Innere Reformen im Entscheidungsprozeß. Zum Meinungsstreit um den Koalitionskompromiß über Mitbestimmung und Vermögensbildung
Uwe Andersen /Hildegard Pieper
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Zusammenfassung
Die sozial-liberale Koalition ist 1969 mit dem Programm angetreten, „innere Reformen" zu verwirklichen. Zu den Schwerpunkten der angestrebten „inneren Reformen" zählen Mitbestimmung und Vermögensbildung, für die nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien nunmehr ein Kompromiß in Form eines Kabinettsbeschlusses vorliegt. Als Hintergrund für die Analyse des Koalitionskompromisses werden jeweils kurz Ausgangslage und Stellenwert von Mitbestimmung und Vermögensbildung sowie die programmatischen Positionen der Bundestagsparteien diskutiert. Neben den sachlichen Aspekten des Koalitionskompromisses wird auch die Methodik der Kompromißfindung und damit der politische Entscheidungsprozeß erörtert. Im Schlußkapitel wird versucht, die grundsätzlichen Positionen zu den Komplexen Mitbestimmung und Vermögensbildung zu umreißen. Dabei stehen die möglichen Auswirkungen auf das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System der Bundesrepublik Deutschland im Vordergrund.
Die SPD/FDP-Regierungskoalition ist 1969 unter der Flagge „innere Reformen" angetreten. Dieser Reformwille ist, wenn auch weniger euphorisch, in der Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts nach dem Wahlsieg 1972 bekräftigt worden. Zu den Schwerpunkten der inneren Reformen, deren Verwirklichung die Bundesregierung zum Programm erhoben und damit auch zu einem Maßstab ihrer Bewertung gemacht hat, gehören Mitbestimmung und Vermögensbildung. Für diese beiden wichtigen Reformkomplexe liegt nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien nunmehr ein Kompromiß in Form eines Kabinettsbeschlusses vor Die mit dem Kompromiß verbundenen heftigen Auseinandersetzungen in und zwischen Parteien, Verbänden und Öffentlichkeit dürften ein hinlänglicher Indikator dafür sein, daß dieser Kompromiß es verdient, genauer analysiert zu werden, und zwar sowohl unter dem sachlichen als auch dem methodischen Aspekt.
Die mit einer isolierten Analyse des Koalitionsergebnisses verbundene Gefahr, die komplexen Streitfragen Mitbestimmung und Vermögenspolitik in unvertretbarer Weise zu verkürzen, versuchen die Verfasser dadurch zu vermeiden, daß sie vor dem Kompromiß jeweils kurz die allgemeine Ausgangslage und den Stellenwert von Mitbestimmung und Vermögensbildung sowie daran anschließend die programmatischen Vorstellungen der im Bundestag vertretenen Parteien analysieren. Die Eingrenzung auf die Bundestagsparteien ergibt sich einmal aus Platzgründen 1a), zum anderen werden damit die Vorstellungen erfaßt, die auf absehbare Zeit am ehesten Realisierungschancen haben. Auch Forderungen z . B. von Verbänden bedürfen des „Transmissionsriemens" der Parteien, um realisiert zu werden. Allgemeine Lageanalysen und Programmaussagen der Parteien sollen als Hintergrund für den Koalitionskompromiß und dessen Kritik dienen und damit ein eigenständiges Urteil erleichtern. Der sachliche Zusammenhang von Mitbestimmung und Vermögensbildung wird gesondert analysiert. Anschließend wird auf einige interessante Aspekte der Kompromißfindung und damit der Methodik des Entscheidungsprozesses eingegangen. Im Schlußkapitel wird versucht, die grundsätzlichen Positionen zu den beiden Komplexen zu umreißen. Dabei stehen die möglichen Auswirkungen auf das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System der Bundesrepublik im Vordergrund.
I. Ausgangslage Mitbestimmung
. Mitbestimmung — eine Forderung unserer Zeit“ lautet der Titel einer Grundsatzbroschüre des DGB in der die Vorstellungen der Gewerkschaften zur Mitbestimmung geschlossen dargestellt werden. Obwohl der DGB als Hauptprotagonist der Mitbestimmungsforderungen gilt, trifft die obige Formulierung insofern zu, als sich die unterschiedlichsten Gruppen, Parteien und Verbände zur Mitbestimmung bekennen. Die allgemeine Forderung nach Mitbestimmung verdeckt aber heftige Kontroversen um den konkreten Inhalt dieses Begriffes. Ein Abschluß der öffentlichen Diskussion ist auch heute noch nicht erreicht, obwohl sich die Kernargumente „Pro und Kontra" im Laufe der Zeit wenig verändert haben. 1. Ziele der Mitbestimmung Von den Befürwortern der Mitbestimmung werden als wichtigste Ziele genannt a) Humanisierung der Arbeitswelt „Ansatzpunkt ist die Würde der menschlichen Person und ihre freie Entfaltung" Der Arbeitnehmer habe im modernen Industrieunternehmen nicht eine seiner Menschenwürde entsprechende Stellung. Er sei seiner Arbeit entfremdet und in die Rolle eines Objektes gedrängt. Seine Menschenwürde im Unternehmen werde erst gewahrt, wenn er auch in seinem Arbeitsleben als verantwortliche, selbst-bestimmte Persönlichkeit anerkannt werde. Seine Objektstellung müsse durch Mitbestimmung in eine Subjektstellung verwandelt werden. b) Neues Verhältnis von Kapital und Arbeit Obwohl Kapital und Arbeit von ihrer Funktion her grundsätzlich verschieden seien, sei der Einsatz beider zur Erreichung des Produktionserfolges eines Unternehmens unabdingbar. Beide Faktoren seien daher aufeinander angewiesen und trotz ihrer Verschiedenheit gleichermaßen unentbehrlich. Außerdem seien sowohl die Eigentümer als auch die Arbeitnehmer am Wohlergehen des Unternehmens interessiert. Die Gleichberechtigung der beteiligten Interessen verlange die institutionelle Berücksichtigung der Arbeitnehmerbelange, um zu verhindern, daß strukturbedingte Interessendivergenzen immer im Sinne der Kapitaleigner gelöst würden. c) Demokratisierung Gemäß der Maxime „Demokratie darf nicht vor den Fabriktoren haltmachen" wird auch für den wirtschaftlichen Bereich die Anwendung des „demokratischen Prinzips" gefordert. „Mitbestimmung gehöre zum Wesen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates . . . Die Anwendung des demokratischen Prinzips auf die Unternehmen gebiete die Legitimation der Unternehmensleitung, d. h. ihrer Bestellung, Abberufung und Kontrolle, durch die von der Unternehmenspolitik betroffenen Gruppen. Die Legitimation der Un-ternehmensleitung könne deshalb nicht allein durch die Kapitaleigner erfolgen, sondern müsse gleichberechtigt auch von den Arbeitnehmern ausgehen.“
Gegen dieses Ziel wird eingewandt, Demokratie sei ausschließlich auf den Staat bezogen Eine Übertragung auf die Wirtschaft führe zu deren „Politisierung" und beeinträchtige die Lösung der wirtschaftlichen „Sachfragen". d) Machtkontrolle Darüber hinaus gelte es, die Macht, über die heutige Groß-und Größtunternehmen verfügten und durch die sie nicht nur den Waren-und Arbeitsmarkt beeinflußten, sondern auch auf gesamtwirtschaftliche und politische Entscheidungen einwirken könnten, zu kontrollieren. Großunternehmen und Konzerne seien keine Privatsache mehr, sondern „gesellschaftliche" Gebilde. Durch die Einbeziehung aller am Unternehmen interessierten Gruppen in die Unternehmensorgane werde wirtschaftliche Macht geteilt und übermäßige Machtkonzentration verhindert.
Ein Einwand lautet, Mitbestimmung sei kein geeignetes Instrument, dieses Ziel zu erreichen. Wo die Machtkontrolle durch den Markt versage, müsse der Staat diese Aufgabe übernehmen. 2. Ebenen der Mitbestimmung Es ist nun zu fragen, wo sich geeignete Ansatzpunkte zur Realisierung dieser generell geltend gemachten Ziele befinden. Im allgemeinen unterscheidet man im wirtschaftlichen Bereich drei Ebenen, auf die die Forderungen nach Mitbestimmung bezogen sind:
— einmal die des Arbeitsplatzes und des Betriebes, — zum zweiten die Ebene des (Gesamt-) Unternehmens, — drittens die gesamtwirtschaftliche Ebene Diesen drei Ebenen können schwerpunktmäßig die anvisierten Ziele zugeordnet werden Das Ziel „Humanisierung der Arbeitswelf z. B. ist sicher auf der Ebene des Betriebes und des Arbeitsplatzes am ehesten zu ver wirklichen. Die Gewerkschaften weisen aller dings darauf hin, daß sich die Mitbestim mungsmöglichkeiten auf Betriebsebene nur in dem durch die Unternehmensentscheidunger vorgegebenen Rahmen verwirklichen ließet und darum eine effektive betriebliche Mitbe Stimmung durch eine Mitbestimmung auf Unternehmensebene, also durch Einflußnahme auf die Vorstandspolitik, abgesichert werden müsse Andererseits ist natürlich auch die Unternehmenspolitik abhängig von Bedingungen, die durch gesamtwirtschaftliche Entscheidungen vorgegeben sind. 3, Modelle und ihre Realisierung Für alle drei Ebenen — Betrieb, Unternehmen und Gesamtwirtschaft — gibt es Modelle für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wobei für die Ebene Gesamtwirtschait bisher am wenigsten realisiert ist. Die Hauptforderung liegt hier auf der Einrichtung eines paritätisch besetzten Bundeswirtschaftsrates, der die Richtung der Wirtschaftspolitik mitbeeinflussen soll. Allenfalls ansatzweise ist diese Forderung in der „Konzertierten Aktion" realisiert worden.
Auf Betriebsebene wird eine auf soziale und personelle Fragen ausgerichtete Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch das 1952 erlassene Betriebsverfassungsgesetz geregelt. 1971 wurde dieses Gesetz novelliert und die Rechte der Arbeitnehmer in einigen Bereichen erweitert. Da sich die Koalitionsvereinbarungen über die Mitbestimmung auf die Ebene des Unternehmens beziehen, beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf diesen Bereich.
Auf der Unternehmensebene sind bereits zwei Mitbestimmungsmodelle realisiert. Das Betriebsverfassungsgesetz betrifft nicht nur die Mitbestimmung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, sondern führt für Unternehmen bestimmter Rechtsformen und Größe Mitbestimmung auch aufUnternehmensebene ein Das Betriebsverfassungsgesetz setzt bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat an, obwohl dies — wie noch zu erörtern ist — nicht der einzig mögliche Ansatz ist. Ein Drittel der Auf-sichtsratssitze wird von den Arbeitnehmern besetzt.
Als Prototyp des mitbestimmten Unternehmens gilt die AG. Bei einer AG ist das grundlegende Entscheidungs-°rgan die Hauptversammlung der Aktionäre. Diese wählt als Kontrollorgan den Aufsichtsrat, der wiederum den Vorstand als Organ für die tägliche Geschäftsführung bestellt. Bestimmte wichtige Entscheidungen bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrates oder der Hauptversammlung. Diese Form der Mitbestimmung, also die Drittelparität im Aufsichtsrat, ist in der Diskussion kaum noch umstritten. Es wird allerdings von Kritikern moniert, daß es sich in diesem Fall um keine Mitbestimmung, sondern bestenfalls um eine Mitberatung handle, da die Arbeitnehmer immer in einer Minderheitsposition seien.
Ein höchst umstrittenes Modell ist dagegen das sogenannte Montan-Modell, das für Unternehmen im Bereich des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie ab 1 000 Arbeitnehmer gilt.
Die entscheidenden Merkmale und damit gleichzeitig die umstrittensten Punkte des Montan-Modells sind die folgenden:
1. Der Aufsichtsrat ist paritätisch besetzt, d. h., jeweils die Hälfte der Aufsichtsratssitze entfällt auf die Kapitaleigner und die Arbeitnehmer. Das Grundproblem dabei ist die Mög-lichkeit des Patts, also der Stimmengleichheit bei Abstimmungen, wenn man davon ausgeht, daß jede der beiden „Bänke" geschlossen abstimmt. Im Montan-Modell soll die Patt-Auflösung durch den „Neutralen" herbeigeführt werden. Das Problem dabei liegt jedoch im möglichen Patt bei der Wahl eben dieses Aufsichtsratsmitgliedes. Falls sich der Aufsichtsrat nicht auf einen Kandidaten einigen kann, entscheidet in diesem Fall nach mehreren Wahlgängen die Hauptversammlung, also die Kapitaleignerseite 2. Im Montanbereich haben die Gewerkschaften im Gegensatz zum Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes eine starke Stellung im Aufsichtsrat. Nur zwei der fünf von der Ar-beitnehmerseite bestimmte Vertreter im Aufsichtsra müssen im Unternehmen be schäftigt sein. Während de Gewerkschaften für dies zwei von den Betriebsräte:
vorgeschlagenen Arbeitneb mervertreter ein Vetored zusteht, haben sie für die anderen drei Mitglieder e Entsendungsrecht Unte den dreien befindet sich da „weitere Mitglied", das we der Repräsentant der Ge werkschaft seih noch demU ternehmen angehören darf.
Ziel einer starken äußerte trieblichen Gewerkschaft-
Vertretung der Arbeitnehme soll nach DGB-Vorstellungen sein, den Betriebsegoismus seitens der betriebsinternen Arbeitnehmervertreter a verhindern und ein gesam-
gesellschaftliches Interesse das alle Arbeitnehmerinter essen berücksichtigt, zurGe tung zu bringen. Außerden soll durch die Entsendur:
sachlich besonders qualifizierter Gewerkschaftler eine optimale Vertretung der Arbeitnehmerinter essen ermöglicht werden.
3. Im Montan-Modell beschränken sich de Mitbestimmungsrechte nicht nur auf den Aufsichtsrat, sondern beziehen die Vorstandsebe ne partiell mit ein. Eines der Vorstandsmr glieder, der „Arbeitsdirektor", ist für soziale und personelle Belange zuständig und kau nicht gegen die Stimmen der Mehrheit de Arbeitnehmervertreter gewählt werden. Auch der Biedenkopf-Kommission, die die Etfahrungen mit diesem Modell und seine Folgen auszuwerten versuchte, gelang es nicht mit ihrem Bericht die Diskussion zu versachlichen. Nach wie vor werden die Erfahrungen mit der Montan-Mitbestimmung je nach Interessenlage unterschiedlich interpretiert, gewichtet und gewertet. Das Für und Wider hinsichtlich der einzelnen Spezifika des Mor tan-Modells wird bei der Diskussion der unterschiedlichen Parteimodelle berücksichtigt werden.
II. Programmatische Positionen der Bundestagsparteie
Abbildung 2
Montan - Modell
Montan - Modell
Im folgenden sollen die Mitbestimmungsvor-Stellungen der drei Bundestagsparteien skizziert werden, wobei versucht wird, auch wichtige Minderheitspositionen deutlich zu machen. Die Beschränkung auf die im Bundestag vertretenen Parteien läßt sich über die bereits genannten Argumente hinaus auch deshalb vertreten, weil die wichtigsten Streitfragen in der Mitbestimmungsdiskussion an den Parteimodellen aufgezeigt werden können.
I. CDU
Nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen verabschiedete die CDU auf ihrem Hamburger Parteitag im November des letzten Jahres ein neues Mitbestimmungsmodell, das betont als Übergangslösung bis zu einer von der CDU angestrebten Neuregelung des gesamten Unternehmensrechts bezeichnet wird Durch eine Unternehmensrechtsreform, die auch von der Bundesregierung als notwendig erachtet wird soll nach den Vorstellungen der CDU z. B. die einseitige Kapitalorientierung des Unternehmensrechts beseitigt werden. Der Arbeitnehmer ist bisher rechtlich nicht „Mitglied des Sozialverbandes Unternehmen", sondern ein vertragsgebundener Außenstehender. Außerdem soll die Reform „Unternehmensrecht und Betriebsverfas10) miteinander verbinden und das Unternehmensrecht der organisatorischen Entwicklung der Großunternehmen anpassen" Das Ubergangsmodell ist im Gegensatz zu den bisherigen Vorstellungen der CDU durch eine nominale Parität von Arbeitnehmern und Kapitaleignern gekennzeichnet. Auf der Arbeitnehmerseite ist allerdings ein Sitz für einen leitenden Angestellten reserviert Das CDU-Modell — wie auch die Modelle der anderen Parteien — verzichtet auf den sogenannten . Neutralen". Dafür dürfte nicht zuletzt das Votum der Sachverständigenkommission maßgebend gewesen sein, daß der „Neutrale" als „Zünglein an der Waage" bei —►Wahlrecht —►Vorschlagsrecht für Aufsichtsratsmitglieder O Kapital O Arbeit O Gewerkschaften entscheidenden Fragen überfordert sei und daß er außer-e “ Disposition“ (Vorstandsmitglieder) dem eine Flucht aus der Verantwortung begünstige
Die Gefahr des Patts scheint der CDU trotz der Differenzierung der Arbeitnehmerbank groß zu sein. Zumindest sieht das Modell umfassende Regelungen für den Fall eines Patts vor — Regelungen, die von Kritikern als ein-deutige Unterminierung der Parität bezeichnet werden
In einer Pattsituation bei Sachentscheidungen erhält der Vorstand Handlungsfreiheit, d. h., er kann ohne Votum des Aufsichtsrates nach eigenem Ermessen entscheiden. Diese Regelung bedeutet eine massive Verstärkung der Position des Exekutivorgans Angesichts der Bedeutung des Vorstandes kommt der Wahl der Vorstandsmitglieder besonderes Gewicht zu. Kommt es bei der Wahl eines Vorstandsmitgliedes zu einem Patt, so hat der Aufsichtsratsvorsitzende den Stichentscheid. Dieser aber wird „vom Aufsichtsrat aus dem Kreise seiner Mitglieder mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt. Kommt nach wiederholten Wahlgängen ein Beschluß nicht zustande, so entscheidet entsprechend § 8 Montan-Mitbestimmungsgesetz die Hauptversammlung“ Es handelt sich also um eine Kausalkette von Faktoren, die nach Ansicht von Kritikern die gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausschalten.
