Der Internationale Währungsfonds — Krisenmanager für die Dritte Welt? Funktionsweise, Machtverhältnisse und entwicklungspolitische Konsequenzen der IWF-Stabilisierungspolitik | APuZ 23/1983 | bpb.de
Der Internationale Währungsfonds — Krisenmanager für die Dritte Welt? Funktionsweise, Machtverhältnisse und entwicklungspolitische Konsequenzen der IWF-Stabilisierungspolitik
Peter Körner /Gero Maaß /Thomas Siebold /Rainer Tetzlaff
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Zusammenfassung
Seit die entwicklungspolitische Dimension der internationalen Verschuldung mit dem drohenden Zusammenbruch des Weltwährungs-und -finanzsystems zusammenfällt, läuten auch in den Gläubigerländern die Alarmglocken. Dem IWF ist in den siebziger und achtziger Jahren eine große Bedeutung als Krisenmanager zugewachsen: Seine Stabilisierungsprogramme und Bereitschaftskredite sind für Entwicklungsländer häufig die letzte Möglichkeit, um in internationalen Gläubigerkreisen Kreditwürdigkeit wiederzuerlangen. Während er ursprünglich nur währungspolitische Aufgaben wahrnehmen und kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen leisten sollte, reicht die Funktion des IWF heute eindeutig in den entwicklungspolitischen Bereich hinein. Quoten, Stimmrecht, Organisationsstruktur und Kreditvergabepolitik des IWF zeugen von einem Übergewicht der Industrieländer. Er wurde zum Finanzpolizisten der Weltwirtschaft, der auch bei den zunehmend notwendigen Umschuldungen des Pariser Clubs eine wichtige Rolle spielt. Die Krisendiagnosen des IWF und die daraus abgeleiteten Therapien widmen sich schwerpunktmäßig dem Problem der Inflation und tragen den vielfältigen Ursachen von Verschuldungs-und Kreditwürdigkeitskrisen nicht Rechnung. Eine Sanierung der Ökonomie wird meist nicht erreicht; selbst die Ziele der Inflationsbekämpfung und Zahlungsbilanzverbesserung werden nicht selten verfehlt. Statt dessen werden durch IWF-Programme die Lebensbedingungen der Unterprivilegierten verschlechtert. Die Bedingungen des IWF sind nicht politisch neutral, wie die Kreditvergabe an das kriegführende Apartheidregime Südafrika und die Kreditverweigerung gegenüber dem ebenfalls kriegführenden Vietnam belegen. Durch die Forderung innergesellschaftlicher oder außenpolitischer Kurskorrekturen überschreitet der IWF seine währungs-und finanzpolitische Kompetenz. Der IWF ist eine reformbedürftige internationale Organisation. Den Zahlungsbilanzdefiziten der Entwicklungsländer als Oberflächenerscheinung struktureller Entwicklungsprobleme ist mit dem traditionellen Instrumentarium des Fonds nicht beizukommen. Die Forderungen der Entwicklungsländer zur Reform des IWF laufen im Kern auf einen erhöhten Ressourcentransfer zu weicheren Bedingungen hinaus. Doch nicht auflagenfreier Transfer, sondern nur langfristig angelegte Sanierungskonzepte auf der Grundlage einer reformierten, entwicklungspolitisch orientierten Konditionalität vermögen die Krise zu meistern.
I. Interne und externe Ursachen der Verschuldung
Mexiko, Brasilien, Argentinien und kein Ende! Solange die Kollapskandidaten Ghana, Zaire oder Peru hießen, wurden die Verschuldungskrisen des Südens in und von den Industriestaaten kaum wahrgenommen. Erst seitdem die entwicklungspolitische Dimension der internationalen Verschuldung mit dem drohenden Zusammenbruch des Weltwährungs-und -finanzsystems zusammenfällt, läuten auch im Norden die Alarmglocken. In der 1983er Neuauflage des Brandt-Reports ist die Verschuldungsproblematik in den Vordergrund gerückt.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist in den siebziger und achtziger Jahren als Krisenmanager immer bedeutsamer geworden: Eine ständig wachsende Zahl von Entwicklungsländern mußte sich an ihn wenden und Stabilisierungsprogramme aushandeln, um IWF-Bereitschaftskredite zu erhalten. Dies war die unabdingbare Voraussetzung, um in internationalen Gläubigerkreisen Kreditwürdigkeit zurückzugewinnen. Zunehmend mußten auch Groß-und Größtschuldner wie Mexiko und Brasilien den IWF um „Beistand" ersuchen. Sie halten ihrerseits freilich einen gewichtigen Trumpf in der Hand: Ihre Verschuldung muß von den internationalen Kreditgebern irgendwie — und das ist deren Problem! — finanziert werden.
Die Verschuldungskrisen Mexikos und Brasiliens im Herbst 1982 sahen die internationale Gläubigerschar allen Datenerfassungsmethoden der Weltbank, der OECD oder der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zum Trotz zunächst in angsterfüllter Ratlosigkeit hinsichtlich des Ausmaßes der Gesamtforderungen. Mehrere Länder — darunter Brasilien, Mexiko und Argentinien — mußten (theoretisch) 1982 Schuldendienstverpflichtungen nachkommen, die die Exporterlöse für Waren und Dienstleistungen weit überstiegen. Hilfreich für die Beurteilung von Krisenfällen ist eine Typologisierung von Verschuldungspfaden, die die Ursachen unterschiedlich gewichtet:
— Die „verschuldete Industrialisierung" (vor allem Schwellenländer) beinhaltet einen kapitalintensiven, defizitfinanzierten und in enger Kooperation zwischen lokalem Staat und Transnationalen Konzernen vorangetriebenen Entwicklungsweg. Die Importersatzindustrialisierung macht umfangreiche Investitionsgütereinfuhren nötig, die die Importsubstitution übertreffen und verschuldungsträchtig finanziert werden müssen.
— Der Pfad der vernachlässigten Agrarentwicklung (vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern) begünstigt eine — auch noch so bescheidene — Industrialisierung auf Kosten der Landwirtschaft und erfordert umfangreiche und teure Nahrungsmittelimporte.
— Der (bisweilen sehr plötzliche) Preisverfall von Rohstoffen bereitet besonders den rohstoffexportierenden Entwicklungsländern mit mittlerem Einkommen Probleme. Auslands-kredite werden einer wachstumshemmenden Austeritätspolitik vorgezogen.
— Der Pfad der Sozialreformen bei unangetasteten gesellschaftlichen Grundstrukturen (z. B. in Jamaika unter Manley) führt mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Liquiditätskrise, weil die zur Haushalts-und Zahlungsbilanzfinanzierung aufgenommenen Kredite kaum in die Erwirtschaftung von Devisen für den Schuldendienst investiert werden.
