Die nahezu dogmatische Ablehnung des Planungsgedankens, wie sie bis in die sechziger 'Jahre hinein vorherrschte, kann mittlerweile als überwunden gelten. Heute ist akzeptiert, daß Planung als Vorbereitung und Systematisierung der Entscheidungsfindung im demokratischen Staat eine für die Effizienz und Transparenz politischen Handelns notwendige und legitime Rolle spielt. Diese Rolle bezieht sich auf die planmäßige Festlegung von Zuständigkeiten, Zielen, Mitteln, Methoden und Informationen, die zur staatlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben erforderlich sind. Je mehr sich die Diskussion von der unfruchtbaren, die Wirklichkeit verfälschenden Entweder-Oder-Alternative zwischen dem Ordo-Liberalismus und dem Staatskommunismus löst, und je mehr die praktischen Dimensionen und Grenzen staatlicher Planung erkennbar werden — zumal in einem gewaltenteilenden demokratischen Bundesstaat —, desto differenzierter und praxisbezogener wird die Erörterung. Die Erfüllung der umfassenden gesellschaftlichen Aufgaben kann nur dann geleistet, die Chance dieses Staates in der Europäischen Gemeinschaft nur dann genutzt werden, wenn eine klare Organisierung der wechselseitig zu berücksichtigenden Interdependenzen erfolgt. Bei den in den vergangenen Jahren entwickelten Planungsansätzen können zwei Gruppen unterschieden werden: Versuche zur Planung in einzelnen, sektoral oder institutionell bestimmten Sachbereichen (z. B. Fachplanungen der Ressorts) und Ansätze zur integralen Planung von konkurrierend oder komplementär in Beziehung stehenden Einzelbereichen öffentlichen Handelns (ressortübergreifende Querschnittsplanungen). Beispiele für die erste Gruppe sind zu finden im Agrar-, Verkehrs-und im Bildungsbereich, während für die zweite Gruppe vor allem die Raumordnungspolitik und die mittelfristige Finanzpolitik als Beispiele zu nennen sind. In der vorliegenden Arbeit werden anhand der Bereiche: Bildungsplanung, Raumordnungspolitik und mittelfristige Finanzplanung die bestehenden Planungsprobleme und -konflikte sowie die Perspektiven für ihre — schon erfolgten oder noch ausstehenden — Lösungen aufgezeigt.
Die Analyse von Planung im ersten Viertel-Jahrhundert der Bundesrepublik Deutschland erfordert eine zumindest stichwortartige Definition des hier verwendeten Begriffes, um dem Titel — und vielleicht auch den folgenden Darlegungen — Mißverständnisse [als ironisierendes Paradoxon oder als simple Apologetik] zu ersparen. Verstehen wir Planung als das systematisch auf ein übergeordnetes politisches Ziel ausgerichtete Vorbereiten und Durchsetzen der langfristig wirksamen Entscheidungen im öffentlichen Bereich, so ist es nicht schwer, das Fazit unseres Beitrages vorwegzunehmen: Daß nämlich von Planung in der Bundesrepublik nur insofern die Rede sein kann, als die Notwendigkeit einer so verstandenen Planung im Gegensatz zur ersten Nachkriegsperiode inzwischen überhaupt öffentlich diskutiert werden kann, daß sie teilweise auch — zumindest verbal — anerkannt wird und daß einige Ansätze zu einer solchen Planung bestehen oder diskutiert werden. Wie sehr aber auch heute noch — vielleicht weitgehend unbewußt oder doch ungewollt — das politische Bewußtsein dadurch gekennzeichnet ist, daß „Marktwirtschaft" und „Planung" als Gegensätze empfunden werden, beweist z. B.der 1972 erschienene Band „ 25 Jahre Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland" schon von seiner Gliederung her, aber auch mit seinen Beiträgen öffentliche Eingriffe in den wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß werden von den meisten immer noch als eine Art von notwendigem Übel verstanden. In diesem Buch mit vielen Beiträgen namhafter Wirtschaftswissenschaftler findet sich nicht die Idee, langfristige Planung öffentlicher Aktivitäten nicht nur als — wegen einiger nicht zu verheimlichender theoretischer und praktischer Schwä-
chender „marktwirtschaftlichen-Ordnung" — notwendige Ergänzung, sondern als konstitutives Element für die Gewährleistung von so viel Marktwirtschaft wie möglich zu verstehen und langfristige Planung dementsprechend ebenso ernst zu nehmen wie z. B. die Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts.
Die politische Wirklichkeit ist dementsprechend auch immer noch durch — manchmal weit entwickelte, methodisch fortgeschrittene — Einzelansätze bereichs-oder trägerspezifischer Planung gekennzeichnet, ohne daß in der Regel der erforderliche strenge Bezug zu einem politischen Zielsystem besteht. Hält man sich dabei vor Augen, daß trotz zunehmender Forderungen nach stärkerer Aktivität des Bundes, z. B. auf den Gebieten der Ausbildungsförderung, der Wissenschaftsförderung und der regionalen Strukturpolitik, faktisch die Ausgaben der Länder erheblich stärker gewachsen sind als die des Bundes, insbesondere bei Außerachtlassung der Personalausgaben (die auch beim Bund wegen des Wiederaufbaus der Streitkräfte eine starke Entwicklung erlebten), so ist es um so erstaunlicher, daß integrierende Planungen zur Sicherung einer gewissen Mindestkoordination der vielfach dezentralen Aufgabenbewältigung bisher kaum in Ansätzen existieren.
Die historisch-politische Erklärung des fünfundzwanzigjährigen Prozesses allmählicher — und noch immer nicht abgeschlossener — Überwindung einer zu Beginn alles beherrschenden Planungsphobie kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Die Wurzeln der Planungsfeindlichkeit reichen mit Sicherheit weiter zurück, als es der oft allzu einfache Hinweis auf den spontanen und andauernden Erfolg der am Leitbild der Marktwirtschaft ausgerichteten Währungs-und Wirtschaftsreform von 1948/49 suggerieren möchte; es sei nur daran erinnert, daß der expandierende Staatsinterventionismus schon in den dreißiger Jahren zu kritischen Reaktionen führte, etwa zu der Forderung nach einem „marktkonformen" wirtschaftspolitischen Instrumentarium. Wichtiger erscheint es, den Prozeß der Überwindung dieser apodiktischen Ablehnung von öffentlicher Planung in seinen groben Zügen aufzuzeigen und anhand einiger ausgewählter Problembereiche zu verdeutlichen. Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß eine ernsthafte Diskussion der Möglichkeiten, Grenzen und Probleme öffentlicher Planung erst 1962/63 wieder einsetzte. Es ist in gewisser Weise bezeichnend für die seinerzeitige Ausgangslage, daß die neue Auseinandersetzung keineswegs innenpolitisch ausgelöst wurde; die Sozialdemokratische Partei, die allein dies hätte bewirken können, hatte sich gerade erst (1959) mit ihrem Godesberger Grundsatzprogramm in pragmatisch-zurückhaltender Weise festgelegt und dem Staat zwar vorausschauende Konjunkturpolitik als wichtige. Aufgabe zuerkannt und die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung sowie das vorausschauende Nationalbudget als wichtige Instrumente genannt, daneben aber den Wettbewerb als Steuerungselement hervorgehoben und sich damit der Planungsproblematik praktisch entzogen
Anlaß für das erste Wiederaufflackern der Planungsdiskussion war vielmehr das im Oktober 1962 veröffentlichte Memorandum der EWG-Kommission über das »Aktionsprogramm für die zweite Stufe" des Gemeinsa-men Marktes Dieses Memorandum enthielt in dem der Wirtschaftspolitik gewidmeten Kapitel Vorschläge für eine auf einer längerfristigen Vorausschau aufbauende indikative Programmierung der wirtschaftlichen Entwicklung und löste damit eine spektakuläre Kontroverse zwischen dem deutschen Wirtschaftsminister Erhard und dem Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Hallstein, aus. Die Tragweite dieses Diskussionsanstoßes verdeutlichen die unter dem Titel „Planung ohne Planwirtschaft" veröffentlichten Referate und Protokolle eines sieben Monate später, im Jun: 1963, abgehaltenen „Frankfurter Gesprächs'der List-Gesellschaft, die auch heute noch ein wichtiges Dokument darstellen
Die in den vergangenen Jahren entwickelten Einzelansätze sind interessant genug, um die bestehenden Probleme und Konflikte und die Perspektiven für ihre Lösung klar werden zu lassen. Diese einzelnen Planungsansätze können ihrer Art nach in zwei Gruppen unterschieden werden: Versuche zur Planung in einzelnen, sektoral oder institutionell bestimmten Sachbereichen (Fachplanungen) und Ansätze zur integralen Planung von in den Wirkungen ihrer Maßnahmen miteinander konkurrierend oder komplementär in Beziehung stehenden Einzelbereichen öffentlichen Handelns (Querschnittsplanungen). Beispiele für die erste Gruppe sind zu finden im Agrar-, Verkehrs-und im Bildungsbereich, während für die zweite Gruppe vor allem die Raumordnungspolitik und die mittelfristige Finanzpolitik als Beispiele zu nennen sind, ohne damit alle bestehenden Ansätze erwähnt zu haben. Für den hier verfolgten Zweck einer Skizzierung des in den letzten fünfundzwanzig Jahren zu verzeichenden Wandels genügen die gewählten Beispiele vollauf.
