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Watergate — Einige Überlegungen zur Krise des amerikanischen Regierungssystems | APuZ 21/1975 | bpb.de

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APuZ 21/1975 Artikel 1 Watergate — Einige Überlegungen zur Krise des amerikanischen Regierungssystems Westeuropas Kommunisten und die Politik der Entspannung

Watergate — Einige Überlegungen zur Krise des amerikanischen Regierungssystems

Peter Lösche

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Watergate-Affäre war nur ein Symptom für eine tiefgreifende strukturelle Veränderung des amerikanischen Regierungssystems, die unter der Präsidentschaft Nixons ihren Höhepunkt erreichte, in ihr aber nicht ihre Ursache hatte. In ihrem Mittelpunkt steht die veränderte Funktion des Präsidentenamtes: Es hat sich von einer mehr subsidiär wirkenden Clearingstelle ökonomischer und sozialer Interessen im 19. Jahrhundert zu einer in Gesellschaft und Ökonomie intervenierenden und diese stabilisierenden Institution im 20. Jahrhundert gewandelt. Dieser Funktionswandel ging mit einer Reorganisation im politisch-institutionellen Bereich einher, ohne die die Watergate-Affäre nicht zu begreifen ist und die im einzelnen in ihrer Entwicklung dargestellt wird: 1. Zentralisation wirtschaftspolitischer, außenpolitischer und schließlich (unter Nixon) innenpolitischer Entscheidungen im Präsidentenamt (im Executive Oifice und im White House Office) und 2. Teilung der Exekutive in zwei Bereiche, nämlich die ministerielle Exekutive (permanent government) und das Präsidentenamt (presidential government). Die Watergate-Affäre war also Ausdruck und Ergebnis kaum kontrollierter, im Präsidentenamt institutionalisierter Machtkonzentration. Gleichwohl hat es zur wachsenden Zentralisation im Präsidentenamt Gegentendenzen gegeben, die historisch begründet und mit gesellschaftlich-ökonomischen Interessen verknüpft eine politisch-institutionelle Kontrolle soweit ermöglichten, daß die Watergate-Affäre überhaupt aufgedeckt und ein Präsident zum Rücktritt gezwungen werden konnte.

Wenn man der amerikanischen und europäischen Presse glaubt, so befinden sich die Vereinigten Staaten gegenwärtig in ihrer größten Selbstvertrauenskrise seit dem Bürgerkrieg. Innenpolitisch, außenpolitisch und ökonomisch haben sich die Ereignisse des letzten Jahres krisenhaft zugespitzt: In der Watergate-Affäre wurde zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte ein Präsident zum Rücktritt gezwungen, sein Amtsnachfolger scheint bislang seiner Aufgabe kaum gewachsen. Die von den Amerikanern gestützten südostasiatischen Regime brechen endgültig und in aller Weltöffentlichkeit zusammen, so daß die Bündnisfähigkeit und -treue der USA in anderen Regionen der Erde zunehmend in Zweifel gezogen werden. Eine Arbeitslosenquote von neun Prozent bei gleichzeitiger Inflationsrate von zehn Prozent weisen auf die Unmöglichkeit hin, die amerikanische Wirtschaftskrise mit traditionellen Mitteln zu überwinden.

Im folgenden wird die Krise des amerikanischen Regierungssystems, wie sie sich in der Watergate-Affäre abzeichnete, analysiert.

Vielen deutschen Beobachtern erschien Watergate als unentwirrbar, als eigenartige Mischung von Kriminalkomödie und Verfassungskrise. Watergate ist aber auch — und hier scheiden sich die Geister der Interpreten — zum Markenzeichen der Regierung Nixon, zum Symbol für Zerfall oder Renaissance des amerikanischen Regierungssystems, zum Signal für den angeblich bevorstehenden Zusammenbruch des amerikanischen Kapitalismus stilisiert worden. So viel steht fest: Wären die Verbrechen, Vergehen und kriminellen Verstöße, die als Watergate-Affäre zusammengefaßt werden, nicht aufgedeckt wor-

den, dann wäre Richard M. Nixon noch heute Präsident der Vereinigten Staaten.

I.

Als der Präsident am 8. August 1974 vor die Fernsehkameras der Nation trat, um seinen ücktritt bekanntzugeben, entbehrte dies richt der Ironie: In allen seinen Wahlkämpenseit hatte Nixon „Law and Order'Proklamiert, der Korruption den Kampf ange-sagt und als Präsidentschaftskandidat die „Neue Moral“ gepredigt — und er wird in die Geschichte als ein bestechlicher Präsident eingehen, der gegen Recht und Ordnung verstoßen hat 1968 war Nixon angetreten, das Ansehen und die Macht der Präsidentschaft zu mehren — er wurde der Präsident, der sein Amt derart ins Zwielicht brachte, daß zum erstenmal seit den zwanziger Jahren der Kongreß längst verloren geglaubte Autorität von der Exekutive zurückgewinnen konnte. Nixon hatte erklärt, daß er eine für Informationen, Ratschläge und Kritik offene und auf gegenseitiges Vertrauen gründende Präsidentschaft anstrebe — doch schon bald nach seinem Amtsantritt verbarg er sich mißtrauisch hinter dem Eisernen Vorhang, den er durch seine engsten Berater um sich ziehen ließ. Als junger Abgeordneter des Repräsentantenhauses und als Mitglied des House-Committee-of-Un-American-Activities war Nixon in der McCarthy-Ara zum dogmatischen Antikommunisten und auf diese Weise zu einer nationalen Figur geworden — 1972 und 1974 reiste er nach Peking bzw. nach Moskau, in die Metropolen des einst zum Todfeind erklärten Weltkommunismus, um durch demonstrative außenpolitische Erfolge im Wahlkampf und auf dem Höhepunkt der Watergate-Enthüllungen innenpolitisch verlorengegangenes Ansehen wiederzugewinnen. Nixon ließ Abhöranlagen verlegen und im Weißen Haus Tonbänder laufen, um vor der Nachwelt seine historische Größe dokumentieren zu können und um zugleich belastendes Material über seine zeitgenössischen Gegner zu sammeln, und er verhedderte sich doch selbst so darin, daß er schließlich über sie stolperte.

Die Watergate-Affäre hatte — um die Formulierung von Präsident Ford aus seiner Antrittsrede aufzunehmen — die Vereinigten Staaten wie ein Alptraum belastet. War mit dem Rücktritt Nixons der böse Traum beendet, erwachte Amerika zu einer besseren Wirklichkeit? Fast schien es so: Senator Mike Mansfield, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat, atmete auf: „Die Sonne scheint wieder", und Henry Steele Comma-

ger, hoch angesehener Professor der amerikanischen Geschichte, jubelte: „The Constitution Is Alive and Well." Nach dem verschlossenen, arroganten „Tricky Dicky“ war mit Gerald Ford — so jedenfalls wollte es die Öffentlichkeitsarbeit des neuen Pressesprechers suggerieren — der gute Kumpel aus dem Nachbarhaus', der frühere Pfadfinder und Fußballspieler, der aufrechte und ehrliche Politiker aus Grand Rapids und mit ihm die frische Brise des Michigan-Sees ins Weiße Haus eingezogen. War Watergate also nur ein unglücklicher Zufall, ein Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte, erklärbar aus der psychischen Verfassung des Richard Nixon und vielleicht noch aus einer vorübergehenden moralischen Krise des Landes?

Wohl kaum: Männer mit besonderer psychischer Struktur gelangen nicht irrtümlich ins Präsidentenamt; was als moralische Krise erscheint, hat gesellschaftliche und politische Ursachen. Zudem: Für viele Anklagepunkte, die bei der Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens im Repräsentantenhaus gegen Nixon und in Kriminalprozessen gegen Nixon-Berater genannt wurden, und für die meisten anderen Gesetzesverstöße oder am Rande der Legalität begangenen Handlungen ließen sich Präzedenzfälle anderer Präsidenten, Präsidentschaftskandidaten und Präsidentenberater — Demokraten wie Republikaner — aufzählen. Zur Watergate-Affäre gehören Aktive und passive Bestechung; Steuerhinterziehung (wohl nichts hat die öffentliche Meinung in den USA gegen Nixon so aufgebracht wie der Versuch des Präsidenten, unter Umgehung geltender Gesetze durch Schenkung der Akten, die aus seiner Vizepräsidentenzeit stammten, die Zahlung der Bundes-Einkommensteuer zu vermeiden); Amtsmißbrauch und Mißbrauch staatlicher Institutionen wie* der CIA für Inlandspionage (z. B.der Einbruch in das Büro des Psychiaters von Daniel Elisberg) und des FBI für illegale Überwachung und Abhören von Telefonaten sowie anderer Gespräche politischer Gegner; Behinderung der Judikative; Vertuschen krimineller Handlungen; Fälschen oder Vernichten von Beweismaterial; Verletzung der Wahlgesetze durch illegales manipulierendes Eingreifen in den Vorwahlkampf und Wahlkampf politischer Gegner (Muskie, Wallace, McGovern) mit dem Ziel der Wahlfälschung; Annahme illegaler Wahlkampfspenden und dafür gewährte staatliche Vergünstigungen: im Fall von ITT das Niederschlagen eines Dekartellisierungsverfahrens unter den Anti-Trust-Gesetzen durch das Justizministerium und im Fall der Vereinigung Amerikanischer Milch-produzenten die Erhöhung von Subventionen auf dem Verordnungsweg