— Die „Kleptokratie", wie die hemmungslose Anhäufung von Reichtümern durch Staatseliten auf ausländischen Devisenkonten auf den Begriff gebracht worden ist, ist z. B. in Zaire der Hauptfaktor
— Den Pfad exzessiver Militärausgaben und stark belastender Rüstungsimporte, für den die Bezeichnung der „verschuldeten Militarisierung“ angemessen erscheint, gingen z. B. Peru, Ägypten oder Südafrika.
Schon die ungleiche, die Industrieländer systematisch bevorteilende Weltwirtschaftsordnung ist verschuldungsträchtig, weil sie der Mehrzahl der Entwicklungsländer nicht erlaubt, die entwicklungsnotwendigen Devisen zu erwirtschaften. In den siebziger Jahren schuf der zweimalige ölpreisschock beträchtliche Zahlungsbilanzprobleme, denen großenteils mit Auslandskrediten begegnet wurde. Die überliquiden Transnationalen Banken konnten die Mittel, die sich auf dem Eurodollarmarkt auftürmten, in den rezessionsgeplagten Industriestaaten nur unzureichend unterbringen. Profitable Anlagemöglichkeiten versprachen sie sich daher in der finanzhungrigen Dritten Welt, deren Rückzahlungsfähigkeit sie, geblendet durch kurzfristige Gewinnerwartungen, in vielen Fällen allzu oberflächlich prüften. Mehr noch als die Ölrechnungen wurden die hohen Zinsen — der „Zinsschock" — und verteuerte Investitionsgüterimporte zur Last.
Weltwirtschaftliche Entwicklungen trafen Regierungen und Administrationen von Entwicklungsländern häufig unvorbereitet. Viele von ihnen begannen in Zeiten günstiger Exporteinnahmen und Staatseinkünfte ehrgeizige Entwicklungsvorhaben und Sozialreformen, die von zu optimistischen Zukunftsprojektionen ausgingen und Anspruchsniveaus bei den Bevölkerungen erzeugten, die ohne erhebliche Legitimationsverluste nicht wieder herunterzuschrauben waren; Auslands-verschuldung erschien als das kleinere Übel. Nicht selten auch sind umfangreiche unproduktive Aufwendungen für Luxuskonsum und/oder Herrschaftssicherung zu beobachten. Die Verschuldung entfaltete, bedingt durch den zunehmenden Griff nach teuren kurzfristigen Krediten, eine Eigendynamik, die selbst bei wirtschaftlich potenteren Ländern wie Brasilien und Mexiko zu bösem Erwachen führte. Die Problematik wird durch unzureichend ausgebildete, verschwenderische und/oder korrupte Administrationen akzentuiert.
II. Der IWF -eine asymmetrische internationale Organisation
Geld ist Macht. Das gilt nicht nur im eigenen Lande. Wer Geld kontrolliert und damit wirtschaftet, übt Macht aus — auch in der Weltwirtschaft. Das 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods (USA) geschaffene Weltwährungs-und -finanzsystem spiegelt Machtstrukturen wider und bringt vor allem die US-amerikanische Vorherrschaft zum Ausdruck. Die meisten Nationalstaaten der Dritten Welt existierten noch nicht. Die Sowjetunion sah im Zeichen des heraufziehenden Ost-West-Konflikts von einer Beteiligung ab.
Nach der Konzeption des Amerikaners White, dessen Idee sich aufgrund des Gewichts der USA gegen die des britischen Wirtschaftswissenschaftlers und Verhandlungsführers Keynes durchsetzen konnte, kam dem IWF die Aufgabe zu, auf die Zahlungsbilanzdisziplin von Defizitländern zu achten. Während der britische Vorschlag die Überschußländer mit in die Pflicht nehmen wollte, bürdete die amerikanische Konzeption die Last allein den Defizitländern auf, die durch auflagengebundene Kredite zur „Anpassung“ gezwungen werden sollten. Statt zum Mittelpunkt internationaler Kooperation wurde der IWF so zum „Zuchtmeister“ der Weltwirtschaft. Bald stand seine Kreditpolitik im Zentrum internationaler Kritik; die Entwicklungsländer bemängeln, ihre Probleme würden unzureichend berücksichtigt.
Die Industrieländer betonen demgegenüber die allein währungspolitische Funktion des Fonds mit seiner Vergabe von kurzfristigen Zahlungsbilanzhilfen; für Entwicklungskredite sei die Weltbank zuständig. Entwicklungs-und Währungsfragen lassen sich jedoch nicht trennen, denn die Kreditpolitik des IWF legt die Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung eines Landes kurz-bis mittelfristig fest. Es kann für den IWF daher keine entwicklungspolitische Neutralität geben. Selbst in den Statuten des Fonds findet sich der Auftrag, zur „Entwicklung des Produktionspotentials aller Mitglieder" beizutragen (Art I, 2). Zudem kann heute von einem individuellen wie kollektiven Recht auf Entwicklung als völkerrechtlicher Norm ausgegangen werden, deren Realisierung zumindest nicht behindert oder erschwert werden darf — ein Grundsatz, den auch der IWF-Generaldirektor anerkennt Inzwischen hat der IWF, den Problemen der Entwicklungsländer Rechnung tragend, selbst Reformbemühungen unternommen (durch Schaffung der Kompensatorischen Fazilität und des Treuhandsfonds, s. u.) 6).
Die beiden Schwesterorganisationen IWF und Weltbank zählen zwar zur Familie der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, bei ihnen gilt jedoch nicht das Prinzip , ein Land — eine Stimme'. Die Stimmrechte und damit die politischen Machtverhältnisse im-Fonds werden durch die Quoten der Mitgliedsländer bestimmt. Mit der Quote soll das weltwirtschaftliche Gewicht eines Landes gemessen werden; sie bestimmt die Höhe des einzuzahlenden „Mitgliedsbeitrags“, den Kreditrahmen und das Stimmrecht im IWF. Das Stimmrecht setzt sich aus einem Sockelbetrag von 250 Stimmen und je einer weiteren Stimme für 100 000 US-Dollar zusammen. Mit der Expansion des Welthandels sah sich der IWF gezwungen, die Höhe der Quoten zu steigern und die jeweiligen Anteile der einzelnen Länder neu zu ordnen. Da die Höhe des Basisstimmrechts jedoch gleich blieb, wurde durch die Quotenerhöhungen das Basisstimmrecht fortwährend zu Lasten der Entwicklungsländer ausgehöhlt.
Die „Zehnergruppe“, der informelle Zusammenschluß der zehn wichtigsten Industrieländer, vereinigt heute noch rund 55 Prozent der Stimmen auf sich; die USA halten allein fast 20 Prozent. Die nicht erdölexportierenden Entwicklungsländer, die das Gros der inzwischen 146 IWF-Mitglieder stellen, verfügen demgegenüber nur über knapp 30 Prozent der Stimmen.