Zwei allgemeine Vorbemerkungen erscheinen noch angebracht. Erstens gab und gibt es in der Bundesrepublik wichtige Aufgabenbereiche, die von vornherein langfristig konzipiert waren und die in erheblichem Maße die öffentlichen — und teilweise auch die privaten — Entscheidungsspielräume beschränkten, ohne daß dabei von Planung im oben eingegrenzten Sinne die Rede sein konnte. Musterbeispiele hierfür sind der Lastenausgleich für die Kriegs-und Vertreibungsschäden, der in 30 Jahren abgewickelt werden sollte sowie insbesondere der öffentliche bzw.der öffentlich geförderte Wohnungsbau. Gerade die seit eh und je pragmatische, an aktuellen Situationen oder allenfalls an Gleichbehandlungsgrundsätzen formaler Art ausgerichtete Wohnungsbaupolitik, für die im betrachteten Zeitraum (bis einschließlich 1971) rund 75 Mrd. DM aus öffentlichen Haushalten ausgegeben wurden ist geeignet, die fehlende Planung in ihren Konsequenzen zu verdeutlichen. Die heute immer mehr zu einem Problem werdende „Zersiedelung" der Landschaft, insbesondere im Bereich der Ballungsräume, einerseits und die manchmal maßlose, ebenfalls zu einem politischen Ärgernis gewordene Bodenspekulation wurden von der ausschließlich auf die Bereitstellung von möglichst vielen Wohnungen ausgerichteten Wohnungsbaupolitik gefördert, ja vielfach überhaupt erst ermöglicht. Denn auch Wohnbauten, die ganz oder teilweise mit öffentlichen Geldern finanziert wurden bzw. werden, konnten und können immer noch überall dort gebaut werden, wo Baugelände ausgewiesen ist — praktisch überall. Die Situation reiner Verkäufermärkte auf dem Wohnungssektor — die erst seit Anfang der siebziger Jahre langsam abgebaut zu werden beginnt — führte dazu, daß auch die quantitativen und qualitativen Differenzierungen der Nachfrage sich INHALT Beispiel Bildungsplanung ..................... S. 32 Beispiel Raumordnungspolitik ............ S. 35 Beispiel Mittelfristige Finanzplanung S. 39 Längerfristige Perspektiven ................ S. 42 nicht auswirken konnten: Praktisch jedes Angebot neuen Wohnraums fand, unabhängig von seiner räumlichen Lage, sofort eine ausreichende Nachfrage. Dennoch wurde diese Situation nicht in einem instrumentalen Sin-ne, also etwa zur Unterstützung und Förderung einer sinnvollen räumlichen Entwicklung innerhalb der Bundesrepublik, genutzt. Nach 20 Jahren einer weitgehend vom Wohnungsbau getragenen ungeplanten, ja vielfach planlosen Siedlungsentwicklung werden nun die Folgen erkennbar: Ordnungsaufgaben erheblichen Ausmaßes in fast allen größeren Siedlungseinheiten (insbesondere in den Verdichtungsräumen) und durch Abwanderungen bedingte verminderte Entwicklungsvoraussetzungen in manchen problematischen, dünnbesiedelten Gebieten.
Die zweite allgemeine Vorbemerkung muß die institutioneilen Rahmenbedingungen für jede öffentliche Planung in der Bundesrepublik in Erinnerung rufen. Die durch die Erfahrungen mit einem zentralistischen Einheitsstaat und durch Auflagen der westlichen Siegermächte bestimmte bundesstaatliche Verfassung einschließlich der — zumindest theoretisch — starken Stellung der Gemeinden erschwert jeden Versuch systematischer Planung vielfach — rechtlich oder faktisch. Damit wird insoweit kein negatives Urteil über die-se Verfassung gefällt. Ganz im Gegenteil: Die Vorteile der geltenden Grundregeln sind un-seres Erachtens unbestreitbar. Aber gleichzei31 tig muß nüchtern gesehen werden, daß erschwerte und ineffizientere Planung im öffentlichen Bereich ein Teil des Preises für die politische Ordnung ist, und daß beide Aspekte nicht ohne Einbeziehung ihrer wechselseitigen Implikationen richtig beurteilt werden können. Alles, was im folgenden an Kritischem zu sagen ist, muß in diesem unauflösbaren Zusammenhang gesehen und verstanden werden, auch wenn hier nicht weiter auf die umfassendere Problematik eingegangen wird.
Im folgenden sollen drei charakteristische Bereiche staatlicher Planung in der Bundesrepublik in bezug auf ihre Grundbedingungen, Chancen und Grenzen in der Wirklichkeit der vergangenen 25 Jahre skizziert werden, damit einen Ausgangspunkt für die
Fragen nach den jetzt wirksamen längerfristigen Perspektiven zu gewinnen. Die drei ausgewählten Bereiche staatlicher Planung unterscheiden sich nicht dadurch, daß sie etwa unterschiedliche Aufgabenfelder öffentlicher Politik betreffen. Vielmehr unterscheiden sie sich kategorial: sektorale, mehr oder minder fachressortbezogene Sachplanung einerseits (das Beispiel Bildungspolitik), andererseits ressortübergreifende Planung jeweils eines operationalen Querschnittsaspekts der Regierungstätigkeit (die Beispiele Raumordnungspolitik und mittelfristige Finanzpolitik). Letztere unterscheiden sich dadurch, daß sich die Raumordnung auf die — zumindest seit 1945 — definitiv begrenzte Ressource Boden bezieht, dessen Nutzung quantitativ und qualitativ zu ordnen, ja für die Zukunftsperspektive der Gesellschaft zu gestalten ist, während die mittelfristige Finanzpolitik im Idealfall praktisch alle Sach-und Fachplanungen der öffentlichen Regierungstätigkeit betrifft, die sich auf Transfers, auf Investitionen und auf Dienstleistungen beziehen und sich nicht auf eine bloße ordnende und konzeptionell gestaltende Tätigkeit beschränkt. Beiden ressort-übergreifenden Querschnittsaspekten gemeinsam ist die ihnen eigene Sachgesetzlichkeit der Interdependenz der Mittelverwendung und das daraus resultierende Problem der im voraus immer sehr schwierig zu gewährleistenden Konsistenz der einbezogenen Planungen und Maßnahmen. Diese 'Interdependenz gilt selbstredend auch in jedem Bereich der Fachplanung, nur ist sie dort nicht evident, sondern wird erst im Verlaufe ungestörten, isolierten Wirkens offensichtlich, wie zum Beispiel in der Verkehrspolitik, die sich — in der Bundesrepublik bisher — vorwiegend und einseitig auf den Straßenbau und das (private) Kraftfahrzeug bezogen hat. Im Kontext dieser Schrift interessiert dabei besonders, ob und in welcher Weise für die ausgewählten Bereiche geplant wird, ob Institutionen, Instrumente und Verfahren einer bewußten, systematisierten und operationalisierten Planung geschaffen wurden.
Beispiel Bildungsplanung
Wie in den übrigen Fachpolitiken auch waren die er. sten Jahre der Bundesrepublik durch eine Anfang der fünfziger Jahre an Boden gewinnende Restauration in bezug auf die Ziele und Mittel der Bildungspolitik gekennzeichnet. Der Aufbruch, der die kulturpolitische Szenerie bis zur Währungsreform kennzeichnete, erstickte im Materialismus des Wirtschaftswunders — ein oft kritisiertes, in seinen Auswirkungen auf gesellschaftliches Bewußtsein und Demokratieverständnis tiefwirkendes Phänomen. Hinzu kam, daß die Konzentration des Wiederaufbaus auf Privatwirtschaft und wenige Infrästrukturbereiche wie Verkehrsmittel und Wohnungsbau zugleich auf eine bundesstaatliche Verfassungsstruktur traf, welche die Schul-und Bildungspolitik zum Kernbereich der Länderzuständigkeit zu machen schien, zur sogenannten Kulturhoheit, in der der Bund über keinerlei Mitwirkung verfügte.
