I. Der zweigeteilte Prozeß der Staatswerdung
Im September 1949 wurde nach der Wahl des Bundeskanzlers (15. September) und der Bildung der Bundesregierung (20. September) die Gründung der Bundesrepublik Deutschland formal abgeschlossen. Der westdeutsche Staat war damit aber keineswegs souverän. Am 21. September 1949 wurde Bundeskanzler Adenauer von den Hohen Kommissaren, den obersten Vertretern der drei westlichen Besatzungsmächte in der Bundesrepublik, das Besatzungsstatut übergeben — eine Art „zweite“ provisorische Verfassung für den neugegründeten Staat! In diesem Dokument wurde der Bundesrepublik zwar die „volle gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt gemäß dem Grundgesetz“ zuerkannt, die Oberste Gewalt hatten — so wurde in diesem Statut ausdrücklich festgehalten — aber weiterhin die drei Westmächte inne. Frankreich, Großbritannien und die USA beauftragten mit der Ausübung dieser Obersten Gewalt in der Bundesrepublik ein gemeinsames Vertretungsorgan, die Alliierte Hohe Kommission (AHK). Dieses Organ der drei westlichen Besatzungsmächte war damit Teil des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland und rangierte innerhalb der Hierarchie des politischen Systems des westdeutschen Staates an oberster Stelle: Die AHK besaß gegenüber den bundesdeutschen Verfassungsorganen eine rechtsverbindliche Entschei-dungs-und Weisungskompetenz.
Im Besatzungsstatut hatten sich die drei Westmächte auch bestimmte Gebiete staatlichen Handelns ausdrücklich Vorbehalten, einschließlich dem Recht eigener Gesetzgebung und Verwaltung. Zu diesen Bereichen gehörten neben den sich aus der Besatzung ergebenen Aufgaben, wie sie bereits im Potsdamer Abkommen verankert worden waren, vor allem: Erstens das Recht zur Kontrolle über „die Beachtung des Grundgesetzes und der Länder- sowie zur Überprüfung aller von den westdeutschen Organen beschlossenen Gesetze einschließlich der Möglichkeit, diese unter bestimmten Voraussetzungen aufzuheben zweitens Vorbehalte auf dem Gebiet der Wirtschaft, wie etwa die Kontrolle über den Außenhandel und den Devisenverkehr sowie die Verwendung ausländischer Hilfsleistungen an Deutschland mit der Zielsetzung, diese „auf ein Mindestmaß“ zu reduzieren drittens das alliierte Vorbehaltsrecht für den Bereich der Auswärtigen Angelegenheiten des westdeutschen Staates viertens das Recht der drei Westalliierten zur erneuten Übernahme der vollen Regierungsgewalt (Notstandsrecht) im Falle der Gefährdung der Sicherheit der Besatzungsmächte, der Gefährdung der Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform in Deutschland sowie im Falle der Durchführung entsprechender internationaler Verpflichtungen der Alliierten
Hiermit wird deutlich, daß der Prozeß der Staatswerdung der Bundesrepublik Deutschland aus zwei Teilen bestand: Nach dem ersten Prozeß der Konstituierung des westdeutschen Staates, der mit der Bildung der Bundesregierung und der Übergabe des Besatzungsstatuts an den Bundeskanzler zum Abschluß gebracht wurde, folgte die zweite konstitutive Phase, die zur Emanzipation der Bundesrepublik von den besatzungsrechtlichen Bestimmungen und letztendlich zur Souveränität führen sollte. Dieser zweite Prozeß fand im Mai 1952 mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten (26. Mai) sowie des Vertrages über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) (27. Mai) einen vorläufigen Abschluß. Die Voraussetzung für die Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Neuregelung der deutsch-alliierten Beziehungen auf vertragli-eher Grundlage war dabei die westdeutsche Wiederbewaffnung im Rahmen der EVG.
Die Rolle der Bundesrepublik — dies soll in diesem Aufsatz dargestellt werden — hatte sich aber bereits vom September 1949 bis Mai 1952 dahin gehend verändert, daß sie sich vor allem in außen-wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Bereichen vom Gestaltungsobjekt zum mitgestaltenden Subjekt emanzipierte. Diese sich verändernde Rolle der Bundesrepublik läßt sich nachweisen an ihrer Beteiligung an Organisationen der westeuropäischen Kooperation (z. B. OEEC [Organization for European Economic Cooperation], Europarat) bzw. Integration (EGKS [Europäische Gemeinschaft für Kohle-und Stahlsubventionen]). Auch die Bereitschaft der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den von den Alliierten errichteten Sonderkontrollsystemen (AHK, Militärisches Sicherheitsamt, Internationale Ruhrbehörde) immer mit der Zielsetzung einer Weiterentwicklu dieser Kontrollsysteme im Sinne der westeurop sehen Integrationspolitik — ermöglichte den a mählichen Abbau besatzungsrechtlicher Auflag und Beschränkungen sowie, damit verbunden, ei Zurückgewinnung außenpolitischer und außenwi schaftspolitischer Handlungsmöglichkeiten.
Entscheidend für diese Entwicklung war dabei, d die drei Westmächte, die bereits im erst Abschnitt der Staatswerdung auf die Ausarbeitu der konstitutionellen Ordnung des neuzugründe den Staates entscheidenden Einfluß genomm hatten, in dieser zweiten konstitutiven Phase e genuines Interesse besaßen, die Wirtschafts-ui Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik zu stal lisieren und ihr Verhältnis zu diesem deutsch Teilstaat zu normalisieren.
II. September 1949: Keine Stunde Null
Der Abschluß der ersten Phase der Staatswerdung der Bundesrepublik im September 1949 markierte keineswegs eine „Stunde Null“. Vielmehr wurden bereits während des „bizonalen Interregnums“ grundlegende Entscheidungen sowohl für die innergesellschaftliche Ordnung der späteren Bundesrepublik als auch für die Gestaltung des Verhältnisses des zu gründenden Weststaates zu seiner internationalen Umwelt getroffen und damit dessen außenpolitische Grundposition im Sinne einer Westorientierung und -bindung entscheidend vorbestimmt 1. Die Bizone: Ausbildung einer neuen Staatlichkeit Eine dieser Grundsatzentscheidungen war Ende 1946 der Beschluß zur Errichtung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (VWG) zum 1. Januar 1947 gewesen, bestehend aus der amerikanischen und britischen Besatzungszone. Durch die Schaffung der anglo-amerikanischen Bizone wurde zum einen — wie die weitere Entwicklung zeigte — die Teilung Deutschlands „in entscheidender Weise präjudiziert“ Zum anderen aber wurde durch die Bereitschaft der amerikanischen und britisch Besatzungsmacht, innerhalb ihrer Doppelzo zonenübergreifende deutsche Verwaltungsstell sowie politische Vertretungskörperschaften unt ihrer Oberhoheit zu errichten — wobei die zweil ehe Reorganisation der bizonalen Organisatior Struktur mit dem Ziel der Verbesserung der Ef zienz der deutschen Wirtschaftsverwaltung zu ein schrittweisen Ausweitung der Kompetenzen ui Mitgestaltungsmöglichkeiten der deutschen bizon len Institutionen beim administrativen und po tisch-ökonomischen Neuaufbau des VW führte —, die Ausbildung einer deutschen Stas lichkeit im Rahmen der Bizone ermöglicht ui somit die anglo-amerikanische Doppelzone z „Keimzelle und Präfiguration der Bundesrep blik“. In ihr bildete sich ein vollständiger „poli scher Formenkanon“ aus, der durch das Grun gesetz dann „verfassungsmäßig verbindli wurde“
Darüber hinaus gab es neben dieser politisch auch eine personelle Kontinuität von der bizonal Verwaltung zur Bundesregierung und eine orgai satorisch-rechtliche Kontinuität vom Vereinigt, Wirtschaftsgebiet zur Bundesrepublik Deutsc land Die Stetigkeit im ersten Falle basierte darauf, daß die Mehrheitsverhältnisse im Ersten Deutschen Bundestag in etwa denen im bizonalen Wirtschaftsrat entsprachen: In beiden gesetzgebenden Organen gab es eine „Regierungskoalition“ der CDU/CSU mit der FDP und der DP. Zum anderen gab es eine Kontinuität der „Regierungs" -und Verwaltungsarbeit, denn die bizonalen Verwaltungsorgane bildeten den Grundstock der Bundesministerien
Bedeutsamer noch als diese personelle Stetigkeit war die organisatorisch-rechtliche Kontinuität: Für die spätere Bundesrepublik war neben der erwähnten Ausbildung vorkonstitutioneller Institutionen und deren Überleitung als Organisationselemente des neugegründeten Weststaates insbesondere die Fortdauer des bizonal gesetzten Rechtes als Bundesrecht von immenser Bedeutung. Die Übernahme des vorkonstitutionellen Rechts des Wirtschaftsrates war in mehreren Artikeln des Grundgesetzes geregelt Durch die Bestimmungen über die Fortgeltung des bizonal gesetzten Rechtes wurde zum einen die Staatlichkeit des neuen westdeutschen Staates an die vorangehende Organisation gebunden, zum anderen mußte der bundesdeutsche Gesetzgeber „von grundlegenden Präjudizierungen der künftigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung außerhalb des Verfassungsrechts“ ausgehen 2. Die Europäisierung des deutschen Problems Die Entwicklungsmöglichkeiten des Vereinigten Wirtschaftsgebietes wurden aber auch durch äußere Determinanten, von den sich aus internationalen Konstellationen ergebenden Rahmenbedingungen bestimmt. Einer der wichtigsten Faktoren war dabei, daß die vier Besatzungsmächte aufgrund ihrer starken Interessendivergenzen und damit ihrer antagonistischen deutschlandpolitischen Zielsetzungen nicht in der Lage waren, im Alliierten Kontrollrat oder auf der höchsten alliierten Entscheidungsebene, der Konferenz der vier Außenminister, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Wichtige Wendepunkte in der Deutschlandpolitik waren hier die ergebnislosen Konferenzen der Außenminister der vier Mächte in Moskau (10. März bis 24. April 1947) und später in London (25. November bis Dezember 1947): Im besetzten Deutschland entwickelten sich zwei unterschiedliche, auf die Interessen der jeweiligen Welt-macht ausgerichtete Wirtschaftsund Gesellschaftssysteme.
