Wirtschaftspolitische Gipfelkonferenzen Versuch einer internationalen „konzertierten Aktion"
Uwe Andersen
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Zusammenfassung
Im Juli 1978 fand in Bonn unter großer Anteilnahme der Massenmedien eine zweitägige Gipfelkonferenz der Staats-bzw. Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer statt. Es handelte sich seit 1975 bereits um das vierte Gipfeltreffen, das der Wirtschaftspolitik gewidmet war. Eine Analyse dieses neuen Instrumentes der internationalen Wirtschaftspolitik scheint daher angebracht. Die wirtschaftspolitischen Gipfelkonferenzen sind ein Kind der Krise. Mit ihnen wird eine Harmonisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken auf der höchsten politischen Ebene angestrebt. Im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise 1929 gelang es auch weitgehend, Versuche nationaler Krisenbewältigung zu Lasten der anderen Länder zu verhindern und die Krise damit zu begrenzen. Wenig Erfolg hatte dagegen bisher der Versuch, die nationalen Wirtschaftspolitiken in eine gemeinsame weltwirtschaftliche Strategie einzupassen. In Bonn wurde, wie bei den vorangegangenen Gipfelkonferenzen auch, über die folgenden fünf Themen-komplexe verhandelt: 1. Wachstum, Beschäftigung und Inflation, 2. Energie, 3. Handel, 4. internationale Währungspolitik und 5. die Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Das Ergebnis war ein Kompromißpaket, in dem die Teilnehmer sich zu Beiträgen mit unterschiedlichen Schwerpunkten verpflichteten. Ob die Zusagen auch eingehalten werden, bleibt vorerst offen. Bemerkenswert erscheint aber, daß die Zusagen in Bonn konkreter ausfielen als in der Vergangenheit und bereits Ende 1978 eine erste Zwischenbilanz der Ergebnisse vorgenommen werden soll. Der exklusive Klubcharakter der Gipfelkonferenzen kann unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisiert werden. Die Beschränkung auf die westlichen Industriekerne Europa, Nordamerika, Japan mit relativ großer System-und Interessennähe dürfte allerdings erst eine reale Chance für eine auf gemeinsame Ziele koordinierte Wirtschaftspolitik eröffnen. Enge Parallelen zeigen sich bei einem Vergleich der wirtschaftspolitischen Gipfelkonferenzen mit der in der Bundesrepublik Deutschland erprobten „Konzertierten Aktion“. So wie als Ziel dieser Aktion eine „orientierende Einkommenspolitik der leichten Hand“ (Schiller) bezeichnet worden ist, kann das Ziel der Wirtschaftsgipfel eine „Integrationspolitik der leichten Hand“ genannt werden. In beiden Fällen sollten die Erwartungen allerdings nicht zu hoch geschraubt werden. Die wirtschaftspolitischen Gipfelkonferenzen sind m. E. ein zwar bescheidener, aber realistischer und entwicklungsfähiger Beitrag, die gefährliche Steuerungslücke auf der Ebene der internationalen Wirtschaftspolitik zu verringern.
Am 16. und 17. Juli 1978 fand in Bonn eine Gipfelkonferenz der Staats-bzw. Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer statt. Auf der Tagesordnung standen zentrale Probleme der Weltwirtschaft, die dringend einer Lösung bedürfen und deren Auswirkungen für jeden Bürger direkt fühlbar sind, teilweise in der sehr schmerzlichen Form von Arbeitslosigkeit. Gipfelkonferenzen finden wegen der mit ihnen verbundenen Zusammenführung politischer Potenz bzw. zumindest Prominenz und der spektakulären Begleiterscheinungen unvermeidlich die internationale Aufmerksamkeit und regen die politische und nicht zuletzt die karikative Phantasie an. So war auch der den Bonner Gipfel begleitende publizistische Aufwand durchaus beeindrukkend. Ob dieser Aufwand allerdings in angemessenem Verhältnis zu den Ergebnissen steht, ist der Frage würdig. Da es sich beim Bonner Wirtschaftsgipfel bereits um die vierte Veranstaltung ihrer Art handelte, erscheint eine Zwischenbilanz möglich und sinnvoll. Im folgenden sollen daher nicht nur die Ergebnisse des Bonner Wirtschaftsgipfels, sondern auch Möglichkeiten und Grenzen des neuen Instrumentes wirtschaftspolitische’ Gipfelkonferenzen analysiert werden.
I. Der Hintergrund
Die wirtschaftspolitischen Gipfelkonferenzen sind ein Kind der Krise. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Anfang der siebziger Jahre kam es zu einer zumindest für die Industriestaaten-insgesamt beeindruckenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, die durch schnelles Wachstum des internationalen Handelsaustausches, Konjunkturzyklen, die sich im wesentlichen in unterschiedlich hohen, aber positiven Wachstumsraten manifestierten, und einen allgemein stark ansteigenden Lebensstandard gekennzeichnet war.'Erst die Rezessionskrise 1974/75 brachte weltweit, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, einen Wirtschaftseinbruch mit schrumpfendem Sozialprodukt und hohen Arbeitslosenzahlen.
Die neue Weltwirtschaftskrise blieb zwar hinsichtlich Stärke, Dauer und politischer Folgen weit hinter der Katastrophe der Weltwirtschaftskrise 1929 zurück, aber sie erschütterte den in den westlichen Industriestaaten verbreiteten Glauben, der erreichte Stand des wirt-
sdiaftspolitischen Wissens und das reichhaltige wirtschaftspolitische Instrumentarium ermöglichten eine indirekte Steuerung marktwirtschaftlicher Systeme, die zumindest schwerwiegende Krisen ausschließe. 1976 gelang es zwar, mit beachtlichen Wachstumsraten aus der Talsohle der Rezession herauszukommen, aber bereits 1977 wurde der erhoffte Aufstieg zu neuen Konjunkturgipfeln gestoppt. Bescheidene Wachstumsraten in den meisten Industrieländern brachten keinen spürbaren Fortschritt bei dem brennendsten Problem, der hohen Arbeitslosigkeit. Eine gefährliche Mischung von konjunkturellen und strukturellen Problemen läßt auch eine begründete Hoffnung auf eine schnelle Überwindung der Schwierigkeiten nicht zu.
