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Rahmenbedingungen deutscher Nahostpolitik | APuZ 7-8/1985 | bpb.de

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APuZ 7-8/1985 Aspekte der deutschen Außen-und Sicherheitspolitik im Rahmen der Ost-West-Beziehungen Ostpolitik auf der Waage Rahmenbedingungen deutscher Nahostpolitik Kommentar und Replik

Rahmenbedingungen deutscher Nahostpolitik

Arnold Hottinger

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den arabischen Staaten haben sich nach dem Rückschlag des Abbruches der Beziehungen durch die Arabische Liga (1964 bis 1973) positiv entwickelt. Doch kann man nicht sagen, daß die Bundesrepublik oder die EG eine Nahostpolitik besäßen. Eine solche müßte die zentrale Frage angehen, deren Lösung für die Europäer eigentlich noch wichtiger wäre als für die Amerikaner: den permanenten Spannungs-und periodischen Kriegszustand zwischen den Israelis und Arabern zu überwinden. Die derzeitige Lage nämlich bringt bedeutende Gefahren für Europa mit sich: eine weltweite Kriegsgefahr; jene eines atomaren Krieges im Nahen Osten; Risiken für die Ölversorgung; Gefährdung der Transitwege nach dem Fernen Osten; wachsende Einflußnahme der Sowjetunion; permanente Instabilität in der arabischen Welt und mit ihr geringe Entwicklungsaussichten. Die Erklärung der EG von Venedig gab zwar die Richtung an, in der eine Lösung gesucht wird. Doch eine konkrete Politik, die sich an dieser Erklärung ausrichtete, ist bisher nicht zustande’ gekommen. Daß die Bundesrepublik allein eine solche Politik versuchen könnte, ist kaum denkbar. Der israelische Einfluß, der aufgrund der Vergangenheit Deutschlands besteht, würde sich dem widersetzen. Auch eine EG-Politik, die darauf ausginge, Druck auf Israel im Sinne der Erklärung von Venedig auszuüben, dürfte schwer zu verwirklichen sein. Sie liefe Gefahr, die Zusammenarbeit zwischen Israel und den USA noch zu verstärken und Spaltungen in das NATO-Bündnis zu bringen. Der wichtigste Weg für eine Nahostpolitik der Bundesrepublik und der EG wäre deshalb jener einer Einwirkung auf Washington, um dort eine ausgeglichenere Haltung im Nahostkonflikt zu erreichen. Denn eine allzu einseitige Bindung der USA an Israel könnte bewirken, daß die Europäer sich am Ende — entgegen ihren eigenen Interessen — in eine Konfrontation eingebunden finden zwischen Israel und den USA einerseits sowie einer mit der Sowjetunion verbündeten arabischen Welt andererseits.

Die deutsche Nahostpolitik hatte im Jahre 1965 einen schweren Rückschlag erlitten. Damals brachen fast alle Staaten der Arabischen Liga ihre Beziehungen zur Bundesrepublik ab. Der ägyptische Staatspräsident Abdel Nasser war infolge einer Kette von Aktionen und Reaktionen in einen Konflikt mit der Bundesrepublik geraten, die man folgendermaßen darstellen kann: Die Bundesrepublik hatte massive Waffenlieferungen an Israel durchgeführt, die zwar geheim gehalten werden sollten, jedoch in der deutschen Presse bekannt und diskutiert wurden. Im Gegenzug lud Nasser Ulbricht nach Kairo ein; die Bundesrepublik nahm offiziell Beziehungen zu Israel auf, und alle Staaten der Liga brachen ihre Beziehungen zur Bundesrepublik ab. Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen blieben zwar bestehen und es gab auch politische Kontakte auf der Ebene von Geschäfts-trägern, doch die Folgen des Abbruches von 1965 sollten sich bis 1972 hinziehen. Erst damals, zwei Jahre nach dem Tod Nassers, wurden die Beziehungen mit Ägypten wieder normalisiert. Im Jahre darauf stattete Walter Scheel als Außenminister einen Besuch in Kairo ab. Bundeskanzler Willy Brandt besuchte Ägypten 1974, nachdem er vorher in Israel gewesen war.