Watergate ist nur Symptom für eine fundamentale und strukturelle Veränderung des amerikanischen Regierungssystems in der Phase des zunehmend organisierten Kapitalismus, die unter der Präsidentschaft Nixons ihren Höhepunkt erreichte, nicht aber ihre Ursache hatte. In ihrem Mittelpunkt steht die veränderte Funktion des Präsidentenamtes. Die ursprünglich von den Verfassungsvätem konzipierte, wenn auch zu keinem Zeitpunkt der amerikanischen Geschichte idealtypisch realisierte Gewaltenverschränkung und Gewaltenkontrolle — „checks and balances" — innerhalb eines Regierungssystems mit prinzipieller Gewaltenteilung ist auf Kosten vor allem der Legislative und zugunsten eines Teils der Exekutive, nämlich ihres präsidentiellen Sektors, dadurch immer mehr aufgehoben worden, daß im Präsidentenamt institutionell der Ort vorgegeben war und entsprechend ge(wurde, von dem aus eine staatliche Konjunktur-, Struktur-, Sozial-und Außenpolitik sowohl in Krisensituationen als auch in relativer Kontinuität betrieben werden konn[Während der Supreme Court institutionell auf eine passive Rolle verwiesen ist, während im Kongreß in politischen Fragen keine Frak-tionsdisziplin existiert und hauptsächlich lokale, einzelstaatliche und regionale Interessen vertreten werden und während Teile der Exekutive — so einige Ministerien und die Independent Regulatory Commissions — dem Einfluß partikularer ökonomischer Interessen unmittelbar offenstehen und erliegen, ist das Präsidentenamt die einzige Institution, von der aus aktiv, direkt, augenblicklich und bundesweit eine staatsinterventionistische Funktion wahrgenommen zu werden vermag. Mit dem Funktionswandel des Präsidentenamtes gingen institutioneile Veränderungen einher, die die politisch-institutionelle Kontrolle eines Präsidenten, der im Zeitalter des sich Fernsehens immer erfolgreicher plebiszitär-bonapartistisch legitimierte, fast unmöglich machten.

In den Vereinigten Staaten wurden bis in die 1890er Jahre Präsidentenamt und Bundesregierung — nahm man sie überhaupt zur Kenntnis — lediglich als „subsidiäre Hilfsagenturen einer grundsätzlich sich selbst überlassenen Wirtschaftsgesellschaft" begriffen Rapides Wirtschaftswachstum, die schnelle Abfolge technischer Innovationen, die besondere Größe der Unternehmen, die Uberkapita-lisierung der Großkorporationen, scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten zur Börsenspekulation, die offene „Frontier" im Westen, im Vergleich zu Europa der nahezu vollständige Mangel präkapitalistischer, absolutistischer und bürokratischer Traditionen und Institu-tionen, eine dem entsprechende „political cul-ture“ und Ideologie vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten" — all dies waren in der Industrialisierungsphase Ursachen für die Schwäche des Staates als eines relativ selbständigen, in die Gesellschaft intervenierenden Faktors. Im politisch-institutionellen Bereich waren der Kongreß und die Bundesregierung die Stellen, an denen Unternehmerinteressen sich im Gesetzgebungsprozeß bzW. personell durch das spoils System in der Exekutive verhältnismäßig unvermittelt durchsetzten. Der erste vorsichtige Versuch, chaotisches burcheinander auf einem Wirtschaftssektor, nämlich die Eisenbahngesellschaften durch Errichtung der Interstate Commerce Commission (auf der Grundlage des Interstate Commerce Act von 1887) zu ordnen, kann zwar als Präzedenzfall für die von Unternehmern anerkannte Notwendigkeit einer bundesstaatlich institutionalisierten Kooperation über die Einzelstaaten hinweg gelten, erbrachte in der Sache aber nur eine Bestätigung des Prinzips der „regulation by the regulated“ — ein Grundsatz, der bis heute für die Independent Regulatory Commissions wie für einige Bundesministerien gilt. Erst die in den 90er Jahren fast explosionsartig vollzogene Verbindung von Banken-und Industriekapital zum Finanzkapital, die verstärkte Monopolisierung, Kartell-und Trustbildung im nationalen, bald auch im internationalen Rahmen und die Schwierigkeit trotz — oder, wie neuere Untersuchungen zeigen, gerade wegen — der größeren ökonomischen Kon-8 zentration und Zentralisation, Profite zu erzielen, provozierten eine neue Qualität staatsinterventionistischer Maßnahmen. Diese gingen angesichts der „offenbar werdenden Unfähigkeit privater finanzkapitalistischer Versuche zur Stabilisierung des Systems“ und der Unfähigkeit eines Kongresses, der durch partikulare ökonomische, lokale, einzelstaatliche wie regionale Interessen zu fragmentiert war, um einen gemeinsamen Willen formulieren zu können, häufig vom Präsidentenamt aus. Dazu gehörten bundesstaatliche Intervention im Bereich der Infrastruktur, seit der Jahrhundertwende Eingriffe des Department of the Treasury auf dem Geld-und Kreditmarkt sowie die Gründung des Department of Commerce and Labor und des Bureau of Corporations mit dem Ziel wirtschaftspolitischer Koordination und besserer Marktorganisation. Zur gleichen Zeit schlossen sich — die Großkorporationen gleichsam ergänzend — exportorientierte mittelgroße Unternehmen in der National Association of Manufacturers (1902), die Exporteure in der U. S. Chambers of Commerce (1912) zusammen und in enger Beratung mit der Bundesregierung entstand das National Foreign Trade Council (1914).

Sozialökonomische und staatliche Sphäre wurden jetzt — bei Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktionsprinzipien und ohne daß die ökonomische Konzentration ein Ende der Konkurrenz gebracht hätte — zunehmend enger miteinander verschränkt. Die Institution, von der in der Regel staatliche Eingriffe ausgingen, war das Präsidentenamt. Daher erklärt es sich, daß Theodore Roosevelt als erster starker Präsident seit Abraham Lincoln gilt und am Anfang einer Reihe weiterer so-genannter starker Präsidenten — Wilson, Franklin D. Roosevelt, Truman und Johnson — steht, die in ökonomischen und außenpolitischen Krisensituationen und z. T. gegen ihren ursprünglich erklärten Willen zu staatsinterventionistischen Maßnahmen gezwungen worden sind. Die vom Präsidentenamt ausgehende Staatsintervention hatte immer mehr eine auf die gesamte Gesellschaft bezogene Stabilisierungsaufgabe. Diese Entwicklung verlief nicht geradlinig, vielmehr wurden unter Präsident Taft und in den 20er Jahren gegenläufige Tendenzen wirksam. Gleichwohl bildete sich die neue Funktion des Präsiden-tenamtes im Ersten und Zweiten Weltkrieg und in der Weltwirtschaftskrise, deren soziale Folgen bis zur Aufrüstung 1939/40 andauerten, voll heraus. So wurden im Ersten Weltkrieg die Institutionen der Kriegsverwaltungswirtschaft — wie der War Industries Board und der War Labor Board — auf Anordnung des Präsidenten gebildet und mit seinem Amt direkt verbunden. Dies waren die Vorbilder, auf die Franklin Roosevelt — vom Kongreß mit größten Vollmachten ausgestattet — personell, institutionell und konzeptionell im New Deal zurückgriff, um die menschlichen wie • sozialen Kosten der Weltwirtschaftskrise abzumildern. Der von Roosevelt erstmals explizit erhobene nationale Führungsanspruch der Bundesregierung setzte sich in den dreißiger Jahren durch: Die präsi-dentielle Exekutive übernahm die Verantwortung für die Konjunktursteuerung, von ihr ging der Anstoß zur nationalen Sozialgesetzgebung aus und der Arbeitsmarkt wurde aufgrund bundesstaatlicher Rahmenregelungen kollektiv organisiert, der Klassenkonflikt kanalisiert und die — zumindest potentiell — oppositionelle Industriegewerkschaftsbewegungen des CIO integriert.