Interessant erscheint, daß auch bei dem Versuch, die Weltwirtschaftskrise 1929 zu bewältigen, auf das Instrument Konferenzdiplomatie zurückgegriffen wurde Unter dem Schirm des Völkerbundes fand 1933 eine Weltwirtschaftskonferenz in London statt, an der sich mehr als 50 Staaten beteiligten. Diese Konferenz blieb aber trotz großen Aufwandes — Konferenzdauer eineinhalb Monate, Beteiligung von Spitzenpolitikern sowie Repräsentanten der Sozialparteien und der Wissenschaft — und interessanter Vorschläge im Ergebnis erfolglos. Sie teilte dieses Schicksal mit der vorangegangenen Weltwirtschaftskonferenz 1927 in Genf, die bereits vergeblich versucht hatte, den um sich greifenden Behinderungen des internationalen Handels und Währungsmanipulationen entgegenzuwirken. Sind aus den nahezu anarchischen internationalen Wirtschaftsbeziehungen der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, die eine entscheidende Ursache für die damalige Weltwirtschaftskrise waren, Lehren gezogen wurden? Der Versuch wurde gemacht. Die Neukonstruktion des internationalen Wirtschaftssystems der Nachkriegszeit war weitgehend eine Reaktion auf die negativen Erfahrungen der Zwischenkriegszeit. Sie sah eine neue Balance von nationaler Entscheidungsfreiheit und internationaler Bindung vor. Im Rahmen getrennter Regelungen für die Bereiche Währung, Handel und Investitionen wurden neue internationale Organisationen — Internationaler Währungsfonds (IWF), Sekretariat des allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens (GATT), Weltbank (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) — geschaffen, die zumindest ansatzweise internationale Steuerungsfunktionen erhielten. Dieser Rahmen war sicherlich auch eine entscheidende Voraussetzung für die schon erwähnte enorme Expansion der weltwirtschaftlichen Austausch-beziehungen. Die schweren Mängel des weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmens sind aber inzwischen offenkundig. Abgesehen davon, daß der Ostblock und die Volksrepublik China dem IWF, GATT und der Weltbank nicht angehören und eine wirksame, institutionalisierte Koordination bisher fehlt dürfte die entscheidende Schwäche in der Diskrepanz zwischen privatwirtschaftlicher und staatlicher Integration zu suchen sein. Die privatwirtschaftliche Integration hat enorm zugenommen, wie die Entstehung weltweit operierender multinationaler Konzerne und eines supranationalen Geld-und Kapitalmarktes in Form des Euromarktes zeigt. Die privatwirtschaftliche Integration und die damit verbundene gegenseitige Abhängigkeit der nationalen Volkswirtschaften drückt sich nicht zuletzt in der wachsenden Synchronisierung der nationalen Konjunkturzyklen aus, die immer stärker in internationalen Konjunktur-zyklen eingebunden werden. Diese Entwicklung hat gerade die jüngste Weltwirtschaftskrise verdeutlicht. Zwar liegt die wichtigste Krisenursache in binnenwirtschaftlichen Fehlentwicklungen gerade der weltwirtschaftlich wichtigsten Länder, insbesondere dem Treibenlassen der Inflation, aber zweifellos haben auch die Mängel des internationalen Ordnungsrahmens dazu beigetragen, daß nationale Fehlentwicklungen begünstigt und international verstärkt wurden. Die privatwirtschaftliche Integration über die nationalen Grenzen hinweg ging nicht einher mit einem entsprechenden Ausbau der internationalen Steuerungskompetenzen, da die dafür notwendige Bündelung oder Übertragung von geheiligten nationalen Entscheidungsrechten auf internationale Organisationen nicht durchsetzbar war. Neben traditionellem Souveränitätswahn und Denken in nationalen Kategorien war für das Steuerungsdefizit auf internationaler Ebene allerdings auch verantwortlich, daß die wirtschaftlichen Zielvorstellungen zu unterschiedlich waren. So bestand gerade in der Krise die Gefahr, daß die Steuerungslücke die Staaten wie in den zwanziger Jahren zu nationalen Alleingängen möglichst auf Kosten der anderen veranlassen würde. Ein Verhalten nach der Devise alle gegen alle hätte die Krise aber mit Sicherheit verschärft.
Die bestehenden internationalen Organisationen haben im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten versucht, dieser Gefahr zu begegnen Dennoch gilt, daß der Steuerungsbedarf oder bescheidener der Koordinationsbedarf in der internationalen Wirtschaftspolitik im bestehenden internationalen Rahmen nicht gedeckt wird.
Von dieser Einschätzung ging offenbar auch der französische Staatspräsident Giscard d'Estaing aus, als er die Initiative zum ersten Wirtschaftsgipfel im November 1975 auf Schloß Rambouillet bei Paris ergriff. Auch in den Folgejahren kam es jeweils einmal jährlich zu Gipfelkonferenzen: Juni 1976 in San Juan auf Puerto Rico, Mai 1977 in London, Juli 1978 in Bonn. Bereits aus der Tatsache ihrer regelmäßigen Wiederholung auf den Sinn und Nutzen der Wirtschaftsgipfel zuschließen, wäre sicherlich vorschnell. Zu fragen ist, ob Gipfelkonferenzen ein geeignetes Instrument darstellen, die internationale Koordinationslücke wenigstens teilweise zu schließen.
II. Die Ziele
Abbildung 2
Land Was die sieben „Gipfelländer“ erreicht haben — und erreichen wollen Wachstum in % Teuerungsrate in ’/o Arbeitslose in °/ USA England Frankreich Italien Japan Kanada Bundesrepublik 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 4, 8 10, 1 Progn.
0, 8 2, 7 Progn.
3, 0 2, 5— 3, 5 Progn.
1, 7 4, 5 Progn.
5, 1 7, 0 Progn.
2, 6 5, 0 Progn.
2, 4 3, 5 Progn. Quelle: Süddeutsche Zeitung v. 15. /16. 7. 1978, S. 31 6, 5 April 6, 6 15, 9 April 7, 9 9, 8 April ?
Land Was die sieben „Gipfelländer“ erreicht haben — und erreichen wollen Wachstum in % Teuerungsrate in ’/o Arbeitslose in °/ USA England Frankreich Italien Japan Kanada Bundesrepublik 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 1977 1978 4, 8 10, 1 Progn.
0, 8 2, 7 Progn.
3, 0 2, 5— 3, 5 Progn.
1, 7 4, 5 Progn.
5, 1 7, 0 Progn.
2, 6 5, 0 Progn.
2, 4 3, 5 Progn. Quelle: Süddeutsche Zeitung v. 15. /16. 7. 1978, S. 31 6, 5 April 6, 6 15, 9 April 7, 9 9, 8 April ?
Versucht man, mögliche Ziele der Gipfelkonferenzen zu systematisieren, so ergibt sich als Mindestziel die gegenseitige Information und Diskussion der nationalen Positionen zu internationalen Wirtschaftsfragen wie auch zu nationalen Vorhaben und Problemen mit internationalen Auswirkungen. Darüber hinaus geht die Koordinierung der nationalen Positionen und ihre Umsetzung in gemeinsame Aktionen. Die Gipfelkonferenzen zeichnen sich durch Ranghöhe und geringe Zahl der Teilnehmer aus. Sie scheinen auf dem abgewandelten Motto zu beruhen: Wirtschaftspolitik ist insbesondere in Krisenzeiten zu wichtig, um sie den Fachministern zu überlassen. Der unmittelbare Kontakt der Staats-bzw. Regierungschefs kann in der Tat die Chancen für schnelle Entscheidungen verbessern. Als ein Beleg mag die einzige, allerdings auch außerökonomische Überraschung des Bonner Gipfels dienen, die offenbar erst in Bonn ausgearbeitete „Erklärung zu Flugzeugentführungen“. Andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Faktum der Gipfelkonferenzen und die daran geknüpften Erfolgserwartungen die Regierungen dazu verleiten, entscheidungsreife Maßnahmen zu verzögern, um sie als „Gipfelangebote" zu erhalten.
Die Beschränkung der Teilnehmer auf die wichtigsten Länder soll einmal einen intimen und — so die Hoffnung — damit auch erfolgversprechenderen Rahmen der Meinungsbildung schaffen. Bundeskanzler Schmidt z. B. hat betont, der normale diplomatische Meinungsaustausch könne „zum ersten nicht die Spontaneität und Fruchtbarkeit des direkten Gesprächs ersetzen; er kann zum zweiten keine zureichende Kenntnis von der Denkstruktur der zugrunde liegenden außenpolitischen oder wirtschaftspolitischen Philosophie, von den ganz persönlichen Besorgnissen und ebenso von den ganz persönlichen Aspirationen und ebenso von den ganz persönlichen Konzeptionen des einem gegenübersitzenden Staatsmannes vermitteln. Nach meiner eigenen Erfahrung sind persönliche Kontakte unter den verantwortlichen Politikern verschiedener Staaten von unschätzbarem Wert. Nur so fühlt man sich einigermaßen sicher, auch in ungewöhnlichen Lagen, die jeden Tag eintreten können, das Denken und die Reaktionen des anderen richtig einschätzen zu können"
Ein kleiner Teilnehmerkreis begünstigt sicherlich auch insofern die Abstimmung, weil die zu berücksichtigenden Interessen rein quantitativ leichter „unter einen Hut zu bringen sind". Andererseits ist bei etwaigen Aktionen auch die Reichweite begrenzt. Die Beschränkung auf wenige Länder läßt sich unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit nur dann vertreten, wenn es sich dabei um „Schlüsselländer” handelt. Zur Verdeutlichung mag die „Loko-
motivthese" dienen. Danach sollten die wichtigsten Welthandelsländer, insbesondere die wirtschaftlich stärksten wie die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Japan, durch eine koordinierte binnenwirtschaftliche Ankurbelung als weltwirtschaftliche Lokomotive wirken und durch wachsende Importe auch andere Länder aus dem Krisensumpf herausziehen. Die „Lokomotivthese" scheint inzwischen in den „Schuppen” verbannt. Nunmehr dominiert die realistischere „Konvoi-These”. Sie geht von koordinierten Anstrengungen aller Geleitzugteilnehmer aus, läßt aber Raum für unterschiedliche Beiträge. Das weltwirtschaftliche Gewicht des Siebener-Geleitzuges ist beträchtlich. Auf die sieben allein entfällt z. B. fast die Hälfte des Welthandels.