Eine neue Dimension erhielten die Beziehungen zur arabischen Welt, als im Jahre 1975 der im gesamteuropäischen und gesamtarabischen Rahmen gehaltene sogenannte Dialog zwischen den Europäern und Arabern begann. Er war nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1973 und der mit ihm verbundenen Vervielfachung des Erdölpreises zustande gekommen; doch konnte er seit 1978 nicht weitergeführt werden, weil Ägypten von der Arabischen Liga ausgeschlossen wurde. Dies geschah wegen der Friedenspolitik und des Friedensschlusses Sadats mit Israel.

Den europäischen Staaten mußte spätestens zu diesem Zeitpunkt deutlich geworden sein, daß keine eigene europäische Nahostpolitik möglich sei — bilaterale Beziehungen mit nahöstlichen Staaten stellen noch keine Nahostpolitik dar —, solange die Probleme, die zwischen Israel und der arabischen Welt bestehen, einfach „ausgeklammert", das heißt nach Möglichkeit ignoriert werden. Dieser Streit zwischen Israel und der arabischen Welt bildet nun einmal für die Araber und auch für die Israelis ein zentrales Problem der

Nahostpolitik, ja recht eigentlich das zentrale Problem. Er besteht schon seit 1917, also lange vor der Gründung Israels, und hat unter dem britischen Mandat zu zahlreichen Aufstandsversuchen der palästinensischen Araber sowie Terrorakten der nach Palästina eingewanderten Juden gegen die palästinensischen Araber und das britische Mandat geführt. Er hat später bisher fünf Kriege zwischen den Arabern und Israel verursacht: 1948, 1956, 1967, 1973 und 1982, sowie zu zahlreichen Terrorakten von Palästinensern gegen Israel geführt.

Es läge aus zahlreichen Gründen im Interesse der europäischen Staaten und damit auch der Bundesrepublik, darauf hinzuwirken, daß keine weiteren Nahostkriege mehr ausbrechen. Als die wichtigsten dieser Gründe kann man nennen: 1. Die Gefahr einer Ausweitung solcher Kriege, die bis zu einem Zusammenstoß der beiden Supermächte und einem möglichen Ende der heutigen Zivilisation überhaupt führen könnte;

2. die Gefahren für die Erdölversorgung des europäischen Westens und Japans, die sich auch schon im Falle beschränkter Zusammenstöße oder innerer Unruhen in bestimmten arabischen Staaten ergeben könnten;

3. die Rückschläge für die Entwicklung des strategisch wichtigen, aber bisher mehr turbulenten als stabilen nahöstlichen Gebietes als Gesamtregion, die sich aus den Kriegen und aus der Notwendigkeit für beide Seiten, beständig für Kriege zu rüsten, ergeben;

4. die Gefahr, daß früher oder später Atomwaffen in den lokalen Nahostkonflikten eingesetzt werden könnten mit heute kaum vorausschaubaren Folgen.