Ein weiteres Charakteristikum des CDU-Vorschlags ist die vorgesehene Urwahl - die direkte Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer - , die im zusammenhang mit dem von der Partei besonders betonten Ziel der vermenschlichung der Arbeitsbedingungen stehen dürfte. Was das Wahlverfahren angeht, so ist in diesem Modell auf Arbeitnehmerseite ein Minderheitenschutz vorgesehen, der aber nicht spezifiziert ist und daher unterschiedlichen Interpretationen Raum läßt .
Die wichtigste Minderheitsposition innerhalb der CDU vertreten in der Mitbestimmungsfrage die Sozialausschüsse, die eine an dem angelsächsischen Board-Modell orientierte Lösung anstreben. Sie gehen von der Überlegung aus, daß die wichtigsten Unternehmens-entscheidungen heute im Vorstand fallen und der Aufsichtsrat bei Sachfragen nur eine nachträgliche Kontrolle ausübt. Um die Arbeitnehmerinteressen bereits im Planungsstadium geltend zu machen, fordern sie eine partielle Integration Sozialausschüsse X) von Vorstand und Aufsichtsrat. Es soll ein neues Unternehmensorgan, der Unternehmensrat, gebildet werden, der alle wichtigen Un'ternehmensfragen entscheiden soll. In ihm soll neben einer gleichstarken Arbeitnehmer-und Kapitaleignerrepräsentanz ein Teil des Vorstandes als „Dritte Bank'integriert sein. Daneben bleibt jedoch der Vorstand als eigenständiges Exekutivorgan für die tägliche Geschäftsführung erhalten. Mit diesem Modell wird das x) Zahlenwerte nachdem Modell der Jungen Union dualistische Prinzip unserer jetzigen Unternehmensord ‘ Wahlrecht —• Vorschlagsrecht für Aufsichtsratsmitglieder nung aufgehoben. Das da —Kapital pQ-j Arbeit ^ 0-^ Gewerkschaften durch bedingte Fehlen eine eigenständigen O “ Disposition” (Vorstandsmitglieder) stanz wird von Kontrollin den Kriti kern dieses Modells auch als Hauptmangel herausgestellt
Demgegenüber weisen die Vertreter der Sozialausschüsse darauf hin, daß eine Kontrolle bereits durch die Heterogenität der Interessen im Unternehmensrat gewährleistet sei und daß darüber hinaus die Kontrolle im bestehenden System ohnehin nur mangelhaft sei, 2. FDP Ähnlich wie die Sozialaus-
schüsse versucht auch die FDP, die auf ihrem Freiburger Parteitag im Oktober 1971 zum erstenmal ein Mitbestimmungsmodell verabschiedete, die möglicherweise einseitige Interessenorientierung der beiden Faktoren Kapital und Arbeit durch die Einbeziehung eines dritten Faktors, des Faktors Disposition, abzubauen. „Der neue Faktor Disposition im Aufsichtsrat entspricht nicht nur der Differenzierung der Arbeitswelt, sondern bringt vor allem eine neue qualitative Dimension in die Unternehmensentscheidungen ein, die die Durchsetzung des übergreifenden Unternehmensinteresses, den Rentabilität, sicherstellt."
Da die FDP an der dualistischen Unternehmensverfassung festhält, rekrutiert sich der Faktor Disposition nicht aus Vorstandsmitgliedern, sondern aus allen leitenden Angestellten eines Unternehmens unterhalb der Vorstandsebene. Das Argument dafür lautet, Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat würden innerhalb des dualistischen Systems „Kontrolle durch die Kontrollierten" bedeuten Die Abgrenzung der leitenden Angestellten soll nach den Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung erfolgen Es soll sich bei den „Leitendan" nicht um zusätzliche Vertrauensleute des Faktors Arbeit oder des Faktors Kapital, sondern um unternehmerisch sachverständige, weder auf die eine noch die andere Seite festgelegte Personen handeln. „Einer solchen, ihrer eigenständigen Funktion entsprechend selbstständigen Repräsentation der leitenden Angestellten im Kontrollorgan eines Großunternehmens entspricht am ehesten eine Wahl der Vertreter der leitenden Angestellten durch die leitenden Angestellten des eigenen Unternehmens." Die Differenzierung der Unternehmensangehörigen in die Faktoren Arbeit und Disposition schlägt sich in einem Modell für den Aufsichtsrat mit 6 Vertretern des Faktors Kapital, 2 des Faktors Disposition und 4 des Faktors Arbeit nieder.
Dieses nach dem nordrhein-westfälischen FDP-Landesvorsitzenden Riemer benannte 6: 2: 4-Modell wurde mit nur einer Stimme Mehrheit (189 : 188) gegen das konkurrierende 4: 2: 4-Modell der Programm-Kommission beschlossen, das besonders mit dem Namen Maihofer verbunden ist und das sogar eine Majorisierung der Kapitaleigner ermöglicht hätte. Aber auch das Mehrheitsmodell will sicherstellen, „daß gegen die Mehrheit der Faktoren Arbeit und Disposition bei im einzelnen noch festzulegenden Entscheidungen, in jedem Fall aber bei der Bestellung und Abberufung der Unternehmensleitung, nicht entschieden werden kann"
Einem möglichen Patt will die FDP nicht durch die Etablierung eines „Neutralen“ begegnen. Nach ihrer optimistischen Einschätzung ist die „angebliche Entscheidungsunfähigkeit einer Pattsituation ... in Wahrheit die höchste Form des Einigungszwangs" Da die FDP Mitbestimmung als innerbetriebliche Mitbestimmung ausgestalten will, lehnt sie betriebsexterne Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ab und fordert u. a.deshalb ausdrücklich die Ablösung des Montan-Modells. Das FDP-Modell ist ausschließlich für große Kapitalgesellschaften vorgesehen, wobei als einziges Größenkriterium die Zahl der Beschäftigten — ab etwa 1 500 — gelten soll.
Der von der FDP betonte Gedanke einer „funktionsgerechten Mitbestimmung" drückt sich nicht nur in der Forderung nach einer weitestgehenden Differenzierung der Mitbestimmungsregelungen für die verschiedenen Unternehmensformen — das Einzelunternehmen, die Personalgesellschaft und die Kapitalgesellschaft — aus. Es wird darüber hinaus gefordert, „für partnerschaftliche Formen der Mitwirkung und Mitbeteiligung der Faktoren Kapital und Arbeit neue Unternehmensmodelle bereitzustellen" und als ein mögliches Modell die „Arbeitsgesellschaft" vorgeschlagen. Ein neuer Gedanke besteht darin, daß für die „Arbeitsgesellschaft" der Grad an Mitbestimmung erstmals nach der relativen Stärke der eingesetzten Faktoren Arbeit und Kapital differenziert werden soll. 3. SPD Angesichts der engen Beziehungen zwischen SPD und DGB ist es nicht verwunderlich, da 8 sich die 1968 in einem Gesetzentwurf konkretisierten Vorstellungen der SPD zur Mitbestimmung weitgehend mit den Forderungen des DGB decken, welche sich wiederum im wesentlichen an das Montan-Modell anlehnen. Trotzdem gibt es einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen SPD-und DGB-Vorstellungen. So verzichtet die SPD auf die Sonderstellung des Arbeitsdirektors, der nad dem Montan-Modell nicht gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter gewählt werden kann, fordert aber weiterhin ein Vorstandsmitglied, das für das Personal-und Sozial-wesen zuständig ist. Das auch von den anderen Parteien abgelehnte Sonderwahlverfahren für den Arbeitsdirektor schwächt nach Ansicht von Kritikern die Stellung des Arbeitsdirektors im Vorstand und damit auch die Einheitlichkeit der Unternehmensführung
Der Aufsichtsrat ist beim SPD-Modell in der gleichen Weise zusammengesetzt wie beim Montan-Modell, der Einfluß der Gewerkschaften wird jedoch bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter reduziert. Anstelle eines Entsendungsrechts erhalten die Gewerkschaften nur noch ein Vorschlagsrecht für zwei externe Arbeitnehmervertreter. Während bei der Montan-Mitbestimmung die Arbeitnehmervertreter formal von der Hauptversammlung . gewählt" werden, wird diese Fiktion im SPD-Entwurf fallengelassen. Alle Arbeitnehmervertreter werden von einem neuen Repräsentativorgan der im Unternehmen Beschäftigten, der Unternehmensversammlung, gewählt. Damit wird auf das Prinzip der Urwahl verachtet. Anders als im Gesetzentwurf ist im SPD-Langzeitprogramm eine neue dritte Bank „öffentliches Interesse" vorgesehen, die unter anderem die Aufgabe des „Neutralen" — die Patt-Auflösung — übernehmen soll. Der Gedanke, daß gerade die Entscheidungen von Großunternehmen gesamtgesellschaftliche Interessen berühren und diese Interessen in Aufsichtsrat institutionell verankert werden sollten, scheint auf den ersten Blick bestechend. Es stellt sich dabei jedoch das grundsätzliche Problem, ob das „öffentliche Interes se" am effektivsten durch eine Binnenkontrolle über den Aufsichtsrat oder eine Außenkontrolle geltend gemacht werden kann.
Beim Modell der Außenkontrolle wird versucht, das gesamtgesellschaftliche Interesse— z. B. an einer optimalen Güterversorgung oder am Umweltschutz — durch die von den politischen Instanzen gesetzten Rahmenbedingungen durchzusetzen. Diese Rahmenbedingungen umfassen die marktwirtschaftliche Ordnung, Umweltschutzgesetze usw. Will man jedoch das öffentliche Interesse mittels Binnenkontrolle berücksichtigen, so ist die Frage ungelöst, wie das öffentliche Interesse zu definieren ist und wer als Träger angesehen werden kann — ein Problem, welches sich nicht zuletzt im Wahlverfahren konkretisiert
III. Der Koalitionskompromiß — Darstellung und Kritik
Abbildung 3
CDU
CDU
Der folgenden Darstellung des Koalitionskompromisses liegt der vom Kabinett am 20. Februar 1974 verabschiedete Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums zugrunde Auf die gegenüber dem ersten Koalitionsergebnis vom 19. Januar 1974 erfolgten Änderungen wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen, wobei diese Frage später noch einmal unter methodischen Gesichtspunkten aufgegriffen wird. 1. Geltungsbereich Der vorgesehene Geltungsbereich des Gesetzes ist hinsichtlich der Rechtsformen gegenüber den bereits bestehenden Regelungen etwas ausgeweitet Innerhalb dieser Rechtsformen wird allein auf das Größenkriterium 2 000 Arbeitnehmer abgestellt, womit ungefähr 650 Unternehmen erfaßt werden
Obwohl diese quantitative Begrenzung in der Diskussion am häufigsten genannt worden ist, ist zu fragen, wie dieses Kriterium logisch zu begründen ist. Im Biedenkopf-Gutachten wird eine Mindestbeschäftigtenzahl als Kriterium damit gerechtfertigt, daß erst ab einer bestimmten Arbeitnehmerzahl der Anonymitätsgrad und die organisatorische Ausdifferenzierung des Unternehmens eine vollausgebaute institutionalisierte Mitbestimmung nötig mache und erlaube Die Willkür einer konkreten Grenzziehung wird aber schon da-durch deutlich, daß im Gutachten sowohl 1 000 als auch 2 000 Arbeitnehmer als Grenzwert erwogen worden sind.
Geht man vom Ziel der größtmöglichen Selbstbestimmung für den einzelnen Arbeitnehmer aus, so ist eine Begrenzung auf Großunternehmen allein schwerlich gerechtfertigt. Unter dem umstrittenen Gesichtspunkt der Machtkontrolle jedoch ist das — von der FDP geforderte — Kriterium „Beschäftigtenzahl" unzureichend. So haben DGB und SPD auch verlangt, diejenigen Unternehmen einzubeziehen, die zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: 1. 2 000 Beschäftigte, 2. 75 Mill. Bilanzsumme, 3. 150 Mill. Jahresumsatz
Der DGB vor allem hat die Eingrenzung der Kriterien auf die Arbeitnehmerzahl verworfen, und Vetter hat darauf verwiesen, daß dadurch ca. 100 Unternehmen nicht erfaßt würden
Entgegen den ausdrücklichen Forderungen der FDP soll die Montan-Mitbestimmung neben dem neuen Modell aufrechterhalten bleiben. Hierbei dürfte es sich um ein eindeutiges Zugeständnis an den DGB handeln der als engagiertester Befürworter des Montan-Mo-dells auftritt. Die Bedeutung, die der DGB dem Montan-Modell beimißt, zeigt sich z. B. an seiner Kritik, daß dessen Weiterexistenz nicht auf Dauer gesichert sei
Auch wenn diese Position vom Interessen-standpunkt des DGB her zu verstehen ist, erscheint eine Sonderregelung für eine spezielle Branche nicht gerechtfertigt, zumal der Mon-tan-Bereich seine ehemalige Schlüsselposition eingebüßt hat.
Trotz heftiger Kritik des DGB — insbesondere der IG Druck und Papier — hat die FDP in der zweiten Verhandlungsrunde durchgesetzt, daß sogenannte Tendenzbetriebe, wie z. B. die Massenmedien, der neuen Regelung nicht unterliegen. *
Mit den vorliegenden Regelungen zur Mitbestimmung — je nach Rechtsform von Unternehmen, nach Beschäftigtenzahl und nach Branchen differenziert — stehen sich nunmehr mehrere, zumindest teilweise konkurrierende Modelle gegenüber. Da auch die Bundesregierung auf die längerfristige Aufgabe einer Unternehmensrechtsreform ausdrücklich verwiesen hat und Sprecher der Koalitionsparteien die Notwendigkeit zumindest einer späteren Vereinheitlichung betont haben, er. scheint auch die jetzige Regelung nur als Übergangslösung 2. Der Aufsichtsrat Die zentralen Streitpunkte bei der Diskussion der Koalitionsbeschlüsse sind die Zusammensetzung und der Entscheidungsmodus im Aufsichtsrat. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß bei einem Grundmodell von 20 Aufsichtsratmitgliedern von den Anteilseignern und den Arbeitnehmern je 10 Vertreter entsandt werden, wobei mindestens ein Arbeitnehmervertreter ein leitender Angestellter sein muß.
Daß der „Leitende" seinen Platz auf der Arbeitnehmer-Bank findet, war eine naheliegende Kompromißlösung, wenn man von den Grundvorstellungen der beiden Koalitionsparteien ausgeht. Nur so konnte die SPD-Forderung nach Parität zwischen Kapital und Arbeit mit der FDP-Forderung, die leitenden Angestellten zu berücksichtigen, in Einklang gebracht werden und jede Partei formal ihr Gesicht wahren. Damit wurde aber der Grad an „Eigenständigkeit des Faktors Disposition" zum entscheidenden Streitpunkt.
Die leitenden Angestellten haben insofern einen Sphinxcharakter, als sie vom arbeitsrechtlichen Standpunkt aus eindeutig als Arbeitnehmer zu definieren sind, funktional je-doch Untergeberaufgaben wahrnehmen. Um diesem doppelten Charakter gerecht zu werden, wäre ein logischer Kompromiß zwischen der SPD, die eine irgendwie geartete Sonderstellung der leitenden Angestellten ablehnte, und der FDP, die ein eigenes Vorschlags-und Wahlrecht für die „Leitenden" vorsah, ein Wahlverfahren nach einem Zweischlüsselmo dell gewesen. Das hätte bedeutet, daß die „Leitenden" einen von der Mehrheit ihrer Gruppe getragenen Kandidaten der allgemeinen Wahl durch die ganze Belegschaft, d. hdurch das von den Arbeitnehmern legitimierte Wahl-männergremium, hätten stellen müssen. Der Kompromiß der Regierungsvorlage sieht ein wesentlich modifiziertes Verfahren vor. Auch bei diesem Verfahren liegt die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder bei allen Wahlmännern. Das Vorschlagsrecht kann jedoch bereits von einer Minderheit der Gruppe der leitenden Angestellten wahrgenommen werden und zwar genügen sowohl für den ersten Wahlgang als auch für einen eventuell notwendigen zweiten 20 % der Stimmen. In jedem Fall sollen jedoch 100 Unterschriften ausreichen. Ein in der ersten Koalitionsvorlage erwogenes Quorum von 5 % für den zweiten Wahlgang wurde auf Druck der FDP fallengelassen. Der Streit um diesen Punkt hat jedoch nur begrenzte Bedeutung, da auch bei der jetzt geltenden Regelung 100 „Leitende" in einem Großunternehmen weniger als 20 % ihrer Gruppe ausmachen können Das im Gesetzentwurf vorgesehene Quorum in Verbindung mit dem noch zu erörternden Wahlmännerprinzip ist zweifellos ein Zugeständnis an den DGB, um ihm die Akzeptierung der „Leitenden" im Aufsichtsrat zu erleichtern. Dadurch wird den Gewerkschaften die Chance gegeben, einen ihnen nahestehenden leitenden Angestellten zu finden, der auch von einem Teil seiner Gruppe unterstützt wird und der vom Wahlmännergremium (eventuell trotz eines Mehrheitskandidaten der „Leitenden") gewählt werden kann. Diese Regelung kommt der Forderung des DGB nach einer möglichst einheitlichen Vertretung der Belegschaft im Aufsichtsrat ent-gegen. Der DGB hat sich immer gegen eine — die Solidarität der Arbeitnehmer schwächende — Aufsplitterung gewehrt Der DGB-Vorsitzende Vetter scheut sich jedoch, die Interessen der Gewerkschaften durch „Manipulation" durchzusetzen. Er sieht die Gefahr, daß dem DGB rücksichtsloser Gebrauch von Macht vorgeworfen würde, wenn er immer nur Minderheitskandidaten „durchbügelte". Falls der Gesetzentwurf den Gewerkschaften aber keine andere Wahl lasse, warnt Vetter: „Dann gibt es keine Moral, wenn es um dieVertretung der Interessen der Arbeitnehmer geht, dann gibt es nur die Ausnutzung des Gesetzes."
