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Sowjetsystem und öffentliche Meinung | APuZ 13/1978 | bpb.de

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APuZ 13/1978 Artikel 1 Moskau und der Eurokommunismus Sowjetsystem und öffentliche Meinung

Sowjetsystem und öffentliche Meinung

Astrid von Borcke

/ 48 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die „öffentliche Meinung“ ist mittlerweile für die sowjetische Führung zum Problem geworden. Symptomatisch hierfür ist u. a. ein Artikel, der 1977 im Organ des Zentralkomitees der KPdSU erschien. Der Autor, R. A. Safarov, hat bereits eine ganze Reihe von zum Teil bemerkenswerten Untersuchungen über die Rolle der öffentlichen Meinung im System der staatlichen Leitung veröffentlicht, aus denen man geradezu eine Pragmatik zugunsten von mehr gesellschaftlicher Partizipation und Autonomie ablesen kann. überhaupt paßt „öffentliche Meinung“ gar nicht in das unter Stalin entwickelte politische System. Doch nach Stalins Tod begannen sich Probleme abzuzeichnen, die mit den hergebrachten administrativen Methoden nicht länger zu meistern waren — der tiefere Grund für ein neues, empirisches Interesse an der Gesellschaft, ihren Bedürfnissen und Bestrebungen. Die Breznev-Führung sieht vor allem, daß die Grundvoraussetzung für rationale Entscheidungen genaue Information ist, und eine vitale Form sozialer Information ist eben die öffentliche Meinung. Das gilt um so mehr in einem System, wo andere Rückmeldemechanismen — Märkte, unabhängige Parteien, eine freie Presse — fehlen. Zugleich möchte die Parteiführung offenbar die öffentliche Meinung gegen den traditionellen Bürokratismus der Staatsverwaltung ins Feld führen. Schließlich haben Entwicklungen in jüngster Zeit — die Rückwirkungen der Konferenz von Helsinki (1975) und die Aktualität der Grundrechtsproblematik, die Unruhen in Polen im Juni 1976, akute Mißstimmungen in der Bevölkerung angesichts von Versorgungsmängeln — die Frage der allgemeinen Stimmung im Lande wieder aufleben lassen. Dennoch dürfte die von Safarov geforderte und offenbar seit längerer Zeit von Breznev begünstigte Meinungsforschung im Rahmen des bestehenden politischen Systems bald auf Grenzen stoßen. Insofern ist die künftige Entwicklung der Meinungsforschung auch ein Barometer, an dem sich weitere Fortschritte (oder auch Rückschritte} in der politischen Modernisierung der Sowjetunion ablesen lassen.

I. Die „öffentliche Meinung" und das sowjetische politische System

Die August-Nummer des Kommunist (12, 1977) enthält einen ungewöhnlich anmuten-den Artikel von R. A. Safarov zu dem The-ma: „Die öffentliche Meinung unter den Bedingungen des entwickelten Sozialismus" 1). Safarov, Kandidat der Jurisprudenz und Mitarbeiter des Instituts für Staat und Recht, ist Autor einer Reihe von Untersuchungen über Fragen der staatlichen Verwaltung und speziell über die Rolle der öffentlichen Meinung im System der staatlichen Leitung 2). Bereits 1967 fiel er mit den bis dahin wohl kühnsten Vorschlägen zur Weiterentwicklung der politischen Wissenschaft in der Sowjetunion auf 3). Bemerkenswert an dem Artikel Safa-rovs im Kommunist ist nicht allein die Thematik, sondern vor allem auch die Tatsache, daß dieser Aufsatz im theoretischen Organ des Zentralkomitees der KPdSU erschienen ist.

Schließlich paßt öffentliche Meinung im eigentlichen Sinne — „die Ansicht der Gesellschaft über Angelegenheiten sozialer und politischer Natur" 4) — gar nicht in den hergebrachten Rahmen des sowjetischen politischen Systems, so daß sich Aleksandr Zi-nov’ev in seiner großen Satire über das Sowjetregime mit beißendem Spott über einen bekannten Soziologen mokiert, der „grandiose Feldarbeit" leiste über die „große Rolle einer öffentlichen Meinung", die „nie existiert" habe 5). Öffentliche Meinung im weitesten Sinne kann definiert werden als „die innerhalb einer politischen Einheit am häufigsten außerhalb der Privatsphäre vertretene Stellungnahme zu einem kontroversen Sachverhalt" 6).

INHALT I. Die „öffentliche Meinung" und das sowjetische politische System II. Die öffentliche Meinung als historisches Phänomen: Ihre Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft

III. Die sowjetische Ideologie und die öffentliche Meinung: Die Legitimierungsproblematik

IV. Die Modernisierung und die Herausbildung einer öffentlichen Meinung in der Sowjetunion: Von der Mobilisierung zur Partizipation?

V. Öffentliche Meinung und staatliche Leitung: Das Kommandosystem und seine Informationsprobleme VI. Der Kampf gegen den staatlichen Bürokratismus

VII. Systemfremde Einflüsse und interne Spannungen VIII. Schlußbetrachtung: Probleme und Zukunft der Meinungsforschung in der UdSSR Safarov selbst spricht von dem „Urteil oder dem Willen dieser oder jener sozialen Gesamtheit, vor allem einer Klasse oder sozialen Gruppe, die sich durch ihre relative Verbreitung, Intensität und Stabilität auszeichnen". Öffentliche Meinung setzt die Legitimität der Kontroverse voraus: „Eine Frage, die Gegenstand der öffentlichen Meinung werden kann, muß an sich verschiedene Standpunkte hervorrufen", betont Safarov. Für öffentlichen Meinungsstreit aber ist im sowjetischen System bislang kaum Raum gewesen. Dieses System ist ein Kommandosystem, das die angeblichen Interessen der Gesellschaft als ganzer a priori festlegt, also faktisch aufgrund politischer Entscheidungen, im Gegensatz zu einem Marktsystem, wo sich gesellschaftliches Interesse als Summe sich teilweise widersprechender Sonderinteressen ergeben soll Das sowjetische System hat daher öffentliche Politik im eigentlichen Sinne — d. h.den öffentlichen Widerstreit von Ideen, Interessen und Führerpersönlichkeiten — seit spätestens Ende der zwanziger Jahre nicht mehr gekannt. Diese ist im Namen eines „wissenschaftlich" begründeten Allgemeininteresses (in Gestalt des „Endziels" des „Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft") eliminiert worden. Die Ausschaltung der Öffentlichkeit ist in der Tat charakteristisch für „totalitäre" Regime, Massengesellschaften und Elitenherrschaften

Es gibt keinen verbindlichen Begriff dessen, was öffentliche Meinung eigentlich ist: Hierüber zeigt sich auch im Westen wenig Einigkeit unter Politologen, Soziologen und Sozialpsychologen. Die öffentliche Meinung ist so-gar als „propagandistische Finte" abgetan worden: Es gibt nicht die öffentliche Meinung, sondern nur „öffentliche Meinungen" oder „Meinungen in der Öffentlichkeit" (F. Tönnies). Dennoch steht hinter dem kontroversen Begriff ein echtes politisches Pro-blembewußtsein, eine sich anbahnende neue Beziehung von Staat und Gesellschaft in der Sowjetunion, worauf Safarov auch verweist Parteichef Breznev hat hierauf angespielt, als er betonte, Leitung liefe heute nicht mehr auf bloße „administrative Akte" hinaus

Die sowjetische Führung interessiert sich vor allem aus „manipulativen" bzw. instrumentalen Gründen für die öffentliche Meinung: Welche Faktoren ihres Zustandekommens sind steuerbar? Wie ist ihre systemerhaltende Rolle zu maximieren, ihr Einfluß als Störfaktor oder gar Gefahr zu minimieren?

Faktisch hat die Problematik der öffentlichen Meinung eine potentiell liberale Stoßrichtung: Sie impliziert, daß die sowjetische Gesellschaft heute von der Führung nicht länger als ein mehr oder minder passives Objekt angesehen werden kann. Insofern ist die öffentliche Meinung „im System der Institutionen der sozialistischen Demokratie" etwas qualitativ Neues, wie Safarov betont hat, bzw. sie spielt eine „historisch neue Rolle" Ideologisch ist die neue Bedeutung einer öffentlichen Meinung mit dem „Hinüberwachsen des Staates der Diktatur des Proletariats in den Staat des ganzen Volkes" begründet worden.

Die vom Histomat bestimmte traditionelle sowjetische Konstruktion der „öffentlichen Meinung" dient zwar der Legitimierung, ist aber für die praktische politische Entscheidungsfindung keine Hilfe. Diese hergebrachte ideologische Konzeption schwingt im Kommunist- Artikel Safarovs mit, wo erklärt wird, die öffentliche Meinung sei mehr als eine bloß „arithmetische Summe" von Einzelmeinungen; sie verleihe den „konkret-historischen Bedürfnissen" der Gesellschaft Ausdruck und bilde sich aufgrund von „Gesetzmäßigkeiten". Eine derartige öffentliche Meinung wird als eine Vorstufe des „gesellschaftlichen Bewußtseins" gedeutet, das seinerseits seinen „konzentrierten, zum System erhobenen Ausdruck" in der Ideologie finde, mittels derer wiederum die Partei ihren exklusiven Führungsanspruch begründet. Mit anderen Wor-ten: Die Konstruktion einer überempirischen öffentlichen Meinung, einer „sozialistischen Öffentlichkeit", einer „Meinung des ganzen an Volkes" eignet sich — im Anschluß die Theorie vom Klassenbewußtsein — als Rechtfertigung für den Anspruch der „bewußten" Elite bzw.des sozialistischen Staates auf Alleinherrschaft und schließt die Partizipation jener, die nicht das nötige „Bewußtsein" haben, aus. Diese „öffentliche Meinung" habe sich daher „auf Initiative der Partei und Sowjetorgane" zu manifestieren, d. h. unter faktischer staatlicher Leitung, da diese Organisationen in Wirklichkeit Bestandteile der einen einheitlichen Befehlshierarchie sind. In diesem Sinne schreibt Safarov: Die Partei sei der „Organisator des Studiums, der Bildung, Manifestierung, Realisierung und Entwicklung der öffentlichen Meinung des sowjetischen Volkes". Sie sei gewappnet mit der Kenntnis der Entwicklung" „Gesetze der gesellschaftlichen und kämpfe gegen die Überreste des Kapitalismus im Bewußtsein und Verhalten der Menschen sowie gegen rückständige Stimmungen. Für Safarov als empirischen Soziologen stellt sich die Frage jedoch ganz anders: Das Verhältnis der öffentlichen Meinung zum gesellschaftlichen Bewußtsein erscheint ihm als „wichtiges methodologisches Problem", dessen Zusammenhänge noch ungenügend er-

forscht seien. Es gelte, überhaupt erst die Kriterien zu entwickeln, die die öffentliche Meinung von der Summe individueller Ansichten unterscheiden.

„Das System der wissenschaftlichen Kategorien, die die wesentlichen Charakteristika der öffentlichen Meinung widerspiegeln", sei noch gar nicht genügend ausgearbeitet. „Nur ein wirklicher Zuwachs an Kenntnis über die öffentliche Meinung erlaubt uns, die Mechanismen ihrer Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise, die Spezifik ihres Zusammenhangs mit den Partei-, Staats-und Wirtschaftsorganen aller Ebenen, ihre Rolle im sozialen Fortschritt der Gesellschaft besser zu verstehen." Worum es also geht, ist die bessere Erkenntnis der Gesellschaft in ihrer Faktizität, um Information „über System, Struktur und Dynamik der Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen sozialen Gruppen zu gewinnen und latente und akute Widersprüche in den gesellschaftlichen Beziehungen zu erkennen ..." Das aber führt zu einer anderen Konzeption der öffentlichen Meinung als die durch den Histomat bedingte. Die öffentliche Meinung sei Ausdruck der „Lebensinteressen der Menschen", der „Interessen und Erwartungen der Massen", heißt es in Safarovs Artikel im Kommunist. Sie beträfe alles, was mit den Interessen der Gesellschaft zu tun hat.