Die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ergänzung zum Hochschulwesen gelegten Grundzüge des staatlichen Schulwesens bestanden in der Bundesrepublik im wesentlichen fort: die in der Weimarer Republik mit ihren starken pädagogischen Impulsen entstandene vierjährige „Gesamtschule" — die Grundstufe der Volksschule — und die darauf aufbauende, ganz überwiegend staatliche, dreigliedrige Organisation des weiterführenden allgemeinen Schulwesens. Die durch die Intellektuellenfeindlichkeit der Nationalsozialisten verschuldete Schrumpfung der Universitäten wurde schrittweise wieder wettgemacht, die Fortschritte in der Lehrerbildung ausgebaut und verallgemeinert. Doch traf dieses Schul-und Hochschulwesen auf eine Wirtschaft und Gesellschaft, deren Bevölkerungsvermehrung und -ballung und deren Wertbewußtsein und Lebenshorizont immer weniger bereit war, traditionell restaurierte provinzielle Bildungsbürgerlichkeit hinzunehmen. Immer mehr machte sich bemerkbar, daß ein Preußen der durchaus fortschrittlichen Kulturpolitik der zwanziger Jahre fehlte, daß das lange Zeit sehr beachtliche Fortschritte initiierende Bundesland Hessen nicht genügend Impulse übertragen können würde.
Aber die Themen der späten fünfziger Jahre und der beginnenden sechziger Jahre wurden hier in Hessen vorbereitet: Zusammenfassung der Zwergschulen in Dörfergemeinschaftsschulen, systematische wissenschaftliche Grundlegung der Lehrerbildung durch Einbeziehung in die Universitäten, Beginn der Bildungsforschung.
Das Bildungsgefälle zwischen Großstadt, Mittelstadt und Dorf, zwischen Jungen und Mädchen, zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Kindern von Akademikern und Arbeitern, zwischen Gemeinschaftsschule und Konfessionsschule, zwischen Nord und Süd wurde bewußt und durch Statistiken und empirische Erhebungen vielfältig belegt
Das Stichwort der „Bildungskatastrophe", in der sich die Bundesrepublik befände, wurde geboren (Georg Picht 1964) Die Charakterisierung des „Bildungsnotstandes", der einer modernen Industriegesellschaft weder angemessen noch — aus humanen, ökonomischen wie wissenschaftlich-fortschrittsbezogenen Gründen — vertretbar erscheint, erfolgte — und dies reflektiert bereits die vollständige Planungs-und Planlosigkeit des Aufbruchs zur Bildungspolitik der siebziger und achtziger Jahre — im Schlüsselbegriff der „Abiturientenquote". Diese sei bei ca. 5 Prozent (1950 bis 1960) im internationalen Vergleich skandalös niedrig; sie solle bis 1985 etwa verdreifacht werden (schon 1972 betrug sie 18 Prozent!). Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, die bereits 1946 ins Leben gerufene Koordinierungsstelle der Länder-Kulturpolitik, sah sich in die Defensive gedrängt; der Ruf nach gesamtstaatlicher, umfassender Bildungsplanung wurde laut — und gehört.
Bund und Länder beschlossen 1964 ein Verwaltungsabkommen, das zur Errichtung des Deutschen Bildungsrates führte, dem nach dem Vorbild des 1957 geschaffenen Wissenschaftsrates sowohl Sachverständige aus Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft als auch Vertreter der Landesregierungen und der Bundesregierung angehören. Dieses Gremium legte im März 1970 den lange herbeigesehnten und geforderten „Strukturplan für das deutsche Bildungswesen"
vor, in dem erstmals eine Gesamtschau der verschiedensten Bildungseinrichtungen vom Kindergarten (der nicht mehr als reine Pflegestätte verstanden wird) über das allgemeinbildende und berufsbildende Schulwesen bis zum Hochschulbereich sowie der Erwachsenenbildung durch Weiter-und Fortbildung vorliegt.
Aber längst bevor dieser Strukturplan vorgelegt wurde, bevor die Bundesregierung seine Grundzüge in ihrem ersten Bildungsbericht vom Juni 1970
übernahm, und die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung im Juli 1970 ihre Arbeit aufnehmen konnte, bevor also die langfristige Konzeption eines demokratischen Bildungswesens mit-mehr Chancengleichheit und Leistungsfähigkeit vorgelegt und schrittweise seine Durchführung in die Wege geleitet werden konnte, hatten das Bewußtsein des Bildungsgefälles, die prophezeite Bildungskatastrophe und die Forderung nach Beseitigung des Bildungsnotstandes zu ernsten und weitreichenden Reaktionen geführt, und zwar bei allen Beteiligten und Betroffenen: bei Eltern, Lehrern und Kultusministern, bei Politikern wie Bürgern. Die Bildungswerbung erhöhte die Zahl der Übergänge von der Grundschule in die Gymnasien und die Realschulen drastisch, die Abiturientenquote stieg im Gefolge unaufhaltsam an und hat auch jetzt, also bei Verabschiedung des Gesamtplans zur Bildungsreform (Juni 1973), noch lange nicht ihren aus den sechziger Jahren her absehbaren höchsten Wert erreicht. Aus der isolierten Veränderung nur eines Ziel-und Mittelparameters innerhalb eines komplexen, interdependenten Bildungssystems, ohne daß die notwendige strukturelle 10 Reform der weiterbildenden Schulen auch nur in Umrissen sichtbar war oder ist, entstand zwar die Bildungsexpansion, nicht jedoch die Bildungsreform. Die Zahl der Schulabsolventen mit Hochschul-und Fachhochschulreife wurde rasch und nachhaltig gesteigert, ohne daß Konsequenzen für die Gliederung und den Ausbau des Schulwesens gezogen wurden, mit einem Angebot an Bildungsgängen und -abschlüssen, das neben die Hochschulberechtigung, also neben studienbezogene Bildungsziele, berufsbezogene und berufsqualifizierende Bildungsziele setzt. Mit der Einbahnstraße traditioneller Gymnasialbildung ohne Element praktischer Berufsbildung wurden Zulassungsbeschränkungen zu den Hochschulen ein Zwang ohne echte Alternative. Auch im Hochschulbereich dominierte gänz-, lieh der quantitative Aspekt rascher Expansion überkommener, dringend reformbedürftiger Strukturen. Der Wissenschaftsrat hatte seine ersten Empfehlungen zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bereits 1960 vorgelegt dabei jedoch das Problem vor allem in der raschen quantitativen Expansion der vorhandenen Hochschulstrukturen gesehen, ohne zu erkennen, daß eine Vervielfachung von Fakultäten und Universitäten räumlich wie personell qualitativ neue Probleme schaffen würde, die — mit den alten ungelösten Problemen kumuliert — eine zusätzliche Voraussetzung für die Studentenrevolte der sechziger Jahre schufen.
Mit dieser Zusammenfassung wollen wir nicht das Lamento verstärken, die Planung hinke wieder einmal hinter der Wirklichkeit bzw.der wirklichen Entwicklung her — dies wird sich kaum jemals voll vermeiden lassen. Hier soll nur die alles bestimmende Grundtatsache hervorgehoben werden, daß weder in den Kultusministerien noch anderswo rechtzeitig auch nur die Notwendigkeit einer systematischen, interdependenten Bildungsplanung erkannt und die dazu notwendigen Schritte eingeleitet wurden.
Als die breite Öffentlichkeit Ende der sechziger Jahre den Ernst der bildungspolitischen Lage verstanden hatte, erwartete sie, daß die 1970 im Bildungsbericht skizzierten Schritte sofort, im gleichen Jahr beginnend, in die Tat umgesetzt würden, um die gesetzten Ziele bis 1985 zu realisieren. Die bildungspolitischen Erwartungen der Eltern, Lehrer und Schüler richteten sich darauf, daß eine Anstrengung vergleichbar der der Einrichtung der Sozial-versicherungen und des Versuchs der Lösung der „sozialen Frage" im 19. Jahrhundert in der Bundesrepublik gewissermaßen über Nacht möglich sein würde, daß der „Anschluß“ an die Entwicklung in vergleichbaren Staaten kurzfristig hergestellt werden würde. Doch wurde dabei außer Betracht gelassen, daß Schweden, Großbritannien, die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, die DDR und andere Industriestaaten schon Jahrzehnte zuvor die Weichen gestellt und die erforderlichen Entwicklungen eingeleitet hatten. Hier zeigte sich, wie verhängnisvoll sich das Fehlen einer gesamtstaatlich abgestimmten, die Gesamtheit des Bildungswesens mit seinen Stufen, Übergängen, Berechtigungen und Abschlüssen einbeziehenden Bildungsplanung auswirkt.
Jetzt wurde mit einem Male aus dem Fehlen an Planung, das zunächst gefeiert worden war, so etwas wie ein Vergehen an der Zukunft des Abendlandes und des wirtschaftlich-wissenschaftlich-technischen Fortschritts, obwohl die Expertenmeinungen jahrelang auf dem Tisch gelegen und die Diskussion in der Öffentlichkeit bestimmt hatten.