Auch Präsidenten, die in ihren Wahlkämpfen die staatsinterventionistische und sozialstaatliche Funktion des Präsidentenamtes kritisiert und versprochen hatten, sie zurückzudrängen, sahen sich als Amtsinhaber gezwungen, die institutionell ihnen aufgezwungene, auf die gesamte Gesellschaft gerichtete Stabilisierungsaufgabe wahrzunehmen. Eines der letzten Beispiele hierfür ist unter der Präsidentschaft Nixons zu finden: Der Präsident verhängte im August 1971 unter dem Druck von Unternehmensverbänden, Großkorporationen und einer Kongreßmehrheit durch Executive Order einen befristeten Lohn-und Preisstopp, obwohl er eine derartige Maßnahme zuvor als gefährlichen Schritt hin zum Sozialismus abgelehnt hatte. In der Wirtschafts-und Innenpolitik sind die Executive Orders, nämlich Verordnungen der Bundesregierung, die durch eine vom Kongreß in Gesetzesform verabschiedete Generalvollmacht legitimiert sind, zu einem präsidentiellen Instrument direkter und unverzüglicher Staatsintervention geworden

Die im Unterschied zum 19. Jahrhundert veränderte Funktion des Präsidentenamtes und das zunehmende Versagen politisch-institu-tioneller Kontrollen gegenüber dem Präsidenten ist in der Außenpolitik am offenkundigsten. Außenpolitik wird hier im direkten Zusammenhang mit der sozialökonomischen Entwicklung so begriffen, daß Industrieländer in der Phase des zunehmend organisierten Kapitalismus — also in den Vereinigten Staaten seit den 90er Jahren — aufgrund wirtschaftlicher Wachstumsprobleme und sich verschärfender interner sozialer Konflikte als imperialistische Mächte auftreten. Die Wendung der USA zum offenen Imperialismus ging vom Kongreß aus, in dem divergierende ökonomische und politische Interessengruppen sich noch am ehesten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, den der militärischen Intervention, einigen konnten. Einem zögernden und vorsichtigen Präsidenten McKinley wurde 1898 der Krieg gegen Spanien um Kuba regelrecht aufgezwungen. Doch schon wenige Jahre später hatte Theodore Roosevelt den Kongreß fast völlig aus der Außenpolitik verdrängt und setzte imperialistische Interventionstechniken in der Karibik gleichsam direkt aus dem Weißen Haus ein. Zwar ist der dominierende Einfluß der Präsidenten auf die Außenpolitik nach den beiden Weltkriegen und am Schluß der amerikanischen militärischen Vietnamintervention vorübergehend vom Kongreß beschnitten worden, doch sind präsidentielle außenpolitische Instrumente so weit und über die verfassungsrechtliche Funktion des Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte hinaus institutionalisiert worden, daß das verfassungsmäßige Recht der Legislative, Krieg zu erklären und das Recht des Senats, an der Formulierung der Außenpolitik mitzuwirken, faktisch aufgehoben worden sind.

In der alleinigen Verantwortung des Präsidenten liegende Executive Agreements, „Verwaltungsabkommen“ mit auswärtigen Mächten, sind an die Stelle von Verträgen getreten, die der Zustimmung einer 2/s-Mehrheit des Senats bedürfen Durch gemeinsame Willenser-klärungen, joint resolutions, beider Häuser des Kongresses wird sowohl die Hürde der 2/s-Mehrheit im Senat umgangen als auch dem Präsidenten — wie in der Tonking-Golf-Resolution von 1964 — eine Global-vollmacht für alle von ihm als notwendig er-achteten militärischen wie sonstigen Maßnahmen erteilt Schließlich vermag der Präsident bohrende Fragen von Untersuchungsausschüssen des Kongresses dadurch abzuwehren — und hier gibt es in der Außenpolitik eine Tradition seit George Washington —, daß er Mitgliedern der Exekutive unter Anrufung des executive privilege ein Aussageverbot zu bestimmten Problemen erteilt Diese präsidentiellen außenpolitischen Instrumente sind — mit Ausnahme des executive privilege — nicht nur vom Supreme Court für verfassungskonform erklärt, sondern bis vor kurzem auch mit dem Weihrauch nationaler Sicherheit und einer Ideologie außenpolitischer Gemeinsamkeit abgesegnet worden. Die amerikanische Verfassung billigt dem Präsidenten in der Außenpolitik größere Autonomie zu und sieht weniger institutionelle Kontrollen vor als in der Innen-oder gar Wirtschaftspolitik: Dies mag erklären, daß die Instrumente präsidentieller Machtausübung gegenüber dem Kongreß aus der Außen-in die Innenpolitik übertragen worden sind. Zusammenfassend ist zu sagen, daß das Präsidentenamt sich von einer subsidiären Hilfsagentur ökonomischer und sozialer Interessen im 19. Jahrhundert zu einer in Gesellschaft und Ökonomie intervenierenden und diese stabilisierenden Institution im 20. Jahrhundert gewandelt hat.

II.

Dieser Funktionswandel ging mit einer Reorganisation im politisch-institutionellen Bereich einher, ohne die die Watergate-Affäre nicht zu begreifen ist. Zwei eng miteinander verbundene Entwicklungstendenzen können dabei unterschieden werden: 1. Zentralisation wirtschaftspolitischer, außenpolitischer und schließlich innenpolitischer Entscheidungen im Präsidentenamt und deren institutionelle Absicherung. 2. Teilung der Exekutive in zwei Bereiche, nämlich die ministerielle Exekutive (permanent government) und das Präsidentenamt (presidential government)

Es ist bereits erwähnt worden, daß in den Ministerien partikulare ökonomische Interessen dominierten — die Departments of Agricultur, Labor and Commerce sind hierfür typisch —, so daß von diesen ausgehende staatsinterventionistische Maßnahmen zumeist auf nur einen Bereich von Wirtschaft und Politik begrenzt blieben. Die Minister — oder besser wäre hier der amerikanische Begriff zu benutzen, um falsche, parlamentarischen Regierungssystemen entlehnte Assoziationen zu vermeiden —, die Secretaries werden wie die Leiter anderer Executive Agencies vom Präsidenten mit Rücksicht auf die Klientel und die Region, die sie vertreten, ernannt Das Kabinett hat gegenüber dem Präsidenten bestenfalls eine beratende und nach außen eine integrierende und repräsentierende Funktion. Noch stärker als auf die Ministerien trifft auf die Independent Regulatory Commissions zu daß sie häufig in der Hand von Interessengruppen sind, daß sie sich aber zumindest den starken, eigentlich zu kontrollierenden Wirtschaftsinteressen anpassen und sich auf diese Weise „als Legiti.

mations-und Schutzinstrumente bestehende!

Wirtschaftsstrukturen“ erweisen. Während im permanent government ökonomische Partikularinteressen reguliert werden, ist das presidential government die Institution, in der gleichsam die Funktion des — um die Engel-sehe Formulierung aufzunehmen — „ideellen Gesamtkapitalisten" wahrgenommen zu werden vermag. Nachdem bereits die Kriegs-und Notstandsbehörden des Ersten Weltkrieges, und der Weltwirtschaftskrise außerhalb der traditionellen Ministerien und im Weißen Haus etabliert worden waren, ist 1939 nach dreijähriger Vorarbeit einer von F. D. Roosevelt eingesetzten Kommission auf der Basis des Government Reorganisation Act die Executive Office of the President gebildet und damit die Präsidentschaft institutionalisiert worden. Zur Executive Office of the President gehören heute — neben anderen, weniger bedeutenden Gremien — die Office of Management and Budget, der National Security Council und der Domestic Council. Diese drei Abteilungen des Präsidentenamtes fungieren als Überministerien, die an den traditionellen Departments, Agencies und Independent Regulatory Commissions vorbei, u. U. auch gegen sie und ohne unmittelbare Kontrolle durch den Kongreß die Politik eines Präsidenten durchzusetzen vermögen.

Das Bureau of the Budget — 1921 im Department of the Treasury als Koordinierungsstelle für die Haushaltsanmeldungen der einzelnen Ministerien gegründet — ist 1939 in die Executive Office übernommen worden und hat sich dann in kurzer Zeit zur Steuerungsinstitution nationaler Wirtschaftspolitik entwik-kelt. Hier wird nicht nur der Bundeshaushalt aufgestellt und von hier aus werden nicht nur über den Bundeshaushalt und aufgrund der besonders unter Präsident Nixon wahrgenom-menen Kompetenz zur Reorganisation der Exekutive die Ministerien und anderen Teile des „permanent Government" zentral kontrolliert, sondern hier haben in den letzten Jahrzehnten die meisten wichtigen Gesetzesentwürfe ihren Ausgang genommen obwohl verfassungsrechtlich die Gesetzesinitiative von der Regierung nicht ausgehen kann. Die Macht des Kongresses ist aufgrund der Übernahme legislativer Funktionen durch das Budget-Büro ausgehöhlt worden.

Die Geschichte des National Security Council und der ihm zugeordneten Central Intelligence Agency zeigen, wie trotz institutionalisierter Kontrollmechanismen der Kongreß und die Ministerien vom Präsidenten umgangen werden konnten. Der National Security Act von 1947 schrieb vor, wer kraft Amtes zum Nationalen Sicherheitsrat gehörte — darunter neben dem Präsidenten der Außen-und Verteidigungsminister sowie der Vizepräsident — und daß alle zusätzlich vom Präsidenten ernannten Mitglieder der Zustimmung einer 2/s-Mehrheit des Senats bedurften. Die Sitzungen des National Security Council werden durch einen vom Präsidenten berufenen Mitarbeiterstab vorbereitet. Auf dieses informelle Gremium haben sich zunehmend die Entscheidungen verlagert: Die starke Stellung von Henry Kissinger in der Nixon-Administration lag genau darin begründet, daß er — lange vor der Übernahme des State Department — als Assistent des Präsidenten Leiter dieses Mitarbeiterstabes war und damit außerhalb der Kontrolle des Kongresses stand, nämlich weder der Bestätigung des Senats bedurfte, noch gezwungen werden konnte, vor Kongreßausschüssen auszusagen. Der Kongreß hatte 1947 zwar die Aufgaben der CIA gesetzlich festgelegt und gegenüber dem FBI abgegrenzt, doch sind vom National Security Council an die viele natürlich mit CIA so — dem Vermerk „top secret" versehene — Anweisungen gegangen, daß diese zusammengenommen eine neue und streng geheime Charter des Geheimdienstes ergeben, die an die Stelle des ursprünglichen Gesetzes getreten ist Die Ermittlungen der letzten Monate belegen dies am Beispiel der gesetzeswidrig betriebenen und nicht erst unter der Nixon-Regierung, sondern zumindest schon unter Johnson begonnenen Inlandaufklärung. Die Beteiligung der CIA am Sturz der Regierungen des Iran 1953 und Guatemalas 1954, an der Einsetzung neuer Regierungen in Ägypten 1954 und in Laos 1959 — alles unter der Präsidentschaft Eisenhowers, eines angeblich schwachen und militärischer Intervention abgeneigten Präsidenten — zeigen wie der Geheimdienst zu einem vom Kongreß nicht kontrollierten außenpolitischen Instrument geworden ist und daß institutionell für einen Präsidenten die Möglichkeit bestand, das Außen-und Verteidigungsministerium zu umgehen.