Die öffentliche Meinung, präzisiert Safarov an anderer Stelle, hielte sich in allen Fragen für kompetent, die die Gesellschaft betreffen, einfach aufgrund der Tatsache, daß alle staatlichen Maßnahmen ihre Interessen berühren. Sie sei „eine Variante sozialer Kontrolle“. Sie urteile auch über die Partei. Versuche der Staat, die öffentliche Meinung nicht zu informieren, bilde sie sich trotzdem, aber höchstwahrscheinlich zu seinen Ungunsten. Es handele sich um ein relativ eigenständiges Phänomen, eine selbständige Form der Kontrolle, die, sofern sie aus eigener Initiative stattfände, „frei von jeglicher Organisiertheit und Leitung", wesentlich informell sei. Die öffentliche Meinung der einzelnen sozialen Gruppen weise ihre eigene Spezifik auf. Die öffent -liche Meinung der Gesellschaft bilde sich aufgrund der Meinungen von Kollektiven, Gruppen und Individuen, und sie ginge dem Volkswillen voraus.

„Leider werden nicht selten für das gesellschaftliche Bewußtsein, seine verschiedenen Formen, qualitative Charakteristika gegeben, ohne über die notwendigen quantitativen Informationen zu verfügen", was im Widerspruch zu den Erfordernissen sowohl der Praxis als auch der Theorie stünde. Für die sowjetische Politik, meint Safarov, sei es nicht etwa überflüssig, sondern notwendig, die öffentliche Meinung in Erfahrung zu bringen.

Die These vom „absoluten Monismus der öf-

fentliehen Meinung" sei auch in „politischer Hinsicht, aus der Sicht der Entwicklung der Demokratie", „äußerst dubios". Im Gegenteil, „bestimmte Widersprüche zwischen den Positionen der Organe der staatlichen Leitung und der öffentlichen Meinung sind nicht ausgeschlossen". Auch die offiziellen gesellschaftlichen Organisationen brächten nicht immer die öffentliche Meinung zum Ausdruck. Meinungskonflikte, wenigstens in gewissen Fragen, seien etwas Natürliches.

Alles in allem läuft das letztlich auf eine ziemlich vernichtende Kritik am Dogma des Histomat hinaus. Die empirische Meinungsforschung hat in der Praxis einen latenten Interessenpluralismus aufgedeckt, der Schlüsseldogmen der Ideologie — die Doktrin der Interessenidentität von Staat und Gesellschaft, die Behauptung der sozialpolitischen und ideologischen Einheit, nicht zu sprechen von der angeblich neuen historischen Menschengemeinschaft — in Frage zu stellen droht, ungeachtet des aus westlicher Sicht zweifellos beachtlichen Konsenses. Denn, so erklärte B. A. Grusin, der Leiter des 1960 auf Initiative der Redaktion der Komsomol'skaja pravda gegründeten Instituts für öffentliche Meinung: „Es gab keine einzige Befragung, bei der sich nicht die Tatsache einer Vielzahl von Meinungen mit hinreichender Klarheit manifestiert hätte.“

Würde die Führung aber konzedieren, Interessenpluralismus sei etwas Legitimes, könnte sie letztlich den Anpruch der Partei auf exklusive Leitung gefährden, insofern dieser mittels einer angeblich wissenschaftlichen Theorie begründet wird, die es ermögliche, die jeweils historisch (einzig) richtige Linie zum Ausdruck zu bringen Faktisch wünscht die Führung heute schon alternative Lösungsvorschläge zu anstehenden Problemen, um optimal entscheiden zu können. Gibt man aber zu, daß es zu Problemen mehr als eine vertretbare Lösung geben kann, würde im Grunde auch Opposition legitim.

Die Konzeption der öffentlichen Meinung hat eine heimliche liberale Spitze, da sie auf eine Macht hindeutet, die „über den Institutionen der Staatsmacht steht und deren Aktivität bewertet und kontrolliert" Denn die Bürger, so begründet Safarov die Rolle der öffentlichen Meinung vis-ä-vis der Staatsmacht, seien letztlich allein kompetent, zu beurteilen, ob der Staat ihre Bedürfnisse befriedige. Das aber ist eine Sichtweise, die schließlich zugunsten von mehr individueller und gesellschaftlicher Partizipation und Autonomie sprechen müßte.

Dieses Motiv, ja das Recht auf einen staats-'freien Raum, schwingt bei der Diskussion der Menschenund Bürgerrechte mit, die eine wesentliche Rolle bei den Entfaltungsmöglichkeiten der öffentlichen Meinung spielen, worauf u. a.der Dissident A. Amal'rik verwiesen hat. Der Rückgriff auf die ursprünglich liberale Konzeption dieser Rechte aus der Zeit der amerikanischen und französischen Revolution ist in der juristischen Literatur in der Tat bereits aufgetaucht (Erst mit der Herausstellung der sozialen Rechte wurde aus dem Anspruch auf Freiheit vöm Staate ein Anspruch an den Staat auf sein Eingreifen, weshalb u. a. das sowjetische offizielle Den-ken auch diesen sozialen Aspekt betont.)

Mit der Wiederbelebung der Problematik einer öffentlichen Meinung — und damit implizite der Forderung nach mehr Publizität und Partizipation — wird in gewissem Sinne eine Entwicklung wieder aufgenommen, die schon einmal im Rußland des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch gekommen war, als die Gesellschaft begann, sich zunehmend aus der universalen staatlichen Bevormundung zu befreien, die für die russische Geschichte typisch gewesen ist. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begeisterte sich Dmitrij Pisarev, der Hauptsprecher des „Nihilismus"

(einer radikalen Strömung, mit der die eigentliche Oppositionsbewegung in Rußland begann), für Voltaire, eben weil dieser Europa eine öffentliche Meinung gegeben hätte:

„Voltaire bewies Europa, daß es eine lebendige, aktive und selbstbewußte Persönlichkeit sein kann und soll und nicht das tote und passive Material, an dem verschiedene Kanzleien, Diplomaten und Feldherren ihre Talente zur Schau stellen und ihre Experimente durchführen."

Will man die ganze politische Tragweite des so schwer konkretisierbaren Begriffs einer öffentlichen Meinung ermessen, ist eine Rückbesinnung auf die Geschichte angebracht. Diese Rückschau liegt um so näher, als das sowjetische politische System als eine Art funktionales Äquivalent der absolutistischen Monarchie Westeuropas deutbar ist

II. Die öffentliche Meinung als historisches Phänomen: Ihre Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft

öffentliche Meinung setzt voraus, daß es in der Gesellschaft Fragen gibt, die umstritten sind. Sie entstand in Westeuropa, als größere soziale Gruppen begannen, sich über religiöse Fragen, politische Ordnungen, Werte und Ideologien Gedanken zu machen. Kurz, sie ist ein Phänomen der Neuzeit. Eine auf Tradition und Konsens beruhende Gesellschaft kennt keine öffentliche Meinung. Es sei gefährlich, sich selbst eine Meinung zu bilden, warnte der Hl. Augustin, d. h. „sich einzubilden, zu wissen, was man nicht weiß"

Die Reformation leistete der Entstehung einer öffentlichen Meinung Vorschub mit ihrem Angriff auf den Klerikalismus und indem sie dem Individualismus Auftrieb gab. Der Protestantismus begründete auch die Vorstellung, daß Respekt allein dem Amt, nicht aber dem jeweiligen Amtsinhaber gebühre

Hinter dem Aufkommen der Idee einer öffentlichen Meinung stand eine Autoritätskrise einerseits und ein neuer Individualismus andererseits. Modernisierung und damit die Erschütterung überlieferter Werte spielte hierbei eine entscheidende Rolle, ebenso wie verbesserte Kommunikation und zunehmende Bildung. Der Ausspruch Alcuins vor Karl dem Großen — „vox populi, vox dei" — wurde zum ersten Mal im 18. Jahrhundert beifällig zitiert.

Der Begriff der öffentlichen Meinung ist eine Schöpfung der Aufklärung, die ihn gegen die absolutistische „Kabinettspolitik" ins Feld führte. Dahinter stand das Aufkommen einer neuen sozialen Kraft, so daß den Denkern des 18. und 19. Jahrhunderts die öffentliche Meinung geradezu wie ein aufziehender Sturm erschien Seit den 1760er Jahren setzte in Europa die Industrialisierung, die moderne Politik und die große Revolte gegen aristokratische Regime ein. Mehr Bücher denn je wurden veröffentlicht, Pamphlete wurden ein immer beliebteres Mittel, Ideen unter die Menschen zu bringen; die Presse gewann zusehends an Einfluß Die Gebildeten begannen, ein neues Interesse am staatlichen Leben zu nehmen. Seit der Mitte des Jahrhunderts veröffentlichten die französischen Parlamente ihre Remonstranzen, seit den 1760er Jahren das englische Parlament seine Debatten. „Government is founded on opinion only", hatte Hume in den 1740er Jahren erklärt. In den ein bis zwei Jahrzehnten vor der Französischen Revolution wurden die Begriffe „esprit pu-blic" und „voix publique" gängig. Necker sprach von der „opinion publique", die er mit einem Gerichtshof verglich Die Menschen wurden gewahr: Es waren viele, die dieselben Veröffentlichungen lasen und sich mit denselben Fragen befaßten.

Der Aufklärung bedeutete die öffentliche Meinung jedoch nicht etwa Rebellion, sondern ein Forum, auf dem sich vernünftiges Urteil durchsetzen würde. Individuelle Abweichungen von der Vernunft würden sich in der Masse ausgleichen. Uber moralische Wahrheit, so erklärte Bayle, herrsche Übereinstimmung

Das aufklärerische Verständnis der öffentlichen Meinung wurde im 19. Jahrhundert vom Liberalismus auf den neuen Verfassungsstaat übertragen. Meinung ist zwar etwas Veränderliches und Subjektives — worauf im Anschluß an Platon Kant verwiesen hat —, doch ihre Öffentlichkeit, d. h. die Tatsache, daß prinzipiell niemand von ihrer Bildung ausgeschlossen sein dürfe, würde bewirken, daß sich schließlich ein vernünftiger Konsens bil-de. Denn eine öffentlich geäußerte Meinung bleibt nie die einzige, sondern führt zu Kritik und Diskussion In diesem Sinne bedeutete öffentliche Meinung (im Idealfall) also, daß die Subjekte, die die Träger des staatlichen Willens sind, ihre Meinungen öffentlich und frei äußern können mit dem Ziel der Meinungsbeeinflussung und autonomen Meinungsbildung — die Grundidee des klassischen Parlamentarismus.

Die öffentliche Meinung, so resümierte F. Tönnies, „erhebt selber den Anspruch, allgemeine und gültige Normen zu setzen, und zwar nicht aufgrund eines blinden Glaubens, sondern der klaren Einsicht in die Richtigkeit der von ihr anerkannten, angenommenen Doktrinen" Mit anderen Worten: Diese Meinung bildet sich aufgrund von Urteil und nicht von Autorität, so daß J. S. Mill bemerkte: „There is the greatest difference between presuming an opinion to be true, because, with every opportunity for contesting it, it has not been refuted, and in assuming its truth for the purpose of not permitting its re-futation."

Für den klassischen Liberalismus stand hinter der Idee einer öffentlichen Meinung auch ein besonderer, klar identifizierbarer Personenkreis, nämlich der „gebildete Durchschnittsmensch" (Bluntschli), mit anderen Worten Menschen aus dem Adel und Bürgertum, die die Gemeinsamkeit der Bildung und der aus Philosophie, Wissenschaft und Dichtung gewonnenen Grundsätze auszeichnete. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Vorstellung von der öffentlichen Meinung jedoch zunehmend mit der aus einer anderen politischen Tradition als dem liberalen Parlamentarismus stammenden Idee der Volkssouveränität identifiziert und verlor damit zugleich einen besonderen Träger.

Mit der zunehmenden Einbeziehung der bis dahin politisch unterprivilegierten Schichten in das staatliche Leben gewann die Agitation, der Appell primär an die Emotionen, an Bedeutung. Die Praxis diktatorischer Regime (so bewies schon Louis Napoleon) sowie die Einsichten moderner Psychologie machten die Manipulierbarkeit der Massen deutlich Max Weber charakterisierte die öffentliche Meinung „unter den Bedingungen der Massendemokratie" daher als „ein aus irrationalen , Gefühlen'geborenes, normalerweise von Parteiführern und Presse inszeniertes oder gelenktes Gemeinschaftshandeln", das für den rationalen Ablauf von Justiz und Verwaltung mindestens ebenso schädlich sein könnte wie die „Kabinettsjustiz" eines „absoluten" Herrschers

Mit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 1936 traten die „polls", die Meinungsumfragen, ihren Siegeszug an. Diese sind ursprünglich ein Instrument der kapitalistischen Marktwirtschaft: Sie dienen zur Ermittlung der Absatzchancen von Produkten. Nunmehr wurde diese Technik auf die Politik übertragen.