Der ergebnislose Verlauf der Moskauer Außenminister-Konferenz war letztendlich der Impuls für die konstruktive Neuformulierung der amerikanischen Deutschlandpolitik und deren definitive Einordnung in die sich entwickelnde neue Phase der amerikanischen Europapolitik, welche aus der Verknüpfung zweier außenpolitischer Konzeptionen resultierte:
Erstens forcierten die USA die Durchsetzung der von ihnen schon seit Anfang des Zweiten Weltkrieges für die Nachkriegszeit geplanten liberal-kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung. Die Voraussetzung zur Herstellung eines funktionierenden Weltmarktes war aber der ökonomische Wiederaufbau in Europa, wobei zur Realisierung dieser Zielsetzung die Einbeziehung wesentlicher Industriekapazitäten des ehemaligen Feindstaates Deutschland als unverzichtbar eingestuft wurde.
Zweitens setzte sich spätestens zu diesem Zeitpunkt in der amerikanischen Administration die Erkenntnis durch, daß aufgrund der als militant-aggressiv und expansionistisch eingeschätzten sowjetischen Außenpolitik ein modus vivendi mit der kommunistischen Weltmacht nicht möglich sein würde; vielmehr mußte die weitere Ausdehnung des im Zuge der Kriegs-und Nachkriegsereignisse bereits beträchtlich erweiterten sowjetischen Macht-und Einflußbereichs durch eine politisch-ökonomische Stabilisierung der demokratischen Staaten und durch eine auch militärisch instrumentierte euro-atlantische Eindämmungsstrategie verhindert werden. Im Rahmen dieser modifizierten Strategie erreichten innerhalb der amerikanischen Administration schließlich diejenigen Kräfte ihr Ziel, die die Einbeziehung des (west) deutschen Potentials in ein westliches, politisch-ökonomisches Sicherheitssystem in einem größtmöglichen Maße gefordert hatten. Das Instrument zur Durchsetzung dieser außenpolitischen Konzeption der USA und damit das Verbindungsglied zwischen amerikanischer Europa-und Deutschlandpolitik war das „European Recovery Program“ (ERP) — bekannter unter der Bezeichnung Marshallplan 15). In bezug auf Deutschland hatte dieses operative amerikanische Konzept eine dreifache politische Wirkung. a) Erste Konsequenz: Die Weststaatsgründung Es war erstens der Katalysator für die Entscheidung zur definitiven Weststaatsgründung Ab Herbst 1947 und erst recht nach dem Scheitern der Konferenz der vier Außenminister in London zeichnete sich eine Einigung der drei westlichen Besatzungsmächte über eine gemeinsame Deutschlandpolitik ab. Zu beachten ist hierbei, daß seit der zweiten Jahreshälfte 1946 in der innerfranzösischen Auseinandersetzung die deutschlandpolitischen Konzeptionen der Gaullisten und Kommunisten, die eine dauerhafte Schwächung Deutschlands zum Ziel hatten, stetig an Boden verloren, und im Verlauf des Jahres 1947 die Exponenten jener Politik an Einfluß gewannen, die den Wiederaufbau Frankreichs im Rahmen einer gesamteuropäischen Kooperation anstrebten, in die auch Westdeutschland einbezogen werden sollte Frankreich schloß sich deshalb mehrheitlich dem bisherigen Kurs der USA und Großbritanniens gegenüber der Sowjetunion an, der als Konsequenz zur Teilung Deutschlands und zur Weststaatsgründung sowie zur Einbeziehung des westdeutschen Potentials in eine politisch-ökonomische Sicherheitsgemeinschaft des Westens führen mußte. Für Frankreich bot sich damit die Möglichkeit, in Verhandlungen mit den beiden anderen Westmächten seine deutschlandpolitischen Forderungen mit einer größeren Aussicht auf — zumindest teilweisen — Erfolg vorzubringen und damit die Rolle der zur Obstruktion neigenden Besatzungsmacht aufzugeben. Für die Amerikaner und Briten eröffnete sich aufgrund dieser Entwicklung die Perspektive, durch einvernehmliche Regelungen mit den Franzosen die französische Zone wirtschaftlich wie politisch an die Bizone heranzuführen und schließlich mit dieser zu fusionieren, damit die politisch-ökonomische Stabilisierung Westdeutschlands zu forcieren und durch die Gründung eines separaten Weststaates unter alliierter Kontrolle eine noch effizientere institutioneile Struktur zu schaffen, was wiederum für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nur von Vorteil sein konnte.
Diese konzeptionelle Neuorientierung in der französischen Deutschlandpolitik mußte konsequenterweise auch zu einer Revision der Instrumente im Rahmen der sicherheitspolitischen Zielsetzungen Frankreichs führen: Statt Sicherheit vor Deutschland durch die Nutzung des deutschen Potentials zum eigenen Vorteil und durch dessen gleichzeitige Begrenzung zu erreichen, sollte nunmehr durch die ökonomischen Verflechtungen eine Aggression Deutschlands gegen seine Nachbarstaaten in Zukunft verhindert werden Das ERP und die mit diesem Programm verbundenen politischen Intentionen und Auswirkungen begünstigten diesen sich in zahlreichen Einzelschritten vollziehenden deutschlandpolitischen Wandlungsprozeß innerhalb des französischen politischen Systems. Die Wirtschaftshilfe der USA ermöglichte es den Franzosen zudem, auf die „Politik der versteckten Reparationen und des wirtschaftlichen Faustpfandes“ in ihrer Zone zu verzichten und auf den ökonomischen Kurs der anglo-amerikanischen Deutschlandpolitik einzuschwenken.
Eine wichtige Voraussetzung für die französische Zustimmung zur Weststaatsgründung war letztlich auch die Regelung der Ruhrfrage, denn durch die direkte Mitkontrolle der Ruhrindustrie und der Ruhrressourcen konnte das politische und ökonomische Sicherheitsinteresse Frankreichs befriedigt werden. Die eigene Besatzungszone wurde für Frankreich als politisches wie ökonomisches Faustpfand nunmehr obsolet. b) Zweite Konsequenz: Die Grundlegung der Westintegration des westlichen Teil Deutschlands
Die zweite politische Wirkungsdimension des Marshallplans war die Grundlegung der außenpolitischen und außenwirtschaftspolitischen Orientierung des neuzugründenden deutschen Weststaats. Das Besondere am ERP war dessen operative Konzeption: ein neuartiges amerikanisch-europäisches Wiederaufbauprogramm unter Hinzuziehung und Eingliederung des verfügbaren westdeutschen Wirtschaftspotentials mit einem neuartigen Konstruktionsprinzip — dem der aufeinander abgestimmten multilateralen Kooperationsmaßnahmen. Die Umsetzung dieser Konzeption führte am 16. August 1948 zur Unterzeichnung der Gründungsurkunde für die OEEC (Organization for European Economic Cooperation) -In dieser Organisation wurden die anglo-amerikanische Doppelzone und die französische Besatzungszone als nahezu gleichberechtigte Teilnehmer aufgenommen. Vertreten wurden die drei Westzonen zunächst durch die Militärgouverneure; allerdings wurde der westdeutschen Wirtschaftsverwaltung bald nach dem Anlaufen des ERP die Mitarbeit in den Ausschüssen der OEEC zugestanden Mehr als ein Jahr vor der offiziellen Gründung der Bundesrepublik belegten die drei Westzonen gemeinsam einen Mitgliedsplatz für Westdeutschland in der OEEC. Die USA hatten den Westzonen sogar die Funktion zugewiesen, bei der Liberalisierung des innereuropäischen Handels — der zentralen Aufgabe der OEEC — die Rolle des Vorreiters zu übernehmen.