Es ist verständlich, daß der Gesetzentwurf seitens der Interessenvertretungen der leitenden Angestellten radikal abgelehnt wird. Sie nennen das Vertretungsprinzip der „Leitenden" „Etikettenschwindel" und fühlen sich in „unzumutbarer Abhängigkeit" von der Einheitsgewerkschaft, da nur ihre Mitglieder oder Sympathisanten die Chance hätten, in den Aufsichtsrat vorzudringen
Angesichts der möglichen Schlüsselstellung der „Leitenden" im Aufsichtsrat ist der Streit, der um die Abgrenzung dieser Gruppe entstanden ist, verständlich. Dabei geht es um die Abgrenzung sowohl nach „unten" als auch nach „oben". Im ersten Koalitionsentwurf war vorgesehen, durch Bezug auf den § 105 Aktiengesetz die Wählbarkeit aller Prokuristen und der „zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten" auszuschalten. Der FDP gelang es jedoch, den Kandidatenkreis nach „oben" auszuweiten. Im Kabinettsentwurf ist einschränkend vorgesehen, „daß die Wählbarkeit eines Prokuristen als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer nur ausgeschlossen ist, wenn dieser dem zur gesetzlichen Vertretung befugten Organ (der Vorstand — die Verf.) unmittelbar unterstellt und zur Ausübung der Prokura für den gesamten Geschäftsbereich des Organs ermächtigt ist"
Die Abgrenzung des „Leitenden" nach „unten" erfolgt im Gesetzentwurf nach den Bestimmungen des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Danach werden diejenigen zu den leitenden Angestellten gezählt, die „ 1. zur selbständigen Vertretung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sind oder 2. Generalvollmacht oder Prokura haben oder 3. im wesentlichen eigenverantwortlich Aufgaben wahrnehmen, die ihnen regelmäßig wegen deren Bedeutung für den Bestand oder die Entwicklung des Betriebes im Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden."
Die bisherige Praxis der Mitbestimmung im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes zeigt aber, daß diese begriffliche Abgrenzung sehr umstritten ist. Ungefähr 800 Rechtsstreitigkeiten um die Definition der „Leitenden“ in konkreten Fällen zeigen, daß es sich insbesondere beim dritten Kriterium um eine Leerformel handelt, die unterschiedliche Auslegungen gestattet. Während es im Interesse des Betriebsrates liegt, den Begriff des „Leitenden" möglichst restriktiv auszulegen, um so den Einflußbereich des Betriebsrates auszuweiten, liegt es im Interesse der Unternehmensleitung, möglichst viele Unternehmensangehörige unter die Kategorie der „Leitenden“ zu subsumieren, um sie so dem Einfluß des Betriebsrates zu entziehen.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Beschluß vom 5. März 1974 die gesetzlichen Kriterien als so unscharf bezeichnet, „daß sie noch keine justiziable Abgrenzung ermöglichen" Das BAG hat versucht, die „verdeckte Regelungslücke" vom Sinn und Zweck des Gesetzes her zu füllen und ist in der mündlichen Erklärung von einer „. Interessenpolarität'zwischen den an Stelle des Unternehmers handelnden leitenden Angestellten und der Arbeitnehmerschaft" ausgegangen. Die mündliche Erklärung des BAG erweckte in der Öffentlichkeit den Eindruck, daß die Gruppe der leitenden Angestellten sehr eng definiert und eindeutig dem Arbeitgeber zugeordnet wurde. Obwohl sich das „Kasseler Urteil" allein auf das Betriebsverfassungsgesetz bezieht, setzte ein heftiger Disput um die möglichen Konsequenzen für die neue Mitbestimmungsregelung ein. Während die einen folgerten, damit sei die Zuordnung der „Leitenden" zur Arbeitnehmer-Bank unhaltbar zogen andere den Schluß, das MitbestG. müsse zumindest eine Neudefinition der „Leitenden", speziell für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, erhalten. Nach der schriftlichen Begründung des BAG erscheint die Abgrenzung der leitenden Angestellten, obwohl dringend klärungsbedürftig, wieder völlig offen. Der in der mündlichen Erklärung betonte Interessengegensatz kann nach der schriftlichen Begründung „mehr oder weniger zurücktreten, wenn die Gesamt-betrachtung der Funktionen des Angestellten diesen gleichwohl in die Nähe des Unternehmers weist, weil bei der Wertung der anderen maßgeblichen Gesichtspunkte die unternehmerischen Teilaufgaben das Gepräge geben“ Eine solche Formulierung dürfte als praktikables Abgrenzungskriterium schwerlich geeignet sein.
Ein weiterer Konfliktstoff bei der Kompromißsuche war die Rolle der Gewerkschaften. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß die Gewerkschaften für drei der im Grundmodell geplanten zehn Arbeitnehmervertreter ein Vorschlagsrecht haben. Daß sich dieses Vorschlagsrecht in der Realität wie ein Entsendungsrecht auswirken wird, liegt u. a. an dem noch zu erläuternden gewerkschaftsorientierten Wahlverfahren.
Die Akzeptierung der drei Gewerkschaftsvertreter ist als ein weitgehendes Zugeständnis der FDP zu betrachten. In den Freiburger Thesen heißt es, daß die Entsendung externer Arbeitnehmervertreter „prinzipiell mit liberalen Vorstellungen einer größtmöglichen Mitbestimmung der Betriebsangehörigen, auch auf der unternehmerischen Ebene“, nicht vereinbar ist Das Zugeständnis seitens der SPD liegt dagegen in der geringeren Zahl von außerbetrieblichen Vertretern als im SPD-Konzept vorgesehen.
Nach Meinung des DGB wird mit der vorgesehenen Regelung verhindert, „übergreifende Arbeitnehmerinteressen wirksam zur Geltung zu bringen" Umgekehrt wendet sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) generell gegen betriebs-fremde Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, da sie eine Fernsteuerung durch die Gewerkschaftszentralen befürchtet und damit eine Aufweichung der dezentralen marktwirtschaftlichen Ordnung 3. Das Pattproblem Das Pattproblem taucht im Koalitionsmodell in verschärfter Form auf, da sowohl auf die SPD-Lösung des „Neutralen" verzichtet wird als auch auf eine eigenständige dritte Bank „Disposition" nach den FDP-Vorstellungen.
Als erster Lösungsversuch bei einem Patt in Sachfragen wird dem Aufsichtsratsvorsitzenden ein Stichentscheid zugestanden. Daher gewinnt der Wahlmodus für diese Position an Bedeutung.
Im ersten Wahlgang ist für den Aufsichtsratsvorsitz eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder erforderlich. Im zweiten Wahlgang genügt die einfache Mehrheit, mit der Folge, daß Vorsitz und Stellvertretung in zweijährigem Turnus zwischen den beiden „Bänken" wechseln. In einer Pattsituation entscheidet das Los, welche Seite zuerst den Vorsitz stellt. Der zu erwartende turnusmäßige Wechsel in Verbindung mit dem Stichentscheid des Aufsichtsratsvorsitzenden läßt einige Kritiker befürchten, daß es zu einer regelmäßigen Änderung in der Unternehmenspolitik kommen könne, daß sich „Gewerkschaftsjahre" und „Kapitaljahre" abwechseln könnten
Alle diese Überlegungen dürften jedoch müßig sein, denn der Stichentscheid in einer Pattsituation ist an die vorherige Zustimmung der Mehrheit sowohl der Kapital-als auch der Arbeitnehmerseite gebunden. Da Pattsituationen nur bei wichtigen Fragen auftauchen dürften, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die Seite, die nicht den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt, diesem den Stichentscheid einräumt. Damit handelt es sich bei dieser Art von Patt-„Lösung" eindeutig um eine Scheinlösung.
Wenn der Stichentscheid verweigert wird und die Pattsituation anhält, bleibt letztlich nur der Rückgriff auf § 111 Abs. 4 des Aktiengesetzes, der es dem Vorstand ermöglicht, notfalls die Hauptversammlung als letzte Entscheidungsinstanz anzurufen, die die Vorstandsvorlage mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen billigen kann.
Als zentrale Aufgabe des Aufsichtsrates wird häufig die Wahl des Vorstandes bezeichnet.In der Gesetzesvorlage sind dafür notfalls vier aufeinanderfolgende Wahlschritte vorgesehen: 1. Schritt: Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit;
2. Schritt: Wahl mit einfacher Mehrheit, wobei ein paritätisch besetzter Ausschuß des Aufsichtsrats neue Vorschläge macht;
3. Schritt: Vorschlagsrecht des Vorstandes, Wahl mit einfacher Mehrheit des Aufsichtsrates;
4. Schritt: Gemeinsame oder getrennte Vorschläge des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters, Entscheidungsrecht der Hauptversammlung.
Mit dieser Regelung wird versucht, die schwierige Balance zwischen Einigungszwang und Entscheidungsfähigkeit zu wahren. Der Letztentscheid der Hauptversammlung ist, wie viele Beobachter meinen, die wichtigste Änderung des Gesetzentwurfes gegenüber den Ergebnissen der ersten Verhandlungsrunde, eine Änderung, die Biedenkopf triumphieren läßt, damit habe die Koalition zu dem tragenden Grundsatz des Hamburger Parteitages gefunden
Von den Gewerkschaften wird massiv kritisiert, daß durch dieses Verfahren die Parität unterlaufen werde. Die Versuchung für die Kapitalseite sei groß, Pattsituationen herbeizuführen, um letztlich die Hauptversammlung in ihrem Sinn entscheiden zu lassen.
Demgegenüber wird von Seiten der Arbeitgeber moniert, daß dieses komplizierte Wahl-verfahren in der Praxis nicht durchführbar sei, da qualifizierte Kandidaten für die so wichtigen Vorstandsposten sich einem derartigen Wahlverfahren nicht unterwerfen würden. Im übrigen sei eine kurzfristige Einberufung der Hauptversammlung „unpraktikabel und organisatorisch undurchführbar“
Auch Arbeitsminister Walter Arendt benutzt dieses Argument, wenn er sagt: „Wer die Praxis einigermaßen kennt, wird mir sicher beipflichten, wenn ich sage, daß es dann wahrscheinlich keinen Kandidaten für ein solches Amt mehr geben wird.“ Damit wird zur Verteidigung dieser Regelung auf deren Ausnahmecharakter verwiesen und der Ein;, gungszwang betont.
Die zukünftige Praxis bei diesem Verfahren ist nicht logisch ableitbar. Immerhin erscheint es interessant, daß im Montan-Bereich, wo es eine ähnlich komplizierte Regelung bei der Wahl des „Neutralen" gibt, die Hauptversammlung nie angerufen werden mußte.
Ein besonderes Problem bilden die von der Reform betroffenen Unternehmen in der Bundesrepublik, die Teil eines ausländischen Konzerns sind. Es ist argumentiert worden, die neue Regelung stelle die einheitliche Wil. lensbildung im Rahmen des Konzerns in Frage. Die ausländische Konzernmutter sei insbesondere nicht in der Lage, bei der deutschen Tochtergesellschaft einen Vorstand ihrer Wahl zu bestimmen, und dies könne dazu führen, daß ausländisches Kapital die Bundesrepublik zukünftig meide. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Lambsdorff, erwartet demgegenüber, daß bei multinationalen Unternehmen der Stichentscheid der Hauptversammlung praktisch wirksam wird: „Die können ja mit ihrer meist aus einem Mann bestehenden Hauptversammlung bei der Vorstandsbestellung problemlos durch alle Wahl instanzen gehen."
Im Gesetzentwurf ist im Gegensatz zur ersten Fassung ein Passus — § 29 — eingeführt worden, der eine „Überparität" der Arbeitnehmer bei inländischer Kapitalverflechtung verhindern soll. Sind mindestens 25% des Kapitals eines mitbestimmten Unternehmens B in der Händen eines mitbestimmten Unternehmens A, so wird über die Ausübung der aus der Kapitalbeteiligung resultierenden Rechte, wie z. B. Mitwirkung bei der Bestellung des Vorstandes von B, allein von der Kapitalseite in Aufsichtsrat von A entschieden. Damit soll ausgeschlossen werden, daß die Arbeitneh-mervertreter durch eine „Kettenreaktion d. h. dadurch, daß sie nicht nur die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat von B stellen, sondern — über die von den Arbeitnehmern mil-bestimmten Entscheidungen im Aufsichtsrat von A — auch die Kapitalbank von B beeinflussen, das Übergewicht erhalten.
Die Arbeitgeber fürchten weiterhin, daß da'komplizierte Wahlverfahren dazu führt, daß sich die paritätische Besetzung des Aufsichtsrates über das Wahlverfahren auch auf den Vorstand und über diesen hinaus sogar auf das mittlere Management erstrecken werde daß es also zu einem die unternehmerischer. Entscheidungen lähmenden Proporzsystem auch in der Personalpolitik kommen werde Die Arbeitgeber stützen ihre Befürchtungen auf Aussagen der Gewerkschaften, die betonen, daß Vorstandsposten „politische Posten“ seien
Während also auf der einen Seite eine „Politisierung" des Managements befürchtet wird, erhofft sich der SPD-und DGB-Exponent Matt-höfer „eine entscheidende Änderung im Karrieredenken der leitenden Angestellten"
Die Arbeitgeber kritisieren weiter, daß durch eine von den Gewerkschaften mitbestimmte Personalpolitik die Tarifautonomie gefährdet werde, da die Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen Vertretern der Unternehmen gegenübersitzen könnten, die von ihnen abhängig seien. „An Stelle der Tarifautonomie träte die Gefahr des einseitigen Lohndiktats.“ 4. Wahlverfahren Einer der umstrittensten Punkte des Koali-tionsmodells ist das Prinzip der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat durch ein Wahlmännergremium. Es findet somit keine Urwahl statt, sondern eine indirekte Wahl. Die Zahl der Wahlmänner steht in direktem Verhältnis zu der Zahl der Arbeiter, Angestellten und leitenden Angestellten, wobei jedoch ein Minderheitenschutz für jede Gruppe vorgesehen ist.
Die Wahlvorschläge erfordern bereits das hohe Quorum von 10% oder von 100 Mitgliedern der betreffenden Gruppe. Die Wahl erfolgt durch die Gesamtbelegschaft gemeinsam, geheim und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in den einzelnen Betrieben eines Unternehmens.
Die Regierung hat die indirekte Wahl damit begründet, daß die Urwahl kompliziert und zeitraubend sei und die Bewerber den meisten Arbeitnehmern vielfach unbekannt seien, woraus häufig eine Zufallsergebnisse begünstigende geringe Wahlbeteiligung folge. „Es kann daher davon ausgegangen werden, daß eine Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch Wahlmänner, vor allem in größeren Unternehmen, den Ansprüchen an eine demokratisch legitimierende Wahl eher gerecht wird als eine Urwahl."
Neben dieser wenig überzeugenden offiziellen Begründung hat Bundesarbeitsminister Arendt als weiteres Motiv angeführt, daß das Wahlmännersystem eine Barriere gegen die Wahl von „Extremisten" darstelle
Da bei Wahlen in Großunternehmen aus organisatorischen Gründen in der Regel über gewerkschaftliche Listen abgestimmt wird, dürfte auch das Wahlmännergremium gewerkschaftlich dominiert sein. Nimmt man weiter an, daß die Gewerkschaften die Wahl von „Extremisten" in den Aufsichtsrat zu verhindern suchen, so kann in der Tat angenommen werden, daß diese, aber auch generell Vertreter von Minderheitsgruppen aller Art, die in der Belegschaft eventuell großes Ansehen genießen, bei der indirekten Wahl wenig Chancen haben. Das „Extremisten”-Argument verrät deutliches Mißtrauen in die Mündigkeit der Arbeitnehmer. Der Generalsekretär der CDU hat die Kritik pointiert so formuliert:
„Gemessen an dem hohen Anspruch, mehr Demokratie zu verwirklichen, ist der Vorschlag reaktionär."
Während für die Wahl der Wahlmänner das
Verhältniswahlrecht
gremium nach dem gilt, werden die Aufsichtsratsmitglieder dem Wahlmänner-
Mehrheitswahlrecht gewählt.
Die Aufsichtsratssitze der Arbeitnehmer werden auf die einzelnen Gruppen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbelegschaft verteilt, wobei aber mindestens je ein Sitz auf die Gruppe der Arbeiter, Angestellten und leitenden Angestellten entfällt. Vorschläge müssen von mindestens 20 % oder 100 Mitgliedern der jeweiligen Gruppe unterstützt werden.