Das Ergebnis hat kaum etwas mit dem klassischen Begriff einer öffentlichen Meinung gemein, denn es handelt sich um das Zusammentragen von privaten, nicht einmal öffentlich vertretenen Meinungen, so daß Carl Schmitt von einer „modernen Art der Akklamation“ gesprochen hat Paul Valery meinte sarkastisch: „La politique at ete long-

temps Part d'empecher les hommes de se meler de ce qui les regarde, eile est devenue l’art de les interroger sur ce qu'ils igno-

rent." — („Lange Zeit ist die Politik die Kunst gewesen, die Menschen daran zu hindern, sich in die Dinge einzumischen, die sie betreffen; nun ist sie die Kunst geworden, sie über Dinge zu befragen, über die sie nicht Bescheid wissen.")

Doch im demokratischen und marktwirtschaftlichen Staat ist auch die „latente" öffentliche Meinung, das unartikulierte Meinen von Individuen, primären, privaten und unorganisierten Gruppen bedeutsam, da es das Konsumund Wahlverhalten bestimmt. Darüber hinaus gibt es einen tieferen Grund, warum das so schwer faßbare Phänomen öffentliche Meinung, das manche als bloßes Phantom abgetan haben, weiterhin eine zentrale Rolle im politischen Denken und Handeln unserer Zeit spielt: „Ohne die Substitution der öffentlichen Meinung als des Ursprungs aller Autorität der für die Gesamtheit verbindlichen Entscheidungen mangelt der modernen Demokratie die Substanz ihrer eigenen Wahrheit."

Das gilt nicht minder für die Sowjetunion.

III. Die sowjetische Ideologie und die öffentliche Meinung: Die Legitimierungsproblematik

Der sowjetische Staatsgründer Lenin stand der öffentlichen Meinung ambivalent gegenüber — eine Ambivalenz, die letztlich typisch für den demokratischen Radikalismus überhaupt ist und die das sowjetische Denken bis heute geprägt hat.

Als Erbe einer langen demokratischen, ja anarchistischen Tradition war Lenin ein plebiszitärer Impuls nicht fremd, zumal es der russischen oppositionellen Denkart entsprach, die Gesellschaft dem Staate entgegenzustellen — ein Moment, das im russischen Begriff obscestvennoe mnenie, „gesellschaftliche Meinung", mitschwingt. „Wir wollen, daß die Regierung immer unter der Kontrolle der öffentlichen Meinung ihres Landes steht", beteuerte Lenin „Sind wir Volksvertreter, dann müssen wir sagen, was das Volk denkt und will" „... Nur dann können wir regieren, wenn wir das richtig zum Ausdruck bringen, was das Volk empfindet"

Doch Lenin, der große Theoretiker des revolutionären „Bewußtseins", geprägt von den Ideen der „russischen Aufklärer" der 1860er Jahre, war ein Gegner jeglicher „Spontaneität" und damit eines jeglichen Liberalismus: „Jede Prostration vor der Spontaneität der Arbeiterbewegung . .. verstärkt unweigerlich den Einfluß der bürgerlichen Ideologie auf diese ..

Im Grunde wußte er sich im Besitz einer absoluten Wahrheit (worauf Kautsky mit Recht verwiesen hat). „Leute, die wirklich überzeugt sind, daß sie die Wissenschaft vorwärts gebracht haben, würden nicht die Freiheit der neuen Ansichten neben den alten fordern, sondern daß letztere durch erstere ersetzt werden", erklärte Lenin

Auch Lenin war im Grunde von jenem „ascendant de l'evidence" beseelt, von dem die Physiokraten (in denen Tocqueville die eigentlichen Theoretiker der Französischen Revolution gesehen hat) gesprochen hatten. So meinte Mercier de la Riviere: „Eine Nation, die glaubt, daß Autorität auf Stimmenmehr-heit beruht und die eine solche Mehrheit an die Stelle der augenscheinlichen Vernunft (, l'evidence') stellt, hat sicherlich keine Kenntnis der bestmöglichen politischen Ordnung."

Etwa in demselben Sinne meinte Lenin: „Wir haben nicht das Recht, auch nur um Haaresbreite davon abzukommen, die Masse der Bevölkerung von der Richtigkeit unserer Ideen zu überzeugen." Lenin hatte seine Laufbahn als eigenständiger Theoretiker des revolutionären Sozialismus mit der Einsicht begonnen (die er mit dem Revisionismus teilte): aus eigenen Kräften sei die Arbeiterklasse nur zu „Gewerkschaftsbewußtsein" fähig Die Marxsche Synthese aus deutscher Philosophie, französischer Politik und britischer Nationalökonomie war zerbrochen, die ja gerade in der „Vereinigung der großen Volksmassen mit einem über sie hinausgehenden Ziel" bestanden hatte

Während Bernstein als liberaler Demokrat für die „Bewegung" optierte, wählte Lenin als Revolutionär das „Endziel": Die Interessen der Revolution standen für ihn — erklärtermaßen — über denen des Proletariats

Damit war der Bereich der Demokratie verlassen, die Marx im Anschluß an Rousseau als die „wahre Einheit des Allgemeinen und Besonderen" definiert hatte, wo das „formale Prinzip zugleich das materielle Prinzip" sein würde

Auch Marx hatte betont, es handele sich nicht darum, „was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat sich einstweilen vorstellt" „Ich habe stets der momentanen Meinung des Proletariats getrotzt" Aber für ihn war es die Geschichte selbst — und nicht etwa eine Partei oder gar ein Führer —, die das Proletariat „zu Bewußtsein"

bringen würde. Er lehnte daher die aufklärerische Idee einer „Erziehungsdiktatur"

— wie sie von Morelly über Babeuf und Blanqui bis hin zu Lenin vertreten worden ist — ausdrücklich ab: Der Erzieher müsse selbst erzogen werden

Lenin hat allerdings nie die letzten politischen Konsequenzen aus seiner faktischen politischen Entmündigung des Proletariats gezogen.

Bezeichnend hierfür war, daß er bis zuletzt nur zögernd seine Theorie von der Rolle der revolutionären Partei mit seinen Vorstellungen über den revolutionären Staat im „Übergang" in Beziehung brachte In der Praxis aber trat für ihn die Partei an die Stelle der Klasse als deren gewissermaßen institutionalisiertes Bewußtsein. Diese Konzeption müßte auf den Herrschaftsanspruch der „bewußten" Elite hinauslaufen, die — wie seine Gegner ihm bereits zu Beginn des Jahrhunderts Voraussagten — sich logischerweise schließlich ihrerseits ihrer Führung zu unterwerfen haben würde. Faktisch hatte Lenin da-mit eine Wendung nachvollzogen wie vor ihm Rousseau: Rousseau hatte die Theorie der radikalen Demokratie als Antwort auf das Denken von Hobbes, des Theoretikers des Absolutismus, entwickelt, indem er von der Einsicht ausging, daß Macht nicht Recht schaffen kann. Aber die Demokratie als herrschaftslose Ordnung, begründet auf der volontegenerale, setzte im Grunde „ein Volk von Göttern" voraus Rousseau gelangte schließlich zu dem Schluß, sollte das unmöglich sein — und er glaubte immer weniger an seine Utopie —, so bliebe als Alternative nur noch „le hobbisme le plus parfait" Lenins Denken machte eine analoge Entwicklung durch: Sollte es „keine ideale [sic! ] Diszipliniertheit und kein ideales Bewußtsein" geben, so könnte die Einführung der „nötigen Unterordnung" die „scharfen Formen einer Dikta-tur" annehmen also einer Diktatur auch über das Proletariat.

Als Revolutionär neigte Lenin dazu, an wenigstens zeitweise „bewußte" Momente des Proletariats zu glauben. Im übrigen war er bereit, „Klassenbewußtsein" durch Manipulation zu ersetzen — wie die russischen Blan-quisten vor ihm.

Auf die bolschewistische Machtergreifung, den coup einer Partei, die in freien Wahlen eben ein Viertel aller Stimmen auf sich vereinigen konnte, folgte der Ausschluß aller Opposition. Das Ergebnis dieser Linie war absehbar: „Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse-und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder der öffentlichen Institutionen, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt."

Nach Beendigung des Bürgerkrieges wurde mit dem Fraktionsverbot die Demokratie auch in der Partei ausgeschaltet, als 1921 der X.

Parteitag mittels wirtschaftlicher Konzessionen (der NEP) die politische Herrschaft retten sollte.

Es war eine Zeit der Krise, auch in der Partei, die in verschiedene administrative und bürokratische Cliquen auseinanderzufallen drohte Aber dahinter stand eine tiefere Logik: Eine Partei, die allen die Freiheit nimmt, kann selbst nicht frei bleiben. Kame-

nev brachte das deutlich zum Ausdruck:

„Wenn man heute sagt, wir wollen die Demokratie in der Partei, wird man morgen sagen, wir wollen die Demokratie in den Gewerkschaften; übermorgen können die Arbeiter, die nicht der Partei angehören, sagen: Gebt uns auch Demokratie. . ., und dann könnte man sicherlich auch die Myriaden Bauern nicht daran hindern, ebenfalls Demokratie zu fordern."

Fraktionsfreiheit in der Partei, erklärte Zi-nov'ev 1923, sei gleichbedeutend mit der Freiheit, „parallele Embryo-Regierungen" bilden zu können

Das von Stalin entwickelte politische System war eine konsequente, wenn auch brutale Lösung gewisser Grundwidersprüche des Leninismus. Es war ein System, das es der politischen Führung erlaubte, den Kampf gegen die Kräfte der Gesellschaft erfolgreich aufzunehmen.

Soweit es rein rationaler Deutung zugänglich ist, war das Stalinsche System wesentlich ein „Mobilisierungsregime". „Totalitäre" Mobilisierung aber bedeutet, daß Ressourcen aus der Kontrolle von Kollektiven der gesellschaftlichen Subsysteme auf nationale Instanzen übertragen werden. Denn die zu überwindenden traditionellen Auffassungen und Lebensweisen erhalten sich am längsten gerade im Bereich der Primärgruppen Kommunistische Revolutionen sind also interpretierbar als eine Methode, um mit politischen Mitteln jene Entwicklung zu erzwingen, die die Gesellschaft spontan nicht aus sich hervorzubringen vermochte

Der Stalinismus beinhaltete die Durchsetzung einer geringen Zahl von Prioritäten (in den zwanziger und dreißiger Jahren die Entwicklung der Kohle-und Stahlindustrie und des einfachen Maschinenbaus) mit gewaltsamen Mitteln. Der Preis hierfür war kontrollierte Unterentwicklung in den nicht-prioritären Bereichen. Das noch relativ niedrige Niveau der neuen Industrie erlaubte die administrative Zentralisation auch der täglichen Leitung

Der Führung ging es um die revolutionäre Transformation der Gesellschaft, nicht um die Erkenntnis ihrer tatsächlichen täglichen Bedürfnisse und Bestrebungen, die faktisch „konterrevolutionär" sein mußten

Stalin kam dabei die Leninsche Konzeption der Partei zur Hilfe, die sich „über die einstweiligen Interessen des Proletariats" zu erheben hätte, denn es wäre keine „wirkliche Vorhut", die ihre Aktivität auf das bloße Registrieren der Leiden und Gedanken der proletarischen Massen beschränke Der Einfluß der Gesellschaft sollte bewußt aus der Politik ausgeschaltet werden: Jede Rücksicht auf ihre Bedürfnisse und Aspirationen hätte nur das radikale Programm und letztlich — zumal angesichts des angerichteten Chaos — die Führung selbst in Frage gestellt. Seit Ende der zwanziger Jahre beschränkte sich das Regime in seiner Kommunikationspölitik auf Befehle von oben. Der Apparat wurde bewußt gegen gesellschaftliche Einflüsse immunisiert. Es war also kein Zufall, daß der bloße Begriff einer öffentlichen Meinung im entsprechenden Band der unter Stalin herausgegebenen Großen. Sowjetenzyklopädie von 1939 gar nicht auftaucht.