Aber sie hatten eben nicht genügend Widerhall gefunden, um in ausreichendem Maße auch die Tagesordnungen der Kabinette und Parlamente zu bestimmen. Die erforderlichen Vorkehrungen wurden erst durch die Finanz-verfassungsreform in der Großen Koalition möglich und auch dann nur in einer ambivalenten Weise durchgesetzt. Es wurde ein Abschnitt „VII a. Gemeinschaftsaufgaben“ ins Grundgesetz ingefügt, dessen Artikel 91 a und b die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verschieben, ohne sie wirklich grundlegend zu verändern. Der Bund erhielt jetzt u. a. die Kompetenz, an der Bildungs-und der Forschungsplanung mitzuwirken (Art. 91 b) sowie den Hochschulausbau mitzuplanen und anteilig mitzufinanzieren (Art. 91a). Er erhielt ferner die Kompetenz zur Rahmengesetzgebung für allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens (Art. 75 1 a). Der Elan, der von diesen Änderungen durch die Große Koalition zweifellos hätte ausgehen können, stieß auf den Widerstand eines wiedererstarkenden, stark parteipolitisch motivierten Länderegoismus und Länderpartikularismus, der im Bundesrat wichtige Fortschritte blockieren konnte und blockierte. Zugleich aber überschlugen sich die Erwartungen der Bevölkerung, die durch ein Schulwesen mit rasch steigender Schüler-und Studentenzahl enttäuscht wurde, dessen räumliche und personelle Ausstattung und dessen Lernziele und Lerninhalte nur schrittweise vorangebracht wurden.
Es zeigt sich heute, daß auch in der Bildungsplanung die Teilhabe der Betroffenen zu einer nicht mehr abweisbaren demokratischen Forderung wird. Das neue Selbstbewußtsein und das Engagement der neuen Lehrer-und Elterngenerationen demonstriert überdies, daß hier Stimmenpotential, zumal der jungen Frauen, zu politischer Aktion drängt, das sich nicht länger mit immer neuen Slogans abspeisen läßt.
Die gegenwärtige Phase der Bildungsplanung zeichnet sich immer noch dadurch aus, daß weitere Bereiche des Bildungswesens schrittweise in staatliche Kontrolle, häufig auch staatliche Trägerschaft und Finanzierung genommen werden. Für den Bereich der Kindergärten ist dies zwar noch offen, anders jedoch für die betriebliche Berufsausbildung, deren öffentliche Kontrolle, Finanzierung und z. T. Organisation gefordert wird, obwohl die erörterten Lösungen keine glatte Verstaatlichung bedeuten würden.
Hierzu gehört auch das lange Jahre umstrittene Recht auf Ausbildungsförderung für die Erstausbildung wie für die Weiterbildung einschließlich eines Bildungsurlaubs. Die Entscheidung, dafür die Leistungsgesetzgebung des Bundesstaates zu bemühen, kann in ihrer Tragweite für die Gesellschafts-und Verteilungspolitik kaum überschätzt werden. Auch hier ist indes die Einfügung in das Konzept und System der Bildungsplanung noch nicht wirklich vollzogen. Verschiedene Gesetze (Bundesausbildungsförderungsgesetz, Arbeitsförderungsgesetz, Möglichkeit für Lehrer u. a. ein Zweit-bzw. Aufbaustudium finanziert zu erhalten, Kindergeld und Steuerermäßigung für Kinder, Sozialtarife) stehen weithin unverbunden nebeneinander. Erst langsam wird die Zuständigkeit für die Bildungsplanung der Institutionen und der individuellen Förderung in den Exekutiven von Bund und Ländern zusammengefaßt.
Die gegenwärtige Misere der Bildungsplanung ist aber nicht nur dadurch bestimmt, daß sie selbst zu spät, zu wenig systematisch, zu wenig auf Interdependenzen hin angelegt worden ist, sondern zu einem guten Teil auch dadurch, daß die Grundannahmen über die für die Bildungsplanung bestimmenden oder sie beeinflussenden Faktoren anderer zugeordneter Planungsbereiche noch unzureichend vorliegen. Dabei geht es nicht darum, daß die „Zulieferer" von Daten diese nicht „abliefern", obwohl sie es könnten, sondern darum, die erforderliche Konkretheit, Fristigkeit und Verbindlichkeit zu bestimmen, die im Gefüge der staatlichen Aufgabenplanung nach Zielen und Mitteln möglich, aber auch notwendig ist, damit die verschiedenen Planungsstränge miteinander und nicht gegeneinander operieren können. Wir kommen darauf nochmals im letzten Abschnitt der Abhandlung zurück.
Beispiel Raumordnungspolitik
Wurde im voranstehenden Abschnitt ein wichtiger Einzelansatz öffentlicher Planung dargestellt, so soll im folgenden der bisher wichtigste Versuch einer integrierenden öffentlichen Planung in seiner Entwicklung und Problematik dargestellt werden: die Raumordnungspolitik. Dieser Begriff wird hier im weiten Sinne verstanden und umfaßt alle für die räumliche Entwicklung wichtigen Bereiche öffentlichen Handelns, also insbesondere auch die regionale Wirtschafts-bzw. Struk35 turpolitik (der an sich präzisere Ausdruck „räumliche Entwicklüngspolitik" wird noch nicht allgemein verwendet). Drei Hauptgründe sind dafür verantwortlich, daß dieser Bereich als erster in die politischen Überlegungen einbezogen wurde. Erstens hatten schon in den zwanziger Jahren landesplanerische Bestrebungen zur Verhinderung ungeordneten Zersiedelns der größeren Ballungsgebiete zunehmend Widerhall gefunden der dann zu Beginn der nationalsozialistischen Zeit seinen Höhepunkt in der Errichtung einer Reichsstelle für Raumordnung fand Daß gerade in einem relativ dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik die Gebietskörperschaften eine bestimmte Verantwortung für die Weiterentwicklung der Siedlungsstruktur haben müßten, blieb grundsätzlich unumstritten, doch trat diese Aufgabe in der ersten Nachkriegszeit verständlicherweise hinter anderen, drängenderen Problemen zurück. Zweitens traten nach dem Krieg, etwa ab Mitte der fünfziger Jahre, die regional unterschiedlichen Einkommensund Versorgungsniveaus immer stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit; die Höhe des erzielbaren Einkommens und die Möglichkeiten zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse wurden in dem Augenblick zu einer interessanten Frage für den einzelnen und da-mit für die Politik, als praktisch die Vollbeschäftigung erreicht war. Der dritte Grund ist wegen seiner auslösenden Wirkung für weitere. Bundesmaßnahmen vermutlich historisch am wichtigsten: Die durch die Teilung Deutschlands entstandene neue Lage für die Gebiete entlang der Demarkationslinie zur Sowjetischen Besatzungszone (heute DDR) und an der Grenze zur Tschechoslowakei führte dazu, daß der Bundestag schon 1953 das sogenannte „Zonenrandgebiet" festlegte um der Bevölkerung und der Wirtschaft in ihm mit Hilfe besonderer Bundesmaßnahmen die entstandenen Lagennachteile zu kompensieren. Die pauschale Erklärung eines ganzen Gebietsstreifens mit fast einem Fünftel der Fläche des Bundesgebietes zum Fördergebiet mußte die Diskussion über die Abgrenzung von Fördergebieten insgesamt anregen, zumal auch seinerzeit schon einzelne andere Gebiete „problematischer" waren als bestimmte Teile des Zonenrandgebietes, in denen sich durch die Schließung der neuen Grenze nur wenig gegenüber dem früheren Zustand geändert hatte.