Betrachtet man die hier angedeutete Konstellation und bedenkt zudem, daß das FBI dem Justizminister unterstellt und nicht Teil der Executive Office ist, so erscheint die CIA nachgerade dazu prädestiniert, die Rekrutierungsbasis für einen persönlichen Geheimdienst des Präsidenten abzugeben. Eben dies geschah, als unter Nixon die sogenannte „Klempner-Truppe" aufgestellt wurde, deren ursprüngliche Aufgabe es nach Veröffentlichung der Pentagon-Papiere war, undichte Stellen im Regierungsapparat zuzulöten, die dann aber u. a. in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Hotel einbrach. Der Domestic Council wurde 1970 analog dem Nationalen Sicherheitsrat und als Nachfolge-gremium des Urban Affairs Council unter Daniel P. Moynihan in der Executive Office gebildet. Traditionell hat der Kongreß in der Innenpolitik den Präsidenten größeren Widerstand entgegengesetzt als in der Wirtschaftsoder Außenpolitik. Die Absicht, auch in der Innenpolitik Entscheidungsbefugnisse durch den Domestic Council im Präsidentenamt zu zentrieren und der Kontrolle der Legislative weiter zu entziehen, war offenkundig. Die Aufdeckung der Watergate-Affäre hat dieses Vorhaben vorläufig zunichte gemacht.

Nach Bildung der Executive Office sind im Präsidentenamt zunehmend Kompetenzen der Departments und der Legislative absorbiert worden Doch Präsident Nixon wollte noch einen Schritt weiter gehen: In einer Botschaft an den Kongreß schlug er 1971 vor die wirtschafts-und innenpolitischen Ministe-rien und Executive Agencles aufzulösen und an ihre Stelle und eng verbunden mit dem Präsidentenamt vier Großministerien zu schaffen. Der Kongreß lehnte ab.

Nixon erreichte dennoch sein Ziel, nämlich die weitere Zentralisation exekutiver Befugnisse in seiner Hand. Er griff dabei auf eine Institution zurück, die sich seit dem New Deal im Weißen Haus herausgebildet hatte und die in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft personell stark gewachsen war: Die White House Office, der persönliche Mitar-

beitrstab des Präsidenten — verwaltungstechnisch eine Abteilung der Executive Office wie der Nationale Sicherheitsrat oder die Office of Management and Budget. Zur White House Office gehören die persönlichen Assistenten (Special Assistants) und Berater (Special Consultants) des Präsidenten. Hatte James Knox Polk, von 1845— 49 amerikanischer Präsident, noch geklagt, daß ihm zur Erledigung seiner Korrespondenz nur ein Privatsekretär zur Verfügung stehe so konnte Hoover den Kongreß überzeugen, ihm Gelder für drei Sekretäre zu bewilligen. Dann stieg die Zahl persönlicher Assistenten an: unter F. D. Roosevelt auf 11, unter Truman auf 13, unter Eisenhower auf 37. Sie fiel unter Kennedy und Johnson auf etwa 20, schnellte unter Nixon dann aber auf 48 — die persönlichen Berater nicht gerechnet. Der Präsident und seine Mitarbeiter sind — nach einem Wort von Theodore C. Sorenson, ehemaliger Assistent Kennedys — die einzigen in Washington „whose responsibilities both enable and require them to look ... at the government as a whole“

Genau hieraus hat Nixon die Konsequenzen gezogen, indem er die White House Office zum zentralen Organ des amerikanischen Regierungssystems ausbaute. Der Mitarbeiter-kreis des Präsidenten wurde nicht nur personell erweitert, sondern durch eine bis dahin nur sparsam gebrauchte personalpolitische Konstruktion zu einem Super-Super-Ministerium, besser: einer Präsidialkanzlei ausgebaut. Nixon ernannte den Direktor der Office of Management and Budget, den Leiter der Verwaltung des National Security Council und den Chef des Domestic Council zu persönlichen Assistenten bzw. Beratern. Aus dieser Funktion ergab sich ihre Machtposition Werden der Verwaltungschef der White House Office sowie der persönliche Freund und Justizminister Nixons hinzugezählt, so ist der engste Kreis um Nixon abgesteckt, wegen der deutsch klingenden Namen in der Presse als „deutsche Mafia“ und „Berliner Mauer“ bezeichnet: Schultz, Kissinger, Ehrlichman, Haldeman, Mitchell die drei letztgenannten wurden im Watergate-Prozeß verurteilt. Die Doppelfunktion — persönlicher Assistent des Präsidenten und Abteilungsleiter in der Executive Office — ergab, daß die Betroffenen, wie die anderen Mitglieder der Präsidialkanzlei, prinzipiell und in allen Fragen ihrer Amtsführung unter das executive privilege fielen. Zu Beginn seiner Amtszeit hat Nixon noch einmal ausdrücklich betont, daß alle persönlichen Assistenten und Berater durch das executive privilege geschützt seien, ja er hat — im Anschluß an die Interpretation des executive privilege unter Präsident Kennedy — versucht, es auf alle auszudehnen, die ihm gegenüber eine beratende Funktion („advice") in der Exekutive wahrnahmen. Unter keinem Präsidenten ist das executive privilege so häufig (als Schutz auch der anderen Mitglieder der Exekutive, vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und Gerichten nicht aussagen zu müssen) benutzt worden wie unter Nixon Dies trug zur Abschirmung und Isolierung des Präsidenten gegenüber anderen z. T. mit Kontrollaufgaben versehenen Institutionen des Regierungssystems bei wie Kongreß, Bundessteuerbehörde — genau hier ist der Versuch Nixons, Steuern zu hinterziehen, zu lokalisieren — und anderen Bereichen des permanent government. Zudem versuchte Nixon — vergeblich — das executive privilege zu instrumentalisieren, um die Watergate-Affäre zu vertuschen. Kein Präsident ist von einem so un-

druchdringlichen, selbst errichteten Eisernen Vorhang umgeben gewesen wie Nixon. Zugang zu ihm war nur über Haldeman möglich. In seinen ersten vier Amtsjahren gab Nixon 28 (von der Regie der White House Office als Staatsakte inszenierte) Pressekonferenzen, genau so viele wie F. D. Roosevelt in seinen ersten drei Monaten

Die Isolierung Nixons, sein Mißtrauen gegen die anderen Bereiche der Exekutive, selbst gegen die Geheimdienste, und die Konzentration exekutiver Gewalt im Präsidentenamt wird durch nichts besser gekennzeichnet als durch die Etablierung der White House Special Investigation Unit, der Klempner-Truppe. Dieser dem Präsidenten persönlich unterstellte, von Egil Krogh (auch er gehört zu den Angeklagten in einem der Watergate-Prozesse) befehligte Geheimdienst, sollte nicht nur die Informations-Löcher im Regierungsapparat verstopfen, sondern innenpolitische Gegner überwachen und Material gegen sie sammeln Eben diesem Zweck diente der Einbruch in die Praxis des Psychoanalytikers von Daniel Elisberg: Man hoffte, in den Akten diskriminierende Unterlagen gegen den Mann zu finden, der die Pentagon-Papiere der New York Times zugespielt hatte. Bekanntlich waren die „Klempner" — von CIA und FBI punktuell unterstützt — auch daran beteiligt, die Watergate-Affäre zu vertuschen, Beweismaterial zu vernichten. Parallel zur Gründung der Klempner-Truppe ist in der White House Office der sogenannte Huston-Plan diskutiert worden, deren Verwirklichung die CIA — bekanntlich in der Executive Offi-ce angelagert — gegenüber dem FBI gestärkt hätte: Der Plan scheiterte am Widerstand Edgar Hoovers. Schließlich wurden 1970 und schon in Vorbereitung auf die Wahlen von 1972 im Weißen Haus „Schwarze Listen" von politischen Gegnern Nixons aufgestellt und ständig erweitert, um auf diese die Klempner-Truppe ansetzen und u. U. Druck auf sie ausüben zu können, z. B. dadurch, daß die Steuerbehörden gegen für das Weiße Haus unliebsame Personen vorübergehend Untersuchungen wegen Steuerhinterziehung eröffneten — eines unter vielen Delikten des Amtsmißbrauchs in der Watergate-Affäre.