1. Die Gefahr, daß aus dem nächsten oder übernächsten Nahostkrieg ein Weltkrieg werden könnte, wächst in dem Maße an, in dem sich die Supermächte auf den beiden feindlichen Seiten engagieren. Daß die Amerikaner auf israelischer Seite und die Sowjets auf jener bestimmter arabischer Staaten — die man meist als die „radikalen" bezeichnet — immer direkter impliziert sind, läßt sich aus der Geschichte der bisherigen Konflikte ablesen. Heute hat die Sowjetunion nicht nur Berater, sondern auch operative Truppen (z. B. für den Einsatz von Luftabwehrraketen) in Sy23 rien stationiert. Sie liefert ferner Waffen nach Syrien, in den Irak, nach Libyen, an beide Jemen und neuerdings auch in beschränktem Maße an Kuwait, in der Zukunft möglicherweise auch an Jordanien. Sie unterhält Freundschaftspakte mit Syrien, dem Irak, den beiden Jemen, und sie hat Libyen indirekt durch ein Bündnis mit Äthiopien und Südjemen in ihren Einflußbereich eingebunden. Umgekehrt ist unter Präsident Reagan immer wieder von „strategischer Zusammenarbeit" zwischen Israel und den Vereinigten Staaten die Rede. Solange auch Ägypten und Saudi-Arabien mit zum amerikanischen Einflußbereich gehören, ist ein regionales Übergewicht der westlichen Seite im nahöstlichen Raum festzustellen. Doch besteht kein Zweifel, daß die Sowjetunion stets in der Lage sein wird, ein Gefälle, das zu ihren Gunsten besteht, in dieser Region auszunützen, solange die Kriegsgefahren und Kriegsdrohungen zwischen den Arabern und Israel fortbestehen. Dieses Gefälle ergibt sich daraus, daß die Vereinigten Staaten von der gesamten arabischen und auch von fast der gesamten islamischen Welt als der Hauptverbündete Israels gesehen werden, dessen Unterstützung im weltpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich es Israel erlaube, Kriege gegen die arabischen Staaten zu führen. Der Umstand, daß der letzte dieser Kriege nach allen objektiven Kriterien, die sich anwenden lassen, als ein Aggressionskrieg bezeichnet werden muß, verstärkt natürlich die in der arabischen Welt allgemein verbreitete Ansicht, daß Israel heute darauf ausgehe, mit Hilfe der Amerikaner eine Hegemonierolle im ganzen Nahen Osten zu erlangen und die arabische Staatenwelt durch Auflösung der bisher bestehenden Nationalstaaten in einander bekämpfende Religionsgemeinschaften — wie es sich in Libanon abzeichnet — zu entmachten und in einen „hundertjährigen Krieg" (Amin Gemayel) aller gegen alle zu stürzen. 2. Was die Ölversorgung angeht, so ist festzuhalten, daß Störungen in der arabischen und nahöstlichen Welt (d. h. einschließlich der Türkei und Irans) die europäische und die japanische Industrie viel direkter und gefährlicher treffen als die amerikanische. Dies gilt trotz der bestehenden Absprachen im Rahmen der Internationalen Energie-Agentur.

3. Stabilität im nahöstlichen Raum kann langfristig nur durch erfolgreiche Entwicklungsanstrengungen gefördert werden. Sie ist für den benachbarten europäischen Kontinent, welchem der Nahe Osten als Durchgangsgebiet und als Entwicklungspartner dient, von viel größerer Wichtigkeit als für die Amerikaner. Sie ist übrigens auch ein Anliegen der Sowjetunion, die immer wieder darauf hinweist, daß es sich bei der Region im weiteren Sinne (einschließlich der Türkei und Irans)

um direkte Nachbarn handle. Der Wunsch nach Stabilität wird in Moskau allerdings gelegentlich durch das Begehren aufgewogen, die Amerikaner als Haupteinflußnehmer aus Mer Region nach Möglichkeit zurückzudrängen. 4. Was die Gefahr eines Atomkrieges im Nahen Osten angeht, so ist sie heute dort größer als in irgendeinem anderen Weltteil — wenn man vom gegenseitigen Patt der beiden Supermächte in ihrer weltweiten Konfrontation einmal absehen will. Israel besitzt ohne Zweifel eine atomare Kapazität, die durch keine internationale Agentur kontrolliert wird. Ob fertig hergestellte Atombomben zur Zeit in Israel gelagert werden, ist ungewiß, muß aber als Möglichkeit vermutet werden. Auf der arabisch-islamischen Seite sind Bemühungen im Gange, den Rückstand, der in dieser Hinsicht wie in manchen anderen Bereichen gegenüber Israel besteht, auszugleichen. Pakistan gilt als der am weitesten forgeschrittene Fabrikant von atomaren Waffen in der islamischen Welt. Man sucht diese hier wohl in erster Linie im Hinblick auf die atomare Kapazität Indiens zu entwickeln. Doch bei den engen Verbindungen finanzieller, politischer sowie militärischer Natur, die zwischen Pakistan und Saudi-Arabien bestehen, kann man nicht ganz ausschließen, daß am Ende die pakistanische Atomkapazität nicht gegen Indien, sondern gegen Israel in einem künftigen Nahostkonflikt zum Einsatz gelangen könnte.

