscheint ihnen nicht als gleichwertiger Gesprächspartner, sondern als ein außengesteuerter Befehls-empfänger Moskaus
In den Berliner Passierscheinabkommen sahen die Gegner der „Politik der kleinen Schritte" die Gefahr einer Aufwertung der DDR, besonders im Hinblick auf die afro-asiatischen Länder. Es würde dort, der Eindruck entstehen, daß das deutsche Problem gelöst sei und daß sich die Deutschen selbst mit ihrer Teilung abgefunden hätten. Bilaterale Verhandlungen mit der DDR förderten die Hinnahme der „Drei-Staaten-Theorie" und gefährdeten den Rechtsstatus Berlins. Die Führungsgremien der Berliner CDU und Teile der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion verwahrten sich gegen die Verlagerung der Vereinbarungen von der kommunalen auf die Regierungsebene. Kleine und pragmatische Schritte in der Deutschlandpolitik wurden als aussichtslos betrachtet, denn „im gleichen Maße, indem versucht wird, durch kleine Regelungen erträgliche Verhältnisse in Berlin zu schaffen, geht der Wille verloren, sich für die Lösung der großen Fragen der deutschen Politik noch kräftig einzusetzen" Die Passierschein-vereinbarungen wurden als ein einmaliges, unvermeidliches Entgegenkommen aufgefaßt und sollten keine Neuauflage erfahren: „Es wäre falsch, in dem Passierscheinabkommen den Beginn einer neuen Politik zu sehen [. .. ]"
V. Die Konzeptionen zur Deutschlandpolitik in der DDR
a) Alleinvertretungspolitik und Integration der DDR in den Ostblock Eng verbunden mit dem Ziel der völkerrechtlichen Anerkennung in den innerdeutschen Beziehungen ist die Politik der DDR gegenüber der westlichen Staatenwelt. Sie bemüht sich, als zweiter souveräner Staat internationale Geltung zu erlangen. Im Zuge einer dynamischen Außenpolitik zu den westeuropäischen Staaten Frankreich, Großbritannien, Belgien, Italien und Österreich sollen die Handelsbeziehungen intensiviert und die außen-politischen Vorstellungen verdeutlicht werden. Dadurch gewinnt die DDR auch im Westen an wirtschaftlicher Bedeutung und entwickelt sich zu einem politischen Faktor, der nicht übergangen werden kann Zwar erreichte Ost-Berlin nicht, daß das Allied Travel Board in West-Berlin abgeschafft wurde, doch beschloß der NATO-Rat im Juni 1969 eine weitgehende Liberalisierung der Genehmigungspraxis
Ein erster spektakulärer Durchbruch gegen die Wirksamkeit der „Hallstein-Doktrin" gelang der DDR durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kambodscha, Syrien, Südjemen, Ägypten, dem Irak und Sudan. Besonders im Nahen Osten wurde die feindliche Haltung der DDR zu Israel honoriert. Da die arabischen Staaten weitgehend von der sowjetischen Militärhilfe abhängig sind, blieb eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR als politische Gegenleistung nicht aus. Die Regierung in Ost-Berlin bemüht sich nun, Indien und Finnland zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu bewegen. Das konsequent verfolgte strategische Ziel, zu internationaler Reputation zu gelangen, bedingt auch eine Konzentration auf die Aufnahme in die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, in denen Deutschland bisher allein durch die Bundesrepublik repräsentiert ist. Als eine besonders „raffinierte Form des westdeutschen Imperialismus" wurde die Ostpolitik der Großen Koalition bezeichnet. Walter Ulbricht erklärte vor dem Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau am 12. November 1969, nur wenn die Bonner Regierung auf ihre Vorbedingungen, vor allem auf die Alleinvertretungsanmaßung, verzichtet, kann der Weg zur Entspannung freigemacht werden"