Das Mehrheitswahlrecht begünstigt eindeutig die stärkste Gruppierung im Wahlmännergre-mium und damit in der Regel die DGB-Gewerkschaften. 51 % der Sitze im Wahlmännergremium genügen, um im ersten Wahlgang alle Aufsichtsratssitze der Arbeitnehmerbank zu besetzen Bei Fehlen einer Mehrheitsgruppe im ersten Wahlgang genügt für den zweiten Wahlgang die relative Mehrheit. Der aus dem Mehrheitswahlrecht resultierende fehlende Minderheitenschutz im Wahlmännergremium ist vor allem von der CDU und den kleineren Gewerkschaften als „undemokratisch" heftig attackiert worden
Wenn man davon ausgeht, daß möglichst alle Gruppierungen im Unternehmen die Chance haben sollten, im Aufsichtsrat repräsentiert zu sein, wäre die allgemeine Anwendung des Verhältniswahlrechts sinnvoll. Diese Überlegung gilt allerdings auch für die Kapitalseite, da das in der Hauptversammlung geltende Wahlrecht auch z. B. eine Repräsentanz der Kleinaktionäre im Aufsichtsrat behindert.
Möglichkeit und Modus der Abberufung von Aufsichtsratmitgliedern ist von Kritikern als deutliche Tendenz zum „imperativen Mandat" interpretiert worden. Das „imperative Mandat“, das durch Weisungsabhängigkeit der Gewählten von den Wählern gekennzeichnet ist, werde zwar nicht direkt im Gesetz verankert, die Abberufbarkeit und der damit verbundene Druck führe aber zu einem „imperativen Mandat" und zum „Rätesystem durch die Hintertür"
Nach dem ersten Entwurf konnten Aufsichts. ratsmitglieder der Arbeitnehmer quf Antrag des Betriebsrates oder von 20 % der Arbeitnehmer durch eine Entscheidung des Wahlmännergremiums mit 75 % Mehrheit abberufen werden. Diese durch das Fehlen jeglichen Gruppenschutzes gekennzeichnete Regelung hätte insbesondere den Vertreter des Faktors Disposition jederzeit zur „Disposition" des Wahlmännergremiums gestellt.
Im zweiten Koalitionskompromiß ist diese Bestimmung dadurch erheblich entschärft worden, daß das Antragsrecht für die Abberufung nur noch 75 °/o der betreffenden Gruppe zusteht. Das gesamte Wahlverfahren ist eindeutig gewerkschafts-, genauer DGB-orientiert. Die schärfste Kritik daran stammt von Biedenkopf, der hinter dem Konzept der Regierung eine „einheitliche syndikalistische Strategie" sieht. „Sie verfolgt das Ziel, direkte Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Bürger durch Verbands-und Organisationsmitbestimmung abzulösen, die Entwicklung der Meinungsvielfalt und damit Pluralität im Bereich der Arbeitnehmer zu verhindern und so die Chancen der Selbstbestimmung dort einzuschränken, wo sie die Kontrolle wirtschaftlicher Entscheidungen durch Organisationen gefährden könnte." Biedenkopf nennt die Wahlvorschriften „Meisterwerke gesetzlich geregelter Wahlmanipulation"
IV. Ausgangslage Vermögensbildung
Abbildung 4
CDU Sozialausschüsse
CDU Sozialausschüsse
Ursprung der Forderung nach einer bewußten staatlichen Vermögenspolitik ist die ungleiche Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese ist zum Teil system-bedingt, d. h., in einer Marktwirtschaft mit weitgehendem Dispositionsspielraum für den einzelnen ist eine absolute Gleichverteilung des Vermögens auch bei massiven Eingriffen des Staates nicht zu erreichen. Zweifellos ist aber der Konzentrationsgrad durch vermögens-politische Maßnahmen beeinflußbar, und angesichts der bestehenden Vermögensverteilung in der Bundesrepublik werden derartige Maßnahmen allgemein für erforderlich gehalten. Das schließt nicht aus, daß aufgrund unterschiedlicher Vermögensdefinitionen und unzulänglichen statistischen Materials das augenblickliche Ausmaß an Vermögensungleichheit umstritten ist und die aus einer Vermögenskonzentration resultierenden Gefahren sowie Art und Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen unterschiedlich eingeschätzt werden. Nach einer oft angeführten Untersuchung von Siebke verfügten 1966 die reichsten 1, 7% der Haushalte in der Bundesrepublik über 31 % des privaten Vermögens. Dieser Konzentrationsgrad ist nicht zuletzt durch die Steuerpolitik insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit gefördert worden, die im Dienste einer Vollbeschäftigungspolitik Investitionsbereitschaft mit massiven Steuerprivilegien honorierte. Die aktive staatliche Mitschuld an der Vermögenskonzentration läßt die Forderung um so berechtigter erscheinen, eine staatliche Vermögenspolitik müsse versuchen, Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Für eine auf breite Vermögensstreuung ausgerichtete Politik werden mindestens zwei Ziele angeführt, die ähnlich wie bei der Mitbestimmung zwar Zusammenhängen, aber dennoch unterscheidungsbedürftig sind. „Positiv“ soll breite Vermögensstreuung dazu dienen, den konkreten Freiheitsraum für möglichst viele zu erweitern. „Negativ“ soll die mit Vermögenskonzentration verbundene . Machtkonzentration bei einigen wenigen abgebaut werden. Eine allein auf breite Streuung des künftigen Vermögenszuwachses ausgerichtete Politik ist allerdings nach wie vor mit der Machtproblematik bei bereits bestehenden Großvermögen in Milliardenhöhe konfrontiert.
Differenziert man nach Vermögensarten, so kommt unter dem Machtaspekt dem Produktivvermögen besondere Bedeutung zu. Einerseits ist das Produktivvermögen außerordentlich konzentriert 73a). Darüber hinaus ist es dadurch ausgezeichnet, daß es mit Verfügungsmacht über Menschen verbunden ist. Nach marxistischer Auffassung kommt dem Eigentum an den Produktionsmitteln ein derartiges Gewicht zu, daß es ein entscheidendes Kriterium für die Unterscheidung von Gesellschaftsordnungen ist. Ähnlich wie sich der Mitbestimmungskompromiß der Koalition allein auf die Ebene der unternehmerischen Mitbestimmung erstreckt, beschränkt sich der Koalitionskompromiß in der Vermögensbildung auf die Ebene des Produktivvermögens. Auf die auf dieser Ebene verständlicherweise besonders heftige Zieldiskussion wird im einzelnen bei den Parteipositionen einzugehen sein.
Obwohl auch in der Vergangenheit bereits eine Reihe beachtlicher vermögenspolitischer Maßnahmen realisiert wurde, z. B. das Sparförderungsgesetz und das 624-DM-Gesetz, handelt es sich um unspezifische Sparförderungsmaßnahmen, die darauf abzielten, Sparfähigkeit und -neigung anzuheben In der Vergangenheit waren bisher allein die Privatisierungsaktionen von Bundesvermögen speziell auf die Streuung von Produktivvermögen ausgerichtet. Durch die Ausgabe von „Volksaktien" bei Preußag, VW und Veba wurde versucht, den Aktienerwerb zu popularisieren und psychische Sperren abzubauen. Als die erhoffte Initialzündung für eine breite Beteiligung am Produktivvermögen erwiesen sich die Privatisierungsaktionen jedoch nicht.
V. Programmatische Positionen der Bundestagsparteien
Abbildung 5
FDP
FDP
1. CDU Die CDU tritt in ihren auf dem Hamburger Bundesparteitag 1973 verabschiedeten „vermögenspolitischen Leitsätzen" betont „für persönlich verfügbares Miteigentum am Produktivvermögen und gegen Kollektiveigentum“ ein und sieht in ihrem Vermögensprogramm eine „konsequente Alternative zu kollektivistischen Vorstellungen und Plänen, in denen die private Konzentration durch öffentliche Konzentration ersetzt und über zentrale Fonds den Bürgern wesentliche Verfügungsrechte vorenthalten werden sollen." Gewinn wird nicht mehr automatisch der Kapitalseite zugeordnet, sondern als Ergebnis „partnerschaftlichen Zusammenwirkens von Arbeitnehmern, Unternehmern und Kapitaleignem" gesehen. „Der nach Abzug der Einkommen der Arbeitnehmer und Unternehmer sowie der Kapitalkosten und der Risikoprä-mie verbleibende Gewinn steht Arbeitnehmern und Anteilseignern im angemessenen vereinbarten Verhältnis zu."
Methodisch ist als allgemeine Regelung ein gesetzlicher Investivlohn vorgesehen in Höhe von anfänglich etwa 20 DM monatlich pro Arbeitnehmer und damit gesamtwirtschaftlich etwa 5 Mrd. DM jährlich. Der Investivlohn ist dadurch charakterisiert, daß er vom Empfänger nur für die Vermögensbildung verwendet werden darf, nicht aber für den Konsum. Entsprechend seiner Zielsetzung bietet der CDU-Entwurf dem Empfänger nur die Wahl zwischen verschiedenen Anlageformen im Bereich des Produktivvermögens und versucht eine dauerhafte Vermögensbildung durch eine sechsjährige Sperrfrist zu sichern. Ein sich grundsätzlich bei allen Vermögensbildungsplänen ergebendes Problem ist das einer möglichen Uberwälzbarkeit der Vermögensleistungen auf die Preise. Auch die Gewerkschaften versuchen, mit ihrer Lohnpolitik die Einkommensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer zu verändern. Sie sind mit der Methode der Nominallohnpolitik aber weitgehend gescheitert. Vereinfacht dargestellt führt nämlich eine den Produktivitätsfortschritt übersteigende Lohnerhöhung, wenn sie in den Konsum fließt, zu einer Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot. Der Nachfrageüberhang schafft Spielraum für Preiserhöhungen der Unternehmen, die die erhöhten Lohnkosten somit auf den Verbraucher weiterwälzen können. Auch der Investivlohn ist für das Unternehmen wie der normale Lohn Kostenfaktor, aber die investive Verwendung bedeutet, daß gesamtwirtschaftlich keine zusätzliche Konsumnachfrage entsteht und damit eine Voraussetzung für Preiserhöhungen entfällt.
Kritiker verweisen darauf, daß eine solche auf einer funktionierenden Wettbewerbswirtschaft basierende Überlegung bei weitgehenden Wettbewerbsbeschränkungen, z. B. durch Monopole, ungültig werde. Andere befürchten, daß auch die Ziele Vollbeschäftigung und Wachstum sowie außenwirtschaftliches Gleichgewicht negativ berührt werden könnten. Gelinge es nämlich, eine Überwälzung des Inve-stivlohns auf die Preise zu verhindern, so könnten die verringerten Gewinne zu Investitionsstreiks führen und damit Vollbeschäftigung und Wachstum gefährden oder bei besseren Bedingungen im Ausland sogar eine Kapitalflucht auslösen. Zwar stünde beim Investivlohn gesamtwirtschaftlich die gleiche Finanzierungsmasse für Investitionen zur Verfügung, aber die Alteigentümer müßten sich mit einer geringeren Rendite bescheiden. Auch wenn diese Befürchtungen nicht völlig von der Hand zu weisen sind, gilt andererseits doch, daß die Pläne aller drei Bundestagsparteien von relativ bescheidenen Größenordnungen ausgehen und Gewinnerwartungen nicht zuletzt ein Produkt der gesellschaftlichen Umwelt und damit wandelbar sind, wie schon die Nach-kriegserfahrungen beweisen.
Ein ernst zu nehmender Einwand gegen die spezifische Methode des Investivlohns lautet, er sei nicht wettbewerbsneutral und im Ergebnis mittelstandsfeindlich. Da er den Lohn als Ansatzpunkt benutze, belaste er die lohn-intensiven Unternehmen, z. B. in der Textilindustrie, am stärksten, und dies seien eher mittelständische Unternehmen. Der CDU-Vorschlag sucht diesem Einwand durch flankierende Hilfsmaßnahmen für mittelständische Unternehmen partiell zu begegnen. Ein weiterer Einwand lautet, der Investivlohn nehme keine Rücksicht auf die spezifische Gewinnsituation eines Unternehmens und könne kon-fiskatorisch wirken, insofern auch gewinnlose, „schwache" Unternehmen betroffen würden. Als weiterer Nachteil wird angeführt, daß sich auch auf der Anlageseite ein Uberwälzungsproblem ergäbe. Da es momentan zu wenig Anlagemöglichkeiten im Bereich des Produktivvermögens gäbe, würde die aus dem Investivlohn resultierende Nachfrage nach Beteiligungswerten wahrscheinlich zu starken Kurserhöhungen und damit Gewinnen der Alt-eigentümer führen. Der CDU-Vorschlag sieht deshalb flankierende Maßnahmen vor, um das Angebot an Beteiligungswerten zu erhöhen. Unter anderem werden weitere Aktionen zur Privatisierung staatlichen Produktivvermo-gens empfohlen.
Durch den methodischen Ansatzpunkt Lohn wird der Kreis der Begünstigten von vornherein auf die unselbständigen Erwerbstätigen eingegrenzt. Damit werden z. B. die großen Gruppen der Hausfrauen und Rentner, aber auch Selbständige mit geringem Verdienst ausgeschlossen — eine Differenzierung, die schwerlich vom Ziel einer breiten Vermögensstreuung her gerechtfertigt werden kann und ein weiteres wichtiges Argument gegen den Investivlohnplan der CDU bildet.
Die Dispositionsfreiheit für den einzelnen ist dagegen beim Investivlohnplan relativ am wenigsten eingeschränkt. Zielbedingte Auflagen beziehen sich auf den Anlagekatalog — Produktivvermögen — und die Sperrfrist. Die Zielbetonung Individualvermögen und damit verbundene Befürchtungen, andere methodische Ansatzpunkte, wie die überbetriebliche Ertragsbeteiligung, könnten zu einer zentralen Wirtschaftslenkung und neuen Machtzusammenballungen führen, dürften primäre Ursache dafür sein, daß die CDU trotz der genannten Probleme am Investivlohn festhält. Als flankierende Maßnahmen „sollen Reformen des Universalbankensystems, des Börsenwesens sowie der Vertretungsrechte von Aktionären und Investmentsparern angestrebt werden“, um auch zu vermeiden, „daß die Politik einer breiteren Streuung von Beteiligungsvermögen eine Machtzusammenballung bei den Kreditinstituten oder Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft fördern"
Eine Minderheitsgruppe, vor allem die Junge Union und der Parteibezirk Westfalen, hat sich auf dem Bundesparteitag 1973 vergeblich für eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung eingesetzt Dagegen ist die betriebliche Ertragsbeteiligung in das CDU-Konzept einbezogen worden. Für die Beteiligung von Arbeitnehmern am Gewinn des Unternehmens, in dem sie beschäftigt sind, kann angeführt werden, daß der Bezug zur eigenen Tätigkeit so am ehesten verdeutlicht werden kann und damit relativ günstige Motivationsvoraussetzungen bestehen.
Gegen das methodische Konzept der betrieblichen Ertragsbeteiligung werden vor allem folgende Einwände geltend gemacht: 1. Einschränkung des Begünstigtenkreises auf die unselbständigen Erwerbstätigen, sowie innerhalb derselben eine ungerechtfertigte Differenzierung, je nachdem, ob in einem gewinn-starken oder -schwachen Unternehmen gearbeitet wird 2. Risikohäufung von Arbeitsplatz und Vermögensanlage, falls das betreffende Unternehmen Konkurs macht; 3. Erschwerung der Mobilität, falls die betriebliche Gewinnbeteiligung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit gekoppelt wird.
Die CDU geht offenbar von freiwilligen betrieblichen Ertragsbeteiligungen aus, die erleichtert und gefördert werden sollen, sofern sie bestimmten gesetzlichen Rahmenbedingungen, z. B. kein Mobilitätshemmnis, genü-gen. Unter anderem ist die Anrechenbarkeit freiwilliger Leistungen von Unternehmen auf gesetzlich vorgeschriebene Leistungen der Vermögensbildung vorgesehen. 2. SPD Uber Sinn, Rang und Ausgestaltung eines Programms zur breiten Streuung des Produktivvermögens besteht in der SPD keineswegs Einigkeit. Während einerseits Minderheitsgruppen wie die Jusos ein solches Programm entschieden ablehnen und statt dessen die Vergesellschaftung fordern, ist andererseits umstritten, ob Individual-oder Kollektivvermögen anzuzielen sei. Die SPD hat auf ihrem Parteitag 1973 in Hannover ein Programm beschlossen, das auf Vorschlägen basiert, die von einer Kommission „Vermögensbildung" beim Parteivorstand ausgearbeitet worden waren. Wichtige Abweichungen gehen aber offenbar darauf zurück, daß kurz vor dem Parteitag verabschiedete Forderungen des DGB in das SPD-Programm eingegangen sind. Da der DGB-Beschluß offensichtlich darauf abzielte, die vermögenspolitische Position der SPD mitzubestimmen, die positive Stellung des DGB zur überbetrieblichen Ertragsbeteiligung andererseits ein wichtiger Faktor dafür war, daß die Opponenten gegen ein derartiges vermögenspolitisches Programm der SPD auf dem Parteitag eindeutig unterlagen, erscheint es sinnvoll, den Hintergrund der DGB-Vorstellungen einzubeziehen.
Der Beschluß des DGB-Bundesausschusses kam mit der denkbar knappen Mehrheit von 55 : 52 Stimmen gegen den erbitterten Widerstand vor allem der IG Metall zustande. In der Zielfrage grenzt der DGB die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen scharf gegen „Vermögensbildung herkömmlicher Art“ ab und betont den Machtaspekt. „Ausgangspunkt der Forderung nach Vermögensbeteiligung ist vielmehr die zunehmende Konzentration des Produktivvermögens und die damit verbundene Zusammenballung wirtschaftlicher Macht." Dagegen hält die IG Metall „eine klare Trennung zwischen Vermögenspolitik einerseits und der Kontrolle wirtschaftlicher Macht andererseits für unbedingt notwendig, und spricht sich gegen die einseitige Betonung des Produktivvermögens in der Vermögenspolitik aus" Weitere, die Zielebene betreffende Gegenargumente der IG Metall, die auch auf dem SPD-Parteitag eine Rolle spielten, sind: Das Vermögens-programm geht zu Lasten einer stärkeren Besteuerung, die wegen der drängenden öffentlichen Aufgaben Priorität besitzt. Lohnpolitik und das Verlangen nach paritätischer Mitbestimmung werden von den vermögenspolitischen Forderungen negativ tangiert.