Die bürgerliche Mehrheit im bizonalen Wirtschaftsrat war durchaus bereit, „die Politik bewußter Liberalisierung“ im Außenhandel zu unterstützen und zu einer liberalen Zollpolitik zurückzukehren widersetzte sich aber zunächst der Vorreiterrolle. Man wollte diese Funktion nur unter der Prämisse übernehmen, daß es keine langfristigen, einseitigen Vorleistungen Westdeutschlands geben dürfe, sondern die handelspolitischen Diskriminierungen beendet und der Westteil Deutschlands als gleichberechtigter Partner an den Handelsvertragsverhandlungen beteiligt werden würde — eine Forderung, die die bizonalen deutschen Organe zu diesem Zeitpunkt nicht durchsetzen konnten. Vielmehr mußten diese aufgrund von Anweisungen der Militärregierungen eine Liste von Waren und Gütern, für die Zollfreiheit oder Zollermäßigungen gewährt werden sollten, erlassen
Mit der Einbeziehung in das ERP engstens verknüpft war die Rückkehr und die Reintegration Westdeutschlands in die Weltwirtschaft. Die Bemühungert der USA um den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft sowie deren Integration in die ökonomische Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten fanden auf globaler Ebene ihre Entsprechung bei den Zollverhandlungen im Rahmen des GATT (Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen [General Agreement on Tariffs and Trade]). So gelang es den Militärregierungen der Bizone und der französischen Zone auf amerikanisches Betreiben hin am 14. September 1948, mit 13 GATT-Mit-gliedstaaten ein Abkommen über die Gewährung der unbedingten Meistbegünstigung an die drei westlichen Besatzungszonen abzuschließen. Diese Regelung konnte durch das sogenannte „Statement von Annecy“ vom 13. August 1949 auf alle GATT-Vertragsparteien ausgedehnt werden Bereits vor der Gründung der Bundesrepublik waren also die strukturellen Entscheidungen für die außenwirtschaftliche Integration Westdeutschlands in die westeuropäische Zusammenarbeit und das Welt-wirtschaftssystem getroffen worden. Damit verbunden war als Konsequenz aber auch eine grundsätzliche Entscheidung für die außenpolitische Orientierung und Einbindung des zukünftigen westdeutschen Staates in das westliche Bündnissystem unter Führung der USA c) Dritte Konsequenz: Die Schaffung einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung in Westdeutschland Die dritte Wirkungsdimension des Marshallplans bestand in seiner Funktion als Einflußund Steuerungsinstrument, um in dem zu gründenden Weststaat die Etablierung einer den amerikanischen Vorstellungen nicht widersprechenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung durchzusetzen; denn eine den Prinzipien des liberal-kapitalistischen Weltwirtschaftssystems verpflichtete Außenwirtschaftspolitik mußte ihre Entsprechung in einer dazu konformen binnenwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung finden: in einer marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnung.
Begünstigt wurden die Entscheidungen zur Einführung der Marktwirtschaft in der Bizone vor allem durch zwei Entwicklungsprozesse: erstens die sich entwickelnde Vorherrschaft der Amerikaner gegenüber den sozialisierungsfreundlichen und plan-wirtschaftlich orientierten Briten zweitens die sich zeitlich parallel dazu durchsetzende „bürgerliche Mehrheit“ im bizonalen Wirtschaftsrat — eine politische Konstellation, die die Berufung Ludwig Erhards, dem vehementesten Verfechter einer freien Marktwirtschaft, in die wichtige Position des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft (VfW) ermöglichte. Zwischen diesen beiden Handlungsträgern gab es im Jahre 1948, der entscheidenden Phase zur Einführung der Marktwirtschaft, kaum noch prinzipielle Gegensätze!
Eine der wichtigsten Entscheidungen war in diesem Zusammenhang die von den drei Besatzungsmächten in den Westzonen durchgeführte Währungsreform vom 20. /21. Juni 1948 und die von Erhard — ohne vorherige Information an die Militärregierungen — durch das Leitsätzegesetz vom 18. Juni 1948 verfügte Reform der durch das Bewirtschaftungsnotrecht geprägten Wirtschaftsordnung; am 20. Juni 1948 verkündete der Direktor der VfW, daß gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Währungsreform die Bewirtschaftung und Preisbindung für Waren und Güter weitestgehend aufgehoben werden würden Das Ziel beider Maßnahmen war die Einführung der freien Marktwirtschaft mit stabiler Währung, begleitet von dem Verbot einer defizitären staatlichen Fiskalpolitik durch die Besatzungsmächte einem dezentralisierten Notenbanksystem der Einführung des wirtschaftspolitischen Prinzips von Investitionsanreizen durch Steuervergünstigungen für die Eigentümer an den Produktionsmitteln sowie der Nachrangigkeit sozialpolitischer Korrekturen im prinzipiell freien Wirtschaftsprozeß
Die Alliierten und die Verfechter der Marktwirtschaft auf deutscher Seite entsprachen mit ihren Entscheidungen faktisch den konstituierender Prinzipien einer neoliberalen Wirtschaftsordnung dem Primat der Währungspolitik, dem Privateigen tum als Voraussetzung der Wettbewerbsordnung dem Primat der Wachstumspolitik vor Verteilungs politik, dem Vorrang privat kontrollierter Selbstfi nanzierung gegenüber öffentlich kontrollierte! Fremdfinanzierung.
Ganz im Sinne dieser Wirtschaftsordnung vertratet die Amerikaner gegenüber den Briten, den Franzo sen und den politischen Akteuren auf deutsche: Seite mit Erfolg den Standpunkt, daß hinsichtlic der politischen und ökonomischen Struktu Deutschlands keine Präjudizien der Alliierter geschaffen werden dürften sondern die Ent Scheidung einer aus freien Wahlen hervorgegangenen zentralen deutschen Regierung überlassen bleiben sollte Trotz dieses Grundsatzes verfolgter die USA mit ihren Entscheidungen ganz bestimmt« Strukturziele: die Errichtung einer föderalen staatlichen Ordnung in Deutschland, die neben demokratischen Wahlen sowie dem Schutz der Menschenrechte auch die Sicherung der bürgerlicher Rechte einschließlich dem Recht des Privateigentums an Produktionsmitteln garantieren sollte Eine solche Staatsstruktur schloß ein planwirtschaftliches Wirtschaftssystem, welches auf zentrale Planungsinstanzen angewiesen wäre, weitestgehend aus. In der Realisierung dieses Grundsatzes widersetzte sich die US-Militärregierung erfolgreich der Sozialisierung der Grundstoffindustrien in den Ländern der Bizone und konnte zudem vor den Briten die Zustimmung zur Dekartellisierung und Entflechtung der westdeutschen Eisen-und Stahlindustrie sowie des Kohlenbergbaus errei chen
Die Amerikaner erreichten während des „bizonalen Interregnums“ mit ihrer „Politik der Präjudizierungen durch Verbot aller Präjudizierungen“ die vor-und außerkonstitutionelle Präformation eines Wirtschafts-und Gesellschaftssystems im Westteil Deutschlands, das den von ihnen verfochtenen Strukturzielen entsprach: die föderale Staatsordnung und die den Prinzipien einer neoliberalen Wirtschaftsordnung entsprechende ökonomische Struktur. Diese vor-und außerkonstitutionellen Präjudizierungen wurden durch rechtliche Regelungen für den Bundesgesetzgeber und die künftige Bundesregierung in hohem Maße verbindlich: Erstens blieben die ökonomischen Vorrechte der Alliierten auch nach der Bildung der frei gewählten deutschen Regierung zunächst bestehen (außer-konstitutionelles Recht), was faktisch bedeutete. daß auch die Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik — insbesondere in der Außenwirtschaftspolitik — weiterhin in den von den Besatzungsmächten zuvor festgelegten Bahnen operieren mußte und konnte; der zweite Beleg für die Bindung der westdeutschen Verfassungsorgane im Bezug auf die Wirtschaftsund Sozialordnung war die Übernahme des (vorkonstitutionellen) Rechts des bizonalen Wirtschaftsrates als Bundesrecht. Die Möglichkeit der Durchsetzung einer den Vorstellungen der Sozialdemokraten entsprechenden, sozialistisch ausgerichteten Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung hatte sich damit erheblich verschlechtert.
III. Schritte zur Absicherung der außenwirtschaftspolitischen Einbeziehung Westdeutschlands
In den Tagen und Wochen nach der Bildung der Bundesregierung wurden für die Außenwirtschaftspolitik Westdeutschlands wichtige Entscheidungen getroffen. Zunächst wurde durch einen Beschluß der Alliierten Hohen Kommission der Außenwert der Deutschen Mark neu festgesetzt; die DM wurde gegenüber dem US-Dollar um 20, 67% abgewertet -Diese Entscheidung wurde dem Inhalt nach von der Bundesregierung gebilligt; heftig kritisiert wurde vom Bundeskanzler dagegen die einseitige Vorgehensweise der AHK, da der Beschluß ohne direkte Mitwirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung zustande gekommen war
Wenige Tage später, am 4. Oktober 1949, faßte das Bundeskabinett den Beschluß, dem Abkommen für Europäische Zusammenarbeit und der OEEC beizutreten Da die Außenminister der drei Westmächte bereits auf ihrer Konferenz im April 1949 in Washington vereinbart hatten, daß der zu gründende deutsche Weststaat als Vollmitglied mit eigenständiger Vertretung in diese internationale Organisation aufgenommen werden sollte ermächtigte die AHK am 7. Oktober 1949 den Bundeskanzler, einen deutschen Delegierten zur OEEC zu entsenden Am 25. Oktober 1949 wurde dann der völkerrechtlich verbindliche Beitritt der Bundesrepublik zur OEEC vollzogen. Obwohl dieser Schritt keineswegs als spektakulär bezeichnete werden kann — vielmehr war es wegen des hohen Stellenwertes der westdeutschen Wirtschaft für das Gelingen des Europäischen Wieder-aufbauprogramms politisch folgerichtig, die ökonomische Einbindung der Bundesrepublik in die westeuropäische wirtschaftliche Zusammenarbeit auch institutionell abzusichem —, konnte die Bundesrepublik (Westdeutschland wurde bisher durch alliierte Delegierte in der OEEC vertreten) erstmals ihre Interessen eigenständig und als formal gleichberechtigtes Mitglied in einer internationalen Organisation vertreten — ein Ergebnis von großer außenpolitischer Bedeutung.