Trotz dieses relativ frühen Beginns praktischer regionalpolitischer Maßnahmen und fortlaufender Änderung der Förderungspolitik blieb die Raumordnungspolitik noch lange auf unverbindlichem und unbefriedigendem Niveau. Es kam lange Zeit nicht zur Festlegung expliziter räumlicher Entwicklungsvorstellungen („raumordnerischer Leitbilder"), die eine Einordnung der regionalen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen in ein Gesamtkonzept und ihre Abstimmung mit anderen Fachmaßnahmen ermöglicht hätten. Auf der Ebene des Bundes wurde erst 1965 das Raumordnungsgesetz verabschiedet, ohne daß damit schon ein Durchbruch zu effizienterer räumlicher Entwicklungspolitik erreicht worden wäre. Dennoch muß das Gesetz als ein wichtiger Fortschritt angesehen werden, der die zwar schon im Grundgesetz (Art. 75, Abs. 1, Ziff. 4 und Art. 72, Abs. 2, Ziff. 3) angesprochene und in einem Verfassungsgerichtsgutachten von 1954 bestätigte, von den Ländern aber stets mißtrauisch angesehene Raumordnungskompetenz des Bundes explizit festlegte. Tatsächlich lag die Hauptwirkung des neuen Gesetzes zunächst darin, daß die vom Gesetz vorgeschriebenen, von dem jeweils für die Raumordnung zuständigen Bundesminister vorbereiteten Raumordnungsberichte der Bundesregierung — der erste wurde 1966 vorgelegt — die allgemeine Diskussion förderten und Informationen an eine breitere Öffentlichkeit vermittelten. Die raumordnungspolitisch relevanten Maßnahmen der verschiedenen Bundesressorts — von den Ländern einmal ganz abgesehen — wurden zwar verbal in den Zusammenhang der Raumordnungspolitik gestellt (und das auch noch nicht immer), faktisch aber weiterhin unabhängig von den zuständigen Ministerien bearbeitet. In besonders auffälliger Weise wurde diese Ressortabhängigkeit im Jahre 1968 dokumentiert, als der Bundesminister für Landwirtschaft und der Bundesminister für Wirtschaft fast gleichzeitig zwei sich in wichtigen Teilen überlappende Programme zur Verbesserung der Strukturpolitik vorlegten Sachlich stimmten beide Programme im Grundsätzlichen mit der vom (seinerzeit für die Raumordnung zuständigen) Bundesminister des Innern vertretenen Linie überein: Betonung der Notwendigkeit zusätzlicher Industrialisierung in den ländlichen Gebieten als Beitrag und Voraussetzung zur Lösung des agrarstrukturellen Problems und dazu grundsätzliche Konzentration aller Förderungsmaßnahmen auf entwicklungsfähige Schwerpunkte
Mit diesem Durchbruch zu einem ersten Ansatz einer räumlichen Entwicklungskonzeption war ein nicht ausreichender und später teilweise in Frage gestellter, aber immerhin ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine räumliche Entwicklungsplanung getan: Die Komplexität struktureller Wandlungsprozesse hatte eine erste offizielle Anerkennung erfahren, wenn auch die Umsetzung in die Wirklichkeit nur zögernd folgte. Welche Bedeutung diesem Vorgang zuzumessen ist, kann am besten mit einem Vergleich aus der Agrarstrukturpolitik der Europäischen, Gemeinschaften verdeutlicht werden: Erst 1971 legt die Kommission dem Rat einen Verord-nungsvorschlag vor, der die Verwendung eines (kleinen) Teils der Mittel der Abteilung Ausrichtung des Europäischen Ausgleichsund Garantiefonds für die Landwirtschaft für Industrialisierungsförderungsmaßnahmen in landwirtschaftlichen Problemgebieten vorsah
Fast gleichzeitig kam eine andere Entwicklung, die von der Kommission für die Finanzreform ausgelöst worden war, zti einem ersten Erfolg: Im Grundgesetz wurde das neue Institut der Gemeinschaftsaufgaben verankert, das für bestimmte Aufgabenbereiche — darunter auch für die regionale Wirtschaftspolitik — Bund und Ländern eine gemeinsame Verantwortung auferlegt Das im Artikel 91 a GG vorgeschriebene Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969 trat am 1. Januar 1970 in Kraft. Dieses Gesetz sieht vor, daß Bund und Länder gemeinsam einen Rahmenplan für die Verwirklichung der Gemeinschaftsaufgabe erarbeiten und daß die Kosten für die einzelnen Programme vom Bund und von dem beteiligten Land je zur Hälfte getragen werden
Der erste, Ende 1971 vorgelegte und zum 1. Januar 1972 in Kraft getretene Rahmenplan zeigt allerdings die faktischen Schwierigkeiten der Realisierung einer in ihren Grundsätzen einheitlichen bundesweiten räumlichen Entwicklungspolitik. Praktisch stellt der Rahmenplan nichts weiter dar als eine Fortschreibung und geringfügige Modifizierung der schon vorher vom Bund mit den Ländern jeweils bilateral vereinbarten „Regionalen Aktionsprogramme", die seit 1969 erarbeitet wurden. Diese 21 Aktionsprogramme sind zwar insofern ein beachtenswerter Fortschritt, als sie erstmals eine gewisse Ab-Stimmung verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten bewirkten und einen mittelfristigen (fünfjährigen) Finanzierungsplan enthalten, der die für alle Entwicklungsmaßnahmen notwendige Kontinuität sicherstellt. Kritisch anzumerken ist aber, daß die den einzelnen Regionalen Aktionsprogrammen zugrunde liegenden Konzeptionen der künftigen räumlichen Entwicklung in erheblichem Maße differieren Während z. B. das Aktionsprogramm „Holstein" eine Konzentration auf relativ wenige Schwerpunkte (9 Schwerpunkte für eine Gesamtbevölkerung von 1 586 000 Einwohnern) ausweist, ist das Aktionsprogramm „Ostbayerisches Fördergebiet" durch eine Vielzahl sehr kleiner Schwerpunkte Schwerpunkte bei 1 060 400 Einwohnern) mit langfristig entsprechend geringeren Entwicklungsaussichten gekennzeichnet 32).
Auch das 1969 verabschiedete Investitionszulagengesetz das von seinem Subventionswert her von noch größerer Bedeutung als die Regionalen Aktionsprogramme ist, entsprach nicht der erklärten Politik räumlicher Schwerpunktbildung. Dieses Gesetz legt räumliche Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage nur insofern fest, als nur Investitionen in bestimmten Gebieten gefördert werden, die Standortwahl innerhalb der Gebiete aber keinen gesetzlich fixierten Bedingungen unterworfen wird. Einzelne bekanntgewordene Informationen (offizielle Angaben stehen nicht zur Verfügung) bestärken die Vermutung, daß ein erheblicher Teil der aufgrund dieses Gesetzes gewährten Subventionen an Unternehmer gewährt wurde, die Betriebe außerhalb der Schwerpunkte erweiterten oder neu errichteten. Damit wäre der positive Ansatz der Regionalen Aktionsprogramme jedenfalls im Hinblick auf die erstrebte Schwerpunktentwicklung sabotiert Kann man also feststellen, daß die räumliche Entwicklung zunehmend als eine wichtige, wenn auch schwierige Aufgabe des Bundes erkannt und anerkannt worden ist und daß einige bedeutsame Schritte in Richtung auf einen systematisch abgestimmten „geplanten" Einsatz der dem Staat zur Verfügung stehenden Möglichkeiten getan worden sind, so ist eine weitere sich abzeichnende Entwicklung hervorzuheben: die vom 5. . Deutschen Bundestag auf seiner letzten Sitzung am 3. Juli 1969 der Bundesregierung aufgetragene und vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 angekündigte Erarbeitung eines Bundesraumordnungsprogramms. Obwohl noch nicht genau abzusehen ist, was das Programm im einzelnen enthalten wird, sind doch vier bedeutsame Aspekte zu erkennen Erstens ist die Tatsache als solche wichtig. Das Interesse, das der Erarbeitung des Programms von Seiten der Beteiligten und der Betroffenen entgegengebracht wird, macht den tiefgreifenden Bewußtseinswandel der letzten zehn Jahre deutlich. Insofern stellt das Programm zugleich eine Chance und ein Risiko dar: Ein politisch konsequenter, solide begründeter — wenn auch noch unvollständiger — Ansatz kann die weiteren Diskussionen und Entwicklungen in kaum überschätzbarer Weise fördern, ein Sich-Bescheiden auf Allgemeinheiten könnte einen schweren Rückschlag für die eingeleitete Entwicklung bedeuten. — Zweitens muß der Versuch hervorgehoben werden, im Rahmen des Raumordnungsprogramms zum erstenmal ein in sich geschlossenes Zielsystem für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik vorzulegen das von der bisher generell üblichen Gebietsklassifizierung nach die Kreise berücksichtigenden Kriterien abgeht und statt dessen explizite Zielformulierungen enthält. — Drittens ist die bereits vorliegende, gemeinsam mit den Ländern erarbeitete Gliederung des Bundesgebietes in 38 Gebietseinheiten zu erwähnen, die erstmals von funktio-nalen Raumeinheiten ausgeht und vielfach — leider nicht in allen derartigen Fällen — Ländergrenzen überspringt — ein Ergebnis, das noch vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen wäre — Viertens schließlich ist auf die Absicht der Bundesregierung hinzuweisen, in dem Raumordnungsprogramm erstmals eine Ex-post-Regionalisierung der raumwirksamen Bundesmittel für zwei Haushaltsjahre vorzulegen. Obwohl damit immer noch nicht von einer Erfüllung des Auftrags des Raumordnungsgesetzes zur Vorlage einer „Zusammenfassenden Darstellung" der raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die Rede sein kann und die Beschränkung auf Haushaltsausgaben Bundes (ohne -Län des der-und Kommunalausgaben) ohne Gegenüberstellung der erstellten Einrichtungen bzw. Leistungen nicht unproblematisch ist, muß die beabsichtigte Verbesserung der Informationsbasis anerkannt werden.
Zusammenfassend lassen sich eine erhebliche Intensivierung der Diskussion und eine Reihe von partiellen Fortschritten feststellen, die zu der Hoffnung berechtigen, daß eine Planung der die räumliche Entwicklung beeinflussenden öffentlichen Aktivitäten in zunehmendem Maße möglich wird. Die erzielten Fortschritte müssen auch insofern besonders gewürdigt werden, als sie praktisch nur von der Exekutive — teilweise im Zusammenspiel mit wissenschaftlicher Bearbeitung der anstehenden Fragen — zustande gebracht wurden. Wie wenig die politischen Parteien beteiligt waren, wird hinreichend dadurch beleuchtet, daß z. B. das Präsidium der SPD erstmals im Herbst 1972 eine Grundsatzempfehlung detaillierten Charakters zur Raumordnungspolitik verabschiedete von den anderen Parteien liegen entsprechende, über die üblichen allgemeinen Programmformulierungen hinausgehende Stellungnahmen überhaupt noch nicht vor.