Exekutive Zentralisation in der White House Office war unter Nixon so weit vorangeschritten, daß Minister von Entscheidungen, die ihr Ressort betrafen, häufig erst in der Presse lasen oder sie kurz vor ihrer Veröffentlichung von einem Assistenten des Präsidenten informiert wurden Das Kabinett war funktionslos geworden, tagte daher äußerst selten. Als Nixon kurz nach Veröffentlichung des ihn als „Mit-Verschwörer" der Watergate-Affäre schwer belastenden Ton-bandes und wenige Tage vor seinem Rücktritt demonstrativ eine Kabinettssitzung einberief, war dies der — vergebliche — Griff nach dem rettenden Strohhalm: Die Rückkehr zu den ehrwürdigen Traditionen der Verfassungsväter sollte signalisiert werden.

Gegenüber der Legislative nahm sich die White House Office Rechte heraus, die im eklatanten Widerspruch zur Verfassung standen: Im Präsidialamt wurde entschieden, daß vom Kongreß für bestimmte Programm bewilligte Gelder nicht auszugeben seien Dies war offener Verfassungsbruch, denn der Präsident kann gegen den vom Kongreß bewilligten Bundeshaushalt nur insgesamt, nicht aber gegen einzelne Etatansätze sein Veto einlegen. Das Kernstück legislativer Macht, die Budget Power, drohte so völlig zerrieben zu werden.

Ohne Präzedenzfall in der amerikanischen Geschichte zog die Präsidialkanzlei eine weitere Aufgabe an sich: An der Republikanischen Partei vorbei und gegen das Republican National Committee organisierte das Weiße Haus eine nationale Wahlkampforganisation zur Wiederwahl Nixons 1972, eine allein dem Präsidenten unterworfene Ersatz-partei. Dieser Vorgang wurde dadurch begünstigt, daß — zugespitzt formuliert — in den Vereinigten Staaten keine Bundesparteien bestehen, Parteien als festgefügte und auf dem Ol der Patronage laufende Organisationen nur lokal und in den Einzelstaaten existieren.

Der Nationalausschuß der Demokraten oder Republikaner, in dem Vertreter der Einzelstaaten sitzen, bildet daher nicht den Vorstand einer Bundespartei, sondern fungiert als unverbindliches Koordinationsgremium eines Parteienbundes. Seine Aufgaben bestehen bislang darin, alle vier Jahre einen Parteikonvent zur Auswahl eines Präsidentschaftskandidaten und zur Verabschiedung einer Wahl-plattform einzuberufen und anschließend den Wahlkampf des Nominierten zu organisieren und zu finanzieren Für die Wahlen 1972 hatten der Präsident und seine Berater entschieden, daß die Wahlkampforganisation und der Wahlkampf außerhalb und unabhängig vom Republican National Committee geführt werde. Haldeman ordnete aus der White House Office Personal in das Committee to Re-Elect the President CRP ab: Von den 23 Abteilungsleitern des Komitees kamen 17 direkt aus der Präsidialkanzlei. Auch ein Teil der Klempner-Truppe wurde unter Leitung von G. Gordon Liddy (er plante und organisierte den Einbruch in das Watergate-Hotel)

aus dem Weißen Haus in das CRP transfer-

riert und mit einem Etat von 350 000 Dollar ausgestattet. Justizminister Mitchell trat von seinem Regierungsamt zurück und übernahm im April 1972 die Leitung des Wahlkampfes.

Das Finanzkomitee unter Maurice Stans, ehemaliger Secretary of Commerce, trieb Wahlkampfspenden in vorher nie erreichter Höhe ein, darunter die umstrittenen von ITT, Associated Milk Producers, von den Millionären Howard R. Hughes und Nixon-Freund Charles G. Rebozo. Herbert Kalmbach, Nixons persönlicher Rechtsanwalt, half dabei, die Herkunft illegaler Wahlkampfspenden zu vertuschen und „schmutziges Geld“ zu reinigen, indem der Spendenstrom über eine mexikanische Bank geleitet wurde. Der Wahlkampf selbst wurde nach außen so geführt, daß Nixon nicht als Kandidat und Parteimann, sondern nur als Präsident auftrat, als Staatsmann, der seinen Pflichten unbeirrt nachging. Intern kämpfte das CRP jedoch mit schmutzigen Tricks aller Art. So versuchte man durchaus erfolgreich in die Vorwahlen der Demokratischen Partei mit dem Ziel einzugreifen, Senator Muskie als aussichtsreichen Kandidaten der Demokraten zu verhindern und an seiner Stelle den Nixon bequemeren Senator McGovern aufstellen zu lassen. Als McGovern schließlich nominiert war, schickte man in seine Wahlversammlungen Jubel-und Störtrupps bärtiger junger Männer, um ihn mit dem Stigma des Linksradikalismus zu brandmarken. Ähnliches hatte übrigens Johnson aus dem Weißen Haus heraus und mit umgekehrten Vorzeichen in seinem Wahlkampf 1964 gegen Barry Goldwater inszeniert. Aus der Trick-Kiste wurde schließlich auch das gezogen, was die Affäre ins Rollen brachte und der Anlaß für den Rücktritt Nixons wurde: der Einbruch in das Hauptquartier der Demokraten. Dieses Unternehmen war politisch irrational und kann wohl nur durch den Realitätsverlust erklärt werden, der aus der Isolierung der Präsidialkanzlei und ihrer Wahlkampforganisation resultierte: Zum Zeitpunkt des Einbruchs nämlich war George Wallace -Gouverneur von Alabahma und schärfster Konkurrent Nixons um die Stimmen in den Südstaaten — durch ein auf ihn verübtes Attentat aus dem Rennen um die Präsidentenschaft ausgeschieden, der Kandidat der Demokraten hieß McGovern, und die Wiederwahl Nixons stand praktisch fest. Zudem hätte die genaue Lektüre der Zeitungen mehr Informationen über den Wahlkampf der Demokraten erbracht als das Anzapfen ihrer Telefonleitungen und das Kopieren ihrer Akten.

III.

Die Watergate-Affäre ist Ergebnis und Ausdruck kaum kontrollierter, im Präsidentenamt institutionalisierter Machtkonzentration. Die White House Office rückte — wiederum pointiert formuliert — an die Spitze der Executive Office, der Ministerien und Executive Agencies des Kongresses und der Republikanischen Partei. Betrachtet man nur die Exekutive, so könnte man — bei zunehmender, pyramidenförmiger Hierarchisierung — von ihrer Verdoppelung in der Executive Office, ihrer Verdreifachung in der White House Office sprechen. Die Stellung des Präsidenten gegenüber den anderen Bereichen des Regierungssystems verdeutlicht das Bild von konzentrisch um das Weiße Haus errichteten Mauern, die in ihrer Undurchdringlichkeit die Kontrolle des Präsidenten durch die dafür vorgegebenen Institutionen äußerst erschwerten und das System von checks and balances vorübergehend außer Kraft gesetzt haben.

Die hier entwickelte und bewußt zugespitzte Argumentation erklärt, warum und wie die Watergate-Affäre überhaupt möglich war. Offen geblieben ist dabei die Frage, warum Watergate trotz der geschilderten strukturellen Veränderungen im amerikanischen Regierungssystem aufgedeckt werden konnte. Mit Nachdruck ist daher zu betonen, daß es zur wachsenden Zentralisation Wirtschafts-, außen-und innenpolitischer Entscheidungen im Präsidentenamt Gegentendenzen gegeben hat und gibt, die historisch begründet und mit gesellschaftlich-ökonomischen Interessen verknüpft eine politisch-institutionelle Kontrolle zumindest in der Weise möglich gemacht haben, daß punktuell und vorübergehend Auswüchse präsidentiellen Machtmißbrauchs enthüllt und begrenzt werden konnten. Auf die bei der Aufdeckung der Watergate-Affäre funktionierenden Kontrollen sei daher kurz verwiesen:

1. Trotz der aus der strukturellen Veränderung des amerikanischen Regierungssystems resultierenden Hindernisse ist es dem Kon-

greß und hier namentlich dem Ervin-Committee des Senats und dem Justizausschuß des Repräsentantenhauses — gelungen, die vom Fernsehen direkt übertragenen Untersuchungen gegen den Präsidenten bis zu dem unkt voranzutreiben, daß von ihnen eine aufklärerische Wirkung ausging, die sowohl ie Entschlossenheit der Legislative zu weiteren Nachforschungen bestärkte als auch zum Sturz Nixons beitrug. Die Drohung mit dem Impeachment und die folgende Einleitung des Verfahrens haben in dem Augenblick zum Rücktritt Nixons geführt, als der Präsident erkannte, daß die zur Anklageerhebung im Repräsentantenhaus notwendige absolute Mehrheit sowie die zur Amtsenthebung im Senat notwendige 2/s-Mehrheit vorhanden waren. Auch die Republikaner im Kongreß opponierten mit wachsender Vehemenz — u. a. angeführt von Barry Goldwater, gescheiterter konservativer Präsidentschaftskandidat von 1964 und Senator von Arizona —, bis schließlich nach Vorzeigen der sogenannten smoking pistol, nach Veröffentlichung des Tonbandes, das Nixons Mitverantwortung für Watergate unzweifelhaft bewies auch die letzten Verteidiger des Präsidenten offen gegen ihn rebellierten. Zweifellos hat es schon vor Watergate und insbesondere in der Außenpolitik Anzeichen dafür gegeben, daß der Kongreß seine Kontrollfunktion wieder wahrzunehmen versuchte. Doch hat die Aufdeckung der Watergate-Affäre das Verhältnis von Präsident und Kongreß zugunsten des letzteren zumindest vorübergehend so weit verändert, daß Präsident Ford sich gezwungen sah, seine Generalamnestie für Nixon vor einem Ausschuß des Repräsentantenhauses zu verteidigen und Rede und Antwort zu stehen Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte erschien damit ein Präsident vor ei-nem Untersuchungsausschuß des Kongresses. 2. Die Unabhängigkeit der Judikative war soweit erhalten, daß Bundesrichter Sirica und der Supreme Court den Präsidenten zwingen konnten, sich Recht, Gesetz und Verfassungsauslegung der Gerichte zu beugen, konkret nämlich umstrittene Tonbänder dem Justizausschuß des Repräsentantenhauses zu übergeben und damit den Gerichten zu überlassen, wie executive privilege zu interpretieren sei