Die Organisationsstruktur des IWF wird von drei Gremien geprägt. Zuständig für grundsätzliche Entscheidungen ist die Gouverneursversammlung, in die jedes Mitgliedsland einen Gouverneur, meist den Finanzminister oder den Zentralbankpräsidenten, entsendet. Die Gouverneure tagen auf den gemeinsamen Jahresversammlungen von IWF und Weltbank, die zu einem Treffpunkt der staatlichen und (am Rande der Konferenz) der privaten Finanzelite der westlichen Welt geworden ist. Die konkreten Direktiven für die Arbeit des Fonds kommen von den 22 Exekutivdirektoren, denen der Geschäftsführende Direktor mit seinen ca. 1 500 Mitarbeitern direkt verantwortlich ist. Von den 22 Direktoren stellen die sechs quotenstärksten Länder (USA Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Japan und Saudi-Arabien) sowie die Volksrepublik China je einen; die übrigen Länder werden in Stimmrechtsgruppen zusammengefaßt, die jeweils einen Direktor wählen. Die Stimmkraft der Direktoren richtet sich nach den Quoten der Länder bzw. Ländergruppen.
Das Exekutivdirektorium entscheidet in letzter Instanz über die umstrittenen Bereitschaftskreditabkommen. Der IWF verweist darauf, daß die bisherigen Entscheidungen in diesem Gremium meist in allgemeiner Übereinstimmung gefällt wurden Daraus sollte man jedoch nicht auf einen allgemeinen Konsens über die Auflagenpolitik schließen, ist er doch Ausdruck der Machtlosigkeit der Minderheit, der formelle Abstimmungen im Konfliktfall politische Niederlagen bescheren würden.
III. Der IWF als internationaler Finanzpolizist
Zur Finanzierung vorübergehender Zahlungsbilanzdefizite räumt der IWF seinen Mitgliedern Ziehungsmöglichkeiten („Fazilitäten) ein ökonomisch betrachtet handelt es sich dabei um Kredite, rechtlich-technisch dagegen um den Kauf („Ziehung“) benötigter Fremdwährungen gegen die eigene Währung. Die Vergabe des Geldes knüpft der Fonds jedoch an Auflagen („Konditionalität“), die von unverbindlichen Empfehlungen bis zu strikten Regelungen reichen und deren Nichteinhaltung mit Auszahlungsstopp geahndet wird.
Nur die Reservetranche (25 Prozent der Quote) ist auflagenfrei, da es sich dabei ganz um vom Land erbrachte Finanzierungsleistungen handelt. Die Erste Kredittranche (weitere 25 Prozent der Quote) ist mit schwachen Auflagen verbunden, während die Oberen Kredit-tranchen (weitere 75 Prozent) nur in Verbindung mit einem strikten Stabilisierungsprogramm als sog. Bereitschaftskredite vergeben werden. Mit einem zwei-bis dreijährigen Stabilisierungsprogramm ist die 1975 eingeführte Erweiterte Fazilität (bis zu 140 Prozent der Quote) verknüpft; in ihr kommt die Einsicht des Fonds zum Ausdruck, daß die traditionellen einjährigen Programme zu kurzfristig angelegt sind und die Strukturprobleme der Entwicklungsländer nicht zu lösen vermögen. Auf den zweiten ölpreisschock und die zunehmenden Liquiditätsprobleme der Dritten Welt reagierte der IWF Ende der siebziger Jahre mit der Schaffung der Zusätzlichen Finanzierungsfazilität (140 Prozent der Quote), die von 1979 bis 1982 galt und mit strikter Konditionalität verbundene Kredite der Oberen Kredittranchen oder der Erweiterten Fazilität aufstockte. 1982 trat die Politik des Erweiterten Zugangs (zu IWF-Ressourcen) an ihre Stelle. Solche Zusatzfazilitäten finanziert der IWF durch Kredite von Mitgliedsländern.
Neben den Ziehungen mit strikter Konditionalität diversifizierte der Fonds auch seine Kreditvergabe mit schwacher Konditionalität. Die Kompensatorische Finanzierungsfazilität können rohstoffexportierende Länder seit 1963 zum Ausgleich von Ausfuhrerlösschwankungen erhalten (früher 50 Prozent, heute 100 Prozent der Quote). Seit 1981 stellt der IWF im Rahmen dieser Fazilität auch Kredite für Länder zur Verfügung, die besonders unter den Lasten steigender Kosten für Getreideimporte zu leiden haben. 1974— 1976 stand den Entwicklungsländern die Ölfazilität (75 Prozent der Quote) bereit, die der Kompensation der Ölpreissteigerungen dienen sollte. Vor allem die ärmeren Länder profitierten von der Einführung eines quotenunabhängigen Treuhandsfonds, den der IWF aus Goldverkäufen speiste. Mit der Politik der (inzwischen ca. 500) Bereitschaftskreditabkommen, deren Anfänge sich in den fünfziger Jahren auf Lateinamerika konzentrierten avancierte der IWF zur zentralen internationalen Institution der Weltwirtschaft. Die Entwicklungsländer wurden in den siebziger Jahren zu den wichtigsten Kunden des Fonds. Die erhebliche Erweiterung und Diversifizierung der Kreditprogramme und zunehmend auch die technische Hilfe vermögen den Bedeutungszuwachs des Fonds jedoch nur zum Teil zu erklären, zumal seine Finanzhilfen im Vergleich mit anderen Gebern eher bescheiden sind. Die Macht des IWF erklärt sich aus der Tatsache, daß ein Stabilisierungsprogramm ein Schuldnerland auf den internationalen Kapitalmärkten (wieder) kreditwürdig macht. Ohne das „GütesiegeT des Fonds als Zeichen der Schuldendienstwilligkeit und -fähigkeit bleiben meist alle Geldhähne geschlossen.
Eine zentrale Rolle spielt der IWF bei den zunehmend notwendigen Umschuldungen, d. h.der Streckung der Rückzahlungsfristen und der Gewährung neuer Kredite. Immer mehr Länder müssen den „Gang nach Canossa" zum Pariser Club antreten Im Rahmen der Verhandlungen des Pariser Clubs — einer informellen Einrichtung der Industrieländer zur Umschuldung bilateraler öffentlicher Kredite — fungiert der IWF als Berichterstatter über die wirtschaftliche Lage eines Landes. Der Abschluß eines Bereitschaftskreditabkommens gilt meist als Vorbedingung für die Umschuldung. Auch die Auszahlung privater und staatlicher internationaler Großkredite wird oftmals an den vorherigen Abschluß eines solchen Kreditabkommens geknüpft.