Während Lenin der empirischen Sozialforschung gegenüber noch Aufgeschlossenheit gezeigt hatte, wurde unter Stalin 1929 — im Jahre der Kollektivierung und des ersten Fünfjahrplanes — der positivistische Wissenschaftsbegriff verbannt. Die Führung interessierte nicht mehr Information über die Gesellschaft, sondern allein die praktischen Probleme ihrer Beherrschung. Dazu diente der Historische Materialismus: Die Ideologie hatte die Diskussion politischer Alternativen zu unterbinden, die Politik der Führung „wissenschaftlich" zu begründen sowie die Massen zu mobilisieren und zu indoktrinieren Für Stalin blieben die Menschen bloße „Schräubchen in den Rädern des großen Staatsapparates", wie er es in seinem Toast auf dem Siegesbankett vom Juni 1945 ausdrückte.

IV. Die Modernisierung und die Herausbildung einer öffentlichen Meinung in der Sowjetunion: Von der Mobilisierung zur Partizipation?

Safarov gelangt in seinem Kommunist-Artikel zu dem Schluß: „Je höher das Niveau der Kultur, desto effektiver wird auch die öffentliche Meinung. Und umgekehrt: Der Zustand der hängt u. a. auch davon wie Kultur ab, vollständig die öffentliche Meinung zum Ausdruck kommt."

Die heute in der Sowjetunion aktuelle Problematik einer öffentlichen Meinung ist in der Tat Produkt der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Modernisierung, die es mit sich gebracht hat, daß der Histomat als Instrument sozialer Kontrolle zusehends zu versagen beginnt. In der Praxis muß man sich also zunehmend über traditionelle ideologische Prämissen hinwegsetzen. Die Erfordernisse der Industrialisierung und der Uberlebenskampf des Regimes im Zweiten Weltkrieg führten zum Aufstieg neuer funktionaler Eliten. Der Staatsapparat stärkte sich, ja er überflügelte bedeutungsmäßig zeitweilig sogar die Partei. (Dieser Entwicklung bereitete Chruev 1957 ein Ende, als er die „parteifeindliche Gruppe" aus dem Politbüro hinaus-manipulierte). Safarov verweist ausdrücklich auf die Rolle der Spezialisten bei der Bildung der öffentlichen Meinung.

Der Trend zur funktionalen Spezialisierung hat den für das heutige sowjetische Regime typischen „Apparate-Pluralismus" bedingt.

Das verhalf der (einstweilen noch rein bürokratischen) Politik zum Durchbruch und damit der erhöhten „intrasystemaren“ Debatte, was nicht ohne Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Meinungsbildung sein konnte.

Zudem belebten sich nach Stalins Tod auch innerhalb der Partei protodemokratische Prozeduren im ZK und auf der unteren Ebene

Die „öffentliche Meinung" der Partei ist heute ein oft zitierter Faktor so daß Safarov sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Spezialuntersuchungen machen möchte.

Die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges gewonnene Weltmachtrolle der Sowjetunion führte zu einer, wenn auch unbeabsichtigten, ersten Öffnung gegenüber der Außenwelt: Bereits in der danov-Ära wurde die aktive Auseinandersetzung mit den Ideen des gegnerischen Systems auf die Tagesordnung gesetzt. Der XX. Parteitag (1956) erbrachte die „Rehabilitation" der empirischen Sozialwissenschaften. Ein wesentlicher Faktor hierbei war, daß sich neue Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft abzuzeichnen begannen, die mit dien traditionellen administrativen Methoden nicht länger in den Griff zu bekommen waren: Mit der 1956 erfolgten Aufhebung der von Stalin 1940 während des Krieges dekretierten Bindung an den Arbeitsplatz und der möglichen Zwangsversetzungen wurde die Arbeitskräftefluktuation zum Problem. (1975 Wechselte jeder Fünfte einmal im Jahr den Arbeitsplatz!) Seitdem die elementarsten Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt sind, hat man mit dem Problem unverkäuflicher, minderwertiger Konsumgüter zu kämpfen. Die demographische Entwicklung ist mittlerweile besorgniserregend, da die Slawen drohen, zur Minderheit in ihrem Vielvölkerstaat zu werden usw.

Auf dem XXV. Parteitag (1976) nannte Breznev daher neben der öffentlichen Meinung folgende Themen, die die empirischen Sozialwissenschaften untersuchen sollen: Arbeitsmotivation, das tatsächliche Arbeitsverhalten, demographische Entwicklungen, Wandel in der Sozialstruktur. Derartige Sachzwänge erklären, wieso gerade in dem im übrigen wenig experimentierfreudigen Brenev-Re-

gime die Meinungsforschung ihren eigentlichen Aufschwung genommen hat und zwar aufgrund ihrer Rolle als wesentliche soziale Information.

Auch reine Prestigeerwägungen trugen dazu bei, daß die sowjetischen Sozialwissenschaftler im Laufe von etwa einem Jahrzehnt das methodische Instrumentarium der westlichen Soziologie rezipierten. Im Zuge der von Chruscev auf dem XX. Parteitag 1956 verkündeten Koexistenz-Politik begannen sie, an internationalen Konferenzen teilzunehmen und mußten sich daher, schon um mitreden zu können, mit den neuen Ideen näher vertraut machen.

Eine moderne Supermacht kann sich im Interesse der Weiterentwicklung ihrer Wissenschaft, Technik und Wirtschaft nicht völlig von der Außenwelt abkapseln. Faktisch gibt es mittlerweile in der Sowjetunion kaum noch Ideen, die nicht in der einen oder anderen Form gedruckt werden können d. h., so lange sie nicht die Legitimität des Regimes als solchen, die Führung und ihre grundlegende politische Linie in Frage stellen. (Hierin besteht weiterhin ein wesentlicher Gegensatz zur westlichen liberalen Demokratie.) Die öffentliche Meinung über politische Fragen habe Klassencharakter, schreibt Safarov: „Zum Beispiel kann es im Urteil über das Niveau der Demokratie keine Neutralität geben." Im ganzen aber haben die partei-und ideologiefreien Räume erheblich zugenommen so daß das sowjetische Regime heute in mancher Hinsicht offener ist als je zuvor in seiner Geschichte. Das zeigen die neuen Einstellungen gegenüber der Rüstungskontrolle, der Kybernetik, der Umweltproblematik, dem modernen Management, dem Gebrauch quantitativer Methoden in den Sozialwissenschaften bis hin zur Mode

Akademiemitglied Fedoseev zitierte kürzlich vielsagend Lenin: „Unter den Bedingungen des Imperialismus werden die reaktionären Übergriffe durch den Fortschritt der Wissenschaft selbst hervorgerufen."

Das Zeitalter moderner Massenkommunikation hat zwar dem Staat noch nie dagewesene Möglichkeiten zur systematischen Indoktrination geliefert, zugleich aber gefährdet es sein Informationsmonopol: In der Zeit von 1964 bis 1974 z. B. stieg die Zahl der Kurzwellen-Radios in der Sowjetunion (auf die das Regime bei den großen Weiten des Landes angewiesen ist, um mit der eigenen Bevölkerung in Kontakt zu bleiben) von ca. 35 Millionen auf 57, 1 Millionen Empfänger. Man schätzt, daß etwa 40— 60 Millionen Personen regelmäßig ausländische Nachrichten hören (was an sich, im Gegensatz zur Verbreitung derartiger Informationen, noch kein Delikt ist). Wichtige Informationen, die nur über ausländische Sender zu erhalten sind, sollen 50— 75 ’/o der Bevölkerung erreichen

Oswald Spengler nannte einmal die öffentliche Meinung eine Erscheinung der großen Städte. Auch in der Sowjetunion hat die Urbanisierung — und damit der einsetzende Bruch mit den bäuerlichen Traditionen — eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung einer öffentlichen Meinung gespielt: Seit En-de der fünfziger Jahre be ’/o der Bevölkerung erreichen 70).

Oswald Spengler nannte einmal die öffentliche Meinung eine Erscheinung der großen Städte. Auch in der Sowjetunion hat die Urbanisierung — und damit der einsetzende Bruch mit den bäuerlichen Traditionen — eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung einer öffentlichen Meinung gespielt: Seit En-de der fünfziger Jahre begann das Prinzip angewendet zu werden, daß jede Familie Anspruch, auf eine eigene Wohnung hat, womit überhaupt erst ein „Privatbereich" entstehen konnte. Insofern ist es bezeichnend, daß die Einführung privater Automobile, wie schon unter Chruev, nicht zuletzt auch wieder auf politische und ideologische Bedenken gestoßen sein soll 71). Würden sie doch den privaten, unkontrollierbaren Freiraum noch mehr erweitern. Das Streben nach Privatleben bereitet der Führung überhaupt Sorgen, da es mit der vom „Mobilisierungsregime" traditionell geforderten totalen Hingabe an öffentli-ehe Angelegenheiten nicht vereinbar ist Hinzu kommt eine andere Stimmung im Lande: Das Ende des Stalinschen Terrors hat auch die lähmende Furcht und das allgemeine Mißtrauen erheblich eingeschränkt; eine neue, selbstbewußtere Generation ist herangewachsen.

Allein der Trend zu erhöhter funktionaler Spezialisierung bedeutet noch keineswegs, daß eine Entwicklung des Regimes in Richtung auf eine letztlich liberale Form der Demokratie bevorsteht, wie die Geschichte der sowjetischen Manager (entgegen einem verbreiteten Mythos von den „Totengräbern" des Kommunismus) beweist 72). Im Gegenteil: Man kann argumentieren, sollte alles, was Modernisierung erfordert, die funktionale Arbeitsteilung sein, so könnte ein Einparteienregime sowjetischen Typs sogar effizienter als ein pluralistisches Vielparteiensystem sein 73). Es gibt Propheten, die angesichts der Entwicklung des modernen Staates gar eine Konvergenz der Systeme auf der Grundlage eines Plansystems nach sowjetischem Muster sehen wollen 74). Moderne Systemtheoretiker zeigen einen Hang zu einer ähnlichen Deutung 75). Ein Regime wie das sowjetische, so hat auch Safarov betont, könne von den Anforderungen des Systems als ganzen ausgehen, so daß das „Ziel, das der Leitungstätigkeit die Richtung weist und diese kontrolliert, sich den gesamten Leitungsprozeß unterordnet". Damit, so meinen manche, könnte das sowjetische System den Problemen der heutigen Zeit besser gewachsen sein als eine liberale Ordnung.

Es gibt jedoch Entwicklungen, die mehr gesellschaftliche Partizipation (statt der Mobilisierung) zu fordern scheinen. Das von Stalin ausgebaute System hat sich den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft gegenüber in vieler Flinsicht als zunehmend unzureichend erwiesen, und zwar gerade wegen seiner Natur als bürokratisches, zentralistisches Kommandosystem:

„Die administrative Zentralisation kann'in einem bestimmten Zeitalter und an einem be-stimmten Ort alle die verfügbaren Kräfte einer Nation vereinen, aber sie schadet der Vermehrung dieser Kräfte ... Der Zentralisation gelingt es mühelos .. die Gesellschaft in einem Status quo zu erhalten, der weder ein Verfall noch ein Fortschritt im eigentlichen Sinne ist;

ihr gelingt es, im Sozialkörper eine Art administrativer Schläfrigkeit zu unterhalten, die die Administratoren die öffentliche Ruhe und Ordnung zu nennen pflegen. Ihre große Stärke ist das Verhindern, nicht das Handeln."

Dieses Urteil Tocquevilles ist im wesentlichen auch das Zeugnis, das viele Beobachter dem sowjetischen Regime ausgestellt ha-ben.

Angesichts der zunehmenden Komplexität einer modernen Wirtschaft und Gesellschaft ist eine gewisse Dezentralisierung unumgänglich geworden, da sonst das System am . Brontosaurus"

-Syndrom (K. Boulding) zugrunde ge-hen müßte, d. h. am Zusammenbruch seines Kommunikationssystems. (So prophezeite 1962 Akademiemitglied V. M. Gluskov, Leiter des Kiever Instituts für Kybernetik, wenn die Sowjetunion mit den bis dahin üblichen Methoden der Planwirtschaft fortfahren würde, müßte bis 1980 die gesamte erwachsene Bevölkerung allein mit der Planung beschäftigt werden Allerdings zeigt die Verwaltungswissenschaft auch, daß erhöhte administrative Dezentralisation mehr Konzentration der politischen Entscheidungen erfordert.