3. In dem Bereich der Exekutive, der von uns als permanent government bezeichnet worden ist, regte sich Widerstand gegen Nixon. So hat das FBI unter Edgar Hoover nicht nur gegen den Mißbrauch der Geheimdienste protestiert — verständlich vielleicht als Konflikt konkurrierender Geheimdienste —, sondern aus dem FBI wurden den Redakteuren der Washington Post, die beim Recherchieren in einer Sackgasse festgefahren waren, die entscheidenden Informationen zugespielt, die die Aufdeckung der Affäre ins Rollen brachten Als Nixon den ihm unbequemen Watergate-Sonderankläger Archibald Cox, der als Staatsanwalt dem Justizministerium zugeordnet war und damit im Konfliktfall die Weisungen des Präsidenten zu befolgen hatte, entließ und dessen Büro auflösen wollte, traten Justizminister Richardson und sein Stellvertreter Ruckelshaus aus Protest zurück. Der Nachfolger von Cox, Jaworski (Freund Nixons, Texaner und als Konservativer bekannt) betrieb die Strafverfolgung mit gleicher Energie und Konsequenz wie sein Vorgänger. Oder allgemein formuliert: Die Ministerien waren noch nicht in die völlige Abhängigkeit der Präsidialkanzlei geraten. Hierfür spricht auch, daß Informationen sich zu bestätigen scheinen, wenige Stunden vor dem Rücktritt Nixons habe Verteidigungsminister Schlesinger den Generalstab in Alarmbereitschaft versetzt, um gegen einen möglichen Staatsstreich des Präsidenten losschlagen zu können.

4. Regionalismus, Föderalismus und — im Vergleich etwa zur Bundesrepublik — relativ große Autonomie der Kommunen bilden nach wie vor ein Strukturelement des amerikani45) sehen Regierungssystems und stellen ein Gegengewicht zu politischer Zentralisation und ökonomischer Konzentration dar. Regionsspezifische, einzelstaatliche und in wenigen Fällen sogar kommunale Konzentration von Einzelkapitalen und Kapitalfraktionen werden im politischen System bestätigt. Auf den Kongreß bezogen bedeutet dies, daß das Bundes-parlament nur bedingt eine nationale Institution ist. Senatoren und Repräsentanten sind so stark an die Interessen in ihren Einzelstaaten bzw. ihren Wahlkreisen gebunden und z. T. über die lokalen und regionalen Partei-maschinen organisatorisch so fest verankert, daß sie im konkreten Fall der Watergate-Affäre dem Druck ihrer Wähler, Nixon amtszuentheben, auf längere Zeit nicht hätten widerstehen können.

5. Trotz aktueller Bedrohungen waren die bürgerlichen Freiheiten in den Vereinigten Staaten doch so gesichert, daß — wie dies in keinem anderen Land der Welt heute geschieht — die Presse (an der Spitze die beiden Reporter der Washington Post) unerbittlich mit Lupe und Scheinwerfer zugleich die letzten Winkel der Hauptstadt durchsuchen und ausleuchten konnte: Nicht zufällig haben sich an Watergate die CIA-Enthüllungen angeschlossen. 6. Schließlich darf nicht unterschätzt werden, daß aufgrund der amerikanischen politisch-ideologischen Tradition es möglich war, zumindest momentan unkontrollierter exekutiver und legislativer Machtanhäufung im Präsidentenamt einen Riegel vorzuschieben. Mögen politische und soziale Konflikte in den Vereinigten Staaten mit der — wenn man so will — „Heiligsprechung" der „Constitution" und der Fetischisierung der „American Demo-cracy" häufig verschleiert werden, in Watergate ermöglichte und legitimierte der Rekurs auf die Verfassungsväter, auf die — wie auch immer gefälschte und gebogene — Geschichte der amerikanischen Demokratie, auf das Prinzip von checks and balances den Widerstand.

IV.

Die eingangs geschilderte ökonomische Konzentration, die veränderte Funktion des Präsidentenamtes im organisierten Kapitalismus und die darauffolgende politische Zentralisation werden durch die gerade genannten Faktoren nicht aufgehoben. Gleichwohl sind die Watergate-Affäre und die Geschichte ihrer Aufdeckung gerade ein Beleg dafür, daß es in den Vereinigten Staaten kein Generalkartell von schon immer integrierter Arbeiterbewegung, Kapital und Staat gibt, in dem der Präsident gleichsam als Vertreter des Kapitals fungiert Wer Gesellschaft und politisches System der Vereinigten Staaten so interpretiert, als seien politische Institutionen lediglich Agenturen des dreieinigen Kapitals, verfällt nicht nur einer deterministisch-konspirativen Geschichtsmythologie, in der es nur noch die Hoffnung auf den allmächtigen radikalen Umschlag gibt, sondern er negiert auch einen — wie eng er auch immer sein mag — Spielraum relativer Freiheit, in dem Bewahrung von Bürgerrechten und politisch-institutionelle Kontrolle des Präsidenten den entscheidenden Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus ausmachen mag.

Von einigen Autoren der amerikanischen Neuen Linken werden neuerdings Widersprüche innerhalb des amerikanischen Kapitals und Friktionen in der herrschenden Klasse betont. Doch setzen sie an die Stelle des einen Kapitals nur zwei Kapitalfraktionen: Auf der einen Seite das „neue Geld", die nach dem Zweiten Weltkrieg emporgewachsenen elektronischen Rüstungsund Weltraumindustrien (der neue military-industrial-complex) die am amerikanischen Markt orientierte Lebensmittel-und Ölindustrie, geographisch im Süden und Westen der USA zu lokalisieren, daher kurz die Cowboys genannt;

auf der anderen Seite die Yankees aus dem Nordosten, die am Weltmarkt orientierten multinationalen Konzerne, das „alte Geld".

Johnson, Nixon und die Vietnam-Falken gelten in dieser Interpretation als typische Cowboys; F. D. Roosevelt, Kennedy, Rockefeller und die Vietnam-Tauben als typische Yankees Die Watergate-Affäre wird mutig — Mut zur Lücke — auf einen Kampf zwischen Cowboys und Yankees reduziert. Immerhin öffnen diese Autoren den Weg, entscheidende Schritte weiterzugehen hin auf eine Differenzierung nicht nur zwischen Kapitalfraktionen, sondern auch zwischen Einzelkapitalen, den verschiedenen organisierten Formen ökonomischer Interessenvertretung — wie National Association of Manufactures oder U. S. Chamber of Commerce — und der Art ihrer Interessendurchsetzung in politischen Institutionen, denen durchaus ein Eigengewicht zukommt.

Eine derart differenzierte Analyse der Watergate-Affäre ist allein wegen des geringen zeitlichen Abstandes, den wir zu ihr haben, und des daraus resultierenden Informationsdefizits momentan nicht zu leisten. Festzuhalten bleibt gleichwohl, daß Watergate nur Ausdruck für einen sozialökonomisch bedingten Funktionswandel der Präsidentschaft und die politisch-institutionelle Reorganisation des amerikanischen Regierungssystems ist. Die Watergate-Affäre kann daher durch bloßen Personalaustausch, eine sogenannte moralische Reinigung oder wenige institutionelle Maßnahmen — wie öffentliche Parteifinanzierung oder ein vom Kongreß verabschiedetes „Gesetz über Kriegserklärung“ — nicht überwunden werden. Die Zukunft der amerikanischen Demokratie wird vielmehr mit davon abhängen, daß Watergate als strukturell bedingte Krise des amerikanischen Regierungssystems erkannt wird und es entsprechend gelingt, die in dieser Affäre noch funktionierenden Kontrollen gegenüber präsiden-tiellem Machtmißbrauch institutionell und in der Gesellschaft abzusichern. *

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu James Reston im Vorwort zu: The End of a Presidency. By the Staff of the New York Times, Toronto, New York und London 1974, S. VII ff.

  2. Vgl. hierzu und zum folgenden Richard Nixon, Campaign Speech on the Nature of the Presidency vom 19. 9. 1968, in: Robert S. Hirschfield (Hrsg.), The Power of the Presidency. Concepts and Contro-versy, Chikago 1973, S. 165.