Besondere Beachtung verdient die Kooperation zwischen Weltbank und IWF, auch als Verhältnis von „Zuckerbrot und Peitsche" bezeichnet: Ohne IWF-Mitgliedschaft keine Aufnahme in die Weltbank. Schon in der Vergangenheit band die Weltbank ihre Kredite oft an ein IWF-Stabilisierungsprogramm. Als ein neues Element des internationalen Krisenmanagements kann die Zusammenarbeit beider Organisationen auf dem Feld der mittel-bis langfristigen Zahlungsbilanzsanierung gelten. Mit der Einführung der Erweiterten Fazilität des IWF und der Strukturanpassungsdarlehen der Weltbank (seit 1980) wird die klassische Arbeitsteilung zwischen IWF (kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen) und Weltbank (langfristige projektorientierte Entwicklungsförderung) tendenziell aufgehoben.
IV. Die Bedingungen für IWF-Zahlungsbilanzhilfen: Konditionalität
Die Ursachen von Verschuldungskrisen des Südens sind sehr heterogen und je nach Entwicklungsniveau eines Landes unterschiedlich zu gewichten. Weltwirtschaftliche und nationale Faktoren sind zwar analytisch zu trennen, aber in der Realität eng miteinander verwoben. Der IWF, politische und soziale Aspekte sowohl in seiner Ursachenanalyse als auch in den Maßnahmenpaketen bisher kaum berücksichtigend, diagnostiziert Verschuldungskrisen in aller Regel primär als hausgemacht.
Als Krebsübel wertet er die Inflation, die er hauptsächlich auf die — teilweise umfangreichen — Budgetdefizite zurückführt. Die hausgemachte Inflation bedeutet in der Sprache der Ökonomen ein Auseinanderklaffen zwischen aufgeblähter gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und dahinter zurückbleibendem Angebot. Dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen, lautet eine wesentliche Zielsetzung des IWF. Seiner Auffassung zufolge verteuert überhöhte Nachfrage die Inlandsproduktion im Verhältnis zu Importwaren; sie begünstigt Einfuhren und behindert Ausfuhren. Die Zahlungsbilanz gerät aus dem Gleichgewicht; Lücken müssen verschuldungsträchtig mit Krediten geschlossen werden. Binnenwert und Außenwert der Landes-währung driften auseinander; die Landeswährung ist überbewertet. Als Quellen der inflationstreibenden Budgetdefizite betrachtet der IWF staatliche Subventionen für Grundbedarfsartikel (vor allem Nahrungsmittel), für das Transportwesen (Benzinpreisei) oder im Sozial-und Gesundheitsbereich und die Kosten unproduktiver staatlicher Unternehmen und Verwaltungen. Die aus der Diagnose abgeleiteten Therapien des IWF unterscheiden sich höchstens graduell, niemals prinzipiell. Die Konditionalität als die „Politik, die der IWF von einem Mitglied erwartet, damit es die allgemeinen Mittel des Fonds beanspruchen kann“ beinhaltet im Kern wenige, weitgehend standardisierte Prüfungskriterien, die der Vielfalt der Krisenursachen und dem unterschiedlichen Entwicklungsniveau der Länder der Dritten Welt nicht Rechnung tragen. Diese Kriterien — vom IWF als „performance criteria" bezeichnet — setzen einem kreditnehmenden Land Obergrenzen für das inländische Kreditvolumen (oftmals speziell für den Staatssektor), für die umlaufende Geldmenge und für die Auslandsverschuldung. Werden die mit dem IWF für jedes Quartal vereinbarten Zielgrößen nicht eingehalten, führt dies zunächst automatisch zur Sperrung weiterer Ziehungen und macht neue Verhandlungen um die Kreditbedingungen notwendig.
In aller Regel fordert der IWF rigide Austeritätsprogramme, die aus binnen-und außen-wirtschaftlichen Maßnahmen bestehen. Dabei steht die Abwertung einer überbewerteten Landeswährung häufig im Zentrum des Disputs. Nicht selten macht der Fonds sie sogar zur Vorbedingung („precondition") für die Aufnahme offizieller Verhandlungen über ein Kreditabkommen der strikten Konditionalität. Gespaltene Wechselkurse oder überbewertete Währungen kommen nach Auffassung des IWF Handelshemmnissen gleich, die es zu beseitigen gelte.
Flankierende außenwirtschaftliche Maßnahmen bestehen in der Liberaliserung des Handels-und Zahlungsverkehrs, in der Aufhebung von Import-und Devisenkontrollen und in der Beseitigung von Zahlungsrückständen. Als binnenwirtschaftliches Ziel steht die Verringerung des Budgetdefizits an erster Stelle. Die wichtigsten Instrumente zur Erreichung dieses Ziels sind die Begrenzung des internen Kreditvolumens, die zwar allgemein die wirtschaftlichen Aktivitäten drosseln soll, dabei aber oftmals gleichzeitig eine deutliche Schwerpunktverlagerung vom öffentlichen in den privaten Sektor anstrebt, sowie die Kontrolle der umlaufenden Geldmenge. Die dadurch notwendigen Ausgabenkürzungen werden im allgemeinen durch die Streichung von Sozialleistungen und Nahrungsmittelsubventionen sowie Stellenabbau im Staatsdienst erreicht. Ferner legt der IWF in jüngerer Zeit verstärkt Gewicht auf Einnahmesteigerungen durch Erhöhung von Steuern und Gebühren für öffentliche Dienstleistungen. Ausgesprochen dirigistisch zeigt sich der sonst so liberalistische Fonds bei Löhnen und Gehältern: Während administrierte Preise freigegeben und den Marktgesetzen überlassen werden sollen, dringt der IWF nicht selten auf strikte Lohnkontrollen.