Mit der Umstellung von einer extensiven auf eine intensive Wachstumsstrategie hat der „subjektive Faktor" und damit die Rolle der individuellen Persönlichkeit und ihrer Motivation eine neue Bedeutung gewonnen. Die Kader, so erklärte Akademiemitglied A. Aganbegjan, könnten nicht mehr „als bloße materielle Ressource" angesehen werden. Die Produktion hinge von der schöpferischen Einstellung der Produzenten zu ihrer Arbeit ab, davon, wie sehr sie sich mit ihrem Produkt identifizieren und wie sehr ihre eigenen vita-len Interessen mit denen der Gesamtproduktion übereinstimmen. Jede wissenschaftlich-technische, organisatorische und Leitungsentscheidung, betont ein anderer Fachmann, werde von vornherein von der Einstellung der Menschen bestimmt, ob diese sie unterstützen oder torpedieren

Kurz, die Planerfüllung hängt letztlich vom Menschen ab, wie Parteichef Breznev resümierte, und das „individuelle Schöpfertum"

gewinnt immer mehr an Bedeutung — läuft doch Modernisierung wesentlich auf die maximale Entfaltung individueller und gesellschaftlicher Energien hinaus „Die Rolle der öffentlichen Meinung im Bereich der Wirtschaft ist so augenscheinlich, daß man sie als eines der Elemente des sozialistischen Wirtschaftssystems ansehen kann", schreibt Safarov.

Man sollte aus solchen Entwicklungen nicht vorschnell auf Liberalisierungstendenzen schließen. Die relative politische Liberalisierung, die nach Stalins Tod eingeleitet wurde und die eine wesentliche Voraussetzung für die öffentliche Meinung heute ist, beruhte auf einer politischen Entscheidung der Führung so daß der Dissident Esenin-Vol-

pin ausrief: „Selbst die relative Freiheit, die wir gewonnen haben, wurde nicht von unserer Gesellschaft erobert." Dennoch ist der neue Stellenwert einer öffentlichen Meinung nicht einfach auf Entscheidungen zurückzuführen, die im freien Belieben der Führung stünden und die sie somit jederzeit rückgängig machen könnte, ohne hierfür einen hohen Preis zahlen zu müssen.

Die Einbeziehung der öffentlichen Meinung in den politischen Entscheidungsprozeß — einstweilen allerdings nur als Information — im Hinblick auf die Schaffung von möglichen „Mechanismen der Selbstregulierung" in der Gesellschaft weist in der Tat auf die Notwendigkeit von mehr Partizipation (statt Mobilisierung) aufgrund autonomer Entscheidungen von Gruppen und Individuen. Die Geschicke der Wirtschaftsreform haben aber auch angedeutet, daß die Gesellschaft Eigeninitiative selber noch lernen muß, nicht zu sprechen von der ohnehin dominierenden Rolle des modernen Sozialstaats. Es gibt liberale Tendenzen unter sowjetischen Sozialund Geisteswissenschaftlern. So erklärte Jurij Levada 1967 unverblümt: Der Mensch sei „tiefer, komplizierter und in gewisser Weise älter als die existierende Gesellschaft“ und die Gesellschaft „dümmer als der Einzelmensch" In der offiziellen Publizistik wendet man sich gegen „Versuche einzelner Philosophen“, den Satz vom Primat des Individuellen über das Gesellschaftliche nachzuweisen Auch der Begriff der öffentlichen Meinung selbst hat liberales Potential. Letztlich steht dahinter ein bestimmtes, vom Abendland entwickeltes Menschenbild, die Idee, daß das Individuum zur freien Selbstbestimmung aufgerufen ist. In ihrem ursprünglichen Sinne hat die Konzeption der öffentlichen Meinung etwas von der Funktion einer Kirche: Ihr Eigenwert ist logisch nur voll begründbar, glaubt man an die in allen Menschen vorhandene natürliche Erleuchtung

Die sowjetische Führung aber interessiert sich für die öffentliche Meinung in primär instrumentaler Absicht: Wirtschaftsstatistiken reichen nicht mehr, um ein vollständiges Bild von der „Lage der Nation“ zu gewinnen in einer Zeit, in der es wesentlich um Innovation, Effizienz und Qualität geht. Mittels der Einbeziehung der Meinungsforschung in die Entscheidungsfindung soll ein System „sozialer Indikatoren“ ausgebaut werden, das den letzten Stand der Ausbildung von Rückmeldesystemen in den westlichen Industrienationen inkorporiert

V. öffentliche Meinung und staatliche Leitung: Das Kommandosystem und seine Informationsprobleme

Die öffentliche Meinung, schreibt Safarov, spiele eine Schlüsselrolle bei der Annahme neuer, der Veränderung bestehender und der Aufhebung veralteter normativer Akte der Staatsgewalt sowie bei der Kontrolle der Einhaltung der rechtlichen Werte durch die Staatsgewalt. Vor allem ist sie eine „wichtige Voraussetzung optimaler Entscheidungen".

Ganz allgemein setzt effektive politische Leitung „feedback“ aus der Gesellschaft voraus, um so mehr heute, wo das sowjetische System um subtilere und effizientere Herr-schafts-und Verwaltungsmethoden bemüht ist. Bislang aber ist „der optimale Ablauf der Informationsströme zwischen Staat und Gesellschaft ein noch ungelöstes Problem", konzediert Safarov.

Das Grunddilemma eines Kommandosystems sowjetischen Typs, das auf hierarchischen Befehlsbeziehungen begründet ist, besteht darin, daß sich die Führung in einer selbstverschuldeten „partiellen Ignoranz" (M. Ellman) befindet. Denn bekanntlich leiten Bürokratien Informationen nicht einfach „objektiv" weiter. Jedes Ressort wird z. B. versucht sein, die Dinge zu betonen, die ihm nutzen, und die, die seinen Interessen oder seinem Image zuwiderlaufen, möglichst nicht „nach oben“ weiterzuleiten so daß die Führung „oft nur ein verzerrtes Bild von der öffentlichen Meinung“ (Safarov) und damit von der Lage der Gesellschaft hat. Die öffentliche Meinung, schreibt Safarov, würde immer weniger wirksam, je ausgeprägter der Zentralismus sei, ja sie könne sich dann überhaupt immer weniger äußern Speziell von den nicht-ökonomischen Kosten ihrer Entscheidungen hat die sowjetische Führung bislang schwerlich ein klares Bild.

Mit Hilfe der mittlerweile auf die stattliche Zahl von fast 400 000 angestiegenen Grundorganisationen der KPdSU sollte die Führung heute besser als früher über die allgemeine Lage in der Bevölkerung informiert sein, zumal ihr auch die Lokalverwaltungen der Sowjets und die politische Polizei voneinander unabhängig Bericht erstatten

Bereits nach Stalins Tod begann auch die Praxis der Konsultation von „Außenstehenden“ durch das Parteipräsidium (seit 1967 „Politbü-ro") und das Sekretariat des ZK Im Gegensatz zu Chruev hat das Breznev-Regime jedoch vor allem die Kommunikation innerhalb der Bürokratien und zwischen diesen betont.

Um ein Bild von den sozialen Realitäten und Stimmungen zu haben, ist von Breznev erneut die „Arbeit mit Briefen“ betont worden, eine Frage, zu der das ZK 1976 einen speziellen Erlaß herausgab. Denn Briefe seien „ein wichtiger Kanal, der die Partei mit den Werktätigen verbindet“. Kommunistische Regime stellen gern diese Form von individuellen Petitionen heraus: Sie sind ein kleines Sicherheitsventil zum Abreagieren gesellschaftlicher Unzufriedenheit und erlauben der Führung einen gewissen Einblick in die allgemeine Stimmung; schließlich kann auf diese Weise auch ein gewisser Druck auf die untere Bürokratie ausgeübt werden (die allerdings in erster Linie von jeweiligen und nicht ihrer Hierarchie etwa der Öffentlichkeit abhängt). Der politische „Vorteil" von Briefen ist, daß auf diese Weise ein unerwünschter, latenter Interessenpluralismus in der Gesellschaft nicht wirksam werden kann.

In Wirklichkeit aber sind Briefe kein effektives Mittel zur Ergründung der öffentlichen Meinung: Allein auf dieser Grundlage ist es so gut wie unmöglich, ein klares Bild von der Einstellung der verschiedenen sozialen Gruppen angesichts komplexer Fragen zu gewinnen, schreibt Safarov. Die in Briefen zum Ausdruck gebrachten individuellen Belange haben keinen repräsentativen Öffentlichkeitscharakter. Hinzu kommt, daß die Lokalverwaltungen mit der Flut der Briefe gar nicht fertig werden

Kurz, in einem System ohne unabhängige gesellschaftliche Organisationen, die die Forderungen und Kritiken der Gesellschaft sichten, filtern, zusammenfassen und vereinheitlichen, droht die Führung am Übermaß der „rohen" Informationen zu ersticken. Das gilt um so mehr, als das sowjetische System seinen ideologisch motivierten Anspruch auf totale Leitung weiterhin herausstellt, so daß auch die Forderungen aus dem gesellschaftlichen Be-reich an das politische System entsprechend umfangreich sein müssen.

Das Informationsproblem erklärt, warum die Meinungsforschung in der Sowjetunion bedeutende Aktualität gewonnen hat — ungeachtet des ideologischen Mißtrauens gegenüber den empirischen Sozialwissenschaften: Denn viele der Rückmeldemechanismen, die in westlichen Industriegesellschaften soziale Information vermitteln — Märkte, Wahlen, eine vom Staat unabhängige Presse, autonome Parteien und Verbände —, fehlen in der Sowjetunion. SafaröVs Schluß: „Die Praxis verlangt eine wissenschaftliche Ausarbeitung der optimalen Formen der Wechselwirkung zwischen öffentlicher Meinung und Leitungssystem, da die existierenden Formen unzureichend sind."

VI. Der Kampf gegen den staatlichen Bürokratismus

Ganz unmittelbar hat das neue Interesse der sowjetischen Führung und vor allem des Generalsekretärs an der öffentlichen Meinung eine unverkennbare antibürokratische Spitze, die sich in erster Linie gegen die Staats-und Wirtschaftsverwaltung richtet, deren — durch das hergebrachte Plansystem wesentlich mit-bedingter — Hang zum „Ressortegoismus" ein altes Problem ist. (Die Partei, die eigentlich Schlüsselbürokratie des Regimes, ist aus den Diskussionen weitestgehend ausgeklammert.)

Auch Chruev hatte versucht, den Bürokratismus mit Hilfe des Rückgriffs auf gesellschaftliche Elemente zu bekämpfen, ohne es dabei so weit kommen zu lassen, daß den Kräften der Gesellschaft echte Repräsentation eingeräumt werden mußte. Safarov verweist in seinem Kommunist-Artikel darauf, daß die öffentliche Meinung „in allen Gliedern und auf allen Ebenen der wirtschaftlichen Tätigkeit" nutzbar gemacht werden könne, u. a. zur „Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs". Chruscev scheint schließlich empfunden zu haben, daß die für die Modernisierung nötige Entfaltung gesellschaftlicher und individueller Initiativen auch eine Neufestlegung der Autoritätsbeziehungen erforderte Das aber ist eine Problematik, der das Brenev-Regime bislang vorsichtig aus dem Wege gegangen ist bzw. die es mit Hilfe moderner Leitungswissenschaft — Breznevs „Siegeswissenschaft'

1 — zu bewältigen hofft.

Es ist aber nicht auszuschließen, daß Breznev und vielleicht die Spitzenführung allgemein heute gegenüber der Staatsbürokratie zu analogen Schlüssen gelangt sind wie Chruev (jedenfalls ehe er 1958 selber Ministerpräsident wurde), zumal an der Inflexibilität und dem Konservativismus dieser Bürokratie die von Kosygin 1965 eingeleitete Wirtschaftsreform sehr bald scheiterte und dieser Apparat sich weiterhin als Hemmschuh der Modernisierung erweist, wie das Geschick der Produktionsund Industrievereinigungen andeutet

Bislang, so moniert Safarov, gebe es keine Bewertungskriterien, an denen die Entscheidungen und die Aktivität der Staatsorgane im allgemeinen und speziell die der Leitungsorgane zu messen seien. Die öffentliche Meinung aber könnte helfen, die Verantwortlichkeit der Staatsorgane zu erhöhen. Dazu gelte es vor allem, die Operationen der staatlichen Organe transparenter machen: Informiertheit zu „Die der Bevölkerung über rechtliche staatliche und Fragen setzt Öffentlichkeit der Arbeit der Regierung, der Ministerien und Exekutivkomitees voraus."