  3. Vgl. President Ford’s Inaugural Statement vom 9. 8. 1974, in: The End of a Presidency, a. a. O., S. 75.

  4. So die Überschrift eines Artikels in der New York Times vom 11. 8. 1974. Zum Ausspruch Mansfields vgl. Newsweek vom 26. 8. 1974, S. 22.

  5. Vgl. zu den verschiedenen gegen Nixon und seine Mitarbeiter erhobenen Anklagepunkten und Vorwürfen: The End of a Presidency, a. a. O., S. 32 ff.; J. Anthony Lukas, The Story Continued, in: New York Times Magazine vom 13. 1. 1974; Leonard Lurie, The Impeachment of Richard Nixon, New York 1973, S. 196 ff. Die vom House Judiciary Committee mit wechselnden Mehrheiten beschlossenen Articles of Impeachment sind u. a. veröffentlicht in: The End of a Presidency, a. a. O., S. 317 ff.

  6. Auch Präsident Johnson und der Demokratische Präsidentschaftskandidat von 1968, Hubert H. Humphrey, hatten von der Associated Milk Producers Incorporated (AMPI) Wahlkampfspenden erhalten. Vgl. Anthony Ripley, Some of Water gate's Debris Hits Democrats, in: New York Times vom 19. 5. 1974. Es ist in den Vereinigten Staaten durchaus üblich, daß Unternehmensverbände und Großkorporationen — die sogenannten fat cats — Wahlspenden auch und gerade dann an konkurrierende Kandidaten geben, wenn diese eine reae Chance haben, gewählt zu werden. Allein au-grund dieser Tatsache wäre es zu kurzschlüssg. von der Wahlkampffinanzierung auf Kapitalfra tionen und die Art und Weise ihrer Interesse durchsetzung folgern zu wollen.

  7. Der folgende Abschnitt ist dem von Heinrich August Winkler hrsg. Sammelband: Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974, und hier besonders den Beiträgen von Jürgen Kocka (Organisierter Kapitalismus oder Staatsmonopolistischer Kapitalismus? Begriffliche Vorbemerkungen) und Jürgen Puhle (Der Über-gang zum Organisierten Kapitalismus in den USA — Thesen zum Problem einer aufhaltsamen Entwicklung) verpflichtet. Zitat bei Puhle in: Winkler (Hrsg.), a. a. O., S. 174.

  8. Die sogenannte „interstate commerce clause“ der amerikanischen Verfassung, nämlich die Formulierung von Article I, Section 8, „The Congress shall have power ... to regulate commerce ... among the several States“, wurde gleichsam zur staatsinterventionistischen Offnungsklausel für vom Präsidenten formulierte und vom Kongreß legitimierte bundesweite wirtschaftsund sozialpolitische Maßnahmen.

  9. Independent Regulatory Commissions sind aufgrund eines legislativen Aktes gebildete und durch den Präsidenten unter Zustimmung des Senats personell besetzte Bundeseinrichtungen, deren Aufgabe es ist, in einen bestimmten Bereich der Wirtschaft regulierend einzugreifen. Die Independent Regulatory Commissions nehmen sowohl judikative, quasi-legislative (durch Setzen von Gewohnheitsrecht) wie exekutive Funktionen wahr und sind in das Gewaltenteilungsschema der amerikanischen Verfassung kaum einzuordnen, werden zuweilen als 4. Gewalt bezeichnet.

  10. Vgl. Gabriel Kolko, Railroads and Regulation, 1877— 1916, New York 1965; ders., The Triumph of Conservatism. A Reinterpretation of American Hi-story, 1900— 1916, New York 1963; James Weinstein, The Corporate Ideal in the Liberal State, 1900— 1918, Boston 1968.

  11. Puhle, in: Winkler (Hrsg.), a. a. O., S. 179.

  12. Das Department of Commerce and Labor wurde — besonders nach seiner Teilung in zwei selbständige Ministerien — zu einem ausgesprochenen Klientel-Ministerium, so daß die ursprünglich vorgesehene Aufgabe kaum voll wahrgenommen werden konnte.

  13. In der Art und Weise, in der hier die Legislative durch Executive Orders umgangen wird, sind diese mit Executive Agreements in der Außenpolitik vergleichbar.

  14. Vgl. hierzu — mit weiterführender Literatur — Manfred A. Dauses und Dieter O. A. Wolf, Die verfassungsreditlidie Problematik der „War Powers“ in den Vereinigten Staaten, in: PVS 15 (1974), S. 213— 244.

  15. Dem Senat werden Verträge mit nebensächichem Inhalt — z. B. über die Rückgabe gestohle-nersarchäologischer Gegenstände an Mexiko — zur Ratifizierung vorgelegt. Zentrale Fragen der Au?enpolitik — etwa das Lend-Lease-Abkommen mit roßbritannien 1940 oder Absprachen über die Stationierung amerikanischer Streitkräfte im Aus-

  16. Der angeblich schwache Präsident Eisenhower wußte das Instrument der „joint resolution" geschickt anzuwenden: So hat er durch eine derartige Resolution des Kongresses 1955 die Möglichkeit zur militärischen Intervention um Formosa legitimieren lassen, wie er auf der Grundlage einer joint resolution mit 14 000 amerikanischen Soldaten im Libanon dann tatsächlich intervenierte. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 159 ff.

  17. Zum executive privilege vgl. die im Kontext der Watergate-Affäre veröffentlichten Arbeiten von Raoul Berger, Executive Privilege: A Constitutional Myth, Cambridge, Mass., 1974 und Adam Carlyle Breckenridge, The Executive Privilege. Presidential Control Over Information, Lincoln, Nebraska, 1974.

  18. In der Watergate-Affäre hat der Supreme Court in der Frage der Herausgabe der Tonbänder gegen den Präsidenten entschieden, der sich in diesem Zusammenhang auf das executive privilege berufen hatte.

  19. Die Unterscheidung zwischen ministerieller und präsidentieller Exekutive wird im Anschluß an Schlesinger, Imperial Presidency, a. a. O., formuliert. In einschlägigen Handbüchern zum amerikanischen Regierungssystem wird häufig zwischen zwei Präsidentschaften, einer außen-und einer innenpolitischen, oder zwischen zwei außenpolitischen Funktionen des Präsidenten (Präsident als Oberbefehlshaber und Präsident mit Zustimmung des Senats als erster Diplomat des Staates) unterschieden. Beides ist hier nicht gemeint.

  20. Der Präsident hat in der Ministerialbürokratie auch bei den politischen Positionen — damit sind hier alle die gemeint, deren Besetzung der Zustimmung des Senats bedürfen — keine unbegrenzten Möglichkeiten zur Patronage. Vielmehr bedarf nach dem ungeschriebenen Gesetz der „Senatorial Courtesy'die Ernennung von Bundesbeamten (Richter, Postbedienstete, Steuereinzieher) in einem Einzelstaat jeweils der Zustimmung der Senatoren dieses Staates: Andernfalls würde der Senat sein bestätigendes Votum verweigern.

  21. Die Independent Regulatory Commissions werden hier zum „permanent government“ gezählt, da der Präsident auf die Politik dieser Institutionen noch weniger Einfluß hat als auf die der Ministerien. Organisatorisch soll die Unabhängigkeit dieser Kommission gerade dadurch gesichert werden,

  22. Shell, a. a. O„ S. 13. .

  23. Nur ein Teil der Mitglieder der Executive O fice bedürfen bei ihrer Ernennung der Zustimmung des Senats. So bedarf der Chef der Office of Management and Budget — das Kernstück der Executive Office — nicht senatorialer Zustimmung. Ein Gesetz, durch den dieser Zustand geändert worden wäre, scheiterte 1973 am Veto Präsident Nixons. Vgl. Shell, a. a. O., S. 28.

  24. Schätzungen gehen dahin, daß 80 % der vom Kongreß verabschiedeten Gesetze ihren AusgangsPunkt in der Exekutive hatten. Dies bedeutet naurlich nicht, daß die in der Präsidialbürokratie entworfenen Gesetze nicht u. U. erheblich im Parlament verändert werden. Vgl. Hans J. Kleinsteu-per. Die USA — Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, eine Einführung; Hamburg 1974, S. 92 f.

  25. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 167.

  26. A. a. O., S. 167 f.

  27. Besonders unter Präsident Nixon Ist die Executive Office unverhältnismäßig ausgeweitet worden. Waren 1954 unter Eisenhower hier 1 175 Personen beschäftigt und stieg diese Zahl bis 1963 auf 1 664, so schnellte sie bis 1971 auf 5 395. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 221.

  28. Der Vorschlag basierte auf der Empfehlung einer von Präsident Nixon eingesetzten und unter Leitung von Roy Ash — dem späteren Direktor der Office of Management and Budget — arbeitenden Kommission; vgl. Shell, a. a. O., S. 37 ff.

  29. Vgl. Emmet John Hughes, The Living Presi-dency. The Resources and the Dilemmas of the American Presidential Office, New York 1973, S. 182.

  30. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 220 f.