Um so wichtiger erscheint es, daß die Gipfelkonferenzen auch zu Aktionen führen. Dies setzt die Überzeugung jedes einzelnen Teilnehmers voraus, da der informelle Charakter der Gipfelkonferenzen Mehrheitszwang ausschließt und jedem Teilnehmer sein Entscheidungsrecht beläßt. Bei den Aktionen lassen sich defensive und offensive unterscheiden. Defensive Aktionen dienen dazu, weltwirtschaftlich schädliche nationale Maßnahmen zu verhindern. Als Beispiel sei das wiederholte Gipfelversprechen genannt, protektionistischen Tendenzen entgegenzutreten. Das Verhindern nationaler Alleingänge auf Kosten der Partner markiert den wichtigsten Unterschied zurKrisenreaktion 1929 und sollte nicht unterbewertet werden Als offensive Aktion wäre dagegen z. B. die Einigung über Zollsenkungen — international — oder ein Kompromißpaket nationaler Maßnahmen, z. B. amerikanische Einsparungen bei den Ölimporten und fiskalische Maßnahmen zur Förderung des Wachstums in der Bundesrepublik, anzusehen.
Ziel von Gipfelkonferenzen dürfte es u. a. auch sein, den einzelnen Regierungen Schützenhilfe zu leisten bei der Durchsetzung von international erwünschten Maßnahmen, die aber innenpolitisch eventuell schwer durchsetzbar sind. Ein Beispiel ist die Drosselung der amerikanischen Ölimporte. Auch für Gipfelkonferenzen gilt, daß die Spitzen der Exekutive eingebunden bleiben in ihre nationalen Regierungssysteme und ihre Entscheidungsfreiheit faktisch beschränkt ist durch den nationalen politischen Entscheidungsprozeß. Ist z. B. für eine Maßnahme ein Gesetz erforderlich, muß die Zustimmung des Parlaments gewonnen werden. So hat sich der deutsche Bundeskanzler in Bonn auch nur verpflichtet, finanzpolitische Expansionsmaßnahmen dem Parlament vorzulegen.
Da in marktwirtschaftlich organisierten Ländern die politischen Instanzen nur den Ordnungsrahmen bestimmen und finanzpolitische Impulse geben können und da für die wirtschaftlichen Entscheidungen von Produzenten und Konsumenten psychologische Komponenten eine wichtige Rolle spielen, zielen Gipfelkonferenzen nicht zuletzt darauf ab, ein Klima des Vertrauens zu verbreiten, um damit die Voraussetzungen für verstärkte privatwirtschaftliche Aktivitäten zu verbessern. Dies gilt besonders für eine Periode, in der die Unsicherheit der privaten Akteure als ein Haupthindernis für die Krisenbewältigung angesehen wird. Der psychologische Aspekt der Vertrauenswerbung mit Hilfe der Gipfelkonferenz durchzieht daher auch wie ein roter Faden insbesondere die Presseerklärung des französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing nach der Bonner Konferenz Die Erreichung des psychologischen Zieles wird aber durch eine Asymmetrie erschwert. Der mit Gipfelkonferenzen verbundene hohe Erwartungshorizont führt leicht dazu, daß Aktionen im defensiven Bereich unterbewertet und nur bescheidene Ergebnisse bereits als Mißerfolg angesehen werden.
III. Die Akteure
Ein Modell der Schlüsselländer, wie es den Gipfelkonferenzen zugrunde liegt, beruht auf der Annahme, daß die Wirtschaftsgroßmächte eine besondere Verantwortung haben und daher eine gesonderte Abstimmung und Koordination notwendig ist und auch im Interesse der wirtschaftlich weniger gewichtigen Länder liegt. Gegen diese Argumentation bestehen zwei ernst zu nehmende Einwände.
Einmal gilt, daß auf dem Wirtschaftsgipfel in der heutigen Form gerade nicht alle wichtigen Wirtschaftsmächte vertreten sind. Giscard d'Estaing hat in einem Interview vor der Bonner Gipfelkonferenz die weltwirtschaftliche Lage analysiert und ist dabei von acht Polen ausgegangen, deren Beziehungen zueinander berücksichtigt werden müßten: vier industrialisierte Pole, nämlich Nordamerika, Westeuropa, Japan und die sozialistischen Länder, sowie darüber hinaus die erdölexportierenden Länder, die halbindustrialisierten Schwellenländer (z. B. Mexiko, Brasilien), die übrigen Entwicklungsländer und China. Von diesen acht „Polen” — zumindest bei den drei Entwicklungsländerpolen handelt es sich um geographisch und interessenmäßig sehr heterogene Gruppierungen — sind nur drei auf dem Gipfel präsent, Westeuropa gleich viermal, Nordamerika zweimal, dazu Japan. Die Gipfelkonferenzen sind also selbst für die „Pole” nicht repräsentativ, und die Reichweite von Gipfelbeschlüssen ist von vornherein stark eingeschränkt. Andererseits wären bedeutsame Integrationsfortschritte von einem Acht-Pole-Gipfel in der heutigen Situation schwerlich zu erwarten. Erst die größere System-und Interessennähe Nordamerikas, Westeuropas und Japans berechtigt zu der Hoffnung, daß Gipfelkonferenzen zu einer abgestimmten und auf gemeinsame Ziele koordinierten Wirtschaftspolitik führen. Der zweite Einwand lautet: Die Exklusivität bei Gipfelkonferenzen bedinge einen „undemokratischen" Entscheidungsprozeß. Zwar liege es im Interesse aller Länder, daß die Wirt-
schaftsgroßmächte ihre Politik aufeinander abstimmten, um die Krise zu bekämpfen, aber die Teilnahme am Gipfel bedeute auch einen Interessenfilter. Es besteht ohne Zweifel die Gefahr, daß in den Versuch einer abgestimmten Politik allein die Interessen der Gipfel-teilnehmer einfließen, „über den Wolken" die Interessen der „Talbewohner" dagegen außer Sicht geraten.
Der Realitätsgehalt solcher Erwägungen wird durch die Auseinandersetzungen um die Gipfelteilnahme belegt, die nicht allein mit Prestigesucht zu erklären sind. Ausgangspunkt dürfte der im Währungsbereich seit 1962 existierende Zehnerklub der wichtigsten westlichen Industriestaaten gewesen sein, dem die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die Niederlande, Belgien und Schweden angehören. Aus dem Zehnerklub hat sich 1973 eine noch elitärere Fünfergruppe — USA, Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Japan — gebildet, die versucht hat, Streitfragen der Währungsreformverhandlungen „vorzuklären". Der vehemente Protest insbesondere Italiens dürfte ein Grund gewesen sein, Italien zu der ersten Gipfelkonferenz in Rambouillet, auf der Währungsfragen im Zentrum standen, einzuladen. In der Quoten-struktur des IWF — mit den Quoten wird versucht, das wirtschaftliche Gewicht der einzelnen Länder zu messen — rangiert aber Kanada noch vor Italien, und zudem dürften auch die USA an einem Abbau der zahlenmäßigen Dominanz der Westeuropäer interessiert gewesen sein. Ab der zweiten Konferenz wurde also auch Kanada in den exklusiven Klub aufgenommen, und aus dem Sechsergipfel wurden „die gioreichen Sieben".