Auch die arabischen Staaten — besonders der Irak und Ägypten sowie neuerdings Libyen — sind an einer nuklearen Entwicklung interessiert; der Iran ist heute offensichtlich bemüht, atomare Projekte aus der Zeit des Schahs, die zunächst der Elektrizitätsgewinnung dienen sollten und von einer deutschen Gruppe betreut wurden, wieder aufzunehmen. Solange der Israelkonflikt fortschwelt, wächst also die Gefahr, daß er zu einem Atomkrieg in dieser Region führen könnte, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter an.

Alle diese Faktoren haben in den EG, und in ihrem Verbund auch in der Bundesrepublik, zu der Erkenntnis geführt, daß eine konkretere Nahostpolitik notwendig ist. Sie müßte über die Pflege bilateraler Beziehungen mit den verschiedenen, untereinander vielfältig konfrontierten Staaten der Region hinausreichen und darauf ausgehen, im Sinne einer Befriedigung der ganzen Region zu wirken. Vor-B aussetzung dazu wäre ohne Zweifel eine Reduktion der Spannungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn sowie die Förderung eines Friedens nicht allein zwischen Ägypten und Israel (dieser kann schwerlich Bestand haben, wenn die übrige arabische Welt ihn nicht nachvollzieht und Israel nicht zu diesem Zweck notwendige Konzessionen eingeht), sondern zwischen Israel und all seinen arabischen Nachbarn.

Wie in der Sicht der europäischen Staaten ein solcher Frieden aussehen sollte, haben diese in einer gemeinsamen Erklärung von Venedig am 13. Juni 1980 niedergelegt. Doch Erklärungen allein, selbst wenn sie periodisch wiederholt werden, machen noch keine Politik. Um Politik zu werden, müßten sie durch Aktionen konkretisiert und realisiert werden. Deklarationen, die im Raum stehen, ohne zu Handlungen zu führen, können sogar negative Politik werden, weil sie schließlich den Eindruck erwecken, daß es dem diese Erklärungen abgebenden Staat oder Staatenbund nicht wirklich ernst damit ist.

All dies wirft dje Frage auf, ob die Bundesrepublik etwas tut oder tun könnte, um die von ihr mitunterzeichneten Grundsätze eines Nahostfriedens der Verwirklichung näher zu bringen. Bei genauerem Zusehen muß allerdings eingestanden werden, daß es für die Bundesrepublik wohl noch schwieriger sein dürfte als für die übrigen Staaten der EG, hier etwas praktisches zu unternehmen, das über bloße Erklärungen hinausginge.

Man muß einräumen, daß der Staat Israel in der Bundesrepublik einen bedeutenden Einfluß besitzt und ausübt, der sich zu großen Teilen auf das durch die Untaten der Nazi-Zeit gegenüber Juden gegebene Schuldbewußtsein gründet. Dieser Einfluß Israels in der Bundesrepublik aufgrund der Vergangenheit Deutschlands ist ein politisches Faktum, an dem nicht gezweifelt werden kann. Er würde Maßnahmen, die dazu bestimmt wären, Israel zu einer kompromißwilligeren Haltung zu veranlassen, erschweren oder von vornherein nicht ermöglichen. Man stelle sich z. B. vor, was geschähe, falls die Bundesrepublik etwa wirtschaftliche Maßnahmen gegen Israel ergreifen wollte, um es zu veranlassen, sich bereit zu zeigen, gegen Friedenszusicherungen die heute besetzten arabischen Gebiete herauszugeben. Ein weltweiter Aufschrei mit dem Grundton „ausgerechnet die Deutschen" würde erfolgen und sowohl in Deutschland selbst wie im übrigen Europa und in den USA ein lautes Echo finden. Eine politische Position im angedeuteten Sinne wäre also schwerlich zu halten und der Schaden in diesem Fall bedeutend größer als der Nutzen.