Die Auflagen-und Maßnahmenpakete des IWF sind schon von der Diagnose her problematisch: Inflation in Entwicklungsländern ist in weit geringerem Maße, als der Fonds annimmt, hausgemacht; vielfach wird Inflation von den stark importabhängigen Ökonomien in Form erhöhter Erdöl-, Investititionsgüteroder Nahrungsmittelrechnungen importiert. Preissteigerungen für wichtige Einfuhrgüter und vor allem der Zinsschock kommen in IWF-Analysen eher am Rande vor. Sofern Inflation hausgemacht ist, müßten die oft sehr hohen, manchmal sogar exzessiven Militär-ausgaben von Ländern der Dritten Welt in Betracht gezogen werden. Diese aber sind für den IWF mit dem Hinweis auf die nationale Souveränität seiner Mitgliedsstaaten und deren legitimes Recht zur Landesverteidigung in aller Regel tabu. Lediglich im Falle Perus nahm der IWF im Jahr 1977 die Militärausgaben und die Rüstungsimporte als eine der Hauptkrisenursachen aufs Korn, und das wohl auch nur, weil sowjetische Waffenlieferungen im Spiel waren Im allgemeinen jedoch betont der IWF sein Prinzip strikter politischer Neutralität und erhebt den Anspruch, nur makroökonomische Daten zu korrigieren. Bisweilen entsteht freilich der Eindruck, daß sich der Fonds nicht auf die Forderung finanz-und währungspolitischer Maßnahmen beschränkt, sondern informell auch „Anpassungen" im gesellschaftspolitischen Bereich und in der Außenpolitik verlangt. In Portugal etwa hat der IWF 1977 verlangt, die Stabilitätspolitik des Fonds unter allen innenpolitisch relevanten Gruppen konsensfähig zu machen Gegenüber der Regierung Manley argumentierte der IWF, daß die Aktivitäten Jamaikas in der Blockfreienbewegung die internationalen Banken verärgern könnten Die politische Kreditvergabepraxis des IWF zeigt sich am Beispiel Südafrikas: Während etwa das sozialistische Vietnam — zu Recht — keinen Kredit erhielt, weil es in Kambodscha Krieg führte, bekam das von der UN-Generalversammlung geächtete Apartheidregime 1976 IWF-Kredite, obwohl es gerade den Soweto-Aufstand blutig niedergeschlagen hatte und in Angola militärisch intervenierte Auch 1982 wurde Südafrika vom IWF ein Milliardenkredit bewilligt, obwohl das IWF-Direktorium für die Finanzprobleme des Landes — nebem dem Fall der Preise für Gold und Diamanten — die Blockierung des freien Arbeitsmarktes als direkte Folge des Rassismus als wesentlichen Grund erkannte Diese Beispiele zeigen, daß der IWF nicht — wie von ihm selbst behauptet — in einem von politischen Interessen freien Raum agiert. Auch in Zukunft ist damit zu rechnen, daß mächtige Gläubigerstaaten ihre nicht nur wirtschaftlichen Sonderinteressen in dieser Internationalen Organisation werden zur Geltung bringen können.
V. IWF-Interventionen -Basis für eine gesunde wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung?
Zweifel an der Wirksamkeit der IWF-Medizin bestehen, solange es die Stabilisierungsprogramme gibt. Waren es in den fünfziger und sechziger Jahren noch vereinzelte Stimmen, die den Fonds angesichts der Erfahrungen lateinamerikanischer Länder mit IWF-konformer Stabilisierungspolitik kritisierten, so geriet er in den siebziger Jahren zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik. Cheryll Payer beklagte 1974, die Entwicklungsländer befänden sich gegenüber dem IWF im Zustand „internationaler Schuldknechtschaft“. Zahlreiche Autoren griffen das Thema auf und vertieften die Kritik am Fonds. Der IWF regiere unerträglich in die Innenpolitik hinein und verletzte die nationale Souveränität der Schuldnerländer. Seine fehlerhaften Diagnosen und untauglichen Rezepte könnten die ökonomische Gesundung nicht nur nicht bewirken, sondern veschärften die Krise; den Unterpriviligierten würden unzumutbare soziale Lasten aufgebürdet und damit die innenpolitische Stabilität der Länder erschüttert — so lauten die Vorwürfe der Kritiker und vieler Entwicklungsländer-Regierungen mit IWF-Erfahrungen. Und tatsächlich — selbst wenn man IWF-Untersuchungen zu Rate zieht, um den Fonds an seinen eigenen Zielen zu messen, nimmt sich die Erfolgsbilanz dürftig aus: Erreichten von 79 untersuchten Stabilisierungsprogrammen der Jahre 1963— 1972 noch 60 ihre Ziele so konnten in der Periode 1973— 1975 von 21 untersuchten Programmen nur sieben „mit einigen Einschränkungen" als erfolgreich bewertet werden. Eine neuere Studie die 23 Bereitschaftskreditabkommen der Jahre 1978 und 1979 untersucht, kommt zu kaum besseren Ergebnissen: Die im Programm genannten Ziele für Zahlungsbilanz, Wachstum, Inflation und inländische Kreditexpansion wurden jeweils nur von knapp der Hälfte der Länder erreicht. Der Fonds muß sich damit trösten, daß sich die Variablen in der Mehrzahl der Fälle in die richtige Richtung bewegt haben — eine ernüchternde Bilanz, wenn man bedenkt, daß bei der Erfolgsbewertung durch den IWF allein makroökonomische Daten eine Rolle spielen.
Andere Untersuchungen sind den sozialen, politischen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Folgen der IWF-Programme nachgegangen. Ihre Ergebnisse lassen zweifeln, daß die Stabilisierungsprogramme des Fonds die Basis für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung legen. IWF-Programme deflationieren die Ökonomie: Durch die Drosselung der Nachfrage sollen Ausgaben und Einnahmen im Außenhandel wie im Staatsbudget wieder ins Lot gebracht und so die Schuldendienstfähigkeit des Landes wiederhergestellt werden. Eine solche Politik der „Anpassung" an die verfügbaren finanziellen Mittel kann, vor allem wenn sie abrupt erfolgt, verheerende soziale Konsequenzen haben.
Die Einführung eines Austeritätsprogramms kann durch den Abbau von Subventionen Grundnahrungsmittel über Nacht so drastisch verteuern, daß sie für die Armen unerschwinglich werden. Sie sind auch die Haupt-leidtragenden bei den massiven Preissteigerungen der öffentlichen Dienstleistungen: medizinische Versorgung und Schulbesuch werden wieder zum Privileg, die Benutzung des öffentlichen Transportsystems können sich die Armen kaum noch leisten. Die Verteuerung öffentlicher Güter wiegt um so schwerer, als die Stabilisierungsprogramme häufig darauf abzielen, die Steigerungen der Lohneinkommen unter der Inflationsrate zu halten, die Realeinkommen also zu senken.
Die vielfach im IWF-Programm enthaltene Abwertung der Landeswährung tut ein übriges; die Preise für Importgüter und Waren, für die Vorprodukte importiert werden müssen, schnellen in die Höhe. Der Abwertung liegt der Gedanke zugrunde, daß durch die Anpassung des Wechselkurses an seinen tatsächlichen Marktwert die Exportproduktion konkurrenzfähiger wird, sich Importe durch Verteuerung vermindern und sich so eine Entlastung der Zahlungsbilanz einstellt Dabei verkennt der IWF jedoch häufig die Problematik: Bei industriellen Fertigwaren mag sich durch eine Abwertung noch eine Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ergeben; Entwicklungsländer sind jedoch vorwiegend Rohstoffexporteure. Ihre Probleme liegen zumeist weniger in einer wechselkursbedingten Konkurrenzschwäche, sondern in monokulturellen, durch Wechselkurs-veränderungen kaum zu beeinflussenden Produktionsstrukturen sowie in stagnierender Exportnachfrage. Auch bei den Importen zeigt sich oft nicht der gewünschte Effekt, da in der Regel die Importstruktur der Entwicklungsländer sehr starr ist und auch verteuerte Einfuhren in Kauf genommen werden müssen, soll nicht die inländische Versorgung oder die lokale Produktion erheblich leiden.