Aber hierzu seien noch viele Fragen rechtlich zu regeln. Safarov schlägt vor, die Kollegien der Ministerien (bestehend aus dem jeweiligen Minister und seinen Stellvertretern) um Vertreter der Arbeiter, Angestellten und Gewerkschaften zu erweitern und ihre Kompetenzen zu erhöhen (wofür sich auch Breznev eingesetzt hat). Die Kontrolle der öffentlichen Meinung über den Staatsapparat würde mit-tels der gesellschaftlichen Organisationen, der Volkskontrolle und der Massenmedien ausgeübt werden: „Ein mächtiger politischer Garant dafür, daß die öffentliche Meinung in Betracht gezogen wird, ist die Partei, die nach einer allgemeinen Demokratisierung der (staatlichen) Leitung strebt."

Es ist klar, daß damit auch der Einfluß der Partei über die staatliche Leitung erhöht würde. Die öffentliche Meinung wäre eine Waffe gegen fachlich bedingte Informationsmonopole im Staatsapparat, die diesen bei der bürokratischen Festlegung der Politik begünstigen.

Safarov resümiert im Kommunist, das neue Desideratum bereits als Faktum hinstellend:

„Die Bürger diskutieren die normativen Akte der Staatsorgane ebenso wie die Arbeit von Amtspersonen ganz gleich welchen Ranges, und, falls nötig, kritisieren sie diese auch."

Bei der heutigen Aufwertung der öffentlichen Meinung könnte schließlich auch der -Um stand eine Rolle spielen, daß im Juni 1977 Breznev Staatsoberhaupt wurde und damit Chef der Hierarchie von Sowjets, zu deren wesentlichen Funktionen als repräsentativen Organen es gehört, der öffentlichen Meinung Ausdruck zu verleihen. Suslov betonte kürzlich: „Die Rolle der Sowjets aller Stufen ist im gesellschaftlichen Leben und bei der Verwirklichung der Kontrolle über die Tätigkeit der Exekutivorgane wesentlich erhöht worden."

VII. Systemfremde Einflüsse und interne Spannungen

Es wird kein bloßer Zufall sein, daß die öffentliche Meinung gerade im Sommer 1977 im Zentralorgan des ZK diskutiert wurde.

Die Meinungsforschung hatte im Gefolge der Reaktion auf den Prager Frühling 1968 einen zeitweiligen Rückschlag erlitten Aber gerade in den letzten zwei Jahren hat es Entwicklungen gegeben, die erklären helfen, warum die öffentliche Meinung für die Füh95) rung zum besonderen Diskussionsgegenstand geworden ist: Die Konferenz von Helsinki hat zu unerwarteten Auswirkungen in der Sowjetunion und innerhalb ihres Hegemonialbereiches geführt. Hinzu kamen die Mißernte von 1975 und in ihrem Gefolge Versorgungsmängel im Jahre 1976, die in der Sowjetunion sogar gewisse Unruhen hervorriefen so daß auf dem Oktober-Plenum 1976 offenbar Ergebnisse von Meinungsumfragen im Hinblick auf die weitere Wirtschaftspolitik diskutiert wurden (Die KPdSU verfügt mittlerweile über eine eigene Partei-Soziologie.)Derartige interne Mißstimmungen dürfte die Führung nicht leicht nehmen. Nicht nur, daß sich das Regime heute einer kritischen Intelligenz gegenübersieht, wie u. a. Meinungsumfragen verdeutlicht haben, die zeigen, daß es gerade die Jüngeren und Gebildeteren sind, die oftmals die offiziellen Stellungnahmen mit Skepsis aufnehmen. Auch unter den Arbeitern, so berichtete A. Amalrik, gebe es Opposition, die sogar noch stärker sein soll als die der Intelligenz und die sich in lokalen „Sabo-tage" -Akten und ähnlichem äußere Immerhin haben die Meinungsumfragen aber auch einen — aus westlicher Sicht vielleicht schon geradezu erstaunlichen — Grad der Übereinstimmung der Bevölkerung mit dem Regime gezeigt. Aber die Führung macht sich Gedanken über die tatsächliche Effektivität der Indoktrination, was Breznev schon wiederholt veranlaßte, die Bedeutung der Sozialwissenschaften herauszustellen. Denn, so resümiert Safarov: „Die Partei, die Staatsorgane und die Massenmedien brauchen unbedingt eine zuverlässige Rückmeldung darüber, ob ihre ideologischen Konzeptionen auch tatsächlich zum Ziele führen.“

Bereits in der ZK-Resolution vom August; 1975 „über die Arbeit bei der Auswahl und Ausbildung ideologischer Kader in der Parteiorganisation von Weißrußland" (Probleme darf es gemäß sowjetischer Konventionen nie im gesamtnationalen Maßstab geben, daher die Bezugnahme auf lokale und regionale Verhältnisse in derartigen Resolutionen) wurde u. a. die Weiterentwicklung der Meinungsforschung gefordert. Breznev nannte sie auf dem XXV. Parteitag im Februar 1976 unter den aktuellen Problemen, die „schöpferisch" zu behandeln seien.

Doch die unter M. Rutkevic während seiner Amtszeit (1972— 1976) durchgeführte Säuberung des 1968 gegründeten Akademieinstituts für Soziologische Forschung — der etwa 40 bis 50 Prozent der Mitarbeiter zum Opfer fielen — demonstriert die weiterhin prekäre Stellung der empirischen Sozialwissenschaften. Allerdings soll nach dieser Säuberung der Parteiapparat selbst zu dem Schluß gelangt sein, es lohnte nicht mehr, das gereinigte Institut zu konsultieren

Die Meinungsforschung hat gerade in der Sowjetunion mangels wesentlicher sozialer Rückkoppelungsmechanismen eine potentiell vitale Rolle, „bestehende Widersprüche innerhalb der oder zwischen den sozialen Gruppen zu ermitteln". Die Unruhen in Polen im

Juni 1976 — wo sich zum erstenmal seit 1970 erneut die Macht einer Art öffentlicher Meinung manifestierte — müssen analoge, frühere Geschehnisse im sowjetischen Hegemonialbereich ins Gedächtnis zurückgerufen und die Führung veranlaßt haben, sich über die öffentliche Meinung im eigenen Lande Gedanken zu machen. In dem Kommunist-Artikel Safarovs wird zwar zunächst die herkömmliche Klischeevorstellung angeführt, im sozialistischen (im Gegensatz zum bourgeoisen)

System könne die öffentliche Meinung nicht danach streben, „die Systemgrenzen zu überschreiten“, da dieses System auf sozialpolitischer Einheit beruhe und das „leibliche Kind"

der Werktätigen sei. Dennoch mutet es wie eine „äsopische", verkappte Warnung an, daß Safarov einen westlichen Spezialisten zitiert, der (natürlich im Hinblick auf Geschehnisse im Westen) schrieb: „Wird Menschen, die an einer Frage ... vital interessiert sind, dauernd der Zugang zum System versagt, so beginnen sie das Gefühl zu entwickeln, daß das politische System nicht mehr auf ihre Bedürfnisse und Forderungen reagiert, und sie können versuchen, den Rahmen dieses Systems zu sprengen."

Das entspricht genau der Deutung der polnischen Geschehnisse vom Juni 1976, zu der drei polnische Regime-Kritiker gelangt sind:

„In einer Situation, in der alle Gruppen und Schichten der Gesellschaft nicht nur politisch nicht repräsentiert sind, sondern nicht einmal Gelegenheit haben, ihre Bestrebungen und Forderungen zum Ausdruck zu bringen, gibt es keine normalen Kommunikationskanäle und damit auch keine Kanäle zum Verhandeln und Lösen von Konflikten." Einstweilen gibt es aber auch in der Sowjetunion nicht einmal eine sonderlich effektive Konsultation auch nur jener Gruppeninteressen, auf die sich das Regime im Interesse sowohl seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als auch der sozialen Kontrolle stützen muß geschweige denn echte Repräsentation der entscheidenden sozialen Kräfte. Safarov fordert daher u. a. die Erforschung der „öffentlichen Meinung" der gesamten Arbeiterschaft, der Kolchoz-Bauern und der Intelligenz.

VIII. Schlußbetrachtung: Probleme und Zukunft der Meinungsforschung in der UdSSR

Es ist zweifellos beachtenswert, daß die öffentliche Meinung mittlerweile zum mehr oder minder offen diskutierten Problem in der sowjetischen Führung geworden ist, wenn sich auch der ukrainische Parteichef erbi-kij beklagt hat, bislang fehle noch jede praktische Anleitung, wie diese überhaupt in Betracht zu ziehen sei

Der so schwer konkretisierbare Begriff ist mittlerweile in die von Breznev lancierte neue Verfassung (Artikel 9) aufgenommen worden, deren Artikel 49 auch ausdrücklich untersagt, Menschen wegen „Kritik" zu verfolgen. Während 1963 aktive Soziologen in der Sowjetunion nur ein paar Dutzend zählten hat die Sowjetische Gesellschaft für Soziologie heute etwa 3 000 Mitglieder (ca. achtmal so viel wie die „Deutsche Gesellschaft für Soziologie" Mittlerweile sollen in der Sowjetunion mehr empirische soziologische Untersuchungen angestellt worden sein als sogar in den USA, wie aus einer Parteiquelle verlautet Allerdings ist nur ein kleiner Bruchteil dieses (für das sich ideologisch legitimierende Regime potentiell explosiven) Materials veröffentlicht worden.

Die empirischen Sozialwissenschaften haben sich am ehesten im Bereich wirtschaftlicher Fragen — wie modernes Management (und daneben auch in der Kriminalistik) — von der ideologischen Zwangsjacke befreien können. Fragestellungen, die für die Legitimität des Regimes kritisch werden könnten, haben bislang wenig Fortschritte gemacht. Das gilt in erster Linie für die politische Wissenschaft * ), ungeachtet der mutigen Forderung von F. Burlackij 1965, Probleme aufzugreifen, zu denen die Antwort „nicht im voraus gegeben" seilu). Safarov hat auf diesem Gebiet insofern einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Safarov fordert in seinem Kommunist-Artikel — wie schon 1967 — die Schaffung eines Instituts für öffentliche Meinung mit dem Ziel der wissenschaftlichen Politikberatung (die laut Safarov bislang nur von dem 1968 gegründeten Akademieinstitut für Soziologische Forschung, wie es seit 1972 heißt, und dem Institut für die USA und Kanada unter dem unkonventionellen G. Arbatov wahrgenommen wird). Dieses Institut solle mit der Statistischen Zentralverwaltung zusammenarbeiten. Sein Wunsch ist es, allmählich die Meinung der gesamten erwachsenen Bevölkerung zu den aktuellsten Problemen zu erfassen. Dahinter steht ein beachtliches Programm.

Die Bürger seien bestrebt, sich zu jeder wichtigen Frage zu äußern, meint Safarov. Dazu zählt er die aktuellen Fragen der Innen-und Außenpolitik, Probleme des national-staatlichen und administrativ-territorialen Aufbaus, das Funktionieren der repräsentativen Organe, juristische Fragen, Gesetze und Dekrete und die Gründe für das Auswechseln leitender Persönlichkeiten. Die Logik der Demokratie erfordere die Äußerung der öffentlichen Meinung vor und nach jeder wichtigen politischen und staatlichen Entscheidung.

Das aber setzt Publizität voraus: Die Bürger müßten über ihre Rechte und Pflichten besser informiert werden. Kritisch verweist er auf die sowjetische Praxis, daß „mitunter normative Akte, die den Rechtsstatus der Bürger regulieren, spät oder gar nicht veröffentlicht werden".

Publizität sollte rechtlich abgesichert werden, denn, so zitiert er Lenin: „Ohne Publizität . . . wäre es lächerlich, von Demokratismus zu sprechen". Lenin sei stets davon ausgegangen, daß dem Volk „vollständige, wahrheitsgemäße und operative Information über die Arbeit der leitenden Organe gewährleistet sein muß".

Information fördere die politische und rechtliche Sozialisierung der Persönlichkeit und sei „ein Kennzeichen der sozialistischen Demokratie“. „An der Intensität der Informations-und Rechtsbeziehungen kann man den Grad des Demokratismus in der Beziehung von Staat und Gesellschaft ablesen."