Beispiel mittelfristige Finanzplanung
Als drittes Beispiel für die Entwicklung und die Probleme planerischer Ansätze in der Bundesrepublik erscheint die mittelfristige Finanzplanung besonders geeignet. Denn einerseits ist eine mittelfristige Finanzplanung eine unerläßliche Voraussetzung dafür, daß alle anderen Planungen in einer realistischen Weise vorgenommen, d. h. von vornherein die Finanzierungsmöglichkeiten mitberücktigt werden können (wobei durchaus Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Planungen bestehen können); diese Untermauerung durch eine Finanzplanung ist vor allem auch deswegen von großer Bedeutung, weil sie allein die notwendige Glaubhaftigkeit und damit eine möglichst hohe Wirksamkeit der öffentlichen Fach-und Querschnittsplanungen — insbesondere im Hinblick auf die komplementären Entscheidungen im nichtöffentlichen Bereich — sicherstellen kann. Andererseits verdient die Finanzplanung deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil sie in besonders eindrucksvol-ler Weise die aus den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen resultierenden Schwierigkeiten offenlegt und dann sowohl tendenziell illusorische Planungen verhindert als auch notwendig erscheinende Modifizierungen des institutionellen Rahmens rechtzeitig möglich macht.
Auch die Finanzplanung geht — wie die schon erwähnten Gemeinschaftsaufgaben — auf Vorschläge der Kommission für die Finanzreform zurück Bis Mitte der sechziger Jahre war die auf einer im Grundgesetz geregelten Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen und einer entsprechenden Einnahmenregelung sowie auf der Jährlichkeit der öffentlichen Haushalte aufbauende Finanzverfassung keiner grundsätzlichen Kritik ausgesetzt. Die Aufgabenverteilung stand nicht zur Diskussion, der Finanzausgleich zwischen den Ländern und dem Bund funktionierte fast völlig automatisch. Die aktuellen Wiederaufbauaufgaben verdeckten auch hier die in dem statischen Verständnis der öffentlichen Finanzwirtschaft liegenden Probleme. Erst das unter dem Ein-druck der ersten ernsthaften Konjunkturabschwächung 1967 verabschiedete „Gesetz zur Sicherung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" nahm den Vorschlag der Finanzreformkommission auf und formulierte in seinem § 9 die Verpflichtung für die Bundesregierung und für die Landesregierungen, ihren jährlichen Haushaltsplänen eine mittelfristige Finanzprojektion zugrunde zu legen. Diese mehrjährige Finanzplanung sollte vier verschiedene Funktionen erfüllen Am vordergründigsten war die Aufgabe, die Haushaltswirtschaft in rein fiskalischem Sin-ne zu sichern, d. h. zukünftige Ausgaben-und Einnahmenveränderungen so früh wie möglich zu berücksichtigen. So unmittelbar einleuchtend die Notwendigkeit der rechtzeitigen Beachtung späterer haushaltswirksamer Folgen von politischen Entscheidungen ist, so bedeutsam ist auch dieser Versuch einer institutionalisierten Bewältigung.
Die zweite wichtige Aufgabe der mehrjährigen Finanzplanung ist in der erstrebten frühzeitigen Abstimmung der finanzpolitischen Entscheidungen mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen. Die Finanzplanung sollte einerseits alle absehbaren wirtschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen, also insbesondere die Konsequenzen aus den längerfristigen Rahmenprojektionen des Wirtschaftsministeriums ziehen, und andererseits der privaten Wirtschaft Anhaltspunkte zur Abschätzung der zukünftigen Rolle des Staates auf den verschiedenen Märkten lie-fern.
Drittens erwartete man von der Finanzplanung eine bessere, d. h. mehr den artikulierten gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechende und weniger traditionell an den früheren aufgaben-bzw. ressortmäßigen Aufteilungen orientierte Verwendung der den öffentlichen Haushalten zur Verfügung stehenden Finanzmittel. Die vierte der mehrjährigen Finanzplanung zugedachte Aufgabe stellt gewissermaßen die Zusammenfassung der erstgenannten drei Funktionen dar: Finanzplanung als „die Programmierung der monetär erfaßbaren politischen Zielvorstellungen der Regierung in budgetärer Form" also als konkretisierte Regierungserklärung. Dieser hohe Anspruch entspricht traditionellen Auffassungen vom Budget, gewinnt aber neue Bedeutung durch die Ausdehnung auf einen größeren, wirklich systematische politische Entscheidungen und ihre Durchsetzung erst ermöglichenden Zeitraum. Neben der Verpflichtung zur mehrjährigen Finanzplanung, die 1969 Eingang in das neue Haushaltsgrundsätzegesetz fand, wurde in diesem Gesetz auch der schon ein Jahr vorher auf Grund einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern ins Leben gerufene Finanzplanungsrat verankert. Diese in etwa dem im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz geschaffenen Konjunkturrat der öffentlichen Hand entsprechende Institution, an der der Bund, die Länder und die Kommunen und Kommunalverbände (über ihre Spitzenverbände) beteiligt sind, hat im wesentlichen die Funktion der Abstimmung der mehrjährigen Finanzplanungen der verschiedenen Ebenen und Körperschaften untereinander.
Die bisherige Darstellung könnte den Eindruck erwecken, als sei auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzwirtschaft seit Mitte der sechziger Jahre ein bedeutsamer Fortschritt in Richtung auf ein rationaleres, auch über die Budgetperiode hinausreichende und zukünftige Ziele und Entwicklungen berücksichtigendes, also planendes Handeln der öffentlichen Körperschaften realisiert worden. In der Tat können die verbesserte Haushaltssicherung (im fiskalischen Sinne), die Einrichtung eines neuen Kabinettsausschusses für die mehrjährige Finanzplanung (innerhalb der Bundesregierung) und generell die heute praktisch uneingeschränkte Einsicht in die Notwendigkeit einer vorausschauenden Finanzplanung als bedeutsame Fortschritte angesehen werden. Bei nüchterner Betrachtung muß aber zugleich festgestellt werden, daß der eigentlich erstrebte Übergang von einer reinen Ausgaben-zu einer Aufgabenplanung immer noch nicht vollzogen ist und wegen einer Reihe ungelöster Probleme auch noch nicht vollzogen werden kann Wenn es auch zu weit gehen würde, hier in eine ausführliche Diskussion dieser Schwierigkeiten einzütreten, seien doch die drei Hauptprobleme kurz unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für eine rationalere Aufgabenbewältigung skizziert.
Der erste, immer noch kontrovers diskutierte Problembereich betrifft die Konzeption der mehrjährigen Finanzplanung selbst. Hier stehen sich zwei Schulen gegenüber: Die eine sieht die mehrjährige Finanzplanung in erster Linie als ein unerläßliches Vehikel für eine rationalere und effizientere Steuerung konjunktureller Schwankungen an. Die andere Schule stellt Wachstums-bzw. — allgemeiner formuliert — Entwicklungsziele und die Möglichkeiten ihrer Realisierung in den Vordergrund, ohne allerdings die Bedeutung der Finanzplanung für die Konjunkturpolitik zu bestreiten. Mit der zweiten Schule ist zugleich der andere große grundsätzliche Problembereich angesprochen, nämlich die Schwierigkeit der Ziel-findung und Zielfestlegung einer Finanzplanung, die die Ausgaben-und Aufgabenplanungen auf allen Ebenen der öffentlichen Haushaltswirtschaften in konsistenter Weise integrieren müßte. Die bisherige Finanzwirklichkeit ist — vereinfacht dargestellt — dadurch gekennzeichnet, daß im Normalfall ein-zelne Aufgabenbereiche mit einem technisch oder politisch bedingten Planungsvorsprung (Musterbeispiele Verkehrspolitik und Verteidigungspolitik) erheblich größere Realisierungschancen haben als andere Bereiche, in denen längerfristige Planungen entweder erst spät in Angriff genommen wurden (z. B. Bildungsplanung) oder besonderen Problemen gegenüberstehen (z. B. Bevölkerungsplanung). Nur wenn ein Aufgabenbereich in das Zentrum des öffentlichen Interesses gerät, kann eine signifikante Änderung seiner relativen (an den Haushaltsansätzen gemessenen) Bedeutung erwartet werden. Diese Lage wurde bis heute durch die formal realisierte mehrjährige Finanzplanung kaum verändert und konnte es im Grunde auch nicht werden, solange der dritte Hauptfragenkomplex nicht einer operationalen Lösung nähergebracht worden ist. Dieser dritte Problembereich betrifft die institutionellen Probleme der Aufgaben-festlegung im Rahmen einer integrierten, alle Gebietskörperschaften erfassenden Gesamtfinanzplanung. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer solchen Gesamtfinanzplanung, die also neben dem Bund und den Ländern auch die Haushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände einzuschließen hätte und die erst eine sinnvolle Zielfestlegung ermöglichen würde, wird kaum noch bestritten Völlig unklar aber ist auch nach jahrelanger Diskussion noch, auf welche Weise — und vielleicht ob überhaupt — bei der gegebenen Verfassungsordnung eine konsistente Gesamtfinanzplanung zu erstellen ist und wer die insgesamt zu beachtenden Aufgabenrangordnungen festlegen soll. Die in den Anfangsjahren der mehrjährigen Finanzplanung ins Auge gefaßte Möglichkeit, diese Funktion dem Finanzplanungsrat zu übertragen der bereits eine Arbeitsgruppe „Bedarfsfeststellung" eingerichtet hat, erscheint kaum als Lösung geeignet. Sie würde nicht nur eine wichtige Entscheidungsverlagerung in ein nicht parlamentarisch kontrolliertes Gremium bedeuten, son-dem — ähnlich wie dies ansatzweise beim Entscheidungsmechanismus innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu beobachten ist — vermutlich eine entsprechende Einschränkung der parlamentarischen Entscheidungs-freiheit implizieren. Auf das damit angesprochene allgemeine Problem der Planung in einem demokratisch organisierten Staat und mögliche Konsequenzen für die Weiterentwicklung wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
Längerfristige Perspektiven
An verschiedenen Stellen dieser Arbeit ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der in den letzten sieben Jahren verstärkt entstehenden Planung bisher noch immer das systematische Gefüge insofern fehlt, als die Aufgabenplanung von Bund und Ländern je einzeln und gemeinsam noch nicht so angelegt ist, daß Bezugsrahmen, Abhängigkeiten und Funktionen zwischen den einzelnen Planungssträngen hinreichend gegeneinander abgewogen wären
Dabei lassen sich drei verschiedene Ebenen unterscheiden:
— die Fachplanung, vielfach mit der Ressort-planung identisch;
— die Planung über Querschnittsaspekte ressortübergreifenden Charakters;
— die Planung der Planung, d. h. die Festlegung und Abgrenzung der Problemzuschnitte bzw. Fächer und Querschnitte, die systematisch geplant werden sollen.