Auch Arbeitslosigkeit kann durch IWF-Programme noch verstärkt werden: Um die Ausgaben des Staatshaushalts zu senken, sehen die Austeritätsprogramme oft umfangreiche
Entlassungen im öffentlichen Sektor vor. Im privaten Sektor führt die Politik der Nachfragebeschränkung zum gleichen Ergebnis: die Arbeitslosigkeit steigt.
So führt eine IWF-konforme Stabilisierungspolitik häufig zu einer deutlichen Verschlechterung der Grundbedürfnisbefriedigung der unteren Einkommensschichten, insbesondere solcher Gruppen, die Lohneinkommen beziehen, eine hohe Konsumquote haben (d. h. nur wenig oder gar nichts von ihrem Einkommen für Notzeiten zurücklegen können) und stark von Sozialleistungen abhängig sind.
Weniger betroffen sind dagegen die bessergestellten Schichten; um ihrer Investitionsbereitschaft willen werden sie von größeren Opfern verschont. So begünstigen IWF-Programme die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der Reichen, sie verschärfen die vorhandenen Einkommensunterschiede und mit ihnen die sozialen Spannungen. Bisweilen führen sie zu wochenlangen Unruhen. Sudan, Marokko, Tansania, Sierra Leone, Ekuador und Peru sind nur die jüngsten Namen auf der Länderliste der als „IWFAufstände“ bekannten Auseinandersetzungen.
Vor die Alternative gestellt, auf ein Abkommen mit dem IWF zu verzichten und damit die internationale Kreditwürdigkeit zu verlieren (was zweifellos auch schwere soziale Konsequenzen hätte) oder aber die Austeritätsmaßnahmen zu Lasten der unteren Bevölkerungsschichten mit autoritären und repressiven Mitteln durchzusetzen, entscheiden sich die Regierungen in der Regel für die zweite Option. So begünstigt der IWF konservative und autoritäre Regime, ja bringt sie bisweilen indirekt an die Macht, wenn sich ihren Wählern verpflichtete Regierungen nicht in der Lage sehen, das IWF-Paket durchzusetzen und das Militär — wie es dann heißt — zur Rettung des Landes vor dem wirtschaftlichen Chaos putscht
Der Umschwung in der Politik wird naturgemäß besonders spürbar, wenn sich eine Regierung mit sozialreformerischem Programm den Vorstellungen des Fonds beugen muß. Die erzwungene Kehrtwendung der Politik kann dazu führen, daß die Regierung ihre Wähler-basis und damit bei den nächsten Wahlen ihre Parlamentsmehrheit verliert. Jamaika liefert ein Beispiel dafür: Die Regierung Manley, mit einem Programm sozialdemokratischer Reformen von den Unter-und Mittel-schichten gewählt, sah sich 1978 vom IWF gezwungen, ein Stabilisierungsprogramm durchzusetzen, das das Ende der Reformpolitik bedeutete und die eigene Wählerschaft besonders belastete. Die Quittung folgte prompt: Die Wahlen 1980 verlor Manley gegen den konservativen Bewerber Seaga. Allerdings, nicht einmal die Regierung Manley stellte in Frage, daß eine wirtschaftliche Sanierung des Inselstaates ganz ohne Rückgriff auf Stabilisierungsmaßnahmen ä la IWF möglich sei. Umstritten blieben jedoch die Dosierung, die Laufzeit und die Instrumente der . Anpassung".
Neben sozialen und politischen Folgen zeitigen IWF-Programme eine Reihe von zweifelhaften wirtschaftlichen Konsequenzen. Die Drosselung der wirtschaftlichen Entwicklung und dabei vor allem die Einschränkung der Kreditexpansion fördern den Konzentrationsprozeß der Wirtschaft, denn große Unternehmen sind dank ihrer Selbstfinanzierungsmöglichkeiten gerade in der Rezession kleineren überlegen. Die kleinen nationalen Unternehmen, mit ihrer arbeitsintensiven Produktion von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, werden nicht selten zur Geschäftsaufgabe gezwungen, vor allem, wenn ihnen noch zusätzliche Konkurrenz durch die Liberalisierung der Importkontrollen entsteht.
Die zumindest schrittweise Aufhebung außenwirtschaftlicher Kontrollen — Bestandteil jedes IWF-Programms — zielt erklärtermaßen auf die reibungslose Integration der Dritte-Welt-Okonomie in die Weltwirtschaft. Schutzzölle oder eine überbewertete Währung, um den Aufbau einer nationalen Industrie zu fördern, Devisenkontrollen, um unerwünschten Kapitalabfluß zu verhindern — diese Politikinstrumente haben im IWF-Konzept keinen Platz. Förderung der Exportproduktion, um Devisen zu verdienen, lautet das Motto. Ungeklärt bleiben dabei die wirtschaftlichen Rückwirkungen ebenso wie die Chancen dieser Integration in den Weltmarkt. Den Abbau des Protektionismus fordert der IWF zwar auch von den Industrieländern, diese Forderung durchzusetzen hat er jedoch keine Handhabe.
Typischer Bestandteil eines IWF-Pakets ist die Begrenzung des öffentlichen Sektors; nicht selten kommt es zu umfangreichen Privatisierungen staatlicher Unternehmen. Tatsächlich ist dieser Sektor häufig ineffizient und stark defizitär — die Maßnahmen des IWF sind also durchaus nicht unbegründet. Die bloße Umwandlung von Staats-in Privatunternehmen kann das Problem nicht lösen, denn Staatsunternehmen werden in Entwicklungsländern in der Regel eben gerade deshalb in so großem Umfang geschaffen, weil der private Sektor im freien Spiel der Marktkräfte (noch) nicht in der Lage ist, die ihm zugewiesenen volkswirtschaftlichen Aufgaben zu erfüllen..
Der IWF trägt mithin nicht — wie in seinen Statuten gefordert — zur „Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades und Realeinkommens aller Mitglieder“ bei. Im Gegenteil: Die Folgen seiner deflationistischen Symptomtherapien laufen diesen Zielen häufig zuwider. Zudem fehlen den Entwicklungsländer-Okonomien die wirtschaftlichen Kreisläufe und die produktiven Kapazitäten, die auf die im Stabilisierungsprogramm offerierten Anreize reagieren könnten. Da ein den Industrieländern vergleichbares soziales Netz fehlt, können die sozialen Auswirkungen nicht abgefedert werden.