Jede deutsche Regierung ist ferner darauf angewiesen, ein gutes Verhältnis zum wichtigsten Partner in der NATO, den Vereinigten Staaten, zu bewahren, und ein solches würde ohne Zweifel gefährdet, falls die Bundesrepublik konkrete Schritte unternehmen wollte, um Israel zu einer friedfertigeren Haltung zu zwingen, als es sie heute an den Tag legt, ohne daß ein derartiger Schritt zuvor mit den USA abgesprochen worden wäre. Der Verfasser kann sich keinen Fall denken, in dem es für die Bundesrepublik im Alleingang möglich wäre, etwas Entscheidendes zu unternehmen, um auf Israel im Sinne einer größeren Friedensbereitschaft Druck auszuüben.

Man kann der Vollständigkeit halber fragen, ob es denn denkbar sei, umgekehrt auf die Araber einzuwirken, um sie zu einer größeren Friedensbereitschaft zu veranlassen. Im Rahmen der bilateralen Beziehungen wird dies zweifellos hier oder dort, diskret und vorsichtig, versucht. Man spricht gerne von „flankierenden Maßnahmen", die bewirken sollen, daß bestimmte friedenswillige Staaten, besonders Ägypten, ihre Politik durchhalten können und nicht gezwungen werden, arabischem Druck nachgeben zu müssen.

In der Tat gehört die Bundesrepublik nach den USA heute zu den wichtigsten Quellen finanzieller und projektgebundener Unterstützung, die Ägypten erhält. Eine engere Zusammenarbeit mit Jordanien mag dazu dienen, das Königreich, das sich heute über die seiner Ansicht nach einseitig pro-israelische Politik der Amerikaner recht ungehalten zeigt, davor zu bewahren, immer mehr auf sowjetische politische Hilfe und Waffenlieferungen zu-setzen. Ähnliche Argumente kann man sich für den Irak und die Bedeutung seiner Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik — und mit anderen europäischen Staaten, besonders Frankreich — zurechtlegen. Doch muß man bei näherem Zusehen einräumen, daß es sich hier wirklich nur um flankierende Maßnahmen handelt in dem Sinne, daß sie nicht die eigentlichen Hauptprobleme angehen, sondern diese auf sich beruhen lassen. Im Falle Ägyptens beispielsweise ist es während der letzten Jahre deutlich geworden, daß der Camp-David-Prozeß trotz aller Unterstützung, die Kairo aus den USA und anderen westlichen Staaten erhält, blockiert ist, weil Israel sich bisher weigerte, auf die ägyptischen Vorstellungen über die Verwirklichung der Verträge des zweiten Teils des Abkommens von Camp David auch nur einzugehen und statt dessen im Libanon zu Gewaltmaß25 nahmen gegriffen hat Das Abkommen sieht . Autonomie" für die Palästinenser der Westbankgebiete vor. Dann, nach fünf Jahren, eventuelle Selbstbestimmung. Für die Ägypter bedeutete Autonomie, wie das Wort normalerweise verstanden wird, ein autonomes Gebiet. Doch Begin erfand den Begriff einer „personellen Autonomie", die sich nur auf Personen, nicht auf Territorien beziehen sollte. An diesen gegensätzlichen Interpretationen scheiterte die Durchführung des Zweiten Teils des Camp-David-Abkommens. Theoretisch bestünde zwar die Möglichkeit für eine oder für mehrere westliche Mächte, ungeachtet der tatsächlichen Lage der Dinge den Israeli pauschal recht und den Ägyptern unrecht zu geben; Ägypten also zu drohen, man werde ihm alle Unterstützung entziehen, wenn es sich nicht den israelischen Vorstellungen füge, um so zu versuchen, auf diesem Wege eine Pax Israelica zu erreichen. In der Praxis würde dies zu einem alles bisherige weit übertreffenden Ressentiment der arabischen Welt gegenüber dem Westen führen und langfristig wohl unvermeidlich dazu, daß sich auch die bisher mit dem Westen zusammenarbeitenden arabischen Staaten immer mehr auf die Sowjetunion abstützten und mit ihr gemeinsame Sache machten. Der Westen würde am Ende mit einem überstarken und kriegerisch gestimmten Kleinstaat Israel als einzigem Verbündeten in einer von der Sowjetunion dirigierten feindlichen arabischen Welt verbleiben. Dies kann nicht das Ziel einer vernünftigen Nahostpolitik irgendeines westlichen Staates sein.