Methodisch sieht das SPD-Programm eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung vor. Unternehmen mit einem Steuerbilanzgewinn ab 400 000 DM sollen einen noch offenen Prozentsatz ihres Gewinns in Form von Beteiligungspapieren an einen zentralen Fonds abführen, dem regionale Fonds angegliedert sind, an denen die Arbeitnehmer beteiligt werden sollen. Anfänglich ist ein jährliches Gesamtaufkommen von 5 Mrd. DM vorgesehen. Als Vorteil gegenüber der betrieblichen Ertragsbeteiligung wird angeführt, daß durch die mittelbare Beteiligung über Fonds Risiko-häufung und ungleiche Beteiligung der Begünstigten vermieden, gegenüber dem Investiv-lohn, daß nur gewinnstarke Unternehmen belastet werden. Allerdings bedeutet das Kriterium absolute Gewinnhöhe, daß der Kapitaleinsatz vernachlässigt wird. Z. B. bringt ein Gewinn von 1 Mill. DM bei einem Kapitaleinsatz von 100 Mill. DM eine miserable Rendite von 1 % und würde dennoch belastet, während eine extreme Rendite von 50 % bei einem Gewinn von z. B. 300 000 DM und einem Kapitaleinsatz von 600 000 DM abgabefrei bliebe. Eine Barabgeltung ist entsprechend den DGB-Forderungen ausdrücklich „nicht vorgesehen.“ Flankierende Bestimmungen sollen die Abgabe von Beteiligungspapieren an die Fonds auch bei Kapitalerhöhungen sichern. Damit soll einerseits erreicht werden, daß der Anteil der Fonds insbesondere an den Großunternehmen wächst. Andererseits werden den Unternehmen keine liquiden Mittel entzogen, und damit dürfte die Hoffnung auf eine verminderte Überwälzungsgefahr verbunden sein. Diese Hoffnung erscheint aber allenfalls dann berechtigt, wenn man eine „Kapitalillusion” entsprechend der „Geldillusion“ unterstellt, wenn also z. B.der Eigentümer eines bestimmten Aktienpaketes trotz der Aufstockung des Kapitals aufgrund der an den Fonds abgeführten Aktien der Illusion erliegt, sein relativer Anteil habe sich nicht geändert, zumindest aber die Unternehmenspolitik unbeeinflußt bleibt.
Begünstigt, d. h. Fondsteilhaber, werden nach dem SPD-Plan alle Arbeitnehmer mit einem jährlichen Einkommen bis zu 36 000 DM (bei Verhvirateten 48 000 DM), obwohl die Fonds-lösung auch die Einbeziehung anderer Gruppen ermöglicht hätte.
Die Fondskonstruktion und die damit verbundenen Dispositionsrechte des einzelnen Fonds-teilhabers sind strategische Punkte, an denen sich entscheidet, ob individuell verfügbares Vermögen oder eine neue Form von Kollektivvermögen geschaffen wird, das als Macht-basis zugunsten offener gesellschaftspolitischer Ziele eingesetzt werden kann. Die SPD-Vorstellungen sind deutlich von den DGB-Forderungen geprägt. Das Fondssystem besteht aus einem zentralen Fonds und aus regionalen Fonds, die entsprechend der Zahl der von ihnen vertretenen Bezugsberechtigten Anteile an dem Zentralfonds halten. Die regionalen Fonds dürfen in Übernahme einer DGB-Forderung nicht miteinander konkurrieren — eine Bestimmung, die die Zielrichtung einheitlicher Einsatz des Fondsvermögens und der mit ihnen verbundenen Stimmrechte deutlich macht. Für die regionalen Fonds werden brieflich Vertreterversammlungen gewählt, wobei bereits eine Kandidatur die Unterstützung von mindestens 500 Berechtigten erfordert und damit nur oganisierte Interessen, insbesondere Gewerkschaften, eine Chance haben dürften. Der Verwaltungsrat als wichtigstes Organ wird zu zwei Drittel von der Vertreterversammlung besetzt, zu einem Drittel wiederum entsprechend den DGB-Grund-sätzen mit Vertretern des „öffentlichen Interesses". Auch diese Bestimmung ist nur verständlich, wenn die Fonds „gesamtgesellschaftliche Interessen" verfolgen sollen. Für den Zentralfonds entsendet die Bundesregierung die Vertreter des öffentlichen Interesses, während die Vorsitzenden der regionalen Verwaltungsräte die übrigen Verwaltungsratsmitglieder stellen. „Der zentrale Fonds fördert durch eine entsprechende Anlage seiner liquiden Mittel die Maßnahmen der öffentlichen Hand zur Verbesserung der Infrastruktur." Auch diese gesellschaftspolitische Aufgabe, die ein Zugeständnis an die Kritiker sein dürfte, die einer Beseitigung der „öffentlichen Armut" eindeutig Vorrang geben, unterstreicht den Sondercharakter des Fondsvermögens.
Die Sperrfrist für die Fondszertifikate und ebenso für die darauf entfallenden Erträge soll sieben Jahre betragen. Diese beschränkte Sperrfrist stellt eine „Notbremse" für Zertifikatinhaber dar, die bei Unzufriedenheit mH der Fondspolitik nadr Ablauf von sieben Jahren ihre Anteile abstoßen könnten. Ein ursprüngliches Denkmodell des DGB ging deshalb auch folgerichtig von „ewigen Sperrfristen aus, die einen von derartigen Mißtrauensvoten unbeeinflußbaren Einsatz des Fondsvermögens zugunsten gesellschaftspolitischer Ziele, wie z. B. Investitionslenkung, ermöglicht hätten. Ein solches reines Kollektivmodell wäre nichts anderes als eine modifizierte, partielle Vergesellschaftung der Produktionsmittel unter der „falschen Flagge" Vermögenspolitik. Auch der DGB hat schließlich die Forderung nach „ewigen“ Sperrfristen fallenlassen, wobei das Argument der IG Metall eine Rolle gespielt haben dürfte, daß „sie den Arbeitnehmern nur fiktive Vorteile bringen würden, die zu entsprechenden Gegenreaktionen führen müßten"
Während lange bis „ewige" Sperrfristen einerseits ein wichtiges Moment eines Kollektivmodells bilden, sind sie andererseits eine Sicherung dafür, daß das neugebildete Vermögen nicht sofort wieder in den Konsum fließt und die Vermögensumverteilung rückgängig gemacht wird. Beschränkte Sperrfristen beruhen auf der Annahme, daß während dieser Zeit ein neues „Vermögensbewußtsein" entstehen könne, das die große Mehrheit veranlassen werde, trotz „Konsumterror" am neugeschaffenen Vermögen festzuhalten. 3.
FDP Die auf dem Freiburger Programmparteitag von der FDP beschlossenen Vorstellungen zur Vermögenspolitik zielen eindeutig auf breit gestreutes Individualvermögen. Die im Wahlkampf 1972 verwendeten „FDP-Argumente zur Vermögenspolitik" tragen die programmatische, wenn auch problematische Über-schrift: „Vermögen bilden, um frei zu sein!"
Der zentrale methodische Ansatz der FDP im Bereich des Produktivvermögens ist in Übereinstimmung mit der SPD die überbetriebliche Ertragsbeteiligung. Wie bei der SPD sollen auch ausschließlich größere Unternehmen zur Abgabe von Beteiligungspapieren gezwungen werden ca. 1 °/o der Unternehmen bzw. 10% der gewerblichen Unternehmen. Bei der Abgabeverpflichtung wird aber die Rendite zumindest als begrenzendes Kriterium herangezogen: „Als Bemessungsgrundlage für die Beteiligung dienen die Höhe des Gewinns nach Steuerabzug und die Höhe des Gesamt-kapitals. Die Abgabeverpflichtung wird insgesamt auf die Höhe von z. B. 50 % bis 70 % bereinigten Gewinns (Gewinn nach Abzug der Steuern, eines Unternehmerlohns und einer angemessenen Verzinsung des Eigenkapitals) begrenzt.“ Die Schonung der mittleren und kleineren Unternehmen wird mit „einer unverhältnismäßigen Steigerung des erforderlichen Verwaltungsaufwandes" begründet, aber auch mit einem weiteren Argument: „Ihr Spielraum für eine freiwillige innerbetriebliche Beteiligungsform soll voll erhalten bleiben." Ähnlich wie die CDU fordert die FDP, freiwillige innerbetriebliche Ertragsbeteiligungen steuerlich zu begünstigen. Eine Anrechnung innerbetrieblicher Leistungen auf die gesetzliche überbetriebliche Beteiligung wird dagegen abgelehnt.
Als Begünstigte will die FDP grundsätzlich alle Bürger „von der Wiege bis zur Bahre" einbeziehen, wobei alle Einkommen-oder Vermögensteuerzahler einen nach dem Einkommen gestaffelten Eigenbetrag leisten sollen. Die Begründung für den im Gegensatz zu CDU und SPD größeren Begünstigtenkreis lautet: „Jeder Verbraucher ist dadurch, daß er für die Konsumgüter einen ihre Kosten übersteigenden Preis zahlt, d. h. durch einen erzwungenen Konsumverzicht, an der Gewinn-und Produktivkapitalbildung beteiligt."
In der Fondskonstruktion liegt der wichtigste Unterschied zwischen FDP-und SPD-Vorstellungen. Die Abgaben sind an eine reine Clearingstelle zu leisten, die diese „periodisch an regional und in ihrer Größe begrenzte selbständige Kapitalanlagegesellschaften besonderer Art im Verhältnis der Zahl der bei diesen eingetragenen Bezugsberechtigten weiterleitet" Die miteinander konkurrierenden Kapitalanlagegesellschaften sollen soweit wie möglich in den bestehenden Banken-und Sparkassenapparat eingegliedert werden. Als Korrektiv gegen eine dadurch mögliche verstärkte Machtkonzentration bei den Kreditinstituten sind von den Zertifikatsinhabern zu wählende Teilhabervertretungen bei jeder Kapitalanlagegesellschaft vorgesehen, die insbesondere über die Wahrnehmung der mit den Beteiligungen verbundenen Stimmrechte entscheiden sollen. Im Gegensatz zu den anderen Parteien sieht die FDP keine Sperrfrist vor, sondern verläßt sich auf die finanzielle Sanktion, daß bei einem Zertifikatsverkauf das Bezugsrecht für die folgenden drei Jahre entfällt. Das Ziel der FDP, einen möglichst großen individuellen Dispositionsspielraum auch gegenüber den Fonds zu sichern, wird in den folgenden Regelungen deutlich: 1. Die Fonds müssen die Zertifikate auf Wunsch zum Inventarwert zurücknehmen; 2. bei einer Vermögensumschichtung durch Rückgabe der Zertifikate und Kauf anderer Wertpapiere bleibt das Bezugsrecht erhalten; 3. ein Wechsel zu einem anderen Fonds ist möglich.
Allein im vermögenspolitischen Programm der FDP wird bisher das vermögenspolitische Doppelziel breite Vermögensstreuung und Be
VI. Der Koalitionskompromiß
Abbildung 6
SPD
SPD
schneidung der Großvermögen deutlich und konkretisiert. Als Ergänzung der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung ist eine Nachlaßab. gäbe vorgesehen. Das Aufkommen aus dieser Nachlaßabgabe, die auf eine Entlastung der kleinen und mittleren Vermögen abzielt, aber mit einem Abgabesatz von 75 0/o für den 6 Mill. DM übersteigenden Vermögensteil die Großvermögen massiv belasten will, soll in die Fonds fließen und damit zugunsten einer breiten Vermögensbildung eingesetzt werden Auch wenn der quantitative Ertrag der Nachlaßabgabe nicht überschätzt werden sollte, so wäre sie doch ordnungspolitisch von erheblicher Bedeutung.
Der Kompromiß bezieht sich in der Zielaussage auf die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973, in der eine Beteiligung „breiter Schichten der Bevölkerung am Zuwachs des Produktivvermögens der Großunternehmen''angekündigt wurde. Er sieht eine überbetriebliche Ertragsbeteiligung mit einem anfänglichen Jahresaufkommen von ca. 5 Mrd. DM vor. Belastet werden sollen Unternehmen mit einem einkommen-und körperschaftsteuerpflichtigen Gewinn ab 400 000 DM, wobei für Personengesellschaften und Einzelunternehmen ein zusätzlicher Freibetrag von 100 000 DM für Unternehmerlohn zugestanden wird, „ein Rechtsformenausgleich", da die Managergehälter bei Kapitalgesellschaften als gewinnmindernde Kosten erscheinen. Das alleinige Abstellen auf die absolute Gewinnhöhe Und damit der Verzicht der FDP auf ihre Forderung, die Rendite zumindest als begrenzendes Kriterium heranzuziehen, erscheint aus den schon genannten Gründen problematisch, zumal nicht generell unterstellt werden kann, alle Großunternehmen erwirtschafteten hohe Renditen. Da die Abgabepflicht bei den Unternehmen ansetzt und von den Einkommens-und Vermögensverhältnissen individueller Eigentümer absieht, hat sich die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre auch unter einem anderen Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit gegen diese Lösung gewandt:
„Hunderttausende von Klein-, Volks-und Belegschaftsaktionären müssen mittelbar Vermögensabgabe leisten zugunsten von Personen, die möglicherweise finanziell besser gestellt sind als sie selbst." Maihofer hat demgegenüber „kompensatorisch“ auf den Zusammenhang mit der Körperschaftssteuer-reform verwiesen, „durch die den Altbesitzern von Beteiligungswerten über 1 Mrd. DM Steuererleichterungen verschafft werden sollen, um zusätzliche Anreize durch die Abschaffung der Doppelbesteuerung von Aktien für die Anlage von Vermögen in Beteiligungswerten, vor allem in Belegschaftsaktien, zu schaffen." Die vor allem von der FDP und der CDU geforderte Beseitigung der Doppelbesteuerung im Rahmen der Steuerreform durch Anrechenbarkeit der Körperschaftssteuer bei der Einkommensteuer soll die steuerliche Diskriminierung z. B. von Aktiendividenden insbesondere für Bezieher niedriger Einkommen abbauen.
Der Abgabesatz soll gestaffelt werden und erst ab 1 Mill. DM Gewinn konstant 10° o betragen. Da sich der Prozentsatz auf den Gewinn vor Steuern bezieht, wird der versteuerte Gewinn allerdings erheblich stärker belastet Die angestrebte Abgabe von Beteill-gungswerten soll durch ein Bonus-Malus-Sy-stem gesichert werden, in dem z. B. Unternehmen mit börsennotierten Aktien bei Barzahlung einen 15prozentigen Zuschlag zahlen müssen. Es erscheint allerdings fraglich, ob die vorgeschlagene Regelung generell zur Abgabe von Beteiligungspapieren führen würde. So hat ein Bankenvertreter geschätzt, daß bei der jetzigen Regelung 50 % der Abgabe bar geleistet würden und der Präsident des Sparkassenverbandes, Geiger, hat eine massive Verstärkung des Anreizsystems gefordert, da sonst bei Barabführung und anschließendem Kauf von Beteiligungspapieren wie beim Investivlohn die Angebotslücke zu Kurssteigerungen zugunsten der Altaktionäre und kapitalmäßiger Begünstigung der Großunternehmen führe. Zudem würden leistungsfähige und liquide Unternehmen bar zahlen, schwächere Unternehmen dagegen Beteiligungspapiere abführen Die Regierung sieht dieses Problem offensichtlich und will, wie Maihofer betont hat, „bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen gehen" um die direkte Abgabe von Beteiligungswerten zu sichern. Der CDU-Vorsitzende Kohl hat demgegenüber bereits die jetzige Regelung als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert: „Diese zwangsweise Abführung von Beteiligungswerten kommt einer teilweisen Konfiszierung von Eigentum gleich. Sie hat den Charakter einer Sondersteuer von zweifelhafter verfassungsrechtlicher Zulässigkeit."
Besondere Probleme ergeben sich bei der Abgabe von Beteiligungspapieren von nicht börsenfähigen Unternehmen. Dabei sollen neue Kapitalbeteiligungsgesellschaften als Mittler-
Instanzen eingeschaltet werden. Die Unternehmen sollen diesen als Aktiengesellschaften konstruierten Gesellschaften Beteiligungen einräumen und dafür Aktien der Gesellschaften erhalten, mit denen sie ihrer Abgabeverpflichtung nachkommen. Ein schwieriges, noch ungelöstes Problem bildet die Bewertungsfrage, da der Maßstab des Börsenkurses bei diesen Unternehmen fehlt.