Historisch ist die staatliche Planung öffentlicher Aufgaben und ihrer Erfüllung in der Fachplanung entstanden. Hier ist in der Bundesrepublik eine große Fülle qualitativ hochstehender Einzelplanungen entstanden, die technisch, instrumental und operational voll ausgebildet sind. Vor allem für die personal-und ressourcenintensiven Zweige der öffentlichen Tätigkeit, bei denen öffentliche Investitionen eine große Rolle spielen, ist in den letzten Jahren ein Sprung nach vorn gemacht worden. Dadurch sind manche Probleme ge-löst, aber viele neue geschaffen worden: Wie ist die Interdependenz — sei sie im Einzelfall durch Konkurrenz-oder Komplementaritätsbeziehungen gekennzeichnet — der verschiedenen Fachplanungen sachlich und organisatorisch in optimaler Weise zu berücksichtigen? Planung erhöht die Komplexität, vor der die Entscheidungsträger stehen. Wie ist sie wieder auf das relevante, unerläßliche Mindestmaß an Komplexität zu reduzieren? Mit der Ausdehnung des Planungshorizontes in die Zukunft, mit steigender Perfektion der ausgearbeiteten Planungen verliert der Jahreshaushalt immer mehr seine definitive Schrankenfunktion. Dieses hat Rückwirkungen auf die Rolle des Parlaments und auf die Organisierung des staatlichen Entscheidungsprozesses überhaupt, auch in der Exekutive. Wer innerhalb der Regierung soll diese Aufgaben übernehmen? Wie ist das Parlament zu beteiligen? Welche Erfordernisse stellen sich zusätzlich im Bund-Länder-Verhältnis, auch hinsichtlich der Größe der Länder? Müßte das Grundgesetz praxisbezogen weiter entwickelt werden und wie? Auf diese Fragen wird im weiteren noch eingegangen werden.
Zunächst zur Aufgabenverteilung in der Regierung, die für die Bundesregierung in Art. 65 GG als „Gleichgewicht" dreier konkurrierender Funktionen angelegt ist: Des (ressortfreien) Kanzlerprinzips mit der Richtlinienkompetenz, des Ressortprinzips und des Kabinettprinzips der Kollegialentscheidung. Die Ressorts erfüllen ihre Aufgaben vermittels Fachplanungen, die zu koordinieren sind. Die Problemstellung der Koordination von Fachplanungen stellt sich einmal in bezug auf benachbarte Fachplanungen, die wechselseitig Grundannahmen und Nebenbedingungen bestimmen, z. B. Hochschulausbau einschließlich Klinikneubau und Krankenhausbedarfsplanungen, beide mit der Planung von Ausbildungsstätten für das Pflegepersonal, für technische Innovationen in der Ausstattung von Intensivpflegestationen usw. Zum andern stellt sich die Frage der Koordination in bezug auf die erforderlichen Ressourcen, die Bodennutzung und Raumordnung usw., also in bezug auf die ressortübergreifenden Querschnittsaspekte. Die mittelfristige Finanzpolitik und die Raumordnungspolitik haben hier eine bestimmte Ausprägung, einmal vorrangig bei der Bundesseite, zum anderen vorrangig bei der Länderseite gefunden. Hier bleibt aber noch viel zu tun übrig. Zugleich wird jedoch gefordert, daß weitere Querschnittsaspekte planerisch organisiert werden müßten, um die regierungsweite Koordination auf gesamtpolitisch und gesamtstaatlich zentrale Ziel-und Grundsatzprobleme der Konsistenz des staatlichen Handelns hinzulenken. Insbesondere wird erforderlich sein, daß die kumulativen Wirkungen der Fachplanungen auf die Sozialchancen und die Lebensvorsorge des einzelnen Menschen bzw. relevanter Gruppen der Bevölkerung (d. h. die Wirkungen staatlicher Politik auf die Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen) mit steigender Intensität der staatlichen Transfer-und Infrastrukturleistungen (und zugleich zunehmenden Steuer-und Sozialbeitragszahlungen evtl, auch Beiträgen und Gebühren) noch unausweichlicher werden, als dies heute eigentlich schon der Fall ist (die schwierigen Debatten über Steuerreform und Bodenrechtsreform beweisen dies). Aber auch die Forschungskette: Forschung, Technologie, Innovationen, Realisierung verlangt in ihren kritischen Aspekten konzentrierte Aufmerksamkeit. Diese muß sich auf die folgenden Erfordernisse richten:
— die Bauwirtschaft endlich durchgehend zu rationalisieren und die öffentlichen Bauinvestitionen kostengünstiger, rascher und weniger ewigkeitsorientiert zu erstellen;
— die personalintensiven Dienst-und Verwaltungsleistungen durchgreifend zu rationalisieren und zu automatisieren und neue Technologien, wie z. B. im Bildungswesen, zu fördern;
— Umweltschutz-Technologien vorrangig zu entwickeln und ihre Anwendung und Umsetzung zu erreichen.
Daneben gibt es einen weiteren Bereich der Querschnittsaspekte, der in Zukunft an Bedeutung gewinnen muß: die Überprüfung der Organisation der öffentlichen Aufgabenerledigung. Bisher wurde und wird die Debatte ideologisch dominiert: durch die scheinbare Wahlalternative von Privatisierung bzw. Reprivatisierung und Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung. Es gilt, einen Prüfraster zu entwickeln, der es erlaubt, Fragen der organisatorischen Planung öffentlicher Aufgaben-erledigung auf die planmäßige Prüfung und Überprüfung der bestehenden organisatorischen Lösungsformen für öffentliche Aufgaben auszuweiten.
Es lasssen sich weitere Querschnittsaspekte nennen, die gleichfalls organisiert werden müßten (z. B.der Bezug zur Europäischen Gemeinschaft); andere sind seit langem organisiert (z. B. Rechtsförmlichkeitsprüfung), ohne daß dies jetzt oder in absehbarer Zukunft besondere Probleme aufwürfe.
Die Querschnittsaspekte, die politisch und sachlich für wichtig gehalten werden, müssen identifiziert und institutionell verankert werden (bei einem Ressort oder im Bundeskanzleramt). Die operationale Definition und die statistische Messung müssen erarbeitet werden, um zur wirksamen Koordinierung der Fachplanungen beizutragen. Damit wird Koordinierung überschaubar, eine Konzentration auf wesentliche Aspekte und ihre Optimierung ermöglicht. Damit wird zugleich der Irrglaube korrigiert, Koordination bedeutet: Jeder mit jedem zu jeder Zeit unter jedem Gesichtspunkt zeitlich, räumlich, sachlich, finanziell — eine Alibiformel, deren Unwirksamkeit z. B. aus den Raumordnungsklauseln in vielen Gesetzen bekannt ist. Die solchem Irrglauben entsprechende Praxis führt zur bloßen, Zuständigkeitsgrenzen abwehrend berücksichtigenden „negativen" Koordinierung. Dieses alles verlangt nach einer ausgebildeten Planung der Planung, so wie sie in den vergangenen drei Jahren innerhalb der Bundesregierung, aber auch einer Reihe von Landesregierungen in Angriff genommen worden ist.