Als einzige wirklich brauchbare Aktionsmöglichkeit sieht der Verfasser nur eine: nämlich auf die Vereinigten Staaten in dem Sinne einzuwirken, daß diese ihre bedingungslose Unterstützung Israels soweit modifizierten, daß die Israelis gezwungen wären, an einen realistischen Kompromißfrieden mit der arabischen Welt zu denken. Zwar ist dies angesichts der in den Vereinigten Staaten gerade auf der volkstümlichen Ebene tief verankerten Vorstellung von Israel als dem Schützling und bevorzugten Verbündeten der USA im Nahen Osten keineswegs eine leichte Aufgabe; es würde jedoch sowohl für die Bundesrepublik als auch für die Gesamtheit der europäischen Staaten den einzig gangbaren Weg darstellen, der zu einem Ausgleich in dem arabisch-israelischen Streit und damit zu einem einigermaßen dauerhaften Frieden zwischen den beiden heute machtmäßig allzu ungleichen Streitparteien führen könnte. Solange die Israelis gewiß sind, daß sie in allen ihren Aktionen, gleich welcher Art, von den Vereinigten Staaten unterstützt werden und jederzeit mit der Hilfe der Vereinigten Staaten rechnen können, wäre es völlig unrealistisch, annehmen zu wollen, sie könnten sich bereit zeigen, irgendwelche Konzessionen der Art einzugehen, die einen Frieden mit der arabischen Welt ermöglichen würden.

Ein direkter Druck auf Israel, um es zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen, kommt für die Bundesrepublik aus den genannten Gründen nicht in Frage und wäre wohl auch von der Gesamtheit der Europäischen Gemeinschaft nicht ausübbar. Dies unter anderem deshalb, weil er wohl durch noch weiter verstärkte Hilfe aus Washington kompensiert werden würde. Es bleibt also für die europäischen NATO-Partner genau besehen keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, auf die USA in dem Sinne einzuwirken, daß sie ihre Nahostpolitik soweit revidieren, daß ein Kompromißfrieden im Nahen Osten in den Bereich der praktischen Möglichkeiten rückt.

Dies müßte nach Ansicht des Verfassers die Hauptaufgabe einer jeden Nahostpolitik sein, die wirklich auf Frieden zielt und damit die Hauptanliegen einer solchen Politik wirklich ernst nimmt. Die sogenannten flankierenden Maßnahmen, die dazu dienen, den gemäßigten Nahoststaaten zwar ein Überleben zu sichern, die jedoch nicht darauf ausgehen, jenes Friedensklima zu verwirklichen, das auf längere Sicht allein es ermöglichen würde, die notwendige Entwicklung auf der wirtschaftlichen und der sozialen Ebene in den verschiedenen Staaten des Nahen Ostens entscheidend zu fördern, stellen in den Augen des Verfassers nicht viel mehr dar als ein Alibi. Denn damit vermeidet man es, die als gerecht und richtig erkannten Maßnahmen in den Ve-. nedig-Erklärungen vom 13. Juni 1980 zumindest mit den Mitteln zu fördern, die eine Möglichkeit politischer Wirksamkeit zu versprechen scheinen:

— sich „in konkreter Weise für den Frieden einsetzen";