Als Konsequenz des OEEC-Beitritts schloß die Bundesrepublik Deutschland auch ihren ersten völkerrechtlichen Vertrag mit einem anderen Staat: den Vertrag über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den USA, der am 15. Dezember 1949 unterzeichnet wurde Das Abkommen war die deutsch-alliierte Vereinbarung über die Gewährung von Finanzmitteln aus dem ERP an Westdeutschland und ersetzte entsprechende Vereinbarungen aus der bizonalen Zeit. Mit diesem Vertrag erreichte die Bundesrepublik einen zu den anderen Teilnehmerländern am Marshallplan in etwa analogen Status. Der deutsch-amerikanische Vertrag wies gegenüber den anderen bilateralen Abkommen der USA mit den Teilnehmer-staaten am ERP zwei Besonderheiten auf: Erstens waren die aus dem Marshallplan der Bundesrepublik zufließenden Finanzmittel nicht, wie sonst üblich, Zuwendungen („grants“) oder Anleihen („Ioans“), sondern Forderungen („Claims“) der Vereinigten Staaten gegenüber Deutschland, die prinzipiell zurückgezahlt werden mußten, wobei die Amerikaner den Deutschen jedoch zusicherten, daß die Rückerstattung erst erfolgen solle, wenn dies nach gesunden ökonomischen Grundsätzen wirtschaftlich verantwortbar sei; Zeitpunkt und Umfang würden sowohl von der deutschen Zahlungsfähigkeit als auch von der gesamtwirtschaftlichen Situation abhängig sein Zweitens konnte die Bundesregierung über das Guthaben des ERP-Sonderkontos nur nach Rücksprache mit der amerikanischen Regierung bzw.der Marshallplan-Ver-tretung in Deutschland und nach deren Einverständnis verfügen — eine Vertragsklausel, die den Vereinigten Staaten zusätzlich zu den Rechten aufgrund des Besatzungsstatuts einen erheblichen Einfluß auf die westdeutsche Wirtschaftspolitik sicherte.
Weitere wichtige außenwirtschaftliche Entscheidungen waren zum einen die Einladung der GATT-Mitgliedstaatenan die Bundesrepublik, an den a 28. September 1950 im englischen Torquay begii nenden internationalen Zollverhandlungen teilzi nehmen — die Annahme dieser Einladung durc die Bundesregierung war ein außenwirtschaftspol tischer Imperativ, denn zwischen den 40 GATI Staaten wurden Ende 1949 ca. 80 % des gesamte Welthandels abgewickelt —, zum anderen übe nahm die Bundesrepublik die ihr von den US. zugewiesene Funktion des Schrittmachers bei de Handelsliberalisierung innerhalb des OEEC-Rat mes
Diese ersten außenwirtschaftspolitischen Hant lungsschritte waren zwar durch die Entscheidun einer Besatzungsmacht (amerikanisches ERP) bzv durch alliierte Beschlußfassung weitestgehen determiniert, sie bildeten aber ganz wesentlich Schritte auf dem Weg zur Normalisierung der inte: nationalen Rechts-und Wirtschaftsbeziehunge des neugegründeten westdeutschen Staates.
IV. Das Petersberger Abkommen: Die Regelung sicherheitspolitischer und wirtschaftspolitischer Fragen
Der erste große außenpolitische Erfolg für den Bundeskanzler und seine Regierung war das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949. Bedeutsam waren dabei nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Form dieser Vereinbarungen. Adenauer durfte die Niederschrift der Abmachungen als Vertreter eines besetzten Landes gemeinsam mit den Repräsentanten der Besatzungsmächte in Westdeutschland unterzeichnen — ein Vorgang, der bis zur Unterzeichnung des Deutschlandvertrages am 26. Mai 1952 einmalig blieb.
Betrachtet man die Substanz der Vereinbarungen vom 22. November, so muß man zunächst feststellen, daß diese als ein sehr eindrucksvolles Beispiel für das spezifische Zusammenwirken von ökonomischen und (sicherheits) politischen Faktoren im Rahmen des bundesdeutschen Emanzipationsprozesses und des Bemühens um die Integration Westdeutschlands in die westeuropäische Gemeinschaft zu werten sind.
Die entscheidende Voraussetzung für dieses Abkommen war die Revision der gemeinsamen Deutschlandpolitik der drei Westmächte. Zwischen den Regierungen der drei westlichen Besatzung: mächte setzte im Zusammenhang mit dem Eure pean Recovery Program (ERP) eine Diskussio über die Vereinbarkeit der bisherigen Politik de Reparationen und der ökonomischen Restriktione gegenüber der westdeutschen Industrie mit de Zielsetzung des Wiederaufbaus der europäische Volkswirtschaften ein. Das Ergebnis war, da die Produktionsverbote und -beschränkungen i zunehmendem Maße unter wirtschaftspolitische Erwägungen bewertet wurden und die Sicherheit: politischen Bewertungskriterien ihre Position al dominantes Kriterium damit verloren, obwo diese vor dem Hintergrund des immer noch seh stark ausgeprägten französischen und auch br: tischen Sicherheitsbedürfnisses im interalliiei ten Entscheidungsfindungsprozeß eine weiterhi bedeutende Rolle einnahmen.
Die Bereitschaft der Besatzungsmächte zu eine Revision der der westdeutschen Industrie auferleg ten ökonomischen Restriktionen war vorhanden aber auch abhängig von der weiteren Existenz eine alliierten bzw. auch internationalen Kontrollsy stems gegenüber Westdeutschland, sowie von de Bereitschaft der künftigen zentralen westdeutsche: Regierung, einen Beitrag zur Lösung des spezifi sehen deutschen Sicherheitsproblems zu leisten Für die Besatzungsmächte bestand das Dilemma daß die erfolgreiche ökonomische Rekonstruktio: der Volkswirtschaft in den drei Westzonen für die Realisierung der Ziele des europäischen Wiederaufbauprogrammes zwar eine unabdingbare Voraussetzung war, andererseits diese Entwicklung aber natürlich zu einem wirtschaftlichen und politischen Wiedererstarken Westdeutschlands führen mußte, was das Bedürfnis nach Sicherheit vor dem einstigen Kriegsgegner eher verstärken als verringern mußte. Anders ausgedrückt: Die westdeutsche Regierung konnte in dieser Angelegenheit nur dann Zugeständnisse der Besatzungsmächte erwarten, wenn sie das alliierte und internationale Sicher-heitsund Kontrollsystem in Westdeutschland akzeptierte und bereit war, mit den einzelnen Elementen dieses Systems zu kooperieren
Auf deutscher Seite bestand bereits Anfang 1949 durchaus die Bereitschaft, im Falle einer Revision der alliierten Demontagepolitik sowie der Produktionsverbote und -beschränkungen mit dem Kon-troll-und Sicherheitssystem der Besatzungsmächte zusammenzuarbeiten. Interessant ist allerdings, daß die deutschen Akteure diese Bereitschaft zur Kooperation nicht nur nutzen wollten, um etwa die Wiederzulassung bisher verbotener Industrien zu erreichen, sondern auch, um die eigenen Handlungskompetenzen zu erweitern. So schlugen die deutschen Akteure in der Bizone vor, selbständige deutsche Kontrollstellen zu errichten Auf derartige Pläne gingen die Besatzungsmächte aber weder Anfang 1949 noch im Petersberger Abkommen ein; sie verlangten vielmehr von deutscher Seite die an keinerlei Bedingungen geknüpfte Bereitschaft Westdeutschlands zum Beitritt in das Organ des westeuropäischen Kontrollsystems -die Internationale Ruhrbehörde — und die Übernahme aller sich daraus ergebenden Verpflichtungen sowie die Kooperation der Bundesregierung mit dem Militärischen Sicherheitsamt, einer der AHK unterstellten alliierten Behörde.
Diese Übereinstimmung zwischen den alliierten und den deutschen Handlungsträgern bereits im Vorfeld des Petersberger Abkommens zeigt sehr deutlich, daß die Struktur und die Elemente dieser Vereinbarung schon vor den eigentlichen Verhandlungen festgelegt worden waren. Beide Seiten strebten eine Lösung der strittigen Fragen im Rahmen des Zusammenhanges zwischen der Regelung ökonomischer Restriktionen und den Sicherheitsgarantien an.
Zu unterscheiden sind dabei, zusammenfassend, drei Phasen der Entscheidungsfindung: erstens die deutsch-alliierten Gespräche im Vorfeld der Tagung der Außenminister der drei Westmächte am 9. /10. November 1949 in Paris, zweitens diese Außenministerkonferenz und drittens die Beratungen des Bundeskanzlers mit den Hohen Kommissaren am 15., 17. und 22. November auf dem Petersberg die schließlich zu der Vereinbarung führten.