Der IWF hält dem entgegen daß die Regierungen ihn häufig erst um Hilfe ersuchten, wenn die Verschuldungskrise bereits katastrophale Ausmaße angenommen hätte, und daß sie daher nun unumgängliche harte Anpassungsmaßnahmen selbst verantworten müßten. Er verweist darauf, daß er nicht selten die Rolle des Sündenbocks übernehmen müsse: Die Regierungen machten ihn für Maßnahmen verantwortlich, die sie selbst durchsetzen, aber innenpolitisch nicht verantworten wollten — ein nicht von der Hand zu weisendes Argument. Nicht zu Unrecht stellen IWF-Vertreter deshalb die Frage, ob es nicht zutreffender wäre, von „Defizit-Aufständen“ und „Mismanagement-Coups“ zu sprechen als von „IWF-Aufständen“
Bei aller Kritik an der Wirtschaftsphilosophie und Auflagenpraxis des Fonds darf auch nicht übersehen werden, daß Teile der Maßnahmenpakete von Fall zu Fall entwicklungspolitischen Sinn machen. Kritiker, die sich rückhaltlos den Klagen der Entwicklungsländer-Regierungen anschließen und im IWF allein die imperialistische Agentur sehen, die der Dritten Welt den Willen der Industrieländer aufzwingt, lassen allzu leicht außer acht, daß die Repräsentanten der Dritten Welt in der Auseinandersetzung mit dem IWF häufig sehr eigennützige. Interessen vertreten, die mit einer gesunden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes nichts gemein haben. Ein Beispiel, das sich etwa in Ghana oder Zaire beobachten läßt, mag dies verdeutlichen: Eine überbewertete Währung kann dazu dienen, eine junge Industrie vor übermächtiger Weltmarktkonkurrenz zu schützen, kann nützlich sein, um dringend benötigte Vorprodukte billiger zu importieren. Eine überbewertete Währung kann aber auch von korrupten Staatsklassen dazu mißbraucht werden, sich hemmungslos zu bereichern. Eine Möglichkeit von vielen: Ein Importeur verschallt sich (häufig durch Bestechung) eine Importlizenz, mit der er die (am tatsächlichen Wert gemessen relativ wertlose) nationale Währung bei der Zentralbank in (vergleichsweise wertvolle) Devisen umtauscht. Für sie kauft und importiert er Waren — so steht es in den (gefälschten) Importpapieren bzw. so geben es die (bestochenen) Zollbehörden an. In Wirklichkeit wird nur für einen Teil des Geldes importiert, der andere wandert auf das ausländische Bankkonto des Importeurs. Diese Praxis ist vielerorts nicht die Ausnahme, sondern die Regel — ein weitverzweigtes System von Bestechern und Bestochenen profitiert davon und schädigt damit die Volkswirtschaft. Eine Abwertung ist in solchem Fall entwicklungspolitisch insofern sinnvoll, als sie, durch Angleichung des offiziellen Wertes der Währung an ihren realen Wert, den Anreiz zu solchen korrupten Praktiken vermindert.
Ganz ähnlich verhält es sich mit einer anderen IWF-Auflage, der Erhöhung der Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte. Sie wurden in der Vergangenheit in vielen Ländern künstlich niedrig gehalten, um die für das politische überleben der Regime wichtigen städtischen Schichten mit billigen Nahrungsmitteln zu versorgen, und — wenn es sich um landwirtschaftliche Exportprodukte handelte — die abschöpfbare Differenz zwischen Weltmarktpreis und lokalem Produzentenpreis möglichst groß zu halten. Die Folge dieser Politik war ein Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, in einigen Ländern auch ein Rückgang der Produktion für den Export. Die Produktion durch höhere Preise für landwirtschaftliche Produzenten anzukurbeln — und sie gegen die Interessen der städtischen Schichten durchzusetzen — kann deshalb im Sinne der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung eines Landes sein. Einzelne IWF-Auflagen — das lehren diese Beispiele — sollten jeweils vor dem Hintergrund der spezifischen Situation des Landes beurteilt werden. Der allgemeinen Kritik an den deflationistischen Maßnahmenpaketen des IWF tut das keinen Abbruch: Sie mögen geeignet sein, die Schuldendienstfähigkeit des Landes kurzfristig wiederherzustellen; langfristig verschärfen sie jedoch eher die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme und gefährden damit die Fähigkeit des Landes, auch in Zukunft seine Schulden zurückzuzahlen. Insofern steht die Politik des Fonds auch im Widerspruch zu der ihm zugewiesenen Aufgabe, Verschuldungsprobleme in Defizitländern zu lösen. Allerdings haben die Entwicklungs-und Verschuldungsprobleme der Dritten Welt mittlerweile Dimensionen erreicht, die die operationale und finanzielle Kapatität einer einzelnen internationalen Organisation überfordern müssen.
VI. Der IWF — eine reformbedürftige internationale Organisation
Der IWF wird nur seiner Rolle als Instanz, Devisen für Defizitländer bereitszustellen, um kurzfristige Zahlungsbilanzkrisen zu mildern, gerecht. Zahlungsbilanzkrisen der Entwicklungsländer sind jedoch —'das haben spätestens die vergangenen zehn Jahre gezeigt — lediglich Oberflächenerscheinungen struktureller Entwicklungsprobleme, denen mit dem üblichen Instrumentarium des IWF nicht beizukommen ist. Die programmatischen und operativen Defizite des IWF, der hauptsächlich zur Regelung von Währungs-und Finanzproblemen der Industriestaaten geschaffen worden war, machen sich heute besonders bei den Versuchen bemerkbar, chronische und strukturelle Zahlungsbilanzkrisen von Entwicklungsländern zu lösen.
Vorschläge zur Reform des IWF und seiner Statuten sind Legion. Der Kritik Rechnung tragend, hat das Exekutivdirektorium des IWF 1979 beschlossen, bei Bereitschaftskreditabkommen die „innerstaatliche sozial-und allgemeinpolitische Ausrichtung zu respektieren“ — was bislang allerdings nicht zu problemadäquaten Lösungen geführt hat.