Der im SPD-Plan vorgesehene Flankenschutz, die Abführung von Beteiligungswerten auch bei Kapitalerhöhungen, fehlt im Kompromiß. Nach den vermutlich interessenbedingt überspitzten Prognosen von Vertretern der Altaktionäre dürften Kapitalerhöhungen künftig aber bereits daran scheitern, daß sich Anteils-eigner wegen Ertrags-und Vermögenseinbußen weigern werden, weiteres Kapital zu zeichnen
Die Anrechnung freiwilliger Vermögensleistungen der Unternehmen auf tarifvertraglicher oder innerbetrieblicher Basis wird abgelehnt, da freiwillige Leistungen als Gewinn-minderung bereits steuerlich begünstigt seien und trotz der neuen Abgabe genügend Spielraum für freiwillige Vermögensleistungen verbleibe. Kritiker, u. a. die CDU, haben demgegenüber darauf hingewiesen, daß damit vermögenspolitisch fortschrittliche Unternehmen „nachträglich bestraft werden“ und BDA-Präsident Schleyer hat bereits vor der Illusion „gewarnt", „daß die Unternehmen eine Doppelbelastung von gesetzlicher Gewinnabgabe und tarifvertraglicher Vermögensbildung verkraften können“
Beim Begünstigtenkreis liegt der Kompromiß zwischen der FDP-Forderung nach Einbeziehung aller Bundesbürger und der SPD-Beschränkung auf die Arbeitnehmer. Berechtigt zum Bezug eines kostenlosen Zertifikats sind alle Erwerbstätigen — damit wird z. B. die große Gruppe der Hausfrauen ausgeschlossen — unterhalb sehr großzügiger Einkommens-grenzen von 36 000 DM bzw. 54 000 DM zuzüglich Kinderfreibeträge. Als Zugeständnis an die FDP ist bei wachsendem Aufkommen vorgesehen, stufenweise weitere Gruppen einzubeziehen. Die Koppelung von Berechtigtenkreis und Aufkommenshöhe deutet darauf hin, daß ein wichtiges Argument gegen den FDP-Vorschlag der zu geringe Pro-Kopf-Anteil gewesen sein dürfte. Bereits beim Kompromiß er-gibt sich bei einer Berechtigtenzahl von ca. 23, 6 Mill, und einem Aufkommen von 5 Mrd. DM ein Zertifikatwert von „nur" 212 DM. In den „Grundlinien" wird „bei Annahme eines durchschnittlichen Steigerungssatzes der Jahresbeträge um 10 % und einer durchschnittlichen Rendite der Beteiligungswerte von 3, 5 % und bei Anlage der jeweiligen Erträge" ein Gesamtwert der Anteilsscheine eines Berechtigten nach 7 Jahren von ca. 2 200 DM — Rendite 60 DM —, nach 12 Jahren von ca. 5 300 DM, und nach 25 Jahren von ca. 27 000 DM — Rendite 860 DM — hochgerechnet. Diese „ansehnlichen" Zahlen beruhen allerdings auf einer „freundlichen" Optik. Einmal scheint die vorgesehene Erweiterung des Berechtigten-kreises bei wachsendem Aufkommen „vergessen" worden zu sein. Die angenommene Steigerungsrate von 10°/0 erscheint reichlich optimistisch, wenn nicht ein Inflationsfaktor unterstellt wird. Dieser würde auch dadurch wirksam, daß die Zahl der Unternehmen rasch steigen würde, deren Gewinne die Freigrenzen überschritten Zudem würde sich bei einem entsprechenden Einkommenswachstum die Relation zwischen Einkommen und Zertifikatwert nicht wesentlich ändern. Andererseits hat Rosenthal den „Nörglern" gegenüber geltend gemacht: „Es kommt darauf an, den Fuß in die Tür zu klemmen." Maihofer hat zu Recht die zeitliche Dimension betont. Das Ziel sei nicht etwa, „viele schnell reich zu machen, sondern eine wirklich breite Beteiligung unserer Bevölkerung am Produktiv-eigentum dieser Wirtschaft in einem Prozeß von Generationen zu erreichen“
In der wichtigen Frage, wie das Fondssystem auszugestalten sei, hat sich die FDP weitgehend durchsetzen können. Dabei dürfte ihr ein in der Regierungserklärung vom Januar 1973 bekräftigter Kabinettsbeschluß bereits vom 11. Juni 1971 eine wesentliche Hilfe gewesen sein, der die Weichen eindeutig in FDP-Richtung stellte. An die Stelle des von der SPD geforderten Zentralfonds tritt eine reine Verteilungsstelle ohne eigenständige Bedeutung — nach Rosenthal das „Haar in der Vermögensbildungssuppe" Die an die Clearingstelle abgeführten Beteiligungswerte werden an konkurrierende Vermögensanlage-gesellschaften weitergeleitet, und zwar in Relation zur Zahl der Bezugsberechtigten, die für die jeweilige Gesellschaft votiert haben. Gegründet werden sollen die Vermögensanlagegesellschaften von den öffentlichen und privaten Kreditinstituten, so daß auch die Anbindung einer Vermögensanlagegesellschaft an die gewerkschaftseigene Bank für Gemein-Wirtschaft (BfG) zu erwarten ist.
Der Wirtschaft nahestehende Kritiker haben daraus bereits die Befürchtung abgeleitet, der gewerkschaftliche Einfluß werde zu einer Konzentration der Berechtigten bei der von der BfG getragenen Vermögensanlagegesellschaft führen und den Wettbewerb unterlaufen Dies Ergebnis wäre aber keineswegs zwangsläufig und würde, falls es einträte, auf einer völlig legitimen individuellen Entscheidung der Bezugsberechtigten beruhen.
Die vorgesehene Rechtsform für die Vermögensanlagegesellschaften ist die GmbH. Sie ist deshalb eine wichtige Bestimmung, weil damit die Bestellung der Geschäftsführung allein den Gesellschaftern, d. h.dem jeweiligen Banken-träger, zufiele. Die Geschäftsführung soll durch eine alle vier Jahre von den Zertifikat-inhabern gewählte „Teilhabervertretung" demokratisch kontrolliert werden. Die Teilhabervertretung ist allerdings analog der Mitbestimmungsregelung nichts anderes als ein Wahlorgan für das eigentliche Kontrollgremium, den Aufsichtsrat. Dieser soll außer der Kontrolle die folgenden wichtigen Kompetenzen erhalten: „Er legt die Richtlinien für die Anlagepolitik und die Stimmrechtsausübung durch die Vermögensanlagegesellschaft fest’ Im Aufsichtsrat sollen die Vertreter der Zertifikatinhaber eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten. Hinsichtlich des restlichen Drittels -SPD-Forderung: Vertreter des „öffentlichen Interesses" — gibt es keine konkrete Festlegung, obwohl in der Diskussion aufgrund der Konstruktion überwiegend angenommen wird, es sei dem Bankträger Vorbehalten. Auch die wichtige Frage des Wahlverfahrens ist weitgehend offen. Für die Wahl der Teilhabervertrelung ist eine „Konkurrenzlösung“ vorgesehen, insofern das Wahlverfahren der Satzung der jeweiligen Vermögensanlagegesellschaft vorbehalten bleibt. Es muß allerdings „eine repräsentative Auswahl aus dem Kreis der Bezugsberechtigten sicherstellen."
Die CDU wendet sich in ihrer Kritik gegen den „sozialistischen Gedanken anonymer Fonds“ wobei anzumerken ist, daß der Fondsgedanke mit dem Modell der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung unabdingbar verknüpft ist. Sie hält die Dezentralisierung der Fonds nur für „eine Formsache, der aufgrund der Fondsverwaltung keine praktische Bedeutung zukommt“ „Der Regierungspian schließt marktwirtschaftssprengendes, funktionärsgesteuertes Kollektiveigentum zumindest nicht aus.“ Dabei wird offenbar davon ausgegangen, daß die Gewerkschaften kraft ihrer Organisationsgewalt die Aufsichtsräte der Vermögensanlagegesellschaften besetzen und es zu einer „konzertierten Aktion" bei der Festlegung der Richtlinien für Anlagepolitik und Stimmrechtsausübung kommen könnte, die das dezentrale Fondssystem unterlaufen würde. Diese Befürchtungen werden auch von Kritikern aus den Wirtschaftsverbänden geäußert. Röller sieht sogar in gleichgeschalteten 20 oder 25 Fonds eine größere Gefahr als in einem Zentralfonds, da zumindest nach den jetzigen Rechtsvorschriften für Kapitalanlagegesellschaften die Beteiligung eines Zentralfonds auf 5 % des Grundkapitals einer Gesellschaft begrenzt wäre Die Angst vor „manipulierten Aufsichtsräten" gründet sich u. a. auf die Annahme, daß fehlende direkte Einflußmöglichkeiten der Zertifikatinhaber das Desinteresse verstärken und zu einer minimalen Wahlbeteiligung führen würden.
Gesellschaftspolitische Organisationen, vor allem die Gewerkschaften, werden dieses Vakuum besetzen und nach pseudodemokratischen Regeln die entsprechenden Repräsen-alitionsbeschlüssen zur Mitbestimmung CDU-Pressemitteilung v mogensbildung, • Ebd. tanten vorschlagen und mangels Alternativen bestimmen."
Maihofer hat dagegen die Fondskonstruktion als demokratisches Reformmodell herausgestellt. Damit werde versucht, den Wertpapier-besitzern „anders als in der Depotstimmrechtspraxiseine effektive Mitsprache und Mitbestimmung zu gewährleisten" In krassem Widerspruch dazuBiedenkopf: „Verglichen mit den demokratischen Rechten der Bürger nach dem Vermögenspapier der Koalition ist das Depotstimmrecht ein Muster demokratischer Selbstbestimmung des Aktionärs." Wenn man auf die direkten Weisungsmöglichkeiten abstellt — die Depotbank informiert vor jeder Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft den betreffenden Aktienbesitzer über die Tagesordnungspunkte und ermöglicht ihm Einzel-weisungen für die Stimmrechtsausübung —, ist Biedenkopf beizupflichten. Nur wird diese Möglichkeit in der Praxis kaum genutzt und im Rahmen einer Vollmacht das Stimmrecht de facto der Depotbank überlassen. In einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft kann von Kleinaktionären nicht generell die Bereitschaft erwartet werden, die für eine sinnvolle eigene Wahrnehmung des Stimmrechtes erforderliche Zeit aufzubringen, zumal es sich um materielle Interessen von begrenzter Größenordnung handelt. Den „mündigen Wirtschaftsbürger" vorausgesetzt, wäre die „Manipulationsgefahr" auch im Koalitionsmodell gering, zumindest, wenn eine breite Wahlbeteiligung erreicht und ein Organisationsmonopol einer Gruppe, z. B. auch über die Ausbildung von Aktionärsvereinigungen, vermieden würde
Kritiker der Koalitionslösung bemängeln weiter, daß „eine gigantische Umverteilungsbürokratie ohne sinnvollen wirtschaftlichen Effekt geschaffen" werde. Röller nennt „als sehr vorsichtiges, nach unten gerundetes Ergebnis" einer internen Analyse der Dresdner Bank einen jährlichen Kostenaufwand von 700 Mill. DM, der damit das Vierfache der von der Bundesregierung auf 3, 5 ’/o geschätzten Rendite verschlingen würde. Besonders grotesk sei das Mißverhältnis von Aufwand und Ertrag bei den letzten ca. 17 000 abgabepflich-tigen Unternehmen, die durchschnittlich etwa 48 000 DM abzuführen hätten. „So weit diese Firmen die Abgabe über eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft vornehmen, ist hierfür ein Aufwand — vornehmlich Bewertungskosten — von rund 30 000 DM erforderlich." Auch wenn derartige Kostenschätzungen von Kritikern vor einer detaillierten Überprüfung mit Vorsicht zu genießen sind, dürfte die Annahme hoher Verwaltungskosten realistisch sein
Die Richtlinienkompetenz des Aufsichtsrates ist hinsichtlich der Anlagepolitik der Fonds insofern eingeengt, als „Wettbewerbsverschiebungen am Kapitalmarkt" vermieden werden sollen. Diese auslegungsfähige Formel könnte sich z. B. darauf beziehen, daß Unternehmen in öffentlichem Eigentum nicht aus „gesellschaftspolitischen Erwägungen“ bevorzugt werden dürfen. Andererseits ist ausdrücklich vorgesehen, daß Barmittel, allerdings „unter Beachtung der jeweiligen Kapitalmarktbedingungen" über den Kauf festverzinslicher Wertpapiere u. a. zur Finanzierung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen verwendet werden können. Damit ist rudimentär die SPD-Forderung berücksichtigt worden, Vermögensprojekt und Bekämpfung der „öffentlichen Armut" zu koppeln, über die Auslegung des Begriffes „Richtlinien" und damit das Ausmaß des direkten Einflusses des Aufsichtsrates auf die Geschäftspolitik der Fonds könnte es noch Auseinandersetzungen geben. Geiger hat bereits Einzelanweisungen strikt abgelehnt. „Wenn sich hier Gruppeninteressen durchsetzen, bedeutet das den Zen tralfonds. Dann ist für uns die Sache gestorben."
Die Dispositionsfreiheit für den einzelnen ist einmal durch eine absolute Sperrfrist von sieben Jahren beschränkt, während der — entgegen den FDP-Forderungen — auch ein Wech.sei in eine andere Vermögensanlage nicht möglich ist. Während der folgenden fünf Jahre führt eine Auszahlung der Zertifikate zu einem Verlust des Bezugsrechtes für ebenfalls fünf Jahre. Der Regierungskompromiß kombiniert also einfach die SPD-und FDP-Methoden, verlängert damit aber auch faktisch die Sperrfrist. Die DAG hat diese Lösung als „unzumutbar" kritisiert, da bei der finanziellen Sanktion die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht beachtet werde und z. B. die Einlösung auch nur eines Anteilscheines im Werte von etwa 300 DM (einschl. Zinsen) den Verlust von Neuzuteilungen im Gesamtwert von über 1 000 DM bewirke Die DAG hat sich weiter „auch im Hinblick auf den politischen Effekt" gegen die vorgesehene siebenjährige Sperrfrist auch für die Erträge gewandt Der als individuelle Sanktionsmöglichkeit wichtige Fondswechsel soll nach Maihofer „in gewissen Zeiträumen“ zulässig sein Nach einem Bericht des Handelsblatts ist in einem ersten Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums vorgesehen, daß der Bezugsberechtigte zwar die Vermögensanlage-gesellschaft jedes Jahr neu wählen, seine alten Anteile aber nicht mitnehmen kann, so daß eine „Abstimmung mit den Füßen“ nur für die Zukunft wirksam würde
Die von der FDP verfochtene Nachlaßabgabe ist in den Kompromiß nicht einbezogen worden. Nach Zeitungsberichten ist die Realisierung dieses wichtigen Vorhabens aus der Sicht der FDP aber nur auf die nächste Legislaturperiode verschoben
Da es sich bei dem Kabinettsbeschluß über die Vermögensbildung bisher nur um die Festlegung von „Grundlinien" handelt, verdient die im Gesetzentwurf vorzunehmende Detailausfüllung besondere Beachtung, zumal in einigen Punkten weitere Auseinandersetzungen zu erwarten sind. Angesichts der folgenlosen vermögenspolitischen Ankündigungen der Regierung in der Vergangenheit hat die Opposition Skepsis auch gegenüber dem . neuesten Plan" deutlich gemacht Der in den . Grundlinien" vorgesehene Zeitpunkt des Inkrafttretens „spätestens 1976“ ist inzwischen in der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzpiers Schmidt auf 1978 hinausgeschoben worden. Der neue Bundeskanzler hat zur Begründung angeführt, „daß es auf diesem Neuland große rechtliche und auch technische Schwierigkeiten gibt" und daß es notwendig sei, die „schwierigen Fragen“ gründlich zu klären. Ziel ist es, das Gesetz wenigstens noch in dieser Legislaturperiode einzubringen, um ein Wirksamwerden Anfang 1978 zu ermög-lichen. Die offizielle Begründung erscheint wenig überzeugend, zumindest stellt sie der bisherigen Arbeit der Bundesregierung kein gutes Zeugnis aus. In der Aussprache über die Regierungserklärung hat Katzer als ein Sprether der Opposition die erneute Verzögerung als „gesellschaftspolitisches Eklat erster Ordnung“ charakterisiert.
Abschließend sei darauf hingewiesen, daß sich der DGB bisher an der Auseinandersetzung um das Vermögensprojekt nicht beteiligt hat. Diese „Lähmung" dürfte auf die bereits erwähnten innergewerkschaftlichen Spannungen in der Vermögensfrage zurückgehen. Der vermögenspolitische Experte der IG Metall, Pitz, hat die ablehnende Position der IG Metall bekräftigt und darüber hinaus versucht, dem DGB Arbeit abzunehmen, in dem er die „Grundlinien" am Maßstab der DGB-Forderungen mißt. Fazit: Die DGB-Mindestbedingungen werden in fünf Punkten nicht erfüllt: 1. Junktim Mitbestimmung-Vermögensbildung statt sachlicher Unabhängigkeit und zeitlichem Nacheinander; 2. Barausschüttung möglich; 3. keine von Arbeitnehmern selbstverwaltete Fonds; 4. Bezugsberechtigung nicht nur für Arbeitnehmer; 5. Gewinne an Bezugsberechtigte statt für Infrastrukturinvestitionen. „Da die Grundlinien keine der Mindestbedingungen des DGB einhalten, müssen nunmehr selbst nach DGB-Vorstellungen die Vorbehalte der IG Metall gegen Vermögensfonds sich als richtig erwiesen haben."
VII. Die Problematik des Zusammenhanges von Mitbestimmung und Vermögensbildung
Abbildung 7
Koalitionsmodell-Gesetzesvorlage
Koalitionsmodell-Gesetzesvorlage
In der Frage des Zusammenhanges von Mitbestimmung und Vermögensbildung lassen sich drei Positionen unterscheiden: 1. Mitbestimmung durch Vermögensbildung; 2. sowohl Mitbestimmung als auch Vermögensbildung bei völliger Unabhängigkeit beider Forderungen; 3. institutionelle Koppelung von Mitbestimmung und Vermögensbildung.