In der ersten Phase wurde die Bundesregierung, vor allem in der Person des Kanzlers, erstmals als Partner in den interalliierten Entscheidungsfindungsprozeß einbezogen: Adenauer wurde aufgefordert, sich an der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen zu beteiligen Die drei Westmächte waren nämlich bestrebt, im Verlauf ihres eigenen Entscheidungsfindungsprozesses zu Beschlüssen zu gelangen, die für die westdeutsche Regierung akzeptabel waren Die Alliierten gaben deshalb dem Bundeskanzler die Möglichkeit, seine Forderungen und Lösungsvorschläge zu diesem Themenkomplex darzulegen und die für ihn annehmbaren Elemente eines möglicherweise notwendigen Kompromisses im voraus bekanntzugeben.
Adenauer vermied in seinen Noten an die Hohen Kommissare jede konkrete Aussage hinsichtlich der von alliierter Seite erwarteten sicherheitspolitischen Zugeständnisse. Er war offensichtlich bestrebt, sich nicht schon zu Beginn der Beratungen durch eigene, offizielle Vorschläge in bestimmten Sachfragen in eine zur Haltung der AHK gegensätzliche Position zu bringen. Eine derartige Situation der Konfrontation wäre für den Bundeskanzler mit Nachteilen verbunden gewesen (möglicher Autoritätsverlust des Kanzlers, negative Auswirkungen auf die Stabilität seiner Regierung), hätte das Verhältnis zur AHK belastet und eine Vereinbarung wohl eher erschwert. Trotz dieser realpolitisch bestimmten Handlungsweise verzichtete Adenauer keineswegs völlig auf die Artikulation seiner Zielvorstellungen, nur machte er diese über andere Kanäle, etwa in informellen Besprechungen vor allem aber durch Zeitungsinterviews publik. Die Ausführungen Adenauers waren dabei von der Einschätzung bestimmt, daß die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland das Schlüssel-problem für weitere Fortschritte hinsichtlich der westeuropäischen Integration und der Emanzipation der Bundesrepublik sein würde. Um das bereits skizzierte spezifische deutsche Sicherheitsproblem zu lösen, schlug der Bundeskanzler vor, die durch Maßnahmen der USA in ihrer Entwicklung stark begünstigte ökonomische Verflechtung der westeuropäischen Volkswirtschaften durch besondere Elemente auf deutsch-französischer Ebene zu ergänzen und damit den Integrationsprozeß zu forcieren — eine Idee, die durch den Schuman-Plan dann konzeptionell umgesetzt wurde.
Betrachtet man nun die Handlungszusammen-hänge von der Außenministerkonferenz am 9. /10. November bis zur Unterzeichnung des Petersberger Abkommens vom 22. November 1949, so sind diese durch Konsultationen und damit durch eine zwischen demokratischen Staaten übliche Methode der Konsensbildung gekennzeichnet. Der Bundeskanzler konnte nach innen wie nach außen demonstrieren, daß es eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Hohen Kommissaren und ihm gab und daß die Bundesrepublik inzwischen Partner in der Gemeinschaft der demokratischen Staaten des Westens geworden war. Die bereits erwähnte Form der Vereinbarung brachte diesen Status eines Partners dann auch deutlich zum Ausdruck.
Dieser Befund darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die deutsch-alliierten Beratungen nach der PariserAußenministerkonferenz keine Verhandlungen waren. Die Außenminister der drei Besatzungsmächte hatten in ihren Direktiven an die AHK den Inhalt und auch die Vorgehensweise strikt festgelegt; beides war nicht mehr verhandlungsfähig. Adenauer hatte, darauf wiesen d: Hohen Kommissare ausdrücklich hin, nur eir Handlungsaltemative: entweder die bedingung lose Annahme der Vorschläge der Besatzung mächte als Paket oder deren Ablehnung all ierte Konzessionen in bezug auf die Vertragssul stanz wurden also von Anfang an ausgeschlo sen
Bewertet man den Inhalt des Petersberger Abkon mens, so war dieses ein Indiz für die revidiert Deutschlandpolitik der drei Westmächte. Statt di eigenen Sicherheitsinteressen durch Verbote un Restriktionen zu befriedigen, war man nunmel bereit, dazu überzugehen, diese durch Kontrolle« an denen die Westdeutschen partizipieren bzw. m den hierfür errichteten Organisationen kooperiere sollten, sowie durch die forcierte Integration de Bundesrepublik in den Westen zu realisieren. DPetersberger Abkommen entsprach der Konzey tion Adenauers, nämlich durch Einbeziehung de Bundesrepublik in den Westen Handlungsfreihe ten zu gewinnen. Die Abmachungen waren deshal im Ergebnis für Adenauer durchaus ein Erfolg ii Sinne dieses Zusammenhanges von Integration un Emanzipation. In den Vereinbarungen wäre Modifikationen zum Besatzungsstatut veranker Der Bundesrepublik wurden erstmals außenpolit sehe Vertretungsrechte eingeräumt; ihr wurde m bestimmten Einschränkungen das Gesetzgebung: recht für die Dekartellisierung übertragen; schlief lieh sollte, wie im Ruhrstatut vorgesehen, die Vei antwortung der Besatzungsmächte für die stimmbc rechtigte Vertretung Westdeutschlands in de Ruhrbehörde abgelöst und diese Kompetenz an di Bundesregierung überwiesen werden. Das Abkom men brachte außerdem Lockerungen der Restrik tionen für den westdeutschen Schiffsbau und di Streichung einiger Werke von der Demontageliste die Bestimmungen über die im Washingtoner PLI Abkommen von den Besatzungsmächten vereir barten Produktionsverbote und -beschränkunge blieben allerdings unverändert gültig. Die Stre chung mehrerer Produktionsstätten von der Repe rationsliste mußte deshalb weniger wirtschaftliche als vielmehr psychologische Wirkungen haben.
Das Festhalten der Besatzungsmächte am PLI-Abkommen war für die Bundesregierung akzeptabel, da die westdeutsche Wirtschaft die in diesem Abkommen festgesetzten Limits noch nicht erreicht hatte und dem Bundeskanzler während der Konsultationen auf dem Petersberg eine Revision der Produktionsbeschränkungen und -verböte zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt worden war.
Der besondere Wert des Petersberger Abkommens lag ohnehin in den langfristigen Perspektiven, in die die Einzelbestimmungen eingebettet worden waren. Einig waren sich die Vertreter der drei Besatzungsmächte und die Bundesregierung über die mit diesem Abkommen verfolgte Zielsetzung: „die Bundesrepublik als friedliebendes Mitglied in die europäische Gemeinschaft einzugliedern"
Das Petersberger Abkommen war schließlich auch das von alliierter Seite geforderte authentische Bekenntnis der Bundesrepublik zum Westen. Das Abkommen und die Umsetzung der darin verankerten Vereinbarungen, nämlich der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Internationalen Ruhrbehörde und zum Europarat bildeten dabei eine Einheit. Erst nach der Umsetzung aller Teile dieser komplexen Kette von Abmachungen durch entsprechende Handlungsschritte waren die drei Westmächte zu Beratungen über eine Revision besatzungsrechtlicher Bestimmungen bereit.
V. Der Schuman-Plan: Umsetzung integrationspolitischer und nationalstaatlicher Zielsetzungen
Die Revision des Besatzungsstatuts war dann Thema der Londoner Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 11. bis 13. Mai 1950 Acheson (USA), Bevin (Großbritannien) und Schuman (Frankreich) waren sich darüber einig, die Integration des westdeutschen Staates in die Gemeinschaft der demokratischen westlichen Industriestaaten auf europäischer wie globaler Ebene zu forcieren und so die Einbindung der Bundesrepublik in den Westen abzusichem, denn der Westteil Deutschlands sollte unwiderruflich mit dem Westen verbunden werden. Die drei Außenminister vereinbarten, daß die Oberste Gewalt weiterhin in den Händen der Alliierten Hohen Kommission verbleiben sollte, den deutschen Handlungsträgern aber innerhalb dieses abgesteckten Rahmens zusätzliche Kompetenzen und Verantwortung zu übertragen.
Diese Londoner Konferenz brachte in der Frage der Revision der besatzungsrechtlichen Bestimmungen also nur Grundsatzvereinbarungen, aber noch keine endgültigen Entscheidungen; es wurden entsprechende Entscheidungsfindungsprozesse lediglich initiiert. Die durchaus positive Bewertung dieser Außenministertagung in der Öffentlichkeit der westlichen Staaten sowie in der Einschätzung der beteiligten Regierungen, aber auch der Bundesregierung, beruhte vor allem auf der Initiative Frankreichs: dem Schuman-Plan Der Plan des französischen Außenministers sah die Errichtung einer gemeinsamen Hohen Behörde, deren Entscheidungen für Frankreich, die Bundesrepublik sowie alle anderen sich dieser Organisation anschließenden Staaten verbindlich sein sollten, und die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl vor. Die Gründe für dieses Konzept und der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Planes sind sowohl im sicherheitspolitischen als auch im ökonomischen Bereich zu suchen.