Die Informiertheit würde letztlich auch das Prestige der staatlichen Leitung, ihrer Pläne und Aktionen heben: „Der dauernde Dialog der öffentlichen Meinung und der staatlichen Leitung... schwächt nicht etwa die Positio29 nen beider Parteien, im Gegenteil: er stärkt sie. * Am Grad der Informiertheit der Bevölkerung ließe sich auch der Grad des Vertrauens able-sen, das der Staat seinen Bürgern schenkt.

Letztlich, so sieht Safarov klar, haben die Manifestierungsformen der öffentlichen Meinung „verfassungsmäßige Bedeutung". Es geht um die Erweiterung der rechtlichen Möglichkeiten der Bürger, „die demokratischen Institutionen zu nutzen, die die Garanten der Volkssouveränität sind". Die Frage der Ausarbeitung eines Mechanismus, der die öffentliche Meinung zum Ausdruck bringt, werde immer aktueller. Ohne die „konsequente Vervollkommnung des Funktionsmechanismus der öffentlichen Meinung ist die Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie undenkbar". Safarov wünscht die „Institutionalisierung" der öffentlichen Meinung im Sinne einer Garantie dafür, daß in bestimmten Fällen die öffentliche Meinung Stellung beziehen wird:

„Der Grad der Institutionalisierung der öffentlichen Meinung ist ein Parameter der Reife der sozialistischen Demokratie." Offensichtlich sei es an der Zeit, spezifische Verfahren auszuarbeiten, mit deren Hilfe man bei der Wahrnehmung der Leitungsfunktionen und bei der Entscheidungsfindung die öffentliche Meinung besser berücksichtigen und nutzen könne. Die öffentliche Meinung sei ein Garant der Legalität. (1964 trat Safarov für eine Verfassungsgerichtsbarkeit ein.)

Auch die Effektivität der Rechtsakte hinge wesentlich davon ab, in welchem Maße sie sich auf die öffentliche Meinung stützen könnten.

Safarov hat zwar erklärt, die öffentliche Meinung bedürfe der Leitung durch die Partei, doch im ganzen mutet dieses Programm wie ein Plädoyer für eine Form von sozialistischem Parlamentarismus an, für eine echte Liberalisierung des Systems. Bis zu einem gewissen Grade könnte das Programm Bestrebungen der Parteiführung entgegenkommen, die mittels der öffentlichen Meinung eine zunehmende Rolle der Partei erwirken möchte; aber die Frage ist, ob man auf Dauer mit der Betonung der Publizität und Partizipation auch vor dieser bislang noch sakrosankten Bürokratie haltmachen könnte. Denn Safarov wünscht Publizität, u. a. auch Veröffentlichung der Ergebnisse der Meinungsumfragen in weit größerem Maßstab als bisher, was wiederum auf die Bildung der öffentlichen Meinung zurückwirken könnte und sollte.

Safarovs Programm dürfte jedoch in der Praxis auf enge, systembedingte Grenzen stoßen. Die Meinungsforschung (wie überhaupt die empirischen Sozialwissenschaften) soll nach dem Wunsch der Führung Herrschaftswissen sein. Sie hat die für rationale Entscheidungen nötigen Informationen zu liefern und im übrigen eine „pädagogische" Aufgabe bei der Abwehr „bourgeoisen" Ideenguts wahrzunehmen: Sie soll helfen, die öffentliche Meinung im gewünschten Sinne zu „formen", „aufgrund der kommunistischen Ideologie", damit sie der „Stärkung der sozialistischen Ordnung" die-ne. Die besondere Aufgabe der Partei und Medien sei es, dafür zu sorgen, daß sich die Menschen „über die Grenzen ihrer Konsumenteninteressen" erheben.

Es ist aber höchst fraglich, ob das Regime die zur Bildung einer effektiven öffentlichen Meinung nötige Publizität wirklich zulassen kann. Zur hergebrachten Herrschaftstechnik hat ganz wesentlich die Kontrolle über alle Kommunikationen gehört, was wiederum die Voraussetzung für die Kontrolle über alle Organisationen ist Hierin, mehr als im Terror, hat man das eigentliche Wesen des „Totalitarismus" erblicken wollen Wie wichtig dem Regime diese Kontrolle ist, illustriert nicht nur die Verfolgung von Leuten, die angeblich den Staat verleumdende Informationen verbreiten. Auch die großen Ausgaben für Störsender — die von etwa 300 Millionen Dollar im Jahre 1971 auf 3 Milliarden Dollar im Jahre 1975 angestiegen sein sol-len — verdeutlichen, wie allergisch das System auf das Einströmen fremder Ideen reagiert. Dennoch ist etwas an dem Argument, die Soziologie habe mittlerweile in der Sowjetunion einen subtilen, aber tiefen Einfluß auf die politische Entscheidungsfindung genommen Das Breznev-Regime hat die überkommenen, unter Stalin entwickelten Strukturen bewahrt, ja z. T. restauriert (im Falle der traditionellen Ministerien). Neu aber ist die Betonung der Information als Voraussetzung rationaler Entscheidungen — nicht zuletzt eine Reaktion auf den Chruscevschen „Subjektivismus". Da-mit hat auch die öffentliche Meinung als eine vitale Form sozialer Information eine Aufwertung erfahren, nämlich — in den Worten Safarovs — als „Träger politischer Informationen", als „Quelle für die Ausarbeitung politischer Entscheidungen" und als „Rezensent des politischen Kurses". Charakteristisch für den Leitungsstil der Partei sei das „allseitige und profunde Studium der öffentlichen Meinung", erklärte Breznev bereits 1966 auf dem XXIII. Parteitag Damals stellte er die Sozialwissenschaften in ihrer Bedeutung gleich.

Auf dem XXIV. Parteitag 1971 sprach der Parteichef von der „Verbesserung der innerparteilichen Information" im Hinblick auf effizientere „Leitung, Erziehung und Kontrollen Diese neue Formulierung zielte offenkundig auf die erhöhte Nutzung der empirischen Sozialwissenschaften im Dienste der politischen Entscheidungsfindung ab. Die empirischen Sozialwissenschaften — die in der Sowjetunion mit erheblicher Verspätung Entwicklungen nachvollziehen, die in anderen Ostblockländern schon vor Jahren durchgemacht worden sind — sollen nun der Führung helfen, die Gesellschaft in ihrer Faktizität besser zu erkennen, um sie desto besser len-ken zu können. Insofern ist diese Einstellung der Lenins gleich, der in den gesellschaftlichen Gegebenheiten primär die taktischen Voraussetzungen für politische Maßnahmen sah. Hierzu gilt es, schreibt Safarov, die öffentliche Meinung „unter ideologischen, politischen, juristischen, moralischen, psychologischen, kulturellen, informatorischen und prognostischen Gesichtspunkten" zu studieren.

Damit hat sich in der Tat ein neues Verhältnis von Staat und Gesellschaft anzubahnen begonnen. Chance und Risiko hierbei ist, daß die Gesellschaft, indem sie eine gewisse Anerkennung als politischer Faktor gewonnen hat, sich schließlich selbst als Kraft bewußt wird, was bereits der Umstand bewirken kann, daß Individuen gewahr werden, daß sie nicht allein mit ihren Ideen und Interessen sind. Die ideologisch vorgeschriebene Einheit von Staat und Gesellschaft ist vom Axiom zum Problem geworden, so daß Safarov fragen kann: „Wann (und warum) kann man davon sprechen, daß zwischen der öffentlichen Meinung einerseits und den staatlichen Organen andererseits eine Einheit unter axiologischem (d. h. keines weiteren Beweises bedürftigem) Aspekt besteht. ..?"

Die bloße Frage setzt voraus, daß die ideologische Behauptung einer (gar zunehmenden) politisch-ideologischen und sozialen Geschlossenheit zweifelhaft ist. Das Bedürfnis, die öffentliche Meinung als soziale Information für die Entscheidungsfindung nutzbar zu machen, ohne dadurch Fragestellungen aufkommen zu lassen, die sich letztlich gegen die Legitimität des Einparteienregimes richten könnten, erklärt die Forderung nach einer neuen, „marxistisch-leninistischen" Konzeption dieses Phänomens.

Faktisch sieht sich die Partei heute bereits in der Rolle des allgemeinen Vermittlers Das wäre ein Schritt in Richtung auf die westliche Vorstellung vom politischen System als eines Mechanismus zur Lösung von Interessenkonflikten. Doch ein tatsächlich repräsentatives Regime müßte pluralistisch sein. Dafür aber gibt es keinerlei institutioneile Voraussetzungen. Hinzu kommt, daß der Spielraum für echten Wandel in den Zielen und Methoden der sowjetischen Politik heute geringer sein dürfte als je zuvor in der Geschichte des Regimes.

Auf jeden Fall wird die weitere Entwicklung der Meinungsforschung — wie überhaupt die der empirischen Sozialwissenschaften — ein Barometer sein, das anzeigt, wie weit sich das Regime von überlieferten Dogmen und Methoden lösen zu können glaubt, und damit, ob es weitere Schritte vollziehen kann auf dem Wege von der Mobilisierung zur Partizipation, von der revolutionären Bewegung zum modernen Staat, der weder Weltschöpfer noch Vormund der Gesellschaft ist, sondern ihr Repräsentant und ihr Diener.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu T. H. Rigby, Traditional, Market the and Organizational Societies and USSR, in: Communist Studies and the Social Sciences: Essays on Methodology and Empirical Theory, Hrsg. Frederic J. Fleron, Jr., Chicago 1971, S. 170— 187; Radoslav Selucky, Economic Reforms in Eastern Europe. Political Background and Economic Signi-ficance, New York, Washington, London 1972, S. 45.

  2. Alfred G. Meyer, Theories of Convergence, in: Change in Communist Systems, Hrsg. Chalmers Johnson, Stanford, California 1970, S. 333; vgl. Rene Ahlberg, Theorie der öffentlichen Meinung und empirische Meinungsforschung in der UdSSR, in: Osteuropa, 3, 1969, S. 167.

  3. Staat und Politik (Das Fischer-Lexikon), Hrsg. Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher, Frankfurt am Main 1957, S. 207.

  4. Safarov, Obscestvennoe mnenie i gosudarstvennoe upravlenie, S. 3. Analog B. A. Gruin, Mne-nija o mire i mir mnenij. Problemy metodologii issledovanija obscestvennogo mnenija, Moskau 1967, S. 81.

  5. L. I. Breznev, Leninskim kursom, Bd. II, Moskau 1974, S. 532.

  6. Safarov, Obestvennoe mnenie i gosudarstvennoe upravlenie, S. 4; B. A. Grusin, Obscestvennoe mnenie, in: Bol'saja sovetskaja enciklopedija, Bd. 18, S. 243.

  7. Gruin, Mnenija o mire, S. 175.

  8. Vgl. M. Suslov, Marksizm-leninizm i revolju-cionnoe obnovlenie mira, in: Kommunist, 14, 1977, S. 22.

  9. Gruin, Mnenija o mire, S. 88.

  10. D. Voevodin, Konstitucionnye prava i obja-zannosti grazdan, Moskau 1972, S. 213. Vgl.den

  11. D. I. Pisarev, Populjarizatory otricatel'nych doktrin, in: Socinenija v cetyrech tomach, Moskau 1955— 1956, Bd. 4, S. 165. — über Pisarev und die russische radikale Tradition vgl. Astrid von Borcke, Die Ursprünge des Bolschewismus. Die jakobinische Tradition in Rußland und die Theorie der revolutionären Diktatur, München 1977, S. 187 ff.

  12. Samuel P. Huntington, in: Authoritarian Politics in Modern Society. The Dynamics of Establi-shed One-Party Systems, Hrsg. Samuel P. Huntington und Clement B. Moore, New York, London 1970, S. 12.

  13. Zitiert von Bertrand de Jouvenel, Uber Souveränität. Auf der Suche nach dem Gemeinwohl, Neuwied und Berlin 1963, S. 321.

  14. Carl J. Friedrich, Constitutional Government and Democracy. Theory and Practice in Europe and America, Boston, New York usw. 1950, S. 7.

  15. W. Phillips Davidson, Public Opinion as Com-munication, in: Public Opinion Quarterly, 3, 1972, S. 313.

  16. R. R. Palmer, The World of the French Revolution, London 1971, S. 43 ff.

  17. Siegfried Staatssouveränität, 1970, S. 307.

  18. Jouvenel, a. a. O., S. 322.

  19. Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, gart 1964, S. 438.

  20. Georg Weippert, Öffentliche Meinung, Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1964, S. 31. Landshut, Volkssouveränität und öffentliche in: Volkssouveränität und Hrsg. Hanns Kurz, Darmstadt Stuttin: 8. Bd.!