Als jüngste Stimme im Konzert der IWF-Kritiker hat die internationale Nord-Süd-Kommission auch in ihrem zweiten Bericht den IWF wegen unzureichender Hilfsmittel, ungerechter Stimmrechtsverhältnisse und seiner Auflagenpolitik kritisiert. Das „Sofortprogramm“ zur Lösung der finanziellen „Weltkrise“ — das über reine währungs-und finanzpolitische Maßnahmen hinausweist — enthält u. a. folgende Forderungen:
1. eine ins Gewicht fallende neue Zuteilung von Sonderziehungsrechten, bei deren Verteilung die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer mit Zahlungsbilanzdefiziten berücksichtigt werden müßten;
2. Erhöhung der IWF-Quoten um mindestens 100 Prozent;
3. vermehrte Kreditaufnahme des IWF bei Zentralbanken, insbesondere in Überschußländern, sowie — was bisher nicht der Fall war — Kreditaufnahme auf den Kapitalmärkten;
4. Zuteilung von mehr Mitteln für die mit geringeren Auflagen verbundenen unteren Tranchen des IWF sowie für die Fazilität zur kompensierenden Finanzierung von Exporterlösausfällen; 5. die Erhöhung der Gesamtmittel der Weltbank-Gruppe und vor allem der Mittel zur Finanzierung von strukturellen Anpassungsdarlehen (Erhöhung der Programmhilfe von 10 Prozent auf 30 Prozent des gesamten jährlichen Ausleihevolumens);
6. Verstärkung der informellen Zusammenarbeit zwischen IWF, Weltbank, anderen offiziellen Kreditgebern und privaten Banken bei Umschuldungen.
Diese Forderungen spiegeln weitgehend die Wünsche und Erwartungen der Entwicklungsländer wider, die in der Forderung nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung ihren politischen Niederschlag gefunden haben. Dabei geht es im Kern um mehr Kredite für die Dritte Welt, einen automatischen Ressourcentransfer von Nord nach Süd, um „weichere“ Kreditbedingungen, um möglichst geringe wirtschaftspolitische Konditionen und um mehr Mitsprache in währungspolitischen Fragen — alles Forderungen, die die Industriestaaten bisher abgelehnt oder dilatorisch behandelt haben. So hat der Westen auch die jüngste Forderung der Bewegung der blockfreien Staaten im März 1983 nach einer „Globalen Umschuldungskonferenz“ und nach weitgehendem, teilweise automatischem Schuldenerlaß abgelehnt. Man befürchtet nicht ganz zu Unrecht eine Zunahme unverantwortlicher Mittelverwendung und ein Nachlassen der nationalen Eigenanstrengungen.
Den Forderungen des Brandt-Reports nach mehr Krediten für Defizitländer und mehr liquiden Mitteln für den IWF ist im Prinzip zuzustimmen, da die entstandenen Zahlungsbilanzdefizite teilweise externer Natur sind und deshalb von außen mitfinanziert werden müssen. Die im Februar 1983 erfolgte 8. Quotenerhöhung von 61 auf 90 Milliarden Sonderziehungsrechte und die Erweiterung der . Allgemeinen Kreditvereinbarungen" von 7 auf 19 Milliarden US-Dollar sind erfreuliche Schritte in diese gewünschte Richtung
Neben der notwendigen Erhöhung des Ressourcentransfers in Nord-Süd-Richtung müssen in Zukunft qualitative Änderungen bei der Lösung von Finanz-und Entwicklungsproblemen vorgenommen werden
Das Prinzip der Verursachung von Verschuldungskrisen ist als ein Maßstab für die Konditionalität von externer Hilfe zu verankern. Dazu könnten — als eine Möglichkeit — unabhängige internationale Schuldenkommissionen (anstelle der heute üblichen IWF-Teams) eingesetzt werden, die die Untersuchung von Ursachen und Hintergründen der jeweiligen Zahlungsbilanzkrise zur Aufgabe hätten. Auf der Grundlage solcher Analysen könnte dann ein langfristig angelegtes Sanierungskonzept erarbeitet werden, das aus einer für jedes Land spezifischen Mischung aus realistischen Forderungen nach nationaler . Anpassung", aus notwendigen Strukturreformen und aus mehr oder weniger konzessionären Finanzhilfen von außen bestehen würde.
Dabei ist wichtig, daß bei der Bestimmung zumutbarer Anpassungsmaßnahmen a) der Bereich elementarer Grundbedürfnisse tabuisiert wird und b) die Lasten nicht auf jene sozialen Gruppen abgewälzt werden, die die Krise am wenigsten zu verantworten haben (städtische Arbeiter und Angestellte, Klein-bauern und Pächter). Statt der rein monetären Leistungskriterien sollten qualitative Kriterien eingeführt werden, die etwa Fortschritte bei der einheimischen Nahrungsmittelproduktion oder andere gesellschaftliche Refor-men (z. B. eine Steuerreform zur Verhinderung der Steuerhinterziehung durch die Privilegierten) betreffen.
Bei Ländern, die sich aus eigener Kraft nicht „anpassen" können, sondern auf Überlebenshilfe seitens der internationalen Gemeinschaft angewiesen sind (Sahelzone, Bangladesh), ist das von der UNCTAD vorgeschlagene Prinzip des automatischen Ressourcen-transfers anzuwenden. Grundsätzlich aber ist daran festzuhalten, daß Zahlungsbilanzhilfen an entwicklungspolitisch orientierte Konditionen mit längeren Anpassungsfristen gebunden werden. Bei Regimen ä la Mobutu oder Duvalier, die Menschenrechte systematisch verletzen und die selbst knappe Ressourcen in großem Stil vergeuden, sollten externe Finanzhilfen an interne Reformen geknüpft werden. Im Falle kontinuierlicher Prinzipienverletzung müßten die externen Hilfen eingestellt werden.
Darüber hinaus müßten qualitative Reform-schritte auch die internationalen Privatbanken miteinbeziehen, die im vergangenen Jahrzehnt durch eine leichtsinnige Kreditvergabepolitik die Verschuldungsprobleme einzelner Länder verschärft haben, angelockt durch außergewöhnlich gute Gewinnmöglichkeiten Um einen klareren Überblick über die Verschuldungslagen und Kreditrisiken von Entwicklungsländern zu gewinnen, ist Anfang 1983 in Washington von ca. 40 internationalen Großbanken eine private Evidenz-zentrale eingerichtet worden, die auch als „Commercial IMF" bezeichnet wird.
Schließlich sollte künftig sowohl auf Gläubiger-wie auf Schuldnerseite stärker über verschuldungsarme Entwicklungsstrategien nachgedacht werden. Im Sinne der entwicklungspolitisch vernünftigen Maxime „Vorbeugen statt Heilen“ sollten alle nationalen und internationalen Anstrengungen unterstützt werden — z. B. alle Ansätze zur Bildung regionaler Wirtschafts-und Verkehrsgemeinschaften —, die auf Verringerung der traditionellen Weltmarktabhängigkeit der Entwicklungsländer abzielen.
Peter Körner, geb. 1952, Gero Maaß, geb. 1954, Thomas Siebold, geb. 1953, Diplom-Politologen; Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg im Rahmen eines DGFK-geförderten Forschungsprojekts über Ursachen und Hintergründe von IWF-Interventionen in Schuldnerländern der Dritten Welt. Rainer Tetzlaff, Dr. phil., geb. 1940; Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg; Leiter des DGFK-geförderten Forschungsprojekts über Ursachen und Hintergründe von IWF-Interventionen in Schuldnerländern der Dritten Welt.
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