Inzwischen handelt es sich sogar um siebeneinhalb oder acht Teilnehmer. Die Kritik der kleineren Länder äußerte sich besonders heftig in der Europäischen Gemeinschaft, wo ein Teil der wirtschaftspolitischen Kompetenzen, insbesondere beim Handel, von der nationalen Ebene auf die Gemeinschaftsorgane überge-gangen ist. Zu Recht wurde deshalb argumentiert, daß zumindest bei Themen mit Gemeinschaftskompetenz die nationale Gipfelpräsenz der großen EG-Staaten allein unzulässig sei, da die EG als Ganzes und damit auch die kleineren Mitgliedsländer direkt betroffen seien. Der Präsident der EG-Kommission, Jenkins, wurde deshalb auf dem dritten Gipfeltreffen in London hinzugezogen, aber nur am zweiten Tag, an dem Themen mit Gemeinschaftskompetenz — GATT-Verhandlungen, Nord-Süd-
Dialog, Energieversorgung — auf der Tagesordnung standen. Diese „halbe" Beteiligung führte zu einem „Hauskrach" in der EG, da die kleineren Mitgliedsländer befürchteten, unabhängig von der Tagesordnung werde die Substanz aller anstehenden Fragenkreise schon am ersten Tag behandelt. In Bonn wurde Kommissionspräsident Jenkins daraufhin voll an den Verhandlungen beteiligt.
Eine analoge Auseinandersetzung um die Beteiligung gab es auch auf nationaler Ebene. Neben den Staats-bzw. Regierungschefs wa-ren in der Regel die Außen-und die Finanzminister beteiligt. Unter dem Gesichtspunkt der fachlichen Kompetenz ist dabei sicherlich nicht uninteressant, daß von den sieben Staats-bzw. Regierungschefs allein vier — Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt, Takeo Fukuda und James Callaghan — ehemalige Finanzminister sind. Die Beteiligung der Finanzminister erscheint in den meisten Staaten auch ganz selbstverständlich, da die bundesdeutsche Kompetenzaufteilung in Wirtschafts-und Finanzministerium eine hiesige Sonderkonstruktion ist und das besondere Ansehen und Gewicht des deutschen Wirtschaftsministers zudem auf eine spezifische, von Ludwig Erhard begründete Tradition zurückgeht. Auch bei der Forderung von Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff nach direkter Beteiligung am Gipfeltreffen dürften sowohl Prestige-als auch Kompetenzüberlegungen im Spiel gewesen sein. Die Folge war die Neuerung einer deutschen Ministerstafette auf dem Bonner Gipfel. Erstmals erhielt auch der deutsche Wirtschaftsminister Zutritt, allerdings — so der Kompromiß — nur partiell, nämlich bei den Themen internationale Handelsfragen und Energie
IV. Die Verhandlungsthemen und Verhandlungsergebnisse des Bonner Gipfels
Die Themen der Gipfelkonferenz sind sich im wesentlichen gleich geblieben, was angesichts der wenig veränderten Problemlage auch nicht verwundern kann. Dennoch sind unterschiedliche Akzente deutlich. Beim ersten Gipfel in Rambouillet 1974 standen die Währungsprobleme, insbesondere die Wechselkursfrage, im Vordergrund. Dazu trug bei, daß gerade der einladende französische Staatspräsident die Unordnung des internationalen Währungssystems als eine wichtige Ursache der Weltwirtschaftskrise diagnostizierte. Aber die erste Gipfelkonferenz beschäftigte sich darüber hinaus mit dem Gesamtkomplex der Konjunktur-, Handels-und Energiepolitik. 1976 auf Puerto Rico bildeten die Beziehungen zu den Entwicklungsländern einen Diskussionsschwerpunkt, wenn auch die mager blieben Ergebnisse Von den Gipfelergebnissen 1977 in London erscheinen besonders bemerkenswert die harte Absage an die Inflationsdroge — «Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern eine ihrer Hauptursachen — und die Festlegung auf Wachtumsraten insbesondere für die Lokomotiven USA, Bundesrepublik Deutschland und Japan, auch wenn Zahlenwerte in der Londoner Erklärung nur indirekt genannt werden. «Einige unserer Länder haben sich für 1977 angemessen expansive Wachstumsziele gesteckt. Die Regierungen dieser Länder werden ihre Politik laufend überprüfen und verpflichten sich, erforderlichenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen, um ihre erklärten Wachstumsziele zu erreichen ..." Das Nichterreichen der gesetzten Wachstumsziele vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und in Japan muß als Vorbelastung der Bonner Gipfelkonferenz angesehen werden.
Die Erfolge der ersten drei Gipfel sind vor allem im Bereich negativer Aktionen — Abwehr nationaler Alleingänge ohne Rücksicht auf die Partner — zu sehen. Der «Stein der Weisen'zur vollständigen Überwindung der Krise wurde, wie zu erwarten, auch auf dem Gipfel nicht entdeckt. Eine Lösung und muß in beharrlichen, wenn auch vielleicht bescheidenen Fortschritten in vielen Einzelbereichen gesucht werden, wobei die Einzelschritte in eine Gesamtstrategie einzubeziehen sind.
In Bonn wurde erneut über die folgenden fünf Themenkomplexe verhandelt: 1. Wachstum, Beschäftigung und Inflation, 2. Energie, 3. Handel, 4. internationale Währungspolitik und 5. Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Alle Themenkomplexe sind in wichtigen Punkten wechselseitig miteinander verbunden. Es war von vornherein klar, daß es zu abgestimmten Aktionen nur kommen würde, wenn die einzelnen Teilnehmer sich zu Beiträgen mit unterschiedlichen Bereichsschwerpunkten verpflichteten, die zu einem Kompromißpaket verschnürt werden könnten. Die Grobstruktur des Paketes zeichnete sich schon vor dem Gipfel ab: Amerikanische Maßnahmen vor allem im Energiebereich, deutsche und japanische Anstrengungen zur Verstärkung des Wachstums und eine Öffnung des japanischen Marktes für Importe, Beiträge der anderen Teilnehmer vor allem beim weiteren Kampf gegen Inflation und Protektionismus. Als besonderer Erfolg des Bonner Gipfels ist von den Teilnehmern hervorgehoben worden, daß es zu konkreten Verpflichtungen der einzelnen Länder gekommen sei „Die von uns vereinbarten Maßnahmen stützen sich gegenseitig. Ihre Gesamtwirkung dürfte daher größer sein als die Summe ihrer Teile. Wir werden uns nunmehr darum bemühen, die Unterstützung der Parlamente und der Öffentlichkeit für diese Maßnahmen zu gewinnen. ’ Damit wird zugleich Anspruch und eine wichtige Einschränkung der Bonner Gipfelresultate deutlich. Die Ergebnisse auf den einzelnen Teilgebieten sollen im folgenden kurz analysiert werden. 1. Wachstum, Beschäftigung und Inflation Die Gipfelteilnehmer setzen auf Wachstum als Mehrzweckwaffe, betonen aber, daß es sich um inflationsfreies Wachstum handeln müsse. Wachstum soll 1. zur Lösung des drückendsten Problems Arbeitslosigkeit beitragen, 2. zu einem besseren Zahlungsbilanzgleichgewicht verhelfen und damit die heftigen Wechselkurs-schwankungen verringern, 3.den innenpolitischen Druck auf vermehrte Protektionsmaßnahmen mindern. Die unterschiedliche Ausgangslage hinsichtlich Zahlungsbilanz und Inflationsrate bedingt auch unterschiedliche Positionen im Wachstumskonvoi und unterschiedliche Maßnahmenschwerpunkte.
Die USA, bei denen eine hohe Wachstumsrate mit einem bedrohlichen Zahlungsbilanzdefizit und einer rasch steigenden Inflationsrate einhergeht, haben versprochen, sich vorerst auf den Kampf gegen die Preissteigerungen zu konzentrieren. Ihren Spielraum für Expansionsmaßnahmen sollen vor allem die Länder in einer starken Zahlungsbilanzsituation und mit relativ niedrigen Preissteigerungsraten nutzen: Japan und die Bundesrepublik Deutschland.
Japan hat versprochen, sich für 1979 um eine Steigerung der Wachstumsrate um 1, 5-Prozent-Punkte zu bemühen und dafür insbesondere die Inlandsnachfrage auszuweiten.