Es handelt sich dabei nicht um eine „Überplanung" oder um das „Aufpfropfen“ einer „Zielkonzeption vom Regierungsprogramm" auf die Ressortplanungen oder um ein theoretisches Planen „von oben", sondern darum, das Gefüge der Fach-und Querschnittsplanungen in ihren Funktionen, ihren Bezugsrahmen, ihren Konkretheitsgraden und Zeithorizonten, ihren Grundannahmen und methodischen Ansätzen soweit aufeinander abzustimmen, daß die verschiedenen Planungen nicht gegeneinander, sondern miteinander verlaufen und nptimal zur Realisierung des Regierungsprogramms beitragen können. Erst in ein solches Gefüge von organisatorischen, methodischen und informatorischen Bezugspunkten können die Fachplanungen der Ressorts und die verschiedenen Querschnittsplanungen eingefügt werden. Die Planung von unten muß einen Bezugsrahmen vorfinden bzw. in ihn hineinstoßen können, um nicht als Wild-wuchs die Steuerungsfähigkeit des Systems in interdependenten Bereichen mehr zu belasten als zu entlasten. Die Instrumente einer solchen Planung der Planung müssen erst entwickelt und erprobt werden:
— die Planung der Zuständigkeit auf der Regierungsebene, entsprechend innerhalb der Ressorts und im Parlament;
— die Planung der Methoden, nach denen Ziele definiert bzw. kompatibel gemacht werden (Kennziffern, Versorgungsgrade, Sozialindikatoren, Nutzen-Kosten-Analyse, Programm-budget) und Mittel dargestellt bzw. in die Analyse einbezogen werden (Stellenpläne, Arbeitsplatzanalysen, Nutzen-Kosten-Analyse, Programmbudgetierung, Systemanalyse);
— die Planung der Informationen, die für den Planungsprozeß zur Verfügung stehen müssen (hier sind beispielsweise Ziffern zur Einkommensverteilung und -Schichtung deshalb nicht erhoben worden, weil der Bundestag es stets ablehnte, das erforderliche Gesetz zu beschließen), der Prognosen und der entsprechenden Grundannahmen;
— die stetige, revolvierende Problemanalyse der öffentlichen Aufgaben, die den Prozeß der Überprüfung speist.
Das Nebeneinander von Fachplanungen, Querschnittsplanungen und Planung der Planung innerhalb der staatlichen Aufgabenplanung wird nun noch durch die Vielheit der Ebenen öffentlicher Verantwortung für die Erledigung von interdependenten Aufgaben kompliziert. Hierbei handelt es sich nicht nur um Bund und Länder, sondern vor allem auch um die Gemeinden bzw. Gemeindeverbände sowie außerdem um die Europäische Gemeinschaft als neuem Träger bestimmter, aber wachsender öffentlicher Aufgabenwahrnehmung im Territorium der Bundesrepublik Deutschland.
Es zeigt sich, daß für viele dieser Fragen die geeigneten Antworten noch nicht gefunden worden sind, nicht einmal in Ansätzen. Die wachsende Realität der Europäischen Gemeinschaft ist vielfach für die Beamten von Bund und Ländern noch immer so wenig griffig, daß sie meinen, diese weiterhin beiseite schieben zu können. Die Probleme der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der übrigen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften unterhalb der Landesebene gelten nach der Ordnung des Grundgesetzes als Aufgaben, die den Ländern zugewiesen sind. Das wirft das Problem der gesamtstaatlichen Planung im Gefüge von Fach-und Querschnitts-planung als ein Bund-Länder-Problem im Bundesstaat auf, der als demokratischer und sozialer Rechtsstaat die Normen der Rechts-und Wirtschaftseinheit sowie der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bzw. über das Gebiet eines Landes hinaus verwirklichen soll.
Der Bundestag hat 1970 eine Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform eingesetzt (die sich auch der Planungsfrage zugewendet und dabei das Bund-Länder-Verhältnis und das Verhältnis von Regierung und Parlament speziell untersucht hat), deren vorläufige Ergebnisse in einem Zwischenbericht festgehalten sind Hier — wie im übrigen auch in einer Reihe von Landtagen (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Berlin) wird u. a. behauptet, daß es sich bei dem entstehenden Gefüge von Planungen um eine verfassungsrechtlich zu fassende neue Rechtsfigur der „Regierungsplanung" handelt,'die Exekutive und Legislative als Aufgaben „Staatsleitung zur gesamten Hand" gemeinsam zuständen. Eine solche generelle Regelung würde jedoch bedeuten, daß die bisherige Funktionsteilung zwischen Parlament j und Regierung verschoben bzw. verwischt [wird und die Verteilung der Verantwortung] in Frage zu stellen ist. Dem steht die bisher j vom Bundesverfassungsgericht vertretene gegenüber, daß es sich bei der Planung um den Kernbereich der exekutiven Tätigkeit handele und daß deshalb — und auch aus Gründen der Machbarkeit und Prak-1 tikabilität — dem Parlament nicht die Mitent-1 Scheidung, sondern die Kontrolle zustände, wozu es allerdings wesentlich besser und frühzeitiger zu informieren wäre und wozu es sich auf eine Art frühzeitige und „vorgängige! Kontrolle" einrichten müßte. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die dogmatische Ablehnung des Planungsgedankens überwunden ist, bei der die Kritik sowohl an einer ideologisch und historisch motivierten zentralen Planwirtschaft und -Verwaltung als auch am regellosen, wachsenden Staatsinterventionismus, an der Kriegs-zwangswirtschaft des Zweiten Weltkrieges wie an den Zentralverwaltungs-und Planwirtschaften der kommunistischen Staaten Osteuropas konvergierte. Heute ist akzeptiert, daß Planung als Vorbereitung und Systematisierung der Entscheidungsfindung im demokratischen Staat eine für Effizienz und Transparenz notwendige und legitime Rolle spielt. Diese Rolle bezieht sich auf die planmäßige Organisierung der Festlegung von Zuständigkeiten, Zielen, Mitteln, Methoden und Informationen, die zur staatlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben erforderlich sind.
Je mehr sich die Diskussion von der unfruchtbaren, die Wirklichkeit verfälschenden Entweder-Oder-Alternative zwischen dem Ordo-Liberalismus und dem Staatskommunismus löst, und je mehr die praktischen Dimensionen und Grenzen operationaler Planung erkennbar werden, zumal in einem gewaltenteilenden, demokratischen Bundesstaat, der zugleich auch kommunale Selbstverwaltung und Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft miteinander verbindet, desto differenzierter und praxisbezogener wird die Erörterung. Die Perspektiven heißen weder Planungsphobie noch Planungseuphorie, sondern nüchterne, schrittweise Arbeit hin auf ein systematisch angelegtes Gefüge von aufeinander zugeordneten Fach-und Querschnittsplanungen, das auf die Verbesserung der laufenden, dabei aber flexibel gehaltenen Entscheidungen mit Hilfe eines bewußteren, langfristigeren, Wechselwirkungen berücksichtigenden und systematischeren Entscheidungshintergrundes angelegt ist. Gegenüber diesem prozessualisierten Planungsbegriff tritt der dokumentationsbezogene starre Planungsbegriff zurück, der die Finalität der Planung primär in der Produktion von Plänen sieht, also der statischen Dokumentation von in Wörtern und Ziffern geronnenen Überlegungen und Entscheidungen, die — unveränderlich und unveränderbar — Richtschnur des Handelns über längere Zeiträume hinweg sein sollen. Planung erfordert bei der Komplexität der anstehenden Aufgaben eine klare Organisierung der wechselseitig zu berücksichtigenden Interdependenzen. Die Chancen des demokratischen und sozialen, bundesstaatlich organisierten Rechtsstaates in der Europäischen Gemeinschaft werden nur genutzt werden können, wenn Systematik und Flexibilität miteinander verknüpft werden. Denn die Grenzen dezentraler, weithin isolierter Aufgabenerfüllung auf den verschiedenen Ebenen werden unübersehbar, ihre Chancen vertan, wenn nicht Bund, Länder und Gemeinden sich zu einem Planungsverbund verstehen, in dem — als Axiom der Zusammenarbeit ohne Kompetenzverlagerung nach oben oder unten — eine wirksame positive Koordinierung anhand gemeinsam erarbeiteter Grundannahmen und Methoden möglich wird.
Peter Treuner, Dr. sc. pol., geb. 1938, Dipl. -Volkswirt, o. Professor für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart. Veröffentlichungen u. a.: Zentrale Orte in ländlichen Räumen, Bad Godesberg 1967 (zus. mit R. Jochimsen); Die Kosten der Landschaftsstruktur, Bad Godesberg 1968; Gebietsreform und regionale Strukturpolitik — Das Beispiel Schleswig-Holstein, Opladen (zus. mit R. Jochimsen und P. Knobloch); Fragestellungen der empirischen Regionalforschung, in: Methoden der empirischen Regionalforschung, Hannover 1973.