In Paris war man im Frühjahr 1950 vor dem Hintergrund der Neubewertung der militärstrategischen Konzeption durch die militärischen Planungsstäbe innerhalb des nordatlantischen Bündnisses zu der Erkenntnis gelangt, daß ein direkter ökonomischer, aber auch militärischer Verteidigungsbeitrag Westdeutschlands auf Dauer nicht verhindert werden könne. Hinzu kam, daß die Bundesrepublik erstens die Auflösung der Internationalen Ruhrbehörde, zumindest aber deren Überführung in eine Organisation mit europäischem Charakter forderte und zweitens eine Aufhebung der der westdeutschen Wirtschaft auferlegten Produktionsverbote und -beschränkungen verlangte. Beides konnte, darüber war sich die französische Regierung ebenfalls im klaren, den Deutschen im Zuge der schrittweisen Revision des Besatzungsrechts auf Dauer nicht verwehrt werden. Zumal die westdeutsche Stahlindustrie bereits zu diesem Zeitpunkt von den USA als nicht nur für den westdeutschen und westeuropäischen wirtschaftlichen Wiederaufbau, sondern zunehmend auch für die Rüstungsproduktion in Westeuropa als unverzichtbar angesehen wurde Aus diesen Entwicklungstendenzen ergab sich aus französischer Sicht die Notwendigkeit, durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes sowie die „Transparenz wirtschaftlicher Aktionen im Bereich von Kohle und Stahl“ auf längere Sicht ein gewisses Maß an Kontrolle über die westdeutsche Kohle-und Stahlproduktion und damit über das wirtschaftliche Potential für die Herstellung von Waffen und Rüstungsgütem sicherzustellen, um auf diese Weise das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs gegenüber Deutschland zu befriedigen. Neben den sicherheitspolitischen Gründen waren die ökonomischen Interessen Frankreichs die wichtigsten Momente für diesen Plan. Das Ziel der staatlichen französischen Wirtschaftspolitik nach 1945 war die Erweiterung und strukturelle Verbesserung der Grundstoffindustrie. In den ersten Nachkriegsjahren war es auch gelungen, die Rohstahlproduktion zu modernisieren und die Jahres-produktion weit über die Vorkriegsquoten auszudehnen; die Planungen sahen den Aufbau einer Jahreskapazität für die Rohstahlproduktion von 15 Mio. t bis zum Jahre 1952/53 vor Diese Zielsetzung war aber nur zu realisieren, wenn erstens für die französische Stahlindustrie auch weiterhin der Zugang zur qualitativ hochwertigen und gleichzeitig relativ preisgünstigen Ruhrkohle gesichert war, und zweitens — da etwa ein Drittel der Produktion exportiert werden sollte — neue Absatzmärkte für den französischen Stahl erschlossen werden konnten. In Paris ging man deshalb von der Prämisse aus, daß ein beträchtlicher Teil der erweiterten französischen Stahlproduktion auf dem westdeutschen Markt abgesetzt werden könnte. An der Beibehaltung der alliierten Produktions-und Kapazitätsbeschränkungen für die bundesdeutsche Stahlindustrie sowie an den Kontrollen hatte Frankreich also offenkundig nicht nur ein sicherheitspolitisches, sondern auch ein ökonomisches Interesse. Diese französischen Planungen befanden sich aber schon in der zweiten Jahreshälfte 1949 mit den tatsächlichen Entwicklungstendenzen nicht mehr in Übereinstimmung. Zu diesem Zeitpunkt begann sich eine Baisse auf den westeuropäischen Stahl-märkten einzustellen, und Prognosen rechneten bis zum Jahre 1953 mit einem jährlichen Stahlüberschuß in Europa von ca. 8 Mio. t Frankreich mußte deshalb die ursprünglich angestrebte Rohstahlproduktionskapazität um 2, 5 Mio. t auf 12, 5 Mio. t/Jahr nach unten korrigieren. Zur gleichen Zeit stieg aber auch der Index der industriellen Produktion in der Bundesrepublik sprunghaft an. Die Stahlproduktion näherte sich ebenfalls der festgesetzten jährlichen Produktionsobergrenze von 11, 1 Mio. Tonnen. Damit zeichnete sich ab, daß einerseits Frankreichs Wirtschaft im Vergleich zu 1938 seine Konkurrenzsituation gegenüber Deutschland zunächst zwar relativ verbessert und früher als der östliche Nachbar den Vorkriegsstand der industriellen Produktion und Produktivität erreicht hatte andererseits hatte das ökonomische deutsch-französische Kräfteverhältnis durch den Zweiten Weltkrieg sowie die alliierte Besatzungspolitik keine grundlegenden Änderungen erfahren. Die Bundesrepublik holte den Rückstand gegenüber Frankreich mit einer Schnelligkeit auf, die die Wiederherstellung der alten Relationen in naher Zukunft erwarten ließ; dies dokumentierte nach Einschätzung der französischen Handlungsträger, daß die Übermacht des deutschen Wirtschaftspotentials gegenüber den kontinentaleuropäischen Staaten langfristig keinesfalls gefährdet war Da Frankreich den amerikanischen und deutschen Forderungen nach Beseitigung der ökonomischen Restriktionen für die westdeutsche Industrie nur einen zeitlich begrenzten Widerstand entgegensetzen konnte, galt es, das Wirtschaftspotential der Bundesrepublik speziell im Montanbereich der Nutzung durch die westeuropäischen Volkswirtschaften zu erhalten und einer, wenn auch moderaten, d. h. einer nicht mehr nur die Deut-sehen betreffenden, sondern einer europäischen Kontrolle zu unterstellen.
Wie wurde der Plan des französischen Außenministers vom eigentlichen Adressaten, der Bundesregierung, aufgenommen? Während die binnen-und außenwirtschaftlichen Konsequenzen eines Zusammenschlusses im deutsch-französischen Montanbereich für die Bundesrepublik in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion jener Tage hart umstritten waren wurde der Plan unter politischen Gesichtspunkten durchweg positiv bewertet. Dieser Plan gab der deutsch-französischen Aussöhnung, aber auch der europäischen Integration eine neue Perspektive verlieh der mehrfach von den Alliierten postulierten deutschlandpolitischen Zielsetzung der Besatzungspolitik zusätzliche Glaubwürdigkeit, brachte die Aussicht auf einen konkreten Erfolg der von der Bundesregierung verfolgten Verständigungspolitik mit dem Westen und erleichterte damit den Befürwortern der Westintegration in der innenpolitischen Auseinandersetzung die Argumentation über den künftigen außenpolitischen Kurs des westdeutschen Staates. Für die westdeutsche Stahl-und Kohleindustrie, deren Produktion wesentlichen ökonomischen Kontrollen und Beschränkungen seitens der Besatzungsmächte unterworfen war, stellte der französische Vorschlag die Möglichkeit eines Abbaus und letztlich der Beseitigung der vielfältigen Auflagen im Bereich der Grundstoffindustrien in Aussicht. Damit mußte dann auch das Ende der als besatzungsrechtliche Hypothek empfundenen Internationalen Ruhrbehörde, der im PLI-Abkommen festgelegten Restriktionen für die Stahlproduktion sowie eine Einschränkung der Kontrollfunktionen des Militärischen Sicherheitsamtes der Alliierten in greifbare Nähe rücken, was gleichbedeutend mit der Erweiterung von Handlungskompetenzen für die bundesdeutschen Akteure sein würde.
Hinsichtlich der außenpolitischen Vertretungsrechte brachte der Schuman-Plan der Bundesregierung einen sofortigen Zuwachs an Handlungskompetenz. Die AHK verzichtete nach einer Unterredung zwischen Monnet und McCloy auf eine nach dem Besatzungsstatut mögliche eigene Präsenz bei den Verhandlungen, verlangte aber von der Bundesregierung die Übermittlung des Vertragswerkes zwecks Zustimmung der AHK vor dessen Unterzeichnung Durch diesen Verzicht der Hohen Kommissare wurde die formelle Gleichberechtigung der Bundesrepublik mit den anderen Teilnehmerländem an den Verhandlungen über den Schuman-Plan sichergestellt. Damit erhielten die der Bundesregierung gewährten außenpolitischen Vertretungsrechte eine neue Qualität und erstmals die Insignien eines souveränen Staates.
So positiv der Status der Gleichberechtigung im Verhandlungsprozeß auch zu bewerten war — das entscheidende Ziel für die Bundesregierung mußte jedoch sein, die Gleichberechtigung auch in der Substanz der Verhandlungsergebnisse zu erreichen. Denn das ursprüngliche Konzept der französischen Regierung sah keineswegs vor, daß mit der Verwirklichung des Schuman-Planes automatisch die bestehenden Sonderkontrollen für die westdeutsche Kohle-und Stahlindustrie aufgehoben werden sollten. Die Regierung in Paris ging im Mai und Juni 1950 vielmehr davon aus, daß das Ruhrstatut und die Bestimmungen des PLI-Abkommens auch nach der Errichtung der Hohen Behörde weiterhin Gültigkeit haben würden
Die zunächst gegenüber den französischen Forderungen eher defensive Verhandlungsführung der Bundesregierung änderte sich dann nach den New Yorker Außenministerkonferenzen der drei Westmächte und der NATO Der auf diesen Konferenzen beschlossene ökonomische sowie der sich abzeichnende militärische Verteidigungsbeitrag Westdeutschlands verbesserte die Verhandlungsposition der Deutschen bei den Beratungen über den Schuman-Plan doch erheblich; denn nun bestand prinzipiell die Möglichkeit, die Aufhebung der Produktionsverbote und -beschränkungen für die westdeutsche Industrie auch mit dem Hinweis auf die Anforderungen an die bundesdeutsche Wirtschaft im Zusammenhang mit den westlichen Aufrüstungsprogrammen zu verlangen. Deshalb konnte die Bundesregierung in den Verhandlungen schließlich ihre Forderungen durchsetzen.