Die Bundesregierung war angesichts der enttäuschenden und ernüchternden Erfahrungen mit dem nicht eingehaltenen Londoner Wachstumsversprechen keinesfalls bereit, sich noch einmal auf Wachstumsraten festlegen zu lassen Bundeskanzler Schmidt hat auch aus seiner Skepsis gegenüber den Wirkungen zusätzlicher staatlicher Finanzimpulse keinen Hehl gemacht Im Rahmen des Kompromißpakets hat die deutsche Delegation auf Drängen der Gipfelmehrheit aber erklärt, „daß sie ihren gesetzgebenden Körperschaften bis Ende August zusätzliche, quantitativ substantielle Maßnahmen um bis zu 1 Prozent des BSP Vorschlägen wird, um eine erhebliche Stärkung der Nachfrage und eine höhere Wachstumsrate zu erreichen. Die Größenordnung wird die Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarkts und die Notwendigkeit berücksichtigen, ein Wiederaufleben des inflationären Drucks zu vermeiden." Die vorsichtige Formulierung „bis zu 1 Prozent" und die einschränkenden Bedingungen sind aber im Transformationsprozeß durch die Massenmedien des In-und Auslandes weitgehend verlorengegangen, so daß im öffentlichen Erwartungshorizont die 13 Mrd. DM (= 1 Prozent) zur magischen Zahl geworden sind. Die inhaltliche Offenhaltung der versprochenen zusätzlichen Maßnahmen war schon deshalb geboten, weil innerhalb der Bundesrepublik dieses Thema heftig umstritten war. Neben schon genannten Delegationen haben übrigen auch die Gipfelteilnehmer wirtschaftspolitische Maßnahmen versprochen, angesichts ihrer Lage aber mit stärkerem Akzent auf der Inflationsbekämpfung.
Exkurs: Das innenpolitische 13 Mrd. -DM-Paket Um ihre Gipfelzusage einzuhalten, mußte die Bundesregierung nach der Bonner Konferenz ein zweites, innenpolitisches Paket schnüren. Grundsätzlich gab es zwei Möglichkeiten, den expansiven staatlichen Finanzimpuls inhaltlich auszugestalten: Steuersenkungen — entweder im Bereich der Unternehmenssteuern oder ansetzend bei den privaten Einkommensbeziehern und Konsumenten — oder staatliche Ausgabensteigerungen — wiederum primär im investiven oder konsumtiven Bereich. Die diskutierten Einzelvorschläge waren zahlreich und sprengten zusammen bei weitem die an-visierte Obergrenze von 13 Mrd. DM. Nach Bundesfinanzminister Matthöfer galt die Suche den Maßnahmen, „welche die größte wirtschaftliche Anstoßwirkung hätten, politisch durchsetzbar, sozial ausgewogen und solide finanzierbar seien" Die zentralen Probleme des innenpolitischen Kompromisses sollen skizziert werden, indem das vom Bundeskabinett inzwischen entschiedene Paket an diesem speziellen „magischen Zielviereck" gemessen wird. Der Kabinettsbeschluß umfaßt im wesentlichen die folgenden Positionen:
— 10— 11 Mrd. DM für eine Entlastung bei der Lohn-und Einkommensteuer ab 1. Ja-nuar 1979;
— rd. 3 Mrd. DM für Erhöhungen des Kinder-geldes und verbesserten Mutterschutz;
— 750 Millionen DM zusätzliche staatliche Mittel für Technologie, Entwicklung und Umweltschutz;
— 1, 7 Mrd. DM zusätzliche Steigerung des Bundeshaushalts 1979 gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung.
Die finanzielle Belastung dieser Paketteile würde sich für 1979 auf etwa 16 Mrd. DM belaufen. Der Nettoeffekt vermindert sich aber dadurch, daß als weitere Paketkomponente die Mehrwertsteuer zum 1. Juli 1979 um einen Prozentpunkt (7 Mrd. DM pro Jahr) erhöht werden soll, um etwa 3, 5 Mrd. DM und liegt mit 12— 13 Mrd. DM an der Obergrenze der Gipfelzusage.
— ab 1. Januar 1980 werden die Abschaffung der Lohnsummensteuer und höhere Freibeträge bei der Gewerbeertragssteuer vorgeschlagen mit geschätztem jährlichen Steuerausfall von rd. 3 Mrd. DM.
Der Schwerpunkt des Paketes liegt eindeutig bei steuerlichen Maßnahmen, wobei die Haupt-entlastung bei der Lohn-und Einkommensteuer erfolgt. Unter dem Gesichtspunkt der wachstumspolitischen Wirksamkeit hätte sich eine frühere und stärkere Entlastung bei den gewinnunabhängigen Unternehmensteuern angeboten, da diese die Investitionen stärker beeinflussen dürften als die von der Lohn-und Einkommensteuersenkung ausgehende zusätzliche Nachfrage und der eventuelle Leistungsanreiz Aber dem dürften soziale Symmetriegründe — z. B. gewerkschaftlicher Widerstand gegen „Steuergeschenke" an die Unternehmen — entgegengestanden haben. Die soziale Komponente kommt vor allem beim verbesserten Kindergeld und Mutterschutz zum Ausdruck. Bei der Frage der Finanzierbarkeit galt es zu prüfen, ob die zusätzlich notwendige Staatsverschuldung noch vertretbar ist, insbesondere nicht konjunkturpolitisch schädliche Zinssteigerungen oder Inflationsbefürchtungen ausgelöst werden. Angeblich hat die Deutsche Bundesbank die auf der Grundlage des Paketes für 1979 notwendige Staatsverschuldung von etwa 60 Mrd. DM für noch vertretbar erklärt Um den Kapitalmarkt nicht überzubelasten, dürfte auch die Mehrwertsteueranhebung schon für Mitte 1979 beschlossen worden sein, obwohl sie unter dem sozialen Aspekt — relativ stärkere Belastung der schwächeren Einkommensschichten — problematisch ist
Die Frage der Finanzierbarkeit betrifft auch das Verhältnis der drei Gebietskörperschaften Bund, Länder und Gemeinden. Die Lohnsummensteuer, die den Einsatz von Arbeitskräften steuerlich „bestraft” und damit als der jetzigen Situation besonders unangemessen betrachtet wird, steht den Gemeinden zu. Ihre Abschaffung soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung mit einem neu ausgehandelten Finanzausgleich verbunden werden, der Bund, Ländern und Gemeinden ihren bisherigen Finanzanteil beläßt.
Die damit notwendigen Verhandlungen leiten über zur Zielecke politische Durchsetzbarkeit, die für das Paket dominierend war. Die Ausgangsposition war durch sehr unterschiedliche Vorstellungen in der sozial-liberalen Koalition gekennzeichnet. Die FDP hatte den Steuerbereich als einen Schwerpunkt gewählt, um ihr eigenes liberales Profil zu verdeutlichen, und forcierte diese Bemühungen nach den Wahlniederlagen in Hamburg und Niedersachsen. Sie trat u. a. für eine schnelle Reform bei der Lohn-und Einkommensteuer schon 1979 und Entlastungen auch bei den gewinnunabhängigen Unternehmenssteuern ein und befand sich damit weitgehend in Übereinstimmung mit der CDU/CSU. In einem bekanntgewordenen Schreiben an Bundeskanzler Schmidt hat Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff im Hinblick auf die EG-Konferenz in Bremen und den Wirtschaftsgipfel in Bonn erklärt, er halte aus wachstumspolitischen Gründen einen zusätzlichen finanzpolitischen Impuls zu Beginn des Jahres 1979 in Höhe von etwa 10 bis 15 Mrd. DM — überwiegend durch Maßnahmen zur Verringerung der direkten Steuern — für notwendig Die SPD strebte demgegenüber eine Reform der Lohn-und Einkommensteuer erst für 1980 an und wollte erforderliche finanzpolitische Impulse primär durch staatliche Fonds zur Förderung privater Innovationsinvestitionen geben, die eine verstärkte staatliche Beeinflussung der Investitionsentscheidungen ermöglicht hätten. Das inhaltlich überwiegend den FDP-Forderungen entsprechende Paket ist von den Koalitionspartnern als „ausgewogen" bewertet worden. Der betonte Hinweis, der Kompromiß sei ein Beweis für die Tatkraft und Geschlossenheit der Regierungskoalition macht den Stellenwert übergeordneter koalitionspolitischer Erwägungen deutlich. Von der CDU/CSU-Opposition ist das Ergebnis als „fauler Kompromiß” kritisiert worden Da die CDU/CSU-regierten Länder über die Mehrheit im Bundesrat verfügen und die Steuergesetze der Zustimmung des Bundes-rates bedürfen, ist eine weitere Kompromißrunde zu erwarten. Die Forderungen der CDU/CSU richten sich vor allem auf eine stärkere Entlastung bei den gewinnunabhängigen Steuern für die allein eine Erhöhung der Mehrwertsteuer annehmbar sei. 2. Energie Im Energiebereich hatte sich die EG auf ihrem Vorgipfel in Bremen bereits auf das Ziel festgelegt, die Abhängigkeit von eingeführter Energie bis 1985 auf 50 Prozent zu verringern und für jedes Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts den Energieverbrauch nur unter-proportional um 0, 8 Prozent wachsen zu lassen. Die wichtigsten Verpflichtungen wurden aber von dem Hauptenergieverschwender USA erwartet, von dessen Ergebnissen seit London die anderen Gipfelteilnehmer enttäuscht waren Die USA sind relativ pro Einwohner und absolut der größte Energieverbraucher der Welt und haben trotz hoher Eigenproduktion ihre Olimporte seit der Ölkrise noch stark gesteigert. Die Ausgaben für Olimporte sind eine wichtige Quelle des amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits, das wiederum den Dollarkurs nach unten drückt, die Unruhe an den Devisenmärkten schürt und damit die Konkurrenzsituation auf den Weltmärkten verzerrt. Die USA haben in Bonn versprochen, bis zum Jahresende ein umfassendes politisches Instrumentarium zu entwickeln, um ihre Ölimportabhängigkeit zu mindern. Zu den Verpflichtungen zählen insbesondere — eine Verringerung der Oleinfuhr bis 1985 um etwa 2, 5 Millionen Barrel (400 Mill.