— anzuerkennen das „Existenzrecht und Recht auf Sicherheit aller Staaten der Region einschließlich Israels sowie der Gerechtigkeit für alle Völker, was die Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensichen Volkes beinhaltet”;

— sich einzusetzen für „das Recht aller Völker, innerhalb sicherer Grenzen zu leben. Garantien für Friedensregelung ...";

— die Feststellung, daß das „Palästinenserproblem ... endlich eine gerechte Lösung finden muß. Das palästinensische Volk ... muß in die Lage versetzt werden, ...sein Selbstbestimmungsrecht voll auszuüben". Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten liefert die Bundesrepublik zur Zeit keine Waffen in den Nahen Osten. Für „Spannungsgebiete" ist ihr dies per Gesetz verboten. Wo allerdings diese Spannungsgebiete sind, steht in bestimmten Fällen, z. B. jenem Saudi-Arabiens, der Interpretation offen. Die Bundesrepublik hat sich zu der Auslegung durchgerungen, daß auch Saudi-Arabien als ein Spannungsgebiet einzustufen sei und daher keine Leopard-II-Panzer von der Bundesrepublik erhalten könne. Diese Auslegung wurde aufrechterhalten, obwohl es für die deutsche Wirtschaft durchaus vorteilhaft wäre, die von Saudi-Arabien gewünschten Panzer zu liefern.

Außenstehende Beobachter fragen sich, wieweit die ablehnende Interpretation unter israelischem Druck oder der Furcht vor solchem zustande gekommen sein mag. Wäre die Entscheidung ebenso ausgefallen, wenn der Einfluß nicht bestünde, den Israel angesichts der deutschen Vergangenheit zu Recht oder zu Unrecht heute noch ausübt? Falls es sich in der Zukunft als zutreffend erweisen sollte, daß in der Tat gleichwertige Waffen, mit bestimmten Einzelteilen, die in Deutschland hergestellt werden, auf dem Weg des Lizenzbaus etwa über Spanien an Saudi-Arabien geliefert würden, wäre der These eines echten Prinzipienentscheides wohl jedenfalls der Boden entzogen.

Wahrheitsfindung im nahöstlichen Bereich ist gewiß nicht einfach; es gehört jedoch zu den Voraussetzungen einer jeden Friedenspolitik in einem demokratischen Staat, daß die bestehenden Vorurteile und Globalslogans abgebaut und eine differenziertere Sicht der Dinge gefördert werden. Neben den Bemühungen, in den USA wie in allen europäischen Staaten ein detaillierteres und realistischeres Verständnis der Lage im Nahen Osten zu fördern, müßte man wohl auch versuchen, im arabischen Raum Realismus, wo immer er sich zeigt, gegenüber den wilderen Vorstellungen von Guerillakampf und Revolution zu ermutigen — was freilich in einer Art und Weise geschehen müßte, die es vermeidet, als bloßer Sprecher des Imperialismus oder Kolonialismus eingestuft zu werden. Daß dies eine Gratwanderung bedeutet, ist dem Verfasser auch aus eigener Erfahrung bekannt. In solchen Bereichen ist bilaterales Wirken möglich und angebracht. In ihnen muß nicht im europäischen Verbund gehandelt werden.

Von den Israelis gilt das gleiche. Es gibt Gruppierungen, Bemühungen und Ausrichtungen in Israel, welche die Notwendigkeit eines Kompromisses mit den Arabern einsehen und auf einen solchen zusteuern möchten. Obwohl sie Minderheiten darstellen, oder gerade darum, verdienen sie Unterstützung und Beachtung.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Arnold Hottinger, Dr. phil., geb. 1926; 1960— 1961 Assistant Professor am Near East Center der UCLA, Los Angeles; seit 1961 Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung für den Nahen Osten, seit 1982 mit Sitz in Nikosia. Veröffentlichungen u. a.: Die Araber, Zürich 1960; 12mal die Arabische Welt, München 1972; Allah heute, Zürich 1980. Zahlreiche Zeitschriftenaufsätze sowie Übersetzungen aus dem Arabischen.