Die Entspannungspolitik der Bundesregierung beabsichtige, die einzelnen Staaten aus der sozialistischen Staatenwelt herauszulösen und die DDR zu liquidieren. „Auf das sozialistische Weltsystem als Ganzes gerichtet, verfolgt die . flexible Ostpolitik'eine Strategie der Vereinzelung der Außenpolitik der sozialistischen Staaten. Das findet seinen Ausdruck in der Parole von der Förderung einer . größeren Unabhängigkeit der osteuropäischen Länder'. Damit ist nicht etwa die Unabhängigkeit vom Imperialismus und seinen Monopolvereinigungen gemeint, sondern die Erschütterung der festen Solidarität der sozialistischen Staaten untereinander, der wirksamen Garantie ihrer nationalen Unabhängigkeit." Die Freundschafts-und Beistandspakte der DDR mit Polen vom 15. März 1967 und der ÖSSR vom 17. März 1967 haben unter anderem das Ziel, die Auswirkungen der Entspannungspolitik der Bundesrepublik zu neutralisieren. Sie dienen der konsequenten Integration der DDR in das bilaterale Bündnissystem des Ostblocks, die mit dem Abschluß des Freundschaftsund Beistandspaktes mit Moskau am 12. Juni 1965 begann b) Die Entwicklung der Kontakte zur Bundesrepublik In den Beziehungen zur Bundesrepublik steht die Anerkennung der DDR als zweiter souveräner deutscher Staat im Vordergrund. Für die DDR ist eine Wiedervereinigung nur unter kommunistischen Bedingungen möglich oder in Form einer losen Konföderation, die zwangsläufig auch die völkerrechtliche Anerkennung bringt. Als Mittel für die Lösung sollen gleichberechtigte Verhandlungen der beiden souveränen deutschen Staaten dienen. West-Berlin wird dabei als selbständige oder besondere Einheit angesehen. Für die ostdeutsche Regierung gehört „Westberlin [. . . ] nicht zur westdeutschen Bundesrepublik und wird niemals zu ihr gehören. In der Westberlinfrage stehen für die DDR Interessen von lebenswichtiger Bedeutung auf dem Spiel.“ Die DDR intendiert mit ihrer Deutschlandpolitik, bei teilweise wirksamer Unterstützung der
Sowjetunion, die erzwungene Teilung zu stabilisieren und zu legitimieren.
Die Forderung nach Anerkennung der DDR besteht eigentlich schon seit ihrer Gründung und ist oft in vielen modifizierten Formen vorgetragen worden. Bis 1964 wurden der Bundesregierung zum Teil noch Lösungen angeboten, die eine solche direkte Forderung umschrieben. Das vorgeschlagene 7-Punkte-Abkommen Walter Ulbrichts vom 15. Januar 1963 sprach noch von der „Respektierung der Existenz" statt von der völkerrechtlichen Anerkennung Selbst Zugeständnisse der Bundesregierung, welche die Beziehungen zur DDR normalisieren sollten, werden zum Anlaß genommen, um das Verlangen nach völkerrechtlicher Anerkennung herauszustellen, über die Bedeutung der Vereinbarungen im innerdeutschen Handel vom Dezember 1968 erklärte DDR-Außenminister Otto Winzer vor der Volkskammer: „Sofern die Bonner Regierung also Entspannung will, muß sie die völkerrechtswidrige Alleinvertretungsanmaßung endgültig und restlos aufgeben."
Im staatlichen Eigenverständnis der DDR hat sich eine Art umgekehrte „Hallstein-Doktrin" entwickelt; die daraus resultierende national-politische Zielsetzung führt von der angestrebten Anerkennung der Zweistaatlichkeit zum Alleinvertretungsanspruch der DDR: „[... ] Wer spricht noch von der Hallstein-Doktrin? Es geht gar nicht mehr um einen Alleinvertretungsanspruch der Bonner Regierung. Sie hat überhaupt kein Recht, für die Nation zu sprechen. Wir, die DDR, erheben diesen Anspruch." Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der DDR sind wiederholt als Leitbild und Modellfall für die Bundesrepublik dargelegt worden, in der Hoffnung, daß „um den in der DDR staatlich organisierten Kern der deutschen Nation [. . ] sich die große Mehrheit auch der westdeutschen Bevölkerung gruppieren" werde. Innenpolitisch wurde die Eigenstaatlichkeit in der DDR-Verfassung vom 8. April 1968 verankert, in der die Existenz zweier deutscher Staaten von grundlegend unterschiedlicher gesellschaftlicher Struktur betont wird. Der Souveränitätsanspruch der Ost-Berliner Regierung wird durch Maßnahmen wie die Paß-und Visavorschriften vom 12. Juni 1968 auf wirksame Weise demonstriert Mit Hilfe der Passierscheinabkommen sollte die völkerrechtliche Anerkennung erreicht werden. Die Angebote zielten außerdem darauf ab, die verschiedenen Richtungen innerhalb der Parteien in der BRD gegeneinander auszuspielen. Dennoch schien sich mit den Passsierscheinabkom-men eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen len beiden Teilen Deutschlands anzubahnen. Diese Tendenz unterstrich die DDR-Regierung am 17. Dezember 1965 durch die Schaffung eines „Staatssekretariats für gesamtdeutsche Fragen beim Ministerrat der DDR" Mit lern Ende der national-akzentuierten Politik im Juni 1966 wurde jedoch das Staatssekretariat in „Staatssekretariat für westdeutsche Fragen“ umbenannt