Liter) pro Tag und damit um 20— 25 Prozent,
— für 1978 und 1979 eine geringere Oleinfuhr als 1977, — bis Ende 1980 die Anhebung des bisher niedrigen Olpreises in den USA auf das Weltmarktniveau, um den Ölverbrauch einzuschränken und die verstärkte Nutzung von Kohle zu fördern, — ein unterproportionaler Anstieg des Energieverbrauchs in Relation zum Sozialprodukt, und zwar mindestens im Umfang des EG-Zieles (80 Prozent).
Das umfangreiche Energieprogramm Präsident Carters liegt seit langem dem amerikanischen Kongreß vor, der die wichtigsten Maßnahmen bisher aber blockiert hat. In der Presse ist daher auch kritisiert worden, daß Carter in Bonn zu vage geblieben sei Er habe insbesondere keine Zusage gemacht, die in seiner Kompetenz liegenden exekutiven Maßnahmen — z. B. Erhebung von Abgaben auf Importöl Importquoten — auszuschöpfen, falls der Kongreß sein Energieprogramm weiter blockiere. Carter selbst hat betont: „Jeder von uns war vorsichtig bei diesem Gipfel. Wir wollten nichts versprechen, was wir nicht auch einhalten können. ... Jeder der Verantwortlichen ist an die Grenzen dessen gegangen, was er innerhalb der politischen Realität vertreten kann .. Nach Presseberichten war gerade bei der Festschreibung der amerikanischen Energieverpflichtungen die Abstimmung mit dem widerspenstigen Kongreß sehr eng, „wurde pausenlos mit den Parlamentsführern in Washington telephoniert" Der Erfolg bleibt abzuwarten.
Angesichts der innenpolitischen „grünen Gefahr" ist interessant, daß auf dem Gipfel einerseits der Schutz der Umwelt und der Bevölkerung hervorgehoben, andererseits die wachsende Bedeutung der Kohle und auch der Kernenergie unterstrichen wurde. „Die weitere Entwicklung der Kernenergie ist unerläßlich und die bei der Durchführung der Kernkraft-programme eingetretene rückläufige Entwicklung muß umgekehrt werden." In diesem Zusammenhang haben Präsident Carter und der kanadische Ministerpräsident zugesagt, „im Rahmen wirksamer Sicherungsmaßnahmen weiterhin zuverlässige Lieferanten von Kern-brennstoffen zu sein" Das gemeinsame europäische und japanische Interesse an einer ununterbrochenen Uranversorgung dürfte damit trotz der interpretationsfähigen Formulierung zumindest vorläufig befriedigt sein 3. Handel Beim Handelsthema ging es einmal um den Abbau von besonders großen Zahlungsbilanzungleichgewichten bei wenigen Ländern, insbesondere den USA und Japan. Hier saß vor allem Japan wegen seiner extremen Exportüberschüsse und seiner gleichzeitigen Behinderung von Importen auf der Anklagebank. Der japanische Ministerpräsident sagte denn auch zu, „auf die Steigerung der Einfuhren durch Ausweitung der Inlandsnachfrage und verschiedene Maßnahmen zur Einfuhrerleichterung hinzuwirken. Er erklärte außerdem, daß die japanische Regierung zur Bewältigung des vorhandenen ungewöhnlich hohen Über-schusses den befristeten und außergewöhnlichen Schritt eines Aufrufs zur Mäßigung bei der Ausfuhr ergreift, um das Gesamtvolumen der japanischen Ausfuhren für das Finanzjahr 1978 auf oder unter dem Stand des Finanzjahres 1977 zu halten"
Das zweite Handelsthema betraf die im Rahmen des GATT seit 1973 geführten Verhandlungen über Zollsenkungen und Abbau von Handelshemmnissen, die sogenannte Tokio-Runde, mit der eine langfristige Weichen-stellung für die achtziger Jahre vorgenommen wird. Die ursprünglich gehegte Hoffnung, die Verhandlungen könnten bis zum Bonner Gipfel im wesentlichen abgeschlossen und die Ergebnisse von den Gipfelteilnehmern abgesegnet werden, hat sich nicht erfüllt. Dem Gipfel vorgelegt wurde eine vorläufige Bestandsaufnahme, die wesentliche Streitfragen offenläßt
Die USA drängen vor allem auf besseren Zugang ihrer Agrarprodukte zum europäischen und japanischen Markt. Offen ist auch, wieweit es gelingt, nicht nur Zölle zu senken, sondern auch die nichttarifären Hemmnisse, z. B. auf Importbehinderung angelegte Verwaltungsvorschriften, einzuschränken und strukturkonservierende Maßnahmen, wie Subventionen zur Erhaltung auf dem Weltmarkt an sich nicht mehr konkurrenzfähiger Industriezweige, zu begrenzen. Die Bundesrepublik teilt im Handelsbereich in einigen Streitfragen die Position der USA, muß aber als augenblickliche Präsidialmacht der EG auf europäische Solidarität achten Das wenig befriedigende Ergebnis des Bonner Gipfels hinsichtlich der Handelsverhandlungen ist der Auftrag an die Unterhändler, „in Zusammenarbeit mit den anderen Teilnehmern die noch offenen Fragen zu lösen und die Einzelverhandlungen bis zum 15. Dezember 1978 abzuschließen" Ob vom Gipfel genügend starke Impulse ausgehen, bleibt abzuwarten. Die Zeit drängt aber, da das dem Präsidenten vom amerikanischen Kongreß eingeräumte Verhandlungsmandat zum Jahresende ausläuft. 4. Internationale Währungspolitik Wenig Neues gab es auf dem Währungssektor. Ein besseres Gleichgewicht in den Zahlungsbilanzen und damit verbunden größere Stabilität der Wechselkurse wird von den Maßnahmen in den anderen Bereichen — Wachstum und Inflationsbekämpfung, geringere Olimporte vor allem der USA und gleichmäßigere Handelsströme, insbesondere Abbau der japanischen Uberschußposition — erhofft. „Ungeordneten Verhältnissen” an den Devisenmärkten sollen die Währungsbehörden auch künftig durch abgestimmte Interventionen entgegentreten. Ausmaß und Verantwortung für Interventionen bleiben aber offen und vermutlich auch weiterhin strittig.