Am 18. April 1951 unterzeichneten die sechs Mitgliedstaaten den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in einer Note vom gleichen Tage versicherte der französische Außenminister dem Bun-deskanzler daß die Ruhrbehörde und das Ruhrstatut „im Einvernehmen mit den Unterzeichnerstaaten spätestens mit der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl außer Kraft treten“ und die alliierten Kontrollrechte im Montanbereich sowie „die Beschränkungen für die Produktion und die Produktionskapazität Deutschlands für Stahl bei dem Inkrafttreten des Vertrages aufgehoben“ würden
Schuman war dann auch sehr bemüht, diese Zusagen gegenüber dem Bundeskanzler in konkreten Vereinbarungen zu realisieren. Am 19. Oktober 1951 verständigten sich die Signatarregierungen des Ruhrstatuts — dies waren die drei Besatzungsmächte und die Beneluxstaaten —, das Statut mit dem Inkrafttreten des gemeinsamen Marktes für Kohle aufzuheben am gleichen Tage gab die AHK aufgrund einer Weisung der Außenminister der drei Besatzungsmächte bekannt, daß mit dem Inkrafttreten des EGKS-Vertrages die Produktionsbeschränkungen und -verböte sowie die alliierten Kontrollen über die westdeutsche Montanindustrie, die vom Militärischen Sicherheitsamt durchgeführt wurden, aufgehoben würden -Die Aufhebung der ökonomischen Restriktionen für die westdeutsche Montanindustrie sowie die Auflösung der Internationalen Ruhrbehörde waren also direkt mit dem Inkrafttreten des EGKS-Vertrages bzw. mit der Errichtung des Gemeinsamen Marktes für Kohle verknüpft
Mit dem Projekt der Montanunion wurden also nicht nur integrationspolitische Zielsetzungen verfolgt und durchgesetzt, sondern auch klar formulierte nationalstaatliche Interessen: Frankreich verfolgte mit diesem ersten Schritt der europäischen Integration neben nationalen ökonomischen Interessen vor allem sicherheitspolitische Ziele gegenüber dem Nachbarn im Osten: Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EGKS war aus französischer Sicht die notwendige Voraussetzung nicht nur für die Aufhebung der wirtschaftlichen Beschränkungen, sondern auch für den westdeutschen Verteidigungsbeitrag, für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die — wenn auch deutlich eingeschränkte — Produktion von Waffen sowie Rüstungsgütem in Westdeutschland und damit aber auch für die Ablösung des Besatzungsstatuts durch vertragliche Vereinbarungen.
Die Bundesregierung wollte durch die Integration in die westeuropäische Gemeinschaft die Emanzipation von den Gründungsbedingungen, d. h.den Abbau aller nur die Deutschen betreffenden Kontrollen und Beschränkungen und damit die Gleichberechtigung gegenüber den anderen EGKS-Mitgliedsstaaten erreichen. Die Realisierung sowohl europapolitischer als auch nationaler Zielsetzungen funktionierte im Montanbereich; der EGKS-Vertrag befriedigte das französische Sicherheitsverlangen und brachte der Bundesrepublik die Gleichberechtigung gegenüber den anderen Staaten dieser Gemeinschaft und einen resulativen Souveränitätsgewinn. Denn zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Schuman-Planes befanden sich die Eisen-und Stahlindustrien sowie der Kohlenbergbau in den westeuropäischen Ländern in der nationalen Verfügungsgewalt dieser Staaten. Die Bundesrepublik bildete jedoch eine Ausnahme; ihre Montanindustrie war weitgehend alliierten, aber auch internationalen Kontrollen und Beschränkungen unterworfen. Ein allgemeines bundesdeutsches Hoheitsrecht in diesem Wirtschaftssektor gab es nicht; die westdeutschen Akteure konnten ihre Handlungskompetenzen nur im Rahmen der besatzungsrechtlichen Bestimmungen ausüben. Mit dem Abschluß des EGKS-Vertrages und der Errichtung des Gemeinsamen Marktes für Kohle erreichte der westdeutsche Staat den Status der Gleichberechtigung. Das Niveau der nationalen Verfügbarkeit über die eigene Montanindustrie war zwischen allen Mitgliedstaaten nunmehr gleich. Während diese Nivellierung in diesem Bereich für Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten die Übertragung von Souveränitätsrechten auf eine supranationale, europäische Organisation bedeutete und somit eine Einschränkung der nationalstaatlichen Unabhängigkeit darstellte, resultierte für die Bundesrepublik aus dieser Entwicklung im Vergleich zum Zustand vor der Vertragsunterzeichnung ein Souveränitätsgewinn — nur wurde die auf diese Weise erworbene Verfügungsgewalt der bundesdeutschen Akteure über die eigene Montanindustrie nicht in nationales Hoheitsrecht umgesetzt, sondern im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl gewährt.
VI. Die kleine Revision des Besatzungsstatuts
Eine Ausweitung der Handlungskompetenzen für die bundesdeutschen Akteure innerhalb des westdeutschen politischen Systems brachte auch die Revision des Besatzungsstatuts vom 6. März 1951. Die drei Besatzungsmächte verlangten von der Bundesregierung als Voraussetzung für diese Revision des Besatzungsrechts die Abgabe einer soge-nannten Rohstoff-und einer Schuldenerklärung. In der ersten Deklaration verpflichtete sich die westdeutsche Regierung zur Mitarbeit bei der Verteilung von Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen mit strategischer Bedeutung für das euro-atlantische Verteidigungs-und Aufrüstungsprogramm Die „Rohstofferklärung“ war im Ergebnis für die Bundesrepublik ein bedeutender integrationspolitischer Schritt, der dem westdeutschen Staat die partielle — aber sehr wichtige — sicherheitspolitische Einbindung in die Planungen der euro-atlantischen Verteidigungsgemeinschaft brachte. Diese Erklärung bedeutete, daß die Bundesrepublik damit zum Partner der westlichen Staaten bei dem Versuch wurde, durch wirtschaftspolitische Maßnahmen und deren Koordinierung innerhalb des nordatlantischen Bündnisses die ökonomischen Voraussetzungen für die Realisierung der geplanten verteidigungspolitischen Anstrengungen, insbesondere der ehrgeizigen Aufrüstungspläne, zu schaffen.
Mit der zweiten Erklärung übernahm die Bundesrepublik die Haftung für die Vorkriegsauslandsschulden des Deutschen Reiches und für die Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gewährte Wirtschaftshilfe Mit dieser Schuldenerklärung erfüllte die Bundesregierung eine unabdingbare Voraussetzung für die Wiederherstellung der internationalen Kreditfähigkeit der Bundesrepublik.
Die Dokumente zur „Ersten Revision des Besatzungsstatuts“ brachten neben einer verfahrens-mäßigen Lockerung der Gesetzgebungskon-trolle vor allem eine Neuregelung der deutschen Zuständigkeiten auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten. Der Bundesregierung wurden, ohne allerdings den Vorbehalt des Besatzungsstatuts aufzugeben, weitreichende Handlungskompetenzen gewährt: Die westdeutsche Regierung durfte ein Außenministerium errichten sowie diplomatische und konsularische Beziehungen aufnehmen; eine Zustimmung der AHK mußte dabei nur eingeholt werden, sofern solche Beziehungen zu Staaten angeknüpft werden sollten, in denen die Bundesrepublik bisher noch keine Konsulate errichtet hatte Die Führung von internationalen Verhandlungen durch die Bundesregierung wurde von besatzungsrechtlichen Auflagen weitgehend befreit; notwendig war aber weiterhin die Zustimmung der AHK zu den neu abgeschlossenen Verträgen. Im Bereich des Außenhandels und Devisenverkehrs erfolgte eine erhebliche Einschränkung der alliierten Kontrollbefugnisse durch eine nähere Bestimmung der mit diesen Überwachungsmaßnahmen verfolgten Besatzungsziele In erster Linie sollte die Kontrolle des westdeutschen Außenhandels den Erfordernissen der Sicherheit dienen, wobei es insbesondere um die Überwachung der Beschränkung des Wirtschaftsverkehrs mit den Ostblockstaaten aufgrund der CoCom-Liste ging. Darüber hinaus sollten die alliierten Befugnisse in diesem Bereich sicherstellen, daß die Grundsätze des GATT und des Abkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) durch die Bundesrepublik eingehalten wurden, solange der westdeutsche Staat diesen Abkommen noch nicht unmittelbar verpflichtet war. Sobald die Bundesrepublik dem GATT und dem IWF beitreten und damit die sich daraus ergebenden Verpflichtungen übernehmen würde, sollten diese Vorbehalts-rechte wegfallen. Die Kontrolle des Außenhandels und Devisenverkehrs sollte schließlich auch eine ordnungsgemäße Befriedigung der Ansprüche gegen Deutschland gewährleisten.