Bei der ersten Position wird'davon ausgegangen, daß die Bestimmung der Unternehmenspolitik allein der Kapitalseite obliegen und Mitbestimmung über Kapitaleinlagen erfolgen sollte, wobei Vermögenspolitik die Möglichkeit für alle zu schaffen hätte, sich am Kapital zu beteiligen. Diese rigide Position, die ein eigenständiges Mitbestimmungsrecht des Faktors Arbeit leugnet, wird heute von keiner Politisch einflußreichen Gruppe mehr vertreten.
Die zweite Position basiert auf der Annah-®e, daß der Mitbestimmungsanspruch aus dem Eigenwert der Arbeit erwächst und keiner weiteren Legitimation durch Kapital bedarf, andererseits vermögenspolitische Forderungen auch nicht durch den Anspruch auf Mitbestimmung beschränkt werden können. Diese These völliger Unabhängigkeit von paritätischer Mitbestimmung und Mitbestimmungsrechten aus Vermögensbildung wird auch von Anhängern von Kollektivvermögen vertreten, die die aus Kapital resultierenden Einflußchancen der Fonds zugunsten gesellschaftspolitischer Ziele nutzen wollen. Sie führen an: „Die Mitbestimmung im Unternehmen ist vor allem auf die Struktur der Innen-verhältnisse des Unternehmens gerichtet. Die Fondspolitik dagegen hat primär die Außenbeziehungen des Unternehmens zum Markt und zur Gesellschaft im Blickfeld. Mitbestimmung im Unternehmen und Fondspolitik haben damit unterschiedliche Ausgangspunkte und Zielvorstellungen ... sie sind prinzipiell unabhängig voneinander." Eine solche funktionale Differenzierung bleibt aber, wie schon die Termini „vor allem" und „primär" deutlich machen, zwangsläufig unscharf und dürfte kaum realitätsgerecht sein. Die Verbindung von gewerkschaftlich dominierten Vermögensfonds mit gewerkschaftlich dominierter paritätischer Mitbestimmung und eine daraus resultierende „Uberparität", die bei Realisierung der ursprünglichen DGB-Vorstellungen wahrscheinlich gewesen wäre, sind wichtige Argumente für diejenigen, die vor einem „Gewerkschaftsstaat" warnen. Diese Gefahr ist aber nach Ansicht von Kritikern auch durch den Koalitionskompromiß trotz der erheblich veränderten Fondskonstruktion nicht ausgeschlossen. „Mit Sicherheit ist davon auszugehen, daß für Vermögensfonds in allen Aufsichtsräten auf der Anteilseignerseite ein Mandat gefordert werden wird. Dank der geschickten Verzahnung von Mitbestimmung und Vermögensbildung durch die Wahl der Repräsentationsverfahren wäre die Mehrheit der Organisationen damit gesichert und das Traumziel sozialistischer Mitbestimmungspolitik erreicht.“
Andere Kritiker haben die Möglichkeit betont, die Barmittel der Vermögensfonds aus Erträgen und Barabführungen gezielt zum Kauf von Beteiligungswerten einiger „Schlüsselunternehmen", wie z. B.der Großbanken, einzusetzen, um zumindest in diesen Unternehmen schnellstmöglich eine Uberparität zu sichern
Weiter sind die Folgen der paritätischen Mitbestimmung für die Vermögensfonds selbst angeführt worden. Die von Kritikern befürchtete Gewerkschaftsdominanz in den Teilhabervertretungen und damit im Aufsichtsrat sei nicht das einzige Instrument zur Steuerung der Fondspolitik, da die vom Fondsträger bestimmte Geschäftsleitung z. B. bei den paritätisch mitbestimmten Großbanken ebenfalls dem gewerkschaftlichen Einfluß unterliege
Gewerkschaftliche Befürchtungen, vor allem der IG Metall, die vermögenspolitischen Forderungen könnten die Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung erschweren oder gar verhindern — Argument Uberparität—, haben den DGB zur Festlegung einer zeitlichen Rangfolge veranlaßt. Die vermögenspolitischen DGB-Forderungen sollten erst nach Realisierung der paritätischen Mitbestimmung verwirklicht werden 9. Der Versuch, durch die zeitliche Rangfolge ein sachliches Junktim zwischen Mitbestimmung und Vermögensbil. düng zu vermeiden, ist mit dem Koalitionskompromiß gescheitert
Vorschläge zu einer institutioneilen Koppelung von Mitbestimmung und Vermögensbildung — die dritte Position — sind u. a. von Teilen der CDU gemacht worden. Die CDU Nordwürttemberg hat im Rahmen eines 7: 5 Modells für den Aufsichtsrat vorgeschlagen, daß auf der Kapitalseite ein (zwei) Vertreter der Belegschaftsaktionäre vertreten sein soll(en), wenn die Arbeitnehmer mit mehr als 5 (25) % am Grundkapital beteiligt sind. Kritiker dieses Vorschlages haben u. a. zu Recht darauf hingewiesen, daß bei fehlendem Zwang zur Ausgabe von Belegschaftsaktien die Bereitschaft der Unternehmer dazu aufgrund einer solchen Koppelung vermutlich nicht gerade wachsen würde Biedenkopf hat vorgeschlagen, in einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat auf der Arbeitnehmer-bank mindestens einen Vertreter der „vermögensrechtlichen Interessen der Arbeitnehmer (Betriebspensionsfonds, sonstige Sozialfonds, stille Beteiligungen, Belegschaftsaktien usw.)" zu berücksichtigen, da es sich um „wichtige, von Lohn-und Hierarchie-Interessen der Arbeitnehmer unterschiedliche Interessen" handle. „Zugleich wird damit die Entwicklung vom dualarbeitsrechtlichen zum gesellschafts-oder gemeinschaftsrechtlichen Verhältnis der Mitarbeiter zum Unternehmen eingeleitet.“
Kritiker dieses Versuches, die Arbeitnehmer-seite im Aufsichtsrat weiter auszudifferenzieren, haben einmal darauf hingewiesen, daß damit eine ordnungspolitisch verfehlte Bevorzugung von Belegschaftsaktien verbunden wäre, z. B. die erwünschte freie Wahl der Vermögensanlage beschnitten würde. Zum anderen komme es zur „Bildung von 2 Klassen von Eigentümern am Produktivvermo-gen" Der Einwand, daß Kapitalinteressen der Arbeitnehmer wie die anderer auf der Anteilseignerbank zu vertreten seien und es nicht zu Kapitaleignern minderen Rechtes kommen dürfe, ist u. E. stichhaltig. Die Wahrnehmung unterschiedlicher, auch konflikt-trächtiger „Rollen“, wie die des Arbeitnehmers, Kapitaleigners, Konsumenten, durch dasselbe Individuum ist ein Kennzeichen einer „offenen Gesellschaft“, wenn auch für Marxisten die Doppelrolle von Arbeitnehmer und Kapitaleigner als Versuch erscheint, den Klassenkampf in die Brust des einzelnen zu verlagern und damit stillzulegen. Solange es sich um individuell verfügbares Vermögen handelt, ist jedenfalls eine Differenzierung in Arbeitnehmervermögen und Vermögen in anderen Händen unangebracht und prinzipiell von der Unabhängigkeit der Forderungen nach Mitbestimmung und Vermögensbildung auszugehen.
VIII. Zur Methodik des Kompromisses
Der Regierungskompromiß in Sachen Mitbestimmung und Vermögensbildung und sein Echo in der politischen Öffentlichkeit sind nicht nur unter dem Sachaspekt von Interesse, sondern auch unter dem methodischen Gesichtspunkt des politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses.
Die Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts vom Januar 1973 enthielt einerseits in der Mitbestimmungsfrage einen bereits auf Koalitionsverhandlungen beruhenden Mini-malkonsensus andererseits stellte sie eine Willenserklärung dar, für Mitbestimmung und Vermögensbildung in dieser Legislaturperiode politische Lösungen zu finden.
Dabei bestand für die sozial-liberale Koalition in der Mitbestimmungsfrage nicht mehr die Möglichkeit, eine eventuelle Entscheidungsunfähigkeit in dieser für die Koalitionsparteien wichtigen Frage dadurch zu kaschieren, daß sie, wie einst die „Große Koalition“, eine Sachverständigen-Kommission einsetzte. Die Biedenkopf-Kommission hatte zweifellos nicht allein und nicht einmal primär die Aufgabe, eine „wissenschaftlich-objektive" Analyse als Grundlage für eine politische Entscheidung zu liefern, sondern diente politisch vor allem als Alibi, eine Entscheidung zu verzögern. Der Verdacht liegt nahe, daß die in der Regierungserklärung 1974 angekündigte Bildung einer neuen „interministeriell zusammengesetzten Organisationseinheit" beim Bundes-finanzminister speziell für den Vermögens-komplex ebenfalls eine Alibifunktion für die erneute Verzögerung der vermögenspolitischen Detailregelung hat.
Angesichts des zu erwartenden erheblichen Zeitaufwandes sowohl für die Kompromißfindung als auch für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren war die Koalition gezwungen, diese Komplexe möglichst frühzeitig in Angriff zu nehmen, wenn sie sie noch in dieser Legislaturperiode abschließen wollte. Die ersten konkreten Kompromißversuche zeichneten sich bereits Anfang 1973 ab, als politisch exponierte Vertreter der beiden Parteien mit neuen Modellen an die Öffentlichkeit traten, die versuchten, Essentials der jeweils anderen Partei ansatzweise zu berücksichtigen. Kühn und Farthmann kamen den FDP-Vorstellungen entgegen, indem sie je einen von der Anteilseignerund Arbeitnehmerseite kooptierten leitenden Angestellten im Aufsichtsrat vorsahen; Maihofer dagegen berücksichtigte in einer neuen Modellvariante außerbetriebliche Gewerkschaftsvertreter auf der Arbeitnehmerbank.
Die systematische Kompromißsuche fand angeblich auf drei Ebenen statt. Es wurden, getrennt nach Mitbestimmung und Vermögens-bildung, Arbeitsausschüsse auf der Referenten-ebene, der Ebene der Koalitionsfraktionen und auf Kabinettsebene gebildet. Trotz getrennter Verhandlungskommissionen war es über die Verhandlungschefs Arendt und Maihofer möglich, der bereits erörterten Problematik eines sachlichen Zusammenhanges beider Komplexe Rechnung zu tragen.
Unabhängig von der Problematik eines sachlichen Zusammenhanges handelt es sich bei der gefundenen Lösung eindeutig um ein politisches Junktim. Das macht schon die Tatsache deutlich, daß beide Komplexe gleichzeitig abgeschlossen wurden. Der zentrale politische Kompromiß bestand darin, daß die SPD Zugeständnisse im Bereich Vermögensbildung und die FDP solche im Bereich Mitbestimmung machten. Während die SPD auf ihre Fonds-lösung in der Vermögensbildung verzichtete, gab die FDP die Eigenständigkeit der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat preis
Durch die Koppelung beider Komplexe wurde der Kompromißspielraum erheblich erweitert oder der Kompromiß sogar erst möglich, da sich innerhalb der beiden Komplexe ziemlich rigide Positionen gegenüberstanden. Zur Kompromißfindung trug bei, daß das Interesse beider Parteien an den zwei Komplexen unterschiedlich stark ausgeprägt war. Dies dürfte zumindest für die SPD gelten, für die aufgrund der innerparteilichen Situation und der Haltung der Gewerkschaften der Komplex Mitbestimmung Priorität besaß.
Während sich also einerseits der Kompromiß auf ein Koppelungsgeschäft zwischen Sachbereichen erstreckte, ist andererseits in der öffentlichen Diskussion ein weiteres Koppelungsgeschäft zwischen Sach-und Personalfragen vermutet worden. Die weitgehenden Zugeständnisse der FDP in der Mitbestimmungsfrage sind als Reaktion auf die „Großzügigkeit" der SPD interpretiert worden, die Kandidatur des FDP-Vorsitzenden Scheel für das Amt des Bundespräsidenten zu unterstützen und seine Wahl damit zu sichern, ohne gleichzeitig eine Kabinettsumbildung zu Lasten der FDP vorzunehmen über die endgültige Fassung des Koalitionskompromisses wurde in einer Serie von Spitzengesprächen um die Jahreswende 1973/74 entschieden. Daran war die politische Führung beider Parteien und Fraktionen, u. a. Brandt, Wehner, Scheel und Mischnick, beteiligt, was auch äußerlich die Bedeutung des Kompromisses unterstreicht Der im Januar erreichte und der Öffentlichkeit bekanntgegebene Kompromiß erwies sich jedoch, vermutlich zur Überraschung seiner Urheber, als sowenig tragfähig, daß sofort Revisionsverhandlungen einsetzten, die einen Monat später zu einem in wichtigen Punkten der Mitbestimmung revidierten Kompromiß führten, der dann offiziell vom Kabinett verabschiedet wurde.
Mehrere Faktoren dürften diese Zwei-Pha-sen-Kompromißfindung notwendig gemacht haben. Als ein wichtiger Faktor dürfte die heftige Reaktion der Öffentlichkeit anzusehen sein, die sich in erster Linie auf die Mitbestim-mungsregelungen bezog, wobei vor allem die FDP des Ausverkaufs ihrer Freiburger Programmpositionen bezichtigt wurde Anlaß für unterschiedliche Interpretationen und damit neuen Koalitionsstreit bildeten auch nicht eindeutig formulierte Regelungen des ersten Mitbestimmungskompromisses. Dies gilt z. B. für den — vor allem für die leitenden Angestellten — wichtigen Vorschlagsmodus im zweiten Wahlgang. In der am 23. Januar 1974 veröffentlichten Kompromißfassung heißt es dazu in Klammern: „Dabei genügt ein geringeres Quorum, gegebenenfalls 1/20 der insoweit Vorschlagsberechtigten“ ’ In einem bereits am 28. Januar 1974 vorgelegten Referentenentwurf des federführenden Arbeitsministeriums, der durch Indiskretion sehr schnell bekannt wurde, ist für den zweiten Wahlgang eine eindeutige Fünf-Prozent-Regelung vorgesehen
Der kurzfristig erarbeitete Referentenentwurf und die Tatsache, daß darin strittige Punkte eindeutig und damit einseitig festgelegt wurden, haben den Verdacht aufkommen lassen, es habe sich um den Versuch gehandelt, vollendete Tatsachen zu schaffen So haben auch die Verbände, insbesondere BDA und BDI, beklagt, daß es nicht zum üblichen Anhörungsverfahren gekommen sei
Obwohl der Kompromiß aus DGB-Sicht in der zweiten Phase negativ verändert wurde, hat Vetter die Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung betont, da andernfalls die SPD nach der Wahl Scheels zum Bundespräsidenten „mit einer ausgedrückten Bananenscha-le" dagestanden hätte
Von den wichtigen Änderungen in der zweiten Phase ist der der Hauptversammlung zugesprochene Letztentscheid in der Frage der Vorstandswahl am umstrittensten. Begründet wird diese Änderung mit Verfassungsüberlegungen, der Befürchtung nämlich, eine andere Regelung „würde mit der Verfassung im Konflikt stehen und würde die Verfassungsklage und damit das Scheitern des gesamten Werkes heraufbeschwören" Für diese verfassungsrechtliche Argumentation hat angeblich ein Rechtsgutachten aus dem Hause des Innenministers Genscher eine erhebliche Rolle gespielt
Die Tatsache, daß die FDP noch einige wichtige Punkte in der zweiten Verhandlungsphase verändern konnte, hat in der Öffentlichkeit den nach dem ersten Kompromiß entstandenen Eindruck eines „FDP-Opferganges" revidiert und der FDP optische Vorteile gebracht. Für die Koalition als Ganzes dürften die Auseinandersetzungen nach dem ersten Kompromiß in der Öffentlichkeit jedoch eher negative Auswirkungen gehabt haben.
Die Reaktionen der Bundestagsparteien auf den ausgehandelten Kompromiß fielen je nach Interessenposition unterschiedlich aus. Während die SPD-Fraktion — bei wenigen Enthaltungen und nur einer Gegenstimme (angeblich Farthmann) — den ersten Kompromiß begrüßte, gab es nach Bekanntwerden des zweiten Kompromisses Widerstand, haupt-sächlich von den gewerkschaftlich orientierten Abgeordneten. Innerhalb der Partei betonte vor allem die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen die Erwartung von Verbesserungen im Gesetzgebungsverfahren Der frühere Bundeskanzler Brandt hat jedoch bereits darauf hingewiesen, daß Änderungen nur mit Zustimmung des Koalitionspartners möglich seien Während Brandt als Regierungschef primär die Koalitionsräson vertritt, zeigt z. B. die Ablehnung des Kompromisses durch den Parteibezirk Hessen-Süd, daß der innerparteiliche Widerstand wächst Ein Indikator dafür ist auch, daß die sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat eine Revision in zwei Punkten gefordert haben: die Beteiligung der leitenden Angestellten soll noch einmal überprüft und der Letzt-entscheid der Hauptversammlung bei der Vorstandswahl fallengelassen werden
Daß auch die FDP-Stellungnahmen zum Kompromiß unterschiedlich sind, zeigen die Äußerungen des wirtschaftspolitischen Sprechers Lambsdorff auf der einen, die der Jungdemokraten auf der anderen Seite. Mischnick hat, wie Brandt, betont, daß Änderungen nur im gegenseitigen Einverständnis möglich sind Er hat sich gegen wechselnde Mehrheiten bei Abstimmungen gewandt, vermutlich aufgrund der Befürchtung, die SPD könne versuchen, mit Hilfe der Stimmen der Sozialausschüsse der CDU den Entwurf in ihrem Sinn zu ändern
Die Opposition hat grundsätzlich nur beschränkte Möglichkeiten, auf die Realisierung von Gesetzesvorhaben Einfluß zu nehmen. Sie kann durch eigene Vorlagen versuchen; die Regierung unter Zugzwang zu setzen. Die CDU konnte jedoch diese Chance auf dem Hamburger Parteitag nicht nutzen, da die innerparteiliche Zerrissenheit in der Mitbestimmungsfrage offensichtlich war. Die unterschiedlichen Mitbestimmungspositionen bedingen vermutlich auch, daß es in dieser Frage — anders als bei der Vermögensbildung — bisher noch zu keiner konkreten Gesetzesvorlage der Opposition gekommen ist. Die gegenwärtige Mehrheit der CDU/CSU im Bundesrat könnte sich jedoch als bedeutender Machtfaktor erweisen. Entscheidend dafür ist jedoch, ob der Gesetzentwurf zur Mitbestimmung zustimmungsbedürftig ist. Während die Bundesregierung dies verneint, hält ihn die große Mehrheit der Länderjustizminister — einschließlich der sozial-demokratischen Vertreter — für zustimmungspflichtig „Der Rechtsausschuß des Bundesrates begründet seine Mehrheitsentscheidung damit, daß durch das Mitbestimmungsgesetz auch das Aktiengesetz und das Arbeitsgerichtsgesetz förmlich geändert werden. Beide Gesetze sind aber mit Zustimmung des Bundesrates ergangen."