  31. Vgl. Theodore C. Sorensen, Decision Making in the White House, New York und London 1963, S. 70.

  32. Nur in wenigen Fällen sind Kabinettsmitglieder Special Assistants geworden, dann nämlich, wenn sie vor Untersuchungen des Kongresses durch das executive privilege abgeschirmt werden sollten. In allen diesen Fällen ging es um Fragen des Umweltschutzes, ein Bereich, in dem Nixon besonders leicht angreifbar war, da er hier dem Druck von Unternehmerinteressen häufig nachgegeben und entsprechende Anweisungen an die Kabinettsmitglieder gegeben hatte. Vgl. Breckenridge, a. a. O., S. 68, 119 ff.

  33. Zum inner circle um Nixon vgl. Background Information White House Staff and President Nixon's Campaign Organizations, Prepared by the Impeachment Inquiry Staff, in: The Impeachment Report. A Guide to Congressional Proceedings in the Case of Richard M. Nixon. Compiled and edi-ted by the staffs of United Press International and The World Almanac, New York 1974, S. 284; The Watergate Hearings. Proceedings of the Senate Select Committee on Presidential Campaign Activities, ed. by The New York Times, New York (Einleitung) 1973, S. 33. Theodore H. White, The Making of the President 1972, London 1973, S. 221 ff. 272 ff.; Berger, a. a. O., S. 343 ff.; Robert B. Semple, The Private Presidency, in: Hirschfield, a. a. O. S. 171 ff.

  34. Vgl. Breckenridge, a. a. O., S. 67 ff., 109; Berger, a. a. O., S. 378 ff. und Schlesinger, a. a. O., 251 ff.

  35. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 225 f.

  36. Im Weißen Haus bestand nach den Demonstrationen gegen die amerikanische Intervention in Kambodscha 1970 eine ausgesprochene Furcht vor der studentischen Linken, die daher zum Objekt der Observation gemacht wurde und die man unter den Wahlhelfern McGoverns wiederzuentdecken glaubte. Vgl. Watergate Hearings, a. a. O., S. 350 (Aussage John W. Dean). Ein Artikel der New York Times vom 23. 7. 1971, in dem über amerikanisch-sowjetische Verhandlungen zur Begrenzung der Raketenrüstung berichtet wurde, war der letzte Anlaß, um die „Klempner-Truppe" aufzustellen. Vgl. auch New York Times vom 19. 7. 1974. Zur Aufstellung dieses präsidentiellen Geheimdienstes vgl. auch White, a. a. O., S. 284 ff; Schlesinger, waO S. 260 ff. und Les Evans und Allen Myers, Watergate and the Myth of American Democracy, New York 1974, S. 37 ff.

  37. Vgl. Semple in Hirschfield, a. a. O., S. 175 f. Die große personelle Fluktuation in den Kabinetten Nixons ist u. a. auf die extreme Konzentration exekutiver Macht in der White House Office und die damit verbundene Bedeutungslosigkeit des Kabinetts und der Ministerien zurückzuführen. Während es Nixon 1968 noch gelang, relativ prominente Kabinettsmitglieder zu finden — Hickel, Romney, Finch, Laird, Connally — war das Kabinett von 1972 ausgesprochen farblos.

  38. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 239.

  39. Zum ersten Mal in der amerikanischen Ge-

  40. Der jeweilige Präsident und der Präsidentschaftskandidat der unterlegenen Partei sind daher faktisch die Parteiführer. Der nominelle Parteivorsitzende wird vom Präsidentschaftskandidaten ausgesucht und vom National Comittee bestätigt.

  41. Zur Gründung, Struktur und Arbeitsweise des Committee to Re-Elect the President, CRP — in der Presse ironisch als CREEP bezeichnet — vgl. White, a. a. O., S. XVIII, 269 ff.; Newsweek vom 23. 4. 1973, S. 22 ff.; Newsweek vom 7. 5. 1973, S. 32 ff; Newsweek vom 14. 5. 1973, S. 26 ff.; Lewis Chester, Cal McCristal, Stephen Aris, William Shawcross, Watergate oder die Arroganz der Macht, München 1974, S. 25 ff.; Impeachment Report, a. a. O., S. 288 ff.; Watergate Hearings, a. a. O., S. 50 ff., 229 ff., 484 ff.; Evans und Myers, a. a. O., S. 41, 95; Lurie, a. a. O., S. 127 ff.; Melvyn H. Bloom, Public Rela-tions and Presidential Campaigns: A Crisis in Democracy, New York 1973, S. 289 ff.

  42. Impeachment ist ein Instrument des präsidentiellen Regierungssystems, in dem es keine Wahl und Abwahl des Chefs der Exekutive (und anderer durch den Senat bestätigter und vom Präsidenten vorgeschlagener Amtsinhaber in der Exekutive und Judikative) durch das Parlament gibt: In besonders aufgeführten Fällen — „Treason, Bribery or other high Crimes and Misdemeanores“, so die Formulierung der amerikanischen Verfassung — kann in einem Prozeß, der formal dem vor einem Schwurgericht ähnelt, der Präsident abgesetzt werden. Entgegen der ursprünglichen Intention ist das Amtsenthebungsverfahren oder auch nur die Drohung damit als politisches Instrument gebraucht worden: Die heute zuweilen diskutierte Frage, ob nach dem Rücktritt Nixons das Impeachment nicht zu einer Quasi-Parlamentarisierung des amerikanischen Regierungssystems führen könne, ist in diesem Kontext zu sehen. Eine knappe Zusammenfassung zur Impeachmentproblematik findet sich — aus aktuellem Watergate-Anlaß geschrieben — in: Charles L. Black, Impeachment. A Handbook, New Haven und London 1974 (mit weiterführenden Literaturangaben).

  43. Auf dem Tonband befinden sich drei Gespräche zwischen Nixon und Haldeman vom 23. 6. 1972. Sie sind u. a. veröffentlicht in: The End of a Presi-dency, a. a. O., S. 327 ff. Nixon hatte den ihn belastenden Inhalt dieser Gespräche auch seinen Rechtsanwälten vorenthalten.

  44. Vgl. das Protokoll der Befragung in der New York Times vom 18. 10. 1974.

  45. Die Tragweite dieser Entscheidung kann kaum überschätzt werden: Bis zu dieser Entscheidung im August 1974 war es dem Präsidenten überlassen zu bestimmen, was unter das executive privilege fiel. Vgl. Berger, a. a. O., S. 350 ff. und Breckenridge, a. a. O„ S. 145 ff.

  46. Vgl. Schlesinger, a. a. O., S. 274 und Evans und Myers, a. a. O., S. 51 sowie das Interview mit Arthur M. Schlesinger im „Spiegel“ vom 28. 1. 1974.

  47. In den meisten Bundesstaaten gibt es in der Kommunalpolitik die Institutionen der special 48 tricts, die zur Bewältigung eines Problems (zKanalisation, Errichtung eines die einzelne K° mune überschreitenden öffentlichen Verkehrsn zes usw.) und insbesondere für Industrieansiegtup gen oder Schaffung einer „regionalen Infrastru für eine bestimmte Industrie gebildet werden.

  48. Typisch für diese undifferenzierte Position ist das schon mehrfach zitierte Buch der Trotzkisten Evans und Myers, a. a. O.

  49. Vgl. hierzu mit neuesten Literaturangaben Monika

  50. Die These von den „Cowboys" und den „Yan-

  51. Zu den heute in den Vereinigten Staaten diskutierten Vorschlägen, die Macht des Präsidenten einzugrenzen, gehören: Nach Schweizer Vorbild Umwandlung der Präsidentschaft in ein Kollegialorgan — Ausdehnung der Wahlperiode eines Präsidenten auf sechs Jahre und zugleich Verbot, für eine zweite Amtsperiode zu kandidieren — Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems nach britischem Vorbild. Vgl. hierzu Schlesinger, a. a. O., S. 382 ff. Ein 1907 erstmals von Theodore Roosevelt geäußerter Vorschlag, nämlich den Wahlkampf eines jeden Kandidaten um die Präsidentschaft aus öffentlichen Mitteln mitzufinanzieren, um auch dem armen Mann eine faire Chance zu geben, ist inzwischen vom Kongreß aufgenommen worden.

Weitere Inhalte

Peter Lösche, Dr. phil., geb. 1939 in Berlin; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Geographie in Berlin, Göttingen und den Vereinigten Staaten; Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin, den Universitäten Braun-schweig und Hamburg und in den Vereinigten Staaten; seit 1973 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen. Veröffentlichungen u. a.: Der Bolschewismus im Urteil der deutschen Sozialdemokratie 1903— 1920, Berlin 1967; Arbeiterbewegung und Wilheiminismus, in: GWU 20 (1969); Rätesysteme im historischen Vergleich, in : PVS 11 (1970), Sonderheft 2; Stages in the Evolution of the German Labor Movement, in: A. Sturmthai und J. G. Scoville (Hrsg.), The International Labor Movement in Transition, Urbana, Chikago, London 1973; Arbeiterbewegung und New Deal, in: H. A. Winkler (Hrsg.), Die große Krise in Amerika. Vergleichende Studien zur politischen Sozialgeschichte 1929— 1939, Göttingen 1973; Anarchismus — Versuch einer Definition und historischen Typologie, in: PVS 15 (1974); Industriegewerkschaften im organisierten Kapitalismus. Der CIO in der Roosevelt-Ära, Opladen 1974.