VII. Der GATT-Beitritt: Der Schritt zur zoll-und handelspolitischen Souveränität
Ganz im Sinne der Bestimmungen des revidierten Besatzungsstatuts zeichnete sich bei den alliierten Vorbehaltsrechten im Bereich der Außenwirtschaft zum Zeitpunkt der Revision des Besatzungsstatuts bereits ab, daß die handelspolitische Souveränität der Bundesrepublik aufgrund des bevorstehenden GATT-Beitritts in den nächsten Monaten zu erwarten war. Nachdem die Bundesregierung am 8. Dezember 1949 die Einladung zur Teilnahme an der am 28. September 1950 in Torquay beginnenden internationalen Zollverhandlungsrunde angenommen hatte, erarbeitete die Bonner Regierung bis Ende März einen neuen Zolltarif-Entwurf der am 18. Mai 1950 von der Alliierten Hohen Kommission an die GATT-Teilnehmerländer weitergeleitet wurde
Bis kurz vor Beginn der Zollverhandlungen von Torquay entwickelte sich aber eine geradezu paradoxe Situation: Einerseits tauschte die Bundesregierung mit den Regierungen der GATT-Staaten Noten und Listen aus, in denen sie die Zollzugeständnisse aufführte, die sie im Rahmen bilateraler Vereinbarungen entweder bei den anderen Regierungen beantragte oder selber zu gewähren bereit war Andererseits war die Grundlage für diese Notenwechsel und Vorverhandlungen — der westdeutsche Zolltarifentwurf — noch lange Zeit ein Provisorium, denn die endgültige Zustimmung der AHK und die Verabschiedung durch die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik standen noch aus. Die Alliierte Hohe Kommission erteilte nach intensiven Verhandlungen mit deutschen Experten erst wenige Tage vor Beginn der Konferenz von Torquay dem bundesdeutschen Zolltarifentwurf ihre Zustimmung Der Prozeß der Verabschiedung des Gesetzes über das reformierte bundesdeutsche Zolltarifschema im Deutschen Bundestag lief sogar parallel zu den Zollverhandlungen; erst am 8. Juni 1951 — also nach Beendigung der GATT-Konferenz — billigte der Bundestag das Zolltarifgesetz das am 16. August 1951 in Kraft trat
Für die bundesdeutsche Delegation in Torquay entstand daraus eine recht schwierige Situation, denn sie verhandelte mit den GATT-Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Zolltarifentwurfs, der noch nicht die abschließende Zustimmung des bundesdeutschen Parlaments gefunden hatte. Es mußten daher die im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses vom Bundestag beschlossenen Änderungen des Tarifschemas dann nicht nur der AHK mitgeteilt und deren Billigung erreicht werden, sondern auch den Verhandlungspartnern in Torquay mußten ständig die Änderungen der Verhandlungsgrundlagen zur Kenntnis gebracht werden. Am Ende der Konferenz von Torquay, am 21. April 1951, mußte die bundesdeutsche Delegation die bilateralen Vereinbarungen mit den GATT-Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines noch nicht rechtsverbindlichen Zolltarifs abschließen. Die Tatsache, daß die anderen an der Zollkonferenz teilnehmenden Regierungen bereit waren, mit der bundesdeutschen Delegation auf der Basis eines ständig variierten deutschen Zolltarifschemas zu verhandeln und Vereinbarungen zu treffen, dokumentierte deren großes Interesse an einer definitiven Einbeziehung der Bundesrepublik in das Weltwirtschaftssystem — ein Verhalten, mit dem dem besonderen Stellenwert des ökonomischen Potentials Westdeutschlands auch auf globaler Ebene und der bestehenden sowie der zukünftig erwarteten Bedeutung der bundesdeutschen Wirtschaft für den Welthandel entsprochen werden sollte.
Wie weit die westlichen Staaten bereit waren, auf die besondere Situation des westdeutschen Staates Rücksicht zu nehmen, zeigte sich in einem zweiten Punkt: Gemäß Art. XXXIII des GATT-Abkommens durften nur solche Staaten aufgenommen werden, die die handelspolitische Souveränität besaßen. Angesichts der Tatsache, daß die Besatzungsmächte an ihren Vorbehaltsrechten im Bereich der Außenwirtschaft festhielten und das westdeutsche Zolltarifschema der ausdrücklichen Zustimmung der AHK bedurfte, konnte von einer solchen Souveränität der Bundesrepublik keine Rede sein bei buchstabengetreuer Anwendung des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens „hätte die Bundesrepublik kaum an den Zollverhandlungen in Torquay teilnehmen dürfen“ Die Politik der drei Besatzungsmächte lief aber darauf hinaus, daß für den Beitritt des westdeutschen Staates zum GATT genau die zu den GATT-Bestimmungen umgekehrte Voraussetzung gelten sollte: Durch die Teilnahme an den Zollverhand-lungen in Torquay sowie dem daraus resultierenden Beitritt der Bundesrepublik zum GATT sollte die Einbeziehung Westdeutschlands in das Weltwirtschaftssystem, die insbesondere von den USA bereits frühzeitig, noch vor der Konstituierung eines westdeutschen Staates propagiert und eingeleitet worden war, definitiv und irreversibel vollendet werden. Erst danach waren die Besatzungsmächte zur Aufgabe ihrer Vorbehaltsrechte im Bereich des westdeutschen Außenhandels bereit. Nachdem der Bundesrat am 22. Juni 1951 und der Bundestag am 11. Juli 1951 das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik zum Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommen verabschiedet hatten, trat dieses am 1. Oktober 1951 in Kraft; die Bundesrepublik war von diesem Tage an offizielles GATT
Mitglied Am 18. Oktober 1951 teilte die AHK in einer Note an den Bundeskanzler mit, daß die den Besatzungsbehörden vorbehaltenen Befugnisse „hinsichtlich der Nicht-Diskriminierung in Handelsangelegenheiten“ und „hinsichtlich der Überwachung des Außenhandels und der Devisenwirtschaft . . ., welche die Einhaltung der Grundsätze des Allgemeinen Abkommens über Zolltarife und Handel durch die Bundesrepublik sicherstellen sollte“, mit dem GATT-Beitritt des westdeutschen Staates — also ab dem 1. Oktober 1951 — nicht mehr angewendet würden gewisse Vorbehalts-rechte und Kontrollbefugnisse behielten sich die Besatzungsbehörden nur noch im Hinblick auf den Handelsverkehr sowie die Handels-und Zahlungsverhandlungen und -abkommen mit den Staaten des kommunistischen Einflußbereiches vor
Die Bundesrepublik hatte damit am 1. Oktober 1951 — mit der Einschränkung für den Osthandel — ihre handelspolitische Souveränität erreicht.
VIII. Fazit
Gerade der GATT-Beitritt dokumentierte nochmals sehr anschaulich, was die Hauptantriebskraft für den Prozeß der Emanzipation des westdeutschen Staates und damit für die Revision der besatzungsrechtlichen Bestimmungen war: die Notwendigkeit der Einbeziehung des Wirtschaftspotentials der Bundesrepublik in die Gemeinschaft der westeuropäischen Volkswirtschaften und das globale Wirtschaftssystem, um den ökonomischen Rekonstruktionsprozeß insbesondere in Westeuropa erfolgreich durchführen zu können, sowie die sich im Jahre 1950 endgültig durchsetzende Einschätzung, daß die Verteidigung Westeuropas ohne einen substantiellen ökonomischen und auch militärischen Verteidigungsbeitrag Westdeutschlands jeglicher realen Grundlage entbehre.
Die deshalb aus deutscher wie alliierter Sicht notwendige Weiterentwicklung der Integration Westdeutschlands in die westliche Staatengemeinschaft brachte der Bundesrepublik bereits kurz nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts zunächst außenwirtschaftliche Vertretungsrechte und Hand-lungskompetenzen im Rahmen des vorhandenen und sich weiterentwickelnden interdependenten Beziehungsmusters der westlichen Staatengemeinschaft. Die Bundesrepublik wurde mit jedem Integrationsschritt stärker in die westliche Struktur eingebunden — eine Entwicklung, durch die das Risiko einer Ausweitung der bundesdeutschen Handlungskompetenzen, die letztlich zur Souveränität der Bundesrepublik führen mußte, minimiert wurde. Da der westdeutsche Staat Teil dieser sich aus sach-und funktionsbedingten Zusammenhängen ergebenden Interdependenz der westlichen Staaten wurde, konnte die Bundesrepublik aus den besatzungsrechtlichen Beschränkungen „entlassen“ werden und unabhängig von den Verhandlungen über den westdeutschen Verteidigungsbeitrag sowie die gleichzeitige Ablösung des Besatzungsstatuts durch eine vertragliche Neuregelung der deutsch-alliierten Beziehungen bereits im Jahre 1951 resultative und faktische Souveränitätsgewinne (Schuman-Plan, GATT-Beitritt) gerade im außenwirtschaftspolitischen Bereich erzielen.
Mit diesen Souveränitätsgewinnen erreichte die Bundesrepublik eine konditionierte Souveränität. Die Bedingung der drei Westmächte für die Übertragung umfassender Hoheitsrechte an den westdeutschen Staat war, daß die bisherigen alliierten und internationalen besatzungsrechtlichen Bindun-gen durch äquivalente, internationale völkerrechtliche Bindungen ersetzt wurden; mit dieser Substitution, die zu materiell identischen Bindungen mit einer allerdings anderen rechtlichen Qualität führ-ten, wurde eine „strukturelle Garantie“ angestrebl die irreversible politische, ökonomische und sicher heitspolitische Integration der Bundesrepublik ii die westliche Staatengemeinschaft.