Sollten sich die konkreten Rechtspositionen nicht ändern, so könnte die Bundesregierung das Gesetz nach seiner Verabschiedung durch den Bundestag dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorlegen. Unterzeichnete dieser trotz des Einspruchs des Bundesrates, so könnten der Bundesrat oder einzelne Länder das Bundesverfassungsgericht anrufen. Eine solche Entwicklung würde bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Rechtsunsicherheit bewirken.
Würde sich dagegen die Bundesregierung der Rechtsauffassung des Bundesrates anschließen, so wäre ein Kompromiß mit der CDU unvermeidbar
Auch ohne weitere Kompromisse wird heute bereits die Meinung geäußert, daß keine Lösung besser sei als diese Lösung. Im Gegensatz zu dieser „Alles-oder-Nichts-Position" vertreten andere die Ansicht, man müsse in der jetzigen Situation nehmen, was erreichbar sei und auf Verbesserungen in der Zukunft hoffen.
Hinter beiden Positionen sind unterschiedli. ehe Einschätzungen der zukünftigen politischen Entwicklung zu vermuten. Die „Allesoder-Nichts-Position" kann nur dann politisch und nicht allein mit Prinzipientreue gerechtfertigt werden, wenn für die Zukunft bessere politische Durchsetzungschancen angenommen werden und diese Chancen nicht durch einen „faulen Kompromiß" beeinträchtigt werden sollen.
Wird dagegen davon ausgegangen, daß sich die politischen Durchsetzungschancen für die eigene Position eher verschlechtern, so liegt es nahe, selbst für bescheidene Fortschritte in einem Kompromiß sehr weitgehende Zugeständnisse zu machen. Diese „pessimistische-Position schließt Fortschritte in der Zukunft nicht aus. So meint z. B. Karl Hauenschild, Vorsitzender der IG Chemie, Papier, Keramik „Außerdem wird in der Bundesrepublik Deutschland auch nach den Bundestagswahlen 1976 noch Politik gemacht — ich hoffe, es werden auch Gesetze novelliert."
Diese beiden Positionen stehen offenbar auch bei den Gewerkschaften im Widerstreit, wie sich z. B. an den Stellungnahmen des DGB-Bundesausschusses und der IG Metall deutlich ablesen läßt. Während die DGB-Erklärung zum Koalitionskompromiß trotz klarer Ablehnung gewisser Punkte den guten Willen der Bundesregierung anerkennt und ihre Kritik relativ konziliant formuliert ist die IG-Metall-Erklärung in einem sehr viel härteren Ton gehalten und umfaßt zusätzlich den Kritikpunkt, daß auf den „ Arbeitsdirektor’ verzichtet worden ist
Der DGB wie auch die anderen betroffenen Interessenverbände haben sich nicht auf öffentliche Kritik des Koalitionskompromisses beschränkt, sondern haben auch auf anderem Wege versucht, ihre Interessen durchzuseizen.
Eine Einflußmöglichkeit für Verbände besteht in der Mobilisierung der „verbandsnahen" Bundestagsabgeordneten. So wird z. B. oft darauf hingewiesen, daß mehr als die Hälfte aller Bundestagsabgeordneten Mitglieder des DGB seien. Es ist jedoch problematisch, daraus zu folgern, daß allein deshalb der DGB, anders als z. B. die BDA, entscheidenden Einfluß im Bundestag besitze. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist vor allem in der SPD Tradition, ohne daß daraus notwendig folgt, daß alle DGB-Mitglieder im Bundestag bereit sind, die Interessen des DGB massiv zu vertreten. Andererseits sollte dieser Einflußkanal nicht unterschätzt werden zumal er für den DGB quer durch die Parteien geht
Die Verbände haben weiterhin die Möglichkeit, damit zu „drohen", daß bestimmte Gesetzesregelungen das Wahlverhalten ihrer Mitglieder beeinflussen würden. So hat z. B.der DGB stets den Anteil der Arbeitnehmer am Zustandekommen dieser Regierung betont und daraus gefolgert: „Jetzt muß die Regierung, müssen die Sozialdemokraten in der Regierung (und im Bundestag) gerade in dieser Frage [Mitbestimmung — die Verf. ] solidarisch mit den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften sein.“
Audi die Union der leitenden Angestellten hat auf den besonders hohen Prozentsatz der FDP-Wähler unter den leitenden Angestellten hingewiesen und auch darauf, daß diese starke Stellung gefährdet sei; denn „Verhältnisse zu Parteien sind nur so lange gut, wie gemeinsame Interessen bestehen"
Eine dritte Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, ist die öffentlichkeitswirksame Mobilisierung der Basis in Großveranstaltungen, überraschend hat die BDA dieses Instrument als erste eingesetzt und am 26. 3. eine große Protestkundgebung in Köln durchgeführt
Ein weiteres Mittel ist die Einflußnahme auf die Öffentlichkeit durch Anzeigen. Von dieser Möglichkeit haben Interessenverbände der leitenden Angestellten bereits Gebrauch gemacht, die in einer Anzeigenaktion vor der vorgesehenen Regelung warnten
Schließlich haben die Verbände die Möglichkeit, mit dem Einsatz aller Rechtsmittel zu „drohen". So hat z. B. die BDA schon warnend erklärt, sie werde eventuell die Verfassungsmäßigkeit des Kompromisses gerichtlich überprüfen lassen
Beim Vergleich der beiden Projekte Mitbestimmung und Vermögensbildung fallen einige Abweichungen auf. Die erste betrifft den unterschiedlichen „Reifegrad“. Während im Bereich der Mitbestimmung ein ausformulierter Gesetzentwurf vorliegt, gibt es im Bereich Vermögensbildung bisher nur „Grundlinien", die in einem Gesetzentwurf durch detaillierte Regelungen zu ergänzen sind. Auch sollen beide Regelungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten: die Mitbestimmungsregelungen 1975, das Vermögensbildungsgesetz nunmehr erst 1978.
Die Auseinandersetzung um die beiden Reformkomplexe war asymmetrisch. Der Schwerpunkt lag eindeutig im Mitbestimmungsbereich, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein dürfte, daß sich die Interessenverbände hier am stärksten engagierten. Von den zwei wichtigsten Interessenverbänden attak-kierte die BDA beide Regierungsprojekte, während der DGB als stärkster Widerpart der BDA nur die Mitbestimmungsregelung kritisierte und zu den Vermögensbildungsplänen bisher schwieg. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Konstellation bei den Parlamentsberatungen ändern wird.
IX. Zusammenfassung unter dem Gesichtspunkt der Folgen für das System
Der analysierte Koalitionskompromiß in den Fragen der Mitbestimmung und Vermögens-bildung soll nach dem Willen seiner Väter eine „Demokratisierung der Gesellschaft" und „Reform des Kapitalismus“ bewirken. Maihofer glaubt, „daß das Gelingen oder Mißlingen dieser sozial-liberalen Reformen darüber entscheidet, ob wir den Klassenstaat unter der Vorherrschaft des Kapitals... in unserem Lande endlich und endgültig überwinden oder nicht — und zwar ohne in einen Klassenstaat unter umgekehrten Vorzeichen umzukippen." -Damit ist die Frage nach den wahrscheinlichen Folgen der angestrebten Reformen für das Gesellschafts-und Wirtschaftssystem der Bundesrepublik angeschnitten. Auch wenn die „Beschränkung" der Reformvorha-ben selbst innerhalb der Problemkomplexe Mitbestimmung in der Wirtschaft und Vermögensbildung betont werden muß — z. B. allenfalls indirekte Beiträge zur Humanisierung der Arbeitswelt und Lösung des Problems der Großvermögen — und diese Prioritätensetzung angreifbar ist, läßt sich doch die große Bedeutung des Reformkonzeptes für das System nicht leugnen. Unter diesem Gesichtspunkt sollen daher im folgenden die grundsätzlichen Kritikpositionen kurz skizziert werden.
Auf marxistischer Seite lassen sich im wesentlichen zwei Positionen ausmachen. Die einen halten die Reformen für einen besonders abgefeimten Trick, das längst fällige Ableben eines nach wie vor kapitalistischen Systems einmal mehr hinauszuschieben und das revolutionäre Potential ins System zu integrieren. Hauptbefürchtungen sind, daß das proletarische Bewußtsein der Werktätigen weiter korrumpiert werde, an die Stelle des Klassenkampfes die Ideologie der Sozialpartnerschaft und Kleinkapitalistenmentalität trete und die Gewerkschaften sich ihrer Basis weiter entfremdeten. Dieser strikt ablehnenden Haltung, die die erhoffte Revolution nicht für das „Linsengericht" angeblicher Schönheitsreparaturen verkaufen will, steht eine andere gegenüber, die insbesondere paritätische Mitbestimmung als wichtigen Zwischenschritt, als Machtbastion für die Durchsetzung weitergehender Forderungen nach Arbeiterkontrolle und Vergesellschaftung der Produktionsmittel begreift. „Wirtschaftliche Mitbestimmung ist mithin Teilforderung in einem Gesamtkonzept gesellschaftlicher Demokratisierung; sie ist zugleich — sofern sie als Element einer umfassenderen Strategie der demokratischen und Arbeiterkontrolle entwickelt wird — eine Übergangslösung, die die unmittelbaren Interessen an der Demokratisierung mit der Erringung von autonomen Gegenmachtpositionen der Lohnabhängigen und der Perspektive einer fundamentalen Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu verknüpfen vermag.“ Die von den Anhängern der eindeutig ablehnenden Position befürchteten systemstabilisierenden Folgen glaubt man durch eine entsprechende Ausgestaltung und Einbettung des Mitbestimmungskonzeptes vermeiden zu können. Für Vertreter dieser Position hängt damit alles von der Konkretisierung der Mitbestimmungsforderung ab und zumindest Deppes Position zum Koalitionskompromiß ist eindeutig ablehnend: „Die sozialpartnerschaftliche Strategie der Integration der Lohnabhängigen und ihrer Organisationen in das bestehende Herrschaftssystem erweist sich so als das tragende Skelett dieses Scheinkompromisses."
Ganz andere Befürchtungen führen nichtmarxistische Kritiker dazu, den Koalitionskom-promiß abzulehnen. Die Tarifautonomie ist nach Ansicht dieser Kritiker nur ein besonders eklatantes Beispiel für die mit der paritätischen Mitbestimmung verbundene Interessenkollision der Gewerkschaftsvertreter, die einerseits die Interessen der Arbeitnehmer gegen die Unternehmen zu vertreten hätten, andererseits die Unternehmenspolitik mitbestimmten und damit den Arbeitnehmern gegenüberstünden. Das Problem der Interessenkollision und die damit verbundene Gefahr, daß sich die Gewerkschaftsvertreter der Arbeitnehmerbasis entfremdeten, hat immerhin auch nichtmarxistische Gewerkschaften, wie die amerikanischen, dazu geführt, die DGB-Mitbestimmungsvorstellungen abzulehnen. Ein weiteres Argument der Kritiker ist die befürchtete Unterminierung der marktwirtschaftlichen Ordnung und ein vom demokratischen Staat nicht mehr kontrollierbares Machtkartell der Produzenten. „Dazu wird der vom Gesetzgeber geschaffene Einigungszwang stets ausreichen: den staatlichen Einfluß gemeinsam zurückzuweisen, wenn man sich innerhalb der Unternehmen über Einflußbereiche geeinigt hat." Eine Reihe von Kritikern befürchtet, daß an die Stelle des von Marxisten apostrophierten „Unternehmerstaates“ mit der Realisierung des Koalitionskompromisses eine neue, unkontrollierte Machtzusammenballung bei den Gewerkschaften trete: der „Gewerkschaftsstaat" In extremer Form sind die möglichen Auswirkungen der Koalitionsvorhaben von Wochner ausgemalt worden, der die Abschaffung der Staatsform „demokratische Republik" befürchtet: „Verfassungswidrig ist diese Macht-anhäufung auf eine außerparlamentarische Einrichtung allemal. Ob man auf die Verfassungswidrigkeit das Recht zum Widerstand (Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz) gründen kann, mag diskussionswürdig sein."
Auch wenn sich die Befürchtungen der Kritiker je nach Ausgangsposition teilweise widersprechen — „Unternehmerstaat" gegen . Gewerkschaftsstaat“ —, folgt daraus nicht notwendig, daß sie sich gegenseitig aufheben und der Koalitionskompromiß „auf den Weg zum Bürgerstaat" führt. Ob die angeführten Bedenken zu Recht bestehen, wird sich weitgehend erst anhand praktischer Erfahrungen entscheiden lassen. Einmal sind die Konsequenzen von wichtigen vorgesehenen Regelungen nicht eindeutig abschätzbar, zumal sie teilweise interdependent sind. Dies gilt z. B. für die Frage des Stichentscheides, einen möglichen Personalproporz, die Haltung der . Leitenden", die Politik der Fonds. Zum anderen ist eine wichtige Frage, welche Ziele die personellen Träger der Reformmodelle, vor allem die Gewerkschaftsvertreter, verfolgen werden. Wird die Mitbestimmungsregelung z. B. als neues Modell der Konfliktregelung und Partnerschaft in einem marktwirtschaftlichen System angesehen oder werden die durch Mitbestimmungs-und Fondslösung entstehenden Machtpositionen als Instrumente einer kurzfristigen „Doppelherrschaft" interpretiert, die zugunsten einer endgültigen „Systemüberwindung" einzusetzen sind? Auch wenn man den Gewerkschaften „guten Willen" unterstellt, ist das Argument ernst zu nehmen, daß Machtkontrolle sich nicht auf den „guten Willen" von Machtträgern aller Art verlassen könne. „Zu normieren sind überprüfbare und erzwingbare Rechtsgrundsätze für die Ausübung der mit der paritätischen Mitbestimmung verbundenen Befugnisse."
Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und der angestrebten weitergehenden wirtschaftlichen und politischen Integration ist es verblüffend, wie weit der europäische Aspekt bei den vorgesehenen Regelungen und ihrer Diskussion ausgeblendet worden ist. Obwohl es seit langem Bemühungen um eine Harmonisierung der Mitbestimmungsregelungen auf der EG-Ebene und die Entwicklung eines Mitbestimmungsmodells für eine Europäische Aktiengesellschaft gibt und auch die Bundesregierung ständig den Willen zur europäischen Integration bekundet, gibt es keinen Hinweis, daß „europäische Überlegungen" beim Koalitionskompromiß irgendeine Rolle gespielt haben Denkbar wäre allerdings auch, daß mit der vorgesehenen Mitbestimmungsregelung versucht wird, vollendete Tatsachen in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen und über deren Gewicht in der EG auch die EG-Mitbestimmungsregelungen stärker in Richtung des deutschen Modells zu beeinflussen. Derartige Überlegungen könnten insbesondere für den DGB in Betracht kommen, da die Mitbestimmungsvorstellungen der deutschen Gewerkschaften auf europäischer Ebene auch zwischen den Gewerkschaften durchaus umstritten sind und die DGB-Position bei europäischen Aktivitäten auch der kommunistisch orientierten Gewerkschaften vor allem Frankreichs und Italiens noch schwieriger werden dürfte. Der Kabinettsbeschluß in Sachen Mitbestimmung und Vermögensbildung stellt bereits einen mühsam erreichten Kompromiß dar zwischen schwer vereinbaren Ausgangspositionen der Regierungsparteien SPD und FDP. Ob der Kompromiß in der vorgesehenen Form die parlamentarischen Hürden nimmt, ist angesichts der dargestellten Kritik innerhalb und außerhalb der Regierungsparteien und der starken Position der CDU/CSU im Bundesrat noch keineswegs sicher. Abgesehen von der sachlichen Bedeutung der beiden Reformvorhaben hat Maihofer ihre Realisierung auch z einer Existenzfrage für die sozial-liberal Koalition gemacht: „Hier geht es um hart Tatsachen, solche der Parteipolitik wie de Interessenpolitik. Um die einfache Tatsach nämlich, die sicherlich einer Partei wie de CDU nicht gleichgültig sein kann: daß da Gelingen oder Mißlingen dieser sozial-libera len Reformen über den Fortbestand dieser so zial-liberalen Koalition entscheidet."
Uwe Andersen, Dipl. -Politologe, geb. 1940, Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und der Yale University, New Haven; seit 1970 Assistent am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Münster. Hildegard Pieper, stud. rer. pol., geb. 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Bochum, Toulouse und Münster; seit 1972 Mitarbeiterin am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Münster.
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