Der von Walter Ulbricht am 7. Februar 1966 begonnene „offene Briefwechsel" zwischen der SED und SPD schien eine Möglichkeit anzubahnen, daß Vertreter der SPD und SED jeweils gemeinsam auf Parteiveranstaltungen in der Bundesrepublik und in der DDR sprechen konnten Auf einer internationalen Pressekonferenz wurde von Albert Norden am 29. Juni 1966 der geplante „Redneraustausch" abgesagt. Als Vorwand für den vorbereiteten Rückzug der SED diente das vom Bundestag verabschiedete „Gesetz über die befristete Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit" vom 23. Juni 1966 Einen neuen Vorstoß in der Deutschlandpolitik unternahm der Vorsitzende des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, am 10. Mai 1967 durch einen Brief an Bundeskanzler Kiesinger. Im Verlaufe dieser Korrespondenz gingen jeweils zwei Briefe nach Bonn und Ost-Berlin. Auf Kiesingers Brief vom 28. September 1967 blieb eine den Anforderungen entsprechende Antwort aus Den Vorschlägen der Bundesregierung für Zusammenarbeit auf menschlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet stellt die DDR beständig die nach völkerrechtlicher Anerkennung als zweiter souveräner deutscher Staat und die Anerkennung West-Berlins als besondere politische Einheit gegenüber.
VI. Gegenwärtige Perspektiven
Die Teilung des Deutschen Reiches ist das Ergebnis einer Politik, die 1933 begann und 1949 ihren Abschluß fand. Das Deutschlandproblem entwickelte sich zu einer Erscheinungsform der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR einerseits und der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Machtsphären andererseits. Keine der vorgeschlagenen Lösungen von westlicher oder östlicher Seite konnte eine Wiedervereinigung realisieren. Da die Beziehungen der Staaten untereinander nicht eine statische, unveränderbare Größe im internationalen System darstellen, haben sich durch den Abbau der gegnerischen Bipolarität in der Weltpolitik die Bedingungen des inter120 nationalen Systems, die Haltungen der Regierungen und Menschen geändert.
Die deutsche Frage verlor von Jahr zu Jahr immer mehr an Bedeutung auf internationalen Konferenzen. Obwohl sie heute primär unter dem Aspekt des Verhältnisses der beien deutschen Staaten zueinander gesehen wird, ist sie dennoch mit den Interessen der Großmächte unlösbar verbunden. Entgegen den Erwartungen erfüllte sich die Wiedervereinigung in , Frieden und Freiheit'nicht. Die Konzeptionen von der Fortdauer des Kalten Krieges und der Umgestaltung des politischen Systems der DDR erwiesen sich als nicht reali-sierbar. Die Durchführung der Absicht, in der Präambel des Grundgesetzes die demokratischen Prinzipien in ganz Deutschland durchzusetzen, scheiterte an den machtpolitischen Gegebenheiten, die seit 1945 in Mitteleuropa im großen und ganzen konstant geblieben sind.
Seit Beginn der sechziger Jahre entwickelte sich die Politik der Entspannung, die auf eine differenzierte Kooperation und Annäherung der beiden weltpolitischen Lager hinarbeitet.
Der eigenständige deutsche Beitrag zu dieser Politik ist, die Elemente des Konfliktes zwischen der Bundesrepublik einerseits und Osteuropa und der DDR andererseits zu isolieren und gemeinsame Interessengrundlagen zu finden. In jedem Falle bleibt dies eine vordringliche Aufgabe der deutschen Außenpolitik, ob sie nun mit der entspannungspolitischen Strategie primär das nationalpolitische Ziel — die Wiedervereinigung — oder eine europäische Friedensordnung erreichen will.
Reinhold Roth, geb. 29. Mai 1941 in Kleinostheim/Aschaffenburg, Studium der Politikwissenschaft in Berlin und Hamburg.
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