Uber das spektakulärste Währungsereignis der letzten Zeit, den auf dem Bremer EG-Gipfel gestarteten Versuch einer stabileren Währungszone in Europa, wurde in Bonn hur berichtet. Die amerikanische Haltung zu dem bisher in den entscheidenden Detailregelungen noch offenen Plan, der die Position des US-Dollar erheblich tangieren dürfte, war offenbar vorsichtig abwartend. Eine ausdrückliche Zustimmung blieb jedenfalls aus, was wegen der bisher nur rudimentären Form des europäischen Währungsunternehmens allerdings auch nicht verwundern kann. 5. Beziehungen zu den Entwicklungsländern Allein in fünf der zum Abschluß der Gipfelkonferenz von den Teilnehmern abgegebenen Presseerklärungen wurde betont, wie stark die Interessen der nichtvertretenen Entwicklungsländer berücksichtigt worden seien, daß sie sozusagen im Geiste dabei gewesen seien. Die gemeinsame Erklärung enttäuscht aber bei den konkreten Zusagen, zumindest ist von dem jüngst diskutierten Marshall-Plan für Entwick-lungsländer nichts zu entdecken. In der Frage der öffentlichen Entwicklungshilfe, bei der alle sieben Länder 1977 hinter dem von ihnen akzeptierten Zielwert von 0, 7 Prozent des BSP zurückblieben und vier nicht einmal die Hälfte erreichten heißt es bescheiden: „In den kommenden Jahren können die Entwicklungsländer, vor allem die bedürftigsten unter ihnen, unsererseits mit einem vermehrten Strom von Kapitalhilfe und anderen Ressourcen zur Förderung ihrer Entwicklung rechnen. ” Allein der japanische Ministerpräsident ging darüber hinaus und erklärte, „er strebe innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren eine Verdoppelung der staatlichen Entwicklungshilfe seines Landes an” Die Gipfelkonferenz sprach in der Entwicklungshilfe auch eine weitere nichtvertretene Gruppe an, indem sie die Länder der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft Comecon aufforderte, eine angemessene Entwicklungshilfe zu leisten Der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA), einer Weltbanktochter, die Kredite zu besonders günstigen Konditionen an die ärmsten Entwicklungsländer vergibt, wurde eine Mittelaufstockung zugesagt. Sie soll eine real, also unter Ausschaltung der Preissteigerungen, wachsende Kreditvergabe ermöglichen. Versprochen wurden auch verstärkte Hilfsbemü-hungen für die Entwicklungsländer im Energiebereich sowie Anstrengungen, die Verhandlungen über einen Gemeinsamen Fonds und Rohstoffabkommen erfolgreich abzuschließen. Nach Zeitungsmeldungen sind die USA dafür eingetreten, in Bonn 500 Millionen Dollar zugunsten neuer Energietechnologien in den Entwicklungsländern zuzusagen, aber taktische Erwägungen hätten dagegen gesprochen Da im nächsten Jahr wichtige internationale Konferenzen stattfinden werden — u. a. die UNCTAD V —, auf denen die Forderungen der Entwicklungsländer zur Diskussion stehen, ist nicht auszuschließen, daß verhandlungstaktische Überlegungen — Manövriermasse — eine Rolle gespielt haben. Der japanische Ministerpräsident hat offenbart, daß auf dem nächsten Gipfel eine gemeinsame Positionsbestimmung für die UNCTAD-Konferenz vorgesehen ist
V. Methodische Aspekte der Wirtschaftsgipfel
Untersucht man die Wirtschaftsgipfel unter dem Gesichtspunkt methodischer Veränderungen und damit auch der „Lernfähigkeit", so zeigen sich einige interessante Entwicklungen. Bemerkenswert ist einmal eine Tendenz zu wachsender Konkretheit der Beiträge, zu denen sich die einzelnen Gipfelteilnehmer verpflichten. In diesem Punkt ist das Bonner Ergebnis zu Recht als Fortschritt gewürdigt worden. Gleichzeitig ist eine Tendenz zu größerer Vorsicht deutlich, was die Reichweite von Versprechungen angeht. Zumindest einige Gipfel-teilnehmer haben aus den enttäuschenden Erfahrungen mit den Verpflichtungen des Londoner Gipfels offenbar Konsequenzen gezogen. Dies gilt z. B. hinsichtlich der „politischen Machbarkeit" von Wachstumsraten. Offenbar ist die Skepsis in dieser Frage aber unterschiedlich ausgeprägt, denn während die Bundesrepublik eine nochmalige Festlegung der Wachstumsraten entschieden abgelehnt hat, haben Italien, Japan und Kanada sich wiederum zu Wachstumsraten bekannt Deutliche Vorsicht bei den Festlegungen auf dem Bonner Gipfel zeigt sich auch hinsichtlich der Beschränkungen der innenpolitischen Handlungsfreiheit. In diesem Zusammenhang scheint interessant, daß auch die Wirtschaftsverbände verstärkt auf den Gipfel hin aktiv geworden sind. Auf einem der Bonner Gipfelkonferenz vorangehenden „Gewerkschaftsgipfel" in Düsseldorf haben führende Gewerkschaftsrepräsentanten aus Nordamerika, Japan und Westeuropa eine 20-Punkte-Erklärung erarbeitet und ihre Forderungen an die Bonner Konferenzteilnehmer verdeutlicht U. a. wurde gewarnt, daß bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit der „gewerkschaftliche Damm" gegen nationale Forderungen nach Einfuhrbeschränkungen brechen könne. Auf nationaler Ebene hat z. B.der Bundesverband des Deutschen Groß-und Außenhandels im Hinblick auf den Wirtschaftsgipfel in einem Schreiben an den Bundeswirtschaftsminister für eine „handelspolitische Vorwärts-strategie” plädiert und detaillierte Vorschläge insbesondere für eine weitere Öffnung des EG-Marktes gemacht Bundeskanzler Schmidt hat vor der Konferenz Vertreter der Unternehmensverbände und der Gewerkschaften zu einem Meinungsaustausch über die Gipfel-thematik empfangen.
Die nach den Londoner Versprechungen enttäuschenden Ergebnisse spielten in der Vor-phase des Bonner Gipfels eine gewichtige Rolle. Es kam zu Versuchen einseitiger Schuldzuweisung und zu Positionspapieren, mit denen unter Einschaltung der Presse die nationalen Positionen gerechtfertigt und „geschönt" wurden. Damit verbunden war auch der Versuch, das thematische Terrain für Bonn entsprechend den eigenen Wünschen vorzuprogrammieren In Bonn blieb aber die den unterschiedlichen Interessenschwerpunkten entspre-chende Themenpalette erhalten und die Realisierungsdefizite gegenüber der Londoner Gipfelerklärung wurden zugunsten einer positiven Zukunftsorientierung anscheinend mit dem Mantel des Wohlwollens zugedeckt.
Für die Verhandlungsstrategien scheint gegolten zu haben, daß die in der Grobstruktur vorab bekannten möglichen Beiträge der einzelnen Teilnehmer im einzelnen bis zum Schluß der Konferenz offengehalten und erst dann im Do-ut-des-Verfahren entschieden und zum Paket verschnürt wurden. Eine Ausnahme von der Regel, den eigenen Beitrag von den Beiträgen der anderen Teilnehmer abhängig zu machen, bildete Japan. Der japanische Ministerpräsident hat in einem Interview noch vor der Gipfelkonferenz im Detail die Verpflichtungen genannt, die dann in die Bonner Schlußerklärung eingegangen sind. Wahrscheinlich wurde damit versucht, der zu erwartenden heftigen Kritik am japanischen Rekordüberschuß in der Zahlungsbilanz und den Importhemmnissen von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Interessant ist die zunehmende Institutionalisierung der Wirtschaftsgipfel, die auf drei Ebenen deutlich wird: 1.der zeitlichen Folge, 2.der Vorbereitung, 3.der Nachbereitung. Die als Ad-hoc-Konferenzen gestarteten Wirtschaftsgipfel haben sich zu regelmäßig einmal im Jahr stattfindenden Treffen entwickelt. So ist in Bonn bereits angekündigt worden, daß auch für 1979 ein Wirtschaftsgipfel zu erwarten ist Nach Informationen aus japanischen Regierungskreisen wird er vermutlich im Juli 1979 in Tokio stattfinden
Eine Neuerung bildete die sehr intensive und langfristige Vorbereitung des Bonner Gipfels durch persönliche Beauftragte der Staats-bzw. Regierungschefs die von Seiten der Gipfel-52) teilnehmer sehr positiv gewertet worden ist. .... das Weltwirtschaftstreffen in Bonn ist durch persönliche Beauftragte von sehr langer Hand vorbereitet worden. Diese persönlichen Beauftragten — in unserem Fall der Berliner Zentralbankpräsident Dr. Dieter Hiss, früher einmal Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt — haben ein entscheidendes Verdienst daran, daß die Chefs dann innerhalb von 48 Stunden zum Ergebnis kommen konnten."
Neu ist schließlich auch die in Bonn beschlossene Nachbereitung der Gipfelkonferenz in Form einer Ergebniskontrolle. „Wir haben unsere Beauftragten angewiesen, vor Ende 1978 zusammenzukommen, um den bei der Durchführung der in dieser Erklärung vorgesehenen Maßnahmen erzielten Fortschritt zu prüfen." Da wichtige Festlegungen auf das zweite Halbjahr 1978 terminiert sind, z. B.der Auftrag zum Abschluß der Tokio-Runde bis zum 15. Dezember, bietet sich eine Ergebniskontrolle zum Jahresende an. Sie soll dafür sorgen, „daß die Verpflichtungen, die wir aufrichtig getroffen haben, nicht in Vergessenheit geraten in den vor uns liegenden Monaten" Damit scheint sich ein regelmäßiger Rhythmus von frühzeitiger Vorbereitung, Gipfelkonferenz und Nachbereitung in Form einer Zwischenbilanz der Ergebnisse anzudeuten.
Die Asymmetrie der öffentlichen Urteilsbildung über die Gipfelergebnisse, die auf den spektakulären Charakter der Gipfelkonferenzen und den daraus resultierenden überhöhten Erwartungshorizont zurückgeht, hat insbesondere Bundeskanzler Schmidt vor der Konferenz durch Dämpfung der Erwartungen zu korrigieren versucht. Diese Asymmetrie dürfte aber bereits durch die zunehmende Institutionalisierung und damit auch Normalisierung abgebaut werden.
VI. Zusammenfassende Bewertung
Die Reaktion der Massenmedien und der Verbände auf die Ergebnisse des Bonner Wirtschaftsgipfels läßt sich am ehesten als „freundliche Skepsis" charakterisieren Die freundliche, anerkennende Komponente gilt den Zielen und Zusagen, die Skepsis ihrer Realisierung, wobei mit wachsender Konkretheit der Verpflichtungen ihre Einhaltung auch leichter überprüft werden kann.
Eine der schärfsten Kritiken stammt vom CSU-Vorsitzenden und finanzpolitischen Sprecher der Bundestagsopposition, Franz Josef Strauß „Auch diesmal hat sich das Schwar-zer-Peter-Spiel wiederholt: zu Hause erklärt man, daß die bestehenden Probleme nur international könnten, gelöst während man in der internationalen Runde feststellt, daß der jeweils andere die Probleme zu Hause lösen müsse. Der Pomp der Auftritte darf nicht erneut im umgekehrten Verhältnis zu dem stehen, später Ergebnis in der praktischen was als Politik der einzelnen Länder und auch gerade in der Bundesrepublik Deutschland — Die herauskommt. zum Showbusineß gewordenen Gipfelkonferenzen können nicht konkrete Politik ersetzen ... Die Absichtserklärungen der einzelnen Regierungschefs für ihre Länder enthalten jedoch weitgehend bereits vorher Beschlossenes, teilweise nur Unverbindliches, teilweise werden Maßnahmen angekündigt, die bereits seit Jahren überfällig sind." Ein Teil der hier genannten Kritikpunkte verweist zumindest auf real vorhandene Gefahren, wie etwa die innenpolitische Instrumentalisierung der Gipfelkonferenzen zur Imagepflege der Teilnehmer oder als Sündenbock für wirtschaftspolitische Versäumnisse im Inland Dennoch sind die Wirtschaftsgipfel, insbesondere die jüngst in Bonn durchgeführte Konferenz, mehr als nur „Showbusineß", obwohl sicherlich auch politische Showelemente nachweisbar sind. Sollten Gipfelkonferenzen längst überfällige Maßnahmen verwirklichen helfen, wäre dies bereits positiv zu werten. So sind auch die Erfolge bei den rein defensiven Aktionen — Verhinderung nationaler Alleingänge zu Lasten der internationalen Wirtschaftsbeziehungen — nicht zu unterschätzen.
Enge Parallelen zeigen sich bei einem Vergleich zwischen der in der Bundesrepublik Deutschland erprobten Konzertierten Aktion (KA) und den wirtschaftspolitischen Gipfelkonferenzen, die als Versuch einer auf Staaten bezogenen internationalen „konzertierten Aktion” interpretiert werden können. Beide Instrumente gehen auf Krisen zurück — die KA auf die erste Rezessionskrise in Bundesrepublik 1966/67 — und antworten auf Lücken im Konzept der wirtschaftspolitischen Global-steuerung.der versucht, Mit KA wird die wegen der Tarifautonomie dem direkten Zugriff des Staates entzogene und daher offene einkommenspolitische Flanke zu decken, mit den Gipfelkonferenzen die offene außenwirtschaftliche Flanke. Als Ziel der KA hat der ehemalige Wirtschaftsminister und „Dirigent" Karl Schiller einmal eine „orientierende Einkommenspolitik der leichten Hand" genannt, und entsprechend kann als Ziel der Gipfelkonferenzen eine Integrationspolitik der leichten Hand" bezeichnet werden. „Leichte Hand" steht dabei für das Erfordernis, durch gegenseitige Überzeugung und Diskussion der wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten ein Mindestmaß freiwilliger Koordination zu erreichen. Audi die gegen die KA gerichtete grundsätzliche Kritik ist auf die Wirtschaftsgipfel übertragbar. Für die Befürchtung eines Autonomie-'Verlustes der Verbände, insbesondere der Gewerkschaften, durch die KA steht bei den Wirtschaftsgipfeln die Angst vor einer zu weit gehenden Einschränkung der nationalen Handlungsfreiheit, insbesondere eine indrekte Bindung der nationalen Parlamente. Bedenken gegenüber erweiterten Möglichkeiten für eine dirigistische Wirtschaftspolitik gelten analog, auch wenn sie bei den Wirtschaftsgipfeln vermutlich wegen der bisher bescheidenen offensiven Maßnahmen noch nicht laut geworden sind. Selbst das schwierige Problem des Teilnehmerkreises — exklusiver Klub — stellt sich bei KA und Gipfelkonferenzen in gleicher Weise.
Der Vorwurf mangelnder Effizienz — sogar unter dem Aspekt Showbusiness — ist bei den Instrumenten gemacht worden, und für beide muß als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit betont werden: Ohne ein Minimum gemeinsamer Zielvorstellungen der Teilnehmer — vor allem der Sozialpartner im Falle der KA, der nationalen Repräsentanten auf dem Wirtschaftsgipfel — geht es nicht, ohne daß andererseits eine vollständige Interessenharmonie notwendig und zu erwarten ist. Die Begrenzung der Gipfelteilnehmer auf die System-und interessen-nahen westlichen Industriegroßmächte und deren Annäherung in den wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen, z. B. Ablehnung der Inflationsdroge, haben die Erfolgschancen für die Wirtschaftsgipfel ohne Zweifel erhöht, überzogene Erwartungen sind ebenso wie im Fall der KA fehl am Platze, und auch für die Zukunft dürfte mit Enttäuschungen und Rückschlägen zu rechnen sein. „Unter dem Strich" ist das Instrument wirtschaftspolitische Gipfelkonferenzen m. E. jedoch ein zwar bescheidener und ergänzungsbedürftiger, dafür aber realistischer und entwicklungsfähiger Beitrag, die krisenträchtige Steuerungslücke auf der Ebene internationaler Wirtschaftspolitik zu verringern.
Uwe Andersen, Dr, phil., Dipl. -Pol., geb. 1940; Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und der Yale University, New Haven; wiss. Assistent am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München. Veröffentlichungen: Buch-und Zeitschriftenaufsätze insbesondere zu Themen der politischen Ökonomie; Buchpublikationen u. a.: Einführung in die Vermögenspolitik (Beck’-sehe Schwarze Reihe, Bd. 138), München 1976; Das internationale Währungssystem zwischen nationaler Souveränität und supranationaler Integration, Berlin 1977.
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