  21. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt 1972, S. 236.

  22. John Stuart Mill, On Liberty, in: Utilitarianism, Liberty, Representative Government, London, New York 1960, S. 81.

  23. Siehe hierzu Helmut Große, öffentliche Meinung und politischer Wille, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/69, 5. 4. 1969, S. 6; Hansjürgen Koschwitz, Begriff und Funktion der „öffentlichen Meinung" im bürgerlichen und sozialistischen Gesellschaftssystem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 13/71, 27. 3. 1971, S. 3— 25.

  24. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Auflage, Tübingen 1972, S. 566.

  25. Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1957, S. 246.

  26. Zitiert von Raymond Aron, Democratie et totalitarisme, Paris 1965, S. 352.

  27. Landshut, a. a. O., S. 310.

  28. Lenin, Polnoe sobranie soinenij, izd. 5-e, 55 Bde., Moskau 1958— 1965, Bd. 35, S. 19. — Zitiert von Safarov, Kommunist, 12, 1977, S. 37.

  29. Lenin, a. a. O., Bd. 12, S. 279. — Zitiert von Safarov, Sowjetwissenschaft, 8, 1977, S. 837.

  30. Lenin, a. a. O., Bd. 45, S. 122. — Zitiert von Safarov, Kommunist, 12, 1977, S. 29.

  31. Lenin, a. a. O., Bd. 6, S. 38.

  32. Karl Kautsky, Terrorismus und Kommunismus, Berlin 1919, S. 119.

  33. Lenin, a. a. O., Bd. 6, S. 9.

  34. Mercier de la Riviere, L'ordre naturel et es-sentiel des socits politiques, o. O., 1767.

  35. Lenin, ä. a. O., Bd. 36, S. 15. — Zitiert von Safarov, Kommunist, 12, 1977, S. 39.

  36. Lenin, a. a. O., Bd. 6, S. 373.

  37. Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, in: Die Neue Zeit, 2. Bd., 1903— 1904, S. 533.

  38. Siehe hierzu Alex Inkeies, Public Opinion in Soviet Russia, Cambridge, Mass. 1967.

  39. Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, 39 Bde., Berlin 1956 ff., Bd. 1, S. 231; ders., Thesen über Feuerbach, in: Karl Marx, Die Frühschriften, Hrsg. Siegfried Landshut, Stuttgart 1953, S. 339.

  40. Ders., Die Heilige Familie, a. a. O., S. 319.

  41. Ders., Sitzung der Zentralbehörde (des Bundes) vom 15. September 1850. Werke, Bd. 8, S. 600.

  42. Ders., Thesen über Feuerbach, Die Frühschriften, S. 339.

  43. Hierzu von Borcke, a. a. Ö., Kap. 10.

  44. Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social ou principes du droit politique, Paris 1962, S. 281.

  45. R. Derathe, Jean-Jacques Rousseau et la Science politique de son temps, Paris 1950, S. 113.

  46. Lenin, a. a. O„ Bd. 36, S. 200.

  47. Rosa Luxemburg, Die Russische Revolution, Hrsg. Ossip K. Flechtheim, Frankfurt am Main 1963, S. 75.

  48. Jeremy R. Azrael, The Internal Dynamics öf the CPSU, 1917— 1967, in: Authoritarian Pölitics in Modern Society, S. 263.

  49. Robert Conquest, The Great Terror. Stalin's Purge of the Thirties, London 1968, S. 129.

  50. Roy A. Medvedev, Let Histöry Judge. The Origins and Consequences of Stalinism, New York 1971, London 1972, S. 388.

  51. The Politics of Developing Areas, Hrsg. Gabriel A. Almond und James S. Coleman, Princeton, New Jersey, 1960, S. 27.

  52. Richard Löwenthal, Development vs. Utopia in Communist Policy, in: Change in Communist Systems, Hrsg. Chalmers Johnson, Stanford, California 1970, S. 14.

  53. John R. Hardt, Theodore Frankel, The Industrial Managers, in: Interest Groups in Soviet Politics, Hrsg. H. Gordon Skilling und Franklyn Griffiths, Princeton, New Jersey 1971, S. 175.

  54. Rene Ahlberg, Die Entwicklung der empirischen Sozialforschung in der Sowjetunion, Berlin 1964, S. 29.

  55. J. Stalin, Fragen des Leninismus, Moskau 1947, S. 87. Siehe auch Alex Inkeies, a. a. O., S. 16.

  56. Soziologie in der Sowjetunion. Ausgewählte sowjetische Abhandlungen zu Problemen der sozialistischen Gesellschaft, Hrsg. Rene Ahlberg, Freiburg im Breisgau 1969, S. 17— 19.

  57. T. H. Rigby, Traditional, Market and Organiza-tional Societies (siehe Anmerkung 7), S. 184— 185.

  58. VgL z. B. I. Kapitonov, Kommunist, 11, 1976, S. 31.

  59. Ellen Mickievicz, Policy Applications of Public Opinion Research in the Soviet Union, in: The Public Opinion Quarterly, 4, 1972— 1973, S. 566.

  60. Jerry F. Hough, Political Participation in the Soviet Union, in: Soviet Studies, 2, 1976, S. 3— 20.

  61. Vgl. Richard Löwenthal, Von der gelenkten Revolution von oben zur spontanen Entwicklung von unten, in: Sowjetische Innenpolitik. Triebkräfte und Tendenzen, Hrsg. Richard Löwenthal und Boris Meissner, Stuttgart, Berlin 1969, S. 125.

  62. Siehe die interessanten Ausführungen von Alexander Dallin in: Survey, 3/4 (100/101), 1976, S. 44. Vgl. auch den Beitrag der Verfasserin im Jahresbericht Sowjetunion 1976/77, München, Wien

  63. Politieskoe samoobrazovanie, 7, 1977, S. 66.

  64. David M. Abshire, International Broadcasting: A New Dimension of Western Diplomacy, Beverly Hills, London 1976, S. 45, 46.

  65. Siehe den glänzenden Aufsatz von Paul Cocks, The Policy Process and Bureaucratic Politics, in: The Dynamics of Soviet Politics, Hrsg. Paul Cocks, Robert V. Daniels, Nancy Whittier Heer, Cambridge, Mass, und London 1976, S. 156— 178.

  66. Alexis de Tocqueville, De la democratie en Amerique, Paris 1963, S. 69, 71.

  67. Literaturnaja gazeta, 25. 9. 1962.

  68. Izvestija, 1. 4. 1975. L. Gol’din, Sociali-sticeskaja industrija, 30. 8. 1975.

  69. Pravda, 16. 8. 1974 und 27. 6. 1974.

  70. Merle Fainsod, Bureaucracy and Moderniza-tion, in: Bureaucracy and Political Development, Hrsg. Joseph La Palombara, Princeton 1967, S. 266.

  71. Jeremy R. Azrael, Varieties of De-Stalinization, in: Change in Communist Systems, Hrsg. Chalmers Johnson, a. a. O., S. 144.

  72. Zitiert von Robert Conquest, Russia After Khrushchev, London 1965, S. 47.

  73. Kurt Marko, Entideologisierung der sowjetischen Soziologie? Der Fall Jurij Levada, in: Berichte des BlOst, 51, 1970, S. 9.

  74. Filosofskie nauki, 6, 1968, S. 172. Siehe Helmut Dahm, Die sozialistische Lebensweise. Entstehung, Sinn und Zweck eines Leitbildes, unveröffentlichtes Manuskript, Kurzfassung im Jahresbericht Sowjetunion 1976/77.

  75. Jouvenel, a. a. O., S. 334.

  76. Erwin K. Scheuch, Warum die Sowjets Geschmack an der Meinungsforschung finden, in: Die Welt, 9. 7. 1976.

  77. Zu diesem Problem siehe Herbert A. Simon, Administrative Behavior, New York 1970, S. 163.

  78. Safarov, Obestvennoe mnenie i gosudarst-vennoe upravlenie, S. 73, 93.

  79. Anfang 1976 waren es 390 387. Vgl. Partijnaja zizn’, 10, 1976, S. 18.

  80. Vgl. A. H. Brown, Policy-Making in the Soviel Union, in: Soviet Studies, 1, 1971, S. 141.

  81. Hierzu siehe Tatjana Kirstein, Die Konsultation von „Außenstehenden" durch den Partei-und Staatsapparat sowie den Obersten Sowjet der UdSSR als stabilisierender Faktor des sowjetischen Herrschaftssystems, Berlin 1972, S. 26.

  82. Vgl. James Oliver, Citizen Demands and the Soviet Political System, in: The American Political Science Review, 2, 1969, S. 63.

  83. Siehe hierzu u. a. Abraham Katz, The Politics of Economic Reform in the Soviet Union, New York, Washington, London 1971, S. 51— 52.

  84. Vgl. George W. Breslauer, Khrushchev Reconsidered, in: Problems of Communism, 5, 1976, S. 20.

  85. Vgl. Gertrude Schroeder, Soviet Economic „Reforms": A Study in Contradictions, in: Soviet Studies, 1, 1968, S. 37.

  86. Alice C. Gorlin, Industrial Reorganization: The Associations, in: Soviet Economy in a New Perspective, Washington, D. C. 1976, S. 162— 188.

  87. Suslov, Kommunist, 14, 1977, S. 19.

  88. Elizabeth Ann Weinberg, The Development of Sociology in The Soviet Union, London, Boston 1974, S. 112.

  89. Le Monde, 6. — 7. 7. 1976; Times, 1. 11. 1976; Monitor (Deutsche Welle), 5. 11. 1976.

  90. Christian Duevel, Entwicklungen in der sowjetischen Führung seit dem XXV. Parteitag, Berichte des BlOst 58/1977, S. 19— 21.

  91. International Herald Tribune, 17. 12. 1976.

  92. International Herald Tribune, 13. 10. 1976.

  93. J. J. Best, Public Opinion. Micro and Macro, Homewood, 111. 1973, S. 269. — Zitiert von Safarov, Kommunist, 12, 1977, S. 32.

  94. L. Kolakowski, W. I. Brus, A. Michnick, Times, 10. 12. 1976.

  95. Vgl. M. Croan, in: Survey, Sommer 1969, S. 42. Analog: Teresa Rakowska Harmstone, Towards a Theory of Soviet Leadership Maintenance, in: The Dynamics of Soviet Politics, a. a. O., S. 53.

  96. Kommunist, 18, 1976, S. 18.

  97. Alex Simirenko, International Contribution by Soviet Sociologists, in: Social Thought in the Soviet Union, Hrsg. Alex Simirenko, Chicago 1969, S. 393.

  98. Erwin K. Scheuch, in: Die Welt, 9. 7. 1976. Vgl. auch Borys Lewytzkyj, Soziologische Untersuchungen in der Sowjetunion. Probleme und Schwerpunkte, in: Osteuropa, 4, 1971, S. 265— 272.

  99. International Herald Tribune, 13. 10. 1976.

  100. Vgl. A. Janos in: Authoritarian Politics, S. 42.

  101. Gabriel A. Almond, A Functional Approach to Comparative Politics, in: Politics of Developing Areas, a. a. O., S. 47.

  102. Abshire, a. a. O., S. 49.

  103. Zev Katz, Sociology in the Soviet Union, in: Problems of Communism, 3, 1971, S. 38— 39.

  104. XXIII s" ezd Kommunisticeskoj partii Sovets-kogo Sojuza. Stenografiäeskij otcet, Bd. 1, Moskau 1966, S. 126.

  105. XXIV s”ezd Kommunistiöeskoj partii Sovets-kogo Sojuza. Stenografiöeskij otet, Bd. 1, Moskau 1971, S. 120.

  106. Breznev, Leninskim kursom, Bd. II, S. 580— 581.

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Astrid von Borcke, Dr. es Sciences politiques, geb. 1940 in Hamburg; Studium der politischen Wissenschaft, russischen Geschichte und Sprache an der Harvard-Universität, in Hamburg und am Institut de Hautes Etudes Internationales, Genf; seit 1972 Mitarbeiterin des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Veröffentlichungen: Die Ursprünge des Bolschewismus. Die jakobinische Tradition in Rußland und die Theorie der revolutionären Diktatur, München 1977; Überblick über die sowjetische Innenpolitik 1976/77, in: Sowjetunion 1976/77, München, Wien 1977. Aufsätze zur sowjetischen Innenpolitik, vor allem in der Reihe: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale