Parteiprogramme entstehen nicht im luftleeren der Verabschiedung des Grundsatzprogramms Raum, und die Tatsache, daß die CDU erst auf dem Ludwigshafener Parteitag im 1978 ein Grundsatzprogramm verabschiedete, Oktober 1978 endete.
bedeutet nicht, daß sie vorher keine Programme oder etwa keine Grundsätze gehabt der konkurrierenden demokratischen hätte. Eine Partei ohne Grundsätze und Parteien hat ihre Programme in dieser Intensität programmatische Zielvorstellungen und mit dieser systematischen, zweimaligen nicht in der Lage, zwanzig Jahre lang die Beteiligung aller Parteigliederungen am Regierung zu führen und als Opposition stärkste Entscheidungsprozeß erarbeitet. Fraktion zu werden. Das erste für die CDU/ Es gibt m. E. auch keine Partei in der CSU verbindliche politische Programm waren Bundesrepublik, die ein derart umfassendes, in die Düsseldorfer Leitsätze von 1949, die zwar sich konsistentes Grundsatzprogramm besitzt, in der CDU der britischen Zone entwickelt das neben der differenziert ausformulierten wurden, aber als Wahlkampfprogramm für die Beschreibung der Grundwerte gleichzeitig die gesamte Bundespartei und die CSU in der zentralen politischen Schwerpunktthemen ersten Bundestagswahl dienten. Sie haben die der nächsten zehn Jahre nennt und im prinzipiellen der 50er Jahre entscheidend Lösungsansatz darstellt.
geprägt. Sie sind noch heute wesentlicher Grundsatzprogramm der SPD von 1959 Bestandteil christlich-demokratischer (Godesberger Programm) hatte zwei Funktionen Auch das Hamburger Programm zu erfüllen: Zum einen die Absage der von 1953, das Berliner Programm von SPD an frühere marxistische Grundauffassungen das durch die Beschlüsse des Hamburger und zum anderen die Anerkennung der Parteitages von 1973 ergänzt wurde, sowie die /durch die Regierungen Adenauer geschaffenen Erklärung von 1975 bildeten weitere politischen und ökonomischen Grundstrukturen. wichtige Schritte in der Entwicklung Das Godesberger Programm erscheint Programmatik
Jahren eine fundierte Diskussion ihrer politischen Grundsätze, der politischen Herausforderungen ist daher kein Zufall, daß sich Antirevisionisten und der sich daraus entwickelnden und Stamokap-Anhänger mit ihren gegensätzlichen politischen Konsequenzen. Die Anstöße Positionen ebenso auf das Godesberger kamen von der 1971 eingesetzten Grundsatzkommission, Programm berufen können wie die 1972
Bezeichnend ist übrigens auch, daß die SPD erst vor wenigen Jahren eine Grundwertekommission einsetzte, weil sie offensichtlich selbst ihr Defizit in diesem grundlegenden Po-litikbereich angesichts des immer stärker zerfasernden Konsens über Grundfragen sozialdemokratischer Politik als alarmierend erkannte. Die FDP hingegen hat es bis zum heutigen Tage nicht geschafft, überhaupt ein Grundsatz-oder Aktionsprogramm vorzulegen. Die immer wieder beschworenen Freiburger The-sen von 1971 enthalten prinzipielle Aussagen und Forderungen der FDP zu den Themenbereichen Bodeneigentum, Vermögensbildung, Mitbestimmung und Umweltpolitik, können aber nicht als ein Parteiprogramm angesehen werden. Dies scheint mir symptomatisch zu sein, denn alle Versuche der FDP, ein umfassendes Parteiprogramm vorzulegen, sind gescheitert. Insofern ist es auch nur konsequent, wenn der hier für die FDP Stellung nehmende Autor Siegfried Pabst sich in der Kritik am CDU-Grundsatzprogramm nur auf wenige Kapitel konzentriert, wie das der programmatischen Selbstbeschränkung der FDP angemessen ist. Der Leser wird mir sicher verzeihen, wenn ich auf die FDP-Kritik nicht im einzelnen eingehe, da sie im wesentlichen die zentralen Punkte der SPD übernimmt und im Vergleich dazu wenig neue Akzente setzt.
Wie schwer es ist, ein echtes Grundsatzprogramm zu erarbeiten und in einer großen Partei zu verabschieden, zeigt der Vergleich der Freiburger Thesen und des Godesberger Programms mit dem CDU-Grundsatzprogramm. Die programmatischen Leistungen der Koalitionsparteien lassen sich in keiner Weise vergleichen mit dem, was die CDU mit ihrem Grundsatzprogramm vorzuweisen hat. Plastisch gesprochen heißt dies: Die FDP kann gerade ein halbfertiges Einfamilienhaus vorweisen, die SPD ein fertiges Einfamilienhaus mit Anbauten und die CDU ein mehrstöckiges großes Wohngebäude mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Das CDU-Grundsatzprogramm ist vom Entstehungsprozeß und vom Ergebnis her für die Parteiengeschichte der Bundesrepublik einmalig.
Anmerkungen zu grundsätzlichen Kritikpunkten
Das Grundsatzprogramm der CDU ist nicht im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl gemacht worden, sondern stellt den Versuch dar, die politischen Grundprinzipien der CDU darzustellen und ihre Ziele in den wichtigsten Politik-und Problemfeldern zu erläutern. Ein derartiges Grundsatzprogramm, das sicherlich mindestens zehn Jahre Gültigkeit hat, kann sich nur zentralen politischen Fragestellungen zuwenden und kann auch nicht allzu aktuelle politische Fragen aufgreifen; diese Funktion haben die jeweiligen Beschlüsse der Parteitage, des Parteivorstandes und anderer Parteigremien. Jedes Grundsatzprogramm einer Partei steht vor der Gefahr, entweder zu allgemein und da-mit nichtssagend zu bleiben, was mir beim Godesberger Programm der Fall zu sein scheint, oder es wird zu detailliert und damit eher ein Aktionsprogramm, wie dies bei dem CSU-Grundsatzprogramm festzustellen ist. Das CDU-Grundsatzprogramm hat beide Fehlentwicklungen vermieden
Bemerkenswert an diesem Programm ist m. E., daß es der CDU im wesentlichen gelungen ist, den konkreten Zusammenhang zwischen Grundwerten und den politischen Aussagen in den Einzelkapiteln herzustellen. Außerdem verliert sich das Programm nicht in Details, sondern konzentriert sich auf die wesentlichen Problemlösungsansätze und prinzipiellen Aussagen, so daß der kurz-und mittelfri-stig orientierten Politik der CDU eine Zielvorgabe und ein Maßstab an die Hand gegeben werden.
Ein grundsätzlicher Kritikpunkt der SPD-Autoren am CDU-Programm ist nun, daß die Problemanalyse und -aufbereitung im Programm fehle
Auch der Vorwurf, die CDU habe zentrale Themen wie z. B.den „Radikalenerlaß" nicht angesprochen, geht an der Sache vorbei. Die damit verbundene prinzipielle Fragestellung ist im Staatskapitel (Ziffer 116) mit dem Satz angesprochen: „Im öffentlichen Dienst darf nur tätig sein, wer bereit ist, sich jederzeit für den Bestand und Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzusetzen." Dazu gehört auch die Ziffer 20: „Zur Freiheit gehört die Bereitschaft, sie nach außen und innen zu schützen und für sie zu kämpfen, denn der freie Bürger und sein Gemeinwesen beugen sich nicht wehrlos der Unfreiheit. Wir bekennen uns zum Prinzip der wehrhaften Demokratie." Es kann wahrlich nicht Aufgabe eines Grundsatzprogramms sein, darüber hinausgehende Einzelaussagen zu diesem Fragenkomplex zu machen. Deshalb gehen viele kritische Anmerkungen der SPD-Autoren am Programm vorbei, weil sie es mit einem nicht adäquaten Maßstab messen, dem ihr eigenes Grundsatzprogramm übrigens selbst nicht gerecht wird.
Einen anderen generellen Vorwurf der SPD-Autoren gegen das CDU-Grundsatzprogramm enthält die Behauptung, es wäre ausschließlich status-quo-orientiert
Wenn SPD-und FDP-Vertreter das Grundsatzprogramm der CDU kritisieren, wird man nicht erwarten können, daß sie besonders zurückhaltend argumentieren. Funktion einer derartigen Kritik ist es natürlich, die in der Öffentlichkeit behaupteten Fehler und Schwächen der gegnerischen Partei an Hand des analysierten Programms besonders plastisch zu demonstrieren. Deshalb gehen die Autoren notwendigerweise mit einem entsprechenden Vor-Urteil an das Programm heran. Insofern ist es verständlich, daß diese Kritiker des CDU-Grundsatzprogramms durch entsprechende Fehlinterpretationen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate häufig argumentative Pappkameraden aufbauen müssen, um das vorher schon feststehende Verdammungsurteil auch „belegen" zu können.
Dem interessierten Leser dieser beiden Kritiken von SPD und FDP ist dringend zu empfeh-’ len, das Grundsatzprogramm der CDU jeweils in den entsprechenden Abschnitten zu lesen. Er mag dann selber entscheiden, inwieweit die Kritiker wirklich ernst zu nehmende Argumente vorgetragen haben. Angesichts des beschränkt zur Verfügung stehenden Platzes kann ich mich in meinem nachstehenden Ausführungen nur auf die zentralen Kritikpunkte konzentrieren.
Verständnis vom Menschen und Grundwerte
Subjekt und Objekt politischen Handelns ist sie Politik betreiben. Dabei geht es nicht um der Mensch. Deshalb ist es eine an alle politischen („letzte" Fragen), die jeder Bürger Parteien zu richtende zentrale Frage, selbst für sich zu entscheiden hat, sondern von welchem Verständnis des Menschen aus* um vorletzte Fragen, die für das Politikverständnis einer Partei von prinzipieller Bedeutung sind. Die CDU hat den — zugegebener-maßen — schwierigen Versuch unternommen, in ihrem Grundsatzprogramm ihr Verständnis vom Menschen zu formulieren. Heiner Geißler hat es wie folgt umschrieben: „Es ist die Idee seiner angeborenen Würde als von Gott geschaffene Person. Es ist die Idee des zur Freiheit geschaffenen Menschen, der seine Freiheit verantworten muß. Es ist die Idee der Einzigartigkeit der Person, die dennoch Gemeinschaft braucht und der Gemeinschaft verpflichtet ist. Die Idee der personalen Würde, Einzigartigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen ist die große Idee, die den Materialismus marxistischer wie kapitalistischer Art Überwindet."
Das Verständnis vom Menschen, auf dem die CDU basiert, ist durch christliche Wertvorstellungen geprägt. Die Betonung der Würde, der Freiheit menschlicher Existenz, die ohne den Transzendenzbezug nicht erklärbar ist, die Verantwortung sich selbst, der Welt, dem Mitmenschen gegenüber, die Ablehnung eines jeden Absolutheitsanspruchs in der Politik, das Gebot der Toleranz und der friedlichen Austragung von Konflikten werden in den Ziffern 6— 11 formuliert.
Angesichts dieser Aussagen ist die Feststellung der SPD-Autoren unbegrün
Angesichts dieser Aussagen ist die Feststellung der SPD-Autoren unbegründet, daß das Verständnis vom Menschen im CDU-Programm „keine Entfaltung der inhaltlichen Dimensionen eines christlichen Menschenverständnisses'' 9) enthalte.
Mit diesem'Menschenverständnis setzt sich die CDU selbst eine ethische Grundlage, von der aus sie Politik betreibt. „Auf dieser Grundlage ist gemeinsames Handeln von Christen und Nichtchristen möglich.“ 10) Jeder, der die vom Menschenverständnis hergeleitete ethische Grundlage akzeptiert, kann also in der CDU mitarbeiten — unabhängig davon, ob er sich als Christ versteht oder nicht. Denn auch ein Nichtchrist kann z. B.den Transzendenzbezug menschlicher Existenz nachvollziehen und akzeptieren. Der Vorwurf, daß diese christliche Ableitung des Menschenverständnisses mit dem Volksparteicharakter der CDU nicht vereinbar sei 11), ist nicht haltbar, denn Bürger aller Schichten und aller Konfessionen können diese prinzipiellen Aussagen unterschreiben, ohne in weitergehenden Glaubensfragen festgelegt zu sein.
Die Aussage im CDU-Programm: „Aus christlichem Glauben läßt sich kein bestimmtes politisches Programm ableiten''
Einerseits wird eine ernst zu nehmende Partei Kernaussagen ihres Grundsatzprogramms, über die sie sieben Jahre diskutiert hat, nur beschließen, wenn sie sie als richtig ansieht — unabhängig von ihrer „Werbewirksamkeit''—; zum anderen ist es unerfindlich, wieso diese christliche Revitalisierung der CDU-Programmatik attraktiv sein soll für eine Wählerschaft, bei der der christliche Glaube im praktischen Leben eine eher abnehmende Rolle spielt Selbst wenn diese positiven Effekte nachgewiesen werden könnten, wären vermutlich die damit verbundenen „Abschreckeffekte" genauso hoch.
Hinweisen möchte ich darauf, daß weder SPD noch FDP zu diesem zentralen Fragenkomplex über das Verständnis vom Menschen in ihren Programmen irgendeine Aussage ma-chen. Es sei denn, man verweist auf die lapidare Aussage des SPD-Grundsatzprogramms, daß der demokratische Sozialismus „in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist"
Ich habe den Eindruck, daß die Kritiker dieses grundlegenden Kapitels im CDU-Programm die Ernsthaftigkeit der CDU unterschätzen, sich Rechenschaft darüber abzulegen, was sie eigentlich unverwechselbar von allen übrigen 12 A. a. O. demokratischen Parteien unterscheidet, was sozusagen ihren „ideologischen Kern" aus-macht. Für völlig abwegig halte ich den Versuch der SPD-Autoren, der CDU zu unterstellen, sie wolle die Soziale Marktwirtschaft mit dem christlichen Menschenbild rechtfertigen
Der inkriminierte Teilsatz „in der zum Menschenbild des Christen gehörenden Idee" bringt zum Ausdruck, daß dieses Verständnis von Freiheit, wie in Kap. 1 des Grundsatzprogramms erläutert, mit dem christlich geprägten Verständnis vom Menschen zusammenhängt. Es bedarf also keineswegs des polemischen Satzes der SPD-Autoren: „Für uns bleibt festzustellen: Die Marktwirtschaft mag viele Vorzüge haben, sie ist aber nicht von Gott."
Kein Vertreter der CDU würde eine solche Aussage machen. Gerade der Begriff der verantworteten Freiheit ist aber zentral auch für das Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft. Nach Ansicht der SPD erhält im Grundwertekapitel „der Freiheitsbegriff des Programms einen verschärft konservativen Akzent", und weiter ist von einer „status-quo-orientierten Schlagseite des christ-demokratischen Freiheitsbegriffes"
„Es ist Aufgabe der Politik, dem Menschen den notwendigen Freiheitsraum zu sichern."
„Verwirklichung der Freiheit bedarf der sozialen Gerechtigkeit. Die Verhältnisse, unter denen der Mensch lebt, dürfen der Freiheit nicht im Wege stehen. Aufgabe ist es daher, der Not zu wehren, unzumutbare Abhängigkeiten zu beseitigen und die materiellen Bedingungen der Freiheit zu sichern. Die freie Entfaltung der Person wächst auf dem Boden möglichst gerecht verteilter Chancen und Güter. Persönliches Eigentum erweitert den Freiheitsraum des einzelnen für eine persönliche und eigenverantwortliche Lebensgestaltung."
„Wir bekennen uns ... zu umfassenden Maßnahmen ausgleichender Gerechtigkeit."
In der Tat wird hier eine durch alle Kapitel fortlaufende Tendenz des CDU-Grundsatzprogramms — wenn auch polemisch zugespitzt — richtig wiedergegeben: Skepsis gegenüber dem allmächtigen, dirigistisch eingreifenden Staat. Durch die obigen Zitate ist bereits klar geworden, daß die CDU keineswegs eine status-quo-orientierte Politik anstrebt oder je betrieben hat. Während die SPD dem Staat ein fast unbegrenztes Vertrauen in die Richtigkeit, Gerechtigkeit und Vernunft seines Handelns entgegenbringt, ist die CDU eher zurückhaltend, abwehrend und skeptisch, weil sie auch die freiheitsbedrohenden Aspekte einer immer stärker wuchernden Staatstätigkeit sieht. Deshalb die Betonung des Subsidiaritätsprinzips. Die freien Träger sollen unterstützt und gefördert, einige staatliche Leistungen wieder durch private Unternehmen wahrgenommen werden, die Macht der Bürokratie soll eingeschränkt und der Weg zum allumfassenden Wohlfahrtsstaat verhindert werden; es geht darum, die Eigeninitiative und Eigenverantwortung des Bür-gers zu stärken und die unreflektierte Staatsgläubigkeit abzubauen. Der Skepsis der SPD gegenüber dem Privaten und privatem Handeln entspricht die Skepsis der CDU gegenüber staatlicher Allmacht. Dieser prinzipielle programmatische Dissens ist nicht zu bestreiten, aber er dürfte für die politische Auseinandersetzung der nächsten Jahre eher dynamisierend wirken.
Interessant ist auch der Gegensatz zwischen CDU und SPD bei der Interpretation des Begriffes „Solidarität". Die SPD versteht unter Berufung auf den Orientierungsrahmen '85 Solidarität nach wie vor als Zusammengehörigkeitsgefühl einer bestimmten sozialen Schicht, als Kampfgemeinschaft zur Durchsetzung bestimmter politischer Ziele. Das Grundsatzprogramm der CDU sagt dazu folgendes: „Gesellschaftliche Gruppen stützen sich auf die Solidarität ihrer Mitglieder, um gemeinsame
Interessen wirksam vertreten zu können.
Gruppensolidarität kann Chancen der Freiheit schaffen und offen halten. Sie hat dort besonders ihre Berechtigung, wo der einzelne allein machtlos ist, um seine schutzwürdigen Belange zu sichern. — Solidarität verlangt mehr als die Kampfgemeinschaft derer, die ein gemeinsames Interesse gegen andere vertreten. Solidarität verbindet nicht nur Interessengruppen in der Wahrnehmung ihrer berechtigten Anliegen, sondern greift über die widerstreitenden Interessen hinaus, verpflichtet die
Starken zum Einsatz für die Schwachen und
alle im Zusammenwirken für das Wohl des Ganzen. Das Gebot der Solidarität wird erst dann erfüllt, wenn es auch zwischen Machtungleichen und Interessengegnern gilt. Sie ist gerade dort gefordert, wo sie besonders schwer fällt. Diese Aufgabe stellt sich im persönlichen Verhältnis zwischen Mitmenschen, in der Partnerschaft zwischen gegnerischen sozialen Kräften und in den Beziehungen der Völker zueinander, vor allem den weltweiten Entwicklungsaufgaben.. .
Die SPD-Autoren meinen, daß dieses Solidaritätsverständnis der CDU „die Betonung auf die Duldung von Machtungleichheiten" lege
Die von SPD und FDP aufgegriffene Diskussion in der CDU um die Begriffe Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit wird total überinterpretiert. Die Gegner des Begriffs Chancengleichheit in der CDU befürchteten, daß mit seiner Übernahme in das CDU-Grundsatzprogramm Verunsicherungen bei den eigenen Mitgliedern entstehen könnten, da dies der Kampfbegriff der SPD in der Auseinandersetzung um die Gesamtschule sei. Ernster ist das Argument zu nehmen, der Be-griff Chancengleichheit suggeriere, es wäre der Politik möglich, gleiche Startchancen für alle zu schaffen; in Wirklichkeit wäre jedoch auf Grund unterschiedlicher individueller Begabungen, Leistungsvermögen und sozialer Herkunft totale Chancengleichheit nicht herstellbar. Um diesen Fehlinterpretationen aus dem Wege zu gehen, entschied sich die CDU für den Begriff Chancengerechtigkeit.
Der vorschnellen Behauptung der SPD-Kritiker, die CDU würde mit dem Begriff der Chancengerechtigkeit alle Ungleichheiten In Vermögen, Bildung, Einkommen usw. als gerecht ansehen
Zum Abschluß der Diskussion über das Verständnis vom Menschen und die Grundwerte sei noch einmal hervorgehoben, daß die SPD in ihrem Grundsatzprogramm zum Verständ-nis vom Menschen gar nichts sagt und zu den(Grundwerten acht Zeilen mit lapidaren Sätzen verliert. Die CDU hingegen bietet auf knapp 300 Zeilen eine sehr differenzierte, logisch aufgebaute und eine das gegenseitige Spannungsverhältnis herausarbeitende Darstellung der Grundwerte und des Menschenverständnisses. Im Gegensatz zur SPD, die von den „Grundwerten des sozialistischen Wollens“
„Entsprechend den sich wandelnden Herausforderungen stehen wir immer von neuem vor der Aufgabe, das Verhältnis der Grundwerte zueinander so zu gestalten, daß sie zusammen ihre Wirkung entfalten. Denn die Grundwerte erfordern und begrenzen sich gegenseitig. Keiner erfüllt ohne die anderen seinen Sinn. Ihre Gewichtung untereinander richtig zu gestalten ist Kern der politischen Auseinandersetzung." 32)
Entfaltung der Person
In den familienpolitischen Aussagen des CDU-Grundsatzprogramms schimmert nach Auffassung des FDP-Autors „das konservative Leitbild einer auf bestimmte Rollen fixierten Gemeinschaft von Mann, Frau und Kindern durch“
Dagegen heißt es im Grundsatzprogramm: „Unsere Familienpolitik geht von der Ehe als einer Gemeinschaft aus, die auf Lebenszeit und Partnerschaft angelegt ist. Partnerschaft in der Ehe bedeutet, daß Mann und Frau sich gegenseitig in ihrem Eigenwert anerkennen, füreinander verantwortlich sind und ihre Aufgaben in Familie, Beruf, Gesellschaft und Freizeit gleichberechtigt vereinbaren. Als Eltern tragen sie gemeinsam und im gleichen Maße die Verantwortung für ihre Kinder.“ 35)
«Wenn sich die Mutter dieser Aufgabe (der Erziehung)
voll widmet, darf sie nicht wirtschaftlich, gesellschaftlich, rechtlich oder sozial benachteiligt werden. Dies gilt in gleicher Weise für den Vater, wenn er diese Aufgabe übernimmt.
Ein Erziehungsgeldund. die rentensteigernde Berücksichtigung sind daher unabdingbar."
«In dauerhafter, gegenseitiger Bindung sollen Eltern verläßliche Partner der Kinder sein.
Wer sich für Kinder entscheidet, übernimmt für sie Verantwortung und Pflichten, denen er sich nicht entziehen kann. Erziehung verbietet autoritäre Bevormundung, erfordert aber Autorität.
Sie ergibt sich aus einem Vorsprung an Reife und Erfahrung. Autorität ist um so über-
zeugender, je mehr sie aus der Vorbildlichkeit im gemeinsamen Leben erwächst.
Erziehung bedeutet nicht, das Kind den Inter-essen und der Welt der Erwachsenen anzugleichen. Sie hat vielmehr die Aufgabe, es umfassend auf die Gestaltung seines eigenen Lebens vorzubereiten und auch deshalb jedes Entwicklungsstadium des Kindes ernst zu nehmen. Das Verhältnis von Eltern und Kindern gründet sich auf gegenseitigen Rechten und Pflichten, auf beiderseitiger Anerkennung und Bereitschaft, füreinander einzutreten. Die Gemeinschaft von Eltern und Kindern gibt unersetzliche Möglichkeiten der Lebenserfüllung und des Glücks."
Wenn die Aussagen zum Thema Ehe und Familie wirklich Ausdruck eines „tradierten Rollenverständnisses" sind und die Beschreibung von „Autorität" im Grundsatzprogramm konservativ ist, dann wäre es wirklich einmal interessant zu erfahren, wie denn „die Liberalen" Ehe, Familie und Autorität darstellen würden. Leider findet sich dazu weder bei FDP-Autor Pabst noch in den Freiburger Thesen etwas zu dieser Frage.
Das Resüme der SPD-Kritiker lautet, daß die CDU keinerlei Problembewußtsein besitze, keine neuen Problemlösungsansätze erkennen lasse und die gesellschaftliche Wirklichkeit als bestehende Grundwerteverwirklichung interpretiere. Dazu werden bestimmte Problembereiche des Programms herausgegriffen und analysiert. Wie wenig begründet diese Aussage der SPD-Autoren ist, habe ich oben bereits darzustellen versucht, möchte es aber anhand von drei Beispielen weiter verdeutlichen: a) „Verwendung und Ausbau von Kernenergie erscheinen in dem Programm nicht als Problem. Weder die vitalen Bürgerproteste der letzten Jahre, noch die Sicherheitsfragen, noch die Fragen der Umweltbelastung werden in diesem Zusammenhang erörtert."... „die Di-mension der Kernenergiefrage wird nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen.“
Es müssen auch neuä Technologien gefördert werden, die sparsameren Einsatz von Rohstoffen und Energie wie auch die Zurückgewinnung von Rohstoffen und Energie aus Abfall und Abwärme ermöglichen und zunehmend die regenerativen Energiequellen erschließen.“
Ich nehme an, Bundeskanzler Schmidt wäre froh, wenn die SPD in der Lage wäre, eine ähnlich klare und doch differenzierte Aussage zur Energieproblematik, insbesondere zur Kernenergie, vorzuweisen. Ein prinzipieller Gegner der Kernenergie wird diese Aussage allerdings ablehnen — und vielleicht tun dies die SPD-Autoren auch; dann mag man dies sagen, aber nicht behaupten, die CDU hätte die „Dimension der Kernenergiefrage nicht zur Kenntnis genommen“.
b) Am Bildungskapitel wird folgendes kritisiert: „Ein unreflektierter Leistungsbegriff regiert auch dieses Kapitel, ohne daß der geringste Versuch unternommen wird, wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, daß übertriebener Leistungsdruck sich in den vergangenen Jahren auf viele Kinder und Familien verheerend ausgewirkt hat und zu einer der schwersten Belastungen von Familien geworden ist. Das eigentliche Problem wird im Programm übergangen."
Die entsprechenden Passagen im Grundsatzprogramm zum Thema Leistung lauten wie folgt:
„Leistung ist ein unentbehrlicher Ansporn für den Menschen. Sie hilft ihm, seine sozialen, intellektuellen, praktischen und künstlerischen Begabungen zu entfalten. Leistung ist auch gerechter Maßstab beruflicher und gesellschaftlicher Qualifikation, wenn Herkunft und soziale Stellung der Eltern, Wohnort und Erziehungswille der Umwelt für den Lebensweg des einzelnen nicht ausschlaggebend sein sollen. Menschlich ist die Schule, wenn sie Freude macht und auf das Leben vorbereitet. Dazu darfsie weder dem Rufnach Leistungsverweigerung nachgeben noch sich technokratischer Härte verschreiben und es an Verständnis für Schülerinteresse und Leistungsgrenzen fehlen lassen. Unangemessene Verwissenschaftlichung und übertriebene Stoffülle sind zu vermeiden ...
Auch in der Schule ist Leistung mehr als Nachweis von Wissen und Durchsetzungsvermögen. Im Leistungsanspruch müssen auch Einsatzbereitschaft für den Schwächeren, Rücksicht und Achtung für den Mitmenschen gefördert und anerkannt werden. Ein leistungsorientiertes Bildungswesen muß dem Schwächeren mehr Förderung geben, dem Starken mehr Leistung abverlangen. Es muß die Einsicht vermitteln, daß der Einsatz des Stärken die Hilfe für den Schwächeren ermöglicht. Damit wird Leistung zugleich zum Ausdruck der Solidarität.“
Ich kenne keine ähnlich zutreffende und ausgewogene Aussage zum Thema Leistung in der Schule. Weder SPD noch FDP können in ihren Programmen Vergleichbares vorweisen. Wer hat das „eigentliche Problem" also nicht erkannt?
c) Es werden die Aussagen zum Nord-Süd-Konflikt und zur Entwicklungspolitik kritisiert: „Der Ruf nach einer . internationalen Sozialen Marktwirtschaft'und die Betonung des Rechts der Industrieländer zur Fortsetzung ihres Weges scheint nach dieser Analyse als angemessenes Konzept.“
Die von den SPD-Autoren ausschnittartig zitierte Ziffer lautet vollständig folgendermaßen: „In der Weltwirtschaft tritt neben dem Ost-West-Konflikt immer stärker der Nord-Süd-Gegensatz hervor. Das frühere Verhältnis zwischen Industrie-und Entwicklungsländern weicht einer neuen Vielfalt von Beziehungen, für die es in der Geschichte noch kein Beispiel gibt. Unser Ziel ist Selbstbestimmung und Selbstentfaltung der Völker, Nutzen der Ressourcen der Welt zum Wohle aller Völker, gerechtere Verteilung der Chancen zur Beseitigung von Not und Elend. Wir wollen eine internationale Soziale Marktwirtschaft. Dabei ist von den Industrieländern mehr als bisher zu berücksichtigen, daß ein funktionie-render Markt und Wettbewerbsfähigkeit für viele Staaten erst hergestellt werden müssen. Weitergehend als bisher müssen die Märkte der Industrieländer geöffnet werden für Erzeugnisse der Entwicklungsländer .. ,"
Die eigentlich entscheidende Ziffer des CDU-Grundsatzprogramms zur Entwicklungspolitik, die sich im außenpolitischen Kapitel befindet, ist jedoch von den SPD-Autoren entweder übersehen oder bewußt unterschlagen worden. Sie lautet in ihren wichtigsten Teilen:
„Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, in den nationalen Gesellschaften entwickelt, erhebt sich heute weltweit. Die Erde wächst im Bewußtsein der Menschen und in der Politik der Staaten zusammen. Als Parteisind wir auf-gerufen, mitzuhelfen gegen Armut und Not.
Die Aufgabe, einen gerechten Zugang zu Gütern und Chancen in der Weltwirtschaft zu erreichen, muß gelöst werden. Durch die Bevölkerungsexplosion, weltwirtschaftliche Krisen, wirtschaftliche und politische Fehlentscheidungen und durch die Verteuerung der Energie wachsen Bedürftigkeit und Hunger in wei-ten Teilen der Welt zusätzlich. Ein abgestuftes Programm von Hilfe, Handel und industrieller Zusammenarbeit ist erforderlich, um weltweite Strukturverbesserungen langfristig zu ermöglichen ... Der Anteil der Entwicklungshilfe am Sozialprodukt muß erhöht werden. Was freier Handel und Industrie nicht leisten können, müssen ergänzend zwischenstaatliche und private Hilfeleistungen bewirken."
So könnte ein Problemfeld nach dem anderen, das von den SPD-Autoren angesprochen wird, analysiert werden im Hinblick auf die Fragestellung, ob diese Kritik zutreffend ist oder nicht. Die drei Beispiele sollten hier genügen.
Soziale Marktwirtschaft
Das Kap. IV „Soziale Marktwirtschaft" ist eines der zentralen Kapitel im Grundsatzprogramm der CDU. Die SPD-Autoren haben sich mit der Kritik dieses Kapitels nach meinem Eindruck besonders schwer getan; sonst wären sie nicht auf die Idee verfallen, dem Programm einen engeren, dogmatischen und einen weiteren, pragmatischen Begriff von Sozialer Marktwirtschaft unterzuschieben. Durch diese künstliche Interpretationskonstruktion wird es möglich, dem CDU-Programm „Marktdogmatismus" sowie ein „naives wie dogmatisches Marktverständnis“ und „frühliberalen Marktoptimismus" zu unterstellen
„Dieses engere Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft ist das ideologische Herzstück des Grundsatzprogramms und begründet seine Selbstgewißheit."
Zunächst wird zu untersuchen sein, was im Programm der CDU wirklich steht und ob die von den SPD-Autoren vorgenommene begriffliche Unterscheidung durch den Text gerechtfertigt ist.
In der Ziffer 67 des Grundsatzprogramms wird zunächst der Zusammenhang zwischen den Grundwerten und der Sozialen Marktwirtschaft als einer freiheitlichen Wirtschafts-und Sozialordnung hergestellt:
„Unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität fordern eine Ordnung der Wirtschaft, in der sich die Menschen frei und sozial entfalten. Eine zentral gelenkte Verwaltungswirtschaft verhindert Selbstentfaltung. Sie mündet in eine umfassende Verplanung der Bürger.
Auf der anderen Seite verhindert eine bindungslose Marktwirtschaft soziale Gerechtigkeit. Das machtverteilende Prinzip gehört als entscheidendes Ordnungselement ebenso zur Sozialen Marktwirtschaft yie zum demokratischen Staat und zur pluralistischen Gesellschaft. Dem Bekenntnis zur Demokratie als Organisationsform des Staates entspricht das Bekenntnis zum Markt als Organisationsform der Wirtschaft."
Es wird damit auf den theoretischen Zusammenhang zwischen den Grundwerten sowie einer demokratischen'Staats-, einer pluralistischen Gesellschafts-und einer marktgesteuerten Wirtschaftsordnung hingewiesen. Dies ist eine wichtige prinzipielle Aussage, denn nicht ohne Grund gibt es kein nicht-demokratisches System mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung und umgekehrt kein demokratisches System mit einer zentralverwaltungswirtschaftlich gelenkten Wirtschaftsordnung. Diese Aussage bedeutet nicht, wie die SPD-Autoren meinen, die Soziale Marktwirtschaft sei im Grundgesetz als eine Art Verfassungsgebot niedergelegt
— Wettbewerb und persönliches, sozialverpflichtetes Eigentum;
— dezentrale Steuerung durch Märkte und Tarifautonomie;
— Machtkontrolle durch Gewaltenteilung und staatliche Aufsicht;
— Freiheit der Verbraucher, Unternehmen und des Berufes;
— Selbständigkeit und Risikobereitschaft; — Freiheitssicherung durch das Angebot von Alternativen und Teilhabe des einzelnen am wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt
Auf den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsund Sozialpolitik wird besonders hingewiesen: „Die soziale Marktwirtschaft fügt Marktordnung und Ordnung der sozialen Leistungen zu einem ordnungspolitischen Ganzen zusammen."
Die staatliche Ordnungspolitik ist zunächst durch die Setzung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln charakterisiert: „Der Staat setzt den Rahmen des Wettbewerbs, er garantiert Vertragsfreiheit, Eigentum und die Grenzen dieser Rechte, er bestimmt in den Grundzügen das Recht der Arbeitsverhältnisse."
Neben der Setzung, Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen werden dem Staat weitere aktiv gestaltende Aufgaben im CDU-Grundsatzprogramm zugewiesen: — Die Wettbewerbsgesetzgebung muß weiter entwickelt werden, um den Wettbewerb zu erhalten, die Konzentrationstendenzen in der Wirtschaft zu bekämpfen und den unlauteren Wettbewerb zu unterbinden
— Zur Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Struktur von Klein-, Mittelund Großbetrieben müssen die im Wettbewerb benachteiligten kleineren und mittleren Unternehmen durch eine Vielzahl gezielter Maßnahmen gestärkt werden
— Eine aktive Verbraucherpolitik soll zu Markttransparenz und Wahlfreiheit des Konsumenten führen
— Privates und persönliches Eigentum muß geschützt und deren Bildung gefördert werden; insbesondere die Bildung von Produktivvermögen in der Hand von Arbeitnehmern ist eine wichtige Aufgabe
— Ziele der Wirtschaftspolitik sind die Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, stetiges Wachstum bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und die Sicherung der ökologischen Zukunft
— Der Staat muß durch zuverlässige Rahmenbedingungen und die Handhabung seines kon-junktur-, Wachstums-und strukturpolitischen Instrumentariums seinen Beitrag zur Vollbeschäftigung leisten
— Regierung und Deutsche Bundesbank müssen besonders streng auf die Erhaltung der Geldwertstabilität achten
— Die staatliche Wirtschaftspolitik muß den Strukturwandel fördern und darf keine veralteten Strukturen künstlich bewahren. „Vor al-lem auch eine regionale Strukturpolitik muß für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Gebieten der Bundesrepublik sorgen, wozu auch die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur gehört. Ein direkter staatlicher Eingriff in die Strükturpolitik oder staatliche Investitionslenkung werden abgelehnt
— Mitbestimmung und Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer sowie die Reform des Unternehmensrechts auf der Basis der Hamburger Parteitagsbeschlüsse von 1973 sind Ziele der CDU
— „Die Soziale Marktwirtschaft berücksichtigt, daß nicht alle Güter und Dienstleistungen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse über den Markt hergestellt und verteilt werden können. Daher bedarf es der Korrektur und Ergänzung des Marktes durch Leistungen des Staates und gesellschaftlicher Gruppen in Bereichen, in denen der Markt nur unzureichend oder gar nicht wirksam sein kann." 64)
— Der Staatsanteil ist in den letzten Jahren unaufhaltsam gestiegen, ebenso wie die Steuerlast und die Abgabenquote; trotzdem befinden sich die öffentlichen Haushalte in einer Defizitsituation. Die Staatsmacht und damit die Macht der undurchschaubaren Bürokratie hat ständig zugenommen; dies hat Freiheitsräume eingeschränkt, ohne daß die Leistungsfähigkeit des Staates im selben Maße zugenommen hat. Deswegen ist die Neuordnung der Staatswirtschaft ein vordringliches Problem
— Die staatliche Steuerpolitik „muß die Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft stützen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft berücksichtigen und Wettbewerbsverzerrungen vermeiden.
Der indirekten Förderung von Forschung und Entwicklung— insbesondere bei mittelständischen Unternehmen — ist hohe Priorität einzuräumen"
‘Ta^. O., Ziffer 85.
Angesichts dieser prinzipiellen Aussagen zur Marktwirtschaft und des präzisen Aufgabenkatalogs für den Staat in der Sozialen Marktwirtschaft ist die Behauptung der SPD-Kriti-. ker nicht haltbar, die CDU wolle einen „Nachtwächterstaat“. Allerdings wird durch die Aussagen des CDU-Grundsatzprogramms auch deutlich, daß die CDU dem Staat keine „grundlegende wirtschaftsgestaltende Rolle“
Apch die Behauptung der SPD-Kritiker, die CDU würde in ihrem Grundsatzprogramm die bestehenden Probleme in der Wirtschafts-, Finanz-und Gesellschaftspolitik alleine der politischen Führung anlasten
Neue Soziale Frage
Die Aussagen im CDU-Grundsatzprogramm zum Thema „Neue Soziale Frage" scheinen die SPD besonders verunsichert zu haben. Der Ansatz dieses Konzepts wird dort wie folgt beschrieben: „Seit dem 19. Jahrhundert stand die Sozialpolitik im Banne des Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit. Ihre Aufgabe bestand darin, die Lebenslage der Arbeitnehmer zu verbessern. Die soziale Frage war eine Arbeiterfrage. Die traditionelle Sozialpolitik war erfolgreich. Sie hat viel dazu beigetragen, den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu entschärfen. Den Konflikt gibt es noch; es sind aber neue soziale Probleme und Konfliktfelder entstanden.
Die CDU hat als erste politische Kraft erkannt: Zu dem Konflikt zwischen Kapital und Arbeit sind Konflikte zwischen organisierten und nichtorganisierten Interessen, Erwerbstätigen und nicht im Berufsleben Stehenden, Mehrheiten und Minderheiten getreten. Die Nichtorganisierten, alte Menschen, Mütter mit Kindern, Behinderte, nicht mehr Arbeitsfähige sind den organisierten Verbänden im Verteilungskampf um das Bruttosozialprodukt in der Regel unterlegen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und andere Gruppen sind heute in mächtigen Verbänden organisiert. Sie treten nicht nur gegeneinander an, sondern behaupten ebenso wirkungsvoll ihre Sonderinteressen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Der demokratische Staat läuft Gefahr, sich nur nach organisierten Mehrheiten zu richten. Der Staat als Anwalt des Gemeinwohls hat aber die Aufgabe, die Machtlosen und Minderheiten in der Gesellschaft im Wettstreit um*die materiellen und immateriellen Güter zu schützen. Hier stellt sich die Neue Soziale Frage"
Die entsprechenden Hinweise der SPD-Autoren auf den Orientierungsrahmen '85 der SPD
Es ist das Verdienst der CDU, daß sie diesen neuen politischen Problembereich erarbeitet und auf die Verantwortung der politisch Handelnden für diese Gruppen und deren Probleme hingewiesen hat. Im Grundsatzprogramm heißt es weiter zu diesem Thema: „Die Neue Soziale Frage erfordert eine neue soziale Politik. Sie ist soziale Ordnungspolitik. Die Handlungsprinzipien sind:
— Die sozialen Leistungen müssen auf die wirklich Hilfsbedürftigen konzentriert werden.
— Durch eigene Leistungen oder Aufopferung für die Gemeinschaft erworbene Rechtsansprüche verdienen besonderen Schutz.
— Die sozialen Leistungen müssen humaner und wirtschaftlicher erbracht und so geordnet werden, daß ihre soziale Wirksamkeit erhöht wird.
— Es ist besser, die Entstehung sozialer Übel zu verhindern, als sie nachträglich zu beseitigen. Deshalb müssen bereits in den Planungen die wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkte berücksichtigt werden."
Abschließende Bewertung
Die SPD macht es sich zu leicht, wenn sie das CDU-Grundsatzprogramm als typisch konservatives Programm mit harmonistischem Weltbild und mangelndem Problembewußtsein ohne neue Lösungsansätze darstellt. Jeder unvoreingenommene Leser des CDU-Grundsatz-programms wird die Kritik der SPD-Autoren nicht nachvollziehen können, denn zentrale Kritikpunkte von SPD und FDP sind widerlegt worden. Die CDU war diejenige Partei, die 1971 mit der Berufung der Grundsatzkommission die Grundwertediskussion in der Bundesrepublik in Gang gebracht hat, die heute in breiter Front zwischen Parteien, Kirchen und anderen interessierten Gruppen und Verbänden geführt wird. Sie hat damit einen wichtigen Beitrag zur Belebung der geistigen und politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik über politische Grundsatzfragen geleistet. Die CDU hat mit ihrem Grundsatzprogramm ihr programmatisches Profil nach außen verdeutlicht. Das Grundsatzprogramm hat gleichzeitig den Zusammenhalt der Partei gestärkt und eine integrierende politische Wirkung nach innen gehabt. Außerdem weist das Grundsatzprogramm der CDU eine Marschrichtung, einen roten Faden für ihre praktische Politik. „Es hat aufgabenorientierende Wirkung für das politische Handeln.“
Bereits die Wahlplattform der Unionsparteien im Bundestagswahlkampf 1976 orientierte sich sehr stark an dem Grundsatzprogramm-entwurf. Auch der Europawahlkampf der CDU im Jahr 1979 ist in seinen politischen Aussagen entscheidend von dem Grundsatzprogramm geprägt worden. Dies wird auch bei dem Wahlkampfprogramm der Unionsparteien für die Bundestagswahl 1980 der Fall sein.
Die Resonanz auf das CDU-Grundsatzprogramm, die die SPD-und FDP-Autoren als gering ansehen, ist erstaunlich stark. Nicht nur wurde in den Medien ausführlich über Diskussion und Verabschiedung des Grundsatzprogramms berichtet; auch die Nachfrage nach dem gedruckten Programm ist mit insgesamt 1 100 000 angeforderten Exemplaren sowie 700 000 Exemplaren einer Kurzfassung innerhalb eines Jahres bemerkenswert.
Wenn das CDU-Grundsatzprogramm so unbedeutend wäre, brauchte sich auch die SPD-Grundwertekommission nicht derart ausführ-lieh öffentlich damit auseinanderzusetzen und es dadurch aufzuwerten. Gerade wegen seiner politischen Wirksamkeit hat die SPD versucht, mit ihrer Kritik gegenzusteuern.
Die CDU hat mit ihrem Grundsatzprogramm ihre politische Innovationsund Handlungsfähigkeit bewiesen; der Wähler hat eine gute Beurteilungsgrundlage für seine politische Entscheidung, wenn er das Grundsatzprogramm der CDU, das Godesberger Programm und den Orientierungsrahmen '85 der SPD sowie die Freiburger Thesen der FDP gelesen hat. Die CDU braucht den Vergleich mit diesen Programmen nicht zu scheuen.